Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Neapel sehen, und dann – sterben? Nein, sondern Macaroni essen!

Gräfin Hahn-Hahn.

Ein nach den Regeln der diplomatischen Kochkunst wohl combinirtes diplomatisches Diner ist der höchste Triumph des menschlichen Geistes.

Gentz.

Mich ärgert mein Fleisch. es kostet zu viel
An Champagner, Austern und Rheinwein.
Ich wollt', ich wär' ein bloßes Skelett –
Dann braucht' ich nicht Trüffeln noch Steinwein.

Heinrich Heine.

Ueber Neapel und den Golf von Neapel, der gar nicht übel ist, über den Vesuv und das was er auswirft, über die gemüthlichen Lazzaroni, mit denen ich bald im besten Einvernehmen stand, über Pompeji und Herkulanum, welche nach meinen geologischen Untersuchungen nicht von einer Ueber-Aschung überrascht wurden und nicht mit vulkanischen Experimenten, sondern mit Resten weggeworfener, von der Sonne zu Asche gedörrter Macaroni bedeckt sind, ließe sich sehr Vieles berichten; ich halte mich jedoch nur an das Interessanteste und dieses war zu der Zeit, als ich mich in Neapel befand, jedenfalls ich selbst.

In Neapel trat ich aus Gründen der höhern europäischen Politik, die mir der Pascha von Aegypten in meiner letzten Unterredung mit ihm beigebracht hatte, als Fürst Dimitri Närrschikow auf, that meine russische Orden und den ägyptischen Stern für militärische Tapferkeit an und bezog eine Villa am Fuße des Vesuv, die wegen der Diners, welche ich veranstaltete, bald der Sammelpunkt der Nobilis und der diplomatischen Welt wurde. Durch allerlei von mir erfundene chemische Mittel war es mir gelungen, den Speisen und Getränken einen besonders pikanten Beigeschmack zu verleihen, der allgemeine Bewunderung fand.

Diese diplomatischen Diners waren für mich im hohen Grade lehrreich und interessant und führten mich in die Geheimnisse der europäischen Fragen ein. Die Unterhaltung wurde natürlich französisch geführt, und ich lernte bald alle Feinheiten der diplomatischen Sprache; ich merkte, daß wenn die Gesandten der drei Ostmächte von »Beefsteak« sprachen, sie darunter England verstanden, und umgekehrt die Gesandten der Westmächte von »Kaviar« sprachen, wenn sie Rußland im Sinne hatten. Aeußerte z. B. der russische Gesandte zum östreichischen: »dieses Beefsteak muß durch unsere Cooperation vertilgt werden«, so wußte ich sofort, daß in diesem Augenblick ein geheimer Plan gegen England veradredet wurde, und äußerte der englische Gesandte zum französischen: »dieser Kaviarsemmel gegenüber gilt es, unsere entente cordiale aufrecht zu erhalten«, so wußte ich, und der Leser nun gewiß auch, was damit eigentlich gemeint sei. Aeußerte dagegen der russische Gesandte zum englischen: »Excellenz, lassen Sie uns diese türkische Zuckermelone theilen«, so erkannte ich auf der Stelle, daß eine Wendung in der Politik eingetreten sei und es sich zwischen dem Hofe von St. Petersburg und dem von St. James um ein Theilungsproject in Betreff der Türkei handele. Man wird daraus erkennen, von welcher außerordentlichen europäischen Wichtigkeit diese diplomatischen Diners sind.

Meine Gastfreiheit nahm jedoch meine pecuniären Mittel gewaltig in Anspruch, zumal ich keine Kosten scheute, um meinen Gästen die außerordentlichsten Schauspiele zum Besten zu geben. So veranstaltete ich z. B. am Schlusse jedes meiner hochberühmten Bälle, oder »vesuvischen Nächte«, wie ich sie nannte, einen Ausbruch des Vesuv. Man kann sich denken, daß die Herbeischaffung und Bereitung der Stoffe, mit denen ich die Eingeweide des Berges entzündete, und derjenigen, mit denen ich dem Ausbruch zu rechter Zeit wieder Einhalt that, die enormsten Summen verschlang. So etwas geht begreiflicherweise nur eine Zeitlang, und dann verbietet es sich von selbst.

