Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Neuntes Kapitel.

Der einzige Unterschied zwischen dem Hunde und dem Menschen besteht darin, daß man sich in Noth und Gefahr auf diesen niemals, auf jenen aber immer verlassen kann.

Buffon

O treulos Weib! ich kenne diese Thränen;
Der Italiener war's, der dich verführt –
Du selbst bist schuldlos!

Friedrich Halm.

Als wir nach glücklich bewerkstelligter Fahrt die Küste der Insel Beutelland zu Gesicht bekamen, erschrak ich, als ich die Amphitrite nicht mehr am Strande erblickte. Auch Krischan Schroop und seine Eheliebste machten große Augen, und besorgt unsere drei Köpfe schüttelnd sahen wir einander an und wußten nicht, wie wir uns das Verschwinden des Schiffes erklären sollten. Die See ging ruhig. Wirkungen eines vorhergegangenen Sturmes waren nicht wahrzunehmen. Als wir jedoch an der Stelle, wo die Amphitrite gelegen hatte, gelandet waren, erblickten wir verbrannte Theile des Schiffes, die theils auf den Wellen trieben, theils am Strande lagen. Es war keine Frage, daß eine boshafte Hand Feuer an das Schiff gelegt hatte. Wie sehr wünschte ich mir jetzt zu meiner Vorsicht Glück, die mir gerathen hatte, alle auf der Amphitrite befindlich gewesenen Vorräthe vor meiner Seeexpedition auf das Boot überzuladen!

Die Lösung des Räthsels ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Denn als ich sofort eine Recognoscirung landwärts vornahm und am Saume des Palmenwaldes angekommen war, sah ich mich bald von einer Schaar der mir befreundeten ungeschwänzten Affen umgeben, die ihre Freude ausdrückten mich wiederzusehen, aber auch durch ihre kläglichen Geberden andeuteten, daß inzwischen etwas Großes, Ungeheures vorgefallen sein müsse. Sie wiesen mich nach dem Innern des Waldes, wo ich eine andere Schaar der Ihrigen damit beschäftigt sah, eine Menge Todte zu bestatten, wobei sie jammervolle Gesichter schnitten und langgezogene Klagetöne ausstießen. Sehr bald erkannte ich den Zusammenhang der Dinge. Die geschwänzten Affen, welche sich seit ihrer Niederlage bemüht hatten, sich auf's fruchtbarste zu vermehren, hatten meine Abwesenheit benutzt, meine Alliirten überfallen und geschlagen, sich so den Weg durch den Palmenwald gebahnt und den schon früher gehegten Plan ausgeführt, die Amphitrite in Brand zu stecken. Dieser teuflische Plan war ihnen nur zu gut gelungen; das prächtige Admiralschiff war unwiederbringlich dahin. Inzwischen hatten sich meine Alliirten wieder ermannt und ihre Gegner tapfer angegriffen und weithin verfolgt, wie die Leichen bewiesen, die jenseits des Palmenwaldes die Rückzugslinie der Schwanzaffen bezeichneten.

Mein Entschluß war gefaßt; ausrotten wollte ich das tückische Gesindel, vertilgen wollte ich sie vom Erdboden, den sie verunzierten, und mir kein menschliches Gefühl in mein Rachewerk Einsprache thun lassen, bis es vollbracht sei.

Ich theilte Krischan Schroop in geheimnißvoller Weise mit, daß eine mit der Verbrennung des Schiffes in Verbindung stehende Expedition gegen meine jenseitigen Unterthanen mich einige Tage fern halten werde, und beauftragte ihn, währenddem für meine diesseitigen Unterthanen und für ihr Unterkommen so gut es ginge, Fürsorge zu tragen. Alsdann brach ich, nur in Begleitung meines Hectors, gegen meine unversöhnlichen Feinde auf.

Der dritte Tag brachte mich in ihre Nähe. Alsbald wurde der ganze Wald unruhig. Diejenigen unter diesen Ungethümen, welche schon früher die tödtlichen Wirkungen meines Feuergewehres und das scharfe Gebiß Hectors kennen gelernt hatten, suchten sich mit allen Zeichen des Schreckens und der Reue im Dickicht zu verbergen; die andern aber schnitten mir Grimassen, verhöhnten mich, indem sie sich Cigarren gedreht hatten und mit wichtiger Miene etwa in meiner Weise den Rauch von sich bliesen, oder machten mit hämischem Gesichtsausdruck und bissigem Lächeln die Pantomime des Reibens zweier Hölzer aneinander, um damit anzudeuten, in welcher Weise es ihnen gelungen sei, das Schiff in Brand zu stecken.

