Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Vierzehntes Kapitel.

Gewalt geht über Recht, aber List über Gewalt. Die List ist die natürliche Waffe aller widerrechtlich Verfolgten, und wem man sonst nichts aufbinden kann, dem bindet man einen Bären auf.

Eduard Gans.

Wer von meinen geehrten Lesern jemals in die Lage gekommen sein sollte, auf einem wüthend gewordenen Büffel zu reiten ohne Zaum, Sattel und Steigbügel, wird wissen, was ein solcher Ritt sagen will. Mit niedergebeugtem Kopfe und hochgehobenem Schweife galoppirte der Büffel immer in kurzen Dreivierteltactsätzen über die unermeßliche Fläche der Prairieen dahin in einer Schnelligkeit, daß ich mich nur mit Mühe auf seinem nicht eben sehr weich gepolsterten Rücken erhalten konnte. Hinter ihm, dem Zug- und Leitstier, trabte die ganze Heerde in kurzem Abstande. Wir kamen an einen Fluß, ich glaube den Coldorado, und der Büffel, von der übrigen Heerde gefolgt, stürzte sich in den Fluß und schwamm durch ihn hindurch; doch gewann ich Zeit, mit der linken Hand einiges Wasser zu schöpfen und meine brennenden Lippen damit zu benetzen. Zu Zeiten kamen wir auch durch niedriges Gesträuch, dessen Zweige mit saftigen Beeren belastet waren, und da die Zweige sehr niedrig hingen, vermochte ich mit meinem Munde im raschen Durchritt die Früchte abzustreifen. Das war ein großes Glück, denn sonst würde ich, da der Ritt mehrere Tage dauerte, unfehlbar Hungers gestorben sein.

Endlich nahm das Prairiengebiet ein glückliches Ende und ich erblickte einen dichten Wald vor mir, der mit mächtigen Kastanienbäumen bestanden war. Mit niedergestrecktem Gehörn und in vollster Furie ging der rasende Büffel auf einen der breitstämmigen Bäume los und wir standen still. Der Büffel hatte sich mit seinem Gehörn in dem Stamme festgerannt, und konnte trotz aller Anstrengungen sich nicht wieder davon losmachen. Die übrigen Büffel, die Alles zu thun gewohnt waren, was der Zugstier that, hatten nichts Eiligeres zu thun, als sofort ebenfalls jeder auf einen Baum loszurennen und ihr Gehörn darin festzunageln. Da stand nun der ganze Trupp und war in meiner Gewalt – ich war Heerdenbesitzer. Nun sage man noch, daß mein Leben nicht an den außerordentlichsten Wechselfällen reich gewesen!

Nachdem ich meinen hilfsbedürftigen Magen mit dem nöthigen »Stoffwechsel«, wie man es jetzt nennt, versehen (er bestand in einigen nahrungskräftigen Maiskolben, Früchten und Erdbeeren) streckte ich mich ins Gras nieder, um von meinem fürchterlichen Ritt, gegen welchen Lenorens berühmter Ritt auf dem gespenstischen Rosse in nichts verschwindet (denn sie hatte doch wenigstens einen Sattel unter sich), verdientermaßen auszuruhen. Ich schlief auch sehr bald ein, ohne daß ich nöthig gehabt hätte, mich durch die Lectüre eines vierbändigen deutschen Romans einzuschläfern. Ich schlief den Schlaf des Gerechten, und wenn es auch ein Schlaf des Ungerechten gewesen wäre, so würde ich mir in diesem Augenblicke nichts daraus gemacht haben.

Als ich erwachte, neigte sich die Sonne schon etwas gegen Abend; meine Heerde aber stand noch wie festgewurzelt. Ich beschloß, da die Gegend sehr hübsch war, hier zu bleiben und mir aus Baumstämmen ein Blockhaus als Interimswohnung zu erbauen. Daher ergriff ich mein Beil, welches ich für solche Fälle in Kalifornien immer bei mir zu führen pflegte und an meine linke Hüfte gebunden hatte, und machte mich an die Arbeit. In Kurzem hatte ich einige tüchtige Stämme gefällt. Wie groß war aber meine Ueberraschung, als plötzlich drei Männer auf mich zutraten und mit vorgehaltenen Flinten auf englisch mich aufforderten, beim Bezirksrichter zu erscheinen, da mich der Eigenthümer des Waldes bei ihm wegen Eigenthumsverletzung und Beraubung verklagt hätte.

Die Uebermacht war gegen mich; auch machte mir die Sache Spaß, und ich beschloß keinen Widerstand zu leisten; ich folgte den Männern.

