Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Der Diplomat spreche möglichst viel, wenn er nichts sagen will, und möglichst wenig, wenn er viel sagen will.

Talleyrand.

Sehen und sofort siegen ist die Hauptsache. Der größte Feldherr würde aber der sein, der den Feind immerfort schlüge, ohne ihn jemals zu Gesicht zu bekommen.

Julius Cäsar »De bello Gallico.«

Roth ist meine Lieblingsfarbe – denn Roth ist die Farbe des Bluts.

Lettres du Maréchal de St. Arnaud.

Richtet man die orientalische Frage an mich, so habe ich dafür nur Eine Antwort, ein diplomatisches Achselzucken, welches man nehmen kann wie man will.

Lord John Russell.

In der türkischen Hauptstadt angekommen, richtete ich meine Schritte und zwar in feinen lackirten Stiefeln, das Kreuz der Ehrenlegion, welches ich im Feldzuge gegen die Kabylen erworben hatte, auf der Brust, zuvörderst nach dem Hotel der französischen Gesandtschaft und wurde auch sofort bei Sr. Excellenz vorgelassen.

Der Gesandte empfing mich mit jener Liebenswürdigkeit, wie sie allen Franzosen, und mit jener zugleich viel- und nichtssagenden Glätte, wie sie allen Diplomaten eigen ist.

Kommen Sie endlich, Freund in der Noth? rief er aus. Die ganze orientalische Frage war schon in eine Sackgasse gerathen, aus der wir nicht aus noch ein wußten. Nun aber hoffe ich, werden wir ein gutes Stück weiterkommen. Ihre Ernennung zum Ober-Geheim-Feldmarschall liegt in Paris schon ausgefertigt, und ich erwarte sie mit jedem Tage.

Ist das eine neue Würde: »Ober-Geheim-Feldmarschall«? fragte ich einigermaßen verwundert – oder ist dies nur ein Schmutztitel, wie bei gewissen Büchern?

Ohnfehlbar eine neue militärische Würde! erwiederte der Gesandte; aber zugleich auch eine Erhöhung der Feldmarschallswürde; gerade wie ein Geheimrath mehr ist als ein einfacher Rath.

Ich fand mich jedoch hierdurch durchaus nicht befriedigt, sondern witterte unter dem ungewöhnlichen Zusatz »geheim« eine besondere Absicht. Ich drang daher nicht gerade mit diplomatischer Feinheit, aber mit der Ehrlichkeit und Entschiedenheit eines Kurmärkers, eines gebornen Schnipphauseners in den Gesandten, bis dieser erklärte:

Allerdings – – in Folge der besondern Constellationen, der verwickelten Verhältnisse, der vielen ehrgeizigen Personen – sehen Sie! – – wir sind selbst in der größten Verlegenheit – wir müssen diplomatisch verfahren – wir würden, bedenken Sie das, zu viele Ambitionen vor den Kopf stoßen, zu viele Anciennitätsansprüche verletzen, wenn wir Sie geradezu als Oberfeldherr en chef an die Spitze der französischen Truppen stellen wollten. Sie werden die Gewogenheit haben, dies einzusehen. Wir haben daher den Ausweg getroffen, Sie zum Ober-Geheim-Feldmarschall zu ernennen, so zwar, daß diese Ernennung ganz unter uns bleibt, die wir darum wissen. Nämlich nur bis auf Weiteres, bis die Umstände gestatten, mit Ihrer Ernennung vor die französische Armee und die Welt zu treten. In Wirklichkeit aber sind und bleiben Ew. Excellenz der wirkliche commandirende General en chef. Der Marschall St. Arnaud ist dahin angewiesen – und bei dem Gefühl seiner Unzulänglichkeit für eine so ungeheure Aufgabe ist er auch vollkommen damit einverstanden – nur von Ihnen ausgehende Befehle auszuführen als wären es seine eigenen. Und wenn ich Ihnen außerdem versichere, daß Sie ein Feldmarschallgehalt beziehen werden, wie es noch keinem Marschall vor Ihnen zu Theil geworden ist, so werden Ew. Excellenz, ich zweifle nicht, ein Anerbieten nicht von der Hand weisen, dessen Annahme Sie in den Stand setzen wird, der Civilisation solche Dienste zu leisten, wie sie dieser heiligen Angelegenheit noch niemals geleistet worden sind. Das Gehalt und die sonstigen Emolumente bleiben ja doch immer die Hauptsache, wenigstens wie wir praktischen Franzosen solche Geschäftsverhältnisse ansehen. Nur praktisch, lieber Marschall, nur keinen deutschen Transcendentalismus und Idealismus in solchen Angelegenheiten!

