Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Siebentes Kapitel.

Der Grad des Besitzrechts richtet sich nach dem Besitze selbst. Ist ein Besitzthum an Umfang klein, so ist natürlich auch das Besitzrecht an Umfang klein; es erweitert sich, jenachdem sich der Besitz erweitert. Die Hauptsache ist, daß man zu besitzen sucht; alles Uebrige findet sich. Denn das Recht erzeugt nicht den Besitz, sondern der Besitz das Recht.

Thibaut.

Ein herrliches Geschäft – das des Recensenten wie das des Todtengräbers! Der Recensent deckt die Sünden Anderer auf, der Todtengräber zu.

Wolfgang Menzel.

Das Boot stieß ab.

Marryat.

Ueber die nächsten Tage darf ich mich kurz fassen, da sie fein bürgerlich und ohne besonderen Zwischenfall verliefen. Marie Windelmeier hatte sehr viel zu thun, zu stopfen, zu stricken, zu nähen, zu kochen, und da sie wie alle deutsche Mädchen in gewissen Jahren (sie hatte bereits gegen drei Decennien hinter sich) den Brautstand von der praktischen Seite nahm, so verrichtete sie diese Dinge mit jener Emsigkeit und Unverdrossenheit, wodurch sich deutsche Bräute in solchen Geschäften auszuzeichnen pflegen. Wenn wir Mittags von der Jagd mit einem Hunger, der uns alle Ehre machte, an Bord zurückkehrten, fanden wir stets ein nach den Principien europäischer Kochkunst lecker bereitetes Mahl vor, um das uns, die Qualität der beutelländischen Vegetabilien und Animalien in Anschlag gebracht, die verwöhntesten Feinschmecker Europa's beneidet haben würden. Dann wurde Siesta gehalten, hierauf eine Schaale feinsten beutelländischen Kaffees geschlürft und der Abend in heitern Gesprächen bei einer Bowle Grogs auf dem Verdeck zugebracht. Nachdem dies vollbracht, wankte der Herr Bräutigam, seiner Füße nicht mehr ganz sicher, seinem Lager zu, während ich mich in meine Koje begab, um, wie ich vorgab, noch eine Stunde im Cabinet zu arbeiten und Regierungsgeschäfte zu erledigen, in der That aber, um auch mein so vielfach in Anspruch genommenes Haupt auf den Pfühl niederzulegen und ihm die wohlverdiente Ruhe zu gönnen.

Krischan Schroop zeigte sich übrigens etwas schwer von Begriffen, wenn es darauf ankam, ihn über seine wie über meine politische Stellung aufzuklären. Namentlich waren seine Eigenthumsbegriffe ganz besonderer Art, so lange er sich im nüchternen Zustande befand. Seine Zweifel an der Rechtlichkeit meines Besitzthums niederzuschlagen gelang mir auch in der That mehr mit der Alles überwältigenden Ueberzeugungskraft seines feurigen Lieblingsgetränks als mit meinen ohne Zweifel höchst stichhaltigen und scharfsinnigen Argumenten.

Ihr bezweifelt, sagte ich ihm eines Abends, mein Anrecht an dieser Insel, meine kaiserlichen Privilegien. Nun seht, Krischan! Als der erste Mensch, als Adam geboren, d. h. aus einem Erdenkloß geknetet wurde, hatte er doch wohl ein Recht, das Recht des ersten Besitzergreifens, an Allem was er um sich sah. Eden war sein Eigenthum, denn es war Niemand da, der es ihm streitig machen konnte. Was da kroch und flog, was da blühte und Früchte trug, das Alles war sein. Ja, die ganze Welt war sein, und hätte er meinen hochfliegenden Geist besessen, so würde er die ganze Erde etwa unter dem Titel Kaiserthum Erdreich und alle nach ihm kommenden Menschen als seine Unterthanen, etwa unter dem Namen Erdreicher nach der Analogie des Wortes Oesterreicher, zu seinem Eigenthume erklärt haben. Indeß er hatte diesen Ehrgeiz nicht, er war ein bürgerlicher Philister und er freute sich nur über seine Eva, und gewiß mit Recht, da sie ohne Zweifel ein sehr hübsches und verführerisches Frauenzimmer war, auch durch Kochen nicht ihre Hände und durch Romanlesen nicht ihre Phantasie verdorben hatte, sondern sich in der Liebe einfach an die Sache hielt. Er war mit seinem Garten Eden zufrieden, darum verlor er ihn, denn um etwas, was man hat, auf die Dauer zu besitzen, muß man immer mehr haben wollen. Das ist mein Grundsatz, dessen Richtigkeit tausend Beispiele in der Becker'schen Allgemeinen Weltgeschichte wie im bürgerlichen Leben beweisen. Nun seht, Krischan! ich bin der Adam dieser Insel. Ich habe von ihr Besitz ergriffen, weil Niemand in ihrem Besitze war, und es wird nur darauf ankommen, daß und wie ich mich in ihrem Besitze zu erhalten weiß.

