Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Bei der Gründung eines neuen Staats ist immer von dem Grundsatz auszugehen, daß jeder Unterthan entweder von Geburt oder Erziehung ein Bösewicht ist und, wenn er heute kein Verbrechen begeht, doch morgen eines begehen könnte. Die prophylaktische Methode muß daher allen Staatseinrichtungen zum Grunde liegen, doch mit möglichster Gemüthlichkeit gepaart, damit sie nicht allzulästig werde.

Macaulay.

Centralafrika ist jenes weite Gebiet im Innern von Afrika, über welches der Aequator wie ein Bügel hinweggeht. Daß bei dieser geographischen Lage die Leidenschaften der Bewohner oft eine kolossale Form annehmen, braucht man einem vernünftigen Leser nicht erst zu sagen.

Carl Ritter.

Ich war nun »Königin-Gemahl« und befand mich somit in einer Stellung, in welcher der Mensch bei Lichte besehen weder Fisch noch Fleisch, weder Etwas noch Nichts, weder Unterthan noch Regent ist. Um doch Etwas zu sein, ließ ich den Rector Magnificus wissen, daß ich wünsche, zum Doctor der Rechte creirt zu werden, und daß er gut thun würde, diesen Wunsch als Befehl zu nehmen. Gleich am folgenden Tage wurde mir das Diplom überbracht – ein Pergament von 12 Ellen Länge, welches von acht Universitätsdienern getragen wurde, zugleich in Begleitung einer kleinen Copie für den Hausgebrauch, welche in einer goldenen, höchst kleinen aber zierlichen Kapsel eingeschlossen war. Dieses Miniaturdiplom verwahre ich noch, und wer daran zweifeln sollte, kann es bei mir in Augenschein nehmen. Ich habe dasselbe unter Glas und Rahmen gebracht, und zwar unter ein Vergrößerungsglas, weil es seiner Diminutivform und Diminutivschrift wegen sonst nicht gesehen und gelesen werden könnte.

Glücklicherweise war meine Gemahlin, wie gesagt, sehr corpulent und nahm täglich an Masse zu. Mit jedem Zoll, den sie zunahm, legte sie auch irgend eins der Regierungsgeschäfte nieder und in meine Hände, so daß ich mehr und mehr an politischem Einfluß gewann und, da ich nicht Lust hatte, mich zu afrikanisiren, daran denken durfte, Land und Hof zu europäisiren. In dem Todtenbeinhaus, welches man hier den königlichen Palast nannte, befand ich mich gar nicht wohl, und ich suchte die Königin zu überreden, das Schloß ihrer Väter zu verlassen und einen neuen freundlicheren Palast zu beziehen, den ich unter der Hand auf einer die Stadt überragenden mit Palmen bewachsenen Anhöhe hatte aufführen lassen. Sie dazu zu überreden, war nicht leicht; als ich ihr jedoch vorstellte, wie bei ihrer zunehmenden Leibescorpulenz die kleinen Zimmer im alten Palast bald nicht mehr zureichen würden, ihre Gestalt zu fassen, willigte sie endlich ein, in den neuen Palast zu ziehen oder sich vielmehr ziehen zu lassen; denn gehen konnte sie wegen ihrer Corpulenz schon lange nicht mehr. Als sie jedoch bemerkte, daß sie sich in den geräumigen Zimmern des neuen Palastes viel besser als früher nach allen Richtungen strecken konnte, daß die marmornen Wände und Fußböden mehr Kühlung als die Todtenbeinfournirungen in der alten Königsburg verbreiteten, und daß die Rosen und Oleanderbüsche süßern Duft aushauchten als die Lachen menschlichen Blutes, da sprach sie ihre volle Zufriedenheit aus und sagte zu mir: Liebes Doctorchen! (so nannte sie mich stets, wenn sie bei guter Laune war) Du hast mir eine rechte Freude bereitet. Ich fühle erst jetzt, was Civilisation heißt. In unsern Naturstaaten lebt man doch gar zu natürlich, wenn auch wohlfeil. Als ich aber nach einiger Zeit mit den Baurechnungen vor sie trat, machte sie ein eben so verwundertes als verdrießliches Gesicht und kam auf ihren alten Satz zurück, daß Menschenknochen doch immer das vorzüglichste und wohlfeilste Baumaterial blieben. Solche Rückfälle in die alte Barbarei waren bei ihr überhaupt sehr häufig und machten mich um die Zukunft nicht wenig besorgt. Freilich kann ich nicht leugnen, daß die Rechnungen etwas hoch aufgelaufen waren, weil ich einige tausend Marmorplatten mehr, als wirklich gebraucht worden, auf Rechnung gesetzt hatte. In der Stellung eines Königin-Gemahls gelten alle Vortheile.