Der Gesandte wischte sich den Schweiß von der Stirn, als er mit diesen Explicationen glücklich zu Ende war; und er hat später in vertrauten Kreisen gestanden, daß die schwierigsten diplomatischen Aufträge ihm noch niemals solche Verlegenheit bereitet hätten, wie der ihm gewordene, mir dieses Anerbieten plausibel zu machen. Den Schweiß, den er bei dieser Gelegenheit im Dienste seines Landes und der Civilisation vergoß, hat er auch der französischen Regierung in Rechnung gebracht und diese ihm dafür auch eine Entschädigung bewilligt; denn jeder Tropfen Schweiß, den ein Diplomat vergießt, ist Goldes werth.

Nun, sagte ich hierauf, es wird Alles auf die contractlichen Bedingungen ankommen, denn schwarz auf weiß muß ich so Etwas haben. Wie aber steht es mit dem Marschallsstabe, den ich mir in Ihrem Hotel abholen sollte?

Ach, Excellenz! erwiederte der Gesandte etwas verlegen, so weit ein Diplomat jemals verlegen sein kann; mit dem Marschallsstab ist mir ein ganz eigenes Malheur passirt – ein Malheur, ich wollte lieber, daß uns die Russen aufs Haupt geschlagen hätten. Denken Sie nur, mein vierjähriger Bube hat sich gestern während meiner Abwesenheit den Stock zu Nutze gemacht, ist darauf herumgeritten, und der Stab ist dabei mitten auseinander gebrochen. Die Geschichte ist höchst ärgerlich, zumal sie sich gerade in meiner eigenen Familie zutragen mußte. Ueberhaupt hat der Junge nicht die geringste Anlage zum Diplomaten, wiewohl ich beabsichtige, mein Geschäft durch ihn bei meinem Tod fortsetzen zu lassen; er schlägt alles kurz und klein. Denken Sie nur! neulich zertrümmert mir der Unhold ein kostbares porzellanenes Thee- und Kaffeeservice, welches mir als einem Vorkämpfer der westlichen Civilisation die großherzigen Redactionen verschiedener deutschen liberalen Zeitungen verehrt hatten! Ist das diplomatisch? Und wenn jene Redactionen dies erfahren, werden sie nicht allerlei Schlüsse daraus ziehen, die meiner Gesinnung nachtheilig lauten könnten?

Es ist allerdings nicht diplomatisch, zu zertrümmern, sondern zu flicken, und so hätte auch Ew. Excellenz wohl den Marschallstab wieder zusammenleimen lassen können! sagte ich.

Ach, ein Unglück kommt selten allein! meinte der Gesandte. Die Feuerung ist in Konstantinopel so kostspielig und meine Frau so haushälterisch. Stellen Sie sich meinen Schreck vor, als ich beide Stücke des Marschallsstabs zum Tischler schicken will, und meine Frau mir berichtet, sie habe sie im Kamin verbrannt und den Nachmittagskaffee dabei gekocht. Mir wäre ja lieber gewesen, Fürst Mentschikoff wäre mit der Kibitke vorgefahren und hätte mich nach Sibirien gebracht! Was wird die liberale deutsche Presse zu diesem untoward event sagen!

Allerdings, bemerkte ich hierauf, ist dieses ärgerliche Ereigniß nur zu geeignet, in Deutschland eine höchst ungünstige Ansicht über die Führung der orientalischen Angelegenheiten Seitens der Westmächte zu verbreiten und die deutschen Mächte in ihrer Neutralitätspolitik zu bestärken. Jedermann weiß, mit welcher Energie und Eifersucht die deutschen Regierungen darauf halten, daß keinem ihrer Angehörigen im Auslande Unrecht geschieht. Es ist aber auch zu arg: Der Eine benutzt meinen Marschallstab als Spazierstock und der Andere läßt es geschehen, daß sich sein Junge seiner als Steckenpferd bedient!