Ich wurde in ein benachbartes Blockhaus gebracht und fand hier einen etwas breitschulterigen, hochstämmigen und brutal aussehenden Herrn in der bekannten Farmertracht hinter einem aus Brettern roh zusammengeschlagenen Tische stehen, der mich barsch folgendermaßen anredete:

Sir! (die Gerichtsverhandlung wurde begreiflicherweise in englischer Sprache geführt) Ihr seid von dem Eigenthümer dieses Grundes und Bodens angeklagt, sein Ameublement muthwillig und räuberisch beschädigt, verdorben und zertrümmert zu haben.

Ich machte die Augen groß auf. Ameublement? fragte ich verwundert.

Allerdings – Ameublement, und nicht nur Ameublement, sondern auch Ställe, Fenster, Thüren und Kellerthüren.

Die Sache erschien mir so komisch und ich brach in ein so lautes Gelächter aus, daß ich mich nicht wundern sollte, wenn hierdurch die freilich sehr bescheidenen Meubles und Geräthschaften des Blockhauses wirklich Schaden erlitten haben sollten.

Ich verbitte mir vor Gericht jedes Gelächter, sagte der Farmer mit rauher Stimme; Ihr werdet am besten wissen, was Ihr gethan habt, und durch fortgesetztes Leugnen würdet Ihr Eure Sache nur schlimmer machen.

Wer ist der Eigenthümer, der mich verklagt hat? sagte ich.

Der bin ich, erwiederte der Farmer.

Und wer ist der Richter?

Der bin ich auch, lautete die Antwort des Breitschulterigen. Das Fragen ist übrigens an mir, und nicht an Euch. Ich frage Euch also hiermit, ob ihr Euch schuldig bekennt?

Fragt mich doch lieber, antwortete ich, ob ich mich schuldig bekennen will, Euch die Ohren abgeschnitten zu haben. Lang genug wären sie dazu!

Ihr seid ein hartnäckiger Verbrecher, Sir! sagte hierauf der Farmer. Es ist übrigens hiesigem Bezirksgericht höchst gleichgiltig, ob Ihr Euch schuldig bekennt oder nicht; denn hier stehen drei Zeugen (er wies dabei auf meine Begleiter), welche es eidlich erhärten können, mit welcher Rücksichtslosigkeit Ihr gegen meine Meubles, Ställe, Fenster, Thüren und Kellerthüren gewüthet habt. Das Gericht verurtheilt Euch somit zur Zahlung einer Entschädigungssumme, und zwar:

  1. für ein gänzlich zu Grunde gerichtetes Sopha 100 Dollar;
  2. für einen muthwillig zertrümmerten runden Tisch 60 Dollar;
  3. für einen zerbrochenen Klapptisch 30 Dollar;
  4. für ein beschädigtes Dutzend Stühle 40 Dollar;
  5. für einen umgebrochenen Stall 120 Dollar;
  6. für Beschädigung an diversen Fenstern, Thüren und Kellerthüren 25 Dollar;

macht in Summa 275 Dollar, die Ihr sofort zu erlegen oder nach texanischem Recht Gefängnißstrafe nebst einiger Lynchung zu gewärtigen habt. Ich lade hiermit die Zeugen vor, ihre Aussagen eidlich zu erhärten.

Es läßt sich denken, daß ich auf diese Aussagen nicht wenig gespannt war; weniger läßt sich denken – obschon es bei mir begreiflich ist – daß mir die Sache ungeheuren Spaß machte.

Einer der Genossen des Farmers trat nun vor und sagte, wie ich im Walde den großen Baum, aus dessen Holz der Farmer ein Sopha und einen runden Tisch zu verfertigen beabsichtigt habe, gefällt und zu eigenem Gebrauch behauen und zerstückt hätte.

Aehnlich lauteten die Aussagen der beiden andern Männer in Betreff der übrigen Gegenstände. Die Beschädigungen an Stühlen, Fenster, Thüren und Kellerthüren sollten durch meine Büffel hervorgebracht sein, indem diese ihr Gehörn in die Bäume gebohrt und dadurch das für diese Gegenstände bestimmte Holz verdorben hätten.

Das Räthsel war nun gelöst; da ich jedoch einsah, daß ich gegen ein solches willkürliches Recht, wie es in Texas üblich, mit allen Rechtseinwänden nichts ausrichten könne und eine zu bedeutende Uebermacht mir gegenüberstand, beschloß ich, den Weg der Unterhandlung zu betreten, da es, wie ich einsah, nur auf eine Gelderpressung unter einer gewissen Scheinform des Rechts abgesehen war.