Ich sah mich zuletzt genöthigt, die Demantknöpfe von meinen rothsammetnen Beinkleidern, dem Geschenke des Sultans Piesacko, so wie meinen ägyptischen Orden an einen Juwelier zu verkaufen; aber der Erlös reichte eben nur für einen einzigen Ballabend mit Vesuv-Ausbruch hin. Dies war gewissermaßen meine Henkermahlzeit, aber eine wahrhaft großartige. Ich hatte einen künstlichen Lavastrom bis ganz nahe an meine Villa geleitet und dadurch meine Gäste, Herren wie Damen, so in Schrecken gesetzt, daß sie trotz meiner Versicherung, die Lava sei bereits zum Stehen gebracht, aufs eiligste zu Pferde und zu Wagen flüchteten. Bei dieser großen Hast waren freilich einige Brillantschmucke liegen geblieben, welche ich in Verwahrung nahm und folgenden Tags aus bloßem Versehen mit einigen meiner Röcke, in deren Taschen sie ohne meine Absicht gerathen waren, bei einem jüdischen Geldverleiher versetzte. Ich war übrigens so ehrlich, den Eigenthümern sofort die Pfandzettel zuzusenden und mich bei ihnen wegen dieses Versehens zu entschuldigen.

Ich beschloß nun, in den nächsten Tagen diesen vulkanischen, unter meinen Füßen brennenden Boden zu verlassen; aber der russische Gesandte, Graf Schuftigow, kam mir zuvor. Er hatte schon seit einiger Zeit das miserable Gerücht ausgesprengt, daß ich ein Abenteurer sei, da es, so weit er die russische Aristokratie kenne, im ganzen Umfange des russischen Reichs keine Fürstenfamilie Närrschikow gebe.

Das Versehen mit dem Versatz der liegen gebliebenen Brillantschmucke kam nun hinzu und bereitete mir einen höchst fatalen Auftritt.

In einer der nächsten Nächte überfiel mich Graf Schuftigow in Begleitung seiner bewaffneten Dienerschaft in meiner Villa und ließ mich vom Lager reißen. Schuftigow selbst stand mit grimmigem Gesicht und mit geschwungenem Kantschu vor mir und fragte: Knetschunin knollikow prapuschnin?

Da ich kein Russisch verstand, schüttelte ich den Kopf. Mit noch grimmigerer Stimme fuhr er dann fort:

Keilikow, keilikow, Hurrah! – Hurrah, Hurrah! keilikow! Hurrah! riefen seine Diener; er selbst holte mit dem Kantschu gegen mich aus, ich aber unterlief ihn rasch, entwand ihm den Kantschu und versetzte ihm, selbst Hurrah, Hurrah! rufend, einige tüchtige Streiche, worauf eine ganz merkwürdige Aenderung in seinem Benehmen vorzugehen schien. Er wurde freundlicher und sagte in der Sprache der Diplomatie, der französischen:

Ein Russe sind Sie nicht, denn Sie verstehen kein Russisch, aber Sie wissen den Kantschu zu handhaben wie ein geborner oder gelernter Russe und das freut mich, freut mich außerordentlich. Sie sind kein russischer Fürst, verdienten aber einer zu sein. Vielleicht werden Sie es noch, denn in Rußland kann man Alles werden, Rußland ist die wahre organisirte Republik, vertreten in der Person des Czaren, der das Privilegium hat, einen Koch zum Fürsten und einen Fürsten zum Koch zu machen. Es versteht sich von selbst, daß solche paradiesische organisirte Republiken auch eine Hölle für die Verworfenen haben, und wenn die organisirte Republik Frankreich Cayenne hat, so hat die noch organisirtere Republik Rußland ihr Sibirien; sollte es wirklich zwischen den beiden Höllen einen Unterschied geben, so ist es der, daß man in der einen vor Hitze und in der andern vor Kälte verschmachtet. Doch genug davon. Ich habe den Auftrag, Sie sofort nach St. Petersburg fortzuschaffen, wo Sie den Posten eines Leibkochs des Czaren mit Geheimrathsrang übernehmen sollen, was, bei Lichte besehen, eine sehr ehrenwerthe und für Sie vollkommen geeignete Stellung ist. Mein allergnädigster Herr, der Czar, der von Ihren diplomatischen Diners und vesuvischen Nächten vernommen hat, hat mir den Befehl ertheilt, ihm ein so ausgezeichnetes Kochgenie lebend oder todt zu liefern, falls ich überhaupt noch Gesandter bleiben wolle. Wenn Sie sich gut aufführen, so können Sie auch das noch werden, was Sie jetzt noch nicht sind, nämlich Fürst, wobei Sie immer noch für den Czaren und die kaiserliche Familie kochen und dadurch zu Ihrem fürstlichen Gehalt noch etwas dazu verdienen können. So etwas verträgt sich bei uns ganz gut neben einander. Die Kunst den Kantschu zu handhaben verstehen Sie außerdem meisterhaft; und ein russisches Sprichwort sagt: Mit dem Kantschu in der Hand kommt man durchs ganze Land. Der Czar prügelt Sie, aber Sie prügeln wieder die Küchenjungen und Küchenmamsellen, ganz nach Belieben; so gleicht sich bei uns Alles wieder aus. Widersetzen Sie sich Ihrem Glücke nicht! die Uebermacht ist gegen Sie! seien Sie vernünftig, ziehen Sie sich an, und besteigen Sie den Wagen, der draußen auf Sie wartet! Hier haben Sie übrigens den Gehalt für das ganze erste Jahr voraus – 4000 Silberrubel, was, denke ich, eine ganz artige Summe ist, ungerechnet das, was Sie sich unter der Hand machen können; denn darin nimmt man es in dem liberalen Rußland nicht sehr genau.