Bestimmen Sie nur, welche Genugthuung Ihnen Frankreich geben soll! sagte hierauf der Gesandte mit ängstlicher Miene. Soll ich meine Frau in Ihrer Gegenwart abkanzeln und meinem kleinen Louis ein paar aus dem ff überziehen?

Nein, Excellenz! erwiederte ich; ich bin ein ebenso großer Verehrer des weiblichen Geschlechts als zärtlicher Kinderfreund. Auch ich bin Vater und habe nicht umsonst den Weißischen Kinderfreund gelesen.

Dieser Edelmuth ist Ihrer würdig! sagte der Gesandte. Ich werde auch sofort nach Paris schreiben und Ihnen einen neuen Marschallstab besorgen lassen.

Thun Sie das, lieber Graf! sagte ich, und grüßen Sie mir Ihren Herrn, den Kaiser, und meinen künftigen Kriegskameraden, den Marschall St. Arnaud!

Folgenden Tags hatte ich eine Conferenz mit dem türkischen Minister des Auswärtigen und dem des Kriegs. Jener richtete an mich die Frage, was ich überhaupt von der orientalischen Frage halte.

Diese Frage ist freilich so allgemein gestellt, bemerkte ich hierauf, daß sie von mir nur in gleich allgemeiner Form beantwortet werden kann. Die orientalische Frage läßt sich eigentlich bis auf die Streitigkeiten der Israeliten mit den Amalekitern, ja bis zum Feigenblatt der Mutter Eva verfolgen, das auch eine rein orientalische Frage war. Im jetzigen Stadium dieser Angelegenheit handelt es sich darum, daß die östliche Barbarei – unter der ich mit Ihrer Erlaubniß auch die türkische mitbegreife – ein Feigenblatt vornimmt, um ihre Blöße zu decken. Dieses Feigenblatt hat sie vom Baume der westlichen Civilisation zu pflücken. An einen wahren Frieden ist gar nicht zu denken, bis sich die Gegensätze ausgeglichen haben, d. h. bis die westliche Civilisation eben so viel an die östliche Barbarei, als diese wieder an die westliche Civilisation abgegeben haben wird. Dann erst wird die elektrische Spannung zwischen beiden Gegensätzen ein Ende haben und Frieden auf Erden sein. Es handelt sich also, kurzgesagt, um eine Civilisirung der östlichen Barbarei und um eine Barbarisirung der westlichen Civilisation.

Der türkische Minister des Aeußern griff diesen Gedanken mit Eifer auf und bemerkte: Allerdings wird die Türkei sich niemals dazu verstehen, die östliche Civilisation mit all ihren Alterschwächen, die sie unter den Lächerlichkeiten eines greisen Gecken zu verbergen bemüht ist, und all ihren überfirnißten Schäden bei sich einzuführen. Wir beabsichtigen allerdings, im Bunde mit den Westmächten uns den Russen vom Leibe zu halten, wenn unsere Alliirten es uns aber zu arg machen, so kostet es uns nur ein Wort, vielleicht auch nur eine Provinz, und wir schlagen mit dem Russen im Arm auf die Westmächte los. Sollen wir einmal verfaulen, so ist es besser wir verfaulen – ich hätte beinahe gesagt in unserm eigenen Unrath, doch das wäre barbarisch – als im westmächtlichen. Die Parlaments- und Kammerdebatten und die Leitartikel der westmächtlichen Zeitungen beweisen klar, wie schlimm es da drüben steht: jede Partei beschuldigt die andere der Niederträchtigkeit, der Schurkerei und der moralischen Verkommenheit und Fäulniß. Das kann unser Vertrauen nicht erwecken. Wenn ich in meinem Harem sitze, so preise ich Allah, denn ich betrachte und genieße die schönsten seiner Werke. Und denken Sie nur, die Westmächte verlangen, daß wir, wir Staatsbeamte, für die beabsichtigte neueste Anleihe unsere Harems verpfänden sollen. Die Anleihe können wir nicht zurückzahlen, das ist ausgemacht; folglich würden unsere Haremsfrauen in den Händen der Westmächte bleiben und wir könnten sehen, wo wir wieder solche hübsche Dinger herkriegten. Die Westmächte suchen also bei der ganzen Geschichte nichts weiter als unsere wohl ausgestatteten Harems in die Hände zu bekommen. Alles Uebrige, die freie Donauschifffahrt, die Zerstörung der russischen Flotte, die Gleichstellung der Rajah mit den Gläubigen, ist nur Vorwand. Und diesem Spiel sollen wir ruhig zusehen? Nun, wir wollen abwarten, wer zuletzt den Andern überlistet. Bis auf Weiteres freilich müssen wir mit den Westmächten gehen; aber in das Heiligthum unserer Harems werden wir diese Ungläubigen nicht eindringen lassen.

