Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Sechszehntes Kapitel.

Der Journalismus ist, recht benutzt, der Haupthebel des Emporkommens für Thierbudeninhaber und Ministeraspiranten. Während sie schlafen, essen oder nichts thun, arbeitet für sie die Annonce oder der Leitartikel.

Guizot.

Der Magen ist das Hauptorgan der Innern Mission, indem er das Central-Innere des Menschen bildet. In ihn muß der Sitz der Innern Mission verlegt werden.

Wichern.

Das Haus, in welchem sich die Zeitungsexpedition befand, hatte ich ohne große Mühe aufgefunden; denn es zeichnete sich durch ein mächtiges Schild aus mit der Inschrift:

»Hier erscheint der Minotaurus im Labyrinth der Zeitfragen. Schnipphausionopolitanisches Organ des unaufhaltsamen Fortschritts, Expedition, Redaction und Druckerei gleich im Hofe rechts.«

Diese Inschrift machte mich nicht wenig darauf gespannt, den Eigenthümer und Redacteur dieses mörderischen Blattes kennen zu lernen.

Bald stand ich im Redactionszimmer des Minotaurus, welches zugleich auch das Expeditions-, Setz- und Drucklocal war. Noch vor kurzem mochte es wohl als Holzschuppen gedient haben, und um vieles besser war es auch jetzt noch nicht. Ein Mann, den Rücken mir zukehrend, war eben mit Setzen beschäftigt. Er drehte sich um.

Fritz! rief er.

Peter! rief ich.

Fritz Beutel! rief er.

Peter Silje! rief ich.

Wer führt dich hierher? fragte er.

Wer hat dich hierher geführt? fragte ich.

Und so gingen die Fragen und Ausrufungen noch lange Zeit unregelmäßig hin und wieder, ehe wir in die Stimmung kamen, ein ordentliches Gespräch zu führen. Er berichtete mir über seine Lebensschicksale und ich über die meinen. Vor seinem ehemaligen Cultusminister stand jetzt dessen ehemaliger Herr und Kaiser in einer gewissermaßen traurigen Gestalt, als ein Mensch, der von den Kindern für einen »Raritätenmann« gehalten wurde, während Peter Silje es doch bis zur Redaction eines Blattes gebracht hatte, mit dem er die öffentliche Meinung der Schnipphausionopolitaner beherrschte und leitete. An Abonnenten fehlte es dem Blatte nicht; er klagte nur über die Säumigkeit im Zahlen. Viele der lieben guten deutschen Landsleute trügen ihm, wie er mir erzählte, das Abonnementsgeld in Eiern, Würsten, Speck, Käse und andern eßbaren Gegenständen ab. Uebrigens war er Redacteur, Expeditor, Corrector, Setzer und Drucker in einer Person. Seine eigenen Artikel, darunter auch die politischen Leitartikel, setzte er sofort aus dem Kopfe, ohne sie vorher niedergeschrieben zu haben. Es ist als ob die nordamerikanische Atmosphäre die menschlichen Fähigkeiten in praktischer Richtung aufs wunderbarste entwickele, denn ein europäischer Redacteur sollte so etwas wohl bleiben lassen.

Eine meiner ersten Fragen war, wie diese Stadt zu dem Namen Schnipphausionopolis gekommen sei.

Sieh, sagte er, als ich hierher kam, hatte das Nest noch gar keinen Namen, und damals waren die Bewohner lauter Deutsche, die noch ziemlich zerstreut wohnten. Die Gassen waren abgesteckt, aber nur hier und da sah man ein Haus. Indeß füllten sich die leeren Räume von Woche zu Woche mit der Geschwindigkeit, mit der hier Alles vor sich geht. Die Ortschaft sollte nun einen Namen erhalten und es wurde dazu eine öffentliche Volksversammlung ausgeschrieben. Du kannst dir denken, wie darüber gestritten wurde; es waren ja Deutsche! Jeder schlug den Namen seines Geburtsorts vor, man hörte Lowositz, Meseritz, Kyritz, Connewitz, Frankfurt, Ochsenfurt, Schweinfurt, Nürnberg, Perleberg, Grünberg, Müncheberg. Niemand wollte nachgeben und es fehlte nicht viel, so hätten sich die erhitzten Geister in Klopfgeister verwandelt. Endlich beantragte einer der Anwesenden, einen recht aparten Namen zu erfinden, der für Keinen eine Zurücksetzung sei. Ich schlug Germanopolis vor. Das sei freilich etwas Apartes, meinte derselbe Mann, aber etwas Deutsches müsse doch dabei sein. Nun, so nennt das Nest Schnipphausionopolis, da habt ihr etwas ganz Apartes, und doch etwas Deutsches dabei, sagte ich. Mein Vorschlag war im Grunde nur spaßhaft gemeint und ich erstaunte nicht wenig, als bei der Abstimmung dieser Name mit großer Mehrheit durchging, worauf Ruhe im Lande war.

