Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Im Gefechte bleibt der Feind immer das Object, das man nicht aus den Augen verlieren darf. Ehe die Fernröhre, Perspective und Operngucker erfunden waren, mußte sich der Feldherr auf seine zwei gesunden oder nicht gesunden Augen verlassen. Daher wird der Feldherr, welcher siegt ohne einen Operngucker zu besitzen, jedenfalls eine höhere Stelle in der Kriegsgeschichte einnehmen, als ein Feldherr, der einen Operngucker besitzt und trotzdem geschlagen wird.

von Clausewitz.

Furchtbarer Anblick – – – ein Geripp – – – als ob es lebte!

Victor Hugo.

Wenn ich oder der Herausgeber meiner Memoiren zu den gewöhnlichen Bücherfabrikanten gehörten, die, wenn sie einmal so glücklich sind, einen Stoff zu haben, ihn in die Ewigkeit von drei oder mehr dicken Bänden ausspinnen, so würde ich mein Reisejournal mit derselben Ausführlichkeit fortführen, mit der ich den ersten Tag meiner Expedition behandelt habe. Aber ich beabsichtige nicht, meinem Verleger und meinen Lesern unnütze Ausgaben zu verursachen; ich will daher nur sagen, daß der zweite Tag so ziemlich dem ersten, der dritte dem zweiten, der vierte dem dritten, der fünfte dem vierten und der sechste allen früheren glich, daß die gute Meinung, die mir die Insel bisher eingeflößt hatte, von Tag zu Tag mehr bestätigt und bestärkt wurde und daß ich am sechsten Tage Mittags an dem entgegengesetzten Ufer der Insel, mithin an der Grenze meines Reichs angekommen war, ohne in irgend eines jener Abenteuer verwickelt worden zu sein, welche mein Leben sonst in so wunderbarer Weise auszeichnen. Da ich nirgends eine Spur davon wahrnahm, daß auf dieser gesegneten Insel Gattungen wilder und reißender Thiere oder giftiger Amphibien beständen – was ohne Zweifel davon herrührte, daß noch keines Menschen Fuß diesen jungfräulichen Boden betreten hatte, und das Gift des Menschen mithin noch nicht auf die Thiere übergegangen war – so konnte ich Nachts mein Haupt in den Schooß dieser Insel ganz unbesorgt niederlegen. Die Nächte waren mild und warm, und an einem weichen Lager fehlte es nicht. Es gibt dort nämlich eine Schaafart, welche ihr Fell, das den feinsten Merino an Weiche übertrifft, alljährlich ablegt und dann ein neues erhält. Die abgelegten Pelze liegen dann zu ganzen Dutzenden unter den Bäumen, an deren Stämmen die Schaafe sich zur Mauserzeit das Fell abzustreifen pflegen, und auf diese Pelze bettete ich mich, mein Hector wie immer mir zur Seite.

Abgesehen von den mitgenommenen reichlichen Lebensmitteln gab es auf der Insel genug zu schmausen. Von den Früchten, die bei einem leisen Regen des Windes oft wie ein dichter Hagel von den Bäumen fielen, will ich gar nicht einmal sprechen; denn auf Beutelland gibt es noch ganz andere Genüsse als die tropischen, auf der Zunge wie Butter zerschmelzenden Früchte. Die Mutterschaafe pflegen sich hier selbst zu melken und ich hatte nur nöthig, mich auf den Rücken zu strecken und unter sie zu legen, um mir den Strom der süßesten Milch in den Mund rinnen zu lassen. Wilde Bienen, die aber zahmer und gebildeter sind als bei uns die gezähmten Bienen, nisteten in allen Löchern der Baumstämme, von denen der Honig, würziger als der berühmte Schweizer, wie geschmolzenes Gold niederströmte. Wenn es auf den Südseeinseln Brodbäume gibt, so gibt es auf Beutelland eine Gattung Bäume, aus deren Früchten sich ein Teig bereiten läßt, der, eine Zeitlang in die Sonne gelegt, sich in das wohlschmeckendste Gebäck verwandelt. Ich nannte sie daher Semmel- und die beste Sorte darunter Kuchenbäume. O wie zufrieden würde das kuchenliebende Sachsen sein, wenn auf seinen Bäumen statt der schönen Mädchen, solcher Kuchenteig wüchse! Von dem beutelländischen Zuckerrohr stäubt ohnehin der Zucker schon in raffinirter Gestalt und in feinsten Körnern ab, so daß es mir keinen Augenblick an dem beliebten Leipziger »Streuselkuchen« fehlte. Aus den Schooten der beutelländischen Kaffeebäume floß der aromatischste Kaffee schon destillirt ab, und es war mir ein hoher Genuß, zu diesem Kaffee eine beutelländische Cigarre zu rauchen, die ich mir so im Spazierengehen aus den Blättern der Tabakspflanzen gedreht hatte, welche an der Sonne gedörrt, an den Stauden hingen. Diese Cigarren waren so duftig, daß sie die Luft im Umfang einer Stunde mit einem wahren Weihraucharom erfüllten und sogar den starken Duft der Blumen überdufteten. Endlich muß ich noch der beutelländischen Weintraube erwähnen, deren Saft, in ein Gefäß oder eine Muschelschaale gedrückt, sich in Frist einer Stunde in den köstlichsten Most und dann in nicht viel längerer Zeit in einen Wein verwandelt, gegen den sich der Steinberger Cabinet etwa so verhält, wie der Meißner Ausbruch zum Steinberger. Wenn Fürst Metternich meinen von mir später angelegten Weinkeller besucht hätte, er würde niemals mehr den Muth gehabt haben, seinen diplomatischen Gästen eine Flasche jenes schaalen sauren Getränks vorzusetzen, das unter dem Namen Johannisberger deshalb berühmt ist, weil man in Europa eben keine bessere Sorte Weines hat.