Total mit Ew. Excellenz einverstanden! bemerkte ich.

Der Kriegsminister suchte mich nun über meinen Kriegsplan auszufragen, und ich antwortete:

Ich werde den Krieg nicht sowohl im mephistophelisch infernalischen als im faustisch idealen Sinne führen, mit Einmischung einiger der wesentlichsten Elemente aus Tiedge's Urania.

Leider kenne ich dieses strategische Werk nicht, sagte hierauf der Kriegsminister, und ich muß Sie ersuchen, sich deutlicher zu expliciren.

Ich glaubte wahrzunehmen, daß mir der Kriegsminister nur meinen Plan ablocken wollte, um ihn vielleicht durch einen Andern ausführen zu lassen, und ich antwortete:

Das Hauptsächlichste bleibt immer der Scharfblick des Feldherrn, der Alles und Alle durchschaut.

Der Sinn und die Bedeutung meiner Worte schienen dem Türken nicht zu entgehen, denn er schlug verwirrt und verlegen seine Augen nieder.

So lange ich übrigens den Feind nicht vor mir gesehen habe, fuhr ich fort, bin ich auch außer Stande, einen Kriegsplan zu entwerfen, so wie auch ein Arzt nicht eher eine richtige Kur auf Tod und Leben vornehmen kann, ehe er nicht seinen Kranken gesehen hat. Zudem kenne ich ja die Hilfsmittel nicht, die Sie mir zur Verfügung stellen werden. Geben Sie mir nur 50,000 Mann, so muß ich mich damit einzurichten suchen, geben Sie mir aber das Dreifache, so kann ich was an Menschenleben daraufgehen lassen. Kaput mache ich die Moskows so oder so; darauf verlassen Sie sich!

Das Ende der Conferenz war, daß mir der Kriegsminister zusagte, mir ein Verzeichniß sämmtlicher Streitkräfte und sämmtlichen Kriegsmaterials, wie auch die nöthigen Landkarten zukommen zu lassen und mich so bald als möglich auf das Kriegstheater an der Donau zu entsenden.

Mit der Haltung, die ich in dieser Conferenz beobachtet hatte, war ich selbst außerordentlich zufrieden; ich hatte mich möglichst allgemein und ausweichend ausgedrückt; ich hatte bewiesen, daß ich auch zum Diplomaten das nöthige Zeug habe. Mochte der Boden glatt sein, auf dem ich stand, so war ich noch glatter; waren die Hände dieser Diplomaten schlüpfrig, so war ich noch schlüpfriger, so daß sie mich nicht fassen konnten. Ich blieb in diesem diplomatischen Aalgreifen offenbar Sieger.

Nach Beendigung der Conferenz stellte mich der Minister des Auswärtigen seinem Geheimsecretär vor, der, wie mir der Minister mittheilte, alle die schönen Noten verfaßt habe, welche von der hohen Pforte in dieser Angelegenheit ausgegangen seien.

Als mir der sehr feine, aber jetzt etwas corpulente Mann vorgestellt wurde, war ich nicht wenig überrascht, in ihm einen alten lieben Bekannten zu finden – Peter Silje aus Macomaco.

