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Anmerkungen des Verfassers.

Der Leser wird gebeten, erst dann zu den Anmerkungen überzugehen, wenn er den Text genau durchgelesen und, wenn möglich, ein wenig überdacht hat.

*

I. (S. 119). [ Die Zugänge zu diesen Schlünden.] Im allgemeinen können in Frankreich alle festen Plätze nach Willkür zu ebensovielen Bastillen werden. Es giebt nicht ein einziges unter diesen anscheinend gegen die Feinde des Staates errichteten Bollwerken, das die Laune eines Ministers nicht in jedem Augenblicke zu einem Grabe für die Kinder des Vaterlandes umschaffen könnte. Diese spezielle und beständige Bestimmung haben indessen kaum zwanzig von unsern festen Schlössern, wie z. B. die Bastille und Vincennes an den Thoren von Paris, Pierre-en-Cise in Lyon, die Isles Saint-Marguerite in der Provence, der Mont Saint-Michel in der Normandie, das Schloß Le Taureau in der Bretagne, die Citadelle von Saumur im Anjou, die von Ham in der Picardie u. s. w. u. s. w. Und alle diese sind mit Staatsgefangenen angefüllt! in allen diesen befolgt man das Verwaltungssystem der Bastille! in allen giebt es Gouverneure, die das Geschäft des Speisewirts versehen, einen Stab von Offizieren, die die Rolle von Gefangenwärtern spielen, Besatzungen, Ingenieure u. s. w.

Die Rücksicht auf diese ungeheure Ausgabe hat bei einigen Ministern, unter andern auch, wie man sagt, bei Herrn Necker, den Wunsch nach einer Reform rege gemacht: sollte sich dieselbe jemals vollziehen, so würde es höchst schmählich sein, daß sie keinen andern Grund hatte. » Die Bastille aus Sparsamkeit abschaffen!« sagte im Hinblick darauf vor wenigen Tagen einer der jüngsten und feurigsten Redner Englands mit gerechter Entrüstung.

II. (S. 119). [ Ein Condé.] Gelegentlich dieses Namens kann ich nicht umhin, hier eine den Denkwürdigkeiten Sullys entnommene Anekdote einzurücken, die vielleicht wenig Leser beachtet haben.

Heinrich IV. hatte trotz seines Alters und seiner Tugenden noch in seinen letzten Tagen einer ebenso anstößigen wie lächerlichen Leidenschaft nachgegeben: er liebte die Prinzessin Condé, die Gattin seines Neffen. Er hatte die Heirat zugegeben, weil er hoffte, man würde den jungen, vergnügungssüchtigen und habgierigen Gatten durch Geld oder Zerstreuungen gegen die Aufführung seiner Frau blind machen können. Damit war es aber nichts: der junge Prinz wollte sich weder zerstreuen, noch bereichern lassen und führte seine Gattin nach Brüssel, ohne jemand davon in Kenntnis zu setzen.

Diese Flucht konnte von ehrenhaften Leuten nur gebilligt werden. Im Rate des Königs wurde sie wie eine Staatsangelegenheit behandelt: alle Minister gaben ernsthaft der Reihe nach ihre Meinung über die Mittel ab, durch welche eine Maitresse, die der unbequeme Gemahl ihm zu entführen gewagt hatte, am schnellsten in die Arme des Königs zurückzubringen sei. Einige Stimmen waren für den Krieg. Als die Reihe an Sully kam, begann dieser die Darlegung seiner Ansicht mit den Worten: » Hätten Sie mich vor drei Monaten machen lassen, Sire, so hätte ich Ihnen den Burschen in die Bastille gesteckt, wo ich Ihnen schon für ihn gutgesagt haben würde.« Ich citiere aus dem Gedächtnis und kann mich in Bezug auf ein oder zwei Worte irren: aber ich bin sicher, daß ich mich weder hinsichtlich der Sache, noch hinsichtlich der Phrase irre.
Linguet.
Trotz dieser ausdrücklichen Versicherung befindet sich der Verfasser hier in einem sachlichen Irrtume; man sehe das Nähere im Anhang unter GG nach.
D. Übers.

Diese Sprache wurde vor versammeltem Rate geführt! der, welcher sie führte, war einer der tugendreichsten Minister, die Frankreich überhaupt gehabt hat! der, gegen den er sie führte, war ein Prinz von Geblüt! und das Verbrechen, welches an diesem Prinzen von Geblüt für der Bastille würdig erachtet wurde, bestand darin, daß er eine hübsche Frau hatte und nicht wollte, daß sie die Maitresse seines Onkels würde! Die Gefangensetzung in einem Staatsgefängnis gehörte auch noch später zu den beliebtesten Mitteln, sich eines unbequemen Ehemanns zu entledigen. »Ich kenne,« erzählt Mirabeau ( Lettre-de-cachet, p. 268), »die nähern Verhältnisse von sechs festen Schlössern, die 1775 dreihundert Gefangene enthielten. In dem, welches ich selbst acht Monate lang bewohnte, habe ich einige dreißig in der Nähe gesehen und beobachtet: ich war ihr Tröster und Ratgeber, wenigstens zum größten Teile, und daher sind die urkundlichen Belege für das, was sie mir von ihren Angelegenheiten erzählten, durch meine Hände gegangen. Drei von diesen Unglücklichen hatten kein anderes Verbrechen begangen, als daß sie mit hübschen Frauen verheiratet waren, welche von einigen jener dekorierten Lakaien protegiert oder vielmehr unterhalten wurden, die man, ohne Zweifel im Gegensinne, große Herrn nennt, und die gleichzeitig die erbärmlichsten Sklaven und die unbarmherzigsten Tyrannen sind. Es steht mir nicht zu, dem Publikum die Namen der treulosen Ehefrauen zu nennen, von denen ich rede; wagte man mich aber dazu herauszufordern, so würde ich sie dem Sitteninspektor angeben und ihm die Beweise für ihre Schande liefern.«
D. Übers.

Denke nach, Leser!

III. (S. 121). [ Man vergleiche seine Schilderung mit der meinen.] Eine Geschichte der französischen Inquisition von Constantin de Renneville rechne ich nicht zur Zahl der Denkschriften, die man über die Einzelheiten dieser Höhle des Trophonius zu Rate ziehen kann. Das Buch ist selten geworden und, weil selten, teuer, hat aber nichts Fesselndes, ja nur Wahres, als den Titel. Es ist ein Gewebe von abscheuerregenden Roheiten und widersinnigen Fabeln.

So liest man z. B. darin, ein Gefangener, der in das Verließ eines der Türme geworfen worden sei, habe mit den Händen soviel Steine aus den Grundmauern losgerissen, daß er sie ins Wanken brachte und der erschrockene Gouverneur gezwungen war, diesen neuen Simson im schönsten Gelasse des Schlosses unterzubringen, um dessen Einsturz zu verhüten.

Der Erfinder dieses Märchens wußte also nicht, daß die Mauern der Bastille an den schwächsten Stellen wenigstens zwölf Fuß und an den übrigen dreißig, vierzig und fünfzig Fuß Stärke haben, daß sie aus den besten Quadersteinen erbaut und folglich ebenso fest sind, wie die Herzen der Wächter unerbittlich sind.

Überdies spricht Renneville nur von der schlechten physischen Behandlung. Allerdings spart man an dem Orte, wo jede Art, das Leben unerträglich zu machen, in Anwendung kommt, auch diese nicht, aber, wie man oben gesehen hat, verlassen die Folterknechte mit dem Ludwigskreuze auf der Brust, die sich dort mit der Administration der Schmerzen beschäftigen, sich nicht auf dies Mittel allein: sie martern die Seelen – das ist weit sinnreicher.

IV. (S. 122.) [ Ein Beamter in anscheinend der Gerechtigkeit geweihter Tracht. ] Es ist das der Oberpolizei-Direktor. Er ist der eigentliche Administrator der Bastille, der Ober-Gouverneur dieses Schlosses: alle Befehle gehen durch seine Hände, und er hat in diesem Bereiche keinen weitern Vorgesetzten als den unmittelbaren Minister für das Departement Paris.

Diese Verbindung der Robe mit dem Schwerte, eines Civil-Beamten mit waffentragenden Söldlingen zur Vornahme einer Unterdrückung, welche die Gesetze verpönen und Richter und Beamte zu verabscheuen sich befleißigen, ist eine Folgewidrigkeit, für die sich eben nur in Frankreich ein Beispiel findet. Und nicht etwa, um diese Unterdrückung zu mildern, ist die Administration derselben einem Civil-Beamten übertragen worden, sondern nur um sie einigermaßen rechtmäßig oder wenigstens gesetzmäßig zu machen, wenn das möglich wäre.

Die Truppen der Steuerpacht ( ferme générale), die Soldaten der Geldaristokratie haben in Frankreich das Recht, bürgerliche und juristische Verhandlungen aufzunehmen, Protokolle abzufassen und diejenigen, welche von ihnen in Haft genommen und visitiert werden, wirklichen Verhören zu unterwerfen – die Truppen des Königs, die Soldaten der Nation haben dies Recht nicht. Da nun aber diese letztern die Bastille hüten, so mußte ihnen ein Mann beigegeben werden, der dies Recht besitzt, um das vornehmen zu können, was man ein Verhör oder eine Protokollierung nennt, wenn man sich überhaupt mit dergleichen Formalitäten zu befassen geruht: dies ist das Amt des Polizei-Direktors und der Grund, weshalb man ihn mit dieser Macht bekleidet hat.

Ergötzlich aber ist es – wenn überhaupt ein auf die Bastille bezüglicher Umstand ergötzlich sein kann – und beweist die ganze Folgerichtigkeit der französischen Begriffe, daß seine Robe, die hier für ihn zu einem Rechtsgrunde für seine höhere Autorität wird, für jeden andern Beamten einen Grund für die Ausschließung bildet. Selbst der Kanzler würde keinen Einlaß in die Bastille finden, wenn er nicht etwa als Gefangener dahin geschickt würde. Wenn das Parlement, was infolge der nämlichen logischen Begriffsverknüpfung zuweilen vorkommt, den Auftrag annimmt, in der Bastille verwahrte Gefangene zu richten, so ist es den Richtern nicht erlaubt, das Schloß zu betreten. Sie halten ihre Sitzungen vor dem Thore, und man führt ihnen den Angeklagten oder vielmehr das Opfer zu, wie die Geschichte Lallys und anderer zeigt, so daß also diese höhern Beamten, die so stolz und so despotisch sind, nicht einmal das Recht zur Inspektion dieser Stätten haben, an denen ein Unterbeamter eine unumschränkte Herrschaft ausübt.

Was aber vollends alle Widersprüche in sich vereint und vollends alle Begriffe verwirrt, ist der Umstand, daß die Rechtshandlungen dieses Beamten, der ausdrücklich berufen und eingesetzt ist, um dem ganzen Verfahren einen Anschein von Gesetzmäßigkeit zu geben, jedes Mal, wenn sie den Gerichtshöfen vorgelegt werden, von diesen, deren Mitglied er dessenungeachtet bleibt, in aller Form widerrufen und verworfen werden. Die Gerichtshöfe erklären, indem sie den König sprechen lassen, im Namen des Königs, von Seiten des Königs die gerichtlichen Maßnahmen für ungesetzlich und tyrannisch, die, da man in der Bastille den König durch den Mund ihres Kollegen sprechen läßt, im Namen des Königs, von Seiten des Königs angeordnet worden sind, und endlich soll derselbe Mann, der als Polizei-Direktor im Châtelet und als Staatsrat im Parlemente sitzt, dieselben Aktenstücke mit Abscheu verwerfen und für verbrecherisch erklären, die er am Tage zuvor in seiner Eigenschaft als Bevollmächtigter des Königs im Faubourg Saint-Antoine, in Vincennes u. s. w. erpreßt und mit seiner Unterschrift versehen hat.