Im Uebrigen gehören meine Erinnerungen aus jener Zeit zu den schwärzesten meines Lebens. Ich kann sie wohl schwarz nennen. Gleich früh Morgens beim ersten Erwachen fiel mein Blick auf einen schwarzen Gegenstand, der, wie ich schon mittheilte, ausnehmend corpulent war und den ich mich oft versucht fühlte, für einen Sack voll Steinkohlen zu halten – auf meine Gemahlin, Ihre Majestät die Königin Krikikara von Tombuktu. Kaum, nachdem ich mich von meinem Lager erhoben, erschien die schwarze Geheime-Ober-Hof-Waschwasser-Verwalterin mit einem Kruge etwas schwärzlichen Cisternenwassers und schwarzer Seife; alsdann die schwarze Geheime-Ober-Hof-Kaffeebereiterin mit einigen Schaalen schwarzen Kaffee's; sodann der schwarze Ober-Geheime-Hof-Kleiderreiniger und Ober-Geheime-Hof-Stiefelputzer mit seiner schwarzen Glanzwichse; hierauf der schwarze Geheime-Ober-Hof-Schweinejunge mit schwarzer Farbe, um den Favoritschweinen der Königin die unerläßlich schwarze Glanzfarbe zu ertheilen; hierauf der schwarze Geheime-Ober-Hof-Bartkräusler, um meinem Schnauzbart mit schwarzer Bartwichse nachzuhelfen; hierauf der schwarze Geheime-Ober-Hof-Scharfrichter in schwarzem Talar, um die Liste derjenigen Einwohner von Tombuktu zu empfangen, welche im Laufe des Tages diverser Gründe wegen um einen Kopf kürzer gemacht werden sollten; hierauf der schwarze Geheime-Ober-Hof-Staatssecretär mit schwarzer Tinte, um die Liste der Todescandidaten für den folgenden Morgen anzufertigen – und so den ganzen Tag durch. Zum Tagesschluß pflegte ich dann so viel Tombuktuer Braunbier einzunehmen, bis ich selbst ganz »schwarz« war, so schwarz, daß mir sogar meine königliche Gemahlin – Gott habe sie selig! – als ein Lichtpunkt in dieser schwarzen Welt oder Weltschwärze erschien.

An civilisirten Vergnügungen und ritterlichen Uebungen fehlte es übrigens nicht. So gab es z. B. Herren-Schweinerennen, und bald hatte ich mich mit meiner gewohnten Geschicklichkeit soweit eingeritten, daß ich selbst in Person an einem solchen Theil nehmen konnte. Wir ritten, wie ich bemerken muß, der entsetzlichen Sonnenhitze wegen mit Schirmen, die wir mit der linken Hand über den Kopf hielten. Mehrere Herren wurden, da die Thiere unter possierlichen Sprüngen und sehr melodischem Grunzen mit ihnen durchgingen oder bockten, auf den Sand gesetzt, zum ungeheuren Vergnügen des zahlreich versammelten Publikums. Nur ein junger Hofcavalier und Garde-Cavallerielieutenant, der Graf von Quiquiqua, hielt mit mir aus, indem er ein sehr schönes Schulschwein, die »Emilia« (vom »Bucephalus« und der »Euryanthe«) ritt; hierauf kam ich mit der »Atalanta« (vom »Cäsar« und der »Diana«), einem hochbeinigen, schlank gebauten Thiere, alsdann der Baron Pipurra mit dem »Boreas« (von dem »Zephyr« und der »Flora«). Da aber die »Emilia« sich mit einigen auf der Bahn liegenden Kohlstrünken lebhaft zu beschäftigen anfing, so schlug meine »Atalanta« sie um eine viertel Rüssellänge und den »Boreas« um eine ganze Schweinelänge, worauf mir der Preis, eine mit verzuckertem dicken Milchreis gefüllte hölzerne Trinkschale und eine von den vornehmsten Damen Tombuktu's gestickte baumwollene Nachtmütze, zuerkannt wurde.