So weit war nun Alles recht gut, aber auf dem Rückwege sollte ich sehr bittere Erfahrungen machen, die in mein bis dahin so freundliches und klares Verhältniß zur Insel einen düstern Schatten werfen sollten.

Als ich nämlich wieder an den oben geschilderten See gelangte und den Fischen Krumen von Schiffszwieback streuen wollte, wichen diese scheu aus und fuhren pfeilschnell in die dunkelblaue Fluth zurück. Die Kraniche flogen mit gellendem Geschrei um mich her und streiften mir die Backen empfindlich mit ihren Flügeln, die Schwäne hackten mit ihren Schnäbeln nach meinen Beinen oder schüttelten, wenn ich in ihre Nähe kam, ihr Gefieder mit solcher Gewalt, daß meine Kleider von oben bis unten durchnäßt wurden. Im Walde der Cactus und Aloe streckten mir die Schlangen, ihre Köpfe hoch gegen mich emporhebend, die spitzigen Zungen zischend entgegen, und wenn ich sie zu haschen mich bemühte, schlüpften sie mit wunderbarer Schnelligkeit unter das dichte Gestäude und verkrochen sich im feuchten Erdschlamm. Ich wußte in der That nicht, was ich mir von dieser veränderten Stimmung der Thiere denken und wie sie auslegen sollte. Aber es sollte noch ärger kommen.

Während ich mich dem Palmenwalde näherte, begrüßte mich ein wildes, wüstes, tausendstimmiges Geschrei, Gekreisch und Gewieher, das einen wahrhaft teuflischen Ausdruck hatte, und aus der Unterwelt selbst zu kommen schien. Die Papageien, ihre Schnäbel gegen mich aufsperrend und wie böse zänkische Jungfern ihre Hälse und Köpfe schüttelnd und vorstreckend, schrieen in fremden Worten, die offenbar Schimpfworte waren, auf mich los; ja zu meinem Erstaunen hörte ich deutlich einige deutsche Schmähworte wie: »schlechter Kerl«, »Lump«, »Lüderjan«, »Herumstreicher«, »Tagedieb«, »Schuft«, »dummer Junge« heraus, und ich zerbrach mir vergebens den Kopf, woher sie diese Ausdrücke gelernt und sich zu eigen gemacht haben konnten, zumal ja meines Wissens noch nicht ein »allgemeines deutsches Schimpfwörterbuch« besteht, obschon doch diese Aufgabe für unsere darin nicht wenig bewanderten deutschen Gelehrten etwas Verlockendes zu haben scheint. Am meisten ärgerte mich aber eine junge, kecke und naseweise gelbschnablige Papageiin, die mir, wahrscheinlich mit Anspielung auf meinen Adoptivnamen, unablässig »Windbeutel, Windbeutel«, dann auch wohl »Renommist«, »Aufschneider«, »Zweiter Münchhausen«, »Lügenbeutel«, und andere Ehrentitel zurief, die mir um so unangenehmer waren, je mehr ich mir bewußt war, daß ich häufig selbst zu meinem Schaden immer nur die strengste Wahrheit geredet habe, was mir Alle bezeugen werden, die das Vergnügen hatten, mit mir näher bekannt zu werden. Möchten in dieser Hinsicht Alle so rein und lauter dastehen als ich!

Es war kein Zweifel, daß der boshafte alte Affenkönig diese erst so friedfertigen Thiere in der Zwischenzeit gegen mich aufgewiegelt hatte. Denn wie der Affe auch der Gestalt nach dem Menschen das ähnlichste Geschlecht ist, so zeigt er sich ihm auch darin am verwandtesten, daß er zugleich das boshafteste, hämischste und tückischste Geschöpf auf Erden ist. Die schändlichen Affen warfen mir, als ich durch den Wald ging, nicht mehr blos Früchte und Eier an den Kopf, sondern selbst verdorrte Baumzweige, Steine, Staub und Sand und noch andere häßliche Stoffe, die mir der Wohlanstand, auf den ich von jeher gehalten habe, zu nennen verbietet. Auch liebten sie es, sich von den Bäumen herablassend, mir mit ihren langen haarigen Schwänzen ins Gesicht zu fahren und mir noch andere garstige Possen zu spielen.

Das böse Gezücht verfolgte mich mit Geheul und Hohngeschrei bis gegen den Ausgang das Waldes, wo mir plötzlich ein halb Dutzend Affen mit hochgeschwungenen Baumästen in den Weg traten, darunter Einer, der trotz seiner jugendlich schlanken Gestalt in seiner Fratze eine nicht zu verkennende Aehnlichkeit mit dem alten Affenkönig verrieth. Es mochte wohl einer seiner zahlreichen Söhne, vielleicht sein Lieblingssohn sein, denn er war offenbar der beherzteste und ritterlichste unter allen. Zu gleicher Zeit erschien auf dem Wipfel des höchsten Palmbaums der Affenkönig selbst, wildverzerrten Gesichts, mit ächter Teufelslarve, und die jungen Affen drunten mit kreischendem Geschrei und Hurrahrufen zum Kampfe aufhetzend.