Bösewichter! ich will euch auch ein Feuer anzünden, an dem ihr zu riechen haben werdet! dachte ich, häufte trocknes Reisig, dürre Binsen und Baumzweige übereinander, schlug Feuer an und setzte den Stoß in Flammen, die bald an den nächsten Baumstämmen mit feurigen vielspaltigen Zungen emporleckten und von Baum zu Baum springend und auch das Unterholz erfassend, sich mehr und mehr über den ganzen Wald ausdehnten. Es war ein prächtiger Anblick, wie die schlanken Palmenschäfte gleich eben so vielen tausend Flammensäulen mit Flammenkapitälen dastanden und wie eine dicke Rauchwolke, unten brandigroth gefärbt, sich über den ganzen Wald ausdehnte und den Horizont in Finsterniß hüllte. Der Wind trieb die Flammen nach dem Meere zu, dem die Affen entgegengetrieben wurden. Heulend und zischend, die Augen verdrehend, mit den Schwänzen um sich schlagend, mit dem Gebiß fletschend, suchten sie den Flammen zu entkommen, die ihnen oft die Schwänze hinten wegsengten, und stürzten und sprangen in zusammengewickelten Schaaren von Baum zu Baum, immer von dem grimmig um sich fressenden Elemente verfolgt, das zuletzt schneller war als sie. Die große Mehrzahl erstickte im Rauch oder stürzte in das Flammenmeer, nur ein kleiner Theil erreichte die See, um in Klumpen herabstürzend in den Wellen zu verschwinden. Mein Schwur war erfüllt, kein einziger dieser Civilisationsfeinde und Brandstifter blieb übrig.

Unglücklicherweise aber hatte sich die Flamme dem ausgedörrten Gesträuch und Wiesengrase mitgetheilt und bald fühlte ich mich selbst in dicke Rauchwolken eingehüllt und rings von Flammen umgeben. Der Brandgeruch, aus dem ich fast die verschiedenen Holzarten herauszuerkennen vermochte, betäubte mich, die Gluth setzte sogar die schönsten Partien meines Haupthaars in Flammen. Der Augenblick war sehr kritisch, kritischer vielleicht als ich bis dahin einen bestanden hatte.

Aber mein treuer Hector wußte Rath. Er bot mir seinen hohen Rücken zum Aufsitzen dar, ich schwang mich auf ihn und fort trabte das herrliche Thier mit der Geschwindigkeit eines englischen Wettrenners. Ich hörte das eigenthümliche Knistern brennenden Grases immer dicht hinter mir, der Rauch betäubte mich und versetzte mir den Athem, aber Hector, der eine übermenschliche oder besser zu sagen eine überhündische Kraft entwickelte, war der Gluth immer einige Schritte voran, bis wir auf einen freistehenden graslosen Hügel gelangten und uns für gerettet halten durften. Zu meinen Füßen und so weit ich sehen konnte, war Alles ein Feuermeer. Hirsche zu ganzen Rudeln jagten, ihren Leib streckend, daß er fast durchsichtig schien, mitten durch die Flammen dahin, vergebens einen Ausweg suchend; denn sie verschwanden bald in Gluth und Rauch. Hunderte von Vögeln, aus ihren Nestern aufgejagt, ängstlich und im Zickzack darüber hinflatternd, wurden im Fluge selbst von der Gluth erfaßt und sanken in die Flammen, die von selbsterzeugtem Winde gepeitscht wurden, mit lodernden Fittigen hinab. Schlangen reckten, mit hervorgequollenen Augen und zischenden Zungen, ihre Häupter aus dem Brande in die Höhe und sanken dann in die Flammen zurück, nachdem ihre Leiber von unten auf verkohlt waren, und flammenden Inseln gleich traten brennende Obsthaine über die Gluthfläche hervor. Das Verderben schien die ganze Insel erfassen zu wollen und mit Schrecken erkannte ich nun, was ich in meinem übertriebenen Racheeifer angerichtet hatte.

