Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Süße Heimath meiner Jugend,
Wo mein Gänseblümchen stand,
Wo ich im Gefühl der Tugend
Duft'ge Veilchensträuße band,
Wo ich, recht nach Kindersitte,
Manchen schönen Frühlingstag
In der stillen Hundehütte,
Einen Hund mich dünkend, lag.

Matthisson.

Meines Bleibens in Ferrara war nicht sehr lange; denn mich verlangte nach der Heimath. Ich beschloß die Wanderung zu Fuße zu machen, theils um mich einmal recht auszulaufen, theils um die Schönheiten der Gegenden, die zwischen Ferrara und Schnipphausen liegen, besser genießen zu können. Man muß doch auch etwas für die Natur fühlen.

Nun wußte ich so gut wie jeder Mathematiker, daß der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten die gerade Linie sei. Ich nahm daher eine Landkarte, zog von Ferrara bis Schnipphausen mitten durch das lombardisch-venetianische Königreich und die Schweiz mit Tinte einen dicken geraden Strich, und beschloß nun, diese Route einzuschlagen und von ihr weder nach rechts noch nach links in irgend erheblicher Distanz abzuweichen. Der gerade Weg ist der beste, dachte ich mir.

So lange mich meine geradlinige Wanderung durch die Lombardei führte, stieß ich auf keine Hindernisse, die zu überwinden einem Manne von meinen Fähigkeiten besonders schwer angekommen wäre. Nun aber kam die Schweiz mit ihren, wie ich bei näherer Untersuchung fand, gar nicht unerheblichen Bergen, Schlünden, Klüften und Gletschern. Ich muß gestehen, daß mir bei dem Anblick dieser etwas hohen Alpenmauer doch ein wenig bange wurde. Indeß was ein Mann sich vorgesetzt hat, das soll er ausführen, oder er muß sich verachten. Ich begann also, auf mein gutes Glück, meine körperliche Kraft und Gewandheit und meinen Scharfsinn vertrauend, mitten durch die Schweiz gerade auf Schaffhausen loszumarschiren, indem ich dabei meine Specialkarte mit dem dicken Tintenstrich bei jeder zweifelhaften Stelle zu Rathe zog. In die Details meiner höchst merkwürdigen Wanderung kann ich mich hier nicht einlassen, nur einige wenige Hilfsmittel, deren ich mich zur Lösung meiner großartigen Aufgabe bediente, will ich hier anführen, um darzuthun, wie ich möglich machte, was jedem Andern unmöglich gewesen wäre.

Gelangte ich an einen hohen Berg von der respectablen Höhe von zehn- oder zwölftausend Fuß oder darüber – denn von niedrigern Bergen zu sprechen halte ich unter meiner Würde – so wartete ich so lange, bis ein Lämmergeier, der in eine Schafheerde gefallen war, mit seiner Beute wieder dem Gipfel zuflog. Den Moment, wo er aufstieg, nahm ich dann sehr geschickt wahr, packte ihn an seinen Füßen und ließ mich von ihm ganz gemächlich auf den Berg hinauftragen. Ich hatte das – ich gebe zu – seltene Glück, immer an ungewöhnlich kräftige Lämmergeier zu gerathen, die sich ein Vergnügen und eine Ehre daraus machten, ein so merkwürdiges Individuum wie mich auf die Alpengipfel, auf denen sie hausten, hinaufzuschaffen. Befand ich mich nun oben auf dem Gipfel, so wartete ich so lange, bis eine Lavine abrutschte; ich streckte mich alsdann auf sie hin, und abwärts fuhr ich, daß mir dabei oft selbst Sehen und Hören verging; aber herunter kam ich mit ihr – das war gewiß. Galt's eine selbst für mich zu breite Kluft zu überspringen, so verbarg ich mich hinter eine Felswand und pfiff, wie die Gemse pfeift, wenn sie die Ihrigen locken will. Alsbald kamen sie zu Dutzenden herbei. Nun sprang ich hervor, trieb die erschreckten Thiere gegen den Rand der Kluft, schwang mich auf den Rücken der letzten Gemse und gelangte mit ihr im Sprunge auf den Felsrand gegenüber. Zuweilen warf ich auch meinen Tornister hinüber, faßte ihn in demselben Augenblick, wo er mir aus den Händen flog, wieder mit diesen und wurde so von ihm oder vielmehr von mir mit hinübergeworfen. Es bedarf dazu freilich eben so viel Kraft im Werfen als Geschwindigkeit im Zufassen und einem Andern als mir möchte das Experiment nicht gelingen. Glück muß der Mensch ohnehin in allen Dingen haben, und das hatte ich.