Abends hatten wir Ballet, das, wie ich versichern kann, ganz famos war. Namentlich zeichnete sich unter den Tänzerinnen Fräulein Rosa de Tepita (übrigens ein angenommener nach dem Spanischen gebildeter Name, denn in Wirklichkeit hieß sie Matscha-Schnoka) durch ihre ganz merkwürdigen, einem gebildeten Europäer unbegreiflichen Sprünge, Stellungen und Gesticulationen aus. Sie war schwarz wie eine Gewitternacht und ihr Blick so funkelnd wie Wetterleuchten. Angebetet von den Herren, war sie ein Gegenstand des Hasses für die Frauen, denen sie die Herzen ihrer Gatten allabendlich dutzendweise abwendig machte. Man trug sie buchstäblich auf den Händen, d. h. Abends nach der Vorstellung nach Hause; der Tombuktuer Liederkranz brachte ihr Ständchen, wobei man auf den Jungfernkranz »Ueb' immer Treu und Redlichkeit« folgen ließ; und die Hof- und Staatszeitung enthielt unter ihren Inseraten die zärtlichsten Gedichte an Rosa de Tepita, an ihre Augen und ihr Wollenhaar, an ihre Fußspitzen, an ihren Shawl, an die glückliche Fliege, die sich auf ihre Nase gesetzt hatte und die man um ihren köstlichen Sitz beneidete. Auch die Leistungen der k. Hofcapelle waren einzig in ihrer Art. Man hatte sich allmälig in den Besitz einer Anzahl europäischer eiserner Töpfe, zinnerner Bierkannen, messingener Theekessel, kupferner Bratpfannen u. s. w. gesetzt, mit denen man, indem man sie mit Bratspießen tüchtig behandelte, unter Begleitung einheimischer Trommeln und Pfeifen, einen den Ohren sehr angenehmen Lärmen vollführte. Da gab es einen ersten und zweiten Bratpfannenschläger, einen Baß- und einen Diskant-Theekessel, und weil man davon gehört hatte, daß die europäischen Musikstücke aus einem Schlüssel gingen, dies aber wörtlich nahm, so wurde dazu auf einem wirklichen Schlüssel geblasen, wozu die k. Kammerherren die ihrigen herleihen mußten. Der k. Hof-Operncomponist setzte zu diesen Instrumenten die Musik, in der, wie ich versichern kann, die unaufgelösten Dissonanzen vorwalteten – Dissonanzen, aus denen die k. Hof-Aesthetiker die tiefsten philosophischen Ideen und weltgeschichtlichen Tendenzen zu abstrahiren wußten. Ich sagte mir oft: wenn irgendwo, so ist der »Kunst der Zukunft« in Tombuktu eine Stätte bereitet.