Schon recht, bemerkte Krischan hierauf; auch wollte ich Euch die Insel gern überlassen; aber daß Ihr so ohne Weiteres auch meine Amphitrite als Euer Eigenthum betrachtet, das will mir doch nicht in den Kopf.

Ei, Krischan! erwiederte ich, da müßt Ihr doch einen recht dicken Kopf haben. Die Insel ist mein, das gebt Ihr ja selbst zu, nun so ist auch Alles mein, was an ihren Strand geworfen wird. Ohne daß Euer Schiff – insofern es wirklich das Eurige sein sollte – an diese Insel geworfen worden wäre, würde es ja doch elendiglich zu Grunde gegangen sein. Außerdem, wie könnt Ihr beweisen, daß das Euer Schiff ist? In einem wohlorganisirten Staate wie Beutelreich – und dieser Staat bin ich selbst, l'état c'est moi – muß man auf Ordnung, auf Pässe, Eigenthumsdeclarationen, Legitimationen halten. Ihr aber habt ja keine Papiere, Ihr könnt Euch ja kaum selbst ausweisen, wer Ihr seid, wie viel weniger, daß Euch dieses Schiff gehört. Ihr solltet froh sein, wenn ich auf guten Glauben annahm: Ihr wäret der Krischan Schroop, mit dem mich einmal der Zufall zusammengeführt hat, und während Ihr Euch selbst nicht einmal durch die erforderlichen Legitimationspapiere ausweisen könnt, daß Ihr besagter Krischan Schroop oder wer Ihr überhaupt seid, geht Ihr sogar so weit zu behaupten, dieses herrenlose, an den Strand meiner Insel getriebene Schiff sei das Eure und nicht das meine! Bedenkt, ich werde noch genug zu thun haben, um vor den Behörden meines Reichs nur die Legitimation Eurer eigenen Person durchzusetzen!

Das wirkte, zumal da Krischan inzwischen das gehörige Quantum des ihn allein seligmachenden Getränks zu sich genommen und seine Begriffsfähigkeit in genügendem Grunde erweitert hatte.

Ja, die Papiere, sagte er kleinlaut, schon ein wenig stammelnd, die Papiere! Wer konnte in dem entsetzlichen Sturm auch an die Brieftasche denken? Mochte sie zum Henker gehen, da ich ja selbst zum Henker zu gehen meinte! Nun, Sire! (so redete mich Krischan in der Regel in diesem Stadium beginnender Verklärung an) nichts für ungut! nichts für ungut. Papiere hin, Schiff hin, Alles hin. Weiß, bin jetzt ein Bettler, ein Nichtsnutz, ein Lump.

Excellenz! fiel ich ihm ins Wort, wie vermögen Sie in diesen unwürdigen Ausdrücken von sich selbst zu sprechen, Sie, mein Marineminister und erster Admiral? Vergeben Sie nichts Ihrer Würde, auch vor mir nicht, Excellenz!

