Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Die ganze Weltgeschichte ist zusammengeschwindelt worden. Alle großen Staatsmänner, Feldherrn, Sectenstifter, Philosophen und Dichter in alter und neuer Zeit waren mehr oder weniger geniale Schwindler. Alles treibt Humbug; der Frühling treibt ihn, wenn er mit Millionen Blüthen prahlt, die niemals zur Frucht reifen; der Sommer treibt ihn, wenn er Millionen Halme reift, deren Aehren hohl sind. Den Schein aufrecht erhalten, wenn man auch nichts ist und nichts weiß und nichts besitzt – das ist der Kern aller Lebensmoral. Die Menschheit theilt sich in zwei Hälften, von denen die eine schwindelt, die andere sich beschwindeln läßt. Ich für mein Theil ziehe vor, zur erstern zu gehören.

Phineas Barnum.

Eine alte Erfahrung lehrt, daß der Mensch, je mehr er in die höhern Jahre kommt, auch um so weniger Abenteuer zu erleben pflegt. Es ist, als ob das sonst sehr wenige Rücksichten nehmende Schicksal einsähe, daß der Mensch nun mehr und mehr der Ruhe bedürfe. Ich will damit durchaus nicht sagen, daß der letzte Abschnitt meines Erdenlebens an großen Thaten und Ereignissen arm gewesen, aber sie kamen in größeren Zwischenräumen, nicht mehr platzregenartig, sondern tropfenweise wie der Regen nach einem Gewitter, wenn es sich allmälig ausregnet.

So geschah mir auch während meiner diesmaligen Ueberfahrt nach der westlichen Hemisphäre nichts, was von Bedeutung gewesen wäre und in die Annalen der Weltgeschichte eingezeichnet zu werden verdiente. Als ich in Neu-York eintraf, war der mexikanische Krieg in der Hauptsache bereits entschieden und ich sah zu meiner Betrübniß ein, daß mein ärgerliches Heimweh nach Schnipphausen mir einen fatalen Streich gespielt und mich einer außerordentlich günstigen Gelegenheit zur Ausführung weltgeschichtlicher Thaten beraubt hatte.

In den wirklich einsichtsvollen politischen Kreisen Washingtons und Neu-Yorks wurde es übrigens höchlichst bedauert, daß man nicht mich zum Oberfeldherrn gehabt habe. Bekanntlich berichteten die Zeitungen über die Einnahme der Stadt Mexiko die fürchterlichsten Dinge, wie aus jedem Dachstubenfensterchen ein Zweiunddreißig-Pfünder geragt habe, wie jeder Pflasterstein unterminirt gewesen und ganze Häusercarrés und halbe Straßen in die Luft gesprengt worden wären u. s. w. Alle diese Erzählungen wiesen sich später als ächt münchhausen'sche Lügen aus. Nun war aber Jedermann überzeugt, daß, wenn ich zu der Zeit in Amerika gewesen wäre und mit meinem Geist die beiden kriegführenden Parteien befruchtet hätte, alle diese Münchhauseniaden zur Wahrheit geworden sein würden.

Als ich später mit dem General Taylor, dem Sieger von Buena Vista und Matamoras zusammentraf, gestand mir dieser, er habe in manchem kritischen Augenblicke gerufen: wollte Gott, der Abend wäre da, oder Fritz Beutel käme! Und jedesmal, wenn er sich meines Namens und meiner Thaten erinnert, sei es wie die Eingebung eines Genius über ihn gekommen; irgend eines meiner berühmten Kriegsmanöver sei ihm eingefallen; er habe es angewendet und auch sofort den Sieg an das Sternenbanner gefesselt. Auch der Oberfeldherr, General Scott, gestand mir: Lieber Herr Beutel! ich bin zwar diesmal auch ohne Sie fertig geworden, aber fragen Sie nur nicht wie? Ohne Sie laß ich mich in solche halsbrecherische Geschichten nicht wieder ein!

Ich befand mich also in Neu-York, und ließ sofort dem Chef des Handlungshauses, für das ich meine Auswanderer besorgt hatte, melden: ich sei mit meinen 400 Auswandrern da; ich habe sie alle in meinem Hotel untergebracht und erwarte nun seinen Besuch, um das Nähere mit ihm verabreden zu können.