Diese Widersinnigkeiten machen die französische Gesetzgebung in den Augen der Ausländer lächerlich – leider aber noch drückender für die Einheimischen.

V. (S. 122.) [ Kriegsleute, geschmückt mit dem augenscheinlichen Lohne für unbescholtene Dienste, für ein der Verteidigung der Bürger geweihtes Leben.] Sämtliche Stabsoffiziere der Bastille tragen das Ludwigskreuz, sogar diejenigen, welche gar nicht im Heere gedient haben, wie z. B. der gegenwärtige Gouverneur, oder dienstlich in einem Range gestanden haben, der nicht dazu berechtigt, wie z. B. der gegenwärtige Platzmajor: man gewährt es ihnen aus Gnade und um ihnen ein imposanteres Äußeres zu geben.

Das ist bei alledem nichts Sonderbares. Verleiht man doch heute dies so lange verehrungswürdige und verehrte Kreuz auch an Polizeibeamte. Diese schmähliche Auszeichnung des niederträchtigsten Dienstes, den der Despotismus je gefordert, verdankt man dem Herrn de Sartines. Will man dieselbe durch den Nutzen jener Ämter in gewissen Fällen rechtfertigen, so müßte man sie auch den gewöhnlichen Häschern und den Henkern zu Teil werden lassen, denn schließlich sind doch auch sie nützliche Menschen, und in den Augen der Vernunft stehen sie sicher unendlich höher als ihre Kameraden, die Bastillanten; sie sollten daher auch in der öffentlichen Meinung weniger gebrandmarkt sein.

Sie sind nur die Werkzeuge einer unerläßlichen Strenge: sie sind Beamte und zwar notwendige Beamte einer rechtmäßigen Gewalt; sie mögen wohl bisweilen ungerechte Befehle vollstrecken, immer aber gehorchen sie der Justiz und den Gesetzen.

Sie sind sicher, daß der Unglückliche, der ihnen überantwortet wird, Mittel zu seiner Verteidigung gehabt hat oder haben wird, sie sind sicher oder müssen zum wenigsten annehmen, daß eine billige und unparteiische Untersuchung dem Urteile vorangegangen ist, das sie zur Erfüllung ihrer Pflicht bestimmt. Sie dürfen mit Grund voraussetzen, daß jene Urteile immer nur Schuldige oder doch mit Recht Verdächtigte treffen.

Ein Polizei-Beamter dagegen und ein Bastillen-Offizier wissen gerade das Gegenteil: sie wissen, daß sie die Gesetze verletzen, und daß es ihre spezielle Bestimmung ist, dies zu thun; sie wissen, daß sie die passiven, verbrecherischen Werkzeuge einer willkürlichen Gewalt sind; sie wissen, daß drei Viertel von den Opfern, die man ihnen zur Kreuzigung überantwortet, unschuldig sind, und daß man nicht zum abgekürzten Verfahren einer Lettres-de-cachet gegriffen haben würde, wäre ein begründeter Vorwand vorhanden gewesen, um sie auf gerichtlichem Wege in Ketten legen zu lassen; sie wissen endlich, daß ohne die Bajonette um sie her im Ritual der Gerichtshöfe und in den Herzen der Bürger der Stab über sie gebrochen ist, und daß eine schmähliche Strafe der gerechte Lohn für ihre ehrlose Willfährigkeit sein würde.

Sie wissen das und geben sich zu Werkzeugen dieser Gewaltthaten, dieser Lettres-de-cachet her! Der Agent, welcher die Verhaftungen ausführt, rechnet an den Fingern nach, um wieviel Louisd'or jede neue Beute seine Rechnung vergrößern wird, der Büttel-Gouverneur überschlägt, wieviel Thaler dabei für seine Küche abfallen werden, und beide finden die Verhaftung um so besser, je gewinnbringender sie für sie wird.

Sicher treiben weder der Scharfrichter noch seine Knechte die Erniedrigung der Habsucht und das Vergessen auf Scham und Gewissen bis zu diesem Punkte.

Wenn also die öffentliche Meinung vernünftig wäre, wenn das Nachdenken das Vorurteil bestimmte – welcher von diesen beiden Menschen, frage ich, müßte dann in den Augen der Gesellschaft am meisten gebrandmarkt sein? Welchem von beiden gebührt mehr Schmach und Verachtung?

VI. (S. 123.) [ Was zwischen dem Herrn Grafen de Vergennes und mir vorgegangen ist.] Man vergleiche meinen i. J. 1777 gedruckten Brief an diesen Minister. Ich habe weder dies Schreiben, noch das dadurch erregte Aufsehen zu den Ursachen meiner Haft gezählt, weil das den Herrn Grafen de Vergennes rundweg einer Spitzbüberei, einer Heuchelei beschuldigen hieße, die mit der Tugend und der Offenheit, die er an den Tag legt, allzu sehr in Widerspruch steht. Indessen ist es Thatsache, daß, seitdem ich so gutmütig gewesen war, auf sein Wort hin über das Meer zurückzukommen, scharfblickende Freunde mir unaufhörlich das voraussagten, was mir am 27. September 1780 wirklich widerfahren ist: unaufhörlich wiederholten sie mir, der Herr Graf werde früher oder später ein Mittel finden, um das Vergnügen, sich zu rächen, mit dem Ruhme, anscheinend Verzeihung gewährt zu haben, in Einklang zu bringen. Darf die Übereinstimmung zwischen ihren Prophezeiungen und den thatsächlichen Begebenheiten das Vertrauen überwiegen, welches die Tugenden des Herrn Grafen de Vergennes fordern?

VlI. (S. 124.) [ Ein neues Opfer, das vielleicht noch edler war als das, welches ich mit der Veränderung meines Wohnsitzes brachte.] Hier den Gegenstand dieses Opfers enthüllen hieße das Verdienst desselben vernichten. Vielleicht wäre es erlaubt, wäre es vorteilhaft für meinen Ruf und meine Rache, wenn ich mein Wort zurücknähme, wie die französischen Minister das ihre zurückgenommen haben: ich habe jedoch nicht die Ehre, Minister zu sein. Ein tyrannischer und ungerechter Eid bindet niemals, ein freiwillig gegebenes Versprechen immer.

VIII. (S.125.) [ Mit berechneter und überlegter Schimpflichkeit.] Ich wurde am hellen Tage, um zwölf Uhr mittags, in der verkehrreichsten und belebtesten Straße von Paris vor den Augen von zehntausend Menschen verhaftet, die in einem Nu zusammengeströmt, man könnte sagen: zusammengerufen waren. Mein Kutscher und mein Lakai, oder vielmehr die des Sieur Le Quesne und also der Polizei, verhehlten niemand meinen Namen. Wieviel Böswilligkeit in diesem gesuchten Verfahren lag, wird man einsehen, wenn man bedenkt, daß man sogar in den ernstesten und dringendsten Fällen immer die Nacht und die Stille für diese Gewaltthaten auswählt. Da aber das Ministerium in diesem Falle einen Akt der Rache ausübte und recht wohl wußte, daß es keinen andern Vorteil davon haben würde als die Freude über den Schimpf und die Grausamkeit, die im Gefolge meiner Gefangensetzung auftreten konnten, so wollte es mich den bittern Kelch bis zur Neige leeren lassen.

Man füge noch hinzu, daß der Polizei-Direktor, dem ich meiner vorsichtigen und freimütigen Gewohnheit gemäß seit 1777 immer zuerst meinen Besuch machte, wenn ich nach Paris kam, mir für jenen Tag um neun Uhr abends ein Stelldichein in seiner Wohnung bestimmt hatte: wir wollten über die Nr. LXXI der Annalen reden, die noch nicht verteilt war. Und am nämlichen Tage um zwölf Uhr mittags läßt er mich mit der vorstehend geschilderten Auffälligkeit verhaften! und alsdann hüllt man mich zwanzig Monate lang in ein undurchdringliches Geheimnis, umgiebt man die Folgen meiner Verhaftung mit ebensovieler Dunkelheit, wie man die Verhaftung selbst mit Aufsehen umgeben hatte! Was war der Zweck davon? Braucht man zu fragen? Das erregte Aufsehen gab das Recht, zu meinen Ungunsten alles zu behaupten, und das Geheimnis, alles zu glauben.

IX. (S. 127.) [ Durch den französischen Botschafter.] Es handelt sich hier nicht um den Herrn Grafen d'Adhémar, den bevollmächtigten Gesandten des französischen Hofes in Brüssel. Ich darf annehmen, daß ein Mann von Stand, der immer nur zufrieden mit mir sein konnte, bei dieser Gelegenheit die Würde seiner Stellung in Ehren gehalten und gefühlt haben würde, daß es nicht schicklich für ihn wäre, sich zum Genossen der Familiären der Pariser Polizei herzugeben, um einen ebenso gehässigen wie ungerechten Raub zu vollführen.

Der Herr Graf war abwesend, und die Geschäfte lagen in den Händen eines Menschen namens La Grèze, der bald sein Intendant, bald sein Sekretär u. s. w. und dann wieder sein Stellvertreter ist, eines Menschen, dessen geringster Fehler eine zweideutige Herkunft ist, und den seine ersten Ämter nicht auf natürlichem Wege zu einer Stelle im diplomatischen Korps führen konnten.

Dieser eigentümliche Botschafter fand in dem Pariser Polizeibeamten und dessen Substituten würdige Kollegen. Er unterstützte sie nach Kräften und vermochte dies mit um so größerer Leichtigkeit, da er, wenigstens in der ersten Zeit, seine Verrätereien unter den äußern Zeichen der Dienstwilligkeit und der Freundschaft verbergen konnte. Ich muß gestehen, er hatte mir mein Vertrauen abgestohlen: ich konnte dasselbe einem Manne nicht versagen, den die Regierung meines Vaterlandes mit dem ihren zu beehren schien. Er war alle Tage und den ganzen Tag über in meinem Hause.

In dem Augenblicke, wo das Unheil über mich hereinbrach, war er der bevorzugte Ratgeber der Person, die, während sie es teilte, noch den Schmerz hatte, Maßregeln ergreifen zu müssen, um es zu vermindern. Man wird hier nicht ungern eine darauf bezügliche Anekdote finden, die heute ziemlich ergötzlich ist, es damals aber durchaus nicht war.

Es kam hauptsächlich auf die Rettung meiner Papiere an: nicht daß dieselben etwas Verbrecherisches enthalten hätten, aber sie waren mein Vermögen und mehr als mein Vermögen. Überdies enthielten sie Geheimnisse, die nicht mir gehörten: da mir trotz meines unbedingten Rücktritts von der Advokatenlaufbahn das Vertrauen vieler ehrenwerter Leute in meine Zurückgezogenheit gefolgt war, so hingen die Ruhe und die Ehre mehrerer Familien von der unbemerkten Ausräumung meines Arbeitszimmers ab.

