Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Eine Philosophie der Theatergeschichte würde auch eine Philosophie der Weltgeschichte sein; denn jene ist nur das, was die Weltgeschichte hinter den Ohren hat.

Hegel.

Wohin man im Völkerleben auch tritt, überall tritt man auf gebrochene Eide und Verträge, gebrochene Arme und Beine, gebrochene Augen sammt Balken und Splittern darin, gebrochene Hälse und Herzen. O, Wanderer, du denkst auf einen Pflasterstein zu treten, und du trittst vielleicht auf ein Herz, das du selbst gebrochen hast.

Jean Paul.

Unerwarteter ist mir niemals eine Frage gekommen als die, mit der ich in diesem Augenblicke überrascht wurde. Wer denkt auch in einem solchen Augenblicke an ein Hamburger Theaterjournal oder gar an Vorausbezahlung!

Meine Ueberraschung wurde noch dadurch vermehrt, daß mir die Stimme bekannt vorkam. Ich rieb mir einige Pulverkörner aus den Augen, betrachtete meinen Mann näher, und erkannte in ihm meinen alten Freund.– Peter Silje!

Peter! rief ich, bist du wie ich ein Niederschlag der Luft oder ein Gebilde des Abgrunds?

Er erkannte mich an meiner Stimme, stand einige Augenblicke steif wie Loth's Weib, als sie zur Salzsäule erstarrte, und sagte dann:

Ein solches Wiedersehen hier in Afrika! – So Etwas kann kein Romanschreiber erfinden, so Etwas kann nur erlebt werden! Als ich dich so herunterfahren sah, glaubte ich einen Luftfahrer zu erblicken, der sich auf einem Fallschirme herabließe, und ich meinte, der würde schon aus Freude über seine glückliche Fahrt pränumeriren.

Nachdem wir uns von unserem Erstaunen erholt, theilten wir einander unsere letzten Lebensschicksale mit. Die seinigen waren sehr einfach. Nach jener schändlichen Emeute, die mich aus Schnipphausionopolis vertrieb, hatte sich auch Peter Silje in dieser Stadt nicht mehr als Journalist halten können. Er hatte unsere Druckerei und den Minotaurus verkauft und sich wieder nach Deutschland eingeschifft. In Hamburg war er mit einem Literaten und einem Drucker bekannt geworden, welche sich zur Herausgabe eines neuen Theaterjournals verschworen hatten und in ihrem Auftrage bereiste er nun die afrikanischen Staaten, um, wie die Leser bereits wissen, hier Pränumeranten zu sammeln.

Ich fragte ihn, wie das Geschäft hier ginge? und er zeigte sich damit sehr zufrieden. Es sei, versicherte er, in diesen Ländern viel mehr Bildung und Interesse am Theater vorhanden, als er geglaubt habe, Centralafrika besitze mehrere kunstliebende Fürsten, von denen einzelne gleich auf hunderte von Exemplaren pränumerirt hätten, um sie unter ihre Unterthanen vertheilen zu lassen, weßhalb er auch vorhabe, Ausgaben des Journals in den Hauptsprachen Centralafrika's zu veranstalten. Namentlich rühmte er die Kunstliebe des Sultans von Macomaco, auf dessen Gebiete wir uns gerade befänden. Dieser kunstsinnige Fürst halte sogar eine italienische Oper, sei leider gerade verreist, werde aber in der nächsten Zeit zurückerwartet. Diese Mittheilungen interessirten mich sehr, und ich fragte, warum Se. Majestät verreist sei.

Ach, erwiederte er, die berühmte Sängerin Angela Clabasteroni war ihm durchgebrannt, und da ihn noch andere Interessen als das Interesse an ihrer Stimme an sie fesseln, so ist er ihr nachgereist, um ihrer wieder habhaft zu werden. Die Clabasteroni war nämlich mit dem Prinzen eines benachbarten Hofes durchgegangen, nachdem der König von Macomaco ihre Todfeindin und jüngere Rivalin, Miranda Cleisterazzi, engagirt hatte.

Das sind ja recht artige Sachen, sagte ich. Wer ist denn der benachbarte Prinz?

Er ist vom Stamme der Nebus, jener geschwänzten Neger, von denen auch in europäischen Journalen die Rede gewesen ist. Man glaubt, es werde wegen dieser Angelegenheit zu einem Kriege zwischen dem Königreiche Macomaco und dem der Nebus kommen. Nun, du wirst die letztern ja auch kennen lernen!

Und ob! erwiederte ich.

Im Uebrigen, fuhr Peter Silje fort, soll der Sultan von Macomaco ein Landsmann von uns sein, weßhalb seine Vorliebe für Tänzerinnen und Sängerinnen wohl erklärlich ist. Denke dir nur, der Sultan von Macomaco ein geborner Deutscher!

Nun, erwiederte ich, wir sind ja auch geborne Deutsche. Es ist freilich wunderlich genug, als Deutscher geboren zu werden; aber was hilft's? Man muß sich auch in dieses Unglück zu schicken wissen. Man kann ja doch einmal nicht aus seiner deutschen Haut, die gemeinhin auch ehrlich ist, herausfahren, und wenn man sechs Gäule vorspannte; ich hab's versucht, aber es ist das Einzige, was mir nicht gelungen ist. Doch, lieber Peter! fuhr ich fort, fällt dir denn gar nichts ein?

Was sollte mir einfallen? antwortete er; seit ich aus den Vereinigten Staaten fort bin, ist mir nichts eingefallen als etwa meine Backen. Es fehlt sonst überall die rechte Luft zum Schwindel.

Wir wollen auch nicht schwindeln, lieber Peter! sagte ich, das sei fern von uns; wir wollen vielmehr ein höchst ehrliches und solides Geschäft unternehmen, wir wollen ein Centralorgan für die mittelafrikanischen Theaterangelegenheiten gründen. Wir schicken alsdann den Pränumeranten, die du auf das Hamburger Theaterjournal gesammelt hast, das unsrige zu, und es wird ihnen gewiß willkommen sein, mehr von den afrikanischen Theatern als vom städtischen Theater und dem Thaliatheater zu Hamburg zu lesen.

Peter Silje gab zu, daß der Gedanke ein sehr vortrefflicher sei, und wir beschlossen, sofort nach der Hauptstadt von Macomaco aufzubrechen, um hier die nöthigen Schritte zu thun.

Wir bestiegen daher das einhöckrige Kameel, mit dem Peter Silje die centralafrikanischen Staaten beritt, und galoppirten geradeswegs auf die Hauptstadt los, in der wir am dritten Tage eintrafen und das vornehmste Hotel, das »zum feinen Leipziger«, als Absteigequartier wählten. Mein erstes Geschäft war hier, die Leichen meiner beiden unglücklichen verschrumpften Prinzen in Spiritus zu setzen, um meiner Vaterpflicht Genüge zu thun, sie dem dortigen Museum zu schenken, wo sie sich wahrscheinlich noch befinden, und mich dann zu dem Hofbuchdrucker zu begeben und mit ihm das Nöthige über unser Theaterjournal zu verabreden.