Der Chef des Handlungshauses mochte von dieser eigenthümlichen Meldung nicht wenig überrascht worden sein; ich merkte dies an dem langen Gesichte, das er noch machte, als er mich wirklich zu besuchen kam.

Ich führte ihn nun in einen geräumigen Saal, wo ich meine vierhundert Porträts aufgestellt hatte, zeigte ihm diese und sagte: das sind meine Auswanderer, alle wohl erhalten; nicht einmal die Seekrankheit haben sie gehabt; keinem von ihnen ist übel geworden, obschon Manchem, der sie sah, bei ihrem Anblicke übel wurde. Die Kosten für die Ueberfahrt dieser Zwischendeckpassagiere habe ich bezahlt; es ist nun an Ihnen, mir einen Karolin für den Kopf zu zahlen, wie im Contract ausbedungen ist.

Der Schelm aber weigerte sich; ich aber wandte mich an die Gerichte, wies meinen Contract vor, demonstrirte, daß dies »Auswanderer aus Deutschland« seien und berief mich auf den Wortlaut des Contracts, wonach »für jeden Kopf« ein Karolin zugesagt sei; es seien lauter »Köpfe«, die ich zur Auswanderung angeworben, wie man sich durch den Augenschein überzeugen könne.

Trotz aller Einreden meines Gegners gewann ich den Proceß, da die nordamerikanischen Gerichte gewohnt sind, sich einzig und allein an den Buchstaben zu halten.

Nun veranstaltete ich zu Gunsten meiner ärmern Landsleute eine große Ausstellung, indem ich die bessern Porträts auswählte und mit ihnen meine in den Ateliers deutscher Künstler angekauften Landschafts- und Genrebilder vereinigte. Der Katalog, den ich darüber drucken ließ, war ganz nach dem Geschmacke der Yankees eingerichtet; es hieß darin z. B. unter Anderm:

Nr. 33. Gewitterlandschaft von Lessing. Von überraschendster Naturtreue. Der Regen fällt so naß, daß jeder Besucher daran wohlthun wird, nicht ohne Regenschirm vor dieses Bild zu treten, um nicht durchnäßt zu werden. Uebrigens werden auch Schirme im Ausstellungslocale selbst à 3 Cent ausgeliehen.

Nr. 96. Aegyptische Landschaft von Hildebrand. Die Wirkung der ägyptischen Sonne ist auf diesem Bilde so energisch dargestellt, daß Ladies von sehr zarter Complexion wohl thun werden, sich dieser Wirkung nicht zu lange auszusetzen, um nicht Sommersprossen zu bekommen. Durch ein Brennglas concentrirt, entzündet dieses gemalte Sonnenlicht den Schwamm auf einer Pfeife wie auch alle übrigen leicht brennbaren Stoffe. Gegen die glühende Hitze, welche der auf diesem Bilde dargestellte Wüstensand aushaucht, bediene man sich der Palmenfächer, welche auf dem folgenden Bilde vorkommen.

Nr. 97. Ostindische Scene: Ein Nabob, welchem im Schlafe eine Schaar lieblicher Bayaderen mit Palmenfächer Kühlung zufächelt. Die hier dargestellten Palmenfächer sind diejenigen, deren sich der Beschauer bedienen möge, um sich gegen die Gluth auf Nr. 96 zu schützen. N. B. Zur Beruhigung keuscher Ladies ist zu bemerken, daß die Bayaderen sehr decent gekleidet sind und daß auch der Nabob keinen Anstoß erregt.

Nr. 155. Bürger's Lenore von Kaulbach. Lenore dargestellt, wie sie eben in einem Fiacre für 5 Silbergroschen »ums Morgenroth« fährt.

Nr. 199. Seesturm von Achenbach. Die Wirkung dieses Bildes ist so naturgetreu, daß man dabei unwillkürlich Anwandlungen der Seekrankheit verspürt. Eine unglücklich Liebende, welche sich zu ertränken beabsichtigte, wählte leider dieses Bild zum Schauplatz ihrer jammervollen That, stürzte sich in die gemalten Wellen und ist nicht wieder gesehen worden.

Nr. 200. Stillleben: Würste und Schinken, von einem Düsseldorfer. Dieses Bildes wegen ist es verboten, Hunde in das Ausstellungslocal mitzubringen; denn da bereits ein Bologneser Hündchen die eine Wurst herausgefressen hat, gebietet es das Interesse der Kunst, wenigstens noch die übrigen Schinken und Würste zu retten.