Ach, Sire! so ein lumpiger Marineminister, so eine erbärmliche Excellenz – halten zu Gnaden! – Wenn sich's überall so marineministert wie hier, dann ist's Lumperei damit. Ein Marineminister ohne Marine, ein Admiral ohne Flotte, ein Generalinspector der Häfen ohne Häfen! Allen Respect vor Ew. kaiserlichen Majestät, aber vor einem solchen Marineminister, und wenn ich's selbst wäre, habe ich keinen Respect, mit Respect zu sagen.

Wie ich Ew. Excellenz schon erklärt habe, bemerkte ich, meine Häfen, Schiffswerften und Seefestungen befinden sich auf der entgegengesetzten Seite der Insel. Es ist aber ein wildes Volk, das dort wohnt, ein Gesindel von Menschenfressern, das jeden Weißen, der wie Ew. Excellenz seine Legitimationspapiere nicht mitbringt, todtschlägt und mit bestem Appetit verspeist. Die Polizeibeamten jenes Volkes halten entsetzlich viel auf solche Papiere, und es thut mir außerordentlich leid, daß Ew. Excellenz Ihre Documente und Ihren Paß verloren haben. Nun frage ich, ob ich, der ich jenes Volks selbst noch nicht ganz sicher bin und es nur durch so schreckhafte Blicke, wie sie mir allein zu Gebote stehen, im Zaume zu halten vermag, es wagen darf, Ew. Excellenz schon jetzt jenem menschenfresserischen Volke als seinen künftigen Marineminister vorzustellen? Aber wenn Ew. Excellenz durchaus gefressen sein wollen. –

Ums Himmels willen nicht! rief Schroop entsetzt. Nur nicht gefressen werden!

Und bei lebendigem Leibe, warf ich dazwischen, aber der Mensch gewöhnt sich an Alles! Ist man einmal gefressen, dann schadets das zweite Mal nicht mehr!

Nein, Bruder Kaiserchen, antwortete Schroop, der bereits in ein sehr erhöhtes Stadium der Seligkeit und Zutraulichkeit getreten war, lieber hier bleiben und Grog trinken so viel Ihr wollt. Ich bin ja auch ganz zufrieden, Sirchen! Wenn ich es alle Tage so gut haben kann wie heute und dann später noch ein gutes, standesmäßiges Gehalt dazu bekomme, um mich ordentlich einzurichten, so will ich Marineministerei treiben, daß es eine Art hat. Ein Kerl wie ich als Marineminister ohne Flotte ist hundertmal mehr werth, als eine Flotte ohne Marineminister. Und dann haben wir ja unser Admiralschiff, unsere Amphitrite. Ach, daß ich sie wieder gefunden habe, die gute liebe Amphitrite (Krischan brach in einen Strom von Thränen aus) und daß ich meine Marie habe und daß sie mich hat und daß wir uns Alle mit einander haben, und daß ich von der verdammten Austerklippe los bin, wo ich zuletzt selbst eine Auster geworden wäre, und daß ich nicht mehr rohen Seetang speisen darf, nein saftigen Wildbraten und Beefsteaks und Fischpasteten – Bruderherz, Majestätchen! das Alles verdanke ich Euch. Ich will Euch auch dankbar sein in Ewigkeit, denn die Dankbarkeit, Gott weiß es, hat immer zu meinen vielen Lastern gehört. (Krischan wischte sich eine Thräne aus den Augen.) Laßt uns anstoßen, Brüderchen! Auf gute Kameradschaft!

Da Krischan jedoch bald darauf zu jammern begann, daß das Schiff unter unsern Füßen vom Strande zu laufen, und sich auf den Wellen zu schaukeln beginne und der gefürchteten Austerklippe zutreibe, so erkannte ich, daß es die höchste Zeit sei, ihn zu Bette zu bringen, was denn auch geschah.