Hierauf kam er auf meine eigene Lage zu sprechen, die, wie er zart andeutete, wohl nicht die allergünstigste sein könne. Er fragte mich, ob ich ihm nicht bei seinen Redactionsgeschäften zur Hand gehen wolle, da er eines Gehilfen bedürfe, oder ob ich nicht wenigstens Lust habe, einige Kapitel aus meinem ereignißvollen Leben für sein Feuilleton zu liefern? Ich fragte ihn, wie viel Buchstaben ich etwa wohl zu schreiben habe, um einen Dollar zu verdienen, und er antwortete: nun, so etwa viertausend, einige mehr oder weniger, welcher tröstlichen Nachricht er noch die Bemerkung hinzufügte, daß er die Hälfte des Honorars in Naturalien auszuzahlen pflege.

Ich schüttelte mich. Nein, sagte ich, da hacke ich lieber Holz; das ist doch wenigstens eine gesunde Arbeit, die das Blut in Bewegung erhält.

Ach, sagte Peter Silje, mit dem Geschäft ist es in Schnipphausionopel nichts; hier hackt Jeder sein Holz selbst.

Aber so geschickt wie ich gewiß Keiner, fiel ich ein, ich hacke aus einem Klafter Holz immer drei heraus. Indeß will ich weder Holz noch Sylben spalten, weder Scheite noch Perioden schichten, weder Klötze noch Gedanken klein sägen. Ich hasse solche Arbeit, die sich so aus lauter kleinen Stückchen zusammensetzt. Ich liebe alles Große und Massige. Es ist eine ganz andere Speculation, die ich im Sinne habe.

Eine Speculation? fragte Peter Silje; laß hören, wir leben hier im Lande der Speculation.

Nun, ich habe zwei Dutzend – verlegen hielt ich inne, ich schämte mich, mit meinem Project herauszurücken.

Zwei Dutzend? fragte er neugierig.

Ja, was weiter – zwei Dutzend Paar hirschlederne Beinkleider, die ich hier an den Mann bringen möchte.

Peter Silje lachte laut auf. Zwei Dutzend hirschlederne Beinkleider? Das ist nichts, das ist keine Speculation!

Jetzt wurde ich warm und begann, durch den Widerspruch gereizt, für den Gegenstand meiner Speculation zu schwärmen, und ich sagte:

Sie sind aber sehr schön, dauerhaft, fast funkelnagelneu, sage ich dir, sie funkeln in der That wie neue Nägel.

Nun erzählte ich mein Abenteuer mit den Trappers.

Er nahm jetzt eine ernste Miene an, stand, den Zeigefinger an die Stirn gelegt, eine Zeitlang sinnend da und äußerte hierauf: Bei Licht besehen, ist das Unternehmen nicht so übel. Wenn man die Sache recht angreift, könnte man aus jedem Paar wohl 5 oder 6 Dollar herausschlagen, das würde eine Summe von 120 bis 144 Dollar abwerfen, und damit läßt sich hier zu Lande schon etwas anfangen. Gedulde dich nur eine Weile, lieber Freund, und verhalte dich einige Minuten still, denn ich muß jetzt meine Gedanken concentriren.

Damit begab er sich zum Setzkasten, langte seine größten Lettern heraus und begann zu setzen. Nachdem er alle weiteren Proceduren gemacht, begab er sich zu seiner Handpresse und nach wenigen Minuten hatte ich einen bedruckten Streifen Papier in der Hand, worauf ich Folgendes las:

»Höchst wichtige Nachricht!

»Der berühmte Trapper Fritz Beutel ist so eben ans den Rocky Mountains hierselbst eingetroffen und offerirt dem hiesigen Publikum einen Vorrath von wildledernen Beinkleidern erster Qualität. Das Leder ist auf eine ganz neue Weise aus dem Felle eines Thieres zubereitet, welches erst in der letzten Zeit in den Schluchten der Rocky Mountains entdeckt worden ist. Dieses merkwürdige Thier ist ein viertel Bär, ein viertel Hirsch, ein viertel Biber und ein viertel Büffel und sein Fell vereinigt demnach alle vorzüglichen Eigenschaften, wie sie an den Fellen der genannten Thiere einzeln gefunden werden. Der Besitzer garantirt den Käufern dieser Beinkleider fünfzig Jahre und verpflichtet sich den vollen Preis zurückzuzahlen, wenn sie vor dieser Zeit Schaden leiden und Löcher oder Risse erhalten sollten. Das Publikum wolle sich beeilen, von dieser Offerte Gebrauch zu machen, da der Besitzer sich in hiesiger Stadt nur einige Tage aufhalten wird. Der Preis für das Stück – 6 Dollar – ist einzig und allein im Interesse der Menschheit so niedrig gestellt.«

Ich war mit dieser Anzeige sehr zufrieden, sie schien mir ganz amerikanisch zu sein und ich versprach mir von ihr den besten Erfolg.

