Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Neunzehntes Kapitel.

So zusammengewürfelt die Fremdenlegion auch aussieht, so ist sie doch eine ganz vortreffliche Truppe. Lachend greift sie den Feind an, lachend schlägt sie ihn aus dem Felde. Besonders das vom Obersten Fritz Beutel befehligte Bataillon besteht aus lauter Teufelskerlen, deren bloßen Anblick der Feind nicht ertragen kann.

Französischer Kriegsbericht.

Sie war mein Weib, doch falsch – es gibt nichts Falscher's –
Und corpulent dazu. Oh, dick und falsch –
Wo ist ein Ehemann, der das ertrüge –

Altenglisches Schauspiel.

Nachdem ich meine Leute, Jeden nach seinen Fähigkeiten eingeübt hatte, erhielten wir Befehl zum Aufbruch. In den Vorbereitungen zur Constantiner Expedition war ein unvorhergesehener Stillstand eingetreten, einige Kabylenstämme hatten sich empört, und gegen diese sollten wir zuvörderst verwandt werden, um uns durch den kleinen Krieg für den großen geschickt zu machen.

Der Tag des Ausmarsches kam, Damremont und sein Stab wohnten ihm zu Pferde bei, und Tausende von französische Soldaten und Eingebornen waren am Thore versammelt, um das merkwürdige Schauspiel mit anzusehen.

Die Spitze des Marsches bildeten meine Auserlesene, lauter stämmige martialisch aussehende Soldaten, welche allgemeine Bewunderung erregten. Hierauf kam die Compagnie der Fettbäuche, hinter dieser, des Contrastes wegen, die der Magern, dann die der Einäugigen und Buckligen, und die Compagnieen der Lahmen und Säbelbeinigen humpelten in einigem Abstande hinten nach. Ich kann nicht leugnen, daß jede dieser Abtheilungen mit einem schallenden Gelächter begrüßt wurde, über das ich mich jedesmal (mit einem Sprunge meines Pferdes) hinwegsetzte. Auch einige sehr zweckmäßige Neuerungen fielen auf. Unter andern hatten meine Leute auf meinen Befehl große in Essig getauchte Schwämme vor den Mund gebunden, um ihre Lippen und Zungen in der brennenden Wüste anzufeuchten.

Ich ließ nun, um das Gelächter endlich zum Schweigen zu bringen, meine Leute folgende von mir gedichtete und componirte Kriegshymne anstimmen:

Was gehn uns die Kabylen an,
Uns arme verwachsene Leute?
Wir fechten zwar, so gut man kann,
Doch Andre gewinnen die Beute.

Wohl schreien sie: Triumph, Triumph!
Die Franzosen so keck und munter;
Wir aber kommen nicht auf den Strumpf,
Wir kommen vielmehr herunter.

Mit doppelter Kreide, die niemals irrt,
Schreibt an der Marketender;
Kein Wunder, wenn man da täglich wird
Verdrießlicher und elender.

Und wenn er zuletzt uns nicht mehr pumpt,
Versetzen wir noch die Hosen,
Und gehen dann grade so zerlumpt,
Wie weiland die Franzosen.

Der Henker hole den ganzen Spaß!
Wir fühlen bei dieser Hitze,
Bei diesem ganz erbärmlichen Fraß:
Wir sind auf der Welt nichts nütze.

O, wären wir daheime doch,
Wir schlechtes Kanonenfutter,
Und säßen vor dem Ofenloch,
Und brieten uns Speck auf Butter!

Die Franzosen hörten nur die Worte: »Kabylen«, »Triumph« und »Franzosen« heraus, und meinten, es würde in dem Liede der »Triumph« der »Franzosen« über die »Kabylen« gefeiert. Diese vermeintliche Huldigung rührte und entzückte sie und mit der ihnen eigenen Lebhaftigkeit die Stimmung rasch wechselnd, überließen sie sich den enthusiastischsten Freudenbezeugungen, klatschten in die Hände und riefen Bravo und Da Capo; denn meine Leute sangen sehr schön, zumal da ihre etwas barsche Stimmen durch die vorgebundenen Schwämme gemildert und gedämpft wurden.

Der Marsch durch die algerische sonnenverbrannte Fläche ging nun freilich etwas langsam von statten und mehrmals sandte der gegen die Kabylen befehligende General Adjutanten an mich mit dem Auftrage, den Marsch zu beschleunigen. Ich erwiederte dann: »Immer nur sachte, wie wir Deutsche sagen!« oder »Eile mit Weile!« zuweilen auch umgekehrt »Weile mit Eile!« was ja etwa dasselbe ist. Kurz, ich ließ mich nicht aus meiner Contenance bringen, und der französische General, der auf diese Verstärkung wartete, war genöthigt, seine Operationen einzustellen und sich auf die Defensive zu beschränken.

Endlich erreichten wir das französische Lager am Fuße des Atlas, und ich ließ, den General mit meinem Degen salutirend, meine Leute bei dem französischen Befehlshaber im Paradeschritt vorbeidefiliren.

Der General drehte mehrmals seinen Schnauzbart, schüttelte den Kopf und richtete sodann die Frage an mich: Und vor diesen Leuten, Herr Oberst, meinen Sie, würden die Kabylen Reißaus nehmen?

Gewiß werden sie vor diesen Leuten Reiß ausnehmen – aus ihren Schüsseln, erwiederte ich.

Dieses Wortspiel gefiel dem General, der ein Elsasser war und mich deutsch angeredet hatte, ungeheuer, und er bemerkte: Nun, wenn Sie auch kein großer General sein sollten, so sind Sie doch ein witziger Kopf. Schade nur, daß man mit Wortspielen nicht den Feind vertreibt. – Aber die Grillen, die uns oft ärger zusetzen als die Kabylen, erwiederte ich. Der General lachte und wir waren sofort die besten Freunde. Gleich nächsten Tages hatte ich Gelegenheit, die Tüchtigkeit meiner Truppe ins glänzendste Licht zu stellen, was keine Hyperbel ist, denn das Licht der algerischen Sonne ist sehr glänzend, und was man an dieses Licht stellt, glänzt natürlich auch.

Die Kabylen machten uns einen Morgenbesuch und nahmen sich, wie sie auf ihren schlanken Berberrossen gegen uns lossprengten, in ihren weißen hinten weit nachflatternden Mänteln höchst malerisch aus.