Glücklicherweise führte ich noch einige Stücke des von mir künstlich bereiteten kalifornischen Goldes bei mir, die ich dem Gesindel an Zahlungsstatt anbot.

Der Farmer verschlang den Goldglanz mit gierigen Blicken, und nachdem er die Stücke geprüft, bemerkte er: er wolle sie für die Hälfte der Summe, in die ich rechtskräftig verurtheilt sei, annehmen; wie aber stehe es mit der andern Hälfte?

Ich antwortete, daß ich weiter an Baarem nichts besitze und beim besten Willen die zweite Hälfte nicht bezahlen könne.

Ich hatte schon längst bemerkt, daß dem Farmer meine sehr schöne Flinte in die Augen gestochen hatte und war daher durchaus nicht überrascht, als mein Widerpart mir den Vorschlag machte, ihm die Flinte an Zahlungsstatt zu überlassen; dann wollte er mir kein Hinderniß weiter in den Weg legen und mich ruhig meines Weges ziehen lassen.

Ich setzte mich in Positur und rief mit einer donnernden Stimme, so daß die Balken des Blockhauses in ihren Fugen knackten und der Tisch vor Schreck in die Höhe sprang:

Wagt's, mir die Flinte zu entreißen; aber dem Ersten, der mir naht, mache ich mit derselben Flinte den Garaus, ihr Schurken!

Diese Erklärung, mit aller Festigkeit eines in seinem Rechte sich gekränkt fühlenden und zu Allem entschlossenen Mannes abgegeben, machte die Schufte sichtlich bestürzt und etwas kleinlaut äußerte der Breitschulterige, er wolle mir die Flinte lassen, zumal er einsähe, daß ich sie zu meiner Vertheidigung nothwendig brauche; was ich ihm aber sonst an Zahlungsstatt bieten könne?

Sir! erwiederte ich, da Ihr Vernunft anzunehmen scheint, will ich, um jedes Blutvergießen zu vermeiden, Euch einen Vorschlag machen. Ihr wißt, Sir! daß ich hier mit einer stattlichen Büffelheerde angekommen bin. Ich will Euch nun den schönsten meiner Büffelochsen an Zahlungsstatt für die zweite Hälfte der Summe überlassen, und damit, denke ich, könnt Ihr zufrieden sein und jedem weitern Anspruch entsagen.

Der Farmer ging auf meinen Vorschlag ein und sagte, er wolle sofort mit mir gehen, um den Büffel zu holen, denn seine drei Gefährten müßten im Blockhause zurückbleiben, weil seit einigen Tagen verdächtiges Indianervolk in der Nähe herumstreife und man sich jede Nacht auf einen Angriff derselben gegen das Blockhaus gefaßt machen müsse.

Ich war's zufrieden. Der Farmer bewaffnete sich mit einem Gewehr, und wir schritten fürbaß.

Inzwischen brach die Dämmerung ein und als wir an den Waldrand gelangten, war es bereits stockfinstere Nacht geworden.

Nun muß ich erwähnen, daß ich im Laufe des Tages einen amerikanischen Bären, welcher einem meiner Büffel auf den Rücken gesprungen war, um ihn zu zerreißen, von hinten gefaßt, ihm die Hinterbeine, und als ich ihn zu Boden geworfen, auch die Vorderbeine gebunden hatte und ihn dann liegen ließ, um zu überlegen, was ich weiter mit ihm anfangen solle. Der Bär war vor Langweile eingeschlafen, und als wir an die Stelle gelangt waren, schlief er, wie es mir schien, noch immer.

Diesen Bären ergriff ich, packte und band ihn auf die breiten Schultern des Farmers, der in der Finsterniß nicht wahrnehmen konnte, was für ein Thier es sei, und sagte dabei: Wahrlich ein schöner fetter Büffel! es thut mir leid, ihn verlieren zu müssen. Werdet Ihr aber auch Kraft genug haben, Sir, das stattliche Thier bis zum Blockhaus zu schleppen?

Habt keine Besorgniß, Sir! erwiederte der Farmer; bei unserm Leben in der Wildniß gewöhnen sich die Schultern an die stärkesten Lasten! Mit diesen Worten zog er ab, unter seiner schweren Last keuchend und schnaufend.

Er mochte kaum fünfzig Schritt gegangen sein, als ich ihn fürchterlich schreien und verzweiflungsvoll um Hilfe rufen hörte.