Acht Tage darauf erschien die Probenummer unter dem Titel: »Plauderalia; Centralorgan für die mittelafrikanischen Bühnen«. Das Blatt fand auch allgemeinen Beifall und war bald in allen gebildeten und auch sehr vielen ungebildeten Familien Mittelafrika's eingeführt. Peter Silje besorgte die technische Leitung und ich die Redaction, und da ich die meisten Artikel selbst schrieb, so kann man sich denken, daß die»Plauderalia« außerordentlich pikant war und namentlich auch von mir mit größtem Interesse gelesen wurde. Ich hatte, zumal im Hinblick auf die möglichen Verfolgungen von Seiten Frankreichs, Gründe genug, meine Pseudonymität zu wahren und nannte mich als Oberredacteur Hugo von Moorbrand.

Begreiflicherweise ließen es sich die Mitglieder der italienischen Oper und des afrikanischen Schauspiels sehr angelegen sein, meine Gunst zu gewinnen, denn ich führte eine sehr scharfe, spitzige Feder gegen Alle, welche sich meine Ungnade zugezogen hatten. Signora Cleisterazzi verfertigte mit eigenen Händen für mich einen kostbaren Teppich (wenigstens war er durch ihre Hände gegangen, denn sie hatte ihn, wie ich später erfuhr, im vornehmsten Waarenmagazin der Stadt gekauft), Signora Lispelini schenkte mir ein herrliches Ruhekissen, der Tenorsänger Fistolani ein silbernes Schreibzeug, der Baritonist Brülloni eine Busennadel mit Brillanten und der Bassist Brummanti eine goldene Feder. Fräulein Cleisterazzi ging später noch weiter, sie schickte mir von jeder neuen Oper das Textbuch zu, und beim Durchblättern, fand ich immer zwischen je zwei Seiten einen preußischen Fünfzigthalerschein. Ich habe niemals ein Buch mit so großem Vergnügen durchgeblättert als diese Textbücher.

Man spreche hier nicht von Bestechlichkeit! die Welt kennt zu wenig die Mühen und den Zeitaufwand eines Theaterrecensenten. Drei und mehr Stunden Abends im Theater zubringen und Stücke zum zwölftenmal ansehen zu müssen, die man schon beim ersten Male satt hatte, dann nach dem Theater bis in die Nacht mit Schauspielern und Literaten schmausen und zechen zu müssen, was sich gar nicht umgehen läßt, am andern Morgen Kopfweh zu haben und doch genöthigt zu sein, eine Recension zu schreiben, hierauf einer oder der andern Sängerin oder Schauspielerin die Aufwartung machen oder mit den Zechgenossen von gestern ein Frühstück einnehmen zu müssen, was wieder Geld und Zeit kostet – in der That, es gibt kein mühevolleres, aufreibenderes und kostspieligeres Leben! Wie soll man diesen Aufwand mit dem bloßen Honorar für Recensionen bestreiten? Die Welt sollte doch wenigstens so viel einsehen, daß solche Geschenke nicht in die Kategorie der Bestechungen fallen, daß sie nur eine Entschädigung sind für den Verlust an Zeit und Geld, welchen das Geschäft eines Theaterreferenten nothwendig mit sich bringt!

Sprechstunden waren bei mir nur gegen ein Eintrittsgeld zu erhalten. Eine Viertelstunde kostete fünf Piaster, eine halbe das Doppelte und so fort. Ich erreichte dadurch meinen Zweck: von den mich besuchenden Schauspielern nicht allzulange durch Erörterungen über ihre Auffassung dieser oder jener Rolle oder durch langweilige Klagen über die Intriguen und Schlechtigkeiten ihrer Collegen belästigt zu werden. Sie beschränkten sich meist nur auf das Nöthigste, verwandten keine Blicke von der Uhr, und empfahlen sich in der Regel genau mit dem Ablaufe einer Viertelstunde. Ich empfehle diese vortreffliche Einrichtung allen deutschen Theaterreferenten, denn wer kann ihnen zumuthen, ihre kostbare Zeit den »Mimen« zu opfern und sich von ihnen langweilen zu lassen?

Inzwischen befand sich Sultan Piesacko sammt seinem ganzen Ministerium noch immer in der Hauptstadt der Nebus, um die Auslieferung der Clabasteroni zu betreiben. Diplomatische Noten wurden gewechselt und die wichtigsten geheimen Conferenzen gehalten, von denen nur Einzelnes ins Publikum gelangte. Der Portier des Palastes, in welchem die Conferenzen stattfanden, war eine wichtige Person geworden, denn Jedermann wandte sich an ihn, um Auskunft zu erhalten. Nach seinen Mittheilungen sanken oder hoben sich die Actien, wurde auf der Börse auf die Hausse oder Baisse speculirt. Beide Reiche befanden sich in der größten Aufregung; die Gewerbe stockten; die Capitalien wurden zurückgehalten; die bedeutendsten Unternehmungen wurden fallen gelassen; denn Niemand wußte, was der nächste Augenblick bringen werde. Der Nebu-Prinz Marabu hatte der Clabasteroni die Ehe versprochen, wie man eben in schwachen Augenblicken so etwas verspricht, und das ehrgeizige Weib glaubte ihm und weigerte sich, nach dem Königreich Macomaco zurückzukehren. Als Sultan Piesacko einsah, daß er auf dem Wege der Unterhandlungen seinen Zweck zu erreichen keine Aussicht habe, entschloß er sich kurz, überfiel mit den Seinen und unter Beihilfe einiger bestochenen Nebus nächtlicherweile die Clabasteroni, ließ sie, wie sie war, von ihrem Lager reißen, sie auf gut afrikanisch knebeln, dann auf ein Dromedar setzen, und fort ging es mit ihr unter dem Schleier der Nacht der Grenze von Macomaco entgegen.

Diese Gewaltthat erregte unter den Nebus und unter den höchst zahlreichen Prinzen ihres Herrschergeschlechts eine furchtbare Erbitterung. Sie begannen zu rüsten, und auch Macomaco rüstete. Aber vorher wurde, wie dies gebräuchlich, noch einmal der Weg der Güte versucht. Es folgte ein Ultimatum nach dem andern, endlich ein Ultimatissimum, dann noch eins, dann ein drittes, viertes, bis es auch die Ultimatissima auf ein volles Dutzend gebracht hatten.