Mein Bataillon stand in erster Linie: die Säbelbeinigen als Schießscharten voran; dann die Lahmen, die durch die Beine der Erstern hindurch schießen sollten; dann die Buckligen, deren Buckel den dahintenstehenden Magern dienten, um ihre Flinten darauf zu legen und sicherer zu zielen; dann die Einäugigen und Fetten als Fleischschanze für meine Elitetruppen.

Als die Kabylen meine Krüppel vor sich erblickten, brachen sie, die ernsten Leute, in ein schallendes Gelächter aus, und wußten nicht, ob sie angreifen sollten oder nicht. Sie stutzten, sprengten von neuem an, stutzten wieder, lachten von neuem und immer stärker je näher sie kamen, endlich als sie uns ganz nahe waren, so stark, daß es ihnen unmöglich war, mit ihren Säbeln auf uns loszuhacken. Jetzt begannen auch meine Leute unwillkürlich in ein lautes schallendes Gelächter auszubrechen, welches zuletzt beide feindlichen Armeen so ansteckte, daß an ein Gefecht gar nicht mehr zu denken war. Viele Kabylen fielen vor Lachen aus ihren Sätteln und lachten noch immer, als sie schon im Sande lagen. Endlich, den rechten Augenblick wahrnehmend und die Blöße, die der Feind gegeben hatte, benützend, rief ich: Wer zuletzt lacht, lacht am besten! und nun lachte ich, der ich bis dahin ganz ernst geblieben war, so erschütternd, daß die Kabylen, Alles verloren gebend, aber immer wie toll lachend, die Flucht ergriffen und den Bergen zusprengten, um sich hier von ihrem Lachen wieder zu sammeln. Die Schlacht war gewonnen, und wir erbeuteten sehr viele Waffen und Fahnen, welche die Kabylen vor Lachen verloren hatten.

Der General lobte mich nach der Schlacht höchlich, riß sich das eigene Kreuz der Ehrenlegion von der Brust und heftete es an meine Uniform, indem er bemerkte: Sie haben das Außerordentlichste geleistet, lieber Herr Oberst!

Nur meine Schuldigkeit! erwiederte ich. Damit war die Sache abgemacht und es wurde nicht weiter davon gesprochen.

Wir trieben nun die Kabylen von Position zu Position bis ins tiefste Gebirge, denn jedesmal, wenn sie meine Säbelbeinigen und dahinter die Lahmen und Buckligen wahrnahmen, wurden sie von jenem krampfhaften Lachen ergriffen, wodurch sie ihre erste Schlacht verloren hatten. Endlich aber wandten sie die Kriegslist an, daß sie, um meine Krüppel nicht zu sehen, rückwärts gegen uns ansprengten und auch rückwärts ihre Flinten gegen uns abfeuerten, wobei wir begreiflicherweise immer im Vortheile waren. Indeß tödteten sie uns doch manchen braven Mann, und zuletzt empörten sich einige Compagnien meines Bataillons, weil sie behaupteten, daß ich sie ausdrücklich als »Kanonenfutter« angeworben habe; nun hätten aber die Kabylen gar keine Kanonen, und somit sei die Stipulation verletzt. Sie ruhten auch nicht eher, bis sie einen neuen Werbelohn erhalten hatten und in den neuen Contract ausdrücklich die Clausel eingeschoben war, daß sie auch als »Flintenfutter« angeworben seien. Ein neuer Beweis dafür, wie sehr der Deutsche auf den Buchstaben hält!

Der Feldzug war übrigens so gut wie gewonnen, weshalb wir nun ein verschanztes Lager jenseits des Atlas bezogen. Das Leben würde uns hier sehr langweilig geworden sein, wenn nicht die Löwenjagd uns sehr vielen Spaß gemacht hätte, wobei ich gestehen muß, daß ich es lieber mit einem afrikanischen Löwen als mit einem deutschen Hasen zu thun habe. Hier nur ein Beispiel von einem märkischen Hasen, das ich in meiner Kindheit erlebte. Mit der Büchse des Oberförsters bewaffnet, hatte ich als achtjähriger Knabe – und was ich als achtjähriger Knabe schon zu bedeuten hatte, weiß die Welt – einen schnipphausen'schen Hasen verfolgt und bis aufs äußerste gebracht, als dieser plötzlich, in Wuth gesetzt, Kehrt machte, mir nichts dir nichts meinen Jagdhund aus dem Felde und zuletzt sogar aus seinem Pelze herausbiß, mir mit großer Gewalt zwischen die Beine sprang und mich in den Sand streckte. Als ich mich, den Sand (und zwar märkischen!) aus meinen Augen reibend, verblüfft emporraffte, saß der Hase vor mir und machte mir Männchen, um mich, wie ich ganz deutlich wahrnahm, zu verspotten und auszuhöhnen. Solche mephistophelische Bosheit habe ich niemals bei einem afrikanischen Löwen erlebt.

Um einen Löwen zu tödten, hatte ich eine sehr leichte Jagdmethode erfunden. Man denke sich einen ungeheuren hungrigen Löwen, der im Gebüsch auf Beute lauert. Es ist Nacht, aber die Augen des Unthiers funkeln wie zwei Gaslaternen und der Sand der Wüste gibt das Sonnenlicht, das er am Tage eingesogen hat, so ohne allen Abzug wieder, daß es rings um den Löwen hell ist wie am lichten Tage. Ich nähere mich dem Thiere, es wird unruhig, denn es wittert Menschenfleisch, und namentlich auf die Deutschen ist der Löwe außerordentlich erpicht, weil ihr Fleisch in Folge der vielen ästhetischen Lectüre außerordentlich fein, zart und schmackhaft sein soll. Es gibt Löwen, die sehr genau zu unterscheiden wissen, wer bei diesem oder jenem Professor Aesthetik gehört hat, diesen oder jenen Lyriker am liebsten liest; nur das Fleisch der Tendenzpoeten soll er als etwas ranzig verschmähen, und mit dem vorgehaltenen Stück Fleisch eines Recensenten, namentlich Theater-Recensenten soll man ihn sogar auf hundert Schritte Wegs vertreiben können. Die Kabylen wünschen sich daher Glück dazu, wenn es ihnen gelingt, eines deutschen Recensenten habhaft zu werden. Sie zerreißen ihn sofort in Stücke, vertheilen diese untereinander und jeder heftet sein Stück Recensentenfleisch an die Thüre seiner Wohnung und zwar für diejenigen Löwen, welche durch irgend einen Umstand um ihre Witterung gekommen sein sollten, mit der Unterschrift: »Das ist ein Stück deutsches Recensentenfleisch!« Wenn der Löwe diese Schreckensworte erblickt, so nimmt er gewiß den Schwanz zwischen die Beine, läuft davon und läßt sich niemals wieder in dieser Gegend blicken. Ich erwähne dieses zur Warnung für alle dieses Buch herunterreißenden Recensenten, welche etwa Neigung haben sollten, nach Afrika zu reisen. Es würde ihnen dort sehr übel mitgespielt werden.