Jetzt war Gefahr im Verzuge, denn meine Gegner sahen kräftig genug aus, und die Knüppel, die sie in den Vorderhänden führten, hatten eine bedenkliche Dicke und Stärke. In diesem kritischen Augenblicke würde ich mich meiner Schießwaffe jedenfalls bedient haben, wenn nicht der Affenfürst plötzlich Schaaren von Käfern und Schmetterlingen gegen mich entsandt hätte, die mir mit ihren Flügeln in die Augen schlugen und Alles um mich her verfinsterten, so daß es mir unmöglich gewesen sein würde, einen der borstigen Kerle aufs Korn zu nehmen. Das Beil war meinem Hector auf den Rücken gebunden und überhaupt hatte ich, eines solchen Ueberfalls nicht gewärtig, mich auf keinen wirklichen Kampf vorbereitet. In selbem Augenblicke schien mir die eine Affengestalt, so weit ich durch das dichte Gewölk der mich umschwärmenden Käfer und andern Insecten zu erkennen vermochte, ganz nahe getreten zu sein und mit dem Ast gegen mich zum Schlage ausholen zu wollen.

Los! los! rief ich meinem Hector zu, der auch sogleich, obschon selbst von den Insecten schwer bedrängt, mit lautem Gebell nach vorwärts stürzte, während ich noch gerade Zeit genug hatte, von einer nächststehenden Aloe ein wie ein Spieß spitziges Blatt loszubrechen und damit gegen die dunkel vor mir stehende Gestalt einen kräftigen Stoß zu führen.

Er traf nur zu sicher. Das Aloeblatt hatte sich dem jungen Affen, des Affenkönigs Sohne, gerade durch das Herz gebohrt und zwar mit solcher Gewalt, daß die Spitze zum Rücken hinausgedrungen war und das bemitleidenswerthe Geschöpf, welches einen Schrei ausstieß, der mir selbst ins Herz und durch den Rücken wieder hinaus zu dringen schien, todt zu Boden stürzte. Es war dies, so zu sagen, mein erster Mord, der mich deßhalb, weil er mein erster war, auch einigermaßen erschütterte, obschon er mir durch das Gebot der Nothwehr auferlegt war. Aber ich dachte daran, welche Hoffnungen, welche Talente mit diesem Jünglinge vielleicht dahin waren, wie möglicherweise das Herz einer Affenjungfrau, die ihn liebte und vielleicht bereits mit ihm verlobt war, darüber brechen würde – und dieser Gedanke that mir wehe, denn bei aller Seelenstärke besitze ich doch ein sehr weiches Herz.

Zu gleicher Zeit hatte mein Hector das Seinige gethan, einem Affen die Gurgel durchgebissen und zwei andere so zugerichtet, daß sie nur mühsam, schmerzlich wimmernd und ächzend, sich im nahen Gebüsch verkriechen konnten, worauf die zwei letzten unverwundet gebliebenen Affen eiligst sich davon machten und auf den nächststehenden Tulpenbaum sich vermittelst ihrer Schwänze emporschwangen.

An das Wuth- und Wehegeheul, welches bei diesem Anblick der Affenkönig erhob, werde ich mein Lebtag denken. Es war ein entschieden thierisches Geheul, und doch lag wieder etwas Menschliches, etwas wie von tieferer Empfindung darin, was mich mächtig erschütterte. Er sprang mit wüthender Hast von Baum zu Baum und schien mit gewaltigem Geschrei seine Schaaren, die in den tollsten ohrbetäubenden Tönen sein Zeter- und Rachegeschrei erwiederten, zum Vernichtungskampfe gegen mich aufzuwiegeln. Er erschien mir in diesem Augenblicke, einige Unterschiede natürlich nicht in Betracht gezogen, wie der Cherusker Fürst Hermann, als dieser von einem Gau zum andern eilte, um die deutschen Volksstämme gegen die Römer zu gemeinsamer That in Bewegung zu setzen. Und so sehr ich mich auch auf meinen Muth, meine Geschicklichkeit, meine Waffen und meinen Hector verlassen konnte, so schien es mir doch immer nichts Kleines, ohne Allianzen den Myriaden von Affen und den mit ihnen alliirten Thieren der Insel im Kampfe gegenüberzustehen. Indeß ich vertrat ja, um im jetzigen Style westmächtlicher Zeitungsrhetorik zu sprechen, die Interessen der Civilisation gegen Uncultur und Wildheit, und dieses Bewußtsein verlieh mir jenen moralischen Muth, der meinen Gegnern abging.

Inzwischen hatte ich das offene Feld erreicht und glaubte mit Recht, nun nichts mehr von den Verfolgungen meiner ergrimmten Gegner befürchten zu dürfen. Auch ereignete sich, bis zu meiner Ankunft am Schiffe, nichts mehr von Wichtigkeit. Nur wichen mir die vorher so zuthulichen Hasen und Hirsche aus dem Wege, sobald sie meiner ansichtig wurden, und flohen verschüchtert dem Walde zu als ob sie hier unter dem Schutze ihrer häßlichen Alliirten, der Affen, Rettung vor mir suchten. So vermag ein einziger tückischer Aufwiegler und Rädelsführer eine ganze Welt von Unschuld zu vergiften und Liebe in Furcht zu verwandeln!