Meine Divinationsgabe hatte sich auch in Betreff des Sultans Piesacko glänzend bewährt, und was ich ihm in meiner Abschiedsaudienz prophezeit hatte, war richtig eingetroffen. Die Linke des centralafrikanischen Nationalparlaments in Macomaco hatte einen Aufruhr angezettelt, und Piesacko war dadurch genöthigt worden, sich nächtlicherweile durch ein Hinterpförtchen seines Palastes – und er liebte immer die Hinterpförtchen – aus dem Staube zu machen. Seine Favoritsultanin, Signora Clabasteroni, hatte Anstellung in dem Nationalharem gefunden, welches die Linke zu ihrem Vergnügen angelegt hatte, und Piesacko war gegenwärtig, wie das Gerücht ging, Anführer einer Horde Baschi Bojuts in Kleinasien, hatte aber seine schwarze Haut in Afrika zurückgelassen.

Meinem Freunde Peter Silje ging es in Konstantinopel, wohin er sich nach jener Katastrophe begeben hatte, sehr wohl; denn er hatte sein früher betriebenes Geschäft der Notenanfertigung hierher verlegt und alle europäischen Mächte durch ein Rundschreiben eingeladen, die von ihnen zu erlassenden Noten durch sein Bureau zu beziehen, indem er zugleich die prompteste Bedienung versprach. Das Bedürfniß nach diplomatischen Noten wuchs mit jedem Tage, die Regierungen hatten alle Hände voll zu thun, und so gingen sie gern auf diesen Vorschlag ein und ließen sich Proben einsenden, welche durchweg preiswürdig gefunden wurden. Denn Peter Silje besaß ein ganz eigenes Geschick, sich auf den Standpunkt jedes Staats zu erheben und darnach die anzufertigenden Noten einzurichten. In Dutzenden konnte jede Regierung sie wohlfeiler haben. Peter Silje spielte als Inhaber dieses »diplomatischen Noten-Verfertigungsbureau« eine sehr wichtige Rolle, denn da sein eigener Vortheil mit der kriegerischen Gestaltung der orientalischen Frage Hand in Hand ging, so verfaßte er die Noten in einem Geiste, durch welchen die Frage immer mehr verwickelt und die Staaten gegen einander gehetzt wurden. So unschuldig sie oft auch aussahen, so enthielten sie doch immer irgend eine Wendung, welche ihm Gelegenheit gab, in die nächste Gegennote eine scharfe Phrase einzufügen, welche wieder zu einer noch schärferen in der nächsten Gegen-Gegennote die Handhabe bot. Außerdem hatte er das Vertrauen mehrerer Regierungen anfangs so zu gewinnen gewußt, daß sie sich die Noten gar nicht mehr zusenden ließen, sondern, um sich die Kosten für die Telegraphie zu ersparen, meinem Freunde die Anweisung ertheilten, die Noten sofort von Konstantinopel an die betreffenden Höfe zu adressiren. Alle Noten, welche seit Beginn der orientalischen Frage zwischen den Höfen von Konstantinopel, Paris, London, St. Petersburg und Wien gewechselt worden sind, sind von meinem Freunde Peter Silje, diejenigen aber für die neutralen Höfe und namentlich den deutschen Bund von seiner Frau, ehemaligen Cleisterazzi, verfaßt worden.

Man wird sich der Mittheilungen erinnern, die mir Friedrich der Rothbart in Betreff eines Geheimbundes machte, dessen Mitglieder einander an der Frage: »Haben Sie ein Haar darin gefunden?« und an der darauf folgenden Antwort: »ein fuchsrothes!« erkennen sollten. Auch wird man sich erinnern, wie besagter Herr mich in Betreff dieses Bundes besonders auf Konstantinopel verwies. Um dem Bestande und Zusammenhange dieses Bundes auf die Spur zu kommen, unterließ ich nicht, wo es mir immer nur angebracht zu sein schien, diese Frage zu thun; aber Niemand gab mir darauf die statutenmäßige Antwort, man lachte mir vielmehr ins Gesicht, was mich nicht wenig verdroß. Ich hatte deshalb einige Dutzend Duelle, bei denen ich es jedoch immer so einzurichten wußte, daß dabei weniger Blut, als zur Versöhnung Champagner floß. Eines Tages richtete ich auch an den Vertreter einer deutschen Macht in dem Augenblicke, wo ich mich von ihm verabschiedete, die Frage: »Haben Sie ein Haar darin gefunden?« Er sah mich höchst verwundert an; ich faßte mich jedoch und fügte wie ergänzend hinzu: Ich meine, ob Eure Excellenz in der orientalischen Frage ein Haar gefunden haben? Oh, erwiederte er, mehr als eines, so viel, daß ich allen meinen Collegen einen wohlverdienten Zopf flechten könnte. Ich sprach meine Bewunderung für seinen guten Humor aus, und damit war die Sache an dieser Stelle glücklich erledigt.