Ich fand diese Summe allerdings ganz artig und annehmbar, versprach mich zu fügen, zog mich an, steckte die 4000 Silberrubel und was ich noch sonst an Baarem besaß zu mir und langte dann noch meine drei russischen Orden hervor. Sofort streckte Graf Schuftigow die Hand darnach aus und rief: Her damit! wie sind Sie zu diesen Orden gekommen, Herr Oberküchenmeister?

Ich theilte ihm nun in der Kürze mit, wie ich zu diesen Orden gekommen sei, worauf er sie mit den Blicken eines Kenners untersuchte und dann bemerkte:

Mein Herr, Sie thun mir leid, Sie sind arg betrogen worden! Karabatschew war immer ein Gauner. Die Steine sind nicht ächt; die ächten wird er herausgenommen haben. Ueberhaupt wollte ich Ihnen freundschaftlichst rathen, ja recht vorsichtig zu sein und einen Juwelier zu Rathe zu ziehen, wenn Ihnen in St. Petersburg ein Orden angeboten werden sollte. Man kann sich in dieser Hinsicht bei uns nicht genug in Acht nehmen. Diese drei Orden sind, wie gesagt, bis auf die Emaille nichts werth, und ich habe daher keine Ursache, sie in Verwahrung zu nehmen. Aber ein Schlaukopf bleibt er doch, der Karabatschew!

Nun, dann will ich den ganzen Kram auch nicht! rief ich, nachdem ich mich durch nähere Prüfung selbst überzeugt hatte, daß die Brillanten nicht ächt waren, worauf der Kammerdiener des Grafen vortrat, und auf französisch erklärte, er wolle die Orden als Spielzeug für seine Kinder mitnehmen, damit sie sich bei Zeiten an das jetzt unvermeidliche Tragen von Orden gewöhnen möchten.

Ich überließ sie ihm und setzte mich nun ohne weiteres Sträuben in den vor dem Hause haltenden Wagen, auf dessen Rücksitz, mir gegenüber, ein Oberst und ein Major, jeder eine geladene Pistole mit gespanntem Hahn in der Rechten, Platz nahmen. Der Kutscher knallte mit der Peitsche und fluchte, der Graf fluchte, der Oberst fluchte, der Major fluchte, der Kammerdiener fluchte, die zwei Kosaken, welche an beiden Seiten der Chaise daherritten, fluchten, und der Wagen fuhr ab mit einer Schnelligkeit, daß er in allen Fugen und Gelenken knackte.

Mein Entschluß war aber ein und für allemal gefaßt; ich war entschlossen, mich nicht nach Rußland transportiren zu lassen, weil es der gefürchteten Region der Zobel und sibirischen Bergwerke gar zu gefährlich nahe liegt, sondern die 4000 Rubel meinem deutschen Vaterlande zuzuwenden.