Diese Nacht brachte ich – und zwar ermüdet wie ich war im köstlichsten Schlummer – in meinem Regierungspalast, dem Schiffe zu, was mir nach den unter freiem Himmel zugebrachten Nächten doch wieder ordentlich wohl that; denn der Mensch ist einmal dazu da, seines Lebens und auch seines Schlafes erst unter Dach und Fach recht froh zu werden. Der Mensch will vier Wände – insofern es nicht Schulstuben und Kerkerwände sind – um sich und eine Decke über sich sehen, die ihn von der erdrückenden Unendlichkeit des Himmels abschließt. Freilich erkläre ich mir diesen Hang auch aus dem Umstande, daß der Mensch zu den Raubthieren gehört und daher, wie alle Raubthiere, gern ein Versteck sucht, um in seinen räuberischen Machinationen nicht gestört oder beobachtet zu werden.

Als ich folgenden Morgens mit meinem treuen Begleiter, der Hundeseele Hector, auf das Verdeck trat, erwartete mich ein ganz eigenthümlicher Anblick. In weiter Ferne erblickte ich nämlich unzählige, wohl tausendmal tausend schwarze Pünktchen, die auf der Ebene, und zwar immerwährend in der Richtung des Schiffes, wie kleine Erdflöhe vorwärts sprangen. Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich in ihnen nach einiger Zeit Myriaden von Affen erkannte, die, zum Theil unbewaffnet, zum Theil mit Knütteln, Baumästen und Steinen bewehrt, sich gegen das Schiff als das Object ihres Anmarsches auf allen Vieren vorwärts bewegten. Sofort erkannte ich ihre Absicht, und bereitete mich zur hartnäckigen Gegenwehr vor, beschloß jedoch aus Menschlichkeitsgründen, die ja auch immer die eigentlichen Klugheitsgründe sind, mich so lange als möglich auf der Defensive zu halten. Ich legte also mein Beil neben mich, lud den Doppellauf meiner Flinte und ein paar Sackpistolen und bedeutete meinen Kampfgefährten, sich bereit zu halten.

Bald war das Gewimmel der häßlichen, haarigen kleineren und größeren Teufel beim Schiffe angelangt, und ich kann sagen, daß ich kaum je ein scheußlicheres Schauspiel mit angesehen habe. Man denke sich dies Gewühl von vielleicht zwanzig- bis dreißigtausend Affen, mit ihren wild verzerrten Fratzen, ihren halb possierlichen halb widerlichen Gebärden, ihrem theils aus niedriger Feigheit, theils aus teuflischem Grimm gemischten Gesichtsausdruck, dann diese zehntausend und aberzehntausend bald häßlich behaarter, bald widrig nackter Wickelschwänze, mit denen sie vor Wuth im Sande wühlten oder in der Luft hin- und herwackelten oder die sie unter einander zu garstigen Knoten verschlangen! Oft bildete ein Halbhundert dieser Ungethümen einen scheinbar aneinandergewachsenen Knäuel und Klumpen, indem sie sich mit ihren Schwänzen verwickelt hatten und dann über einander stürzten und vergebens sich Einer vom Andern loszumachen strebten. So garstig dieser Anblick war, so possierlich war er auch, und unwillkürlich mußte ich in ein lautes herzliches Gelächter ausbrechen, wodurch ihr Grimm und ihre Wuth nur noch gesteigert wurden.

Der Affen-Aelteste ordnete die Schlacht an und befehligte die Legionen, wobei er sich jedoch wohlweislich in respectabler Entfernung hielt. Es schien als habe er in der Affensprache eben das Commandowort: Freiwillige vor! ertönen lassen, denn plötzlich trat eine gute Anzahl meist jüngerer Affen aus dem ungeheuren Knäuel heraus, drängte sich gegen das Schiff und begann von allen Seiten die Schiffswände heranzuklettern. Ich machte mir den Scherz, den Inhalt einiger mit Wasser gefüllten Kübel über die Anstürmenden zu entleeren und es machte mir einen rechten Spaß, wenn sie von der Gewalt des Wassers herab geworfen unten im Grase übereinanderstürzten, Kobolde schossen und wie galvanisirte Frösche zappelten. Viele, die am entgegengesetzten Schiffsende heraufzuklettern versuchten, kugelten dann das hier etwas abschüssige Ufer hinab und kamen in den über sie zusammenschlagenden Wellen der See elendiglich um, und es gewährte ein höchst verwunderliches Schauspiel, wenn dann nur noch die Schwänze, zappelnd und die Wogen peitschend, über das Meer hinausragten. Hector war unterdessen auch nicht müßig, aber als ob er meine Intentionen instinctmäßig begriffe, biß er keines der zottigen Ungeheuer zu Tode, sondern packte sie nur an der Gurgel, schüttelte sie tüchtig und warf sie dann vom Hochbord hinab. Durch unsere vereinten Bemühungen wurde denn auch dieser erste Sturm glücklich und ohne besondere Gefahr abgeschlagen.