Da ich ihm im Laufe des Gesprächs auch von meinen übrigen Raritäten und den drei russischen Orden erzählte, so leuchtete im Gehirn Peter Silje's ein neuer Gedanke auf und er rief, nachdem er mehrmals, mit dem rechten Arm in der Luft hin- und herfahrend, auf- und niedergegangen war:

Fritz! Fritz! Das gibt ein richtiges Unternehmen! Wir eröffnen ein Museum thierischer und menschlicher Wunder! Gedulde dich einen Augenblick! Ich werde mit der Anzeige gleich fertig sein.

Damit begab sich Peter Silje zu seinem Setzkasten, setzte und druckte, und gab mir einen neuen Streifen Papier, auf dem ich Folgendes las:

»Zugleich verbinden wir hiermit die Anzeige, daß in denselben Räumen des Hotels »zur deutschen Eintracht«

Ein Museum thierischer und menschlicher Wunder

eröffnet ist, bestehend 1) aus dem Scalp des berühmten Indianerhäuptlings Ta-Bu-To-Ba-Bumpfi, welchen Fritz Beutel mit eigener Hand erlegte;

2) aus dem Balg einer Prairienschlange, einer noch unbekannten Species von Riesenschlangen angehörig, welcher Fritz Beutel mit dem Tomahawk den Leib aufschlitzte, als sie das Indianermädchen Ma-Nu-La-Hit-Tih verschlungen hatte;

3) aus dem zur Mumie eingetrockneten Leichnam dieses Mädchens, welches zwar aus dem Bauche der besagten Prairienriesenschlange durch Fritz Beutel glücklich befreit wurde, dann aber dem Biß der höchst giftigen Pilzschlange erlag;

4) aus dem Kopfe dieser Pilzschlange, welcher im Arme ihres unglücklichen Opfers stecken geblieben ist;

5) 6) und 7) aus drei russischen Orden, welche der General Miloradowitsch trug, als er bei der Revolution der russischen Garden im Jahre 1825 meuchlerisch getödtet wurde, und an denen noch mehrere Blutspuren wahrzunehmen sind, welche jene höchst blutige Katastrophe in all ihrer Furchtbarkeit dem Beschauer ins Gedächtniß zurückrufen werden.

Der Eigenthümer dieser kostbaren Gegenstände, ein liebenswürdiger Gentleman von bester Geburt und Erziehung, wird sich beeifern, das Interesse an diesen Gegenständen durch seinen anziehenden Vortrag zu erhöhen. Der Eintrittspreis ist im Interesse der Wissenschaft auf nur 12 Cent festgesetzt. Wer eins der oben bemerkten Beinkleider kauft, hat den Besuch des Museums umsonst.«

Diese verlockende Anzeige erschien am zweiten Tage darauf sowohl im »Minotaurus« als in der englischen Zeitung. Auch wurden ellenlange Ankündigungszettel an die Straßenecken, an die öffentlichen Brunnen und an die Thüren des Gasthauses »zur deutschen Eintracht« geklebt. Mein Pferd behing ich ebenfalls mit solchen Zetteln und ließ es vom Hausknecht des Gasthofes in den Straßen der Stadt herumführen. Mein Zimmer hatte ich zum Museum eingerichtet, die Gegenstände möglichst malerisch geordnet, die russischen Orden in einen Glaskasten gethan, auch nicht versäumt, an ihnen vermittelst Rinderblut die nöthigen Blutspuren anzubringen. Die Besucher konnten nun kommen – und sie kamen in dichten Schaaren.

Das Gedränge war so ungeheuer, daß ich in aller Eile eins der auf die Straße sich öffnenden Fenster zur Thür erweitern mußte, so daß der Strom der Sehbegierigen sich regelmäßig fortbewegen konnte, nämlich durch die in den Hausflur führende Thüre in das Museum hinein und aus diesem durch die neue Thür wieder auf die Straße hinaus. Mein lebhafter ergreifender Vortrag, der, ich muß es gestehen, nicht ganz so bei der Wahrheit blieb wie in diesem Buche, trug das Seinige dazu bei, immer neue Zuschauer herbeizuziehen und mein Freund Peter Silje mochte nicht unrecht haben, als er in seinem Bericht über diesen glänzenden Erfolg behauptete, daß meine Erklärungen allein ihre 12 Cent werth seien.