Doch ich kehre zu meinem Löwen zurück. Je mehr ich mich ihm nähere, desto lauter brüllt er, grimmiger als irgend ein deutscher Heldenspieler oder ein deutsches Ständekammermitglied; er schlägt mit dem Schweife um sich, er blinzelt mit den Augen und rüstet sich zum Sprunge. Jetzt ist der Moment da; die Bestie macht einen furchtbaren Satz – lang wie ein Satz im Buche eines deutschen Gelehrten, aber vielleicht doch nicht so lang – gerade auf mich zu. In dem Augenblick werfe ich mich auf den Rücken, passe den Moment ab, wo das Thier, im Sprunge begriffen, über mir schwebt und jage ihm eine Kugel durch den Leib. Der Löwe ist einmal im Schuß, setzt seinen Sprung fort, und fällt etwa zwanzig Schritte von mir mausetodt nieder, obwohl ich weiß, daß »mausetodt« eigentlich eine Beleidigung für einen Löwen ist, weshalb ich hiermit alle wirklich gebildeten Löwen Afrika's um Verzeihung bitte.

Dies Verfahren trügt nie; ich habe auf diese Weise wohl hundert der stärksten Löwen getödtet, und jedesmal ging die Kugel gerade in der Mitte des Leibes durch, unten hinein, oben wieder heraus. Ja, ich habe auf diese Weise einmal drei Löwen, welche zufällig über einander wegsprangen, mit einer und derselben Kugel getödtet; und die Aeser lagen auch richtig todt da, eins über dem andern, wie abgepaßt. Man hätte sie, durch die von der Kugel verursachten Löcher mit einem Stock hindurchstoßend, aneinander reihen können wie Leipziger Lerchen.

Die Löwen sind aber bei aller ihrer Dummheit doch sehr kluge Thiere, und da sie merken, daß den Jägern in der Nacht besonders ihre funkelnden Augen zu Zielpunkten dienen, so haben sie sich in der letzten Zeit angewöhnt, ihre Augen zuzukneipen oder immer nur nach hinten zu sehen.

Im Uebrigen sind die Löwen in der Atlasregion sehr zähmbarer Natur und gehören recht eigentlich zu den Hausthieren; nur ist es nöthig sie sehr frühzeitig, ehe sie noch die Süßigkeiten eines abenteuerlichen Lebens in der Wüste gekostet haben, und wo möglich von der Mutterbrust, um so zu sagen, wegzufangen. Viele kabylische Damen halten sie als Schooßhunde, und es ist daher keine Lüge oder Uebertreibung, wenn Caligula im »Fechter von Ravenna« von seinen »hyrkanischen Schooßhündchen« spricht. Man fängt die kleinen Löwensäuglinge ein, schnürt sie in Windeln, dingt für sie eine möglichst pflegmatische nordeuropäische Amme, die sie säugen muß, füttert sie mit Bonbons und Liqueurs, engagirt für sie einen deutschen Hauslehrer, der die Geschicklichkeit besitzt, ihren aufstrebenden Geist und somit auch ihr körperliches Wachsthum zu unterdrücken, kurz gibt ihnen eine ganz standesgemäße Verwahrlosung, und das Löwchen wird und bleibt ewig nur ein Miniaturlöwe, eine Luxus- und Taschenausgabe von einer Bestie, welche alle löblichen und unlöblichen Eigenschaften eines in vornehmer Familie erzogenen Möpschens entwickelt. Ich habe in einigen kabylischen Adelsfamilien mehrere deutsche Löwenerzieher kennen gelernt. Sie waren sehr gelehrte, wenn auch für mich nicht sehr amüsante Leute, die Abends beim Thee die Honneurs machten und mir die verwickelte Lehre von den griechischen Partikeln beizubringen suchten. Mehrere derselben waren in der That so zu einer griechischen Partikel eingeschrumpft, daß sie der selige Philipp Buttmann ganz dreist in seine griechische Grammatik hätte aufnehmen können. Auch entdeckte ich einen unter ihnen, der zum Circumflex geworden war und einen sehr eigenthümlichen Anblick gewährte.

Eine Episode muß ich hier noch erwähnen, die den Leser ohne Zweifel sehr überraschen wird, mich aber, der ich auf Alles gefaßt bin, nicht im Geringsten überraschte.

Eines Tages begab ich mich in ein kabylisches Wirthshaus, welches sich in einiger Entfernung vom Lager befand und von den Soldaten der Fremdenlegion stark frequentirt wurde. Ich muß bemerken, daß der Wein am Südabhange des Atlas zwar nicht den würzhaften Geschmack des Beutelländischen hat, aber von ungeheurer Stärke ist. Wer eine Flasche dieses Atlasweines getrunken hat, vermeide es ja, sich auf einen Wagen zu setzen, denn er würde bei der Kraft des Weines offenbar Gefahr laufen, mit dem Wagen umgeworfen zu werden, da der Geist des Weines von dem Fahrenden auf das Gespann überzugehen pflegt. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie ein ganzes Cavallerieregiment in den Sand gesetzt wurde, weil ein Feldwebel des Regiments zufällig ein Glas zu viel zu sich genommen hatte. Vorsichtige Trinker pflegen daher an dem Weine, der zum Theil aus Aether besteht, nur zu riechen, was seine Wirkung bedeutend schwächt; ein guter deutscher Trinker ist im Stande, eine Flasche des Atlasweins etwa im Laufe einer Stunde auszuriechen. Man sagt daher auch bei Zechgelagen dort nicht: »ich trinke dir«, sondern »ich rieche dir ein Glas vor.«