Ahnend, was geschehen sei, folgte ich ihm. Der Mond war eben aufgegangen und versilberte Prairie und Waldung. In seinem Scheine erkannte ich, daß der Bär, von der starken Bewegung und dem Anschlagen des Gewehrs an seine Füße aufgewacht, den Farmer unter sehr verdächtigem Brummen tüchtig abzauste und ihm bereits den Strohhut vom Kopfe gerissen hatte, den er mit seinem Gebiß zermalmte, wobei freilich auch eine Partie Haare von des Farmers Scheitel mit in den Schlund des Unthiers gerathen war.

Ihr habt mir da einen schönen Bären aufgebunden!Wir brauchen wohl nicht ausdrücklich zu erwähnen, daß sich das Bonmot: »Jemand einen Bären aufbinden« von diesem Vorfall herschreibt.

Anmerkung Fritz Beutel's.

rief er, schießt die Bestie todt, sonst bin ich verloren!

Entschuldigt, Sir! sagte ich höflich, daß ich mich vergriffen und Euch einen Bären statt einen Büffel aufgebunden habe. Es war auch gar zu finster.

Schießt nur, schießt! rief er in Todesangst.

Wohl, Sir! antwortete ich im Tone des Gleichmuths, aber nur, wenn Ihr mir das Versprechen gebt, mir morgen früh Euer bestes Reitpferd abzutreten. Ich werde dann diese schuftige Gegend sofort verlassen und Ihr habt dann noch die ganze Büffelheerde, mit der Ihr anfangen könnt, was Ihr wollt.

Goddam, Sir! Alles was Ihr haben wollt! rief er verzweifelt, schießt nur, schießt!

Ich setzte nun den Lauf meiner Flinte dem Ungeheuer an den Kopf, drückte los und das Thier hauchte um so zu sagen seine zottige Existenz aus.

Nachdem ich dem Farmer das entseelte Thier von seinem Rücken gelöst hatte, trennten wir uns und ich begab mich zu der Waldstelle zurück, auf der meine Büffelheerde noch wie angenagelt stand.

Ihm diese zurückzulassen fiel mir gar nicht ein. Ich machte mich also ans Werk, hieb allen Büffeln der Reihe nach mit dem Beile vor den Kopf, bis sie todt waren, zog ihnen das Fell ab und zerhackte dieses in lauter kleine zu nichts mehr dienliche Stückchen und Bißchen. Die abgeschundenen Thiere ließ ich aber vor den Bäumen stehen, wie sie standen.

Folgenden Morgens begab ich mich sofort zum Blockhaus und erhielt hier richtig ein Reitpferd ausgeliefert, dessen Güte ich nicht weiter untersuchte, weil es mir daran lag, so schnell als möglich fortzukommen. Das Pferd war gut, aber es war nicht das beste von denen, welche der Farmer besaß.

Ich mochte ungefähr eine englische Meile geritten sein, als ich hinter mir ein Getrabe und Gestampfe hörte, das mir näher und immer näher kam. Ich blickte um und nahm den Farmer und seine drei Gefährten wahr, die mir auf ihren Pferden nachsetzten und mich fast schon eingeholt hatten. Ohne Zweifel waren sie sofort nach meinem Wegritt nach dem Walde geeilt, hatten hier die Bescheerung, die ich ihnen zurückließ, eine Reihe geschundener todter Büffel erblickt, und setzten mir nun nach, um mich zur Rechenschaft zu ziehen und vielleicht so mit mir zu verfahren, wie ich mit den Büffeln verfahren.

Glücklicherweise ritten die Schurken, je nach der Güte ihrer Pferde, so dicht hinter einander, daß der Kopf des zweiten Pferdes den Schwanz des ersten berührte und so fort. Ich wandte daher, schnell entschlossen, mein Pferd, und warf mich mit aller Gewalt auf den ersten Reiter, welcher die Spitze des Zuges einnahm. Das Pferd kugelte nach hinten über auf das zweite, das zweite eben so schnell auf das dritte und das dritte auf das vierte. Die Reiter krabbelten nun mit ihren Pferden im Sande, auch mochte es wohl an einigen Beinverrenkungen und Beinbrüchen nicht fehlen, denn sie dachten nicht weiter daran, mich, der sich ihnen überhaupt bisher in Allem überlegen gezeigt hatte, zu verfolgen. So entkam ich und sprengte fort, immer der Richtung nach, wo, wie ich glaubte die eigentlichen Vereinigten Staaten liegen müßten.


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