In eine schlimmere Verlegenheit, an die ich all mein Lebtage denken werde, gerieth ich bei dem Vertreter einer andern deutschen Macht, als ich gerade bei ihm dinirte. Wir waren eben bei der Suppe, und es kam mir, ich weiß nicht was in die Kehle, so daß ich unwillkürlich mein Gesicht aufs fürchterlichste verzog. »Haben Sie ein Haar darin (nämlich in der Suppe) gefunden?« fragte mich der Gesandte. Ah, dachte ich, das ist dein Mann, und ich erwiederte unbefangen und sehr laut: Ein fuchsrothes! Zufälliger, aber unglücklicherweise hatte das Haar der Hausfrau eine sehr stark röthliche Farbe, und Jedermann schien in meinen Worten eine bewußt oder unbewußt impertinente Anspielung auf das Haar der Dame vom Hause zu finden. Die Dame selbst wurde im Gesicht fast so roth als ihre Haare; die Gäste sahen sich verstohlen an oder verbargen ihr Gesicht hinter der Serviette, um nicht in ein lautes Lachen auszubrechen, und der Herr Gesandte schien sich zu einer empfindlichen, vielleicht beleidigenden oder diplomatisch-beißenden Bemerkung zu präpariren. Ich begriff meine Ungeschicklichkeit, riß eiligst, so daß es Niemand wahrnehmen konnte, ein Haar aus meinem Barte und zeigte es dem Herrn Gesandten mit den Worten: Entschuldigen Ew. Excellenz, es ist ein Haar aus meinem eigenen im Laufe der Jahre röthlich gewordenen Barte; aber da fällt mir eine kostbare Bartanekdote ein, und nun erzählte ich eine Reihe wunderbarer Geschichten, die sich meiner Versicherung nach an meinen Bart knüpften und so lustig waren, daß sich Alle aufs prächtigste amüsirten und den Vorfall bald gänzlich vergessen hatten.

Ein andermal speiste ich in einem Peraer Hôtel mit einem im türkischen Heere dienenden Obersten, einem geborenen Deutschen, dem wirklich aus seinem rothen Barte ein Haar in die Suppe gefallen war.

Sehen Sie nur, da habe ich wieder ein Haar darin gefunden – ein fuchsrothes. Ach, dachte ich, das ist einer von den Verschworenen und will auf den Busch schlagen.

Sie haben ein Haar darin gefunden? sagte ich, so kennen auch Sie wohl den Alten?

Welchen Alten? fragte er; ich kenne manchen Alten!

Nun, den in Thüringen – Sie werden schon wissen, war meine Antwort, den mit dem langen Barte!

Ich weiß schon, wen Sie meinen, sagte der Oberst – – ein flotter alter Bursche; er hat in seiner Jugend viele lustige Streiche gemacht.

Ja, in seiner Jugend! fiel ich ein; aber jetzt ist er doch gewiß solide.

Der, und solide! sagte der Oberst; dem ist niemals zu trauen, denn er ist selten nüchtern.

Wär's möglich? rief ich verwundert, so ein alter Herr! Aber was halten Sie von dem Geheimniß?

Sie meinen das Geheimniß in Betreff seiner jungen Frau! Oh, das ist eine sehr dunkle Geschichte! sagte der Oberst.

Der alte Herr hat also noch in seinen alten Tagen geheirathet? fragte ich. Er hat mir doch seine junge Frau nicht vorgestellt!

Das wird er wohl bleiben lassen, fuhr der Oberst fort; er soll sie entführt haben unter Umständen, die nicht die ehrenvollsten für ihn sind. Man sollte es von einem so bejahrten Oberforstmeister in der That nicht erwarten. Aber Thorheit schützt vor Alter nicht und Alter nicht vor Thorheit.

