Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Siebenzehntes Kapitel.

In der Kirche können die leeren Bänke noch am besten die Wahrheit vertragen.

Schleiermacher.

Weiß man wer in einer Gegend, wo es viele Pferdediebe gibt, noch am glücklichsten daran ist? – Derjenige, der keine Pferde besitzt.

Walter Scott.

An einem jener schönen Spätherbsttage, die man in Nordamerika den Indianersommer zu nennen pflegt, gelangte ich nach mehrtägigem Ritt in eine Ansiedlung, die eine durchaus deutsche Physiognomie trug. Nachdem ich die Hauptstraße ein wenig weiter hinauf geritten war, erblickte ich einen Gasthof mit einem Schilde, von welchem mich das grobgepinselte Porträt eines schnurrbärtigen Mannes sehr seltsam anstierte. Unter dem Portrait las ich zu meinem höchlichsten Erstaunen die Inschrift »zum Fritz Beutel«.

Jeder meiner Leser wird es begreiflich finden, daß ich sofort in diesem Gasthof abstieg, worauf ich meinen Gaul in den Stall bringen und mir selbst ein Zimmer anweisen ließ. Sofort begab ich mich in die allgemeine Gaststube, um mir ein Abendessen mit einer Flasche Wein geben zu lassen, und fand hier den Wirth, einen dicken gemüthlichen Schwaben mit rundlichem Gesicht, das wie eine kleine Sonne strahlte und das etwas finstere Zimmer mit Licht und Glanz erfüllte.

Nachdem ich auf meine Frage, wie die Ortschaft heiße, die Antwort erhalten hatte: Beutelfurt, lieber Herr! richtete ich weiter die Frage an ihn, wie der Ort zu diesem Namen und sein Gasthof zu seiner mir so auffälligen Firma gekommen sei.

Er unterrichtete mich nun, daß ein Mann Namens Winkerle diesen Gasthof besessen und ihm den besagten Namen wie der Ortschaft den Namen Beutelfurt gegeben habe. Dieser Mann sei hier der erste Ansiedler gewesen und habe den Gasthof an dem Knotenpunkt mehrerer belebten Straßen angelegt, worauf sich dann allmälig andere Ansiedler in der fruchtbaren Gegend niedergelassen hätten. Winkerle habe auch eine Barbierstube besessen und nebenbei die chirurgische Praxis geübt. Aber er habe zu lustig gelebt, sein Geschäft vernachlässigt, als Wirth zu viel und als Chirurg oft zu wenig geschnitten und sei endlich, um seinen Gläubigern zu entgehen, heimlich durchgebrannt. Er, der jetzige Wirth, habe dann als Hauptgläubiger den Gasthof acquirirt und er sei auch ziemlich zufrieden, obschon das Land doch immer kein gemüthliches Schwaben sei.

Auf meine weitere Frage, ob er nicht wisse, was weiter aus Winkerle geworden, antwortete er: Nein, das wisse er nicht.

Meine Neugierde war gestillt; ich wußte nun, daß mein Freund und ehemaliger Minister der Medicinalangelegenheiten es gewesen, der meinen Namen hier so sinnreich verewigt hatte.

War aber meine Neugierde einigermaßen befriedigt, so begann jetzt die des Gastwirths zum Durchbruch zu kommen. Mir gegenübersitzend und die Arme verschränkt auf die Tischplatte legend, nahm er mich ins Verhör und fragte mich, woher ich komme? Ich antwortete, meine letzte Station sei Schnipphausionopolis gewesen.

Von diesem Orte, meinte er, habe er noch nichts gehört, er müsse wohl sehr weit von Beutelfurt entfernt sein.

Nur etwa 300 Meilen, erwiederte ich, kürzere Stationen mache ich niemals.

Wie die Geschäfte in Schnipphausionopolis gingen, fragte er weiter, während seine Zipfelmütze fortfuhr, sich wie ein weißes Fragezeichen gegen mich zu bewegen.

Einige, antwortete ich, gehen gut, einige schlecht, andere gar nicht.

Hier in Beutelfurt, bemerkte er hierauf, gingen manche Geschäfte ganz ausgezeichnet und es lasse sich hier etwas machen.