Auch von der Art des Bezahlens möchte ich gleich hier etwas Näheres sagen. Herr Wirth! eine Flasche Wein! ruft man. Der Wirth bringt das Verlangte. Man fragt nach der Bezahlung. Viertehalb Francs oder viertehalb Menschenköpfe! lautet die Antwort. Man greift in den Sack, den man zu dem Ende stets bei sich führt, läßt vier Beduinenköpfe auf den Tisch rollen und bekommt darauf einen halben Menschenkopf wieder heraus. Dies ist die gewöhnliche Art der Bezahlung in dieser Gegend. Die Beduinenköpfe sind so wohlfeil und stehen so niedrig im Preise, daß jeder nur einen Franc gilt. War meine Börse, d. h. mein Sack, der freilich die Länge und den Umfang eines Mehlsacks hatte, leer, so ritt ich hinaus in die Wüste, fing mir ein halbes Dutzend Beduinen ein, knüpfte drei davon rechts, drei links an die Spitze meines Knebelbarts und ritt mit ihnen gemüthlich durch die Wüste in das Lager wieder zurück. Hier lieferte ich meine Gefangenen in die sogenannte Feldmünze, nämlich in die Anstalt, wo sie vorschriftsmäßig zu Gelde gemacht, d. h. ihnen die Köpfe abgelöst und diesen am Vorderkopfe das Bildniß des Königs der Franzosen und am Hinterkopfe das Wappen Frankreichs eingebrannt wurden. Die Stempelgebühren kosteten nichts.

Also ich gehe in das Wirthshaus, lasse mich in eine der Oleanderlauben nieder, welche den Hofraum von drei Seiten einfaßten, und rufe nach dem Wirth. Der Wirth kommt nicht. In der Laube nebenan höre ich ein lebhaftes Geplauder, einen Wechselaustausch zwischen einer weiblichen und einer männlichen Stimme, die mir beide bekannt zu sein schienen; doch da das Gespräch ziemlich gedämpft geführt wurde, war ich nicht im Stande, einzelne Worte zu verstehen. Nachdem der Wirth auf mehrmaliges Rufen nicht erschienen war, schlug ich mit dem Säbel auf den Tisch und fluchte ein soldatisches Donnerwetter über das andere.

Das half. Der Wirth, ein langer hagerer Beduine, stürzte fuchswild aus dem Hause herbei und rief in gebrochenem Deutsch, das er ohne Zweifel von den in der Fremdenlegion dienenden Deutschen und den Elsassern gelernt hatte:

Wo ist denn der Sakermenter, die Beate? – Sie muß mir gleich morgen aus dem Hause – der deutsche Racker!

Oh, noch heute gleich auf der Stelle, Herr Wirth! rief ein in diesem Augenblicke aus der Nebenlaube hervortretendes Frauenzimmer mit schnippischer Stimme. Ich horchte hoch auf, ich blickte der Kellnerin ins Gesicht und erkannte – die Leser werden schon ahnen wen – meine Ex-Gattin Beate. Einem Andern wäre der Verstand in diesem Augenblicke still gestanden oder davon gelaufen, mir aber lief er weder davon noch stand er mir still; ich erwartete mit himmlischer Ruhe, was nun weiter kommen würde.

Ja, und daß Sie's nur wissen, Herr Wirth! fuhr Beate fort; ich heirathe den Prinzen Knitschogarsk, Sergeanten im ersten Bataillon der Fremdenlegion, den Sie kennen und der bei Ihnen so manches Schöppchen vertilgt hat. Wir haben uns eben verlobt. Und wenn Sie mich einen Sakermenter und deutschen Racker schimpfen wollen, Sie langer unabsehbarer Kabyle, so wird Ihnen mein Bräutigam zeigen, was es heißt, die Verlobte eines Prinzen und französischen Sergeanten zu beschimpfen. Ich war schon einmal Kaiserin, daß Sie's wissen, und werde nun Königin der Tschugatschen werden und in einem Schlosse wohnen, gegen das Ihre Tabagie eine bloße Hundehütte ist; ich werde von goldenen Schüsseln essen, und von Pagen bedient werden, und ein Schleppkleid von Gros de Naples tragen und in einem Gallawagen mit Vieren fahren.

Der Schwindler! dachte ich im Stillen – mit Vieren? vielleicht mit vier Seehunden!

Der kleine stämmige Prinz der Tschugatschen, Knitschogarsk, mit dem breiten plattgedrückten Gesicht erschien nun auch, drehte sich den Schnurrbart, schlug an seinen Säbel und rief: So ist's! diese Jungfer ist meine Braut und wird mit mir den Thron meiner Väter besteigen!

Ei du Schwindler! dachte ich wieder – was für ein Thron wird das sein? etwa ein Kehrigthaufen mit einem Seehundsfell darauf.

Ich glaubte nun den Zeitpunkt gekommen, wo auch ich eine Rolle in dieser Komödie spielen könne, trat meinerseits vor, stellte mich vor Beata hin und rief:

Beata Regina Cordula Veronica Pipermann! Verworfenes Exemplar von einer Erbschulzentochter! Kennst du mich noch, Treulose? Sinke in Ohnmacht, so tief es sein kann – Ehrvergessene, die du nicht werth bist, eine Schnipphauserin zu heißen!

Sie fuhr vor mir wie vor einem Gespenste zurück, sank wirklich in Ohnmacht, wie sich dies in solchen Augenblicken von selbst versteht, und wurde von den Armen ihres Verlobten aufgefangen, wie sich dies auch von selbst versteht.

Prinz Knitschogarsk schleppte nun mit Hilfe des Wirths seine ich will nicht sagen süße, jedenfalls aber schwer ins Gewicht fallende Last ins Gastzimmer, um die Ohnmächtige mit Essenzen ins Leben zurück zu rufen; doch rief er mir noch im Weggehen die Worte zu: Wir werden uns messen, mein Herr! Ich kenne Sie! Sie sind mir noch Genugthuung schuldig, von dazumal! Morgen früh sechs Uhr am Palmenwäldchen! Ohne Zeugen!

Ich werde zur Stelle sein, antwortete ich, setzte mich in meine Laube, und roch einige Flaschen Atlasweins erster Qualität aus, worauf ich mich sehr vergnügt im Zickzack nach dem Lager zurückbewegte.