Nr. 250. Porträt des berühmten Componisten ***. Originelle Auffassung. Der Künstler ist von hinten gemalt, um die Rückseite des Virtuosenthums und zugleich die haarsträubende Wirkung seines Spiels zur Anschauung zu bringen; denn die Haare stehen ihm alle zu Berge. Dieses Bildniß bezeichnet einen bedeutsamen Fortschritt, eine vollkommene Umkehr der Porträtmalerei; denn Jemanden von vorn so abbilden, daß man ihn erkennt, das kann Jeder; aber von hinten, das will Etwas sagen!

Nr. 370. Historisches Bild: Der Ursprung des Hauses Rothschild, von einem Münchner Meister. Man erblickt auf diesem sinnreichen Bilde nichts als die Windeln, in welche der Stifter des Banquiergeschäftes Rothschild eingewickelt war, jedoch in gesäubertem Zustande. Darüber schweben allegorische Figuren, worunter das goldene Kalb in dem Stadium, wie es sich gerade zum Ochsen entwickelt.

Ich brauche nicht erst zu sagen, daß der Besuch meiner Ausstellung ein sehr zahlreicher war, wie ich denn auch später meine Bilder an die Neu-Yorker Kunstfreunde um sehr hohe Preise verkaufte. Den Ertrag habe ich redlich mit meinen ärmern Landsleuten getheilt. Ueberhaupt arbeitete ich damals viel im Fache der Philanthropie. Den später so berühmt gewordenen Roman »Onkel Toms Hütte« hat kein Anderer geschrieben als ich. Die Beecher Stowe befand sich dazumal gerade in Neu-York, und ich las ihr das Manuscript bei einem ihrer ästhetischen Thees vor. Sie war entzückt davon und ich überließ es ihr, da es mir dabei nur um die Sache zu thun war, gegen die einzige Bedingung, daß ich bei ihr Zeit meines Lebens frei Theetrinken haben solle. Später ließ sie das Buch unter ihrem Namen erscheinen, jedoch mit allerlei frommen Zusätzen, die nicht von mir herrühren, wogegen ich mir bei meinen späteren Besuchen der Vereinigten Staaten erlauben werde, zu dem Thee, den ich bei ihr zu genießen gedenke, allerlei unfromme Zusätze, bestehend in Rothwein, Rum oder Cognac, zu machen.

Ueberhaupt muß ich mich gegen die damals laut gewordene Verdächtigung, daß ich Mitglied des Mäßigkeitsvereins geworden sei, aufs entschiedenste verwahren. Ich hasse das ennuyante Genre und ich habe immer gefunden, daß Menschen, welche die Gottesgabe des Weins und anderer begeisternder Getränke verschmähen, auch meist höchst langweilige, selbstbewußt docirende, eitle und egoistische Naturen sind. Der Egoismus ist immer nüchtern und kennt keine Hingabe an einen rauschähnlichen Zustand, welcher Art er auch sei. Die ganze Mäßigkeitsbewegung dient nur zur Unterstützung der nordamerikanischen Speculationswuth und des Nativismus; denn der vom Wein sanft Angeregte umarmt die ganze Welt, ist Kosmopolit und nimmt es mit den Zahlen nicht sehr genau. Was mich betrifft, ist mir ein berauschter Engel lieber als ein Teufel in seiner infernalen Nüchternheit. Ich diene meinem Schöpfer schlecht, wenn ich seine Werke und Gaben von vornherein als Satanswerke und Satansgaben verabscheue. Er wird am besten gewußt haben, warum er dem Weinstock Eigenschaften verliehen hat, deren unweiser Genuß allerdings den Menschen ebenso tief unter sein Niveau zu erniedrigen, als ihr weiser Genuß ihn über sein Niveau zu erheben vermag. Freilich können nicht Alle Jedes, und nicht Jeder kann Alles vertragen; er müßte denn die Urverdauungskraft in Person sein wie ich. Diese Erklärung war ich mir und der Welt schuldig, damit Niemand mich für einen Mäßigkeitsvereinler halte und sich genire, vorkommenden Falls mir eine Flasche Sect oder auch mehrere vorzusetzen.