La Grèze wurde also zu Rate gezogen und erachtete es für das Beste, die wertvollsten Papiere in das mit Leder überzogene Behältnis auf dem Verdecke meines Wagens zu werfen, sie nach einem mir gehörigen und drei Stunden von Brüssel belegenen Landhause zu fahren und dort alles in das Heu einzuwühlen, mit dem die Speicher gefüllt waren. Er wohnte verkleidet, um Mitternacht, der Ausführung seines Ratschlags bei, wobei er unaufhörlich beteuerte, er setze seine Stelle und sein Lebensglück aufs Spiel, um mir diesen Dienst zu leisten. Er legte selbst mit Hand an, er sah das Behältnis vollschichten, er vergewisserte sich, daß der Wagen sogleich nach Öffnung der Thore abfahren würde, und versicherte dabei immerfort im Tone der Überzeugung, daß das Versteck unfindbar sein werde, da er allein darum wisse.

Der Wagen war wirklich um sieben Uhr morgens auf dem Lande angekommen. Um acht Uhr befand sich der Pariser Polizeibeamte in meinem Speicher: er öffnete mit einem Dietrich das Behältnis, zerbrach die Vorhängeschlösser und fand – Stroh!

Die Salbung, mit der La Grèze seine Beteuerungen auszustatten versucht hatte, hatte ihn verraten: man hatte, um den Umtausch auszuführen, den Augenblick benutzt, wo er zum Nachtessen oder vielmehr zu dem Polizeioffizianten gegangen war.

Das Geschichtchen ist ergötzlich, die Hinterlist aber war abscheulich. Hier noch eine abscheulichere, wenn das sonst möglich ist.

Als man die von meinen Papieren in Sicherheit brachte, die man für die wichtigsten ansah, hatte man vorsorglicherweise in meiner Behausung eine hinlängliche Anzahl anderer zurückgelassen, um mit dem Scheine Rechtens leugnen zu können, daß noch weitere vorhanden gewesen seien. Dieser Beute nun hatte sich die Brüsseler Polizei bemächtigt, während der besser unterrichtete Pariser Agent einem edlern Wilde nachsetzte. Nachdem aber durch die eben mitgeteilte Vorsicht ihr Plan vereitelt worden war, glaubten er und sein Spießgeselle La Grèze sich durch die Beschlagnahme dessen entschädigen zu können, was in Brüssel zurückgeblieben war. Dem setzten jedoch die Landesgesetze ein Hindernis entgegen: man verlangte eine von mir ausgestellte Vollmacht zu sehen. Le Quesne, den sie zu Hilfe gerufen hatten, besaß nun allerdings eine solche, aber sie war ältern Datums und bezog sich nicht auf das vorliegende Ereignis und dessen Folgen: die Brüsseler Behörden weigerten sich daher, sie anzuerkennen, und meine Freunde noch mehr.

Man mußte also wohl oder übel eine neue von mir verlangen, denn das Gelüst, meine Papiere kennen zu lernen, war unbezähmbar, und überdies schmeichelte man sich mit der Hoffnung, mit der betreffenden Urkunde in der Hand auch noch jene Schriften wiederzuerlangen, die La Grèze aus dem Garn gegangen waren. Man verlangte also eine neue Vollmacht von mir, und ich verweigerte sie rundweg: man errät, aus welchem Grunde. Was that man nun?

Der Sieur La Grèze schrieb an den Pariser Polizei-Direktor, die Brüsseler Gerichte hätten meine sämtlichen Sachen mit Beschlag belegt, ein Teil derselben wäre bereits auf Grund des fröhlichen Einzugs Wie man wohl merkt, war damit nicht etwa der meine in die Bastille gemeint: der fröhliche Einzug ( la joyeusé entrée) ist ein Sonderrecht der Souveräne von Brabant.
Linguet.
verkauft und konfisciert, und der Rest würde dasselbe Schicksal haben – das einzige Mittel, ihn zu retten, wäre eine Vollmacht von mir, damit man diesem Treiben Einhalt thun könne. An dem Orte, wo man nichts zeigt, zeigte man mir diesen Brief: man ließ mich im Stillen die Bitterkeit nähren, die er in mir erzeugen mußte, und präsentierte mir dann einen Notar als Tröster.

Ich mußte mich wohl zu dem bequemen, was ich für notwendig hielt: ich wollte wenigstens die Vollmacht beschränken, die man mir auf diese Weise ablockte, aber man wandte Zwangsmaßregeln an, um mich zur Unterzeichnung einer General-Vollmacht zu bringen.

Bei meiner Rückkunft nach Brüssel fand ich dann, daß der Brief des Sieur La Grèze durch und durch erlogen war. Man hatte nichts konfisciert – im Gegenteil, die Plünderung war einzig von seinen Spießgesellen und deren Stellvertretern ausgegangen. Seufzend hatte man in Brüssel meine Vollmacht gesehen, ihr aber, obschon man nicht wußte, welchen Kunstgriffen sie ihr Dasein verdankte, zum Glück nur hinsichtlich der für mich am wenigsten wesentlichen Dinge Folge gegeben, nämlich hinsichtlich des Geldes und derjenigen Papiere, deren Verlust nichts Beunruhigendes hatte.

X. (S. 127.) [ Ein Pariser Polizeibeamter.] Um dies Gemälde von Verrätereien und Niederträchtigkeiten zu vervollständigen, hier noch die Bemerkung, daß dieser Polizeioffiziant zu denen gehört, die ich während meiner kurzen und stürmischen Advokatenlaufbahn einer ungerechten, aber hartnäckigen Verfolgung entrissen hatte: es ist der nur zu berüchtigte Des Bruguières. Man hatte ihn gewählt, oder vielmehr er hatte sich angeboten, nicht um mir einen Dienst zu erweisen, sondern weil er, da seine Verbindlichkeiten gegen mich bekannt waren und er sich immer mit dem Scheine der Dankbarkeit gebrüstet hatte, besser als jeder andere geeignet war, sich in das Vertrauen der Personen einzuschleichen, deren Scharfblick und Anhänglichkeit an mich man fürchtete.

XI. (S. 127.) [ Ein Substitut, den ich an anderer Stelle nennen werde.] Dieser Substitut war kein anderer als der Sieur Le Quesne. Bezüglich der Einzelheiten dieses unglaublichen Verrats vergleiche man die Nachricht an die Subskribenten zu Anfang der Nr. LXXII der Annalen.

XII. (S. 127.) [ Man hatte mit meinem Gelde die Reisen des Gesandtschaftssekretärs bezahlt.] Der Sieur La Grèze hatte sich für seine Bemühungen nahe an fünfhundert Livres zu meinen Lasten von Le Quesne auszahlen lassen. Dieser letztere erklärte mir, indem er mir die Summe in Rechnung stellte, er hätte auf höhern Befehl gezahlt.

XIII. (S. 128.) [ Ich machte den Versuch, und er gelang.] Man erinnert sich vielleicht, daß es sich darum handelte, Nachrichten von beliebiger Art und beliebiger Länge mit einer Geschwindigkeit, die nahezu der der Einbildungskraft gleichkommt, auf die weitesten Entfernungen zu befördern.

Als einziger begründeter Einwand wurde mir entgegengehalten, daß Nebel und Schneefall diese Luftpost unterbrechen würden. Das gebe ich zu: aber der Schneefall hält nur einige Stunden im Jahre an, der Nebel nur einige Tage, wenigstens auf dem Kontinente. Ausgetretene Flüsse, zerstörte Brücken, ein Sturz mit dem Pferde können in gleicher Weise auch die gewöhnlichen Verbindungen auf einige Augenblicke unterbrechen.

Ich werde eines Tages meine Gedanken über diesen Gegenstand noch ausführlicher darlegen. Ohne Zweifel ist die Erfindung der Vervollkommnung fähig, und ich zweifle nicht, daß ihr dieselbe auch noch zu Teil wird. Ich bin überzeugt, daß sie mit der Zeit das nützlichste Hilfsmittel des Handels und aller derartiger Beziehungen werden wird, wie die Elektrizität eines Tages das wirksamste Agens der Medizin und die Feuerspritze das Prinzip aller Mechanismen bilden wird, die viel Kraft erfordern oder hergeben sollen.

XIV. (S. 128.) [ Vorausgesetzt, daß man mir die gewöhnlichen bürgerlichen Rechte zurückgebe.] Vorausgesetzt! Ich bin genötigt, diese Bedingung hervorzuheben. Man hat sich bereits gestattet, öffentlich die Behauptung aufzustellen, ich hätte ohne Rückhalt versprochen, nicht mehr zu schreiben, und unter dieser Bedingung wäre mir die Freiheit gewährt worden. Das ist nicht wahr. Wahr ist nur, daß ich selbst, erschöpft von diesem ewigen Ringen, diesem ungleichen Kampfe, wo ich unaufhörlich und ohne andere Waffen als die Vernunft und die Gerechtigkeit Feinde zu bestreiten hatte, die mit der Macht und der Intrigue gewappnet waren – daß ich selbst nur noch nach einem friedlichen Leben in der Zurückgezogenheit verlangte. Um es zu wiederholen: obschon ich durchaus nicht darauf gefaßt war, zwei Jahre Bastille durch eine Verbannung auf unbestimmte Zeit ersetzt zu sehen, würde ich dennoch in Réthel geduldig das Ende dieser neuen Maßregelung abgewartet haben: ich würde mich aufrichtig bemüht haben, Schweigen zu bewahren oder mich wenigstens in Vergessenheit zu bringen, wenn man mich nicht hätte zwingen wollen, diese Gleichgültigkeit gegen meine litterarische Existenz auch auf meine bürgerliche Existenz auszudehnen. Mit Bedauern, aber sicher ohne Gewissensbisse habe ich meine stürmische Laufbahn von neuem angetreten.

XV. (S. 132.) [ Eine Behandlung, die nie ihres Gleichen gehabt hat und vielleicht niemals haben wird, selbst nicht in der Bastille.) Ich habe manches weggelassen, das heute bei der Erzählung nicht mehr so packend sein würde, wie es mir damals schmerzlich erscheinen mußte. Die Umstände sind sogar bei den Leiden von Bedeutung: ein Schlag, der bei einem Gesunden nichts ausmacht, wird unerträglich und kann den Tod verursachen, wenn er ein bereits verletztes Glied trifft. Ich kann aber nicht umhin, hier die Hartnäckigkeit hervorzuheben, mit der man mir bis zum Schluß die Erlaubnis verweigerte, unter Zuziehung eines öffentlichen Beamten ein Testament zu machen.

Wenn dieser Verweigerung nicht die unmenschlichste Willkür zu Grunde lag, die ein Minister sich nur je gestattet hat, so hatte sie ein Amtsverbrechen zum Zweck, das noch niederträchtiger war: indem man es mir unmöglich machte, über mein Eigentum zu verfügen, wollte man den Sieur Le Quesne begünstigen, wollte man ihm, im Fall ich stürbe, die Mittel sichern, daß er meiner Familie nur soviel von meinem Vermögen zukommen zu lassen brauchte, wie ihm beliebte, und auf diese Weise seine Verrätereien nicht bloß auf meine Kosten, sondern auch auf Kosten meiner Erben belohnen. Da er mir keine Rechnung abgelegt hatte, da er alle meine Dokumente und alle meine Habseligkeiten in Händen hatte und infolge seiner Beziehungen zur Polizei u. s. w. sicher war, daß ein eigenhändig geschriebenes Testament nie ohne seine Zustimmung aus meinem Grabe ans Licht kommen würde, so mußte er sich der Aufnahme jeder notariell beglaubigten Urkunde widersetzen, deren Bestimmungen nicht so leicht umzustoßen und deren Spuren nicht so leicht zu vernichten gewesen wären.