So kam ich schneller als ich dachte an den Rheinfall von Schaffhausen, der gerade, weil ich dort zur Zeit der Schneeschmelze eintraf, zum Ueberlaufen voll war (er lief auch wirklich über) und einen merkwürdigen Spektakel machte. Um an das jenseitige Ufer zu gelangen, hatte ich nichts weiter zu thun, als mitten durch das stürzende Wasser, also in der Mitte des Falls, hindurchzuschwimmen, was ich auch that. Am jenseitigen Ufer angelangt, sah ich einen langgezogenen Engländer auf mich zutreten, der mir vor Freude über mein Unternehmen eine Tausendpfundnote in die Hand und einige Tropfen aus meinen durchnäßten Kleidern in ein kleines Fläschchen drückte, das er dann zum Andenken an meine That nach England mitgenommen hat. Er bat mich auch, ihm Unterricht im Schwimmen zu ertheilen und diesen Unterricht sofort zu beginnen, wobei er mir für jede Stunde dieselbe Summe versprach; aber ich antwortete, daß ich zwar Meister im Schwimmen, aber kein Schwimmmeister sei und überhaupt Eile habe.

Ich reiste dann wie ein gewöhnliches Menschenkind mit der Post nach Mannheim, wo ich von dem Chef eines Handlungshauses, der meine Kenntnisse und Gewandtheit bewundern lernte, im Auftrage eines Neuyorker Hauses als Auswanderungsagent engagirt wurde. Unser Contract lautete, daß ich »für jeden Kopf« einen Karolin erhalten sollte.

Auf der Stelle machte ich nun Reisen nach Düsseldorf, München, und andern deutschen Kunststädten und kaufte hier alle Porträts auf, die ich in den verschiedenen Künstlerateliers vorfand, bei welchem Handel ich auch Gelegenheit hatte, um einen wohlfeilen Preis mancherlei schlechte Genrebilder und Landschaften aufzukaufen, die aber für den Geschmack der Yankee's, so weit ich ihn kannte, immer noch gut genug waren. Diese Kunstschätze sandte ich fürs erste nach Hamburg und gab sie einem Spediteur in Verwahrung. Ich selbst aber setzte meine Reise nach Schnipphausen fort.