Die von mir gegen meine ärmeren Landsleute bewiesene Freigebigkeit begann inzwischen meine pecuniären Mittel anzugreifen und ich mußte darauf denken, ihnen durch einträgliche Unternehmungen wieder aufzuhelfen. Die eine mißlang gänzlich, weil ich dabei einen moralischen Factor, die Mutterliebe, mit ins Spiel gezogen hatte. Ich alter Menschenkenner verrechnete mich dabei gänzlich! Ich hatte eine Leihanstalt errichtet und angezeigt, daß auch Säuglinge als Pfänder angenommen würden. Ich lieh auf den Säugling 100 Dollar für den Monat, wovon ich jedoch sofort 10 Procent abzog; auch sollten bei der Wiedereinlösung zugleich die Verpflegungskosten vergütet werden; denn ich hatte eine entsprechende Anzahl Ammen engagirt. Die Anstalt war versuchsweise auf fünfzig Säuglinge berechnet. Der Zudrang war unglaublich. Der Platz vor meinem Institute wimmelte Kopf an Kopf von Frauenzimmern, welche ihre Säuglinge bei mir versetzen wollten. Ich mußte sie zu Hunderten wieder zurückschicken; denn in wenigen Stunden waren sämmtliche fünfzig Plätze besetzt. Der erste Monat war um, aber keine Mutter kam, um ihren Säugling wieder einzulösen oder den Pfandzettel verlängern zu lassen; sie ließen mir die schreienden armen Würmchen auf dem Halse. Juwelen, Ketten und andere Schmucksachen würden sie wohl eingelöst haben, aber nicht ihre Kinder; ich sah mit Schaudern, daß sie froh waren, sie auf diese Weise los geworden zu sein. Meine öffentliche Anzeige, daß ich auf alle Entschädigung verzichte, daß ich nur bäte, die Säuglinge wieder abzuholen, hatte keinen Erfolg. Ich mußte den Schaden tragen, und hatte den Spott noch dazu. Meine Bekanntschaft mit der Beecher Stowe war mir jedoch in diesem Falle von großem Vortheil. Sie war es, die mir in meiner großen Verlegenheit zu Hilfe kam und sich dafür bemühte, die Säuglinge bei menschenfreundlichen Familien unterzubringen. So wurde ich von einer Last erlöst, die ich mir freilich selbst aufgeladen hatte im Vertrauen darauf, daß es keine Mutter geben könne, die ihr Kind im Stiche zu lassen im Stande sei.

Ein Naturwunder, drei an den Schultern zusammengewachsene Mädchen, welche, wenn man sie auf die Füße stellte, vollkommen die Gruppe der drei Grazien darstellten, verkaufte ich später an den schlauen, bereits damals als showman berühmt gewordenen Phineas Barnum. Dieser lachte mich weidlich über mein Unternehmen aus und meinte, daß ich wenigstens den Versuch hätte machen sollen, mit meinen 50 Säuglingen eine Kinderausstellung zu eröffnen. Da geht mir eine Idee auf, fügte er hinzu, die ich früher oder später ausführen werde. Er hat sie auch ausgeführt. Die Zeitungen haben über die Kinderausstellung berichtet, welche dieser pfiffige Patron seinen Landsleuten zum Besten gegeben hat.

Ein zweites von mir versuchtes Unternehmen war ein Heirathsbureau, das einen bessern Fortgang nahm, weil es auf keinen sittlichen Factor berechnet war. Von allen Seiten liefen Adressen ein, und so hatten meine männlichen und weiblichen Kunden in der That immer die beste und mannigfaltigste Auswahl. Jeder Heirathscandidat und jede Heirathscandidatin waren zugleich verpflichtet, ihre daguerrotypirten Porträts mit einzusenden, die ich dann an den Wänden meines Bureau in schönen goldenen Rahmen aufhing, jedes mit einem Zettel versehen, worauf die sonstigen Qualitäten der Person, als: Alter, Rang, Stand, Temperament, Vermögensverhältnisse verzeichnet waren. So sahen sich meine Kunden stets aufs ehrlichste bedient und es kamen, in Begleitung oft sehr unterhaltender Episoden, zahlreiche Heirathen zu Stande, von denen ich meine nicht unbeträchtlichen Procente zog.