Folgenden Morgens stießen ihm zwar wieder allerlei Zweifel gegen meine Mittheilungen auf, ja er sprach wiederholt den Wunsch aus, allen Menschenfressern zum Trotz meine Besitzungen, Häfen und Seefestungen auf der entgegengesetzten Küste kennen zu lernen und zu besichtigen. Ich unternahm daher, um seinen Zweifel niederzuschlagen, eine dreitägige Wanderung bis nach jenem Theile der Insel, wohin sich die geschwänzten Affen zurückgezogen hatten. Kaum erblickten sie mich in weiter Ferne, so erhoben sie aus dem Dickicht ein so entsetzliches wüthendes Geheul, Gebrüll und Gezische, daß uns die Ohren davon gellten und Krischan, der ganz blaß geworden, mich entsetzt und fragend anblickte.

Sehr ernst sagte ich ihm: Krischan! habt Ihr Muth mit mir zu gehen? Hört Ihr das Geheul der Tausende von Menschenfressern, von denen ich Euch erzählte? Folgt mir, wenn's Euch gelüstet. Ich werde ihnen einige ernste Blicke zuwerfen, und vielleicht verschonen sie Euch; aber große Hoffnung habe ich nicht. Es ist schon einige Zeit her, daß sie keine Gelegenheit hatten, einen Weißen zu verspeisen, und ich werde ihren Hunger nach weißem Menschenfleisch nicht bändigen können. Erinnert Euch an das Geripp, das Ihr gestern sahet! Es ist das jenes unglücklichen Menschen, der ihrer Gier zuletzt zum Opfer fiel.

Ich hatte nämlich meinen Kameraden Tags vorher absichtlich bei der ehemaligen Behausung des Seifensiedergesellen Schöpplitz vorbeigeführt, und durch den Schauder, den ihm der unheimliche Anblick des Skeletts erregt hatte, war sein Gemüth den Eindrücken der Furcht jetzt doppelt empfänglich.

Krischan zog mich am Arme nach rückwärts. Thut, was Ihr wollt, rief er, aber mich laßt aus dem Spiele! Ich gehe keinen Schritt weiter. Mein Fleisch ist mir zu lieb, um es Canaillen, die so fürchterlich schreien können, feil zu bieten. Ich beschwöre Euch, kehrt mit mir zurück, und führt mich nie wieder an diese abscheuliche Stelle!

Ich hatte somit meinen Zweck erreicht, und wir begaben uns auf den Rückweg.

Als wir nächsten Tags wieder bei der Villa Schöpplitz vorbei kamen, stellte ich meinem Gefährten die Pflicht der Pietät, den Gebeinen unsers unglücklichen Landsmanns die letzte Stätte zu bereiten, so eindringlich vor, daß er darin willigte, mir Beistand zu leisten. Wir trugen demnach das Gerippe aus dem feuchten modrigen Steinbau nach dem in dem letzten Willen des Verstorbenen bezeichneten Palmbaum, der sich hinter der Villa befand, und begannen im Schatten des Baumes mit den zu diesem Zwecke mitgenommenen zwei Kohlenschaufeln ein Grab aufzuwühlen, was freilich einigermaßen langsam von statten ging. Wer aber beschreibt unser mit einigem Schauder gemischtes Erstaunen, als wir plötzlich mit unsern Kohlenschaufeln auf noch ein Menschengerippe und – als ob es an diesem Skelett nicht vollkommen genug wäre – gleich darauf auf noch eins stießen, das ich an seinem kleineren zartern Bau sehr bald als ein weibliches erkannte, ja, als bald darauf ein zierliches Gerippchen zum Vorschein kam, das offenbar von einem sehr jung verstorbenen Kinde herrührte. Jedes der vermöge der chemischen Bestandtheile des Erdbodens sehr wohlerhaltenen Gerippe hatte einen Strick um den Hals geschlungen, und an dem Schädel des größern männlichen Skeletts klaffte ein gräßlicher Spalt, der ohne Zweifel von der Schärfe eines beilähnlichen Werkzeugs hervorgebracht war.