Folgenden Morgens war ich zur bestimmten Stunde am Palmenwäldchen und fand bereits meinen Gegner zur Stelle. Er hatte Degen, krumme Säbel und Pistolen mit und überließ mir die Wahl der Waffen.

Ich aber sagte: Durchlauchtiger Prinz! Sie haben mich gestern aufgefordert, mich mit Ihnen zu messen. Ich habe daher Ihren Worten entsprechend – ich zog dabei unter meinem Rocke eine Elle hervor – ein Werkzeug mitgebracht, um Sie zu messen, es Ihnen anheimgebend, auch mich wieder zu messen.

Kaum gesagt, ergriff ich die Elle und fing an den kurzdicken Knirps gehörig mit ihr zu bearbeiten. Er schrie gewaltig, aber ich antwortete: Prinz! Ihr durchlauchtiger Rücken ist so breit, daß es mir Mühe kostet, ihn auszumessen. Warten Sie nur noch einen Augenblick! Damit maß ich ihn weiter.

Ich weiß nicht, wie lange ich noch seinen Rücken nach allen Richtungen ausgemessen haben würde, wenn nicht in diesem Augenblick meine frühere Gattin Beate, jetzige Verlobte des Prinzen Knitschogarsk, aus dem Dickigt des Palmenwäldchens herbeigeeilt und mir in die Arme gefallen wäre.

Als ritterlicher Charakter, der ich immer war, senkte ich vor ihr meine Waffe und überreichte sie ihr mit den Worten: Madame, ich bin Ihr Gefangener!

Sie entriß mir das Instrument und rief freudig: Ach eine Elle, die kann ich jetzt gerade brauchen, da ich eben ein neues Kleid auszumessen habe. Danke schönstens, lieber Fritz!

Mich rührte die schöne Naivetät, die sich in diesen Worten aussprach, und ich sagte: Liebe Beate! Die Elle ist sehr gut und es läßt sich mit ihr vortrefflich messen, wie ich eben gesehen habe. Der Rücken des Prinzen Knitschogarsk wird genau eine halbe Elle lang und dreiviertel Ellen breit sein. Du wirst vielleicht später in den Fall kommen, mir nachzumessen und du wirst diese Angabe bestätigt finden.

Prinz Knitschogarsk rieb sich den Rücken. Ich aber ergriff Beider Hände, legte sie in einander und sagte: Mein Prinz! Ich habe Ihren Rücken soweit ausgemessen, daß ich weiß und sagen kann, er ist breit genug, um das Ehejoch, so breit es auch sein mag, auf sich zu nehmen. Laßt uns nun gute Freunde sein! Ich scheide mich hiermit von meiner Frau kraft der Constitutionsurkunde von Beutelland Artikel 4, wonach ich als geistliches Oberhaupt die Gewalt über alle Gewissen, mithin auch über die Ehebündnisse und Ehescheidungen habe, und trete somit meine Frau mit allen Rechten und Unrechten an Sie, durchlauchtiger Prinz, ab, nur noch den Wunsch hinzufügend, daß, falls es Ihrer künftigen Gattin in den Sinn kommen sollte, Ihren Rücken zu messen, sie ihn wenigstens nach der kurzen und nicht wie ich nach der langen messen wolle. Außerdem wünsche ich noch, daß Ihr väterlicher Thron nicht unter dieser Last (indem ich auf Beate wies) zusammenbrechen möge!

Ich muß nämlich bemerken, daß sich Beatens immer etwas stämmiger Körper nach allen Richtungen der Windrose hin ausgedehnt hatte, und daß dies eine Ursache war, weßhalb es mir nicht schwer fiel, auf ihren Besitz Verzicht zu leisten, da dieser Besitz gerade nicht zu den liegenden Gründen gehörte, von denen ich Gebrauch zu machen wünschte.

Beate erhob zwar, nachdem sie mich mit ihrem Prinz Knirps verglichen haben mochte, einige Einwendungen: die Sache habe ja keine so große Eile gehabt, sie sei ja noch zu überlegen gewesen, ihr schneller Entschluß sei nur durch das Auftreten des Kabylenwirths herbeigeführt worden und kein unwiderruflicher u. s. w. Indeß blieb ich dabei, daß sie durchaus Tschugatschenkönigin werden müsse, und malte ihr die dortigen Seehunds- und Thranzustände in einem so verführerischen Lichte aus, daß sie sich zuletzt fügte, mich dabei mit sehr zärtlichen und schmachtenden Blicken ansehend. Auch den Prinzen Knitschogarsk hatte ich für mich gewonnen, theils durch das seinen vaterländischen Zuständen gespendete Lob, theils durch die gefühlvolle Ausmessung mit der Elle, die mir seine ganze Achtung erworben hatte.

Ich machte nun, nachdem Alles in Ordnung und Richtigkeit gebracht war, den Vorschlag, mitsammen in die Kabylentabagie zu gehen und einige Flaschen Atlasweins auszuriechen, was denn auch geschah. Hierbei theilten wir uns unsere gegenseitigen Lebensereignisse mit. Beate wollte nicht recht mit der Sprache heraus, und ich wünschte mir Glück, kein bindendes Verhältniß mehr zu dieser merkwürdigen Person zu haben, die von einer Kaiserin zu einer Kellnerin herabgesunken war; denn Einiges, was sie andeutete, schien sich mir nicht ganz mit meinen hohen Begriffen von sittlicher Lebensordnung zu vertragen. Als ich sie nach unserm beiderseitigen Töchterchen Guitarria Cichoria Cigarretta fragte, antwortete sie mir mit einer gewissen Gleichgiltigkeit: Auf dem Schiff, mit dem sie nach Afrika gekommen, habe sich eines Tages ein fliegender Fisch niedergelassen; die kleine Guitarria Cichoria Cigarretta habe gerade auf dem Verdeck gespielt, sie habe sich im Spiel auf den Rücken des Fisches niedergelassen und sei von diesem über das Meer fortgeführt worden, sie wisse nicht wohin.