Glücklicherweise erreichte der Brand jetzt das Quellengebiet der Insel und konnte hier wegen der frischen und ewig feuchten Vegetation nicht in derselben Schnelligkeit weiter fressen wie bisher. Endlich stand er an dem See und den benachbarten zahllosen Quellen ganz still. Der schönste und fruchtbarste Theil der Insel war gerettet. Was das Feuer erfaßt hatte, verkohlte allmälig und als ich am andern Morgen – denn ich war gezwungen, die Nacht auf der Höhe des Hügels zuzubringen – erwachte, sah ich rings um mich eine gräuliche veraschte Wüstenei, bis dahin wo mehr nördlich eine üppige Vegetation den Anfang der Quellenregion bezeichnete. Ohne Gefährde konnten wir nun unsern Rückweg antreten.

Man kann sich denken, mit welcher Freude wir von Krischan Schroop, den übrigen Ministern und meinen Unterthanen empfangen wurden. Sie hatten uns verloren geglaubt, denn die fürchterliche Gluth und die Dampfwolken waren von ihnen wahrgenommen worden und der Brandgeruch hatte sich bis zu diesem Theile der Insel verbreitet.

Einen Vortheil hatte ich davon: ich erzählte Krischan Schroop, daß ich meine Unterthanen auf der Südseite der Insel im vollen Aufstande angetroffen und einen fürchterlichen Kampf mit ihnen bestanden hätte, in welchem sämmtliche Schiffe und Schiffswerfte in Brand gerathen wären. Das Feuer habe sich ihren Ortschaften und den zunächstliegenden Waldungen mitgetheilt, die ganze Bevölkerung sei in den Flammen untergegangen und nur mit genauer Noth hätte ich mich selbst und Hector aus der entsetzlichen Katastrophe retten können. Somit entging ich jeder weiteren Nachfrage nach meinen Besitzungen im Südtheile der Insel und erntete nur das Bedauern und die Freude, die man mir für die ausgestandene Gefahr und die glückliche Rettung bewies. In der That waren auch meine Haare vom Scheitel wie weggesengt, mein Bart schwer mitgenommen und meine Kleider von Brandlöchern so durchsiebt, daß ich keiner Magistratsausweisung bedurft hätte, um in Deutschland »auf den Brand« betteln zu gehen.

Indeß auch diese Episode war bald vergessen, wie sich Alles im Leben bald vergißt. Wir dachten jetzt daran, uns möglichst häuslich einzurichten, und machten uns demnach an die Errichtung von Wohnungen, unter denen die kaiserliche Residenz, die Ministerhotels, eine Leibgrenadierkaserne, ein Gasthof ersten Ranges und – was für civilisirte Staaten unerläßlich ist – ein Polizei- und Paßbureau, ein Zucht- und Correctionshaus obenanstanden, wie an den Bau noch mehrerer Boote, die wir aus Gummi construirten. Es ist dies eine vorzügliche Bauart, denn da der Gummi kein Wasser einläßt, kann ein solches Gummiboot natürlich auch nicht leck werden, überhaupt wegen seiner großen Leichtigkeit nicht wohl untersinken. Auch der Bau eines großen Gummi-Linienschiffs wurde von uns in Angriff genommen, welches das Admiralschiff der ganzen beutelländischen Flotte werden sollte.

Da nun die Regenzeit vor der Thür stand, wurden auch mehrere Häuser aus Gummi errichtet und Gummihemden, Gummiröcke, Gummibeinkleider, Gummistrümpfe, Gummischuhe, Gummihüte und Gummiregenschirme verfertigt. Krischan Schroop galt dabei als Model. Er wurde von Kopf bis zu Füßen in Gummi gekleidet, und gewährte so einen sehr possierlichen Anblick. Auch die Gummifracks für Hoffeste und die Gummihauben und die Gummicorsets unserer Frauen machten sich gar nicht übel. Diese Gummitracht wurde für die Regensaison durch ein Decret von mir zur Reichstracht erhoben.