Wer hat nicht schon etwas von einem »betäubenden Lärm« gehört? Nun, dieses Mittel fiel mir noch zur rechten Zeit für den beabsichtigten Fluchtversuch ein. Wir waren schon mehrere Tage und Nächte gefahren, als ich, in der Nähe einer norditalienischen Stadt angekommen, plötzlich so fürchterlich zu brüllen, mit den Füßen zu stampfen, die Wagenfenster kurz und klein zu schlagen, kurz einen so infernalischen Lärm zu machen begann, daß trotz allen Ohrenzuhaltens erst der Oberst, dann der Major betäubt in die Ecke ihres Wagensitzes sanken. Ich fuhr nun mit Lärmmachen aus allen Kräften fort, bis auch der Kutscher vom Bocke und die Kosaken von ihren Pferden zu Boden fielen, und nun schlüpfte ich vorsichtig aus dem Wagen und lief spornstreichs querfeldein, denn das konnte ich mir wohl sagen, daß meine Russen sehr bald aus ihrer Betäubung erwachen würden. Wer sich übrigens diesen Vorfall nicht erklären kann, der möge sich erinnern, daß in mir einer jener homerischen Helden wieder aufgelebt ist, welche schreien konnten »wie zehntausend Achaier«. Ich übertreffe aber in diesem Punkte die homerischen Helden noch weit, denn ich kann, wenn es darauf ankommt, schreien wie zehntausend Mittelmärker, wenn sie im Kruge Trumpf ausspielen. Und das will etwas sagen.

Eine Mauer hemmte meine Flucht; doch traf ich bald auf ein nur angelehntes Gitterthor, welches sich öffnete. Ich erblickte mich auf einem Kirchhofe. Der Abend war hereingebrochen, dünnes Gewölk hatte schleierartig den Himmel umzogen und ein feiner Regen rieselte herab. Mich gegen diesen zu schützen nahm ich meine Zuflucht in ein Todtengewölbe, welches sich weit unter der Erde hinstreckte. Bei den Strahlen des hier und da durch das Gewölk hindurchbrechenden Mondes sah ich in langen Reihen Sarg an Sarg gestellt und erkannte an den silbergestickten Fürstenkronen, womit die schwarzsammtnen Sargtücher geschmückt waren, daß ich mich in der Nähe sehr aristokratischer Gebeine befand, wozu ich mir nur Glück wünschen konnte. Denn vornehme Leute schnarchen nicht, und so durfte ich annehmen, daß auch ihre Gebeine nicht schnarchen und mir eine ruhige Nacht lassen würden.

Ich zog von mehreren Särgen die Bahrtücher herunter, bereitete mir von ihnen ein Lager sammt Kopfkissen, streckte mich darauf hin und schlief, ermüdet wie ich von den Stößen des Wagens war, auch sehr bald ein.

Ich mochte nur wenige Stunden geschlummert haben, als ich plötzlich durch ein gewaltiges Geklapper und Gepolter aus dem Schlafe erweckt wurde und nun einen Anblick hatte, der jedem Andern als mir das Blut in den Adern in Eis verwandelt haben würde.

Ich sah nämlich wie die Gerippe die Deckel von ihren Särgen abwarfen, sich erhoben, aus den Särgen herausschritten, einander die knöchernen Hände drückten, knixten oder sich verbeugten und sich einen guten Abend! Sehr erfreut, Sie zu sehen! Wohlgeruht? Wie befinden sich Signora? Abscheuliches Wetter draußen! und ähnliche Phrasen zuflüsterten. Die weiblichen Gerippe trugen seidene, auf der Brust sehr weit ausgeschnittene Kleider, meist ohne Aermel, die männlichen theils schwarze oder purpurne Sammtmäntel aus älterer Zeit, theils Fracks aus der Rococo und aus der neuen Zeit, wobei mir nur auffiel, daß ihnen die Beinkleider fehlten, was mich sofort auf die Vermuthung brachte, daß sie auf ihre schlanken weißen Beinknochen sich etwas einbildeten. Sie hatten goldene Ketten um die Hälse und goldene Siegelringe an den Händen, mehrere auch Diademe oder Fürstenkronen auf den Häuptern. Dabei verbreitete sich über das Ganze ein fahles bläuliches Licht, das von den Gerippen auszugehen schien, und mir jede ihrer Bewegungen genau zu verfolgen erlaubte. Einige hatten auch wohl einen Brust-, Arm- oder Beinknochen verloren, den sie nun ängstlich in ihrem Sarge hervorsuchten und sich an der Stelle, wo er fehlte, einfügten. Hierbei kamen freilich einige Verwechselungen zwischen Mein und Dein vor, indem Einzelne sich die besser erhaltenen Brust- oder Hüftknochen der Nachbarn aneigneten, was zu manchen höchst drastischen Zank- und Raufscenen Veranlassung gab.

