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LL.
Papier und Tinte in der Bastille.

Linguet scheint die bogenweise Zuzählung des ihm nötigen Papiers als eine besondere, ausschließlich gegen ihn verübte Schererei betrachtet zu haben (vgl. S. 261). In Wirklichkeit beruhte jedoch dies Verfahren auf einer nur höchst selten umgangenen Bestimmung der Hausordnung der Bastille.

Wie man gesehen hat (S. 78 und 189), bedurfte es erst einer ausdrücklichen Erlaubnis des Polizei-Direktors, ehe der Gefangene überhaupt schreiben durfte, und diese Erlaubnis wurde, wie Dumouriez (I, 305) bemerkt, nie vor dem ersten ordentlichen Verhöre des Gefangenen gewährt. Dumouriez selbst erhielt als Günstling des Gouverneurs Jumilhac und des Polizei-Direktors Sartines Papier und Tinte nach seinem Belieben, und ohne daß man über die Verwendung Rechenschaft von ihm verlangte. Nicht so jedoch die übrigen Gefangenen. Frau von Staal hatte sich entschlossen, von der ihr angebotenen Erlaubnis zum Beichten Gebrauch zu machen. »Da ich mir verschiedene Sachen ins Gedächtnis zu rufen hatte,« erzählt sie ( Mémoires II, 132), »so bat ich den Gouverneur um Papier, damit ich sie geordnet aufführen könnte und nicht vergessen möchte. Er erwiderte mir, er ließe nichts in seinem Hause schreiben, was er nicht auch lese, und nur unter dieser Bedingung würde er mir das Gewünschte geben. Dieser boshafte Scherz überzeugte mich vollends von seinem ungemeinen Mißtrauen, das ich schon früher kennen gelernt hatte, als ich ihn auf den Knieen angefleht hatte, eigenhändig nach meinem Diktate ein Billet an Frau von Grieu zu schreiben, um diese der schrecklichen Ungewißheit über mein Schicksal zu entreißen: er war damals gegen alle meine Bitten taub gewesen, weil er befürchtete, die einfachen Worte, die er mit eigener Hand niederschriebe, möchten einen versteckten Sinn haben.« Wie streng Jourdain de Launay in der That jede schriftliche Äußerung seiner Gefangenen überwachte, erhellt aus einem andern Umstande. Herr von Valincourt, ein Freund der Staal, übersandte derselben allwöchentlich ein offenes Blatt mit verschiedenen Fragen bezüglich solcher Gegenstände, deren sie seinem Vermuten nach bedurfte. Dies Blatt hatte, wie Frau von Staal angiebt (II, 115), einen breiten Rand, »auf dem ich« [sagt sie wörtlich] »gemäß der Erlaubnis, die er mir zu diesem Zwecke ausgewirkt hatte, jeden einzelnen Artikel in Gegenwart des Gouverneurs, der mir das Blatt überbrachte und es Valincourt wieder zurücksandte, mit Ja oder Nein beantwortete.«

Später gewährte man der Vertrauten der Herzogin von Maine allerdings Papier und Tinte, aber unter denselben Bedingungen wie dem Verfasser der Annalen. »Unser Platz-Kommandant,« erzählt sie (II, 144), »bat Herrn Le Blanc um die Erlaubnis, mir Tinte und Papier geben zu dürfen, nur damit ich einfach meine Einfälle niederkritzeln könnte. Er gab seine Einwilligung dazu unter der Bedingung, daß die Blätter numeriert würden, und daß ich sie in derselben Anzahl zurückgäbe. Das beschränkte mich in der Wahl der Stoffe, die ich hätte behandeln können. Ich wählte einen sehr ernsten, damit man nichts dagegen einzuwenden fände: es waren moralische Betrachtungen über einige Stellen des Predigers Salomonis.«

Auf ganz dieselbe Weise verfuhr man gegen Fouquet. Der Sekretär Foucaux erklärte dem Oberintendanten, »er habe dem Herrn d'Artagnan einen Befehl des Königs zugestellt, ihm [Fouquet] Tinte, Feder und Papier zu geben unter der Bedingung, daß besagte Gesuche in ihrer [Foucauxs und Benards] Gegenwart geschrieben würden,« und die mehrfache Wiederholung dieses Anerbietens beweist, daß Fouquet die genannten Gegenstände ohne ausdrücklichen Befehl des Königs nicht erhalten durfte. Vgl. S. 338-339.

Die Gefangenen wußten sich freilich auf mancherlei Weise zu helfen. La Porte stellte aus zerriebener Kohle, Asche von verbranntem Stroh und etwas Salatöl eine Art Tinte her, benutzte einen zugespitzten Strohhalm als Feder und schrieb aus einem zufällig in seiner Tasche zurückgebliebenen Fetzen Papier (s. S. 407); de Latude besaß »eine kupferne Feder und etwas eingetrocknete Tinte« und schrieb auf den Papierstücken, welche die Umhüllung seines Tabakpäckchens gebildet hatten (s. S. 79); Dumouriez benutzte den Dorn einer seiner Schuhschnallen, um Notizen an die Wand seiner Zelle zu ritzen ( Vie du général Dumouriez I, 315); ein gewisser Schrader verfertigte Federn aus den Knochen des den Gefangenen gelieferten Fleisches und zapfte einem Mitgefangenen Blut ab, um es als Tinte zu benutzen ( Renneville II, 205); andere gebrauchten Ruß mit Öl als Tinte, zugespitzte Holzspäne als Federn und Zeugfetzen als Papier; manche bedienten sich der Nähnadel, um Mitteilungen in die öfter zum Waschen gegebenen Hemden, Taschentücher etc. einzunähen u. s. w. Dumouriez wußte sogar die Holzscheite zur Korrespondenz nutzbar zu machen. Es lag ihm daran, seinem Schicksalsgenossen Favier den Inhalt der mit ihm angestellten Verhöre mitteilen zu können. Nun hatte er schon früher bemerkt, daß an jedem Sonnabend der Holzbedarf für die einzelnen Gefangenen am Fuße der verschiedenen Türme aufgestapelt wurde, um später in die Zellen geschafft zu werden. Bald darauf verriet ihm ein glücklicher Zufall, in welchem der Türme sein Genosse untergebracht worden war. Er sah einen Schließer mit einem ziemlich großen Beutel über den Hof zum Turm La Bertaudière gehen und fragte ihn nach dem Inhalte des Sackes. »Es sind Linsen,« erwiderte der Schließer. Da Favier ein großer Liebhaber dieser Hülsenfrucht war, so glaubte er ihn daraufhin in jenem Turme suchen zu müssen. »Gleich am Tage danach« – erzählt er selbst – »schnitt er mit einem Stücke Glas eine Holzkohle zu und stellte auf diese Weise einen Bleistift her. Am Fuße des Turmes lagen drei Haufen Scheite. Er schrieb nun auf die glattgesägte Seite eines der Scheite auf Englisch die Worte: »Ich bin im Kapellen-Zimmer. Antworte mir.« Acht Tage lang blieb er ohne Antwort, dann aber fand er auf seinem Holzstoße eine Erwiderung ebenfalls in englischer Sprache. Nun schrieb er sein erstes Verhör nebst den dabei gegebenen Antworten auf einen kleinen Zettel und steckte diesen in eine Spalte eines der Scheite. Favier – denn dieser war es wirklich – antwortete auf dieselbe Weise, und so teilten sie sich gegenseitig alles mit.«

Die alte Wahrheit, daß mit der Schwierigkeit eines Unternehmens auch die Erfindsamkeit des Menschen wächst, fand sich also auch in der Bastille bestätigt.

Ende.


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