Welche von diesen beiden Ursachen das Verbot, ein Testament zu machen, veranlaßt hat? Ich weiß es nicht. Vielleicht haben beide dazu beigetragen, wenn aber auch nur eine von beiden wirksam gewesen wäre, durfte ich da nicht doch mit Recht behaupten, daß dies Verbot selbst in der Geschichte der Verbrechen der Bastille ohne Beispiel wäre?

XVI. (S. 141.) [ Ich habe nie aufgehört, mir im Schoße Frankreichs einen Zufluchtsort offen zu halten.] Vielleicht bedurfte es keines geringern als dieses letzten Unglücks, um mich von diesem überspannten Patriotismus zu heilen: das Mittel war schmerzhaft, dafür ist aber auch die Heilung eine gründliche.

Jetzt, wo ich wieder lachen kann, finde ich eine naive Äußerung sehr ergötzlich, die einem Manne entwischte, der gegenwärtig eine wichtige Rolle im Ministerium spielt. Man erzählte ihm von meiner Rückkehr nach London und meiner Absicht, diese Denkwürdigkeiten herauszugeben. »Aber will er sich denn die Pforten Frankreichs für immer verschließen!« rief der Brave aus. Sollten die Herrn noch einige Lettres-de-cachet anzubringen haben und mich etwa vorzugsweise zu beehren gedenken?

XVII. (S. 143.) [ Eine Antwort, die die Rache hätte entwaffnen müssen.] Ich habe zufällig eine Abschrift dieser Antwort aufbewahrt und kann nicht umhin, hier wenigstens das Ende derselben mitzuteilen. Nachdem ich in rührender Weise die Gründe auseinandergesetzt hatte, die mich zur Abfassung jenes Briefes hingerissen hatten, fuhr ich fort: »Er hofft, der König werde gnädigst in Erwägung ziehen, daß es sich um eine Privat-Angelegenheit handelt, um eine geheim gehaltene Angelegenheit, die dem Publikum unbekannt ist ... daß jener Brief nur für das Erzeugnis einer ersten Aufwallung angesehen werden darf, die die Gesetze nirgends mit Strafe belegen, und die die Menschlichkeit entschuldigt, und daß er endlich, wie man ihn auch auffassen mag, doch nicht die Erinnerung an die Dienste auslöschen darf, die der Respondent zahlreichen Privatpersonen, die er vor Gericht verteidigte und rettete, dem Publikum, das er durch seine Schriften aufzuklären suchte, und der Religion, den Sitten und den Gesetzen, die er gewissenhaft in Ehren hielt, sein Lebelang zu erweisen sich bestrebte; daß jener Brief nicht die Erinnerung an das Zartgefühl, mit dem er bei den bloßen Anzeichen eines Bruchs eine völlig gesicherte Stellung in England aufgab, um sich wieder Frankreich zu nähern, noch an die Standhaftigkeit verwischen darf, mit der er überall das Lob seines Fürsten verkündete und die Interessen seines Vaterlandes verfocht, selbst mitten unter den Feinden desselben, wie das besonders seine Annalen beweisen; daß jener Brief endlich nicht die Erinnerung an die stets von ihm gehegte und bekundete Absicht verwischen darf, nach Frankreich zurückzukehren, sich dort fest niederzulassen, sein Vermögen im Lande anzulegen und dort unter dem Gebote des Fürsten zu leben, dem die Vorsehung ihn zugewiesen hat, eine Absicht, deren Verwirklichung einer der Hauptzwecke seiner gegenwärtigen Reise war, und ohne die er nicht in das Unglück geraten sein würde, in welchem er sich befindet.

»Er will nur noch eins bemerken: daß er nämlich, indem er auf diese Weise die Erwägungen entwickelt, die sein Vergehen verringern können, durchaus nicht daran denkt, dasselbe völlig zu entschuldigen. Er beabsichtigt nur, der Gnade des Königs Motive zu liefern, um die Strafe für dasselbe abzukürzen, und der Großmut des Herrn Marschalls de Duras Anlaß zu geben, ihm Verzeihung zu erwirken.«

Seit diesem Antwortschreiben habe ich nichts mehr vernommen. Nur nach meiner Freilassung erfuhr ich, daß dasselbe in den Bureaux des Herrn Grafen de Vergennes Anlaß zu allerlei Scherzen gegeben hatte. Unter andern hatte Moreau, einer seiner bevorzugten Sekretäre, sich, nachdem er es seinen Freunden vorgelesen, die Bemerkung erlaubt: »Ja, ja! jetzt macht er den Duckmäuser.«

O Ludwig, du gerechter, wohlgesinnter König! so also spotten die feilen Bevollmächtigten der Minister, die dich hintergehen, der Schmerzen deiner Unterthanen, die sie bedrücken! so also wagen sie die ehrfurchtsvolle Rückkehr zum Vertrauen und zur Unterwürfigkeit gegen dich ins Lächerliche zu ziehen! Waren die zwanzig Monate mit ihren Grausamkeiten die Frucht einer auf eben solche Weise untersuchten und erörterten Anschuldigung?

XVIII. (S. 144.) [ Die Genugthuung, sie geleistet zu haben.] Nach meiner Freilassung hat man mich versichert, daß man angebliche Abschriften dieses Briefes habe herumgehen lassen. Ich erkläre hiermit, daß es unmöglich solche geben kann: es läßt sich nicht annehmen, daß der Polizei-Direktor das Schreiben der öffentlichen Neugier preisgegeben habe. Auch der Herr Marschall de Duras wird es sicher für die Zukunft ebensowenig zeigen, wie er es bisher gezeigt hat, und die Hände, die meine Papiere den eifrigen Nachforschungen seiner Rächer entzogen, sind in dieser Hinsicht ebenso zurückhaltend gewesen: dies kleine Geheimnis gehört daher zu denen, bezüglich derer die Bosheit des Publikums nie befriedigt werden wird. In der That ist das betreffende Schreiben bis heute noch nicht ans Licht gekommen. Nur Bachaumont hat uns in seinen Denkwürdigkeiten wenigstens den ersten Satz desselben aufbewahrt. »Man spricht,« erzählt er, »viel von einem äußerst beleidigenden Briefe an den Marschall Herzog de Duras, der mit den Worten beginnt: Wer sind Sie denn, daß Sie das Recht zu haben glauben, mich zu fragen u. s. w.? Da aber niemand ihn gelesen zu haben behauptet und er nicht ins Publikum gedrungen ist, so darf man immerhin die Thatsache in Zweifel ziehen.« Die Thatsache ist nun allerdings durch die Angaben Linguets außer Zweifel gestellt, über den Brief aber dürfte schwerlich je etwas Näheres bekannt werden.
D. Übers.

XIX. (S. 146.) [ Der lächerliche Neffe des Herrn de Leyrit.] Wenn man wissen will, wer diese Persönlichkeit ist, muß man den achten und neunten Band der Annalen, besonders aber den neunten, S. 217 ff., nachlesen. Dieser lächerliche oder, wie Linguet verstärkend sagt: sehr lächerliche ( très-ridicule) Neffe des Herrn de Leyrit war niemand anders als der später so berühmte Duval d'Epréménil. Er hatte sich etwas unvorsichtiger- und unbefugterweise in den Prozeß gemengt, den der legitimierte Sohn Lally-Tollendals zwecks Cassation des gegen seinen Vater ergangenen und vollstreckten Urteils angestrengt hatte, und wurde dafür von Linguet, der diesen Prozeß mit der größten Spannung und Aufmerksamkeit verfolgte, in den Annalen mit einer Lage des beißendsten Witzes überschüttet.
D. Übers.
Wenig Rechtshändel sind so himmelschreiend gewesen, und selbst in Frankreich hat keiner je so unbegreifliche Einzelheiten und Folgen aufzuweisen gehabt wie der Prozeß des Herrn de Lally. Nachdem das Parlement von Paris die widersinnige Feigheit begangen hatte, dem Auftrage, ihn zu richten, Folge zu geben, und nachdem es die entsetzliche Grausamkeit gehabt hatte, Zornausbrüche, die vielleicht in jeder Hinsicht entschuldbar waren, und Verirrungen, die selbst der Urteilsspruch nicht mit dem Namen von Verbrechen zu belegen wagte, mit einem Todesurteile zu bestrafen, war es gleichzeitig auch feig und grausam genug, einem Sohne, der die Rehabilitation des väterlichen Gedächtnisses verlangte, im geheimen Hindernisse in den Weg zu legen.

Das Parlement von Rouen, zur Revision eines Urteils bestellt, das bereits als in der Form fehlerhaft erkannt und mithin nichtig war, sich aber auch sachlich mindestens ebenso unbillig erwies, hat nun zwar seine Pflicht nicht in dem Grade zu verletzen gewagt, daß es dasselbe von neuem bestätigte; um aber der Notwendigkeit einer Entscheidung zwischen der Gerechtigkeit und einer Körperschaft seines Ordens auszuweichen, hat es vorgezogen, eine der heiligsten Regeln des französischen Rechtsverfahrens zu verletzen und eine Intervention zu gestatten, die in ihren Nebenumständen ebenso verkehrt und an sich widersinnig, wie rechtlich unzulässig ist. Daraus entspringen neue Streitigkeiten, neue Erörterungen, eine neue Verweisung vor ein anderes Parlement, das von Dijon, wo nun Herr de Lally die nämlichen Vorurteile, die nämliche Willfährigkeit gegen den Korpsgeist und die nämlichen Leidenschaften zu bekämpfen haben wird.

Man darf nicht müde werden, es immer von neuem zu wiederholen: das übrige Weltall bietet keine solchen Beispiele, nur in Frankreich finden sie sich und können sie sich finden:

Sic vivitur illic.

Dafür hat man dort aber auch die komische Oper, die große Oper, die Boulevards, die Champs-Elysées, den Merkur u. s. w. u. s. w.

XX. (S. 147.) [ So lange ich von England aus geschrieben habe, bin ich keiner Schikane ausgesetzt gewesen.] Diese Bemerkung ist ebenso wahr wie eigentümlich und hängt mit einer Anekdote zusammen, die, wenn möglich, noch eigentümlicher ist als alles Vorhergehende, die ich aber aus zwei Gründen weglasse: erstens aus Achtung vor einem fürstlichen Namen, der damit verknüpft ist, und zweitens, weil sie mehr seltsam und pikant als zweckdienlich ist. Sie würde nur beweisen, welche Überlegenheit die Einwirkung einer durch die Freiheit gereinigten Luft wie der englischen sogar einfachen Privatleuten über den Schlamm und Schmutz des Despotismus giebt, der seine Werkzeuge wie seine Opfer beinahe auf gleiche Weise besudelt und entnervt – bedarf das aber noch eines Beweises?

XXI. (S. 155) [ Ein langwieriges Opfer.] Es thut mir im Interesse des Herrn Marschalls de Duras sehr leid, daß ich ihn so lange auf einer Bühne festhalten muß, wo er keine sonderlich ehrenvolle Rolle spielt, aber, wie gesagt, es ist nicht meine Schuld. Er hätte nur einen Augenblick großmütig zu sein brauchen, um mir auf ewig Schweigen aufzuerlegen.