In Leipzig nahm ich einen längeren Aufenthalt und hier war es, wo der Herausgeber dieses Buches die Ehre hatte, mich kennen zu lernen. Die Gerüchte über meine Thaten hatten sich inzwischen weit über das deutsche Vaterland verbreitet und die Aufmerksamkeit auf mich gelenkt. Mehrere berühmte Naturforscher wandten sich an mich, um über die Flora und Fauna Beutellands und über die Gestalt des Nordpols von mir Auskunft zu erhalten; ein Dutzend Geschichtsprofessoren ersuchten mich um die Aufzeichnung meiner Thaten, um einige neue Bände ihrer »Weltgeschichten« damit füllen zu können; die Romanschriftsteller und Novellenschreiber Leipzigs zogen wie der Schweif eines Kometen in den Gassen Leipzigs hinter mir her, um aus meinen Mittheilungen neues Futter in die leere Krippe ihrer Phantasie aufzufüllen und ihrem ausgehungerten Pegasus wieder einmal einen festlichen Schmaus zu bereiten u. s. w. Ein deutscher Fürst beauftragte einen berühmten Künstler, mit den Darstellungen meiner Thaten al fresco eine Reihe seiner Gemächer zu schmücken; aber die eingesandten Cartons mißfielen mir wegen ihrer allzu symbolisch-allegorisch-metaphysischen Auffassung; denn der Künstler beabsichtigte mich als Urmenschen, welcher die gegenständliche Natur überwindet, zur Anschauung zu bringen und hatte mich daher – man denke – unbekleidet dargestellt, was mein Anstandsgefühl höchlichst verletzte. Ich protestirte dagegen und drohte mit einer öffentlichen Erklärung in der »Allgemeinen Zeitung«, und so zerschlug sich die Sache. Giacomo Meyerino Beerini, jüdischen Stammes, deutscher Geburt, italienischer Musikbildung, französischer Praxis und kosmopolitischen Reichthums, bot mir eine hohe Summe, wenn ich ihm meine Thaten zur Anfertigung und Componirung eines Operntextes überlassen wolle; ich erwiederte jedoch, daß nur der zu erwartende »dramatische Messias« würdig sei, diese Aufgabe zu lösen, und erklärte, damit bis zur Ankunft dieses Messias warten zu wollen. Doch trug ich mich schon damals mit dem Plane, meine Memoiren zu schreiben, denn die literarische Luft Leipzigs hatte mich mit ihren Miasmen angesteckt. Ich wandte mich dieserhalb an einen Buchhändler, der mein Freund geworden war. Er aber antwortete: Lieber Doctor! (so ließ ich mich in Deutschland am liebsten nennen) Sie sind mein Freund. Ich aber verlege aus Princip nur von meinen Feinden oder mir ganz gleichgiltigen Personen, weil ich bei den Honoraren, die ich zahle, meine Freunde unglücklich machen würde. Ein anderer Verleger bot mir als Honorar sämmtliche Maculatur, die er bis dahin verlegt hatte; ich weiß nicht mehr, wie viele tausend Centner es waren. Ich ging auf diesen Vorschlag nicht ein, und gab meine Idee für den Augenblick auf. Auch beabsichtigte ich damals einen »Faust« zu schreiben, weil ja zu der Zeit Jeder, welcher darauf Anspruch machte, auf der Höhe der Zeit zu stehen, einen »Faust« geschrieben haben mußte. Der Teufel sollte darin als ein sehr gemüthliches, gefühlvolles, namentlich für Tiedge's »Urania« und die »Stunden der Andacht« schwärmendes Bürschen erscheinen, der, als Faust des Lebens überdrüssig ist und auf Erfüllung des Contracts dringt, sich entschieden weigert, ihm den Hals umzudrehen, weil sich ein gebildeter Teufel mit so etwas nicht abgeben könne, worauf Faust zum lieben Gott läuft und den Teufel bei diesem als einen Contractbrüchigen verklagt. Die Darstellung des dadurch sich entspinnenden, mit allen juristischen Chikanen vor dem obersten himmlischen Gerichte geführten eigenthümlichen Processes sollte den Hauptkern dieser dramatischen Darstellung bilden. Diese gewiß neue Idee ist damals nicht zur Ausführung gekommen; ich hoffe jedoch später die Welt damit zu beglücken.

Die höchste Anerkennung aber, die mir während meines Leipziger Aufenthalts zu Theil wurde, kam mir von einer Seite, von der ich es am wenigsten erwartet hätte.

Von einer Wanderung in den wildromantischen Schluchten des Thonberges (ein paar Hasensprünge von Leipzig!) spät Abends nach meinem Hotel zurückgekehrt, wurde mir vom Portier ein Brief eingehändigt, der ihm, wie der Portier erzählte, von einem ihm gänzlich unbekannten, etwas fremdartig aussehenden Manne übergeben worden sei. Der Mann, so weit er, der Portier, in der Dämmerung zu erkennen im Stande gewesen, habe ein eigenthümlich bleiches, von einem wilden Barte eingerahmtes Gesicht und ein unheimlich stechendes Auge gehabt. Seine Sprache sei hohl und dumpf, sein Schritt ungewöhnlich schwer gewesen, so schwer, daß das ganze Hotel gewackelt habe. Auf seinem Haupte habe er einen Helm, an seinen Reiterstiefeln mächtig klirrende Sporen getragen, und unter seinem Mantel habe etwas wie ein Panzer geblitzt und ein langes Schwert darunter hervorgeragt. Der Mann habe nicht viel Sache gemacht, sondern mit hohler Stimme und im barschen Tone gesagt: Gleich zu besorgen! und damit sei er plötzlich verschwunden.