Nicht minder zurückhaltend war Prinz Knitschogarsk, doch ging mir aus seinen Mittheilungen so viel hervor, daß die Tschugatschen auf Preßfreiheit und Constitution Ansprüche gemacht hätten, die er mit seiner Autorität nicht verträglich gefunden habe; sie hätten sogar verlangt, daß er seine Hofseehunde entlassen solle; sie hätten gefordert, daß er über die Verwendung seines Seehundsthrans jährlich Rechnung abzulegen habe; und auf seine Weigerung, und weil er seinen Minister des Auswärtigen nicht entlassen gewollt, sei ein allgemeiner Aufruhr entstanden, dem er ausgewichen sei. Die Tschugatschen hätten hierauf, unter geheimer Mitwirkung der Gurkchusen, die Republik proclamirt und mitten im Lande eine allgemeine Staatsguillotine errichtet; aber man sei jetzt, wie er durch den französischen Minister des Auswärtigen erfahren, der Republik überdrüßig; eine Contrerevolution bereite sich vor und mit ihrer Hilfe wie mit Unterstützung der Kuxusen hoffe er nun, sich wieder auf den Thron seiner Väter zu schwingen – wogegen ich nur bemerkte, daß dies an der Seite seiner etwas corpulenten Beate seine Schwierigkeiten haben würde, wozu er diplomatisch den Kopf bewegte.

Als ich ihn fragte, was aus seiner Gemahlin, der früheren Prinzessin Kax geworden, wurde er, auf Beate blickend, blutroth, wie es eben ein Tschugatsche werden kann, und erwiederte: diese habe sich in die Lectüre des »Werther« so vertieft, daß es nicht möglich gewesen, sie wieder aufzufinden, obgleich man in das Exemplar des »Werther« eine Taucherglocke niedergelassen habe. Mit einem Senkblei habe man keinen Grund finden können – so tief sei die Dichtung.

Ich konnte natürlich nicht wissen, was daran geflunkert sei; denn das Flunkern verstehen die Eskimoprinzen gerade eben so gut wie die Prinzen in civilisirten Ländern.

Am dritten Tage bereits wurde die Ehe vom Feldgeistlichen der Fremdenlegion eingesegnet. Ich selbst betrieb die Heirath, um es Beaten unmöglich zu machen, wieder andern Sinnes zu werden. Es war mir lieb, jedes Band als das der allgemeinen Menschenliebe zwischen uns gelöst zu sehen, denn sie war, wie ich versichern kann, während ihres abenteuerlichen Lebens zwar um vieles breiter, aber nicht gerade hübscher geworden, und ich selbst war, so lange ich mich noch an sie gebunden glaubte, bei meinen strengen Anschauungen von der Heiligkeit der Ehe, im Umgange mit dem schönen Geschlecht zu oft in einen peinlichen Kampf gerathen, als daß es mir nicht hätte erwünscht sein sollen, dieses Band von mir zu streifen. Ich fühlte mich auch so erleichtert, daß ich mich mit den oft recht verführerischen Marketenderinnen des französischen Heeres sofort auf einen ganz andern Fuß setzte und mit ihnen eben so oft Blicke, als mit den Kabylen Kugeln wechselte.

Die Trauungsceremonie ging auch im Allgemeinen recht glücklich von statten, nur fiel es den Zeugen wie dem Geistlichen im Besondern etwas auf, daß Prinz Knitschogarsk während der Ceremonie nicht umhin konnte, sich wiederholt den Rücken zu reiben, der gerade in der Heilung begriffen war.

Auf meinen Betrieb erhielt Beate, jetzige Prinzessin Knitschogarsk, die Erlaubniß, eine Marketenderwirthschaft anzulegen, und ich selbst habe an ihrem ambulanten Büffet sehr oft ein Gläschen Absynth genippt, der mir aber eben so verfälscht zu sein schien, wie ihr falsches Herz.

Inzwischen war ich mit den zahlreichen Löwen der Umgegend in ein sehr vertrauliches Verhältniß getreten. Man weiß, wie sehr sich der Löwe durch den menschlichen Blick, wenn er ein richtiger, ich möchte sagen ein Urblick ist, leiten und besänftigen läßt, und mein Blick hatte immer für Menschen und Vieh etwas Bezauberndes. Ich bedauere, daß gegenwärtiges Buch ohne Illustration erscheint, ich würde sonst einen meiner Blicke in Holzschnitt ausführen lassen, um denjenigen Lesern, die mich nicht kennen, von seiner Gewalt einen Begriff zu geben. Außerdem hatte ich, wie der Leser ja weiß, schon so viel mit Bestien zu thun gehabt, daß ich mich daran gewöhnt hatte, alle ihre zarten Herzensbedürfnisse zu belauschen und zu befriedigen. Kurz, die Löwen des ganzen Atlasgebirgs attachirten sich so an mich, daß ich nicht ausgehen konnte, ohne von ganzen Rudeln begleitet zu werden, und oft, namentlich Sonntags, besuchten mich welche aus den fernsten Gegenden der Sahara und trugen mir das seltenste Wildpret aus Inner-Afrika zu.

Im Umgange mit diesen vortrefflichen Geschöpfen lernte ich immer mehr erkennen, daß nicht der Mensch, sondern das Thier das edelste unter den Wesen ist, welche die Erde bewohnen. Ein tugendhafter Jagdhund wird niemals seinen Herrn um schnöden Gewinns willen verlassen; er verleumdet, er verräth, er übervortheilt, er betrügt ihn nicht; ja selbst wenn Zärtlichkeit zu einer Stammesgenossin sein Herz fesselt, geht ihm doch die Pflicht gegen seinen Herrn über seine Zärtlichkeit. Wie oft hatte sich Beate der Untreue gegen mich schuldig gemacht, und wie sehr ging das meinen Löwen zu Herzen! Sie verachteten Beate und wenn sie dieselbe erblickten, machten sie ihr ein grimmiges Gesicht, rümpften spöttisch die Nase, oder wandten ihr verächtlich den Rücken. So tief empfinden sie das Unrecht menschlicher Untreue! Oh gewiß, die Frivolität, der Leichtsinn, die Genußsucht, die Treulosigkeit, die unter den Menschen so gemein sind, trifft man unter gebildeten Thieren nicht an, und erst in ihrem Umgange lernt man wieder an christliche Liehe und Moral glauben. Und wenn der Löwe auch einmal einen Menschen, der ihm gerade in den Weg kommt, zerreißt, so thut er dies durchaus nicht in böser Absicht, sondern nur um den Paragraphen des auf deutschen Kathedern gelehrten Naturrechts die nothwendige praktische Anwendung zu geben.