XXII. (S. 164.) [ Die Vorrechte des Volkes.] Indem ich gelegentlich der Bastille des Towers von London gedenke, würde ich mich einer ungerechten und sogar verbrecherischen Unterlassung schuldig machen, wenn ich nicht erwähnte, daß es zwischen beiden Gefängnissen weit mehr wirkliche Unterschiede als anscheinende Ähnlichkeiten giebt. Die Kommandanten des Towers und die Besatzung, welche deren Befehle vollstreckt, sind wie alle übrigen Unterthanen des Staates der Oberaufsicht des Parlaments unterworfen. Einem von ihnen mißhandelten Gefangenen stehen tausend Wege offen, um seine Beschwerden den Obern, die Abhilfe schaffen können, wie seinen Freunden und Verwandten zugehen zu lassen, die ein Interesse daran haben, sie zur Geltung zu bringen. Der Gefangene ist sicher, daß sein Prozeß verhandelt wird, und zwar öffentlich verhandelt wird. Er hat Ratgeber, Verteidiger; alles, worüber er Auskunft geben oder was er widerlegen soll, wird ihm auf das ausführlichste mitgeteilt. Die Anklage wegen Staatsverbrechens bestimmt nur das Gefängnis, dem der Angeklagte anvertraut wird, ändert aber nicht das Geringste an der Form des Prozesses, der über sein Schicksal entscheiden soll. Endlich findet sich trotz der Verzögerungen und der Strenge, die ein solcher Prozeß zuläßt, nie auch nur ein Schatten von Ungewißheit weder über das Leben des Gefangenen, noch selbst über den Zustand seiner Gesundheit und den Ort, wo er verwahrt wird: ist das eine Bastille?

XXIII. (S. 164.) [ Die Einrichtung der Bastille ähnelt in keiner Weise dem, was je in der Welt üblich war oder heutigen Tages üblich ist.] Einige spitzfindige Kritiker oder Mitglieder der Regierung dürften mich hier vielleicht der Übertreibung zeihen und behaupten, daß es wenig Länder gebe, in denen man nicht, was die Sache anlangt, einen Ersatz für die Bastille und, was die Form anlangt, noch abscheulichere Bräuche oder Mißbräuche fände: sie würden den Versuch machen, durch diesen Vergleich wenigstens mittelbar die abscheuliche Einrichtung zu rechtfertigen, die ich hier bei allen redlichen Gemütern verklage, und die selbst die entschiedensten Anhänger des Despotismus nur durch derartige Ausflüchte zu entschuldigen wagen dürften.

Nehmen wir ihnen auch diese Ausflucht. Ich habe eingeräumt, daß in beinahe allen Ländern das Staatswohl bisweilen ein hinreichender Grund zu sein scheine, um außerordentliche Gewaltmaßregeln zu rechtfertigen, nirgends aber haben die Gesetze oder auch nur ein feststehender Gebrauch etwas geheiligt, was der Einrichtung der Bastille auch nur annähernd ähnlich wäre. Welchen Abscheu mir auch dieser traurige und schmähliche Gegenstand einflößt, welchen Widerwillen ich auch bei der bloßen Vorstellung empfinde, mich länger damit beschäftigen zu müssen, so wollen wir doch die Jahrbücher der Tyrannei durchblättern, den Erdkreis durchwandern und in der Geschichte der Verbrechen des Despotismus nach einem Beispiels suchen, das sich der Einrichtung jener Feste an die Seite stellen läßt, die die Rue Saint-Antoine zu Paris beherrscht.

Vielleicht wird dieser kurze Abriß des Elends vergangener Zeiten und fremder Völker mehr Eindruck machen als die nachdrücklichste Schilderung unseres eigenen. Wenn sie sehen, welche Folgen die Lettres-de-cachet zu allen Zeiten gehabt haben, wenn sie diese Folgen mit denen vergleichen, welche jene Haftbefehle noch heute erzeugen, so werden die modernen Titusse vielleicht leichter entscheiden können, ob es ihnen geziemt, sich eines solchen Mittels zu bedienen und sich einen solchen Wettkampf mit einem Phalaris oder Nero zur Ehre anzurechnen.

Ich wiederhole also und werde es durch Thatsachen beweisen: in der ganzen Welt gab es nie etwas und giebt es nichts, was der Einrichtung der Bastille gleichkommt. Es existiert keine Nation, die gebrandmarkt wäre durch die Schmach und die Ungeheuerlichkeit einer ständigen Bastille, eines stetig geöffneten Abgrunds, der Menschen verschlingt, nicht um sie zu strafen – man beachte das wohl – sondern um sie zu quälen, eines politischen Fegefeuers, wo wegen der geringfügigsten Vergehen und oft sogar über die Unschuld nach Willkühr die Strafen der Hölle verhängt werden.

Im ganzen Altertume finden sich Staatsgefängnisse nur bei den abscheulichsten Tyrannen und auch immer nur während der Regierung derselben. Sie waren wie das Beil und das Gift nur vorübergehende Landplagen, welche jene fluchwürdigen Unterdrücker anwandten, so lange ihre unrechtmäßige Herrschaft dauerte, und die mit ihnen wieder verschwanden. Sie standen in keinem Zusammenhange mit der Verfassung des Landes: sie waren weder eins der bevorzugten Mittel der Staatsregierung noch die gewöhnliche Zuflucht der Staatsgewalt. Was über ihre Einrichtung bekannt ist, gestattet in keiner Hinsicht, sie der Bastille an die Seite zu stellen.

So liest man z. B., der ältere Dionysius habe ein Staatsgefängnis in seinem Palaste zu Syracus gehabt. Er hatte darin, sagt die Geschichte, sogar eine raffinierte Erfindung angebracht, an der vielleicht das Erstaunlichste ist, daß die kleinen Dionyse, die, seinen Spuren nachgehend, mit solchem Erfolge an der Vervollkommnung der Bastille gearbeitet haben, nicht auch darauf verfallen sind. Die Wölbungen der Kerker waren nämlich mit solcher Kunst ausgeführt, daß alles, was darin gesprochen ward, in einem Zimmer, das den Tönen als Sammelplatz diente, widerhallte und verstanden wurde. In dies Observatorium oder, wenn man will, in diesen Beichtstuhl begab sich der Tyrann, um die Gespräche und Geheimnisse der Gefangenen zu erlauschen: man nannte dies sinnreich erdachte Zimmer das Ohr.

Das Ohr mußte aber doch wohl nicht alles wiedergeben, denn es wird erzählt, daß ein Philosoph, der infolge einer Lettre-de-cachet eingesperrt worden war, nach seiner Freilassung auf die neugierige Frage des Tyrannen, womit man sich im Gefängnis beschäftige, zur Antwort gab: » Deinen Tod zu wünschen!« Dies Geheimnis hatte also das Ohr nicht enthüllt. Die Folge jener Antwort aber war, wenn man sonst der Geschichte glauben darf, eine andere Lettre-de-cachet, die die Tötung aller Gefangenen anordnete. Ein ähnlicher Zug wird von Caligula berichtet. Cf. Suet. in Calig. c. 28.
D. Übers.

Wie es sich aber auch mit diesem letztaufgeführten Umstande verhalten mag, da das Ohr zur Belauschung der Gespräche der Gefangenen erbaut war, so unterhielten sich diese also miteinander, verkehrten demnach miteinander und waren keiner völligen Einsamkeit preisgegeben: das war also keine Bastille.

Bei den Römern war weder Ohr noch Bastille zu finden. Da zur Zeit der Republik die Bürger, sogar die schuldigen, erst nach der Verurteilung verhaftet werden durften, so kamen sie dem gewöhnlich durch freiwillige Verbannung zuvor: die Unschuld hatte also um so weniger eine willkürliche Gefangensetzung zu fürchten.

Unter den Kaisern war sie allerdings nicht vor den im Namen des Fürsten angeordneten Ermordungen sicher, damals wurden aber die Opferungen im eigenen Hause der Opfer vollzogen. Die von Sejanus, Narcissus, Tigellinus u. s. w. kontrasignierte Lettre-de-cachet, welche den Befehl zur Tötung enthielt, wurde dem Betreffenden durch einen Tribunen oder Zenturionen an der Spitze seiner Rotte kund gethan, denn immer sind es die Militärbeamten, die diese Verrichtung auf sich nehmen, wie es die Hunde sind, die das Wild aufjagen und zerreißen.

Nach Einsicht des ministeriellen Befehls nahmen die einen Gift, andere stießen sich den Dolch in die Brust, noch anders ließen sich die Adern öffnen. Das Kriegsvolk umzingelte das Haus, bis die Geschichte abgethan war, und kehrte dann kaltblütig in die Kaserne zurück, als ob es eben vom Wachdienst käme.

Man wird unfehlbar Stein und Bein schwören, daß dies Verfahren härter sei als die Bastille. Ich weiß es nicht, und außer denen, die sich in einer solchen Lage befinden, dürfte schwerlich jemand dies eigentümliche Problem lösen können. Wenn ich aber meiner eigenen Erfahrung trauen und mich an das halten darf, was ich selbst damals empfunden habe, so würde ich die rasche Methode des römischen Despotismus bei weitem vorziehen. Ich habe tausend Mal, mündlich und schriftlich, um eine gerichtliche Untersuchung oder um den Tod gebeten, und zu jener Zeit würde das Bad des Seneca oder der Dolch des Thrasea mir als eine Wohlthat erschienen sein. Linguet hätte sich hier auf Sueton berufen können, der es als ein Beispiel der unmenschlichen Grausamkeit Tibers anführt, daß » einzelnen Gefangenen nicht nur der Trost wissenschaftlicher Beschäftigung, sondern sogar Gespräch und Besuch versagt ward« ( Suet. in Tib. c. 61).
D. Übers.

Mag diese Frage immerhin unentschieden bleiben, soviel steht wenigstens fest, daß die Narcisse denen, deren Dasein ihnen unbequem war, nicht den Trost mißgönnten, vor ihrem Tode ein Testament zu machen. Im Gegenteil, sie belohnten mit dieser Gefälligkeit den schnellen Gehorsam der Verurteilten: die Freiheit, seinen letzten Willen aufzusetzen, und die Gewißheit, daß er vollstreckt werden würde, waren nach Tacitus pretium festinandi. Nun hat man aber gesehen, daß in der Bastille die nämliche Ergebenheit und die Nähe des Todes, den ich durch meine Wünsche beschleunigte, mir nicht die gleiche Entschädigung eintrugen. Es besteht also ein Unterschied zwischen beiden Seiten: in Rom war in dergleichen Fällen der Tod unvermeidlicher, in Frankreich aber weiß man das Nahen desselben schmerzhafter zu machen.

Das ist noch nicht alles: in Rom hatten nur die Großen jene mörderische Haft zu fürchten, und die Ungeheuer, die sie geboten hatten, entschlüpften selten der öffentlichen Rache. Sejan wurde vom Volke in Stücke gerissen, und Nero, der durch Senatsbeschluß geächtet war, würde einer entehrenden Strafe erlegen sein, wenn er sich nicht selbst getötet hätte. Überdies befreiten ein Trajan, ein Antoninus Rom von Zeit zu Zeit von diesem Schandfleck und verhinderten die Verjährung, die mit der Zeit ein Vorrecht der Krone daraus gemacht haben würde.