Hierüber verstrich ein ganzes Jahr und die Theaterangelegenheiten des Reiches Macomaco hatten Zeit genug, sich aufs Glänzendste zu entwickeln; denn auch das unheilvolle Zerwürfniß zwischen der Clabasteroni einerseits und dem Sultan Piesacko andererseits hatte sich im Laufe der Zeit ausgeglichen. Zwar weigerte sich die Clabasteroni Anfangs aufs Entschiedenste, wieder aufzutreten und zu singen, und sie mußte das erstemal sogar von sechs Grenadieren mit geladenen Gewehren ins Theater escortirt werden. Der Himmel weiß, wozu es noch gekommen wäre, wenn ich mich nicht zufällig in der Damengarderobe befunden hätte. Hier hatte ich nämlich Zutritt, um die Schminkkunst, die Methode der Damen beim Anlegen der Kleider und andere Geheimnisse der Kunst und naiven Weiblichkeit gründlich zu studiren, wie dies ja wohl für einen Theaterreferenten nothwendig ist. Als Signora Clabasteroni mich erblickte, warf sie mir sofort einen der feurigsten Blicke zu, die je das Herz eines Mannes mit Brandwunden bedeckt haben, und erklärte plötzlich zum Erstaunen Aller und namentlich der sechs Grenadiere, die sie immer noch gepackt hielten und sogar den Befehl hatten, hinter ihr auf der Bühne aufzumarschiren: Ich ergebe mich freiwillig, ich werde singen, ich werde hierbleiben! Einen solchen Eindruck hatte ich auf dieses nur zu empfängliche Wesen gemacht! Sie sang auch diesen Abend meisterhaft und entzückender, als sie jemals früher gesungen hatte; und ich wußte, daß ihr Gesang eigentlich mir gelte.

An diesem Abend erblickte ich auch zum erstenmal den Sultan Piesacko in seiner Loge. Er hatte allerdings ganz deutschen Typus und Gesichtsschnitt, auch kein Wollenhaar wie die Mohren, sondern schlichtes, und konnte hiernach wohl als ein Deutscher angesehen werden. Was mich aber wieder irre machte, war die ganz negerhafte Schwärze seines Gesichts und seiner Hände. Das konnte denn doch wohl kein Deutscher sein. Nichts destoweniger brachte mir seine Erscheinung unwillkürlich eine alte Jugendfreundschaft, die mit Hans von Piesack, ins Gedächtniß. Und dieser Sultan hieß Piesacko!

Am folgenden Morgen hielt an der Thür meiner Wohnung ein mit vier prächtigen Antilopen bespannter Wagen, aus Elfenbein höchst zierlich gearbeitet und innen vergoldet. Es war ein Geschenk der Clabasteroni, die mich zugleich zu sich einladen ließ. Man kann sich denken, daß ich meinen Bericht über die Leistung der Clabasteroni ganz nach dem Werthe eines so kostbaren Geschenks einrichtete; denn eine Liebe ist der andern werth. Den Zorn der Cleisterazzi konnte ich verschmerzen, da ich einsah, daß ihre Rivalin sie an Freigebigkeit noch weit übertraf.

Ich verfehlte auch nicht, der Clabasteroni meine Aufwartung zu machen, und schon bei meinem zweiten Besuch legte sie mir Einiges sehr nahe, wonach ein Anderer, der unbesonnener als ich gewesen wäre, ohne Bedenken zugelangt hatte. Indeß da ich wußte, wie sehr neuerdings Sultan Piesacko für die Signora schwärmte und ich ja erst vor Kurzem in Tombuktu erfahren hatte, wie gefährlich es sei, die Eifersucht eines Negerherzens rege zu machen, so that ich als ob ich zu unschuldig sei, ihre Anspielungen zu verstehen, was der Hexe in Anbetracht meines ellenlangen Schnurrbarts ohne Zweifel höchst auffällig sein mußte.

Endlich aber sollte es in Folge eines höchst unerwarteten Ereignisses zwischen uns zum Bruche kommen.

Eines Abends sitze ich in meinem Arbeitszimmer (meine Wohnung befand sich in einem sehr alterthümlichen, thurmartigen Gebäude, welches einen Theil der Befestigungswerke bildete) und meditire über den Charakter des Hamlet. Da höre ich gerade unter meinen Füßen ein starkes Pochen. Ich erschrecke, denn so etwas hat zur Mitternachtstunde immer etwas Unheimliches. Plötzlich fühlte ich unter meinen Füßen sogar das Getäfel des Bodens sich heben. Jetzt erst bemerkte ich, daß meine Füße auf einer Fallthüre ruhten, die mit Gewalt aufgedrängt und gehoben wurde. Ich vermuthete einen Ueberfall und glaubte, daß die Clabasteroni Bewaffnete abgeschickt habe, um mich mit Gewalt entführen, wo nicht gar aus Rache für meine Kälte morden zu lassen. Indeß hatte diese Befürchtung, die mich schon nach meinen Waffen greifen ließ, sehr bald ein Ende, da ich in demselben Augenblick unter mir ein schmerzliches Stöhnen und von weiblichen Stimmen die Worte vernahm: O, Fritz, Fritz! all dies Unglück hast du angerichtet!

Man stelle sich mein Erstaunen vor! Sofort spring' ich auf und helfe dem unbekannten Geschöpfe die Fallthüre öffnen. Aus dem Abgrunde steigt nun ein schwarzes aber holdes Wesen, das, furchtbar abgemagert, erschöpft, am Körper blutig geritzt, dennoch einige graciöse Pirouetten und Beinschwenkungen vor mir zu machen sucht. Es war Rosa de Tepita, die Tänzerin! Das Tanzen war ihr so zur zweiten Natur geworden, daß sie nicht umhin konnte, sogar in diesem verzweifelten Zustande ihre Freude, mich wiederzusehen, durch Pas und Beintriller auszudrücken.

Holde Rosa! sagte ich, Sie sind entsetzlich angegriffen; Sie müssen fürchterlich geduldet haben! Ruhen Sie sich aus!

Wie gebrochen sank sie in die Ecke des Divans nieder; sie konnte nicht mehr sprechen; sie wies mit schmerzlichen Geberden nur auf die Magengegend. Ich begriff die Bewegung: das arme Geschöpf wurde von gräßlichem Hunger gequält.

Ich richtete ihr also, so schnell es ging, auf meiner Kochmaschine einige Beefsteaks zu, und nachdem sie etwa ein halbes Dutzend verzehrt und eine Flasche Wein dazu getrunken hatte, fühlte sie sich des Gebrauchs ihrer Sprache wieder mächtig.

Dem Himmel sei Dank! sagte Rosa, daß ich Sie wieder finde, lieber Fritz. Sie sind also auch der fürchterlichen Katastrophe von Tombuktu entgangen? Darf ich fragen wie?

Davon später, himmlische Rosa! erwiederte ich; es scheint mir der gegenwärtigen Situation entsprechender, daß Sie zuerst erzählen, was sich mit Ihnen zugetragen hat. Mein Schicksal kommt gegen das Ihrige gar nicht in Betracht.