Als Gemahl der regierenden Königin ließ ich es an durchgreifenden Reformen nicht fehlen. Unter andern stellte ich Tombuktu, nachdem ich es durch den unvermeidlichen provisorischen Belagerungszustand dazu genügend vorbereitet hatte, in die Reihe der constitutionellen Staaten, indem ich eine Verfassung octroyirte, wonach fortan eine königliche Hof-Ständeversammlung bei den Landesangelegenheiten zu Rathe gezogen werden solle. Diese Ständeversammlung bestand aus mir, den königlichen Prinzen (Seitenverwandten der Königin), den Ministern, dem königlichen Geheimen-Ober-Hof-Küchenmeister und dem königlichen Hof-Kellermeister. Denn die Speise- und Trankangelegenheiten des Landes und namentlich des Hofes schienen mir vor allen der durchgreifendsten Reformen benöthigt zu sein. Die Thronreden, welche die Königin bei Anfang und Schluß der Session zu halten hatte, waren kurz und bündig und lauteten etwa: »Hohe Versammlung! Es gewährt mir Genugthuung, Sie wieder um mich versammelt zu sehen und Ihnen sagen zu können, daß sich Tombuktu niemals in einem blühenderen Zustande des Wohlseins befunden hat und daß ich von den Nachbarstaaten fortdauernd die Zusicherungen aufrichtigster Freundschaft und Friedensliebe erhalte. Es befindet sich Alles im vollkommensten Zustande. Nur die Küchen- und Kellerangelegenheiten des königlichen Hauses haben sich allein noch nicht auf die Höhe europäischer Vollkommenheit erhoben und bedürfen dringender und schleuniger Reformen. Eine neue Landessteuer ist hierzu unerläßlich. Sie, als die aus einem liberalen Wahlgesetze hervorgegangenen Repräsentanten der glorreichen Nation von Tombuktu, werden das Nöthige veranlassen, und meine Nation, die ich mütterlich liebe, wird sich beeilen, zum Dank für die ihr verliehene freisinnige Verfassung Ihrem billigen Ansinnen zu entsprechen.« Es wurde nun eine »Steuer-Steuer« ausgeschrieben, d. h. alle Besteuerten wurden dafür, daß sie besteuert waren, nach einer gewissen Scala nochmals besteuert; ferner eine »Gedankensteuer«: – Es wurden nämlich alle Einwohner Tombuktu's, die auf Bildung Anspruch machten, vor die obere Steuerbehörde beschieden und hier die Frage an sie gerichtet: ob sie schon je in ihrem Leben einen klugen Gedanken gehabt hätten? Da sie sich nun schämten, diese Frage zu verneinen, so wurde dieser Gedanke mit einer Steuer belegt. Zugleich wurden sie zu Ober-Hof-Denkräthen erhoben und mußten für das Diplom, wie für die Ertheilung des damit verbundenen Ordens eine gewisse Abgabe erlegen. Sie befanden sich aber bei der Ehre, die ihnen daraus erwuchs, recht wohl und Küche und Keller des königlichen Hofes auch.

Ich bildete ein neues Ministerium und wählte zum Minister der Schul- und Geistlichen Angelegenheiten einen verdorbenen Schulamtscandidaten, der sich bei unsern Commerschen durch allerlei joviale Streiche hervorgethan hatte und stets behauptete, die beste Religion sei die, keine zu haben; zum Kriegsminister einen Schuhflicker aus der Vorstadt, dessen Beine so gewachsen waren, daß sie einem vollkommenen O glichen; zum Minister der Finanzen einen Kaufmann, welcher bereits zwölfmal Bankrot gemacht hatte und von dem ich mit Recht erwarten konnte, daß unter seiner Fürsorge ein zwölfmaliger Bankrot den Staatsfinanzen recht sehr zu statten kommen würde; zum Minister der Medicinalangelegenheiten einen Bartscheerer, der schon so manchen Kranken von seinen Leiden befreit hatte, freilich auf einem der Genesung entgegengesetzten Wege, und zum Minister des Innern einen Gasthofsbesitzer, dessen schmackhafte Gazellencotteletten und Antilopenbeefsteaks mir die Ueberzeugung verschafft hatten, daß er auch für das Innere des Staats vortrefflich zu sorgen wissen werde. Zugleich erhöhte ich den Glanz des Hofes durch neue Hofchargen. Ich errichtete z. B. den Posten eines Geheimen-Ober-Hof-Pfeifenstopfers, welcher den Auftrag hatte, mir jeden Morgen die dreißig Pfeifen zu stopfen, welche ich des Tages über zu rauchen gedachte und die einen Hauptschmuck meines Staatszimmers bildeten, sowie den Posten eines Geheimen-Ober-Hof-Steckbriefverfertigers, der bald eine der wichtigsten Personen im Staate wurde. Ich nahm an, daß jeder Tombuktuer ein geborner Schuft und zu jeder Art Verbrechen fähig sei; für den Fall nun, daß er wirklich ein Verbrechen beging und flüchtig wurde, lag der auf ihn lautende Steckbrief schon fertig auf der Polizei – eine Einrichtung, deren Nutzen man in Europa nicht verkennen wird und die ich zur Nachahmung empfehlen möchte. Da mit Ausfertigung der Steckbriefe selbstverständlich auch eine Abgabe verbunden, jeder Tombuktuer aber verpflichtet war, einen solchen Steckbrief auf seine eigene Person und jedes Mitglied seiner Familie zu entnehmen, so hatten wir für Küche und Keller, für Tabak und Wein wieder eine neue hübsche Zubuße. Auch verordnete ich, daß jeder Tombuktuer vor der Brust ein messingenes Schild tragen mußte, worauf sein Name und sein Stand verzeichnet waren – so daß in Tombuktu Jedermann wußte, wer Jedermann war. Kurz einen wohlorganisirteren Staat als Tombuktu konnte es zu keiner Zeit geben; es war ein Musterstaat, wie man ihn heutzutage leider nicht mehr findet.