Sogar unter dem schlechtesten jener Kaiser waren die Staatsverbrecher oder vielmehr die gewöhnlichen Staatsangeklagten nur einer lästigen Beschränkung der Freiheit, nicht aber einer grauenvollen Gefangenschaft unterworfen: man fesselte sie mit einer Hand an einen Soldaten, der sie infolge dessen niemals verlassen konnte. Diese Genossenschaft war sicherlich nicht angenehm, sie hinderte aber weder Agrippa, unter Tiberius ruhig in seinem Hause zu schlafen, noch den heiligen Paulus, unter Nero öffentlich als Prediger aufzutreten. War das die Bastille?

Die einzige strenge Art von Staatsgefangenschaft, die im alten Rom beständig gehandhabt wurde, war die sogenannte Transportation. Man hatte unbewohnte kleine Inseln zur Verfügung, wohin die bei Hofe verdächtig gewordenen Personen gebracht wurden. Man setzte sie dort aus, mit dem Verbote, sich bei Todesstrafe nicht von der Insel zu entfernen. Ich gestehe, daß allem Anschein nach für gewöhnlich kein gerichtliches Verfahren diese Lettres-de-cachet rechtfertigte: aber die auf diese Weise ihres Bürgerrechts Beraubten behielten doch den Anblick des Lichts und das Recht, in freier Luft zu atmen, sie bezogen einen Teil von ihren Einkünften, sie konnten sich von einigen ihrer Diener begleiten lassen, sie schrieben und empfingen Briefe, und endlich, wenn die Langeweile zu lästig ward und sie die Heimatslosigkeit dieser schmählichen Ergebung in ihr Schicksal vorzogen, so konnten sie entfliehen und entflohen. Man sieht also, daß auch das noch keine Bastille war.

Da die Geschichte des oströmischen Reiches nichts weniger als getreu ist, so ist es unmöglich, hier das Rechtssystem der Lettres-de-cachet im Einzelnen mit Genauigkeit zu verfolgen. Da in Konstantinopel die sogenannten Kaiser mit ebensowenig Umständen ein- und abgesetzt wurden wie die Deys in Algier, so hätten ihre Minister kaum Zeit gehabt, die Staatsgefängnisse für ihre Rachegelüste auszunutzen: anstatt daher die Unterthanen hinter Schloß und Riegel zu setzen, schnitten sie ihnen ohne Verzug die Kehle ab, und diese Politik wurde häufig sogar von denen adoptiert, die sich, wie bisweilen vorkam, einer glänzenden und glücklichen Regierung erfreuten.

Konstantin hatte seine Methode für sich: er ließ die Personen, deren er sich ohne Lärm und Aufsehen entledigen wollte, wie z. B. seine Frau, seinen Sohn u. s. w., in warmen Bädern ersticken. Was seinen Schwiegervater anlangt, so ließ er ihn erwürgen und seinen Schwager enthaupten. Fast nur die Bischöfe schonte er: diese schickte er in die Verbannung. Eingesperrt aber hat er, wie es scheint, niemand.

Man könnte auf die Vermutung kommen, der erste Grund zu einer Bastille sei unter seinem Sohne Konstantius gelegt worden, denn als auf einem auf dessen Befehl abgehaltenen Concile Unruhen vorgefallen waren, die Kirchenväter sich in Parteien geteilt hatten und die Dinge bis zur offenen Gewaltthätigkeit gekommen waren, ließen die Prätoren, die damaligen Vollstrecker der Lettres-de-cachet, einige von den Vätern einsperren, und einer von diesen, namens Lucifer, schrieb damals an den Kaiser selbst Folgendes: ... »Weil wir uns von deinem schnöden und ungerechten Concile getrennt haben, schmachten wir in Moder und Fäulnis, des Anblicks der Sonne beraubt und sorglich im Dunkel bewacht, und man läßt niemand zu uns eintreten, uns zu besuchen« ... Das wäre allerdings das Bild einer Bastille.

Indessen sieht man einerseits, daß es dem Prälaten gestattet war, sich unmittelbar an den Fürsten zu wenden und sich bei diesem über die Härte seiner Gefangenschaft zu beklagen, was im Codex der Bastille gerade am ausdrücklichsten untersagt ist, und andererseits ist es sehr wahrscheinlich, daß eine so bewunderungswürdige Erfindung, wenn sie einmal im griechischen Reiche Eingang gefunden hätte, sich dort auch erhalten haben würde, und daß man daher wegen ihrer Erneuerung nicht bis auf Ludwig XI. hätte zu warten brauchen: nun sieht man aber in Konstantinopel keine weitern Spuren davon. Als man sich den heiligen Johannes Chrysostomos vom Halse schaffen wollte, schickte man ihn nach Cucusus: anstatt ihn durch die Unbeweglichkeit in einem Kerker zu töten, ließ man ihn infolge weiter Reisen sterben – man kam nicht einmal auf den bloßen Gedanken, ihn in einen Zwinger einzusperren, wo er schon bei seinen Lebzeiten für tot gegolten hätte.

Die Staatssecretäre des griechischen Reiches und ihre Unterbeamten erkannten frühzeitig, von welcher Wichtigkeit es für sie war, die Menschen, die sie ihrer Aufmerksamkeit und ihres Hasses für würdig erachteten, des Lichtes zu berauben. Sie verfielen aber nicht auf Höhlen in der Tiefe eines zwanzig bis dreißig Fuß dicken Gemäuers, sie zerstörten vielmehr die Augen selbst, anstatt deren Benutzung zu verhindern: sie wurden ausgestochen, mit glühenden Silber- oder Kupferdrähten ausgebrannt, bisweilen auch mit kochendem Essig gebäht, alles kraft einer Lettre-de-cachet.

Die Staatsverbrecher wurden infolgedessen blind, das räume ich ein, aber am Ende war doch der Despotismus, der sie in solcher Weise marterte, kein Staatsgesetz: es gab am Hofe keinen besondern Minister für das Departement der Blendungen. Der Polizei-Direktor von Konstantinopel ward nicht durch ein ausdrückliches Patent zum kaiserlichen Kommissarius für die Anwendung des kochenden Essigs und der glühenden Drähte bestellt.

Im modernen Konstantinopel, diesem Ärgernis für unsere sogenannte Philosophie und anscheinend für die Menschlichkeit, giebt es eine Festung, die einige Verwandtschaft mit der Bastille zu haben scheint: das Schloß der sieben Türme. Unsere Reisenden nennen es ein Staatsgefängnis, aber gerade aus ihren Berichten erhellt, daß es eher ein Gewahrsam als ein Gefängnis ist. Man schickt dorthin fast nur die Gesandten der christlichen Mächte, die mit der Pforte brechen, und diese empfangen dort nicht bloß nach ihrem Belieben Besuch, sondern werden auch von ihrer eigenen Dienerschaft bedient.

Auch die Sklaven, deren Lösegeld festgestellt, aber noch nicht bezahlt ist, sind zuweilen genötigt, dort die Ausführung des Vertrags abzuwarten: dann sind die sieben Türme für sie ein Asyl wie für ihre Herrn eine Bürgschaft. Müßig, gut gespeist und häufig mit Besuchen bedacht, genießen sie dort einen Vorgeschmack der Freiheit, nicht aber den bittern Geschmack der Ketten, die sie tragen.

Nie aber ist man auf den Gedanken gekommen, Menschen, denen man kein Verbrechen zur Last legt, in die sieben Türme einzuschließen, nur damit sie dort leiden und strenger von aller Welt abgeschlossen seien als die verwerflichsten Bösewichter. Nie ist es einem Sultan, Vezier, Kadi oder Janitschar eingefallen, gegen einen Bürger von Konstantinopel, Erzerum oder Saloniki eine Lettre-de-cachet zu erlassen, zu erbitten oder zu vollstrecken, nur weil derselbe den Federbusch des Groß-Veziers weniger schön als sonst oder die Stickerei auf den Pantoffeln des Seliktars schlecht gefunden hat.

Wenn ein Gottloser den Propheten gelästert hat, so wird er beschnitten oder gepfählt: das Gesetz spricht sich klar darüber aus, und er hat wenigstens die Wahl. Hat ein Vezier seine Macht gemißbraucht, so wird er verbannt, seiner Güter beraubt, bisweilen auch stranguliert: warum wurde er Vezier? warum war er habsüchtig? Verkauft ein Bäcker nach falschem Gewicht und bestiehlt auf diese Weise das Publikum, so wird er als Dieb bestraft: die Strafe erfolgt auf der Stelle und ist oft schrecklich, immer aber ging ihr das Vergehen und die Überführung des Verbrechers voraus. Alle Bewohner dieses weiten Reiches, Griechen, Armenier, Franken, Asiaten, Europäer, Tartaren, Katholiken, Schismatiker, Kopten, Juden, Muhamedaner u. s. w., verleben ihre Tage in der friedlichsten und ruhigsten Sicherheit, wenn sie nur die Gesetze beobachten, und besonders wenn sie das Glück haben, dem Serail unbekannt zu sein. Sie haben nicht einmal eine Vorstellung von einer Bastille und einer Lettre-de-cachet.

Ebenso waren in den ruhmvollen und friedlichen Zeiten Persiens, d. h. bis zum Ausbruch der Bürgerkriege, die es seit einem halben Jahrhundert verwüsten, dort nicht bloß diese Auskunftsmittel der ministeriellen Rachsucht ebenfalls unbekannt, sondern die ordentliche Justiz hatte sogar ein Mittel gefunden, den wirklich verdächtigen Angeklagten die Demütigung und die Schrecken des Kerkers zu ersparen. Die Gefängnisse waren dort wandelnde. Ein Mensch, dessen man sich aus Gründen des öffentlichen Wohles versichern mußte, verlor von seiner Freiheit nur soviel, wie ihm genommen werden mußte, damit er sich weder der Strafe entziehen, noch neue Verbrechen begehen konnte. Ein mehr mitleidiger als hartherziger Erfindungsgeist hatte dort das Kang erdacht, eine Art tragbaren hölzernen Dreiecks, das am Halse des Angeklagten befestigt wurde, eine von dessen Händen mit einschloß und weder versteckt noch abgenommen werden konnte, ohne ihm indessen die Ausübung seiner Rechte und Fähigkeiten unmöglich zu machen. Während er so beständig eine wenig kostspielige Wache mit sich führte, blieb ihm der Genuß des Lichts und des Lebens, die Verwaltung seiner Angelegenheiten und alle erforderliche Freiheit, um seine Unschuld an den Tag bringen zu können, ohne daß er deshalb aufgehört hätte, der bürgerlichen Gewalt unterworfen zu sein, die mit der Feststellung seiner Schuld oder Unschuld betraut war.

Man erzählt von blutigen Hinrichtungen, die von trunkenen Monarchen befohlen wurden: allein diese Greuel blieben auf die Harems beschränkt, und schon die Einführung des Kangs allein beweist, daß, die Regierung nicht ausgenommen, der Geist der Nation im allgemeinen ebenso mild wie gerecht war.