Was ich nun mit ansah, war sehr wunderbarer Art. Einige Gerippe schoben eine Anzahl Särge an der Wand wie zu einer Musikbühne zusammen, stellten sich darauf und begannen eine bairische Galoppade zu brüllen, die höchst schauerlich durch das Gewölbe klang. Sofort ordneten sich die Gerippe paarweise zum Tanz und der wilde Reigen begann. Es war entsetzlich mit anzuschauen, wie die Schleppkleider sich bauschten, wie die Sammtmäntel sich von einander thaten und die langen knöchernen Beine sich darunter hervorstreckten und mit unheimlicher Gelenkigkeit und Schnelligkeit hin- und herwirbelten. Ein Liebespaar hatte aber inzwischen auf einem Sarge in meiner Nähe Platz genommen und tauschte Liebesschwüre und Küsse mit einander und hielt sich umstrickt mit den bleichen Knochenarmen. Wie schön du bist, süße Angiolina! flüsterte schmachtend das Gerippe des Jünglings, indem es mit seiner knöchernen Hand über ihren knöchernen Arm hinwegstreichelte – wie schlank und zierlich sind deine Gebeine, weiß und fein wie Elfenbein! Das Gerippe der Jungfrau aber drückte zärtlich des Geliebten knöcherne Hand und sagte: Fernando! wie glänzen deine Gelenke so rein, gebleicht im Mondenschein! Oh wie ich sie liebe, diese weißen Gelenke meines Fernando! Und dann herzten sie einander und flüsterten süße Liebesworte und citirten schöne Strophen aus Ariost und Tasso.

Unglücklicherweise kam im wilden Wirbel ein Paar meinem Lager zu nahe, strauchelte und stürzte über mich hinweg, was mir bei der Eiseskälte ihrer Gebeine ein keineswegs sehr angenehmes Gefühl verursachte. Das Geripp des männlichen Tänzers raffte sich zuerst wieder empor, schnaufte gewaltig und rief mit kreischender Stimme: Kameraden, ich athme die unerträglichste Wärme von Menschenfleisch! Zu Hilfe, zu Hilfe! Zieht ihm das Fleisch ab, daß er werde wie Unsereiner!

Da stockte der Tanz, und in wildem Gewirre stürzte das Gesindel auf mein Lager los, die Zähne fletschend und die knöchernen Arme gegen mich erhebend. Er hat uns unsere Sargtücher gestohlen! rief ein Geripp im Herzogsmantel; er ist ein Bandit, denn er ist ein Mensch! Und nun begannen sie an den Bahrtüchern, auf die ich mich gebettet hatte, zu zerren und suchten sie mir zu entreißen, während ich mich bemühte sie mit aller Gewalt festzuhalten.

Ich weiß nicht, wie dieser Kampf geendet haben würde, wenn mir nicht plötzlich Hilfe gekommen wäre von einer Seite, von der ich sie am wenigsten erwartete.

Vom Kirchhof her drang plötzlich ein entsetzliches Gebrüll und Geheule in mein Ohr, und nicht lange, so quoll eine Schaar von Gerippen in das Todtengewölbe, welche meist mit Lumpen bekleidet und auch sonst sehr schmutzig anzusehen waren. Moder und Erde hingen an ihren Gebeinen, Gras hatte sich in den Gelenken festgesetzt und in ihren Augenhöhlen hatten sich Spinnen und anderes Gewürm eingenistet. Es war offenbar eine sehr unsaubere Gesellschaft, »Canaille« wie mans nennt, niederer Pöbel, der sich so eben aus den Gräbern herausgewühlt hatte, ungestüm in seinem Benehmen und mit rostigen Schwertern, Baumästen und Fragmenten von Grabsteinen bewaffnet. Einige mochten wohl Herwegh's Gedichte gelesen haben, denn sie hatten, dessen tactische Vorschrift befolgend, die Kreuze aus der Erde gerissen und schwangen sie drohend über ihren Knochenhäuptern.