Um die Frauen für mich zu gewinnen, errichtete ich ferner den Orden der Geheimen-Ober-Hof-Kaffeeschwestern, die als Abzeichen eine aus Kaffeebohnen zierlich zusammengesetzte Halskette erhielten und von denen täglich eine Deputation von sechs Mitgliederinnen bei Hofe zu erscheinen hatte, um ein gnädiges Kopfnicken in Empfang zu nehmen und dafür eine Münze in einen bereit stehenden Almosenkasten für die Armen fallen zu lassen. Diese Armen waren aber ich und meine Gemahlin, Königin Krikikara.

Da ich nun manche stille Liebhabereien hatte, von denen ich nichts merken lassen wollte, meine etwas geizige Gemahlin mich aber sehr knapp hielt, so mußte ich noch auf andere Mittel sinnen, meine Finanzen zu verbessern. Unter andern errichtete ich eine königliche Hof-Staats-Kegelbahn und lud die Hof-Cavaliere und reichsten Männer der Stadt jeden Nachmittag zu einer Partie Kegel ein. Kam nun an mich die Reihe, so war durch eine leicht anzubringende Vorrichtung dafür gesorgt, daß stets alle Neun fielen. Der Geheime Ober-Hof-Kegeljunge war natürlich in meinem Geheimniß, und so strich ich, neben dem gewonnenen Einsatz, auch noch den Zoll der Bewunderung für meine Geschicklichkeit mit großer Gemüthsruhe ein. Außerdem veranstaltete ich Abends Kartenpartien, hatte aber durch die Ständeversammlung ein Gesetz sanctioniren lassen, wonach ich als Gemahl der Königin für Lebenszeit das Privilegium haben sollte, stets aus meiner Karte Trumpf zu machen, auch nicht Farbe bedienen zu müssen wie meine Mitspielenden. So fehlte es mir nie an Taschengeld für meine menus plaisirs.

Endlich sollte ich auch Vaterfreuden genießen. Meine Gemahlin machte mir eines Tages die Freude, mich mit Zwillingsprinzen zu beschenken, von denen der eine auf der ganzen rechten Seite und der Andere auf der ganzen oberen Hälfte seines Körpers das reinste europäische Weiß zeigte. Also doch endlich, außer mir, etwas Weißes in dieser pechschwarzen Menschennatur! Und die Natur – soll ich sie Mutter nennen? – also »Mutter Natur« hatte dieses Halbirungssystem an dem ersten so consequent durchgeführt, daß selbst sein Haar davon keine Ausnahme machte, sondern auf der linken Seite das üppigste lockige Mohrenhaar, auf der rechten Seite das langgeschlichtete blonde der Nord-Europäer blicken ließ. Was mich betrifft, so bin ich in ästhetischer Beziehung für alles Blonde. Die berühmtesten Maler haben von jeher alle Teufel mit schwarzen, alle Engel mit blonden Haaren dargestellt, und eben darum verehre ich auch in mir einen Engel, weil ich von »Mutter Natur« mit blonden Haaren geschmückt worden bin, so daß mich von den Raphaelschen Engeln nichts weiter unterscheidet als – der Schnurrbart.