Ganz das Nämliche gilt von den Staaten des Groß-Moguls, von ganz Indien, von China und Japan. Voll diesem letztern Lande, aus dem wir infolge unseres unruhigen Sinns mit Recht verbannt sind, versichern die Berichte, die uns darüber zukommen, daß die Gebräuche dort barbarisch und die Strafen ebenso unmittelbar wie grauenhaft seien. Das mag sein, dann gleicht aber wenigstens auf einer Seite die Schnelligkeit die Grausamkeit aus: man weiß dort nichts von jenen langen Haftbefehlen, die die schrecklichste aller Martern, die von der Ungewißheit über das Ende der Leiden erzeugte Verzweiflung, zu einer ewigen machen.

Der Mensch, dem der Bauch aufgeschlitzt, der auf Haken geschleudert, der in tausend Stücke zerhackt oder lebendig in einem Mörser zerstampft wird – wenn sonst diese raffinierten Strafen dort wirklich an der Tagesordnung sind – dieser Mensch ist gerichtlich verurteilt worden, er hat sich verteidigen, sich rechtfertigen können: die Behörde, das Gesetz, nicht die Willkür, hat ihn verdammt.

Unsere Missionäre sind in Indien zuweilen ins Gefängnis geworfen worden. Da sie Ausländer und unbekannt waren und dabei Neuerungen predigten, die den gleichgültigsten Beurteilern wunderlich, den Behörden aber und namentlich den Priestern, für deren Feinde sie sich erklärten, gefährlich und verbrecherisch vorkommen mußten, so waren sie augenscheinlich von allen Menschen diejenigen, gegen welche die Strenge am gerechtfertigtsten und die Lettres-de-cachet am entschuldbarsten waren: und dennoch sind sie genötigt, der Menschlichkeit der Richter, die sie gefangen setzten, der Kerkermeister, von denen sie bewacht wurden, und der Eingeborenen des Landes, die sie besuchten, trösteten und speisten, Anerkennung zu zollen!

Nur das Abenteuer der kaiserlichen Prinzen von China, die von den Jesuiten getauft und dann unter dem Kaiser Jontsching zuerst, verbannt und schließlich eingekerkert wurden, bietet ein Beispiel, das an unsere königlichen Zwingburgen und die Befehle erinnert, durch welche sie bevölkert werden. Die Missionäre, denen wir den Bericht über diese Katastrophe verdanken, haben die Ursache derselben unenthüllt gelassen, mag diese aber auch gewesen sein, welche sie will, so beweist doch dieser Bericht zur Genüge, daß es keine Bastille in China giebt, da man genötigt war, für jeden einzelnen Prinzen, der zur Gefangenschaft verurteilt war, erst eigens eine solche zu erbauen.

Und selbst dann war dies noch keine verstohlene, insgeheim von Polizeibeamten vorgenommene Einkerkerung, die das Publikum über das Leben der Gefangenen wie über deren Schuld oder Unschuld im Zweifel ließ. Diese für das Bedürfnis des Augenblicks geschaffenen Gefängnisse wurden unter großen Zurüstungen aufgeführt: man sorgte dafür, daß sie als warnendes Beispiel einer schweren Strafe in die Augen fielen, und zweifelsohne war keinem im Lande die Ursache derselben unbekannt.

Trotz dieser erschreckenden Strenge ließ man den Missethätern aber doch Erleichterungen zu Teil werden: sie sahen ab und zu ihre Dienerschaft, sie ließen ihre geistlichen Führer, die Urheber ihres Unglücks, um religiösen Zuspruch ersuchen, man trug ihnen aus ihren Wohnungen Kleider, Speisen, Neuigkeiten zu, kurzum alles, was in der Bastille aufs strengste verboten ist.

In ganz Asien läßt sich nirgends eine stehende, zur Zahl der Regierungsprinzipien gehörige Staatshaft auffinden als nur auf der Insel Ceylon. »Dort hat der König,« berichtet ein Reisender, »eine große Anzahl Gefangener, die teils in den gewöhnlichen Gefängnissen, teils unter der Hut der Großen angekettet liegen. Niemand wagt zu fragen, warum und seit wann sie in Haft sind: man hält sie so fünf oder sechs Jahre fest; ihre Gefangensetzung erfolgt auf Befehl des Königs« ...

Das ist nun allerdings etwas, was der Bastille ähnlich sieht: die Mysterien der Regierung von Ceylon gleichen ein wenig denen der Rue Saint-Antoine. Man beachte indessen, daß hier nicht von Kerkern die Rede ist, die ausdrücklich zur Aufnahme der Unglücklichen bestimmt sind, über deren Schuld oder Unglück so gebieterisch Schweigen befohlen wird: sie werden einfach in die gewöhnlichen Gefängnisse gesetzt oder der Hut der Großen anvertraut.

Im erstern Falle widerfährt ihnen nur ein allen Angeklagten gemeinsames Mißgeschick, im zweiten aber müssen ihnen in jenen wenn auch königlichen Privatgefängnissen Erleichterungen jeder Art zu Teil werden. Es läßt sich nicht annehmen, daß der gesamte Adel von Colombo oder Candy sich zur Sinnesart eines Gouverneurs der Bastille bequeme, weil ein Despot zeitweilig die Dienste eines solchen von ihm verlangt. Überdies ist klar, daß keiner von diesen braunhäutigen Edelleuten in seinem Hause jene Fenster und Kamine mit eisernen Gardinen, jene dreißig Fuß starken Wände, noch jene Kabinette haben kann, die ein Gefängnis im Gefängnis bilden und in jedem Augenblicke die Leiden wie die Schmach vermannigfachen.

Ganz Asien ist also offenbar frei von dieser Pest, der bei uns so viele Bürger zum Opfer fallen.

In Amerika giebt es andere Arten von Bedrückungen und ebenso in Afrika: gerade diese aber ist dort unbekannt, Die Indianer in der neuen Welt werden von unbarmherzigen Gebietern gequält, die selbst wieder vom Aberglauben entehrt werden; ein Teil der Küstenländer Afrikas ist einer Willkürherrschaft unterworfen, die nur die Mißbräuche und Gefahren des in Asien üblichen Despotismus im Gefolge hat; der Rest Afrikas wird fast nur durch unsern Handel verheert: nicht ihre eingeborenen Fürsten, sondern die europäischen Kaufleute schlagen die Bewohner von Kongo oder Juida in Ketten. Man verkauft sie, man zwingt sie zur Arbeit: aber kein Minister hat das Recht, sie nach seinem Belieben zu einer mörderischen Unthätigkeit zu verdammen. Sicherlich fühlen sie sich in ihren Hütten auf den Antillen sehr unglücklich, aber dies Unglück ist anderer Art und der Erleichterung wie dem Troste zugänglich. Sie haben ihre Frauen, ihre Kinder: gewissenhafte Pflichterfüllung kann sie vor der Peitsche der Aufseher bewahren, sie bewahrt aber niemand vor einer Lettre-de-cachet und der Behandlung, die darauf folgt.

In Europa allein ist also diese furchtbare Landplage zu fürchten – und in welchem Teile von Europa? Wie man weiß, nicht in Groß-Britannien: eine willkürliche Einkerkerung würde dort ein Verbrechen der Volksbeleidigung sein, das beinahe ebenso streng bestraft wird wie eine Majestätsbeleidigung, und oben habe ich schon die nicht minder offenkundige Wahrheit anerkannt, daß nämlich sogar bei den Verhaftungen, die durch höhere Interessen und durch die Rücksicht auf den Staatsdienst gerechtfertigt werden, der Angeklagte oder Gefangene, mag er auch schuldig sein, keins von den Rechten der Unschuld und keine von deren Hilfsquellen einbüßt.

In Deutschland herrschen die Fürsten im großen und ganzen ziemlich despotisch in dem Sinne, den man gewöhnlich mit diesem Worte verbindet, d. h. es giebt dort keine thatsächliche Schranke für den Gebrauch oder Mißbrauch der fürstlichen Gewalt. Dessenungeachtet aber haben sie weder Bastillen noch etwas Ähnliches. Nichts würde sie hindern, sich diese Unterhaltung zu verschaffen, aber sei es, daß ein derartiger Gedanke nur in den Köpfen der Minister großer Staaten Raum findet, oder sei es, daß die Appellation an den Kaiser und die bestehenden Gerichtshöfe in Verbindung mit der Scheu, diesen Schreckbildern, die sich bei schicklicher Gelegenheit hervorzuthun sicher nicht versäumen würden, allzuviel Einfluß zu gewähren, die Inhaber jener großen Lehen im Zaume hält, oder sei es endlich, daß das noch gelehrige, geduldige und im allgemeinen wenig aufgeklärte wie auch wenig leidenschaftliche Volk auch noch ohne ein solches Joch zur Genüge gehorcht – kurzum, meines Erachtens giebt es vom Rhein bis zur Oder keine Bastille bis auf Spandau.

Erstens aber liegt Spandau in einer rein militärischen Monarchie, und dieser Koloß, der erst in unserm Jahrhundert entstand und es nur durch seine Kriegsmacht zu einer ebenso erstaunlichen wie schnellen Entwicklung gebracht hat, muß in seiner Verfassung die Spuren seines Ursprungs zeigen; und zweitens ist Spandau eigens und besonders für Militärpersonen bestimmt: Civilpersonen wird diese unselige Ehre nur äußerst selten zu Teil. Dürfen aber Soldaten, die keine andern Dollmetscher kennen als Säbel und Kanonen, sich beklagen, wenn man bisweilen durch Lettres-de-cachet mit ihnen redet? Linguet ist hier aus Unkenntnis in einen doppelten Irrtum verfallen: einmal nahm nämlich Spandau keineswegs bloß Militärgefangene auf, und zweitens erfolgte die Gefangensetzung (wenigstens zu Linguets Zeiten) nicht auf Befehl des Königs, sondern nur auf Grund eines Erkenntnisses eines Civil- oder Militärgerichts. Spandau kann daher weder mit der Bastille verglichen werden, noch kann, wenigstens im allgemeinen, von preußischen Lettres-de-cachet die Rede sein. Der seit Carlyle in Bezug auf seine Regenteneigenschaften allzu häufig überschätzte Friedrich Wilhelm I. ersetzte dieselben allerdings nur zu oft durch seine willkürlichen Eingriffe in den Gang der Justiz, wie z. B., um nur einen einzigen Fall anzuführen, gelegentlich des Kriminalprozesses gegen den Steuerrat Wilke in Züllichau. Wilke war der Unterschlagung von Werbegeldern verdächtigt worden, die Untersuchung hatte indessen nicht das Geringste gegen ihn ergeben, und die Gerichte sprachen demgemäß den Angeklagten frei. Friedrich Wilhelm kassierte dies Urteil und entschied aus eigener Machtvollkommenheit wie folgt: »Obwolen ich berechtigt wäre, den Schweinhund von Wilke hängen zu lassen, so will ich doch aus angestammter Huld Gnade vor Recht bewilligen, jedoch soll Wilke noch heute Morgen um neun Uhr das erste Mal vor der Hausvogtei, das zweite Mal vor dem Grumbkow'schen Hause, das dritte Mal vor dem Spandauer Thor von dem Schinder zur Staupen geschlagen und nachher auf Zeitlebens in das infame Loch nach Spandau gebracht werden.« Auch Friedrich d. Gr. erlaubte sich gegen Trenk eine Art Lettre-de-cachet-Verfahren. Dies sind jedoch nur Ausnahmen, welche die Regel bestätigen, daß in Preußen ein Unterthan nur auf Grund eines gerichtlichen Erkenntnisses seiner Freiheit beraubt werden durfte und wurde.
D. Übers.