Grimmig riefen sie: Freiheit und Gleichheit! nieder mit den Aristokraten! Würgt sie mitten in den Genüssen ihres nächtlichen Bacchanals! und wie sie so riefen und Steine gegen die Schädel der Aristokraten schleuderten, schienen ihre Knochenantlitze förmlich Leben und Bewegung zu gewinnen und sich zu verzerren, als hätten sie Fleisch und Muskeln. Da die Rebellen bewaffnet, die Angegriffenen aber unbewaffnet waren, so war der Kampf in kurzer Zeit entschieden. Die Knochenglieder der aristokratischen Gerippe wurden förmlich zerhackt. Dort flog ein Arm aus seinem Schultergelenk, dort wurde ein Bein, dort ein Schädel zerschmettert. Die Aufständischen ließen keinen Knochen am andern, sie zerstreuten die Gebeine der Aristokraten auf dem Marmorboden und traten mit ihren knöchernen Beinen auf ihnen herum, was einen schauerlichen Eindruck machte. Auch Angiolina und Fernando wurden mitten in ihrer Umarmung zerhackt und zermalmt; ihre Gerippe starben einen schönen Tod, Brust an Brust, und seine und ihre Knochen wurden dann unter einander gemengt, was ihnen ohne Zweifel sehr lieb war.

Hierauf setzten sich die siegenden Rebellen gruppenweise auf die Särge umher, hüllten sich in die seidenen und sammtnen Gewänder der Unterlegenen und ließen eine Graburne von Mund zu Mund kreisen; doch konnte ich nicht sehen, was sie daraus und wohin sie es tranken. Nur bemerkte ich bald, daß das Getränk seine Wirkung nicht verfehlte; denn sie schwatzten allerlei confuses Zeug, von der Gleichberechtigung aller Gerippe, von der Einsetzung einer provisorischen Regierung und von der Wahl eines Präsidenten. Aber sie kamen nicht dazu. Denn nachdem sie noch das schöne Lied: »Was kommt dort von der Höh?« gebrüllt hatten, wurden ihnen die Schädel sehr schwer; sie strauchelten eins über des andern Füße, suchten einander zu stützen, fielen aber zu Boden, blieben liegen und streckten und dehnten ihre Knochenglieder in höchst schauerlicher Weise. Nur Einige behielten ihre Besinnung, und ein unglückliches Ungefähr wollte, daß sie mich in meinem Winkel entdeckten. Was für ein abscheuliches Geschöpf! riefen sie. Man erblickt ja an ihm nichts als Fleisch? Wie zierlich sehen wir gegen solch ein plumpes Fleischbündel aus! Um sie los zu werden oder zu beschwichtigen, bot ich ihnen aus meinem Etui der Reihe nach feine Havannahcigarren an, die sie mit dem größten Dank in Empfang nahmen, worauf wir die besten Freunde wurden. Die Gerippe zündeten ihre Cigarren an, und es sah possierlich genug aus, wie sie die dampfenden Cigarren zwischen den Zähnen hielten und wie alte Raucher ganz kunstfertig schmauchten. Sie forderten mich auf bei ihnen zu bleiben und versprachen mir, sich jede Nacht hier einzufinden, um mit mir eine Cigarre zu rauchen und einen Schluck guten Magenbittern zu trinken, und sie gestanden mir, daß ich ein höchst possierliches Aussehen habe und daß sie lachen müßten, wenn sie mich nur anblickten. Und dann lachten sie so ausgelassen, daß sie sich die Seiten halten mußten, und alle ihre Gebeine hin- und herklapperten. Ich lachte dann auch, aber es kam mir ehrlich gestanden nicht von Herzen; denn die Situation, in der ich mich befand, war eher unheimlich als lustig, und meine knöchernen Kumpane machten mir lange nicht so viel Spaß als ich ihnen zu machen schien. Werde Unsersgleichens! sagte eins der Gerippe. Ich antwortete, daß ich dazu noch lange keine Lust habe. Nun, so trink wenigstens Eins! Laß uns Brüderschaft trinken! Auf Du und Du! fuhr das Gerippe fort, aber der Inhalt der Todtenurne verbreitete einen so erdigen und modrigen Duft, daß es mir unmöglich war davon zu versuchen. Ich entschuldigte mich, daß ich nichts vertragen könne. Das Gerippe brummte mir hierauf einen »dummen Jungen« auf. Dies war mir denn doch zu viel, denn auf Ehre habe ich stets gehalten, und schnell entschlossen versetzte ich ihm einen Backenstreich, daß ihm der Schädel wackelte. Hierauf ging die allgemeine Schlägerei los; da sie aber sämmtlich schon eben so schwer in den Köpfen als schwach in den Beinen waren, so wurde ich endlich aller sechs Gerippe Herr, warf sie eins nach dem andern in einen offenstehenden Sarg, stülpte den Deckel darüber, setzte mich darauf und ließ sie so lange darinnen rumoren, bis sie endlich still und wahrscheinlich selbst vor Ermüdung und Trunkenheit in Schlaf versunken waren. Auch ich versank nun in eine Art Betäubung.