Rosa erzählte mir nun, daß Sie auf Befehl der Königin Krikikara in ein unterirdisches Verließ hinabgelassen worden sei, ohne Nahrung, ohne Licht und ohne Luft. Nicht lange darauf habe sie ein Geprassel gehört wie von tausend über einanderstürzenden Gebäuden, und sie habe sogleich geahnt, daß in diesem Augenblick Tombuktu untergehe. Durch diese Erschütterung hätten sich von der einen Seite des Verließes mehrere Quadersteine abgelöst, und es sei eine Oeffnung entstanden; sie habe der Oeffnung nachgetastet und sei in einen dunkeln niedrigen Gang gerathen, und weiter und immer weiter. Sie hätte geglaubt, der Gang müsse sie doch endlich ans Tageslicht führen, aber er habe kein Ende nehmen wollen. Ihren Hunger habe sie mit den Mauerschlangen gestillt, von denen es darin gewimmelt; es sei glücklicherweise eine jener eßbaren Schlangenarten gewesen, an deren Genuß man in Afrika gewöhnt sei. Mit der von den Wänden niederrinnenden Feuchtigkeit habe sie ihren Durst gestillt. Oft sei der Gang so niedrig gewesen, daß sie sich auf den Händen habe fortschleppen müssen, und oft so eng, daß ihre Haut blutig geritzt worden sei. Nur der Geschmeidigkeit ihrer Glieder habe sie es zu danken, daß es ihr gelungen sei, sich durch die schmalen Oeffnungen herabgefallener Steinmassen, die oft fast den Gang verstopft hätten, durchzuwinden. Monate lang müsse diese Wanderung gewährt haben, und schon habe sie verzweifeln wollen, als der Tunnel plötzlich viel geräumiger geworden und es zuletzt ein paar Stufen aufwärts gegangen sei. Endlich, mit den Händen nach oben tastend, habe sie Etwas wie eine hölzerne Thüre gespürt und sie könne nicht beschreiben, wie groß ihre Freude gewesen, als sich die Thüre, nachdem sie sich mit dem Aufwand ihrer letzten Kräfte gegen sie gestemmt, ein wenig gehoben habe und in die Finsterniß ein schwacher Lichtstrahl gedrungen sei.

So weit Rosa de Tepita. Die beiden Königreiche Macomaco und Tombuktu waren also in alter Zeit durch einen unterirdischen Gang verbunden gewesen, ich habe freilich nie erfahren können, zu welchem Zwecke. Aber die Thatsache selbst ist unbestreitbar, und Rosa de Tepita verdankt ihr ihre Rettung aus dem fürchterlichen Verließ, in dem sie ohne Zweifel hätte verschmachten müssen, da der Zugang dazu durch Massen übereinandergestürzten Mauerwerks gänzlich versperrt und menschliche Hilfe überhaupt nicht da war.

Rosa blieb nun bei mir wohnen, und ich kann nicht leugnen, daß es mir sehr angenehm war, wieder einmal weibliche Gesellschaft um mich zu haben. Ich erfüllte, so gut ich konnte, alle ihre Wünsche, und sie besorgte dafür meine häuslichen Angelegenheiten. Von ihren Drangsalen hatte sie sich bald durch tüchtige Kost wieder erholt und war bei aller Zierlichkeit ihrer Glieder wieder rund und üppig geworden, eine ächte Königin der Nacht.

Die Clabasteroni schäumte vor Zorn und Eifersucht, als sie von meinem Verhältniß zu Rosa Kunde erhielt! Einem solchen »Nachtstück der Menschheit« geopfert zu werden – soll sie gesagt haben – das könne sie nicht ertragen. Als ich dies hörte, ließ ich einen Aufsatz in die »Plauderalia« einrücken, worin ich die Vorzüge der schwarzen Schönheiten vor den weißen hervorhob und unter andern bemerkte: die Haut einer schönen Mohrin sei zwar schwarz wie Sammet, aber auch weich wie Sammet; die Haut einer Europäerin sei zwar weiß wie Leinwand, aber auch rauh wie Leinwand. Diese Bemerkung fiel wie ein zischender und platzender Schwärmer unter die weißen Sängerinnen. Signora Cleisterazzi und Signora Clabasteroni reichten sich versöhnt die Hände, und als ich bei der Theaterintendantur um ein Engagement meiner Rosa als ersten Ballettänzerin nachsuchte, gesellte sich ihnen die bisherige erste Ballettistin, Signora Tripellini, bei. In der That eine furchtbare Tripelallianz!

An ein Engagement meiner Rosa auf dem königlichen Hof- und Nationaltheater war nun nicht mehr zu denken. Ich gründete daher ein Sommertheater, auf welchem Rosa tanzte und sich so aufzunehmen und zu schwingen wußte, daß auch das Theater sehr bald in Aufnahme und Schwung kam, und dem königlichen Theater empfindliche Concurrenz machte. Um sich an mir zu rächen, näherte sich Signora Clabasteroni dem Sultan Piesacko immer mehr, bis sie mit ihm ganz Eins war und ihn so in die Gewalt bekam, daß er nach einer hübschen Nacht den Befehl ergehen ließ, das Sommertheater sollte sistirt werden und die »Plauderalia« zu erscheinen aufhören. Man sagt, daß ihm diese Angelegenheit mehr Unruhe gemacht und mehr Kopfzerbrechen gekostet habe, als das immer drohender sich gestaltende Verhältniß zu den Nebus.

Glücklicherweise kam der Sultan noch am letzten Abend, bevor das Sommertheater geschlossen werden sollte, auf den Einfall, unsere Vorstellungen zu besuchen, um doch das »Wunder der Hauptstadt«, meine Rosa, auch einmal gesehen zu haben. Sie bezauberte auch ihn, und wie! Er zerklatschte sechs Dutzend paar Glacéhandschuhe, nicht mehr und nicht weniger; so behauptete wenigstens der Hofgarderobenmeister, der freilich auch einige paar Handschuh mehr als der Fürst wirklich durch Klatschen zu Grunde richtete, auf Rechnung gesetzt haben mag.

Nach der Vorstellung ließ mich der Monarch rufen und sagte: Rosa excellent! gazellenhaft! Sommertheater bleiben! Plauderalia verboten sein!

Allerunterthänigst erlaubte ich mir zu fragen, warum die »Plauderalia« verboten sein solle.

Zu viel Opposition gegen das königliche Theater machen, erwiederte der Sultan. Kein Theater dabei bestehen! Letztes Mittel, die Polizei! Liberalste Intendanten zuletzt sich an die Polizei wenden! Fürchterlich schwer traitable Personen, die Clabasteroni und die Tripellini! Glaube, daß Rosa ein viel zarteres menschlicheres Gemüth! Kennen diese Signoras nicht, lieber von Moorbrand! Apropos! haben einen deutschen Namen! sind wohl gar selbst in der Verlegenheit, ein Deutscher zu sein?

Ach, erwiederte ich, entschuldigen Ew. Majestät! Wäre ich nicht ein Deutscher geboren, ich würde es mir niemals wieder gefallen lassen. Aber ich kannte die deutschen Verhältnisse nicht, als ich geboren wurde; sonst hätte ich Protest eingelegt.

Nichts von Protest! bemerkte der Sultan; Protest ein schlechtes Wort, verboten in meinen Reichen. Alles nehmen, wie's kommt, ohne Opposition, ohne Protest, selbst wenn man als Deutscher geboren wird. Nehme auch Alles wie's kommt! Bin auch als Deutscher geboren! Schickung! Hab's hingenommen. Sultan geworden – obschon ein Deutscher, sogar ein Schnipphausener!