Unter den Besuchern riefen die Angloamerikaner immer nur »Remarkable! wonderful!« wogegen die deutschen Landsleute ihren Gefühlen in breitern Ergüssen Luft machten: »Wenn man's nicht sähe, würde man's nicht glauben!« »Nein, so was lebt nicht!« »Was in der Welt nicht Alles möglich ist!« u. s. w. Die Sachsen ließen ein Mal über das andere Mal ihr »Herr Jeechens!« hören und ein Schneider aus Berlin bemerkte »Jott! des is ja 'ne scheußliche Jeschichte! wenn das unglückliche weibliche Opfer in seinem verschrumpften Zustande man nicht eben so eklig aussähe, wie das unappetitliche Beest! Mich wird ganz schwimelig zu Muthe!«

Den Beinkleidervorrath hatte ich noch im Laufe des ersten Tages abgesetzt, und ich vermochte den vielen Nachfragen nur mit der Versicherung zu begegnen, daß ein größerer Vorrath bereits unterwegs sei und in den nächsten Wochen eintreffen würde. Der Besuch meines Museums blieb auch in den folgenden Tagen noch sehr ansehnlich, da die Farmer mit ihren Familien oft aus sehr weiter Entfernung herbeiströmten, um meine Raritäten in Augenschein zu nehmen. Doch wie Alles ein Ende hat, so hatte etwa nach Verlauf einer Woche auch der Besuch ein Ende; die Neugierde war gestillt; ja man begann allmälig, mein Museum scharf zu kritisiren und gegen die Glaubwürdigkeit meiner Mittheilungen allerlei Zweifel zu äußern.

Ich hatte inzwischen ein sehr schönes Geschäft gemacht, und daß ich mich gegen meinen Freund Peter Silje dankbar bewies, läßt sich von mir erwarten. Peter Silje rieth mir, mit meinem Museum auch anderwärts mein Glück zu versuchen und von Stadt zu Stadt zu wandern; aber ich war der Sache schon vollkommen überdrüssig; die Rolle eines Raritätenmannes oder »Showman« sagte mir nicht zu, und ich war sehr erfreut, als eines Tages ein junger Mann sich bei mir meldete und mir für mein Museum eine beträchtliche Summe bot. Wir wurden wenigstens über das Indianermädel und die Riesenschlange einig; dagegen behielt ich meine drei russischen Orden, auf die ich mir etwas einzubilden anfing, und die mir ja noch von sehr großem Nutzen sein konnten, und den Scalp des Indianerhäuptlings, an welchem dem Käufer nichts lag, weil er, wie er versicherte, davon schon einige Dutzend besitze und dieser Artikel durch die große Concurrenz bei dem Publikum und dadurch auch bei den »Showmen« außer Cours gekommen sei.

Ich bemerkte übrigens bald, daß ich mit einem sehr geriebenen Manne zu thun hatte, was den Leser auch nicht Wunder nehmen wird, wenn ich ihm sage, daß dieser angehende talentvolle »Showman« kein Anderer war, als der später so berühmt gewordene Phineas Barnum, der Vater und Gesetzgeber des nordamerikanischen Humbug. Er soll auch mit meiner Indianerjungfrau eine Zeitlang gute Geschäfte gemacht haben und brachte die Verbesserung an, daß er sie in den Rachen der Schlange steckte und nur ihren Kopf und ihre ausgebreiteten Arme, als ob sie um Hilfe rufe, daraus hervorhängen ließ, was den Effect der Gruppe bedeutend steigerte.

Einen großen Theil des Erworbenen steckte ich in den »Minotaurus«; es wurde ein neues Drucklokal gebaut, eine Dampfpresse angeschafft und das Format des Blattes um das Doppelte vergrößert. An den Redactionsgeschäften nahm ich jedoch nicht Theil, sondern spielte den großen Herrn, richtete mich in einer hübschen Privatwohnung elegant und comfortabel ein, aß sehr gut und trank wo möglich noch besser. Mein Leib nahm dabei an Umfang beträchtlich zu, aber meine Börse in demselben Verhältniß ab. Da wir außerdem den Preis für den Minotaurus erhöht hatten und ihm durch ein neu begründetes noch radicaleres und dabei sehr wohlfeiles Blatt Concurrenz gemacht wurde, so verloren wir in kurzer Zeit die Hälfte der Abonnenten und bald deckte der Minotaurus nicht einmal mehr die Auslagekosten.