Als der Affenkönig die Freiwilligen die Flucht ergreifen sah, fing er fürchterlich an zu toben, zu schäumen und zu wüthen, schwang seinen krummen Baumast wie einen Husarensäbel über sich und trieb seinen Schwarm, mit dem Ast wie mit seinem langen haarlosen Schwanze nach rechts und links mächtige Schläge austheilend, massenweise gegen das Schiff. Das gab ein Gewimmele und Gekrabbele! Hunderte ja Tausende suchten nun zu gleicher Zeit das Schiff zu erklettern, indem sie sich einer auf des andern Schultern stellten und vermittelst ihrer langen, bei ihnen eine so große Rolle spielenden Schwänze an den Flanken des Schiffs emporschnellten. Jetzt wurde die Sache mir denn doch bedenklich, da die Ungeheuer von allen Seiten über Bord stiegen und mich durch ihre Menge zu überwältigen drohten. Hector that zwar sein Möglichstes und hatte, den Ernst der Situation begreifend, ganze Hügel von Affenleichen um sich her aufgehäuft, über die jedoch die Nachdringenden mit dem Muthe der Verzweiflung emporkletterten. Jetzt galt es eine große entscheidende That!

Durch den gewaltigen Andrang war inzwischen auch der Affenkönig dem Schiffe ganz nahe gebracht worden und mit grimmigem Zähnefletschen stand er unten am Kiel in unheimlicher Nähe, die geballten Vorderhände gegen mich emporstreckend. Diesen Augenblick nahm ich wahr. Einen Schuß Pulver war mir der Kerl nicht werth; ich haßte und verachtete ihn zu sehr. Ich ergriff also eine Ruderstange und versetzte ihm einen solchen Schlag vor den Brustkasten, daß er, niederfallend, für den Augenblick das Aufstehen vergaß; gräßlich wälzte er die Augen im Kopfe umher und in Todesangst peitschte er den Ufersand mit dem Schwanze, daß eine dichte Staubwolke ihn bald vor meinen Blicken verbarg. Zu gleicher Zeit hörte ich aber meinen Kampfgenossen ein klägliches Geheul ausstoßen und mich umwendend sah ich, wie ein garstiger Affe sich auf seinen Rücken geschwungen hatte und sein Gebiß in seinen Nacken schlug, während zwei andere sich zu beiden Seiten in sein Fell festgekrallt hatten; ein anderer zottiger Bursch suchte mir eben seinen Schweif um den Hals zu schlingen, wahrscheinlich um mich auf das Deck niederzuziehen. Da ergriff ich flugs eine meiner Pistolen, schoß meinen Angreifer nieder, packte das Beil mit beiden Händen, spaltete dem, der sich meinem Hector auf den Rücken geworfen hatte, das Rückgrath der Länge nach, worauf die beiden anderen Affen ihn freiwillig losließen, nahm alsdann meine doppelläufige Flinte und feuerte in den dichten Haufen der auf dem Schiffsdeck versammelten Feinde zwei Kugeln, deren jede sechs Affen hintereinander gerade durchs Herz ging, packte sodann das Ruder mit beiden Armen und drosch furchtbar auf den Haufen los, während Hector, von der erhaltenen Verletzung wüthend gemacht, unter lautem Geheul ein entsetzliches Blutbad unter ihnen anrichtete. Der Fall des Oberbefehlshabers und Obersten dieser haarigen Teufel, der ihnen ungewohnte Knall und Pulverblitz des Feuergewehrs, die Wuth und das Geheul Hectors, das entsetzliche Gemetzel, das wir unter ihnen anrichteten – das Alles, zu gleicher Zeit und im Nu eines Augenblicks stattfindend, warf einen solchen Schreck unter die schändlichen, gegen den Repräsentanten der Civilisation ohne Culturbewußtsein anstürmenden Bestien, daß sie, um mich im modernen diplomatisch militärischen Bulletinstyl auszudrücken, sich sofort nach rückwärts zu concentriren begannen, d. h. in wildester Flucht hast du nicht kannst du nicht ihren Rückzug oder ihr Avanciren nach Hause antraten. Die Ungethüme nahmen sich nicht einmal Zeit hinabzuklettern, sondern sprangen Hals über Kopf von Bord herab, schleuderten dabei ihre Glieder, die allen Zusammenhang verloren zu haben schienen, wie Zieh- und Zappelmänner in der Luft umher und blieben auch zum Theil auf dem Erdboden mit zerbrochenen Beinen, Rippen und Hälsen todt oder halbtodt liegen.

Auch das garstige Gesindel auf der Ebene ergoß sich nun in wilder Flucht nach rückwärts, auf allen Vieren davon trabend. Einer der stärksten nahm den Affen-Obersten, den Anstifter des Blutvergießens, auf dem Rücken mit sich, ihn mit seinem fürchterlich langen Schweife umschlingend und festhaltend. Der schändliche Bösewicht lebte noch, und ich gönnte ihm sein elendes Leben, damit er Zeit habe, über das von ihm angestiftete Unheil nachzudenken und darüber mit sich ins Gewissen zu gehen.

Dem Gezücht ein paar Kugeln nachzusenden, dachte ich zu großmüthig und ritterlich, aber meinem Kampfgenossen konnte ich die Genugthuung nicht versagen, das fliehende Affenheer weithin zu verfolgen und bald diesem bald jenem mit seinem scharfen Gebiß Eins anzuhängen. Die Elenden, die sich erfrecht hatten, gegen den Vorkämpfer der Civilisation aufzutreten, wagten nun nicht einmal, Zehntausend gegen Einen, nur auf einen Augenblick gegen ihren Verfolger Front zu machen.