Ein Schnipphausener! Mein Gott! dachte ich, sollte es dennoch wahr sein? Sollte dieser Sultan Piesacko kein anderer sein, als Hans von Piesack, der so tolle Streiche machte? Und er sieht so schwarz aus! Freilich hatte seine Aussprache der Macomaco-Sprache einen etwas fremdländischen, etwas deutschen Accent. Ich suchte in seinen Gesichtszügen zu lesen; diese Züge kamen mir allerdings bekannt vor, obschon sie mir durch die Jahre ein wenig verwischt zu sein schienen.

Majestät! Ein Schnipphausener? erwiederte ich; ich erlaube mir auch ein Schnipphausener zu sein, und was für einer!

Vielleicht Fritz Beutel? fragte der Sultan; der tolle Fritz, Sohn des Schulmeisters? Hab's schon lange gedacht. Schade! Bürgerlicher! was fängt man mit Bürgerlichen an! Von Moorbrand, allen Respect! Aber Fritz Beutel – wie vulgär! Fritze ohne von kann ich in meinen Staaten nicht brauchen!

Wer weiß, Majestät! antwortete ich; aber wie kommen Majestät zu der schwarzen Farbe?

Braucht Niemand zu wissen, erwiederte ziemlich ungnädig der Sultan Piesacko; indeß aus alter Kameradschaft: Einmal als Student bis über die Ohren in die Tinte gekommen; seitdem schwarz geblieben. Geheimnißvoller Naturproceß! Indeß langweiliges Gespräch! Blasirt sein, Alles langweilig finden müssen, schon als Staats- und Haremsbesitzer. Worte nur einzeln herausstoßen müssen – afrikanisch sultanmäßig. Uebrigens gemüthlicher wohlgeneigter Deutscher. Adieu!

Damit war ich verabschiedet. Kein Zweifel, dieser Sultan Piesacko war kein anderer als Hans von Piesack, der, Gott weiß auf welchem Wege hierher gekommen und Sultan von Macomaco geworden war. Ich habe auch nie etwas Näheres darüber erfahren können. Daß seine Haut auf die von ihm angegebene Weise ihre Negerschwärze erhalten haben sollte, ist schwer zu glauben; es gibt davon wenigstens kein zweites Beispiel. Vermuthlich hatte er irgend ein chemisches Geheimpräparat entdeckt, vermittelst dessen es ihm gelungen war, seine Haut so schwarz zu färben und nun als Mohr zu gelten. In der That schien mir seine Haut einen künstlichen Ueberzug wie von einer Art dick aufgelegter schwarzer Schminke zu haben; Peter Silje aber wollte behaupten, Piesacko stecke in einem feinen Futerale, das aus schwarz gefärbter Hausenblase verfertigt sei. Wie dem auch sei, ich fand es sehr abscheulich, seine ehrliche deutsche Haut zu einem bloßen politischen Zwecke so anzuschwärzen. Gerade weil wir Deutsche so weiß sind, daß wir wie die pure Unschuld aussehen, sollten wir auch um so mehr darauf bedacht sein, dieses Symbol unserer Unschuld unentweiht zu halten.

Was mich am meisten in Piesacko's Reden verdroß, war seine Behauptung, daß er mich als Bürgerlichen nicht brauchen könne. Warte nur, Piesack! dachte ich, die Zeit wird schon kommen, wo du zu deiner Beschämung einsehen wirst, wie sehr ich zu brauchen bin.

Und diese Zeit kam – sie kam früher, als ich glaubte.

Auch das zwölfte Ultimatissimum des Nebu'schen Cabinets war von dem macomaco'schen Hofe verworfen worden, und da jenes gleich bei dem ersten Ultimatissimum erklärt hatte, daß es die Verwerfung des zwölften als den unmittelbaren casus belli ansehen werde, so rückten die Schaaren der Nebus unverweilt ein und überschwemmten, da sie sehr zahlreich waren, das Reich Macomaco. Da Piesacko in der letzten Zeit den Kopf mit Theater- und Ballettangelegenheiten zu voll gehabt, hatte er versäumt, trotz der drohenden Lage, die dieser Situation vollkommen entsprechenden Vorkehrungen zu treffen, und unsere Truppen wurden in einer großen Feldschlacht besiegt, so daß sie, obschon sie nicht auf die Beine, sondern aufs Haupt geschlagen wurden, jene, nämlich die Beine, in eine überaus schnelle Bewegung nach rückwärts setzten. Flüchtig trafen unsere Vaterlandsvertheidiger in der Hauptstadt ein und mit ihnen fast zu gleicher Zeit die unabsehbaren Schwärme der Nebus vor den Thoren. Alles war in Bestürzung und Verzweiflung; ich allein blieb ruhig und gefaßt und dachte nur: warte, Piesack!

Ich ahnte, daß meine Zeit gekommen war. Und richtig, des einen Morgens, nachdem unsere Truppen den Abend vorher einen höchst unglücklichen Ausfall gemacht hatten, kam eine Deputation von Hofbeamten zu mir, die mir unter den tiefsten Bücklingen und dann knieend eine nagelneue, bereits mit vielen Orden gespickte Feldmarschallsuniform überreichten und mir den Befehl überbrachten, in dieser sobald als möglich vor dem Sultan zu erscheinen.

Des Zusammenhangs wegen muß ich hier erwähnen, daß ich in der letzten Zeit in Verbindung mit Peter Silje ein encyklopädisches Unternehmen begründet hatte, zu dem Zwecke, die Wissenschaften in Afrika zu popularisiren, wie schon aus den Titeln der einzelnen Werke: »Das Hegel'sche System in der Westentasche«, »das Ganze der Aesthetik im Knopfloche« u. s. w. hervorgeht. Einen Theil dieser Bibliothek bildete ein Werk: »Populäre Strategie und Taktik, erläutert an den Kriegsthaten Alexanders des Großen, Julius Cäsars, Friedrichs des Großen, Napoleons und Fritz Beutels«. Dieses Werk war vom Kriegsminister gelesen worden und hatte dermaßen seine Bewunderung erregt, daß er dem Sultan erklärte, wenn Einer das Reich Macomaco vom Untergange retten könne, so sei dies Fritz Beutel; leider aber werde dieser seltene General nicht zu haben sein. Er war nun sehr verwundert, als ihm der Sultan mittheilte, selbiger Fritz Beutel lebe gegenwärtig in Macomaco und sei kein Anderer als dieser Hugo von Moorbrand, wie sich der Verfasser auf dem Titel des Werkes nenne. Der Kriegsminister vergoß sofort einen unendlichen Strom von Freudenthränen, womit er mehrere Zuber füllte, und der Sultan sagte: Nicht weinen, lieber Minister! – Thränen nicht leiden können, die Clabasteroni mir genug Thränen vorgeweint habend – daher blasirt, abgestumpft! Der Minister fragte hierauf, ob Majestät beföhlen, die vergossenen Thränen wieder zurückzuweinen, worauf Piesacko lächelte und, hiervon überrascht, bemerkte: Doch noch lächeln können – trotz Blasirtheit!