Meinem Scharfsinne entzog sich der Zusammenhang zwischen diesen Skeletten und dem in der Villa Schöpplitz gefundenen nicht. Offenbar hatten hier drei Personen, zwei männliche und ein weibliches, Schiffbruch gelitten und sich in dem Steinbau häuslich eingerichtet. Das eine der männlichen Individuen hatte mit dem weiblichen ein Verhältniß angeknüpft, und die Frucht dieses Verhältnisses war ein Sprößling gewesen, dessen Gerippchen hier vor uns lag. Der Seifensiedergeselle Schöpplitz, der das Weib ebenfalls lieb hatte ohne auf Erwiederungen zu stoßen, hatte, in einem Anfalle wahnsinniger Eifersucht, seinen Nebenbuhler, dessen Geliebte und Beider Kind im Schlafe überfallen, eins nach dem andern strangulirt und dem Manne, der vielleicht noch Zeichen seines Lebens von sich gab, zu guter Letzt einen Hieb in den Schädel beigebracht. Diese Victor Hugo'sche Tragödie las ich von den vier Gerippen wie aus einem wohl und klar stylisirten Buche ab und theilte meine Vermuthungen meinem Genossen Todtengräber mit.

Der Seifensiedergeselle Schöpplitz war in seiner Einsamkeit, wahrscheinlich unmittelbar nach seiner Unthat, von Gewissensbissen gequält worden, hatte sich selbst entleibt und kurz vor dem Selbstentleibungsact, mit dem er sein Dasein tragisch schloß, jene Zeilen niedergeschrieben, deren Bedeutung und Zusammenhang nun Jeder sehr leicht errathen wird. Meinen Genossen ließ ich jedoch bei dem Glauben, daß Schöpplitz zur Strafe für seine That von den Wilden verspeist worden sei.

Von Entsetzen ergriffen, bereiteten wir schweigend das Grab, thaten Gebein zu Gebein, den Mörder mit seinen unglücklichen Opfern zusammen.

Als sich die Erde über den Gebeinen unserer Landsleute geschlossen, betete der wackere Schroop still für sich hin, blickte mich dann bedeutungsvoll an, sagte treuherzig, mir die Hand reichend: Keiner den Andern todtschlagen! nahm dann einen tüchtigen Schluck Cognac, schüttelte sich und bemerkte: Jetzt ist Alles in Ordnung! Nun laßt uns gehen! In einer etwas eigenthümlichen Stimmung kamen wir am Bord wieder an, verschwiegen aber der Braut Krischan's, die in großen Aengsten auf unsere Wiederkehr gewartet hatte, den seltsamen Vorfall.

Wir verbrachten auf der Insel etwa zwei oder drei Jahre ohne besondere Zwischenfälle, die aufgezeichnet zu werden verdienten, außer daß, wie vorauszusehen, unser Kreis eines schönen Morgens durch die Ankunft eines kleinen Weltbürgers erweitert wurde, den wir in Seewasser tauften und Johann nannten. Ich kann versichern, daß der gemüthliche Krischan über sein Hänschen eine wahrhaft kindliche Freude empfand und äußerte. Was mich betrifft, so unternahm ich von Zeit zu Zeit Ausflüge in das Innere, blieb dann einige Nächte aus, und erzählte nach meiner Zurückkunft aus meinen fernen Besitzungen allerlei Schnurren und Wunderdinge, um meinen Genossen beim rechten Glauben an meine Besitzthümer am Südrande der Insel zu erhalten. Es sind die einzigen Lügen, die ich mir in meinem Leben gestattete; aber in der Politik gibt es im Grunde keine Lügen, insofern sie für das einmal angenommene System nothwendig sind.

Inzwischen fing uns dieses gleichmäßige Leben an allmälig zu langweilen, und ich begann ernstlich meine Gedanken auf ein großes Unternehmen zur See zu richten.

Einer jener wunderbaren Vorfälle, an denen mein Leben so reich ist, gab meinen Gedanken eine bestimmtere Richtung.

Als ich eines Tages am Strande saß und über meinen Plan brütete, bemerkte ich, wie eine Flasche an das Ufer gespielt wurde, die oben fest verkorkt war und ein Blatt Papier als ihren Inhalt durchschimmern ließ.

Ich hatte nichts Eiligeres zu thun, als die Flasche zu zerschlagen und das Papier herauszuziehen und zu lesen. Wer beschreibt mein Erstaunen, als mir folgende Worte entgegentraten:

»Geliebter Fritz!