Meine Prinzen waren ohne Zweifel eine merkwürdige Spielart und zwar in doppelter Beziehung. Die Natur hatte mit ihnen gespielt, und sie spielten mit der Natur. Ich werde ewig der schönen Stunden gedenken, wo sie um mich im milden Strahle der afrikanischen Sonne im Sande herum krabbelten, der hinlänglich warm war, um ihr Wachsthum und ihre Entwickelung zu befördern. Sie schossen beide so schnell auf, daß ich sie nicht bloß wachsen sehen, sondern sogar wachsen hören konnte und eine eigene Preßmaschine erfinden mußte, um ihrem Wachsthum wenigstens einigermaßen Einhalt zu thun. Kein idyllischeres Bild, als wenn ich, meine kurze Pfeife schmauchend, mit den königlichen Buben im Sande mich wälzte, denn ich hatte mich an die afrikanische Sonne gar bald so gewöhnt, daß mir schon der leiseste Schatten einer Dattelpalme das Gefühl empfindlicher Kühle verursachte. Wurde mir aber die Hitze zu arg, so zog ich meinen Pelz aus Fischotter an; denn theoretisch genommen, dachte ich, müsse ja ein Pelz eben so gut die Hitze abhalten, wie er die Kälte abhält, und in praktischer Anwendung bewies sich meine Theorie auch als vollkommen richtig.

Die Zwillingsprinzen mochten bereits vier Jahre alt sein (und in dieser Beziehung überholte Keiner den Andern), als der der Länge nach Halbirte – Tobacco war sein Name, Pfeiffio hieß der andere – des einen Tags schreiend nach der Tabakspfeife verlangte, um selbst einige Züge gegen die Sonne zu dampfen. Da ich ihm seine etwas stürmisch vorgetragene Bitte abschlug, wurde der kleine Kerl ganz ungebärdig, stampfte mit den Füßen und warf sich zuletzt auf die Erde, mit Beinen und Händen in den Lüften arbeitend. Zu meiner Ueberraschung sah ich seine weiße rechte Seite immer gelblicher werden, und als er endlich sich beruhigt hatte und wieder vom Boden aufstand, da hatte ich die Bescheerung! Seine weiße rechte Seite, das Haar auf derselben Seite mit inbegriffen, war vor Aerger gelb geworden wie eine Citrone: er war schwarzgelb!

Bis dahin hatten sich die beiden Prinzen prächtig vertragen. Damit war es nun vorbei. Sie lagen sich nicht mehr wie früher in den Armen, sondern in den Haaren. Keiner gönnte mehr dem Andern etwas. Um jede Cocosnuß, um jede Dattel, um jedes Reismüßchen gab es Keilereien im großartigsten Style. Schwarz-Weißer! rief Tobacco dem Pfeiffio, Schwarz-Gelber! Pfeiffio dem Tobacco zu. Abtrünniger! ich will dir dein Gelb schon ausklopfen! schrie Pfeiffio. Schändlicher! ich will dir dein Weiß schon vergelben! schrie Tobacco – und alsbald drosch Pfeiffio auf das Gelb des Tobacco, und Tobacco auf das Weiß des Pfeiffio los. Hatten sie so lange auf einander losgeschlagen, bis Pfeiffio an der obern weißen und Tobacco auf der rechten gelben Hälfte ganz blau waren, dann umarmten sie sich und waren für eine kurze Zeit die besten Freunde.

Dies war der Stand der Angelegenheiten, als mein Stiefsohn (ich habe vergessen zu sagen, daß meine Gattin bereits in erster Ehe einem Prinzen das Leben geschenkt hatte), ein langer, ungeschlachter pechschwarzer Bursche von seiner »großen Tour« durch Central-Afrika nach der Burg seiner Väter zurückkehrte, um, da er mündig geworden, nach dortigem Landesgesetz die Zügel der Regierung selbst in die Hand zu nehmen. An diese Rückkehr des Prinzen Känkrino knüpften sich, wie sich denken läßt, neue Verwickelungen und neue Intriguen. Prinz Känkrino war gar nicht sehr erbaut davon, zwei mit vieler Intelligenz begabte und schon ziemlich aufgeschossene Prinzen vorzufinden, von deren Dasein er bis dahin noch keine Ahnung gehabt. Ich unterließ begreiflicherweise nicht, meine beiden Sprößlinge gegen den Prinzen Känkrino aufzuhetzen, und sie begriffen sehr schnell, daß es ihr gemeinsamer Vortheil erheische, gegen dieses uns Allen sehr wenig angenehme pechschwarze Familienglied zusammenzuhalten und nach dem Grundsatz »viribus unitis« zu verfahren. Mit ihrer Unterstützung – indem sie die Lieblinge der Mutter waren – gelang es mir auch, den Huldigungstag von Monat zu Monat aufzuschieben, worüber Prinz Känkrino mir bitter zu schmollen begann. Bald theilte sich auch die ganze Bevölkerung des Reichs in zwei Parteien, in die Beutelisten und die Känkrinisten, d. h. in die constitutionelle und die absolutitische Partei.