Auf diese Weise kam ich in die Feldmarschallsuniform und in dieser in den kaiserlichen Palast.

Sultan Piesacko empfing mich in der größten Aufregung. Lieber Fritz! sagte er, gratulire zum Feldmarschall! Wieder einmal schön in der Tinte sitzen – noch schwärzer werden! Die schändlichen Nebus die Unverschämtheit gehabt, meine Truppen zu schlagen. Viel Gutes von dir gehört! Den Oberbefehl übernehmen! Haben mitsammen manchen Jugendstreich ausgeführt – jetzt von Neuem einen Streich führen gegen die Nebus.

Ich bemerkte, daß ich mit meinem Feldzugsplan bereits völlig im Reinen sei.

Schön! erwiederte Piesacko, aber mich bei dem Plane möglichst aus dem Spiele lassen. Schon genug zu thun haben mit der Clabasteroni und Cleisterazzi. Wieder einmal an einander oder vielmehr in einander gerathen sein, das heißt in die Haare. Maulschellen hinter den Coulissen – selbst in meiner Loge klatschen gehört; die Cleisterazzi ganz rothe Backen gehabt! Scandal das, empörender, welthistorischer Scandal!

Ew. Majestät Aufgabe, bemerkte ich, ist allerdings schwieriger als die meine. Ich getraue mir zu, mit den Nebus fertig zu werden, aber nicht mit diesen Weibern.

Siehst du, Fritz? sagte er, schmerzlich seufzend. Die Clabasteroni ein wahrer Teufel, aber ein schöner. Werde jedoch ein Exempel statuiren – sie nicht mehr singen, aber im Harem brummen lassen.

Ich fürchte nur, erwiederte ich, daß sie Ew. Majestät etwas Gehöriges vorbrummen wird.

Das ist's ja eben, antwortete er niedergeschlagen; müssen sehen, wie wir's machen. Schwere Regentenpflichten! Jeder Unterthan glücklicher als ich.

Ich fragte ihn, ob ich ihn von meinem Feldzugsplan unterrichten sollte. Er antwortete mit der Hand abwehrend: Nein! nein! keine Zeit haben! Einkäufe im Bazar machen – sonst keine Ruhe haben vor den Frauenzimmern. Und die Hand auf meine Schultern legend, fragte er: Lieber Fritz! wann die Nebus geschlagen sein?

Schon nach Ablauf von acht Tagen, versicherte ich, wird kein Nebus mehr vor den Thoren der Hauptstadt stehen; wie viele davor liegen werden, das kann ich freilich im Voraus nicht sagen.

Hab's immer gedacht, daß in dir was steckte. Sehr erkenntlich sein! Zulangen!

Hiermit öffnete er seine Chatouille, welche mit lauter Goldpiastern gefüllt war, und ich stopfte mir alle Taschen meiner Marschallsuniform damit voll. Mit dieser sehr glücklichen Wendung schloß unsere Unterredung.

Nun muß ich von einer Körpereigenthümlichkeit der Nebus etwas erzählen, worauf ich meinen Kriegsplan berechnet hatte. Es verlängert sich nämlich ihr Rückenwirbel in der Art, daß er in seiner Verlängerung einen ganz stattlichen, mehrere Fuß langen Wickelschwanz bildet, auf den sie nicht wenig stolz sind. Seine Spitze verzieren sie mit prächtigen Blumensträußen, und von der Wurzel bis zur Spitze schmücken sie ihn mit allerlei Zierrathen, Ketten, Ringen und (wer welche hat) Orden und Ehrenzeichen. Den Grad der Bildung beurtheilt man bei den Nebus nach dem Grade von Anstand, womit ein Nebu diesen Wickelschwanz zu tragen weiß. Sie schlafen daher, um diese ihre stolzeste Zierde nicht in Unordnung zu bringen, auf dem Bauche statt auf dem Rücken und zwar, wenn sie im Felde sind, reglementsmäßig immer zu Rotten von zwölf Mann in einer Reihe.

Auf diesen Gebrauch basirte ich meinen Kriegsplan. Es ist bekannt, daß in Mittelafrika während der Nacht ein sehr starker Thau fällt. Diesen hatte ich auf eine Methode, die mein Geheimniß ist, bevor er fiel, mit einem gewissen narkotischen einschläfernden Safte versetzt. In der auf den Abend, an welchem dieses von mir vollbracht war, folgenden Nacht schliefen die uns belagernden Nebus wie todt. Ich hatte nun sehr lange Scheeren verfertigen lassen, die je eine von vier Männern gehandhabt wurde, und begab mich mit einigen hundert Soldaten, die mit solchen Scheeren bewaffnet waren, in das feindliche Lager hinaus. Man kann sich das Uebrige denken. Schnipp! und zwölf Wickelschwänze der Nebus waren von jeder Scheere weggeschnippst. Hierüber erwachten sie freilich, und liefen, die blutenden Stellen, an denen früher ihre Wickelschwänze festgesessen hatten, mit den Händen zuhaltend, heulend und wie toll im Felde umher. Diese Operation gelang uns jedoch nur bei etwa der Hälfte des Heeres; denn von dem fürchterlichen Geheul der Verwundeten erwachten die Uebrigen aus dem Schlafe und griffen zu den Waffen. Wir mit unsern Scheeren machten nun, daß wir fortkamen, hatten jedoch noch Zeit, die abgeschnittenen Wickelschwänze zu sammeln und als Trophäen, die dann im Zeughause zu sehr schönen Garnituren längs der innern Wände benutzt wurden, in die Hauptstadt mitzunehmen. Mir war es gelungen, zwölf Generälen auf einmal die Wickelschwänze abzuknipsen und diese hingen von Orden und Ehrenzeichen so voll, daß immer zwei Mann je einen tragen mußten. Dies ist auch der Grund, warum die Generäle der Nebus sich zu Fuße nur sehr langsam fortbewegen können, und sich in Portechaisen, die sie aus Dresden beziehen, in die Schlacht tragen lassen.

Nach dieser glorreichen Kriegsthat waren wir den Nebus vollkommen gewachsen; denn die Hälfte des feindlichen Heeres war am folgenden Tage kriegsunfähig. Sie versuchten zwar noch einen Sturm, der aber vollständig abgeschlagen wurde, worauf die inzwischen von mir errichtete Straußengarde, ich auf meinem prächtigen Schlachtstrauß voran, die Flüchtigen bis zu dem Negerdorfe Quiquamqui verfolgte und bei dieser glänzenden Affaire noch eine große Zahl von Wickelschwänzen als Trophäen erbeutete.