»In einigen Minuten werde ich nicht mehr sein. Das Schiff, auf dem ich mich befinde, droht in einem entsetzlichen Sturme unterzugehen. Ich habe nur noch so viel Zeit und Besinnung, diese wenigen Zeilen durch Peter Silje, den Sohn des Schnipphausener Nachtwächters, auf das Papier werfen zu lassen und das Blatt wohlverwahrt in einer Flasche den Wellen anzuvertrauen, indem ich hoffe, daß sie so freundlich sein werden, Dir meinen Abschiedsgruß zuzuführen; ich habe ja keine andere Gelegenheit. Erfahre denn, daß ich nach Deinem Weggange plötzlich fühlte, was ich mit Dir verloren. Die Sehnsucht nach Dir wuchs mit jedem Tage. Endlich konnte ich meinem Verlangen nicht mehr widerstehen. Ich reiste Dir nach, und bestieg in Bremerhaven ein Schiff, das nach Amerika befrachtet war. Peter Silje war mein Begleiter. Der stille Mensch sehnte sich aus Schnipphausen auch hinweg und wollte als alter Schulfreund mich nicht allein reisen lassen. Mehr kann ich für den Augenblick nicht schreiben, denn der Moment ist herangerückt, wo das Schiff untergehen muß und ich nur noch Zeit habe, dieses Blatt unter Couvert, d. h. in die Flasche zu bringen. Die Seekrankheit habe ich übrigens nicht gehabt, was mir sehr lieb ist und auch Dir zum Troste gereichen wird. Um Dein freundliches Andenken und stilles Beileid bittend, im Tode wie im Leben Deine treue Dich liebende

Beate Regina Cordula Veronika Pipermann.«

Darunter standen noch folgende Worte:

»Ich, Peter Silje, der »stille Mensch«, in dessen Seele es aber sehr unruhig aussieht, habe im Auftrag der Mamsell Pipermann diese Zeilen geschrieben, ihre Gedanken in Ordnung und Form gebracht und rufe meinem alten Schulkameraden Gruß und Lebewohl zu, während Sturm und Wogen sich um unser Schiff streiten! Gott sei uns gnädig!«

Nun litt es mich hier nicht mehr. Von Nordwest war die Flasche herangeschwommen, nach Nordwest mußte also die Richtung eingeschlagen werden. Vielleicht war die Geliebte doch gerettet, vielleicht war sie wie ich an eine einsame Insel verschlagen worden. Sie hatte nicht einmal die Seekrankheit gehabt, das vortreffliche Mädchen. Oh, eine robuste Natur war sie immer gewesen, und das gab mir die Hoffnung, daß sie die Kraft gehabt haben werde, auch den Untergang des Schiffs zu überstehen.

Ich theilte Krischan Schroop den Plan mit, und dieser, der langen Ruhe schon längst überdrüssig, ging mit großem Eifer auf den Plan ein. Das große Boot wurde nun ausgerüstet, mit Mast und Segel versehen und mit Wasser wie mit Lebensmittel aller Art beladen. Da wir uns in der letzten Zeit stark auf Pulverbereitung gelegt hatten, so besaßen wir Pulver in Masse – ja, um mit jenem Bösewicht von der Karl Moor'schen Mörderbande zu sprechen, Pulver genug, um die Erde gegen den Mond und, wenn es darauf angekommen wäre, den Mond wieder gegen die Erde zu sprengen. Eines herrlichen Morgens, den Vortheil einer sehr günstigen Brise aus Südwesten benutzend, stiegen wir in das Boot: ich mit dem treuen Hector und der kleinen Griseldis, Krischan Schroop und Maria Windelmeier, jetzige Madam Schroop, mit ihrem Hans. So trieben wir einem ungewissen Ziel entgegen, das mir aber so bestimmt vorschwebte wie dem unerschrockenen Columbus sein Amerika, das entstehen gemußt hätte, auch wenn es nicht vorhanden gewesen wäre: in so bestimmten Umrissen lag es in seinem Geiste vorgebildet.


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