Eines Tages ließ sich ein Frauenzimmer melden und mir durch den Secretär sagen: sie möchte sich gerne verheirathen und komme in Person, weil ihr das Schreiben schwer falle und es ihr an Geld fehle, sich daguerrotypiren zu lassen. Ich fragte meinen Secretär, wie die Person aussähe; denn, dachte ich, wenn sie nicht einmal recht schreiben kann und kein Geld hat, so muß sie wenigstens außergewöhnlich jung und reizend sein, um trotzdem den Muth zu haben, sich in einem wohlassortirten Heirathsbureau zu melden. Auf meine Frage lachte der Secretär und sagte: nun, die Person steht in einem Alter, wo auch die größte Schönheit anfängt, schimmelig zu werden. Trotz dieser wenig empfehlenden Bemerkung ließ ich das Frauenzimmer eintreten, weil ich wenigstens einer lustigen Scene glaubte entgegensehen zu dürfen.

Bin ich hier recht, wo man einen Mann kriegen kann? fragte die Person, als sie eintrat.

Kreuz Donner – – –! ich hätte in diesem Augenblicke beinahe geflucht; da mir aber solche Ausbrüche roher Naturen in der Seele verhaßt sind, brach ich in der Mitte ab, ließ das »Wetter« bei Seite und rief: Aber Beate! Unbegreifliches, unergründliches Geschöpf! Wo kommst du her, und welcher Dämon blies dir den Gedanken ein, in deinen Jahren noch einmal heirathen zu wollen? Wenn ich den ewigen Juden wo wohnen wüßte, so müßte der dich heirathen; denn der ist gerade ein solcher Landstreicher wie du! An dessen Seite verdientest du durch den Erdkreis zu wandeln!

Ach Fritz! rief sie weinend, das Wandern habe ich jetzt herzlich satt – nein, wirklich! du kannst es mir glauben. Darum eben möchte ich heirathen, um nun endlich einmal zur Ruhe zu kommen; und zwar einen recht gesetzten Mann. Und wenn er das Podagra hätte, dann um so besser. Dann müßte er doch sitzen bleiben, wo er säße, und ich mit ihm.

Das hast du schon oft versprochen, bemerkte ich hierauf, aber niemals gehalten. Wo hast du dich inzwischen herumgetrieben? Warum bist du nicht mit dem Lloyddampfer nach Triest gefahren?

Ich habe wieder eine sehr bittere Erfahrung gemacht, die mich für immer geheilt hat, antwortete sie. Siehst du, ich lernte in Alexandrien einen nordamerikanischen Schiffskapitän kennen, der mir ich weiß nicht was Alles vorspiegelte und mich überredete, mit ihm hierher zu segeln. Ich bin ein so schwaches Geschöpf und ließ mich dazu überreden. Er trieb aber nur seinen Spaß mit mir, denn er hat mich hier sitzen lassen und sich nicht weiter um mich bekümmert. Ich habe mich, soweit es ging, ehrlich durchgebracht, aber mich noch weiter durchzubringen, nachdem alles Uebrige durchgebracht ist, bin ich außer Stande. Daß ich übrigens eine haushälterische Person bin, kannst du mir glauben. Ich habe auch noch das Billet für die Ueberfahrt nach Triest aufbewahrt, um es, wenn ich wieder nach Alexandrien käme, benutzen zu können. Damit fing sie an, in ihrem Strickbeutel nach dem Billet zu kramen.

Laß es nur gut sein, Beate! sagte ich, wir wollen sehen, was weiter zu thun ist.

Ich ließ es mir noch im Laufe desselben Tages angelegen sein, sie in einer anständigen Wohnung unterzubringen; denn bis dahin hatte sie in dem verlornen Bettlerwinkel der five points ihre Herberge gehabt.