Die noch übrige kurze Frist bis zur Regenzeit gedachte ich dazu zu benutzen, um meine Unterthanen von Pipermannland abzuholen. Es wurde daher eins der Gummiboote seefertig gemacht und mit fünf Mann bewehrt, worunter Krischan Schroop und Peter Silje. Ich gab meinen Ministern einen Geheimbefehl mit, dahin lautend, daß Jeder, der in meinem Reiche italienische Lieder zur Guitarre sänge, als ein Majestätsverbrecher, Landesverräther und Volksverführer anzusehen, vor Gericht zu stellen und zu einem noch zu errichtenden Galgen zu verurtheilen, seine Guitarre aber auf öffentlichem Platze unter dem Geläute einer ebenfalls noch zu verfertigenden Schandglocke zu verbrennen sei. Die Tendenz dieses Gesetzes war ohne Zweifel deutlich genug, und hätte meine Frau Gemahlin darum gewußt, ich weiß nicht, welchen Auftritt ich mit ihr gehabt haben würde. Warf sie mir doch täglich vor, daß ich so unmusikalisch sei, und daß es nur eine Intrigue von meiner Seite gewesen, wenn ich den Signor Rackerino Rackerini zum Vicegouverneur von Pipermannland ernannt habe. Sie hatte darin gar nicht so unrecht, aber ich durfte es ihr nur nicht zugeben; ich berief mich darauf, daß gerade der Italiener für die wilden Zustände jener Insel sich eigne, um sie durch die süßen Klänge seiner Guitarre zu civilisiren. Ach was, pflegte sie dann zu sagen, es ist besser er civilisirt mich als so eine rohe Insel. Zugleich gab ich meinen Gesandten den Auftrag mit, den auf Pipermannland von mir bestellten goldgestickten Kaisermantel nebst Krone, Reichsscepter und Reichsapfel nach Beutelland zu überbringen.

Das Boot segelte ab, und es dauerte acht, es dauerte vierzehn Tage, es dauerte mehrere Wochen, und kein Boot ließ sich sehen. Wir hatten uns bereits in Gummiüberzüge gehüllt, und in unsere Gummihäuser zurückgezogen und gingen mit unsern Gummiregenschirmen spazieren, da der tropische Regen in fürchterlichen Massen herabfiel. Die herabgießende Fluth war so stark, daß der menschliche Körper unfehlbar ein Leck hätte bekommen oder wie Seife sich hätte auflösen müssen, wenn er nicht über und über in Gummi gekleidet gewesen wäre. Wir sahen Alle aus wie wandelnde Gummibäume. Unter unsern Gummiregenschirmen gingen wir jedoch so sicher, daß uns kein Tropfen traf, und eben so wenig drang einer durch unsere Gummihäuser und in unsere Gummibetten.

Als sich das Wetter nach Verlauf mehrerer Wochen wieder aufzuklären begann und wir wieder in der Lage waren, uns nun so zu sagen zu entgummien, traf ein Boot zwar allerdings ein, aber nicht das abgesandte Gummiboot, sondern ein aus gewöhnlichem Holze ziemlich kunstlos gefertigtes, das sich auf der Londoner Industrieausstellung schwerlich eine Preismedaille verdient haben würde. Auf diesem Boote befand sich, außer einem mir sonst sehr gleichgiltigen Pipermannländer, nur Krischan Schroop, der sehr niedergeschlagen, bleich und verkümmert aussah. Ich ahnte Unheil, ich ahnte es in dem Umfange, wie es sich aus der Erzählung Schroop's bald herausstellte.