Während dieser Verfolgung zeigte sich mir eine Fata Morgana der wunderbarsten elegischsten Art: ich erblickte mein Heimathdorf, in der Mitte die Kirche mit dem viereckigen hölzernen Thurme und der langen Spille darauf, das Herrenhaus sammt der gipsernen Eva- und Adamgruppe, das Wirthshaus des Dorfes, in dem ich mich so oft wohl und zuweilen auch übel befunden hatte, und auf dem Kirchhofe dreizehn frische Gräber, die in mir höchst traurige Gedanken erweckten. Elf Geschwister hatte ich, und wie Jedermann Vater und Mutter, ohne die einmal Niemand zum Menschen wird – das sind dreizehn Personen. Und gerade dreizehn Gräber! Ich wurde sehr melancholisch und eine unüberwindliche Sehnsucht nach meiner Heimath bemächtigte sich meiner.

Es war mir ein Trost, daß, sobald ich mich bei Gelde befunden hatte, niemals von mir versäumt worden war, mit den freundschaftlichsten Grüßen eine Geldsendung nach Hause zu machen, wie ich denn auch nach meiner Rückkehr nach der Hauptstadt von Macomaco sofort mit der nächsten Karavane eine beträchtliche Summe nach Schnipphausen abgehen ließ. Ach, ich mußte befürchten, daß diese Sendung die Meinigen nicht mehr am Leben treffen werde! Mein Herz blutete, denn ich bin immer ein liebender Sohn und ein treuer Bruder meiner Geschwister gewesen. Ganz gewiß, man kann sich in dieser Hinsicht auf mein Wort verlassen!

Nach diesem Siege wurde mir zu Ehren die Hauptstadt festlich erleuchtet; es wurde an demselben Abend ein Festspiel mit Gesang und Musik aufgeführt, wobei die Clabasteroni und Cleisterazzi genöthigt waren, zum Schluß meine Büste zu bekränzen; mich aber ernannte der Sultan Piesacko zum Fürsten von Quiquamqui und schickte mir zum Geschenk einen Schuppenpanzer, dessen Schuppen aus lauter Doppelgoldpiastern bestanden, ein Paar Rittersporen aus Gold, deren Räder jedes aus einem Piesackod'or (à 100 Thlr. preußisch an Werth) gebildet waren, und ein paar rothsammtne Beinkleider, zu beiden Seiten, wie die Weste, der Länge nach mit Diamantknöpfen besetzt. Ich hätte somit glücklich sein können, wenn jenes Fata-Morgana-Gebilde nicht mein Gemüth mit dem tiefsten Heimweh erfüllt hätte. Doch mußten noch einige besondere Vorfälle hinzukommen, ehe ich meinen Entschluß, Macomaco zu verlassen, zur Ausführung brachte.

Schon seit längerer Zeit bestürmte mich Rosa de Tepita, die mich wirklich liebte, mit dem Ansinnen, sie zu ehelichen; sonst könnte es, setzte sie hinzu, ein Unglück geben. Liebes Kind! erwiederte ich hierauf, du sagst, daß es ein Unglück geben könne, wenn ich dich nicht heirathe; ich aber sage, wenn ich dich heirathe, so gibt es gewiß ein Unglück. Im ersten Falle ist, nach deinen Worten, ein Unglück möglich, im zweiten Falle aber gewiß. Ich halte mich daher an das Gewisse und werde nicht heirathen. Wer zweimal den Hals gebrochen hat, hütet sich gewiß, ihn zum dritten Mal zu brechen. Ich will nun gar nicht behaupten, daß die Ehe nothwendig Halsbrechen nach sich ziehe, aber die Gefahr von Ehebrüchen liegt um so näher, und die sind in gewissem Sinne schlimmer als Halsbrüche; denn das Herz bricht darüber.

Das Herz bricht darüber! sagte Rosa bedeutungsvoll und ließ das Köpfchen hängen, wie eine Blume, deren Stengel geknickt ist.

Als ich eines Abends in meine Wohnung zurückkehre, fällt mir ein silberner Teller in die Augen mit einer Glasglocke darüber und einem Zettel daneben. Unter der Glasglocke lag – wer sollte es glauben? – ein mitten durchbrochenes menschliches Herz!

Schaudernd und ahnend ergreife ich den Zettel und lese die Worte:

»Geliebtester Fritz!

Deine grausame Härte hat mir das Herz gebrochen. Um Dich davon zu überzeugen, habe ich es mir aus meiner Brust herausgerissen und hinterlasse es Dir zur ewigen Erinnerung an Deine

Dich auch jenseits des Grabes fortliebende
Rosa de Tepita.

N. S. Entschuldige die Kürze dieser Zeilen, denn ich muß eilen, mich unter dem Palmenbaum hinter unserer Wohnung einzuscharren.«

Ich ließ sofort an der bezeichneten Stelle nachgraben, und da fand man denn unter einer Schicht Erde den Leichnam der armen Rosa. An der Stelle, wo sonst ihr zärtliches Herz schlug, klaffte eine weite Oeffnung, die sie sich, wie man deutlich erkennen konnte, mit eignen Händen in die Brust gewühlt hatte!

Oh, die brennende Aequatorsonne brütet ganz andere Dinge aus, als unsere kühle Schulweisheit sich träumen läßt!

Ich würde ganz melancholisch geworden sein, wenn nicht ein anderer Zwischenfall meine Gedanken von diesem traurigen Ereigniß abgezogen hätte.

In Algier hatte man nämlich Witterung erhalten, daß ich mich in der Hauptstadt von Macomaco befände, und mein Neider und Verfolger, der jetzige Generalgouverneur, hatte nicht versäumt, darüber nach Paris zu berichten. Die französische Regierung hatte sofort verfügt, daß eine militärische Gesandtschaft nach Macomaco geschickt werde, um meine Auslieferung zu fordern. Diese Gesandtschaft traf denn auch, uns ganz unerwartet, in der Hauptstadt ein; doch mit sehr gelichtetem Personal, denn die Hälfte desselben war während der Reise durch die Wüste in puren Schweiß aufgegangen.

Sultan Piesacko ließ mich zu sich bescheiden und Se. Majestät geruhten, ein sehr bedenkliches ungnädiges Gesicht zu machen. Vielleicht kam ihm auch diese günstige Gelegenheit, mich los zu werden, sehr erwünscht; denn meine steigende Popularität machte ihn eifersüchtig und besorgt.

Schöne Geschichten das! fuhr Piesacko mich an; mich mit Frankreich überwerfen! Deserteur sein! Gegen die Militärdisciplin gefrevelt! Das nicht gewußt haben! Immer noch dumme Streiche machen, wie in Schnipphausen! Nicht zu Verstand gekommen! Solche Abenteurer nicht reglementsmäßig sein in meinen Staaten!

Unter diesen Umständen glaubte ich ihm keinen Respect mehr schuldig zu sein, und ich erwiederte:

Hans! Sprich zu mir nicht in diesem Tone, oder bei den Manen meiner seligen Rosa und ihrem gebrochenen Herzen! ich kneble dir hier mit diesem meinem Barte die Kehle zu! Damit drehte ich meinen Schnauzbart in einer Weise, daß er nach jeder Seite um ein paar Schuh länger wurde.