Ein glücklicher Zufall wollte es, daß sich einige Tage darauf ein neuer Heirathscandidat meldete, der kein Anderer war, als der Tschugatschenprinz Knitschogarsk, der sich jetzt Agent für mehrere Thranhandlungshäuser nannte. Ich beschied ihn zu mir und hatte in meinem Bureau eine Unterredung mit ihm, aus der ich erfuhr, daß die Prinzessin Kax nun wirklich gestorben sei, wie er anführte, zum zweiten und letzten Male, und daß er ein leidliches Auskommen habe, auch mit der Anfertigung eines Katalogs für eine Centralindustrieausstellung sämmtlicher Eskimostämme beschäftigt sei. Auf meine Frage, welche Industriegegenstände auf dieser Ausstellung zu sehen sein würden, sagte er: nun, die Kuxusen haben eine schöne Pelzmütze und das in Seehundsleder gebundene Exemplar des »Werther« zu liefern versprochen, die Gurkhusen haben ein Paar Pelzstiefeln und die Tschugatschen einen Weiberunterrock aus Rennthierfell zugesagt, außerdem werden einige zwanzig Sorten Thran feinster Qualität ausgestellt werden, die Jedermann gleich auf der Stelle proben kann, außerdem –. Ich unterbrach ihn mit der Bemerkung, ich wisse nun genug, habe aber noch eine sehr wichtige Angelegenheit mit ihm zu besprechen, und brachte nun die Unterhaltung auf Beate. Ich bemerkte bald, daß die alte Liebe im Herzen Knitschogarsk's noch nicht eingerostet sei, und es fiel mir keineswegs schwer, ihn zu einer Besprechung mit Beate zu überreden.

Dieses Zusammentreffen fand im Laufe des nächsten Tags in meinem Bureau und in meiner Gegenwart statt. Ich stellte Beiden vor, wie die wunderbare Art ihres jetzigen Sichwiederfindens recht deutlich beweise, daß sie vom Himmel für einander bestimmt seien; ich machte dem Prinzen bemerklich, daß Beate in ihrer Heimath zwar so ziemlich als eine veritable Eskimo gelten, unter den Eskimos selbst aber als eine Gelehrte angestaunt werden würde, da sie ihren Namen ziemlich leserlich schreiben und deutsche Räuberromane in der Ursprache recht fertig lesen könne; Beaten aber führte ich zu Gemüthe, daß Knitschogarsk, wie er mir bereits gestern gestanden, häufig am Podagra leide, mithin einer ihrer Hauptwünsche erfüllt sei. Sie kam freilich, wie Weiber sind, immer wieder auf den Abscheu zurück, den sie gegen Knitschogarsk's Vorliebe für den Thran hege; als ich jedoch in den Heirathscontract die Klausel aufnahm, daß Knitschogarsk zwar täglich seine Ration an Thran haben, niemals aber von seiner Gattin verlangen solle, an seinem Thranfrühstück Theil zu nehmen, war sie's auch zufrieden.

Beide wurden nun zum zweiten Male zu einem Ehepaare zusammengelöthet und führten mit einander eine recht glückliche Ehe. Er besorgte seine Thrangeschäfte, wobei manches Kännchen für ihn abfiel, und »Mutter Beate« wusch und kochte für einige Junggesellen, die in demselben gesetzten Alter standen wie sie, weshalb ich an nichts Arges denken mag. Der harmlose Eskimo wenigstens dachte an nichts dergleichen; er dachte überhaupt an nichts als an das fünfte Element aller Eskimos, den Thran.

Wenig später machte ich einen kleinen Ausflug nach San Francisco, und zwar in folgender gewiß originellen Weise. Von zwanzig zu zwanzig englischen Meilen ließ ich gewaltige Pfähle errichten und von einem Pfahl zum andern eine Masse Gummi mit aller Gewalt so ausspannen, daß sie in der Stärke und Form eines Schifftaus von einem Pfahl zum andern reichte. Nun setzte ich mich rittlings auf dieses Gummiseil, ließ es knapp hinter mir durchschneiden, und schnurr! schnappte das Gummiseil bis zum nächsten Distanzpfahl zusammen, und ich war um zwanzig englische Meilen vorgerückt. Eine schnellere Reisemethode gibt es gewiß nicht. Dennoch möchte ich sie nicht zum allgemeinen Gebrauche empfehlen; denn das Ziehen der Gummiseile von New-York bis San Francisco nahm ein ganzes Jahr in Anspruch, ehe ich daran denken konnte, meine Reise anzutreten, und kostete mich beträchtliche Summen. Im Uebrigen muß ich bemerken, daß ich diese Idee einem Gespräche mit dem seligen Herloßsohn entlehnt hatte, der jedoch dabei nur die Distanz von seiner Wohnung in der Hainstraße zu Leipzig bis zum Schweizerhäuschen im Rosenthale im Sinne hatte, und selbst für diese kurze Strecke kam er mit der Ausführung der Idee nicht zu Stande.