Kaum war nämlich Schroop mit den Seinen auf Pipermannland ans Land gestiegen und hatte dem Vicegouverneur den Geheimbefehl übergeben, als dieser mit lautem spöttischen Gelächter rief: Mir Gesetze vorschreiben? mir das Singen verbieten? mir die Aussicht auf einen noch zu errichtenden Galgen eröffnen? meiner Guitarre die Schandglocke läuten? Auf, meine Getreuen! Tod dem Tyrannen! Es lebe die Freiheit! Es lebe die Constitution! Es lebe Rackerino Rackerini I.! Darauf hätten, erzählte Krischan weiter, die Pipermannländer, vor dem Italiener sich wahrscheinlich ihrer Muttersprache schämend, in etwas verdorbenem Italienisch wie toll gerufen: Pereatissime imperatore Federigo Beutelino! Sturcio dem scheuselio Tyranno, dem Lumpio! Viva republicanismo und constitutionalismo! Viva communismo, pauperismo und gleichmacherischera Volksbeglückeria! Viva Guitarria! Vivatissime und tutovitassime constitutionalissimo governatore, imperatore und usurpatore Rackerino Rackerini primo! Hierauf seien sie über meine beiden Minister und ihre drei Begleiter hergefallen und hätten sie in ein tiefes als Staatsgefängniß dienendes Felsenloch geworfen, an das sie sich gar nicht hätten gewöhnen können, obschon sich der Mensch doch sonst an Alles gewöhne. Die drei Nichtminister hätten sich denn auch sehr bald zu den Pipermannländern geschlagen und versprochen, treue Unterthanen des Usurpators zu sein; auch Peter Silje sei abtrünnig geworden, aber nur zum Schein, um die erste sich darbietende Gelegenheit zum Sturze Rackerini's zu benutzen, und habe es bei diesem ausgewirkt, daß er, Krischan Schroop, nach Beutelland gesandt werde, um mir die Kunde von diesen beklagenswerthen Vorfällen zu überbringen. Als er vom Lande abgestoßen, sei sein gegenwärtiger Begleiter in das Boot nachgesprungen und habe ihn angefleht, ihn nach Beutelland mitzunehmen, da er es unter der drückenden Herrschaft des Usurpators nicht auszuhalten vermöge. Krischan Schroop gestand mir noch, daß er Urfehde habe schwören müssen, niemals die bewaffnete Hand wieder Rackerino Rackerini zu erheben, was ihn jedoch nicht abhalten solle, bei gelegener Zeit seine unbewaffnete Hand mit dem Rücken des giftigen Italieners in möglichst nahe Beziehung zu bringen. Er erzählte mir noch ferner, daß auf den Werften von Pipermannland große Thätigkeit herrsche und an der Herrichtung vieler größerer und kleinerer Boote gearbeitet würde, wahrscheinlich in der Absicht, einen Angriff auf Beutelland zu unternehmen. In Betreff des Krönungsmantels und der Reichsinsignien ließ mir der unverschämte Italiener sagen: Der Krönungsmantel sei zufällig zu klein gemacht und passe besser für seine schlanke Taille als für die meine; die Krone dagegen sei zu groß ausgefallen, als daß ich sie tragen könnte; mit dem Reichsscepter habe er schon den Rücken einiger widerspenstigen Unterthanen bearbeitet und den Reichsapfel einigen Re- und Widerbellern an den Kopf geworfen, und er werde diese Gegenstände auch ferner zu gleichen Zwecken gebrauchen, könne sie mir mithin nicht abtreten.

Diese Dinge waren mir begreiflicherweise nicht sehr angenehm zu hören. Pipermannland, das sah ich wohl ein, war für den Augenblick für mich verloren, aber ich rechnete auf innere Zerwürfnisse und auf die Geschicklichkeit Peter Silje's, sie zu benutzen, da er ja doch ein gelehrter Mann war und den Abällino aus dem Grunde studirt hatte. Was aber einen Angriff auf Beutelland betraf, so glaubte ich ihn gerade nicht sehr fürchten zu dürfen, denn ich war vorsichtig genug gewesen, auf Pipermannland nur eine geringe Quantität Pulver zurückzulassen, welche, wie mir Schroop erzählte, schon längst verpufft sei. Mein reichlicher Vorrath Schießproviant gab mir trotz der geringen Zahl Leute, die mir zu Gebote stand, ein bedeutendes Uebergewicht, und es schien mir nur darauf anzukommen, die Küste gehörig zu überwachen und mich nicht überraschen zu lassen.

Größere Sorge machte mir meine, leider noch immer von mir geliebte Gemahlin, die seit Schroop's Wiederkunft von Tage zu Tage mehr den Kopf hängen ließ oder träumerisch die Melodien italienischer Lieder vor sich hinmurmelte – in der That Lieder ohne Worte, denn vom Italienischen verstand sie nichts, oder sie setzte es in den Schnipphausen'schen Dialect um, was possierlich genug anzuhören war. Der dämonische Italiener hatte es ihr offenbar angethan. Diese Erkaltung meiner Gemahlin gegen mich war mir um so unerklärlicher und schmerzlicher, da sie mir inzwischen ein Töchterlein geboren hatte, welches ich mit dem Namen Guitarria Cichoria Cigarretta taufte. Auf den Namen Guitarria und Cichoria hatte meine Gemahlin ausdrücklich bestanden; Cigarretta war jedoch der Name, bei dem die kleine Prinzessin gerufen wurde.