Ich ließ mir sofort ein Licht auf mein Zimmer bringen und betrachtete das jedenfalls sehr räthselhafte Billet, das ich dann erbrach. Ich bemerke, daß der Brief mit einem Petschaft versiegelt war, das mir Aehnlichkeit mit dem alten deutschen Reichssiegel zu haben schien. Die Aufschrift bestand in einem wunderlichen dickstrichigen Gekritzel, welches ein fast runenhaft gothisches oder der Mönchsschrift verwandtes Ansehen hatte, aus dem ich jedoch meine Adresse und den Zusatz »cito, citissime!« herauszuerkennen glaubte. Noch mehr Kopfzerbrechen machte mir der Inhalt des Briefs selbst, bis ich Folgendes herausgelesen zu haben glaubte: »Herr Doctor Fritz Beutel wird freundlichst ersucht, sich in einer der nächsten Nächte zur Mitternachtsstunde am (konnte auch heißen: »im«) Kyffhäuser zu einer für beide Theile sehr wichtigen Besprechung einzufinden.« Unterzeichnet war das Billet mit der räthselhaften Unterschrift: F. d. R. in gothischen Buchstaben.

Sofort nehme ich Extrapost, fahre ununterbrochen mit doppeltem Vorspann und befinde mich schon in der folgenden Nacht zur angegebenen Stunde am Eingange des Kyffhäuser.

Hier stand ein Mann mit einer Hellebarde, der etwa so aussah, wie der Portier des Hotel de Baviere den Briefboten geschildert hatte, und der mir die Frage entgegenflüsterte: Sind Sie der Herr Doctor aus Leipzig, welchen mein Herr erwartet?

Doctor Fritz Beutel! antwortete ich. Der Hellebardierer ergriff mich sofort bei der Hand, die er mit einer Gewalt drückte, als wäre seine eigene Hand von Marmelstein, daß ich fast laut hätte aufschreien mögen, wenn ich mich nicht geschämt hätte. Er führte mich in die Höhlung, die von einem eigenthümlichen Lichte erfüllt war, und stellte mich einer riesenmäßigen Gestalt vor mit den Worten »Herr Doctor Fritz Beutel aus Leipzig!«

Fliegen die Raben noch um den Berg? redete mich die Gestalt gegenüber mit markerschütternder, aber dumpfer Stimme an.

Wohl fliegen die Raben noch um den Berg! antwortete ich.

Das ist schlimm! murmelte die Gestalt und versank auf eine Weile in ein dumpfes Hinbrüten.

Ich betrachtete mir nun die Gestalt näher und konnte nicht zweifeln, daß ich vor Friedrich Barbarossa stände. Die Unterschrift des Briefes wurde mir nun klar; die Initialen F. d. R. sollten »Friedrich der Rothbart« bedeuten. Der Kaiser saß im Purpurmantel da, den rechten Arm gestützt auf einen Granitblock, durch dessen Fugen sein rothgelber Bart wie Schlingkraut lang, lang hindurchgewachsen war. Seine Züge waren blaß, aber etwas ermüdet und abgespannt; seine Augen brannten aber wie feurige Kohlen und bezeugten den Heldengeist, der in dieser ehrwürdigen Gestalt lebte.

Lieber Herr Doctor! begann Barbarossa nach einer Pause, während welcher er mich durch eine Lorgnette, die er nach Art unserer Dandies mit dem rechten zusammengekniffenen Auge hielt, aufmerksam vom Kopf bis zu den Füßen gemustert hatte, es fängt mir allmälig an, sehr langweilig zu werden, hier zu sitzen und nur ab und zu etwas von der Oberwelt zu hören, was mir einige alte Schäfer der Umgegend zutragen, mit denen ich bekannt bin. Wenigstens möchte ich mich gern einmal rasiren lassen. Sehen Sie nur, wie wüst mein Bart aussieht!

Oh, kaiserliche Majestät, sagte ich, da kann ich helfen; ich trage zufällig mein Rasirzeug bei mir! Und damit fuhr ich in meine rechte Rocktasche, um mein Reiserasirzeug herauszulangen. Seife, Bartpinsel, Rasirmesser – Alles da!

Barbarossa lachte, daß der Kyffhäuser in seinen Grundfesten erschüttert wurde.