Die Humanität der Atlaslöwen findet auch noch einen besondern Erklärungsgrund. In einer Höhle des Atlas war es oder soll es gewesen sein, wo jener römische politische Flüchtling einem klagenden Löwen den Dorn ausriß, der sich in seine Tatze eingebohrt hatte. Die edle That wurde damals auch bald unter den übrigen Löwen bekannt. Auch die Thiere haben ihre Traditionen. Von Geschlecht zu Geschlecht erbte diese Geschichte fort. Mir theilte sie mein Lieblingslöwe vermittelst der Augensprache mit, denn in dieser unterhielt ich mich mit ihm. Unterstützt wurde diese Augensprache durch die verschiedenen Stellungen der Mundwinkel, gewisse Gesichtspantomimen und mancherlei Bewegungen mit dem Schweife, deren jede ein besonderes Wort oder einen besonderen Begriff ausdrückte. Im Laufe der Zeit brachte ich den Löwen auch die Schreibekunst bei, indem sie von mir lernten, ganze Worte und Sätze mit ihren Tatzen in den Wüstensand zu schreiben.

Ich errichtete nun eine berittene Löwengarde und wählte zu Reitern die Cohorte meiner Säbelbeinigen, indem die Form ihrer Schenkel einen trefflichen Anschluß an die runden Flanken der Löwen gewährte. Es konnte keinen prächtigeren Anblick geben, als die Fronte dieser Hunderte von Löwen mit ihren Reitern! Und wenn es nun im Carriere ging – wie großartig nahm es sich aus, wenn meine Löwen ihre taktmäßigen Sätze von zehn bis zwölf Ellen Länge machten, und dann wieder wie eine goldgelbe Mauer plötzlich stillstanden, während ich auf meinem Reitlöwen, von meinem Stabe gefolgt, ihre lange Fronte hinuntersprengte! Ich setze bei jedem meiner Leser soviel Phantasie voraus, um sich dies imposante militärische Schauspiel in all seiner Großartigkeit vorstellen zu können. Außerdem hatte ich ihnen mit vieler Mühe die chromatische Tonleiter beigebracht und meinen Gesangsunterricht so weit ausgedehnt, daß sie gelernt hatten, die Melodie der Marseillaise zu brüllen, was bei der Stärke ihrer Stimmen einen wahrhaft hinreißenden und überwältigenden Effect machte.

Endlich war der Zeitpunkt gekommen, wo Constantine gestürmt werden sollte. Ich will meine Leser, weil ich sie sowohl liebe als verehre, mit den militärischen Operationen, welche der Erstürmung vorangingen, nicht ermüden; ich bemerke nur, daß sie sehr langweilig waren und viel kurzweiliger ausgefallen sein würden, wenn es der französischen Regierung gefallen hätte, ihre Leitung mir anzuvertrauen. Aber meinen Antheil an dieser Waffenthat kann ich nicht übergehen, da er ohnehin zu laut für sich spricht und meinen Ruhm für alle Zeiten feststellen muß.

Wir standen vor dem Felsennest; es galt, die Festungsgräben anzufüllen, und der Ruf erscholl: Kanonenfutter vor! Die Bataillone der Fremdenlegion mußten nun vor, um sich todtschießen zu lassen und über die Gräben mit ihren Leichen Brücken zu bauen, darunter auch mein Fußvolk, meine prächtigen Krüppel, die eines bessern Looses würdig waren. Nur Wenige entkamen dem Blutbade. Das Blut floß in solchen Strömen, daß wenn nicht Myriaden von blutdürstigen Schakalen und Hyänen herbeigeeilt wären und es vom Boden abgeleckt hätten, wir ohne Zweifel Alle in diesem Blutocean, der uns bereits bis zum Gürtel reichte, hätten ertrinken müssen.

Ueber die Leichen hinweg stürmten nun die französischen Bataillone gegen die Bresche. Sie wurden zurückgeschlagen, mit derselben Schnelligkeit, womit man im Ballspiel einen Ball zurückschlägt. In diesem kritischen Augenblicke kam Damremont, der bereits die Kanonenkugel, welche ihm den Tod brachte, in seinen Eingeweiden trug, dies aber in der Hitze des Kampfes nicht merkte, mit seiner ganzen Suite an mich herangesprengt, und rief:

Bester Herr Oberst! Sie sehen, wie verzweifelt unsere Angelegenheiten stehen; Sie sind unsere ultima ratio. Getrauen Sie sich, mit Ihrer Löwengarde das Hauptthor zu nehmen?

Eine Kleinigkeit! erwiederte ich; von solchen Bagatellsachen spricht man eigentlich gar nicht in anständiger Gesellschaft.

Ich muß nämlich bemerken, daß ich mit meinen Elitetruppen und meiner Löwengarde in Reserve stand, weil Damremont wußte, daß der letzte Stoß von keiner andern Truppe als von meiner Garde geführt werden könne.

Meine Löwen, an dem Ausdruck meines Auges erkennend, daß es sich jetzt um etwas Großes handele, schüttelten die Mähnen, daß von dem dadurch entstandenen Sturmwinde mehrere Palmenbäume in der Nähe entwurzelt wurden, wühlten mit ihren Schweifen den Sand auf, daß dichte Staubwolken den Horizont einhüllten, und begannen schließlich die Marseillaise zu brüllen und mit den Tatzen dazu den Tact zu schlagen.

Vorwärts, Löwengarde! rief ich, vorwärts, Freiwillige!