In einer herrlichen, echt tropischen Nacht, als es mir in meinem Residenzschlosse zu schwül geworden, hatte ich mich in meiner Hängematte, die zwischen zwei Palmen an der Ostwand des Schlosses befestigt war, dem Schlafe und meinem treuen Hector die Sorge überlassen, für mich zu wachen. Ich mochte, mein Gewehr in Arm, etwa zwei Stunden geschlafen haben, als ich durch ein Geplätscher in den Wogen des Meeres erwachte und zugleich Guitarrentöne und ein schmelzendes Lied vernahm. Das Aroma der Blumen um mich her hatte mich so betäubt, daß ich erst nach längerer Zeit zum Bewußtsein über mich selbst und meine Umgebungen gelangte, und da erblickte ich denn zu meinem Schrecken ein Boot, welches eben vom Lande abstieß und in welchem die Umrisse von drei menschlichen Gestalten ganz deutlich zu erkennen waren. Der Mond schien ja so hell, daß man die Tauchnitz'sche Ausgabe eines griechischen Klassikers ohne Beschwerde hätte lesen können. Verrath! Verrath! war mein erster Gedanke, und in blinder Wuth ergriff ich mein Gewehr und drückte es in der Richtung des Bootes ab. Aber die blinde Wuth ist eben blind, ich fehlte, und man antwortete mir mit einem lauten Gelächter, in das sich deutlich das leise Kichern einer weiblichen Stimme mischte. Das Boot war wohl auch bereits so weit vom Lande entfernt, um außer Schußweite zu sein.

Zum erstenmale stieß ich beleidigende Worte – denn selbst in diesem Augenblicke hielt mich mein mir angeborenes Anstandsgefühl von bloßen Schimpfworten zurück – gegen meinen Hector aus. Warum war er so stumm? Warum richtete er sich nicht auf? Hatte auch diese ehrliche Hundeseele von dem sonst nur dem Menschen- und Katzengeschlechte zustehenden Privilegium, Verrath zu üben und treulos zu sein, Gebrauch gemacht? Ich rief ihn, aber er antwortete nicht mit seinem gewöhnlichen traulichen Gebell; ich suchte ihn; da fand ich ihn hingestreckt an dem Fuße der einen Palme – er war kalt, er war eine Leiche. Mein treuer Begleiter in so vielen Nöthen, mein Retter in so vielen Gefahren war mir entrissen – auf immer, wie es schien. Eine einsame Thräne schlich sich langsam und vorsichtig aus meinem rechten Auge (denn wenn ich weine, so weine ich nur mit diesem, während mein linkes mit seiner gewöhnlichen Ruhe in die Welt blickt) und blieb dann an der Wimper hängen, bis ein warmer Hauch der tropischen Luft sie trocknete. Ich glaube der Mond weinte mit, denn er machte ein sehr jämmerliches Gesicht, und an seiner linken Backe erschien ebenfalls ein Dunstbläschen, das ohne Zweifel nichts Anderes war als eine Thräne, welche er dem großen Dahingeschiedenen nachweinte.

Es war mir nun Alles klar. Der mit herübergekommene Pipermannländer war ein Unterhändler zwischen dem tückischen Italiener und meiner Gattin gewesen; er hatte ihr die Nacht bezeichnet, in welcher Rackerino Rackerini herüberkommen werde, um sie zu entführen; und um ihr scheußliches Werk zu krönen, hatte meine treulose Gattin dem treuen Hector eine vergiftete Speise gereicht, zu welcher ihr Rackerino Rackerini das Recept geschrieben hatte. Die Ruchlose, die durch mich aus dem Erbschulzenstande zu einer Kaiserin erhoben worden war, hatte sogar die Schändlichkeit begangen, mein geliebtes Töchterchen, die kleine Prinzessin Guitarria Cichoria Cigarretta, mit zu entführen.

Wenn jemals ein Entschluß in der Welt gefaßt worden ist, so war es der, welchen ich am folgenden Tage faßte. An diesem verrätherischen Gezücht Rache zu nehmen, Pipermannland mit aller Macht anzugreifen, den ruchlosen Italiener, der so viel ich weiß sogar ein Neapolitaner war, sammt dem treulosen Weibe im Meere zu versenken, wo es am tiefsten ist, das war der Entschluß, den mein glühender Kopf in der heißen tropischen Sonne ausbrütete.