Nein, verehrter Herr Doctor, so ist es nicht gemeint, sagte er. Den Bart muß ich behalten, bis ich wieder aufsteige zur Oberwelt, um mich dem Volke in meiner Herrlichkeit zu zeigen. Das Volk hat von meinem Barte so viel gehört, daß es nicht glauben würde, ich sei der Barbarossa, wenn ich mit glattem Kinn unter ihm erschiene. Nein, es ist etwas ganz Anderes, worüber ich mit Ihnen zu sprechen wünsche. Was halten Sie von meinem Project, dem deutschen Volke die Einheit wiederzubringen?

Majestät, antwortete ich, aufrichtig gesagt, sehr wenig. Kein Deutscher ist einig mit sich selbst, und wenn zwei sich zusammen setzen, so gehen sie so gut wie vier auseinander.

Nun, man muß nicht alle Hoffnung verlieren, bemerkte Rothbart, und ich muß Ihnen gestehen, daß ich eigentlich auf Sie alle meine Hoffnung gesetzt habe.

Barbarossa winkte mir, neben ihm auf einem Stein Platz zu nehmen, und entwickelte mir seinen Plan und zwar folgenden –

Doch daß ich ein Narr wäre, ihn mitzutheilen, damit ein Anderer ihn ausführe! Ich erwähne nur, daß Barbarossa die Wirren von 1848 voraussah, aber gleich bemerkte, daß daraus nichts hervorgehen werde außer einem pensionirten Marinerath ohne Marine, der als der einzige ehrwürdige Rest dieser Confusion übrig bleiben werde. Barbarossa's Plan bezog sich auf eine etwas spätere Zeit, er hängt mit der orientalischen Frage zusammen und greift nach Konstantinopel hinüber; seine Ausführung beginnt, wo die orientalische Frage endet. Mit dieser Andeutung möge sich der Leser für diesmal genügen lassen.

Nachdem mir Barbarossa seinen Plan mitgetheilt, winkte er mir abzutreten und bemerkte: Es ist Schlafenszeit! Die Passivität, zu der ich verdammt bin, wirkt ermüdender als alle Activität und macht fürchterlich blasirt. Hier haben Sie noch ein Haar aus meinem Barte; es ist das Bundeszeichen, welches Tausende meiner Anhänger, deren Chef Sie nun sein werden, bereits in und außer Deutschland tragen, und zwar für jetzt noch in ihren Portefeuilles; zu geeigneter Zeit aber werden sie es im zweiten Knopfloche von oben, rechts, oder als Einfassung der Cravatte tragen. Fragt Sie inzwischen Jemand: Haben Sie ein Haar darin gefunden? so antworten Sie: ein fuchsrothes. Daran erkennen sich in der Stunde der Noth die Mitglieder des Bundes. Leben Sie wohl, Herr Doctor! und grüßen Sie mir meinen Freund Friedrich Rückert und meine übrigen Hofpoeten, die mich angesungen haben!

Hier drückte mir Kaiser Barbarossa die Hand, daß mir alle Gelenke knackten und blaue Flecken noch wochenlang an meinen Fingern zurückblieben, und der Hellebardierer geleitete mich in die Nacht hinaus, mich neugierig fragend: Nun, wird's bald? worauf ich zu seiner Freude entgegnete: Freilich wird's bald; wo Fritz Beutel dabei ist, wird Alles bald.

Nach Leipzig wieder zurückgekehrt, löste ich eine Preisaufgabe in einer Weise, welche in der gelehrten und medicinischen Welt großes Aufsehen erregte. Eine deutsche medicinische Akademie hatte einen Preis ausgeschrieben auf das beste Mittel zur Beseitigung der Kahlköpfe. Ich setzte mich sofort hin und schrieb: Man erfinde ein stählernes Messer so fein, daß es Haare zu spalten vermag. Angenommen, daß ein Mensch auch nur noch ein einziges Haar auf dem Kopfe hat, so theilt man dies der Länge nach in zwei Hälften. So hat besagter Mensch schon zwei Haare. Nun spalte man diese zwei in vier, diese vier in acht, diese acht in sechszehn, diese sechszehn in zwei und dreißig, diese zwei und dreißig in vier und sechszig, diese vier und sechszig in hundert acht und zwanzig und so in gleicher Progression fort, und es liegt auf der Hand, daß besagter Mensch zuletzt Millionen Haare auf dem Kopfe haben muß, womit die gestellte Frage gelöst ist. Die betreffende medicinische Facultät erkannte mir die Hälfte des Preises zu und erklärte, mir auch die andere Hälfte zu bewilligen, sobald es mir nur gelungen sein würde, auch das Messer zu erfinden.