Diese Hiobspost theilte mir Peter Silje eines Tages mit und sie machte mich nicht wenig betroffen. Doch da wir gerade bei einer Flasche Sect saßen, so brachte mich dieser auf einen wie ich hoffte glücklichen und fruchtbaren Gedanken. Ich sprang plötzlich auf und rief: Peter, ich werde eine Secte stiften und Chef dieser Secte werden!

Er sah mich zuerst verwundert an, ich wußte ihm jedoch mein Project mit meiner gewöhnlichen Ueberredungskraft bald plausibel zu machen; auch begriff er, daß diese neue Bewegung dem »Minotaurus« als ihrem Organe wenigstens für den Augenblick sehr zu statten kommen könne, und so erschien denn in der nächsten Nummer des »Minotaurus« folgende von uns gemeinsam redigirte geheimnißvolle Aufforderung:

»Nicht zu übersehende und wohl zu beachtende Aufforderung.

»An alle deutschen Einwohner hiesiger Stadt, die es mit ihrem und der Ihrigen Wohl wie mit dem sittlichen Heile der Menschheit redlich und gut meinen, ergeht hiermit der ernste Rath, sich am Freitag Abends in dem Tanzsaale des Hotels »zur deutschen Eintracht« einzufinden, wo ein hochwichtiger, die ganze Menschheit betreffender Gegenstand in Berathung gezogen werden soll. Der Nichterscheinende würde sich bei allen Gutgesinnten dem Verdacht aussetzen, gegen die höchsten und heiligsten Interessen der Menschheit gleichgiltig, und, um es mit republikanischer Offenheit herauszusagen, mit einer undurchdringlichen Büffelhaut gepanzert zu sein.«

Bis zum Freitag blieb mir noch Zeit genug, meinen Anhang gehörig zu bearbeiten. Dieser bestand aus fast allen jüngeren Leuten der Stadt und mehreren professionellen Wirthshausfreunden und rheinischen Schoppenstechern, mit welchen ich meine Abende lustig bei Becherklang und Rundgesang wie bei allerlei löblichen und lieblichen Gesprächen hinzubringen pflegte. Von dem eigentlichen Gegenstande des Meeting sagte ich ihnen nichts, hüllte ihn vielmehr in den Schleier des Geheimnisses; mir genügte vollkommen ihre Zusage, daß sie durch ihren Beifall jede Gegendemonstration ersticken und unbedingt für mich stimmen würden.

Der Freitag Abend erschien; der Saal war gedrängt voll, wie sich nach jener Anzeige und meiner großen Bekanntschaft erwarten ließ.

Ich trat auf das Gerüst, das sonst für die Musikanten bestimmt war und mir nun als Tribune diente, überflog die Versammlung mit einem gebietenden Blick und begann mit mächtiger Stimme:

»Verehrte Mitbürger!

»Indem ich Sie vor mir sehe, erhebt mich einerseits der Gedanke, daß jeder einzeln von Ihnen als Individuum vollkommen wahr und richtig fühlt; aber anderseits schlägt mich auch der Gedanke ebenso tief nieder, daß, wie man sagt, die Deutschen sehr schwer unter Einen Hut zu bringen seien. Indeß habe ich von vornherein dafür gesorgt, daß Sie noch vor dem Anfang unserer Berathung unter Einen Hut gebracht sind, und ich ersuche Sie deßhalb, Ihre Blicke auf die Decke zu richten!«

Ich hatte nämlich oben an der Decke einen herabhängenden alten Filzhut angebracht, auf den sich nun begreiflicherweise Aller Blicke höchlichst verwundert richteten. Ich aber fuhr eben so unbefangen als pathetisch fort:

»Betrachten Sie diesen Hut, der fortan immer über unsern künftigen Versammlungen schweben wird, als das Symbol der Einheit und Einigkeit, die unter uns waltet und walten muß, wenn wir die große Aufgabe erfüllen sollen, die ich Ihnen heute Abend ans Herz zu legen gedenke. Dieser Hut ist das Wahrzeichen, daß es mir gelungen ist, was noch Keinem gelang: eine Versammlung von einigen hundert Deutschen ohne ihr Wissen und Ahnen noch vor der Debatte unter Einen Hut zu bringen. Unter diesem Hute und von ihm behütet werden wir, ich hoffe, einstimmige Beschlüsse fassen; denn Gegenstimmen sind unter diesem Symbol unmöglich.«

Viele der Anwesenden wußten freilich nicht, was sie von diesem Eingange denken und zu ihm sagen sollten; aber mein Anhang begegnete sofort jeder Mißbilligung, die sich etwa Luft zu machen suchen sollte, mit einem wahrhaften Orkan von Beifall, der das Haus erzittern machte. Nachdem sich der Beifallssturm gelegt, begann ich von neuem:

»Meine Herren! ein Theil von Ihnen gehört der römisch-katholischen Kirche an, ein anderer ist lutherisch, ein dritter ist calvinistisch, ein vierter mennonitisch, ein fünfter herrnhutisch, und so gibt es vielleicht noch zwanzig Secten, in welche sich diese Versammlung spaltet, ungerechnet diejenigen, die der Hegel'schen Linken angehören, und diejenigen, welche gern eine Synagoge besuchen würden, wenn es eine in Schnipphausionopolis gäbe. Es ist dies, wie Sie mir zugeben werden, ein sehr trauriger zerrissener Zustand, dem wir nur dadurch abhelfen können, wenn wir eine neue allgemeine Secte stiften, welche geeignet ist, alle übrigen in sich zu schließen und alle Unterschiede zu verwischen. Ja es handelt sich bei unserer heutigen Versammlung, damit ich es kurz mache, um die Stiftung einer neuen Secte, und ich beantrage hiermit, zuerst darüber abzustimmen: ob die Versammlung überhaupt für rathsam, zweckmäßig oder nothwendig findet, zur Stiftung einer neuen Secte zu schreiten? Wer dagegen ist, bleibe sitzen; wer dafür ist, stehe auf!«

Sofort erhob sich mein ganzer Anhang wie Ein Mann, und da er über den ganzen Saal vertheilt war, so richtete jeder meiner Anhänger verabredetermaßen den zunächst Sitzenden, der etwa Platz behalten zu wollen schien, durch einen kräftigen Ruck in die Höhe, so daß die ganze Versammlung zuletzt sich von ihren Plätzen erhoben hatte, ausgenommen eine kleine Gruppe rechts in der Ecke.

»Sie meine Herren da in der Ecke rechts! donnerte ich diese an; unsere Abstimmung geschieht zwar ohne allen moralischen Zwang, aber ich werde es nicht dulden, daß innerhalb dieser Räume eine so geringe Minorität sich erlauben sollte, Opposition gegen den so deutlich ausgesprochenen Gesammtwillen der Versammlung zu machen.«

Werft sie hinaus, werft sie hinaus! Nehmt sie am Kragen! riefen meine Anhänger tumultuarisch.

»Ich bitte aber dabei in den strengsten Formen der Höflichkeit zu verfahren, redete ich dazwischen; überhaupt soll Höflichkeit und Courtoisie ein Hauptgebot unserer neuen Secte sein, und wenn schon ich in diesem Lande der Freiheit, wo Jeder thun und lassen kann, was er will, nicht für jeden Fall eine gelinde nützliche Ohrfeige oder einen zu Humanitätszwecken dienlichen Backenstreich ausschließen möchte, so soll dies doch nicht geschehen, ohne daß der Unternehmer der Ohrfeige vorher um Erlaubniß gebeten hat oder sich doch nachher als chevaleresker Mann artig entschuldigt. Begleiten Sie also jene Widerspenstigen, die sich herausnahmen, gegen die Gesammtabstimmung zu opponiren und vielleicht Einem oder dem Andern durch ihr verderbliches Beispiel moralischen Zwang anzuthun, unter allen Formen der Höflichkeit hinaus!«

Jene Männer – übrigens wie sich ergab Anglo-Amerikaner, die nur aus Neugier gekommen waren und von meiner Rede wahrscheinlich gar nichts verstanden hatten – wurden nun höflichst hinausbegleitet, wobei es jedoch, da sie diese Höflichkeit nicht begriffen und sich widersetzten, einige zerrissene Aermel und Rockschöße gab.

Hierauf ergriff ich das Wort und sagte: »Wir haben diese anglo-amerikanischen Eindringlinge beseitigt und damit das Beispiel einer Volksjustiz gegeben, die ebenso prompt als erfolgreich ist und unsern Feinden zeigen wird, daß, wenn sie mit uns anbinden wollen, sie mit Männern zu thun haben werden. (Ungeheurer Beifall.) Ich gehe nun zu dem eigentlichen Gegenstande unserer Berathung über.