Als ich erwachte, fand ich mich lang auf den Deckel des Sarges hingestreckt. Die Sonne mochte schon hoch stehen, wie ich an den Streiflichtern zu erkennen glaubte, die durch das Gitterfenster in das unheimliche Todtengewölbe fielen. Mir kam das Erlebte wie ein Traum vor, und doch erblickte ich um mich genug Zeichen sowohl des Bacchanals als des Kampfes, der den Ball unterbrochen hatte. Zwar die Gerippe lagen nicht mehr umher. Wohin sie gekommen, weiß ich nicht, überlasse es vielmehr dem Scharfsinn des Lesers, hierüber sich seine eigenen Gedanken zu machen. Aber da lagen zerstückte Herzogsmäntel, da lagen abgerissene Brüsseler Spitzen, da lagen goldene Ketten und Ringe und Spangen und Ordenskreuze. Nur nicht blöde sein! sagte ich zu mir, und steckte mir von den Pretiosen alle Taschen voll, was jeder vernünftige Mann an meiner Stelle auch gethan haben würde. Es war ja herrenloses Gut.

Von hier begab ich mich in die Stadt, die keine andere war als das altberühmte Ferrara, und suchte sofort ein Mitglied jener höchst nützlichen Menschenklasse auf, welche es sich zur uneigennützigen Aufgabe macht, Pretiosen und Werthsachen aller Art anzukaufen, ohne zu fragen, wie der Verkäufer dazu gekommen ist. Mein Mann war ein Jude, mit einem pfiffigen Ausdruck im Gesicht, den ich fast ehrwürdig nennen möchte. Ich deutete ihm an, daß es mit den Kostbarkeiten, die ich ihm zum Kaufe anbot, seine eigene Bewandtniß habe, und er antwortete in Vertrauen erweckender Weise: Verlassen sich der Herr auf meine Ehrlichkeit! Der Gott meiner Väter bewahre mich davor, daß ich suchen sollte einzudringen in ein solches Geheimniß und beflecken sollte mein Gewissen, indem ich zuwiderhandelte allen Grundsätzen redlicher Geschäftspraxis. Der Mensch weiß ja nicht, von wannen der Wind kommt und wohin er geht; so will ich auch nicht wissen, von wannen diese Dinge kommen, wie ja auch der Herr nicht werden wissen wollen, wohin sie gehen.

Was er mir dafür zahlte, war, wie er versicherte, das Aeußerste, was er dafür zahlen könne, obschon, wie man sich denken kann, etwas stark unter dem Werthe meiner Kostbarkeiten. Er verkaufte sie noch an demselben Tage mit bedeutendem Vortheil an einen Glaubensgenossen und dieser wieder mit noch bedeutenderem an einen christlichen Handelsmann. Diesem aber erging es schlecht; denn er war ein Christ und kein Jude. Man fand ihn am folgenden Morgen todt auf seinem Lager. An seinem Halse und Genick waren tiefe Eindrücke wie von knöchernen Fingern wahrzunehmen, an denen man erkannte, daß er erwürgt worden war. Mehrere Finger, die er seinen Mördern im nächtlichen Kampfe abgebrochen haben mochte, wurden auf seinem Lager gefunden, es waren aber knöcherne Finger, und ganz Ferrara zerbrach sich über diesen wunderlichen Umstand den Kopf. Der einzige Mann, der allenfalls darüber Aufklärung geben konnte, schwieg – nämlich ich. Mein Jude, den ich fragte, ob man nicht meine Kostbarkeiten bei dem Ermordeten vorgefunden habe, antwortete: Dergleichen seien nicht bei ihm gefunden worden, und er versicherte, daß ihm in seiner Geschäftspraxis so etwas noch nicht vorgekommen sei. Die drei knöchernen Finger wurden von den Gerichten in Beschlag genommen; ein Eigenthümer dazu hat sich nicht gemeldet, aber wohl waren sie des einen Morgens auf eine Allen unbegreifliche Weise aus der Gerichtskanzelei verschwunden.


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