Nachdem ich der Leipziger Nationalnahrung, den Schweinsknöchelchen, so starken Abbruch gethan hatte, daß in diesem Artikel empfindlicher Mangel entstand und mir zur Vorkehrung größern Unheils die Aufenthaltserlaubniß entzogen wurde, begab ich mich auf den Heimweg nach Schnipphausen, unter ganz eigenthümlichen Gefühlen, die ich gern einem deutschen Lyriker abtreten will, wenn er mir eine anständige Summe dafür bietet. Er würde damit einen schönen Band lyrischer Gedichte in Duodezformat füllen können. Auch Reime habe ich genug vorräthig, und die will ich ihm noch gratis ablassen.

Wie wird dir zu Muthe sein, sagte ich unterwegs zu mir, wenn du zuerst wieder den hölzernen viereckigen Kirchthurm erblickst, mit der langen Spindel darauf? Als ich mich aber Schnipphausen näherte, schaute ich vergebens nach meinem lieben alten hölzernen Kirchthurm aus; aber wohl erhob sich aus der Mitte des Dorfes ein dünner steinerner Bau, mit einer sehr kurzen steinernen Pyramide darauf, flankirt von vier ganz kleinen Thürmchen, die man als Spielzeug hätte in die Tasche stecken können. Dieser Steinpfeiler sollte ohne Zweifel einen Kirchthurm im modern gothische Geschmack vorstellen. Auch alles Uebrige fand ich verändert. Vergebens sah ich mich nach der Planke um, jenen Brettern, womit mir in meiner frühesten Kindheit die Welt an dieser Stelle vernagelt zu sein schien; vergebens nach dem Froschteich! er war ausgefüllt, und ich stellte trübsinnige Betrachtungen darüber an, welches Schicksal meine lieben Freunde, die Frösche, betroffen haben möge. Diese alten bemoosten Häupter waren unter dem Schutte mitbegraben – ein ganzes einst glückliches, nun ausgerottetes Volk. Nur in einem Tümpel neben an quakte ein alter Frosch, sehr melancholisch; es waren Klagelieder auf den Trümmern Jerusalems, Nänien auf den Untergang seines ehemals so blühenden Volkes, dessen letzter Nachkomme er war. Durch die Hinterthür begab ich mich in den herrschaftlichen Park und suchte vor allem nach meiner Adam- und Evagruppe. Sie war nicht mehr vorhanden. An ihrer Stelle stand der elegante Bronceabguß einer Canova'schen Venus mit dem Amor, und ich hörte später, daß man seit der Aufstellung dieser verführischen Gruppe leider eine Verschlechterung der Sitten unter der Dorfbevölkerung wahrnehme. Von dem alten, in seiner Verworrenheit und seinem Zerfall so malerischen Schlosse erblickte ich nicht eine Spur mehr. Ein vierstöckiges, kasernenartiges Gebäude mit einem hohen Dampfschornstein, welcher dem modernen gothischen Kirchthurm weit über die Schultern reichte, erhob sich an dessen Stelle.

Ich erkundigte mich bei einem auf dem Hofe stehenden Manne nach dem Baron von, zu und auf Schnipphausen. Der habe seit Jahren Bankrot gemacht und das Gut sei einem jüdischen Geldmakler, der ihm die Capitalien gekündigt, in die Hände gefallen; das Schloß sei nun eine Fabrik, und der jetzige Besitzer lebe meist in der Hauptstadt und komme nur sehr selten nach Schnipphausen. An diesen Neuerungen sah ich, daß ich inzwischen alt geworden war; bis dahin hatte mich dieser Gedanke noch nicht beschlichen. Ich blickte in den Hofteich, worauf einige Schwäne stolz hin und herschwammen, und ein ziemlich ältliches faltenreiches Gesicht, leider mein eigenes, blickte mir daraus entgegen. Ich trat fremd vor mir selbst zurück.