Inzwischen hatte ich mit der schon genannten Tänzerin Rosa de Tepita eine Art Verhältniß angeknüpft, ohne mir dabei etwas Arges zu denken. War ja doch Fritz Beutels Treue schon unter den Marketenderinnen der französischen Armee in Algier sprichwörtlich geworden! Aber ich wußte von Europa her, daß es gewissermaßen zu den nothwendigen Erfordernissen großer Herren gehört, »noblen Passionen« zu huldigen und hochgefeierten Künstlerinnen, welche der Oeffentlichkeit angehören, den Hof zu machen.

Dieses unschuldige, nur als cavaliermäßige Ehrensache betriebene Verhältniß wurde mein Verderben. Der abscheuliche, Rache brütende Prinz Känkrino setzte meine königliche Gemahlin davon in Kenntniß. Er war dahinter gekommen, daß ein in der Staatszeitung anonym erschienenes Gedicht an Rosa de Tepita von mir verfaßt sei.

Welcher Eifersucht ein Mohr fähig ist, weiß man aus Shakespeare's »Othello«. Aber nun gar die Eifersucht einer Mohrin, einer schwarzen Königin!

Um es kurz zu machen, wie es auch Krikikara machte: ich wurde auf ihren Befehl in Ketten gelegt und, mit den beiden Prinzen in den Armen (so weit ging die Rachsucht des zornigen, seiner Sinne nicht mehr mächtigen Weibes!) auf die Zinne des großen Pulverthurms gesetzt, die Lunte angelegt und –

Dreihunderttausend Centner Pulver nebst diversen Shrapnells, Kartätschen, Raketen, Granaten, Kanonenkugeln und Bomben zischten, prasselten, donnerten, blitzten, flammten wie ein höllisches Feuer um mich her, so, daß ich nur noch so viel Zeit und Besinnung hatte, auf die Menschenmenge, die Königin, die Stadt zu meinen Füßen einen Blick der Verachtung zu werfen und schaudernd zu erkennen, wie die Stadt über einander stürzte und Tausende von Menschen, die Königin sammt ihrem ränkevollen Sohne voran, mit zerrissenen Gliedern gegen den Himmel flogen – weit über meinen Kopf hinweg, den ich auch unter solchen Umständen nicht verlor!

Man hatte nicht daran gedacht, daß der Thurm mit einer Platte gedeckt war aus einem Metall, welches von keiner elementarischen Macht zu zerstören ist. Dieses Metall wird nur dort zu Lande gefunden, wie so manches Andere auch.

Diese umfangreiche Metallplatte wurde zwar einige Meilen hoch in die Luft geschleudert, widerstand aber der Gewalt des Pulvers, und trug mich wie ein Luftballon nach dem etwa hundert Stunden entfernten Königreiche Macomaco. Dort ließ sich die Platte nieder.

Meine unverwüstliche Körperconstitution hatte auch dieser furchtbaren Katastrophe widerstanden; ach, aber meine Prinzen waren, zartnerviger wie ich, von dem ungeheuren Luftdruck und dem die Sonne selbst erstickenden Dampf in meinen Armen getödtet! Das minutenlange Erlöschen der Sonne hat man damals in Europa einer Sonnenfinsterniß zugeschrieben, welche der Kalender anzuführen vergessen habe.

Etwas schwarz geräuchert, aber bei vollkommener Besinnung stieg ich, auf dem Boden angekommen, mit einem deutschen »Donnerwetter, das ging über den Spaß!« von meiner Metallplatte. Wie war ich überrascht, als plötzlich ein Herr im schwarzen Frack auf mich zutrat und mir ein Blatt Papier entgegenhielt mit den Worten: Mein Herr! Sie sprechen deutsch? Oh bitte, bitte! abonniren und pränumeriren Sie doch gefälligst auf ein neues Theaterjournal, welches in Hamburg erscheinen wird und wofür ich in Afrika Abonnenten sammle! Aber, mein Herr – Vorausbezahlung auf ein Jahr!


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