»Wenn wir eine Secte stiften, so müssen wir auch einen Cultus haben, wir müssen etwas verehren. Aber was sollen wir verehren? Ich würde sagen die Idee, oder, da diese noch zu materiell ist, die Idee der Idee. Ja diese Idee der Idee wollen wir verehren, aber jeder im Stillen. Für den allgemeinen Cultus brauchen wir jedoch ein sichtbares körperliches Symbol, und es kommt nun nur darauf an, einen Gegenstand zu finden, in welchem sich diese Idee der Idee am anschaulichsten verkörpert. Wer, der hungern muß, hat eine Idee oder gar eine Idee von der Idee? Die Ideen sind nur die Gase eines wohlversorgten Magens; wird dieser nicht ordentlich gespeist, so hören auch die Gase auf. Um aber den Magen ordentlich zu pflegen, bedarf man jenes Mediums, das man im gemeinen Leben Geld, money, nennt. Es gibt aber eigentlich kein Geld, sondern nur Geldsorten, Friedrichsd'or, Ducaten, Thaler, Groschen, Kreuzer, Pfennige, Papiergeld. Sorten können für den Cultus nicht gebraucht werden; man kann nicht Madonnen verehren, sondern nur eine Madonna. Wir müssen also nach einem Gegenstand suchen, der in sich individuell gerundet ist und ein Bild gewährt. Meine Herren! ich glaube es gibt nichts Gerundeteres als einen Geldbeutel, der ohnehin mit dem Magen etwas Verwandtes hat, indem dieser im Grunde ja auch nur ein Beutel ist. Nun, ein solcher Beutel soll, schlage ich vor, der Gegenstand unseres gemeinsamen Cultus sein, wobei es Niemanden verwehrt sein soll, auch an mich zu denken als denjenigen, der den Namen Beutel mit Ehren trägt und Stifter der neuen Beutelreligion und der Secte der Beutelisten ist. Es wird demnach ein geräumiger, mit Quasten verzierter lederner Beutel der Zielpunkt unseres gemeinsamen Cultus sein; derselbe wird an der Wand befestigt werden, genau über meinem Kopfe und es wird allen Gläubigen zur Pflicht gemacht, nach Beendigung jeder Beutelfeier dieses Symbol unseres Glaubens mit einem Opfer zu versehen, je nach Maßgabe des Vermögens und Einkommens. Dieser Beutelcultus soll ein Cultus der Freude sein, es sollen um diesen Beutel Tänze als z. B. Galoppaden und Polkas aufgeführt werden und auch der Magen soll dabei in den gehörigen Stand gesetzt werden, die nöthigen Gase, ich will sagen Ideen zu entwickeln. (Rauschender Beifall meiner Anhänger, namentlich der alten Schoppenstecher.) Sie werden mir Recht geben, meine Herren! daß der Magen der Sitz aller Tugenden und Laster ist, denn wer gesättigt ist und Aussicht auf lange Tage der Sättigung hat, liebt neben sich auch die Menschheit, nur der Hungrige betrügt, stiehlt, raubt und mordet. Sehen Sie unsere Schoppenstecher an! (Betäubender Beifall.) Wie gemüthlich, menschenfreundlich sehen sie aus, welche Strahlen, sonnenähnlich, entsenden ihre Gesichter nach allen Seiten. Und wie häuslich, wie regelmäßig leben sie, wie zurückgezogen, wie weltverachtend in ihrem Weinhause, in welchem jeder ordentliche und ordnungsliebende Mensch sie zur festgesetzten Stunde finden kann. (Wiederholter Beifall.) Ja, sie leben in dieser Hinsicht mit einer Regelmäßigkeit, die ich fast pedantisch nennen könnte. Ich bemerke nur noch, daß diese neue Religion auf Actien gegründet werden wird, worüber ich Ihnen einen gedruckten Plan zukommen lassen werde. Schreiten wir jetzt zur Abstimmung! (Großer Beifall.) Ich stelle somit die Frage – – –«

Soweit war ich gekommen, als wir plötzlich von der Straße her ein wildes Getümmel, das Gebrüll des Yankee-Duddle und heulende Hurrahrufe vernahmen. Die hinausgeworfenen Anglo-Amerikaner hatten ihre Landsleute herbeigerufen und sich mit einem Trupp breitschulteriger und derbfaustiger Farmer vereinigt, die sich gerade an diesem Tage in großer Zahl in der Stadt befanden zum Zwecke eines Vieh- und Pferdemarkts, der am folgenden Tage abgehalten werden sollte. Bald stürmten sie auch, nachdem sie die Thüren erbrochen hatten, in den Saal, mit Knütteln, Messern, ja zum Theil selbst Revolvern bewaffnet und mit dem Rufe: Lyncht ihn! Lyncht ihn! was mir keineswegs angenehm zu hören war.