Aus gewissen topographischen und territorialen Gründen hatte ich mein Gummiseil über den Coloradofluß legen lassen. Hier angekommen, wurde meine Aufmerksamkeit durch eine Scene gefesselt, die mir keineswegs ein wohlgefälliger Anblick war, obgleich sie mir neuerdings bewies, welch ein prophetischer Blick in die Zukunft mir zu Gebote stehe. Es wurde nämlich gerade ein junger Mensch gelyncht, das heißt an den Ast eines Baumes aufgeknüpft, nachdem das Volk über ihn zu Gericht gesessen hatte. Bei näherer Erkundigung erfuhr ich, daß der Bursche mehrere gewaltsame Einbrüche in der Umgegend und dabei auch einige Todtschläge verübt hatte, die denen, welche davon betroffen wurden, sehr ungelegen gekommen waren. Man machte daher kurzen Proceß mit ihm, denn lange pflegt man sich in jenen Gegenden bei solchen Bagatellsachen nicht aufzuhalten: »Time is money«; und wenn man damit fertig ist, geht man wieder mit größter Gemüthsruhe an seine bürgerlichen Geschäfte, als ob nichts weiter geschehen wäre. Wer sich übrigens nicht fangen läßt, kommt auch dort, wie in Nürnberg, mit heiler Haut davon; denn man hat auch in Californien noch Niemand gehängt, bevor man ihn gehabt hätte. Als ich mich nach dem Namen des Delinquenten erkundigte und mir dieser genannt wurde, erschrak ich; denn ich durfte nun nicht mehr zweifeln, daß dieser Bursche derselbe sei, dem ich bei seiner Taufe in Beutelfurt dieses Schicksal vorausgesagt hatte. Da war nun der »langgestreckte Ast«, welcher das »Früchtchen« trug!

Was ich eigentlich in Californien wollte, wußte ich selbst nicht recht. Das Goldwaschen und Goldgraben hatte seit einiger Zeit in größerem Maßstabe begonnen, und es machte mir Spaß, diesem tollen dämonischen Wühlen nach einem Metall zuzusehen, welches, wie der Leser weiß, von mir verfälscht war. Da dieses falsche Gold aber einmal als ächtes angesehen wurde und bereits in geprägten Münzen cursirte, so sah ich nicht ein, warum ich den Schwindel nicht mitmachen und meinen Vortheil davon ziehen sollte. Begreiflicherweise mußte ich wissen, wo die größten Massen verborgen waren, und so wurde mein Hacken und Schaufeln und Graben und Waschen mit einem Erfolge gekrönt, der die Begriffe Aller überstieg und mir den Neid, den Haß und die Verfolgung der übrigen Minengräber zuzog. Um nicht ein klein wenig gelyncht zu werden, begab ich mich nach San Francisco und tauschte meinen Goldvorrath gegen ehrliche alte Ducaten um. Dann ging ich wieder auf einige Tage nach den Goldminen zurück und machte mir den Scherz, Abends bald da, bald dort in den Bergschluchten ein furchtbares höhnisches Gelächter anzustimmen und damit die Goldgräber zu schrecken und von Platz zu Platz zu vertreiben. Denn es verbreitete sich der Aberglaube, daß dieses Gelächter von einem hämischen Kobolde herrühre, welcher in den Minen herumspuke. Mir gewährte es aber die höchste Genugthuung, diese wahnsinnigen Goldsucher einmal recht nach Verdienst ausgelacht und mein Herz dadurch erleichtert zu haben. Es geht in gewissen Fällen nichts über ein Hohngelächter, so recht aus voller Brust!

In San Francisco schwankte ich übrigens längere Zeit, ob ich Steine-, Kleider- oder Geisterklopfer werden sollte, denn diese Geschäfte gingen zu der Zeit gleich gut, und in der Kunst des Geisterklopfens hätte ich mir ja die literarischen Geisterklopfereien unserer Gelehrten und Kritiker zum Vorbild nehmen können. Es gelüstete mich auch stark, den Yankees den Geist des verstorbenen Nachtwächters von Schnipphausen und überhaupt den Geist, den sie nicht haben, heraufzubeschwören. Aber dieser neueste Yankee-Schwindel war mir doch zu stark! Ich habe mich, wie der Leser weiß, immer nur auf solide und der Menschheit nützliche Unternehmungen eingelassen.


 << zurück weiter >>