Lange strich ich tief in Gedanken und doch ohne zu denken um das Fabrikgebäude und im Park umher; ich konnte mich nicht überwinden, das Schulhaus aufzusuchen, worin ich und mein Großvater und Urgroßvater das Licht dieser ziemlich miserabeln Welt erblickt hatten. Ich kam mir wie ein ganz anderer Mensch, mein ganzes Leben mir wie ein Traumbild vor. Endlich entschloß ich mich und richtete meine Schritte nach dem Schulhause.

Der Weg führte mich an der Pfarrwohnung vorbei; sie war neu, und auch der Pfarrer, der gerade aus einem Fenster blickte, war neu und hatte ein bleiches etwas blasirtes Gesicht, nicht das volle frische des alten Pfarrherrn, jenes wackern Mannes, der zwar nicht, wie sehr wahrscheinlich dieser junge Geistliche, den Ehrgeiz hatte, Consistorialrath zu werden, der sich aber gefreut haben würde, wenn ich einer geworden wäre. Das Schulhaus war wenigstens neu angestrichen und mit Ziegeln statt wie ehemals mit Stroh gedeckt. Die Birkenbäume standen nicht mehr vor dem Hause; ich weiß nicht ob sie inzwischen zu Ruthen verbraucht oder, um dem Hause mehr Licht zu gewähren, gefällt worden waren; denn wir leben in der Zeit des Klar- und Gleichmachens.

Ich trete in die niedere Stubenthür. Ein junges geschwätziges Weib sitzt auf dem Stuhl und reicht ihrem Kinde die Brust, ohne sich durch meinen Eintritt bei ihrem mütterlichen Geschäft stören zu lassen. Ich gebe mich zu erkennen, frage nach meinen Eltern, nach meinen Geschwistern.

Ach, so wissen Sie nicht? ruft sie aus, die sind ja Alle todt.

Wie ist das möglich? fragte ich halb erstaunt, halb schmerzlich bewegt; es waren doch elf Geschwister und zwei Eltern, beide noch vollständig. Und keines mehr übrig?

Ach, sagte die Frau, gerade wenn eine Familie so zahlreich ist, da hat der Tod seine Lust daran; er bricht herein, wie der Wolf in einen Schafstall, und geht nicht eher fort, als bis er sich gesättigt hat. Zwei von Ihren Brüdern nahmen Schwalbennester aus auf dem Kirchthurm; da glitt der eine aus, fiel, faßte den andern am Rock und zog ihn mit hinab. Unglücklicherweise standen zwei andere Brüder unten und jedem stürzte einer der Brüder, die vom Thurme fielen, gerade auf den Kopf. Das waren schon vier, die so erbärmlich ums Leben kamen. Nicht lange darauf mähte ein anderer Bruder von Ihnen Heu auf der Schulwiese, nachdem er kurz vorher wegen Nichtsthuerei von der Wanderschaft zurückgekehrt war – ich glaube er hieß Görgel – nun der mähte gerade Heu, bemerkte aber leider nicht, daß Ihre sechs Schwestern hinter dem langen Grase saßen und schlug ihnen allen mit einem einzigen Hiebe der Sense die Köpfe ab, worauf er aus Verzweiflung die Sense sich an den Hals setzte und diesen vom Rumpfe trennte. Ihre Eltern starben darüber aus Schreck; sie hätten's auch nicht lange mehr machen können, denn sie waren schon sehr alt. Aber gefreut haben sie sich immer, wenn Sie aus Amerika oder Afrika Geld schickten, und sie haben stets bis in ihre alten Tage darauf gewartet, daß Sie Ihnen einmal eine Equipage schicken würden, um sie nach Amerika oder Afrika abholen zu lassen. Ihr Herr Vater hat sich auch immer recht groß mit Ihnen gethan vor den Bauern und dann scherzend gesagt: Sie seien ihm freilich davon gelaufen, aber er werde Sie schon wieder einkriegen, trotz seiner alten Beine. Mein Mann könnte Ihnen wohl noch mehr erzählen; aber er ist gerade im Kruge und erklärt den Bauern die politische Zeitung; denn er ist sehr gelehrt in der Politik, obschon der Herr Prediger davon nichts wissen will und bereits Anzeige bei der Oberschulbehörde gemacht hat. Denn Sie müssen wissen, daß unser Prediger nach der Hauptstadt versetzt werden möchte, und da schadet es nicht, wenn man Andere anzeigt und ins Unglück bringt. Mein Mann aber läßt sich nicht stören; denn er sagt, er sei ein Republikaner, und Republikaner dürften sich in nichts nicht stören lassen. So sagt er, und es hilft nichts, daß ich ihn warne, denn er hat seinen republikanischen Kopf für sich und meint, er wolle Märtyrer der Freiheit werden, was jetzt ein sehr ehrenvolles Geschäft sei, und wodurch man in die Zeitungen komme, woraus ich mir aber ganz und gar nichts mache, denn – –