Die Deutschen, auf eine solche Katastrophe nicht vorbereitet, waren gänzlich unbewaffnet und bestanden zum Theil aus »Gevatter Schneidern und Handschuhmachern«, von denen bei einer Klopferei im großen Style nicht viel zu erwarten war, und auch auf meine älteren Freunde, die Schoppenstecher, konnte ich mich nicht sehr verlassen, da sie wie alle Schoppenstecher zwar höchst raisonnirlustige, aber auch äußerst friedfertige Leute waren und nur den einen Ehrgeiz kannten, recht viele Schoppen, aber sonst Niemand auszustechen. Trotz des offenbar ungleichen Kampfes setzten sich aber doch die jungen Leute und eine Anzahl kräftiger Handarbeiter zur Wehre, brachen Tischen, Stühlen und Bänken die Beine aus und gingen mit dieser improvisirten Waffe auf die Angreifer los.

Da ich jedoch voraussah, wohin der Kampf sich schließlich wenden mußte, so benutzte ich die allgemeine Verwirrung und entschlüpfte durch eine Hinterthür, welche auf eine Gallerie hinausführte, die an dem einen Ende mit einer Treppe versehen war. Auf dieser gelangte ich gerade in den Hof und durch einige Gärten – wobei ich freilich mehrere Zäune und Hecken überklettern mußte – in meine nicht fern gelegene Wohnung, die zu ebener Erde lag. Das Fenster nach dem Hofe zu war geöffnet und durch dieses stieg ich in mein Wohnzimmer, da ich mir mit meinem gewöhnlichen Scharfblick denken konnte, daß die von innen verschlossene Thüre für den möglichen Fall meines Entkommens besetzt sein würde. Diese Vermuthung erhob sich zur Gewißheit, indem ich auf dem Hausflur das Geflüster und Gemurmel mehrerer männlichen Stimmen vernahm. Ich steckte nun den Rest meiner Baarschaft, den Scalp und die russischen Orden zu mir, warf meine Flinte über die Schulter, nahm meine Guitarre in die linke und meinen Tomahawk in die rechte Hand und wollte eben meine Flucht durch das Fenster ergreifen, als drei Männer vor demselben erschienen und in das Zimmer spähende Blicke warfen. Meine Belagerer mußten also doch von meiner Heimkehr etwas gewittert haben.

Ich war also genöthigt, meine Operationen zu ändern. Da ich annehmen konnte, daß die andern Männer am Schlüsselloch lauschen würden, drehte ich den Schlüssel so leise und schnell als möglich im Schlüsselloch um und stieß die Thüre mit einer so furchtbaren Gewalt auf, daß die drei noch im Hausflur befindlichen Männer über einander stürzten. Ich gab ihnen noch in aller Eile einige tüchtige Tritte, ohne gerade dabei zu überlegen, wohin sie trafen, und stürmte nun gegen die in den Hofraum führende geöffnete Thüre los, denn es war mir vor Allem darum zu thun, den Stall zu erreichen und mich meines Pferdes zu bemächtigen. Natürlich traten mir die drei Männer, welche mich vom Fenster aus belagerten, in den Weg. Schnell entschlossen nahm ich den Scalp, stülpte ihn einem der Männer so über den Kopf, daß er für eine Weile nicht aus den Augen sehen konnte, ergriff dann meine Guitarre, die ich bis hierher durch so viele Fährlichkeiten gerettet hatte, schlug sie dem Ersten, der mir entgegentrat, um die Schläfe, daß ihm für eine Weile Hören und Sehen verging, wobei aber auch die Guitarre in hundert Stücke zerflog, und ging dann mit dem Schlachtrufe des Mephistopheles:

Die Zither ist entzwei, an der ist nichts zu halten,
Nun geht es an ein Schädelspalten!

auf den letzten noch übrigen der Männer los, mit geschwungenem Tomahawk und einer so wüthenden Geberde, daß er mir entsetzt auswich und mir Zeit ließ, in den Stall zu gelangen. Mit bewundernswerther Schnelligkeit koppelte ich mein Pferd los, sattelte und zäumte es, schwang mich in den Sattel und sprengte durch die Hinterthür des Hofes ins Freie.

Es wurden mir zwar aus einem doppelläufigen Revolver zwei Kugeln nachgesendet, aber ich spottete ihrer mit lautem höhnischen Lachen.

Ich war gerettet und betrachtete diese Flucht als einen glorreichen Sieg des deutschen Elements über das anglo-amerikanische oder nativistische, da es die Yankees in ihrer lächerlichen Wuth gerade auf meine Person abgesehen hatten, ohne mir doch einen Finger zu krümmen und mich an meiner Flucht hindern zu können. Es gereichte mir zur innigsten Genugthuung, wenn ich an die langen Nasen dachte, mit denen meine schändlichen Widersacher folgenden Tages in den Gassen von Schnipphausionopolis umherspazieren würden.


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