Sofort setzten sich ein halb Dutzend Kerle von meiner Elitengarde hinter mir auf den Löwen auf, den ich selbst ritt; ein anderes halb Dutzend hing sich an die Mähnen und ein weiteres halb Dutzend an den mächtigen Schweif. In drei gewaltigen Sprüngen war mein Löwe an dem so lange vergebens bestürmten Hauptthor, mit dem vierten darüber hinweg. Ich hatte während des Sprunges nur so viel Zeit, um meinem dem Präsidenten der Vereinigten Staaten gegebenen Versprechen gemäß ein paar Zeilen mit Bleistift auf ein Blatt Papier zu werfen und es dem zufällig am Wege stehenden Postboten zu überreichen, der es sofort weiter beförderte. Der Präsident der Union hat, wie ich später hörte, dadurch eine halbe Million Dollars gewonnen. Ich schrieb ihm ganz kurz: »Herr Präsident! Vierter Sprung mit dem Löwen gerade über dem Hauptthor von Constantine! Alles gewonnen! Fritz Beutel und die Vereinigten Staaten for ever!«

So war ich plötzlich mitten in Constantine. Ich und die Meinen hieben so blind um uns, daß wir von einem Feinde gar nichts vor uns sahen. Vielleicht hatte er aus Schreck schon die Flucht ergriffen. Ich weiß es nicht. Man kümmert sich in solcher Aufregung viel um eine Lumperei und Kleinigkeit, wie die ist, ob man einen Feind vor sich hat oder nicht. Kurz, wir schlugen um uns, und dies that seine Wirkung, zumal, da jetzt meine Löwenreiter einer nach den andern über das Thor hinwegsetzten und nun auch darauf los schlugen – wohin, das wußten sie selbst nicht. Kurz, auf diese Weise und keine andere, was auch die Kriegsberichte sagen mögen, wurde Constantine erobert; denn die Franzosen drangen nun auch ihrerseits ein und ernteten die Früchte deutscher Tapferkeit und Löwenmüthigkeit.

Damremont konnte die Kugel, die er im Leibe trug, leider nicht verdauen. Er starb. Bevor er aber starb, ließ er mich zu sich rufen, drückte mir die Hand und sagte: Marschallstab! Marschallstab! Damit starb er.

Leider hatte auch mein Reitlöwe mehrere Kanonenkugeln erhalten, und da ich dem Thiere begreiflicherweise sehr zugethan war, fragte ich nach dem besten Feldchirurgus. Das sei ein Deutscher, antworteten mir die Franzosen, und bald brachten sie mir ihn. Es war kein Anderer als Winkerle, der sich freute, mich wiederzusehen, was ihm auch nicht zu verdenken; denn die Ehre war ganz auf seiner Seite. Um seine alten Schulden nicht zu bezahlen, hatte er St. Louis verlassen, und um neue zu machen, war er hierher gekommen. Glücklicherweise hatte er ein neues Zugpflaster erfunden, welches so stark war, daß es die stärksten Kugeln aus dem Körper herauszog, und so gelang es ihm, auch meinen Löwen von den Kugeln zu befreien, durch die sein Fell, wenn auch nicht seine Seele, wesentlich gelitten hatte. Mein Löwe genas und bedankte sich bei Herrn Winkerle schönstens. Ich selbst hatte keine Verletzung davon getragen; aber allerdings hatte eine feindliche vierundzwanzigpfündige Kanonenkugel sich in die Falten meines Burnus so verwickelt, daß es mir einige Mühe kostete, sie wieder herauszuwickeln. Sie wird jetzt im Pariser Invalidenhaus verwahrt, aber weil sie ein Unicum ist, nur gegen ein Trinkgeld von zwölf Sous gezeigt. Metallene Abgüsse davon sind beim Haushofmeister des Invalidenhauses ebenfalls zu haben.

Nach drei oder vier, vielleicht auch fünf Wochen verlautete es im Lager, daß der Marschallstab per Post an mich angekommen sei. Er wurde mir, wer sollte es denken! unterschlagen.

Eines Tages als sich derselbe – nämlich der Tag – schon zur Rüste neigte, gehe ich um die Wälle von Constantine spazieren. Da begegnet mir der neue Generalgouverneur, ganz allein, sich auf seinen Spazierstock stützend. Ich betrachte diesen und sehe darauf in Emaille die Buchstaben F. B., die offenbar »Fritz Beutel« bedeuten sollten, und darüber eine goldene Lorbeerkrone. Ein Marschallsstab als Spazierstock! So etwas ist noch nicht vorgekommen.

Ich trete an den Generalgouverneur heran und sage:

Guten Abend!

Guten Abend! erwiederte der Generalgouverneur.

Sie haben da einen schönen Spazierstock, bemerkte ich.

Weniger schön, als dauerhaft, erwiederte er.

Erlauben Ew. Excellenz! sagte ich. Der Unverschämte war dreist genug, mir den Stab hinzureichen, als sei er seiner Sache ganz sicher.

Ah, ich glaube, rief ich, den Stock untersuchend, dieser Stab gehört mir!

Ihnen? erwiederte er. Ih, ich habe ja den Stock in Algier auf dem letzten Jahrmarkte gekauft.

Marschallstäbe, erwiederte ich, verkauft man doch nicht auf Jahrmärkten. Oder sollte es wirklich ein Pariser Lager von Marschallstäben geben?

Wir haben in Paris Waarenlager für Alles, antwortete er, und warum nicht auch für Marschallstäbe? Wir kaufen sie, wo wir sie eben am wohlfeilsten haben können.

Ei, sagte ich hierauf, so soll wohl auch das F. B. auf dem Stocke nicht »Frédéric Beutel«, sondern »Fi, boucre!« oder was Aehnliches heißen?

Wie soll ich das nehmen? fragte er gereizt. Nehmen Sie's, wie Sie es wollen! antwortete ich. Damit wandt' ich ihm den Rücken und ging, indem ich zugleich, um allen französischen Marschallstäben meine Verachtung zu bezeugen, den Stab in den Festungsgraben schleuderte.

So viel sah ich ein, daß nach diesem Rencontre meines Bleibens hier nicht mehr sein könne. Ich kannte den neuen Generalgouverneur: unter seiner schwarzen Weste schlug ein noch schwärzeres Herz, wenn überhaupt eins darunter schlug. Er beneidete mich um meinen Ruhm, der namentlich unter den Arabern selbst sehr groß war, indem sie mich fast wie ein übermenschliches Wesen verehrten. Auch lautete damals ihre Betheuerungsformel nicht: Allah ist groß! sondern: Allah ist groß, aber Fritz Beutel ist noch größer!

Ich sattelte daher meinen Gelben, wie ich meinen Reitlöwen nannte, steckte meine Kostbarkeiten zu mir, versah mich mit Geld – unter das sich zufällig und ganz gegen meine Absicht auch der Bestand der Bataillonskasse verirrte – schlang um den Hals meines Löwen einen mit Wein gefüllten Schlauch und ein schönes Halsband, das aus Würsten und Schinken geflochten war, und sprengte aus einer mir bekannten Seitenpforte von Constantine ins Freie, gerade auf den Mittelpunkt von Afrika los.


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