Offenbar wollte er mich ausholen, um zu erfahren, in welchen Geschäften ich hierher gekommen sei.

Ach, antwortete ich, das Geschäft, in dem ich mache, wird in Beutelfurt wohl sehr lahm gehen. Ich reise in Missionsgeschäften. Ich habe den Völkerschaften in den Steppen jenseits der Rocky Mountains das Evangelium gepredigt und etwa ein Dutzend heidnische Stämme zu veritabeln Christen gemacht. Wenn sie jetzt einander auffressen, so thun sie das nicht mehr im heidnischen, sondern in mehr christlichem Sinne – aus Liebe.

Der dicke Wirth sah mich verwundert an. Meine ganze Erscheinung, meine Flinte, mein Schnurrbart mochten sehr wenig mit den Vorstellungen übereinstimmen, die er sich von einem Missionär gebildet hatte. Ich kam daher seinen nächsten Fragen zuvor und sagte:

Was meinen Schnurrbart, meinen Tomahawk, meine Flinte betrifft, Herr Gastgeber! so mögen Sie nicht vergessen, daß diese Gegenstände dem Missionär unter diesen Stämmen höchst nothwendig sind. Unbärtig wie die Indianer sind, betrachten sie gerade den Schnurrbart als das deutlichste Zeichen christlicher Civilisation, wie sie sich denn auch die Apostel nie unter einer andern Form denken können, als unter derjenigen eines ungarischen Nationalhusaren, und daß man die geladene Flinte bei dem Unterrichte in den Artikeln des Glaubens immer mit gespanntem Hahn neben sich haben muß, läßt sich wohl einsehen.

Nun, sagte der Wirth, wenn Sie wirklich ein Missionär sind, so läßt sich wohl ein Geschäft entriren. Wir sind hier um einen Geistlichen verlegen, da sich der frühere Schulden halber mit Winkerle zugleich aus dem Staube gemacht hat. Etwas Christenthum muß man aber doch haben, wenn auch nicht zu viel, doch so viel, als man gerade fürs Haus gebraucht. Ich bin ein angesehener Mann hier in Beutelfurt und könnte es durch meine Fürsprache wohl durchsetzen, daß Sie zum Ortsgeistlichen gewählt werden. Wenn Sie mir daher versprechen wollen, mir von Ihrem Gehalt zehn Procent abzutreten –

Der Gedanke, mich auch als Geistlichen zu versuchen, reizte mich, und ich fiel ihm ins Wort.

Lieber Mann! mit Vergnügen zehn Procent! Auch verspreche ich Ihnen, Ihr täglicher Stammgast zu sein und meinen Bedarf an Getränken nur von Ihnen holen zu lassen.

Na, das Geschäft ist gemacht, sagte er, ein Mann, ein Wort!

Er reichte mir seine derbe Hand, und ich schlug ein.

Ich machte in den folgenden Tagen den Honoratioren des Orts meine Aufwartung und hielt am nächsten Sonntage meine Probepredigt, die bei der mir zu Gebote stehenden natürlichen Beredsamkeit außerordentlich glänzend ausfiel. Ich sprach von der Vorsehung und erläuterte ihr Walten an meinem eigenen Leben. Die jungen Mädchen fesselte ich durch die anziehende Darstellung meines Verhältnisses zu Beate Regina Cordula Veronica Pipermann und zu der Kuxusenprinzessin Kax, die jungen unternehmungslustigen Männer durch die energische Schilderung meiner kriegerischen Abenteuer, die Geschäftsleute durch die Erzählung, wie ich den texanischen Farmer mit dem Bären und dann mit den geschundenen Büffeln betrog, die alten Weiber durch so manche rührende Episoden, an denen, wie der Leser ja weiß, mein Leben so reich war. Für die Frommen hatte ich immer Bibelsprüche bereit, wie sie mir gerade in den Sinn fielen, wobei es mir freilich nicht gerade immer darauf ankam, ob sie auch auf den Fall genau paßten. Kurz, ich wurde gewählt, stellte jedoch die Bedingung, meinen Schnurrbart nicht opfern zu dürfen. Entweder – oder, erklärte ich. Die Kirchenpatrone hielten hierüber Berathung und entschieden sich dann mit großer Mehrheit dahin, daß in Beutelfurt ein Schnurrbart kein Hinderniß sei, warum Jemand zum Geistlichen nicht gewählt werden dürfe.