Ich merkte erst jetzt, daß der Oberst nicht von dem Kaiser Barbarossa sprach, und ließ den Gegenstand des Gespräches fallen.

Kein Wunder, wenn ich nach solchen Erfahrungen den alten Friedrich Barbarossa in Verdacht hatte, sich mit mir nur einen Spaß erlaubt zu haben und ein bloßer Faxenmacher und Schwindler zu sein. Man kann sich in unserer Zeit vor Niemand, und säh' er noch so ehrwürdig aus und habe er einen noch so guten Ruf, in dieser Hinsicht genug hüten. Indeß enthalte ich mich jedes Urtheils, da das Ende des orientalischen Krieges, an welches Barbarossa die Verwirklichung seines Projects geknüpft hatte, noch nicht da ist, und inzwischen andere Anzeichen mir die Existenz eines solchen Geheimnisses zu bestätigen scheinen. Bis auf Weiteres will ich daher den alten Herrn zu verdächtigen mich enthalten.

Nach einigen Wochen reiste ich in das Hauptquartier an der Donau ab und kam gerade zur Schlacht bei Kalafat zurecht. Das Treffen stand im Wendepunkte und für die Türken sehr schlimm. Omer Pascha kam mit seinem Stabe an mich herangeritten und rief: General! Wenn Sie nicht noch Rettung wissen, so ist unsere Sache verloren, und die verdammten Moskowiter behaupten das Feld.

Ich warf einen verächtlichen Seitenblick auf das Schlachtfeld, sprengte dann ganz nahe an die russische Linie heran, bestrich sie mit einem meiner schärfsten Blicke und bemerkte mit Genugthuung, daß die Russen vor Scham und Bestürzung die Augen niederschlugen. Jetzt eingehauen! rief ich, und die türkische Reiterei, die sich, von mir gedeckt, wieder gesammelt hatte, hieb auf die Russen ein, die nicht aufzublicken wagten. Ich unterstützte die Reiterei, so gut ich konnte. Bald schmetterte ich eine feindliche Batterie, bald bohrte ich ein Quarré, bald stach ich ein Dragonerregiment mit meinen Blicken nieder. Einer meiner Blicke ricochettirte und hatte auch so noch die Kraft, einen russischen Oberst vom Pferde zu werfen; denn durch lange Praxis hatte ich die Fähigkeit erlangt, in entscheidenden Momenten Hunderte von Blicken in einen einzigen überwältigenden und tödtlichen Massenblick zu concentriren. Endlich gerieth die ganze russische Armee in Auflösung und ergriff in wildester Verwirrung die Flucht.

Sie sind ein ganzer Kerl! sagte Omer Pascha zu mir, als wir Abends in seinem Zelte ein paar Flaschen Sect mit einander ausstachen.

Ich habe heut gerade meinen guten Tag gehabt, erwiederte ich trocken.

Uebrigens hatte ich in der Schlacht bei Kalafat meine Blicke so verausgabt, daß ich acht Tage lang gänzlich blicklos war. Das hat man davon!Um zu begreifen, wie es mir möglich ist, mit bloßen concentriren Massenblicken ganze feindliche Heere niederzuschmettern, muß man nicht vergessen, daß ich ein Urmensch bin wie jene alten Helden, deren Thaten uns die serbischen Epopöen berichten. Der berühmte Serbenheld Marco schlug durch ein bloßes Stirnrunzeln, durch ein bloßes Zusammenziehen seiner Augenbrauen mehr als einmal Haufen von drei- bis fünfhundert Türken aus dem Felde, daß sie wie Spreu zerstiebten. Marco war auch so ein Urmensch wie ich.

Anmerk. Fritz Beutel's im Manuscript.

Auch bei der Vertheidigung von Silistria leistete ich später die außerordentlichsten Dienste, und ich benutze die Gelegenheit, um einen weit verbreiteten Irrthum zu berichtigen. Gewöhnlich wird ein gewisser Grach aus Trier als der eigentliche Vertheidiger Silistrias genannt. Dieser Grach ist aber eine rein mythische Figur, oder vielmehr, ich selbst bin dieser Grach. Weil ich die Gewohnheit hatte, bei dem Losbrennen jeder Kanone zu meinem Vergnügen »Krach!« zu rufen, so nannten mich die Soldaten den »General Krach«, ließen sich aber durch die sächsische Aussprache einiger im türkischen Heere dienender Deutschen, die aus Borna und Zwenkau gebürtig waren, verleiten, »Grach« statt »Krach« zu sprechen, und so entstand die Fabel vom Grach, dem Vertheidiger von Silistria. Ich habe geglaubt, diese Berichtigung der Wahrheit im Allgemeinen und der Weltgeschichte im Besondern schuldig zu sein.