Ich hatte die »denn's« der geschwätzigen Frau Schulmeisterin satt, und fragte nur noch nach der Erbschulzenstochter, Beate Regina Cordula Veronica Pipermann, und ob diese wieder in Schnipphausen eingetroffen sei.

Ach, sagte hierauf die Schulmeisterin, die liederliche Person! fort ist sie, Ihnen nachgelaufen, und hat noch den Peter Silje, den Sohn des frühern Nachtwächters, überredet, mit fortzugehen, und darüber sind der Nachtwächter und seine Frau und der Erbschulze und seine Frau aus Gram gestorben; denn so etwas verträgt kein Mensch nicht, wenn er nicht Republikaner ist, denn – –

Aber ist Beate nicht in der letzten Zeit wieder zurückgekehrt? fragte ich.

Nichts ist zurückgekehrt! antwortete sie. So eine liederliche verlaufene Frauensperson würde auch von der Gemeinde im Dorfe nicht geduldet werden, des bösen Beispiels wegen; denn es ist etwas ganz Anderes, wenn eine Mannsperson liederlich ist und fortläuft; denn – –

Ich hatte nun genug, und machte, daß ich aus der Stube kam. Ich begab mich nach dem Kirchhofe, unterwegs darüber nachdenkend, was aus Beaten wohl geworden oder was sie abgehalten haben möge, nach Schnipphausen zurückzukehren. Aber ich vermochte mir dieses Räthsel nicht zu erklären.

Auf dem Kirchhof angekommen, erblickte ich die dreizehn Gräber gerade, wie sie mir die Fata Morgana in der Wüste gezeigt hatte. Ich ließ mich auf dem Grabe meines Vaters nieder, das sich durch ein Kreuz mit Inschrift auszeichnete, welches ihm noch der frühere Besitzer des Gutes Schnipphausen gesetzt hatte. Ich las diese würdigen Bibelsprüche und die schönen Gesangbuchverse und lernte sie auswendig. Meine Gedanken waren sehr betrübter Art. Dreizehn Gräber, dachte ich; wird sich ihnen ein vierzehntes Grab anreihen?

Nein, rief ich entschlossen aus, und würdest du so alt wie Methusalem, der Schnipphausen'sche Sand soll nicht die Ehre haben, deine Gebeine zu bergen; sie sind zu kostbar für diesen Sandboden. So lange der Mensch handelt, so lange lebt er auch, und nur so lange und nicht länger. Auf, Fritz Beutel!

Was sollte ich auch in Deutschland anfangen? Sollte ich die Baschkirenschwärme der deutschen Lyriker unter meinem Scepter versammeln und einen Schnipphausen'schen Musenalmanach herausgeben? Sollte ich mich als Oppositionsmitglied in eine der zahlreichen Kammern oder als Aeltesten in eine deutschkatholische Gemeinde wählen lassen? Oder sollte ich mich, was ja doch das Ende vom Liede ist, in einen Spittel für deutsche Männer einkaufen? Jedermann, der bis hierher mein Buch gelesen hat, wird wissen, daß Deutschland nicht der Boden war, auf dem sich meine Talente zu ihrem höchsten Glanze zu entwickeln vermochten. Ich reiste daher gleich folgenden Tages nach Hamburg, ließ meine angekauften Bilder in das Zwischendeck eines Auswanderschiffes bringen, und segelte, nachdem ich noch an den Herausgeber dieses Buches den wichtigen, im Eingange dieses Werkes mitgetheilten Brief geschrieben hatte, nach Nordamerika ab.


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