Ich war nun Geistlicher und habe dieses Amt den ganzen Winter über in Beutelfurt verwaltet. Da jedoch die Einkünfte für meine Bedürfnisse nicht hinreichten und der zehnte Theil davon contractlich – denn wir hatten später darüber einen schriftlichen Vertrag geschlossen – dem Wirthe zum Fritz Beutel zufiel, hatte ich noch einige Entreprisen nebenbei unternommen. Eine dieser Entreprisen bestand in einer Lotterie, in welcher es keine Nieten gab; denn selbst die geringsten Gewinne bestanden doch in einem Bartpinsel oder einem Stückchen Waschseife oder in einem Paar alter Stiefelschäfte. Der Hauptgewinn sollte auf mein Pferd fallen, ich hatte es jedoch unter der Hand an einen durchreisenden Roßhändler verkauft, behauptete aber zuversichtlich, daß es mir aus dem Stalle gestohlen worden sei. Da es nun sehr viele Pferdediebe in Beutelfurt gab, so zweifelte man an meiner Aussage durchaus nicht, und die öffentliche Meinung bezeichnete bald diesen bald jenen als den Räuber. Dies machte mir sehr vielen Spaß und gab mir nächsten Sonntags prächtigen Stoff zu einer Predigt, in welcher ich die Scheußlichkeit der Liebhaberei, Pferde zu stehlen und sogar den heiligen Stall des Geistlichen nicht unangetastet zu lassen, mit den energischsten Worten ausmalte, so daß allen denen, welche Pferde gestohlen hatten, die Augen dabei in Thränen schwammen.

Außerdem legte ich einen Kramladen an und empfahl ihn in der Zeitung mit den Worten: »daß ich zu jeder Zeit in Stand gesetzt sei, den Kunden die Waaren um einen billigern Preis abzulassen als jeder Andere.« Dies war mir in der That möglich, da die gebrannten Bohnen, die ich unter die Kaffeebohnen, die gedörrten Kartoffelkrautblätter, die ich unter den Tabak, die getrockneten Feldblumenblätter, die ich unter den Thee mischte, und die Heidelbeeren, womit ich den sogenannten Rothwein färbte, mich so gut wie gar nichts kosteten. Dies war kein Schwindel. Aechte Waaren konnte man um den Preis, für den ich sie verkaufte, nicht haben, mithin mußten meine Kunden im Voraus wissen, daß sie bei mir nur unächte Waare erhalten könnten. Es war somit ein ganz ehrliches, eines Geistlichen würdiges Geschäft.

Endlich errichtete ich eine Leihbibliothek, zu welchem Zweck ich durch einen Unterhändler in St. Louis aus den dortigen Leihbibliotheken eine Parthie solcher Bücher erstanden hatte, die dort seit drei oder vier Jahren nicht mehr gelesen wurden. Es waren lauter Geister-, Ritter- und Räuberromane, in denen es auch an verliebten Scenen nicht fehlte, wie die junge Welt sie liebt und auch die Alten sie gern lesen. Die Leihbibliothek, zu welcher der Wirth zum Fritz Beutel seinen Namen als Entrepreneur herlieh, wurde als eine »Auswahl des Schönsten, Besten und Erhabensten aus der deutschen Literatur« angekündigt. Auf der Kanzel eiferte ich sonntäglich dagegen als eine verführerische unsittliche Lektüre, weil ich dann gewiß war, daß sie nur um so eifriger benutzt werden würde. Zuweilen empfahl ich auch die Anstalt, und motivirte meine Empfehlung dadurch, daß man dergleichen gelesen haben müsse, um die Ausschreitungen in der Liebe und anderen höchst verderblichen Leidenschaften kennen zu lernen und sich vor ihnen in Acht zu nehmen.