Es war nämlich kein Anderer als Omer Pascha, welcher durch die von ihm bezahlten Journalisten und Zeitungscorrespondenten die Fabel vom »Grach« verbreiten ließ, um mich um meinen wohlverdienten Ruhmesantheil zu bringen und die Aufmerksamkeit der Welt von meiner Person abzulenken. Je mehr mein Ansehen in der Armee stieg, um so mehr nahmen auch sein Neid und seine Eifersucht zu. Er ließ in den Kaffeehäusern von Varna und Konstantinopel allerlei lügenhafte Gerüchte über mich aussprengen, die mich an meiner Ehre angriffen und schließlich nöthigten, ihn zu fordern, und zwar schlug ich vor, daß wir nicht Kugeln, aber zwölf der schärfsten Blicke mit einander wechseln wollten. Omer Pascha ließ mir hierauf erklären: auf diese Waffe verstehe er sich nicht; aber auf krumme Säbel, und möchten sie so krumm sein, wie sie wollten, stehe er mir zu Diensten. Ich ließ ihm zurücksagen: gerade Blicke scheine er freilich nicht vertragen zu können, aber auf alles Krumme verstehe er sich um so besser. Omer Pascha denuncirte mich nun beim Sultan.

Nächster Tage erhielt ich ein vom Sultan eigenhändig aufgesetztes Schreiben, worin er sein allerhöchstes Bedauern darüber aussprach, daß es zwischen mir und Omer Pascha zu einem solchen Zerwürfniß gekommen sei. Er sähe sich dadurch in die größte Verlegenheit gesetzt. Er fühle tief, wie sehr er und das türkische Vaterland mir verschuldet seien. Bereits habe er, um mir eine kleine Belohnung für meine Dienste zu Theil werden zu lassen, das Köstlichste, was er besitze, seinen Harem, eingepackt gehabt, um ihn mir zu überschicken; aber bei meiner jetzigen Stellung zu Omer Pascha würde eine so eclatante Auszeichnung zu viel böses Blut im Hauptquartier machen, und so habe er sich genöthigt gesehen, seinen Harem wieder auspacken zu lassen. Leider sähe er sich gezwungen, unter allerhöchster Anerkennung unserer sonstigen Verdienste, uns Beiden eine Nase zu schicken, in die wir uns theilen möchten, damit auf Keinen zu viel komme; und ersuche er mich, mir meinen Antheil an dieser Nase im Hauptquartier abzuholen.

Gerade in diese Zeit fiel die Expedition nach der Krim, und man kann sich denken, mit welcher Freude ich unter diesen Umständen dem an mich ergangenen Rufe folgte, als Ober-Geheim-Feldmarschall daran Theil zu nehmen. Meine Mission war, der Mittelsmann zwischen Lord Raglan und dem Marschall St. Arnaud zu sein, ihre Differenzen auszugleichen und wieder gut zu machen, was der Eine oder der Andere oder Beide zusammen verderben würden. Vom Augenblick der Einschiffung an ließ mich St. Arnaud nicht von seiner Seite; der englische Obergeneral zeigte sich zwar darüber ein wenig ungehalten, aber der französische Marschall erklärte, so leidend zu sein, daß er nothwendig einer Stütze bedürfe. So kränklich er bereits war, so tiegerhaft war seine Natur; er war ein ächter Zuaven-General. Nur recht viel Blut, lieber Freund! sagte er zu mir; ich werde bald dahin sein; aber vorher will ich noch ein ordentliches Blutbad nehmen, vielleicht erfrischt mich das wieder. Also, Freundchen, nur recht viel Blut! Mit Blut schreibt man seinen Namen in die Annalen der Weltgeschichte!


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