Das Deck des Schiffs gewährte einen gräßlichen Anblick. Ueberall lagen Zerfleischte, Todte, Sterbende umher, abgetrennte Glieder, abgekneipte Wickelschwänze und andere Körpertheile. Ich mochte mich mit dem schmutzigen Gesindel nicht befassen und überließ es meinem heldenmüthigen Kameraden, den ich für seine Tapferkeit und die ihm durch seine glücklicherweise nur leichte Wunde verursachten Schmerzen mit einem köstlichen Schinkenknochen belohnte, die Cadaver in die See zu schaffen, wobei er freilich zwischen den Todten und etwa noch Lebenden einen Unterschied zu machen sich nicht Zeit ließ, was ihm auch nicht zu verdenken.

Nach vollendetem siegreichen Kampfe bemerkte ich einen in kauernder Stellung den Rücken an ein Faß lehnenden, recht hübschen Affen, der mit freundlich bittenden Augen, aus denen er sich eine Thräne wischte, fast in menschlicher Weise mich anblickte. Er gehörte zu der ungeschwänzten Art, welche die Minorität auf der Insel bildete und von den geschwänzten Affen im Helotenzustande gehalten wurde. Ohne Zweifel waren sie in einem mit den stärkeren und größeren geschwänzten Affen unglücklich geführten Kriege besiegt und dann in Sclaverei gebracht worden; denn sie wurden, wie ich schon früher bei meiner Excursion wahrgenommen, zu den niedrigsten Knechtsdiensten gebraucht und mit Püffen, Stößen, Schlägen, Ohrenzausen, Bissen und Beintritten sehr übel behandelt. Jedenfalls standen sie aber auf einer weit höheren Stufe der Civilisation und der Herzensbildung; sie waren körperlich und mithin auch geistig viel zarter organisirt, und es verbreitete sich über ihr ganzes Wesen ein Hauch zarter Melancholie und Träumerei, welcher mich unwillkürlich an gewisse deutsche Lyriker Prevorstisch-tischrückerischen Andenkens erinnerte.

Hierüber will ich mich jedoch nicht weiter verbreiten, um den Gang der Erzählung nicht zu sehr zu unterbrechen, behalte mir jedoch vor, dieses Kapitel künftig einmal in einem der deutschen Literaturblätter zu behandeln, nachdem gegenwärtiges Buch das Licht der Welt erblickt und mir jene wissenschaftliche Autorität verliehen haben wird, die bekanntlich immer dazu nöthig ist, um in die ehrwürdige Priesterschaft der deutschen Journalisten aufgenommen zu werden.

Schon während der Schlacht hatte ich bemerkt, daß diese ungeschwänzten Affen durchaus nicht aus eigenem Antriebe an dem Angriff Theil nahmen, sondern mit Schlägen und Stößen dazu getrieben werden mußten. Was nun die kleine Griseldis betrifft – wie ich später das zierliche Aeffchen nannte, denn es war weiblichen Geschlechts – so erinnerte ich mich bei dem näheren Anblicke der Aeffin, daß sie es gewesen, die mich vielleicht von Tod und Untergang errettet hatte. Denn als jener große gewaltige Affe, von dem ich oben sprach, Anstalten machte, seinen Schweif wie eine Schlinge um meinen Hals zu werfen und mich niederzuziehen, hatte die kleine Griseldis sich mit ihrem Gebiß an die Spitze seines Schwanzes gehängt und mir dadurch Zeit verschafft, meinem Gegner den Garaus zu machen. Ich bedeutete, dankbar und weichfühlend wie ich immer war und noch in diesem Augenblicke bin, durch nicht mißzuverstehende Pantomimen der Aeffin, daß ich für einige Zeit ihr Protector und Freund sein wolle, und besiegelte diese Zusage durch eine Portion Mandelkerne, die ich ihr darreichte und die sie mit dem größten Appetit und in zierlichster Weise verspeiste. Durch die possierlichsten Gebärden suchte sie mir nun ihren Dank und ihre Ergebenheit auszudrücken, und ich muß sagen, daß sie, so lange ich auf der Insel weilte, sehr viel zu meiner Erheiterung beigetragen hat, fast mehr als die deutschen Lyriker, von denen sich, wie man später erfahren wird, selbst hieher eine Spur verloren hatte.