So weit ging Alles recht gut; aber die mir angeborene eulenspiegelische oder mephistophelische Laune spielte mir bald Streiche über Streiche. Meine Tauf-, Trau- und Begräbnißreden nahmen allmälig einen immer eigenthümlichern Charakter an. Bei der Bestattung eines reichen und höchst angesehenen Mannes, eines sogenannten Ehrenmannes, hielt ich z. B. folgende Rede:

Wir stehen hier an dem Grabe eines Mannes, dem wir alles Mögliche ins Grab nachwünschen. Er war ein Vater, nicht der Armen, sondern verschiedener Kinder, die sogar verschiedene Mütter hatten. Er pflegte, wenn auch nicht Künste und Wissenschaften, doch seinen Magen, der ihm man möchte sagen förmlich ans Herz gewachsen war. Er widmete, wenn auch nicht den Waisen und Wittwen, doch seinem eigenen Interesse die zarteste Sorgfalt. Er liebte, wenn auch nicht das menschliche Geschlecht, doch die schönere Hälfte desselben. Er bedrückte Niemanden, außer diejenigen, von denen er einen Vortheil zu erpressen hoffen durfte. Er verdammte und verfolgte mit heiligem Zorn jedes Laster – an jedem Andern. Er war unerbittlich streng gegen sich selbst, wo es darauf ankam, zu genießen und zu erwerben. Kurz er war das Muster eines Mannes und Bürgers, wie seine lachenden Erben bezeugen werden.

Diese Rede, von der ich nur nach der Erinnerung einen Auszug gebe, erregte zwar Aufsehen, zog mir aber keine Unannehmlichkeiten zu, da der Verstorbene wirklich bei der Bürgerschaft nicht beliebt gewesen war, und selbst die lachenden Erben fühlten keine Veranlassung, weniger zu lachen als sie vorher gelacht hatten.

Bald darauf sollte ich jedoch eine Traurede halten, und da der Bräutigam sich erlaubt hatte, unter die Surrogate von Thee, Kaffee und Tabak noch weniger Aechtes zu mischen und daher den Preis noch geringer zu stellen als ich, so fühlte ich mich durchaus nicht veranlaßt, seine und der Braut Tugenden in dem Style zu preisen, wie dies sonst gewöhnlich ist. Zwar hob ich im Eingange der Traurede hervor, daß beide Brautleute ohne Zweifel entschlossen sein würden, einander die größten Opfer zu bringen und bis zum Tode treu zu bleiben, daß sie sich ganz gewiß auf die allervergnügtesten und allerseligsten Schäferstunden Rechnung machen würden, was ihnen auch nicht zu verdenken, aber ich fuhr alsdann fort:

Indeß, meine verehrten Brautleute! ich muß Sie um Ihres eigenen Heiles willen darauf aufmerksam machen, daß solche Illusionen gegen die Wirklichkeit nicht Stich halten. Nehmen Sie nur noch immer mehr getrocknetes Kartoffelkraut unter den Tabak, gebrannte Bohnen unter die Kaffeebohnen und gedörrte Feldblumenblätter unter den Thee – aber bedenken Sie, daß Alles seine Grenzen hat, daß man doch nicht lauter Bohnen für Kaffeebohnen, Feldblumenblätter für Thee und Kartoffelkraut für Tabak geben kann. Die Kunden sind zwar sehr dumm, aber auch diese Dummheit hat ihre Grenze. Was dann? Sie werden dem Bankerott entgegenschwanken, es wird am Nöthigsten im Hauswesen fehlen, die Frau Gemahlin wird kochen wollen und der Herr Ehegemahl wird nichts hergeben können, wovon sie kochen kann, außer Bohnen statt Kaffeebohnen und Feldblumenblätter statt Thee. Es wird häusliche Scenen geben, Scenen der ausgesprochensten und nach beiden Seiten effectvollsten Art. Die Backen werden zuweilen roth werden in Folge gegenseitiger lebhaften Berührungen, die aber der empfangende Theil nicht für Küsse halten wird. Der Herr Gemahl möge sich eine Perücke anschaffen, damit seine eigenen Haare dabei nicht in Gefahr kommen, und die Frau Gemahlin möge vorher sorgfältig jeden Gegenstand entfernen, der nach einem Stock aussieht! Der Herr Gemahl wird zu dem Universalmittel für allen häuslichen Gram seine Zuflucht nehmen, das im Gasthofe »Zum Fritz Beutel« zu haben ist, und die Frau Gemahlin wird ihm vorwerfen, daß diese Arznei zu viel koste. So wird man durch das Wein-, Spiel- und Leihhaus und andere Häuser hindurch endlich in das Zucht- und Correctionshaus und von da ins Leichenhaus gelangen, nachdem der Herr Gemahl sich durch die Verlängerung eines Strickes das Leben gekürzt und die Frau Gemahlin im Mississippi ein Bad genommen hat, in welchem sie sich ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit zu lange aufhielt. Das Alles kommt daher, wenn man einige Feldblumenblätter mehr unter den Thee und einiges Kartoffelkraut mehr als in einem soliden Geschäft nöthig ist unter den Tabak mischt. Drum gehen Sie noch zur rechten Zeit in sich, verlassen Sie den bösen Weg, der mit Surrogaten allzustark gepflastert ist, und Alles kann noch gut werden!