An allen Gliedern zitternd wich Piesacko bei dieser Anrede und diesem Anblick vor mir zurück, und durch das schwarze Futteral, worin dasselbe auch bestanden haben möge, sah ich seine natürliche weiße Haut todtenbleich werden.

Beschwichtigend fuhr ich hierauf fort: Indeß sei ruhig, Genosse meiner Jugendstreiche! fürchte auch nicht, daß ich dir dein schwarzes Futteral vom Leibe ziehe und dich als Betrüger vor dem Volke hinstelle! Ich werde selbst gehen, freiwillig, und dich deinem Schicksale überlassen, das dich wegen der mir bewiesenen Undankbarkeit früher oder später ereilen wird!

Großmüthigste Seele! rief Piesacko, und wollte mir seine Hand reichen, die ich aber entrüstet von mir wies; nichts übel nehmen! nicht so böse gemeint haben! man so dhun, wie treffend Berliner sagt: Einmal Sultan sein, Majestät repräsentiren – daher kurz ab, bärbeißig! Freiwillig Macomaco verlassen wollen? Oh, aus den Marställen bestes Kameel zur Verfügung stellen! Ehrenescorte mitgeben! Reisegeld – Uebersiedlungskosten – mich nicht lumpen lassen.

Ich bin mir selbst genug und brauche deine Escorte nicht, erwiederte ich stolz; wenn ich übrigens gehe, so thue ich dies nicht, um Frankreich nachzugeben, sondern weil ich die Langweiligkeiten deines Nationalparlaments, über das du übrigens noch den Hals brechen wirst, unmöglich länger aushalten kann.

Dem Sultan Piesacko war nämlich in Folge des Sieges über die Nebus die stolze Idee gekommen, Wahlkaiser von Centralafrika zu werden; er hatte daher ein Parlament nach seiner Hauptstadt berufen und es hatten auch wirklich die unterworfenen Nebus und mehrere minder kleinere Staaten in der Nähe Repräsentanten geschickt. Die Wahlen waren jedoch gar nicht sehr im Sinne des Sultans ausgefallen; die meisten Repräsentanten gehörten vielmehr der ultrademokratischen Richtung an; sie waren roth über und über, durch und durch, und statt die Kaiserwahl sofort vorzunehmen und eine Verfassung aufzustellen, beriethen sie zuvörderst die centralafrikanischen Grundrechte. Ein halbes Jahr hatten sie bereits über den ersten Paragraphen: »Jeder Centralafrikaner hat das Recht zu existiren,« berathen, und es war keine Aussicht, daß sie damit binnen Jahresfrist zu Ende kommen würden. Denn es waren im Ganzen zu diesem Paragraphen vierundsiebenzig Amendements und hundertundachtundzwanzig Unteramendements eingebracht, und von diesen war erst das von einem reactionären Professor eingebrachte erste: »Kein Centralafrikaner hat das Recht zu existiren, wenn er nicht einen Existenzschein löst, zu welchem Zwecke eine Existenzschein-Ausfertigungsbehörde errichtet wird«, berathen und sammt einem Dutzend Unteramendements verworfen worden.

Ich selbst befand mich unter den Vertretern der centralafrikanischen Vereinigten Staaten und hatte es zugleich bewirkt, daß auch mein Bedienter zum Vertreter gewählt wurde, der seinen Platz neben mir einnahm. Während der sehr langweiligen Reden schlief ich, sobald es aber zur Abstimmung kam, mußte mich mein Bedienter wecken und ich stimmte dann beharrlich mit »Nein«, weil ich ja doch fest überzeugt sein konnte, daß das Amendement oder Unteramendement nichts taugte. Jedermann in der Hauptstadt politisirte und debattirte, selbst die Clabasteroni, jetzt die Favoritsultanin, und die ehemalige Cleisterazzi, jetzige Madame Peter-Silje-Cleisterazzi; kurz es war ein Zustand, der mir vollkommen unerträglich wurde, und meinen Entschluß, Macomaco zu verlassen, zur Reife brachte.

Vorher erlaubte ich mir noch einen niedlichen Scherz mit dem General, welcher an der Spitze der französischen Mission stand. Ich überfiel ihn in seinem Hotel mit einer Schaar meiner Getreuen, steckte ihn in einen Sack, der sofort oben zugebunden wurde, und drohte ihm, falls er sich rühre oder einen Laut von sich gebe, ihm sofort eine kräftige Bastonnade ertheilen zu lassen.

In diesem Sacke brachte ich ihn nach einer nahgelegenen Windmühle, ließ die Müllerknechte rufen und sagte ihnen: sie sollten das in diesem Sacke befindliche Mehl vor meinen Augen mahlen, es sei aber eine besondere Art Mehl, welches im Sacke selbst gemahlen werden müsse. Zugleich versprach ich ihnen eine ausgezeichnete Belohnung.

Die Müllerknechte, die wohl etwas von dem wirklichen Inhalt des Sackes ahnen mochten, grinsten freundlich und machten ohne Weiters Anstalt, den Sack zwischen die Mühlsteine zu zwängen.

In diesem Augenblicke schrie mein General aufs Verzweifeltste: Nur nicht zwischen die Mühlsteine! lieber die Bastonnade!

Ich ließ ihn noch einige Augenblicke im Sacke zappeln, öffnete dann den Sack, verbeugte mich aufs Artigste und sagte: Herr General! für diesmal sind Sie noch mit dem bloßen Schreck davon gekommen; treff' ich Sie aber noch einmal auf meiner Fährte, so laß ich Sie, bei meinem Barte! ohne Gnade kleinmahlen. Sagen Sie aber Frankreich und Ihrem saubern Generalgouverneur, daß ich, falls sie mich nicht in Ruhe lassen, beide in den Sack stecken werde, wie ich es so eben mit Ihnen gethan habe.

Der folgende Tag sah mich in meinem Schuppenpanzer aus Goldpiastern auf meinem Lieblingsreitstrauß durch die Wüste mehr dahin fliegen als galloppiren. Einen Abschiedsbesuch bei dem Sultan Piesacko oder irgend einem Andern zu machen, hatte ich nicht für nöthig gehalten; denn was hätte ich ihnen sagen sollen, außer daß sie sammt und sonders verdienten in Macomaco zu bleiben? Nur von meinem Freunde Peter Silje nahm ich gerührten Abschied. Derselbe befand sich wie seine Gattin, frühere Signora Cleisterazzi, in gesegneten Umständen; denn er hatte auf meinen Rath und nach meinem Plan ein Büreau für Anfertigung diplomatischer Noten und Ultimatums begründet, und da dieser Artikel in Centralafrika sehr gut geht, machte er glänzende Geschäfte. Ich rieth ihm jedoch, auf Alles gefaßt zu sein und sein Säckel zu füllen, da (fügte ich hinzu) vorauszusehen sei, daß die Herrschaft des Sultans Piesacko oder des Hans von Piesack demnächst mit Schrecken ein Ende nehmen müsse.


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