Mit diesem Plane beschäftigt, schweifte ich folgenden Tags auf der Insel umher. Es lag eine fürchterliche unheimliche Schwüle über ihr, die Schwüle eines Backofens. Die Luft roch nach brennendem Pech und Schwefel. Eine eigenthümliche Ermattung und Abspannung bemächtigte sich meines Geistes wie meines Körpers. Die Füße hingen mir wie Bleigewichte am Leibe. Der Kopf drückte von oben wie ein schwerer glühender Erzklumpen. Widerstandlos streckte ich mich in das Gras, den Kopf unter meinen Gummisonnenschirm verbergend.

Ein fürchterliches Brausen, Toben und Rollen erweckte mich, zugleich fühlte ich, daß der Schirm mir aus der Hand entrissen und weit in die Luft getragen wurde. Es war stockfinster um mich; doch nahm ich so viel wahr, daß ein ganzer Wald dicht über mich hinweggetragen wurde, so daß die feuchten Wurzeln der Bäume mein Gesicht streiften, und mir dadurch eine keineswegs sehr angenehme Empfindung verursachten. Einer jener berüchtigten Tornados oder Wirbelwinde, die in jenen Himmelsgegenden zuweilen vorkommen, war über die Insel mit verzehrender Gewalt hereingebrochen, verbunden mit einem Erdbeben, wie ich an den entsetzlichen Rollstößen unter mir und an den wellenförmigen Bewegungen des Erdbodens wahrnehmen konnte. Dieser begann sich an der Stelle, auf der ich lag, sichtlich zu heben, immer höher und höher. Ein Berggipfel wurde, das fühlte ich, von der unterirdischen Gewalt emporgetrieben. Ich klammerte mich an ihn mit aller Macht. Der Gipfel schwoll mehr und mehr in die Luft, und hatte bald eine Höhe erreicht, von der aus ich die Finsterniß, die Wetterwolke, das Verderben, das Uebereinanderstürzen der Wälder und Hügel tief zu meinen Füßen erblicken konnte. So wurde ich wohl mehrere tausend Fuß mit dem werdenden Berge in die Luft getragen. Da stand er still und begann nun, aber auch die Insel mit ihm, zu sinken, immer tiefer in den Schooß des Meeres. Mein Untergang schien besiegelt zu sein, als sich plötzlich ein trichterförmiger Spalt unter meinen Füßen öffnete, in den ich, wieder mehrere tausend Fuß, allmälig hinabglitt, bis ich unten auf einem plötzlich sich vorschiebenden gewaltigen Felsblock stehen blieb.

Ich fühlte, wie die Insel immer noch im Sinken war, und es war mir zu Muthe, wie es Einem sein muß, der sich in einer niedergehenden Taucherglocke befindet. Mit Entsetzen sah ich dem Augenblick entgegen, wo auch der Gipfel unter der Oberfläche des Meeres verschwinden und die Fluthen in den Trichter hereinbrechen würden, um mich zu ertränken. Da plötzlich gab es einen furchtbaren Ruck – und die Insel stand still; sie war auf dem Boden des Meeres angekommen, von dem die furchtbare Wirkung der vulkanischen Kraft sie losgerissen hatte; der Gipfel des Berges, in dessen Bauche ich eingeschlossen war, ragte aber über die Oberfläche des Meeres hinaus, wie ich daraus schloß, daß der Trichter sich nicht mit Wasser füllte.

Mühsam kletterte ich den Trichter hinauf, was mir um so beschwerlicher fiel, da ich in meiner Rechten die Flinte hielt, und nachdem ich oben angelangt, befand ich mich wieder auf der Spitze des Berges, die eben nur unmittelbar über die Fluth hinausreichte und von allen Seiten von der unermeßlichen Fläche des Oceans umgeben war. Ein schreckliches Gefühl, so an einem Fleckchen Erde über dem Geschäume und Gerolle der Wogen zu hängen! Doch, trostreicher Anblick – auch das Rettungsboot hing am Gipfel fest, und ich that, was ich nicht lassen konnte, ich bestieg es und überließ mich aufs Gerathewohl dem Spiel der Winde und Wogen und meinem Schicksal.


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