Hierauf segnete ich in aller Kürze die Ehe ein und schritt mit gebietenden Blicken und starken Schritten hinaus, während das junge copulirte Paar und die Trauzeugen zurückblieben, ohne zu wissen, was sie thun und sagen sollten.

Ein andermal sollte ich eine Taufhandlung verrichten, und da der Papa kurz vorher mein Lotterieunternehmen in einem öffentlichen Blatte als lauter Schwindel, Betrug und Humbug gebrandmarkt hatte, so fand ich auch hier keine Veranlassung, mit der Wahrheit zurückzuhalten.

Nachdem ich geschildert, welche Hoffnungen die Eltern und die geehrten Taufzeugen ohne Zweifel auf den jungen Weltbürger setzen, wie sie in ihm den Stolz und die Freude des Hauses, vielleicht den Chef einer berühmten Handlungsfirma, einen Senator oder gar den Gouverneur der Provinz erblicken würden, fuhr ich fort:

Indeß der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, das ist eine alte Wahrheit. Ein Knäblein, welches einen Calumnianten zum Papa hat, wird im besten Falle auch nichts weiter werden als ein Taugenichts und Straßenläufer, als ein Rowdy und Loafer, als ein Brandmal des menschlichen Geschlechts. Dieses Bürschchen ist allerdings seinem Vater wie aus den Augen geschnitten, denn es hat höchst tückische, schielende und boshafte Augen. Es wird eine sehr wilde Range werden, es wird Ihnen, verehrte aber sehr bedauernswerthe Eltern, bei Nacht und Nebel davon laufen und in der Welt als ein Nichtsnutz herumabenteuern, es wird Andern das Brod und die Ehre abschneiden, es wird in die öffentlichen Blätter Injurien gegen rechtschaffene Leute einrücken lassen, es wird verschiedene Diebstähle, mitunter auch Pferdediebstähle begehen und dafür mit Fug und Recht gelyncht werden, und irre ich nicht, so sehe ich im fernen Kalifornien einen einsam stehenden Baum und daran einen Menschen hängen, der so aussieht, wie nur der Sohn eines solchen Vaters und ehrabschneiderischen Calumnianten aussehen kann.

In dieser Weise wollte ich noch fortfahren, als die Großmutter, ein noch handfestes resolutes Weib, auf mich zusprang, mir das Kind aus den Armen riß, alle Schleußen ihrer natürlichen Beredsamkeit öffnete und mich mit einer Fluth der ehrenrührigsten Ausdrücke übergoß. Die ganze Gesellschaft kam in Aufruhr; der Vater brüllte, die Taufzeugen tobten, das Kind schrie entsetzlich. Ich hielt es unter diesen Umständen für das Zweckmäßigste, das Zimmer zu verlassen, wendete mich aber in der Thür noch einmal um und rief: Der Baum, von dem ich sprach, steht doch, und zwar am Ufer des Coloradoflusses. Er hat einen langgestreckten Ast, ganz geeignet, solche Früchtchen zu tragen wie das dort! Und damit empfahl ich mich.