Mein Verhältniß zur Thierwelt dieser Insel war von nun an gänzlich verändert. Die Thiere hatten sich zuletzt so gänzlich rücksichtslos gegen mich benommen, daß ich alle diplomatischen Beziehungen mit ihnen abbrach, ohne jedoch den Einzelnen, die sich mir gefällig und dienstbar zeigten, meine Liebe und Freundschaft zu versagen. Mit der Flinte in der Hand durchstreifte ich nun die Insel, übte mein Jagdrecht, ohne mir irgend Zwang anzuthun, versorgte meine Tafel mit manchem köstlichen Wildbraten und lag auch fleißig dem Geschäft des Angelns ob, so daß von da an meine Tafelgenüsse den Charakter jener Mannigfaltigkeit gewannen, welchen ich mit der künstlerisch geschickten Vertheilung von Licht, Halbdunkel und Schatten auf vorzüglichen Gemälden vergleichen möchte. Hierzu trugen die vielen kostbaren Gewürze und die feinen Gemüse wesentlich bei; ja selbst das mit rosenartigen Prachtblumen geschmückte Kraut der beutelländischen Kartoffel gab gut zubereitet ein Gemüse, welches an Wohlgeschmack unsern savoyer und selbst Rosenkohl weit übertraf. Eine Fischpastete aus beutelländischen Hechten und Goldschleien würde dem verstorbenen Herrn von Rumohr die merkwürdigsten Gesichtspunkte zur Anknüpfung einer Reihe ungeahnter gastronomischer Vorstellungen eröffnet und ihm einen ganz neuen »Geist der Kochkunst« eingeblasen haben. Vorzüglich waren auch die beutelländischen Riesenkrebse, deren Scheeren allein ein Quantum von dem Volumen eines westphälischen Schinkens enthielten, wobei ich bemerke, daß ich dieselben Scheeren wegen ihrer Schärfe später namentlich als Baumscheeren benutzt habe.

Wie gesagt, ich befand mich seit Erklärung des Kriegszustandes in einer weit gemüthlicheren Stimmung und einer vortheilhaftern Lage als vorher; denn bei Lichte besehen, ist nicht der Friede, sondern der Kampf die Hauptaufgabe oder wenigstens die Würze des Lebens. Ich weiß nicht, ob man vor Langweile sterben kann, aber ich für meinen Theil bin überzeugt, daß ich den schmählichen Tod der Langeweile gestorben sein würde ohne diesen unterhaltenden Krieg mit allen vier, zwei und, wenn ich die gern auf einem Beine stehende Kraniche hinzurechne, einbeinigen Geschöpfen der Insel. Auch mein Hector, der früher den Kopf zuweilen recht melancholisch hängen ließ, war jetzt so zu sagen ein ganz anderer Mensch geworden. Wie der bekannte fabelhafte muntere Seifensieder Johann die Sonne mit Gesang begrüßte (den nicht mit angehört zu haben ich für mein Theil übrigens sehr froh bin), so begrüßte er fortan die Sonne mit freudigem Gebell, weil er wußte, daß es mein erstes Geschäft sein würde, ins Innere zu gehen und mir für den Mittagstisch einen guten Braten zu erjagen.

Da ich mich jedoch auch jetzt der Verfolgten und Unterdrückten unter den Thieren mit größtem und uneigennützigstem Eifer annahm, so fehlte es mir unter ihnen nicht an Freunden, die sich mir mit der aufopferndsten Liebe widmeten, und mir ihre Sympathien in aller Weise zu erkennen gaben. Ganz besonders galt dies von den ungeschwänzten Affen. Das Oberhaupt der geschwänzten Affen war einige Tage später an den Folgen des ihm von mir versetzten Stoßes auf die Brust wirklich gestorben. Seine Stammgenossen und Unterthanen hatten ihn unter seinem Lieblingspalmbaum verscharrt; ich habe das markdurchdringende Klaggeheul, das sie dabei ausstießen, an einem schönen Mondscheinabende mit geheimem Schauder selbst gehört, und ich habe noch mehrere Tage darauf seine vielen Weiber um sein Grab sitzen sehen, wehklagend und sich mit ihren Tatzen Hals und Brust zerfleischend, was einen höchst schauerlichen Anblick gewährte. Seitdem und seit der gegen mich erlittenen Niederlage war der Muth seines Volkes gebrochen, und ich kam dem unterdrückten und schlechtbehandelten Stamm der ungeschwänzten Affen fortwährend zu Hilfe, indem ich unter ihren Bedrückern mit meinem Feuergewehr furchtbar aufräumte, bis sich die ungeschwänzten ermannten, das ihnen auferlegte Joch abschüttelten, ihre Unterdrücker angriffen, sie aus dem Palmenwalde hinausschlugen und sich nun hier als Herren festsetzten. Es war eine dreitägige Schlacht, und furchtbar war das Gezische, Geheul, Gekreische, Gewinsel, womit die unter einander sich durch Beißen und Kratzen zerfleischenden Parteien die Insel erfüllten. Mein Hector und ich mit meiner Flinte waren fleißig dabei und thaten vielleicht das Meiste, indem wir Hunderten den Garaus machten. Der Rest der Besiegten zog sich in einen fernen Theil der Insel zurück.

Unter den Liebkosungen der Befreiten wäre ich beinahe erlegen. Die Aeffinnen wanden mir Palmenkronen, setzten sie mir aufs Haupt und tanzten in wildpossierlichen Sprüngen um mich her, ja die schönsten und jüngsten umarmten und küßten mich, was mir gar nicht so angenehm war, als es ihnen sein mochte. Als ich folgenden Morgens vom Lager aufstand und auf das Verdeck trat, fand ich das ganze Schiff mit Blumenguirlanden umhangen, und eine Deputation junger Aeffinnen begrüßte mich mit einem ganz curiosen, in den höchsten Tonlagen und Fisteltönen vibrirenden Geschrei, das wohl eine Festhymne vorstellen sollte. Eine derselben trat dann hervor, stammelte eine Reihe von seltsamen Tönen und begleitete sie mit Gebärden, daß ich nicht zweifeln konnte, es sei dies die Declamation eines in der Affensprache verfaßten Preis- und Lobgedichts, das für den, der es verstand, einen sehr tiefen Sinn haben mochte, mich aber um so mehr zum Lachen reitzte, da die Vortragende sich eine auf dem Schiffe vorgefundene Nachtmütze aufgesetzt und ein paar Glacéhandschuhe an die Tatzen gezogen hatte, mit denen dieses Naturkind in einer Weise zu coquettiren wußte, welche einer europäischen Salondame nicht zur Unehre gereicht haben würde.