Die durch diese Rede betroffenen Familien ließen es nun nicht an den schändlichsten Intriguen gegen mich fehlen und veranstalteten es, daß mir an einem der nächsten Abende ein Charivari mit höchst vollständig besetztem Orchester gebracht wurde. Ich hatte jedoch hiervon zur rechten Zeit Witterung erhalten, mich aus meiner Wohnung entfernt und mich, in meinen Mantel gehüllt, unter die Virtuosen gemischt. Ich bearbeitete meine metallene Bratpfanne mit einem Mörserstößer so gewandt und geschickt, daß ich allgemeines Aufsehen erregte und für meinen Eifer die schmeichelhaftesten Complimente in Empfang nahm. Wenn sie im Begriffe waren aufzuhören, begann ich immer von Neuem, bis sie gänzlich ermüdet waren und erklärten: es sei nun genug. Hierauf schlug ich meinen Mantel zurück und sagte: Meine Herren! Ich freue mich um so mehr, als bloßer Volontär den Beifall so geübter Virtuosen errungen zu haben, da ich selbst, wie Sie sehen, der Pfarrer Fritz Beutel bin. Wollen Sie auch die Güte haben, mir die Fenster einzuwerfen, was ich ganz in der Ordnung finde, so offerire ich Ihnen hiermit eine Parthie tüchtiger Steine, die ich in meinen Mantel- und Rocktaschen bei mir führe. Ich empfehle Ihnen das um so mehr, da, wie ich bemerke, sich der verehrte Herr Glasermeister Schuwalsky unter Ihnen befindet, dem ich gern einen kleinen Verdienst gönnen möchte, um so mehr, da er allabendlich mein getreuster Kumpan im »Fritz Beutel« ist und es ihm ohne Zweifel große Ueberwindung gekostet hat, heute die gewöhnliche Bierstunde zu versäumen, um an der mir gebrachten Huldigung Theil zu nehmen.

Auf diese im verbindlichsten Tone gesprochene Anrede schlich sich ein großer Theil der Katzenmusikanten, worunter Herr Schuwalsky selbst, etwas beschämt hinweg, während die Uebrigen in lauten Jubel ausbrachen, mich auf ihren Schultern ins Haus trugen und mir ehrlich gestanden, daß sie einen solchen Geistlichen noch nicht gehabt hätten. Ich bewirthete sie nun mit einer Bowle Punsch, wobei auch sehr schöne ehrbare Rundgesänge angestimmt wurden, und ich hätte ohne Zweifel Geistlicher von Beutelfurt bleiben können, wenn es mir darum zu thun gewesen wäre. Aber ich selbst war des Geschäfts satt und reichte meine Demission ein, die auch natürlich bewilligt wurde.

Am nächsten Sonntage hielt ich noch eine Abschiedsrede, in der ich unter Anderm sagte: Verehrte Brüder und Schwestern in Fritz Beutel! Ich nehme heute von euch Abschied, weil ich nicht wünsche, euch an dieser Stätte mehr gegenüberzustehen. Ich glaube euch ein gutes Beispiel gegeben zu haben. Ich habe zwar allerlei gesundes Kraut unter den Tabak und den Thee gemischt, aber niemals in größeren Quantitäten als gerade nöthig, um ein solides Verhältniß zwischen mir und den verehrten Kunden aufrecht zu erhalten, nicht so wenig, um bei dem billigen Preise selbst zu Schaden zu kommen, aber auch nicht so viel, um mich auf Kosten der Gemeinde zu bereichern. Auch in der Religion, die ich euch spendete, habe ich so wenig Surrogate als möglich eingemischt. Ich habe das christliche Problem gelöst, eine Lotterie zu veranstalten, bei der Niemand eine Niete zog. Ich habe Niemanden etwas gestohlen oder veruntreut, selbst wenn ich dazu die beste Gelegenheit hatte. Ich habe gegen das schändliche, in der neuerrichteten Leihbibliothek enthaltene Gift geeifert, obschon ihr Inhaber mein Freund ist. Ich habe demselben Freunde mit größter Gewissenhaftigkeit mein Gelöbniß gehalten, allabendlich mein Glas Bier nur bei ihm zu trinken, obschon die Versuchung nahe lag, auch an andern Orten, wo besseres Bier verschenkt wird, einzukehren. Mein Beispiel hat nicht Nachahmung genug gefunden und meine uneigennützigen Bestrebungen sind sogar verdächtigt worden. Leute, die ich nicht nennen mag, haben ihre Waaren mit Surrogaten versetzt, die ich gleichfalls nicht nennen mag, und ich fürchte, daß man nach mir die Religion ebenfalls mit Surrogaten versetzen wird, durch welche ihre Kunden schmählich hintergangen werden. Mein Lotterieunternehmen, das so fest genietet war, weil es ohne Nieten war, ist aufs Schändlichste verunglimpft und öffentlich an den Pranger gestellt worden, obschon ich es dabei einzig und allein auf das allgemeine Wohl und den allgemeinen Nutzen abgesehen hatte. Wiewohl ich niemals etwas gestohlen oder veruntreut habe, ist doch gestohlen und veruntreut worden, daß darüber mein Herz blutete, insofern nicht das Blut vor großem Schreck über solche Verderbniß geronnen war. Trotz meiner christlichen Warnungen hat man fortgefahren, die schändlichsten Bücher der Leihbibliothek zu lesen, nein, was sage ich, so zu zerlesen, daß von vielen nur der Deckel des Buches übrig geblieben ist. Obschon ich mit rühmlicher Selbstentsagung und trotz der dadurch verursachten Magen- und Kopfschmerzen nur das Hotel »Zum Fritz Beutel« besuchte, haben unzählige Andere diejenigen Tabagien besucht, in denen besseres Bier verschenkt wurde, und sie haben dadurch an den Tag gelegt, daß es ihnen einzig und allein um den Magen und nicht um höhere Güter und um die Tugend der Selbstentsagung zu thun ist. Indeß verzeihe ich hiermit allen Calumnianten, allen Dieben und Pferdedieben und Allen, die meinem Beispiele nicht nachgefolgt sind. Thränen über sie, aber keinen Bannspruch, kein unchristliches Verdammungsurtheil! Wir sind ja allzumal Sünder und ermangeln des Ruhms. Nur das möchte ich einer christlichen Versammlung ans Herz legen, daß ich als wohlhabender Mann hierher gekommen bin, daß ich mein Vermögen im Dienste der Stadt zugesetzt habe und daß ich nun hinausziehen soll zu Fuß, während ich in Beutelfurt doch stolz zu Rosse eingezogen bin. Solches werden christliche Seelen nicht dulden wollen. Irgend Einer hat mir meinen Gaul entwendet, und ich kenne ihn, es ist der, gegen dessen Kopf ich jetzt mein Gesangbuch werfen werde; denn jeder Pferdedieb dieser Stadt ist mir bekannt wie mein eigener Bruder.

Alle, die im Geruche standen, Pferdediebe zu sein, bückten sich bei diesen Worten unwillkürlich, denn Keiner war seiner Sache so recht sicher; Jedem schlug das Gewissen.

Gut! ergriff ich wieder das Wort, ich will keinen Einzelnen compromittiren; die ganze verehrte Corporation der Pferdediebe ist solidarisch verantwortlich, und sie werden mir mit ihrer Ehre dafür haften, daß mir mein Schaden ersetzt werde. Ich schließe also nicht mit den Worten: Lasset die Kindlein, sondern mit den Worten: Lasset die Pferdlein zu mir kommen!

Am frühen Morgen des folgenden Tags stand ein schön gesatteltes Reitpferd vor meiner Thüre, welches mir die Zunft der Pferdediebe, um meiner Zunge Schweigen aufzulegen, zur Verfügung gestellt hatte. Mit einer ansehnlichen Baarschaft, dem Ertrag meiner mancherlei Unternehmungen versehen, ritt ich aus Beutelfurt hinweg, um anderswo mein Glück zu versuchen. Alle ehrsame als Pferdediebe bekannten Einwohner der Stadt gaben mir zu Roß das Geleit bis zum nächsten Gasthof an der Landstraße, wo auf ihre Kosten ein sehr schmackhaftes Frühstück unserer wartete. Das Pferd, das ich ritt, kostete sie natürlich nichts, denn es war, wie mir Einer derselben gestand, von einer Farm in der Nachbarschaft durch gemeinsames Wirken gestohlen worden.


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