Im Laufe desselben Tages machte ich noch eine merkwürdige Entdeckung. Die Spur eines Wildes verfolgend stieß ich plötzlich in einem bis dahin von mir nicht betretenen Theil der Insel auf eine Art Bau, aus Pfählen und aufeinandergelegten Steinen in rohester Weise errichtet und mit einem niedrigen Eingang versehen, der mir beim Hineinschauen einen Anblick gewährte, welcher mir unwillkürlich einen solchen Schrecken einflößte, daß ich entsetzt zurückfuhr. Was ich erblickte, war nämlich ein schon sehr zerfallenes bemoostes menschliches Gerippe, und jeder Leser wird es sehr natürlich finden, daß ein solcher unerwarteter Gegenstand in dieser Einsamkeit einen für den ersten Augenblick höchst unheimlichen schreckhaften Eindruck auf mich machen mußte. Also doch Menschenfresser, wenn nicht auf dieser, doch auf einer benachbarten Insel! war der erste Gedanke, der mir einfiel. Da der Bau aus mehreren Abtheilungen bestand und ich nicht wissen konnte, ob nicht etwa auch ein lebendes Wesen, vielleicht ein Kanibale, darin hause, so drang ich nur mit äußerster Vorsicht in das Innere, immer meinen Hector voranschickend. Ich fand in der ersten Abtheilung eine Art Vorrichtung, welche als Kochherd benutzt worden zu sein schien, in der zweiten eine Steinbank, die dem Eigenthümer als Lager gedient haben mochte, und in der dritten eine Anzahl roh aus Holz oder Steinen gearbeiteter Waffen: Bogen, Pfeile, eine Schleuder und Aehnliches. Auf einem an der Wand befestigten Brett lag, neben einigen Gefäßen aus Holz, ein Buch, sehr zerlesen, das ich hastig ergriff; es war, wer sollte es denken? ein Buch in deutscher Sprache, eine poetische Blumenlese aus dem Anfange unseres Jahrhunderts!

Bei näherer Ansicht begegnete mein Blick auf der innern Seite des Buchdeckels einigen fast erloschenen Zeilen, offenbar mit Bleistift geschriebene, den der Verunglückte beim Schiffbruch bei sich geführt und bis zu seinem Tode aufbewahrt haben mochte. Es kostete mir Mühe, noch einige Worte und zwar folgende herauszubringen: »Ich Michael Schöpplitz, Seifensiedergeselle aus . . . . . . 10. Mai 1804 . . . . . . Schiffbruch . . . . . . hier zugebracht . . . . . . Gewissensbisse . . . . . . dem Ende nahe . . . . . . Gebeine . . . . . . ehrliches Begräbniß . . . . . . Palmbaum hinter . . . . . .«

Das war Alles, was ich mit größter Mühe herausbringen konnte. Offenbar hatte der Unglückliche am 10. Mai 1804 hier Schiffbruch gelitten, eine Reihe von Jahren auf der Insel »zugebracht«, »Gewissensbisse« über sein Fortgehen nach Amerika gehabt, dann »dem Ende nahe« diese Zeilen geschrieben und den, der seine »Gebeine« etwa fände, gebeten, ihnen ein »ehrliches Begräbniß« unter dem »Palmbaum hinter« der Behausung zu geben. Da ich gerade nicht mit den nöthigen Werkzeugen zur Bereitung einer Gruft versehen war – denn wer denkt auch an so etwas? – beschloß ich, ein andermal den letzten Willen des Unglücklichen zu erfüllen; für heute begab ich mich jedoch zu meinem Schiffe zurück, da dieser Vorfall mir für den Augenblick alle Lust zur Fortsetzung meiner Jagd benommen hatte. Die Gefäße und Waffen, die der Unglückliche selbst verfertigt, und das Buch, das er nicht verfertigt hatte, nahm ich als Andenken mit mir. Jetzt wurde es mir auch mit einem Mal klar, woher die Papageien die deutschen Schimpfworte aufgeschnappt hatten, die ich von ihnen zu meinem großen Verdruß und Aerger hören mußte. Ohne Zweifel hatte Michael Schöpplitz in Stunden des Mißmuths deutsche Fluch- und Schmähworte ausgestoßen, die vielleicht (wie ich wenigstens damals annahm) auf irgend eine entfernte Person gemünzt waren, welche ihn übervortheilt, betrogen, gekränkt und vielleicht zu dem Entschlusse, in Amerika sein Glück zu suchen, veranlaßt hatte. Die Papageien, die Großeltern der jetzigen, hatten sie sich gemerkt; ihre Kinder sie ihnen und ihre Enkel sie wieder diesen abgelernt. So erklärte sich mir, was mir anfangs so räthselhaft schien, nun auf die einfachste Weise. Und in dieser einfachen Weise erklärt sich zuletzt Alles in der Welt. Aber in diesem Falle sollte es sich später doch noch etwas anders erklären.


 << zurück weiter >>