In Dänemark haben sich meines Wissens seit dem schändlichen Christiern weder die Könige noch ihre Minister versucht gefühlt, dergleichen Befehle auszugeben, und weder Jütland noch Finnland seufzen unter dem Drucke einer so nutzlosen und mörderischen Mauermasse, wie es die Bastille ist. In Schweden hat kein König seine Regierung durch den Befehl geschändet, ein solches Gebäude zu errichten oder davon Gebrauch zu machen.

In Rußland, dem von allen Ländern in der Welt, wo die althergebrachten Sitten am meisten mit dem Bastillewesen und dessen Zubehör verträglich gewesen sein würden, sind trotzdem ganz entgegengesetzte Gebräuche zur Geltung gekommen. Die Lettres-de-cachet gedeihen dort in üppigster Fülle, aber ihre Folgen sind durchaus andere: hier ist eine ganze Provinz zum Staatsgefängnis geworden. In Frankreich ist eine der Qualen des Gefangenen die Enge seines Kerkers, in Sibirien seufzt man über dessen unermeßliche Weite. In Frankreich liegen die Gefangenen in wahre Gräber eingesargt, in Rußland verlieren sie sich in unabsehbaren Einöden, und so unglücklich sie hier auch sein mögen, so sind sie doch offenbar weniger zu beklagen. Sie können sich zerstreuen und in mancher Hinsicht schadlos halten. Ihre Familien folgen ihnen, begleiten sie. Wenn die Erinnerung an das, was sie verloren haben, ihnen das Herz zerreißt, so können sie sich durch die Beschäftigung mit dem trösten, was ihnen bleibt: sie weinen wenigstens zusammen, die einzigen wahrhaft bittern Thränen sind aber diejenigen, die in der Einsamkeit vergossen werden.

Überdies bewahrt sie das thätige Leben, das sie notgedrungen führen, vor der Langeweile, vor der Marter, unaufhörlich die Vergangenheit wiederzukäuen und im voraus vor dem zu zittern, was die Zukunft in ihrem Schoße trägt. Sie sind zweifelsohne sehr unglücklich, sie würden sich aber nicht dafür ansehen, wenn ihnen das französische Sibirien bekannt wäre.

In Spanien giebt es, wie ich glaube, zwei oder drei Türme, die ebenfalls vom Ministerium zu den Triebrädern der Regierung und den Bedürfnissen des Staates gerechnet werden: sie sind jedoch wenig bevölkert, weil sie bis jetzt die Gefängnisse der Inquisition zu Nebenbuhlern gehabt haben. Ein Volk aber, das die Inquisition erträgt und ruhig erträgt, kann bei einer politischen Berechnung, wo es sich um das Joch der Staatsgefangenschaft handelt, gar nicht in Betracht kommen.

In Italien ist dies Joch wie in Deutschland wenig bekannt. Indessen finden sich in Rom und in Venedig sichere Spuren einer furchtbaren Gewalt und eines sehr ausgeprägten Bastillewesens. In Rom giebt es ein Schloß und in Venedig ein Tribunal, die eines wie das andere eine Schmach für die Gerechtigkeit und eine allzeit fertige Waffe für den Despotismus sind. Die Menge von Ausländern, die beständig diese berühmten Landstriche durchstreifen, beweist indessen, daß die Anwendung derselben weniger häufig ist, als die fürchterlichen Anstalten vermuten lassen. Wenn ein Engländer, ein Hamburger sich einschifft, um in Rom ein Oratorium anzuhören und die Peterskirche zu bewundern oder in Venedig dem Carneval beizuwohnen, so beschwört ihn seine Familie nicht mit Angst und Zittern, sich vor dem ehemaligen Palaste Hadrians oder vor der Staatsinquisition zu hüten – kündigt aber ein Ausländer die Absicht an, nach Frankreich zu reisen, so vergißt man niemals, ihm den Rat zu geben, er möge sich vor der Bastille in Acht nehmen.

Den Thatsachen und der öffentlichen Meinung zufolge ist also die Bastille ein Bauwerk ohne Gleichen – C. Q. F. D.

XXIV. (S. 173.) [ Wenn Pellissery dadurch strafbar ward, daß er die Operationen des Herrn Necker tadelte, was verdienen dann die, welche sie zu nichts gemacht haben?] Ich will hier kein Urteil über die Finanz-Methode des Herrn Necker abgeben: ich habe mich viel über ihn zu beklagen gehabt und mehr noch über seine Frau, die noch ministerieller war als er, aber dergleichen Privatschwächen dürfen das Urteil nicht beeinflussen, das ein unparteiischer Schriftsteller über die Maßnahmen der Staatsbeamten fällt. Herr Necker hat immer noch zahlreiche Anhänger: er hat, was kein geringes Verdienst ist, in Frankreich einen Schimmer von Hoffnung auf finanzielle Kräftigung erweckt. Wenn nicht ein kostspieliger Krieg oder vielmehr die geldverschlingende Dummheit, der unglücklicherweise zu seiner Zeit die Leitung des Seewesens anvertraut war, seine Pläne durchkreuzt hätten, so würde er, wie man annehmen darf, wirklich Nutzen gestiftet haben.

Das Einzige, was man ihm auf Grund der Thatsachen zum Vorwurf machen kann, ist das, daß er sich durch den Mund des Fürsten in den Eingängen der Edikte, die er doch selbst diktierte, allzusehr gelobt hat, daß er darin allzusehr der wortreichen und pomphaften Manier seines Vorgängers gefolgt ist, Dieser Tadel ist nicht ganz unberechtigt, indessen darf nicht unerwähnt bleiben, daß in jenen, den Edikten voraufgeschickten Einleitungen mancher echt humane Grundsatz zum erstenmal von höchster Stelle aus zum Ausdruck kam, wie denn Linguet selbst das Motto seines Werkes einem solchen, unter dem Ministerium Necker erschienenen Edikte entlehnt hat, nämlich der Verfügung vom 30. August 1780, durch welche die unterirdischen Verließe im Gefängnis des großen Châtelet aufgehoben wurden. Freilich war auch diese Maßregel nur eine halbe, denn was nutzte die Aufhebung eines Restes mittelalterlicher Barbarei in einem einzigen Gefängnisse, während er in allen übrigen gesetzlich bestehen blieb?
D. Übers.
daß er, abermals wie sein Vorgänger, die kleinen Mittel den großen vorgezogen hat, daß er sich bei seinen Reformen nur mit einzelnen besondern Mißbräuchen befaßt hat, die nach der allgemeinen Reform, falls er eine solche zu unternehmen den Mut gehabt hätte, von selbst verschwunden sein würden, daß er wie Herr de Saint-Germain nur schwache, unzureichende Versuche gemacht hat, daß er z. B. nicht gewagt hat, für alle Provinzen Ständeversammlungen in Vorschlag zu bringen, daß er vielmehr unnützerweise in den Provinzial-Ausschüssen ein Scheinbild derselben schuf und auf diese Weise die Prinzipien des Despotismus mit den Prinzipien der Freiheit in Einklang zu bringen suchte, Es war dies ungefähr derselbe Kunstgriff, den Friedrich Wilhelm III. i. J. 1823 anwandte, indem er Provinzial-Stände statt der verheißenen Reichsstände einberief.
D. Übers.
kurzum, daß er sich damit vergnügte, kleine Schäden zu heilen, während er einen allgemeinen Krebsschaden zu behandeln hatte, daß er jene Schäden mehr als hergelaufener Laborant denn als gelehrter Arzt behandelte, daß er bei allen seinen Operationen nur bankgeschäftliche Maßnahmen, nicht aber politische Anordnungen traf u. s. w.

XXV. (S. 174.) [ Ich hatte die Güte der Prinzen vom königlichen Hause angerufen.] Ich hatte ziemlich unverweilt die Erlaubnis zum Schreiben erhalten. Das scheint ein Zeichen großen Wohlwollens und eine unschätzbare Erleichterung zu sein: wer würde erraten – was indessen nur allzu wahr ist – daß es nur eine Marter mehr für mich war?

Erstens lieferte man mir das Papier nur gezählt, gegen einen regelrechten Empfangschein und mit der Verpflichtung, wenn ich neues erhalten wollte, über die Verwendung des alten Rechnung abzulegen: eine Sklaverei, die man selbst kennen gelernt haben muß, um sich ihre ganze Bitterkeit vorstellen zu können. Die Bestätigung für diese Angaben Linguets findet man im Anhang unter LL.
D. Übers.

Zweitens konnte ich mich, wie man sich leicht denken mag, nicht versucht fühlen, dies Papier zu etwas anderm als zu Briefen und Eingaben betreffs meiner Freilassung zu verwenden. Und nun, an wen sollte ich sie adressieren? An die Minister? Sie antworteten mir nicht, und meine Lage allein bewies zur Genüge, daß ich von ihnen keine Hilfe zu erwarten hatte. An meine Freude, meine Gönner? Ich wußte, daß nichts zu ihnen gelangte, nichts zu ihnen gelangen würde; ich wußte, daß sie mich für tot hielten, und daß diejenigen, denen man bezüglich dieses Punktes nichts einreden konnte, keine Teilnahme für mich hegten. Nach acht Monaten gestattete man mir einen Briefwechsel mit dem Sieur Le Quesne, dessen Eifer und Redlichkeit man mir unaufhörlich rühmte. Willst du aber wissen, Leser, wer und was dieser Sieur Le Quesne war, so lies die Nachricht an die Subscribenten zu Anfang der Nr. LXXII der Annalen.

XXVI. (S. 195.) [ Diese Thatsache ist allen Unterbeamten bekannt, und diese selbst seufzen darüber.] Sie haben doppelt Grund dazu: zunächst sind sie als die einzigen Mittelspersonen, die mit den Gefangenen in nähere Berührung kommen, in der Regel auch deren Vertraute: sie hören ihre Klagen und bisweilen auch die Ausbrüche ihrer übeln Laune an. Da sie schlecht besoldet werden und seitens der Obern eine geringschätzige Behandlung erfahren, von den Gefangenen aber, die der Despotismus nicht zu ewiger Haft verdammt hat, eine Belohnung erwarten dürfen und zudem niemals wissen, ob jene Haft auf dem Blutgerüst oder im Ministerium enden, ob ihr Pflegling schließlich wie Lally auf gerichtlichem Wege ermordet oder wie Belle-Isle und andere Marschall von Frankreich werden wird, so ist es ihnen durchaus nicht unangenehm, wenn sie zuweilen Gelegenheit finden, sich gefällig zu erweisen.

Bisweilen mag auch die Menschenliebe auf diese rauhen Gemüter einwirken, die die Üppigkeit noch nicht verhärtet hat. Ich bin den Schließern sogar die öffentliche Erklärung schuldig, daß sie die einzigen Dienstthuenden der Bastille sind, über die dies Gefühl noch einige Macht zu haben scheint. Die gemeinen Soldaten sind hier wie überall eine stupide Meute, die von der Fuchtel regiert wird und in wie außer ihrem Stalle für nichts Sinn hat als für das Futter und den Ruf der Rüdenknechte. Der Ober-Stab verbindet mit diesem sklavischen Gehorsam noch die Grobheit und die Härte, welche die Gewohnheit des Befehlens erzeugt. Der Stab der Schließer steht zwischen diesen beiden in der Mitte und ist eben deshalb der einzige, bei welchem das Mitleid eine Stätte finden kann.

Sie haben aber auch noch außerdem einen gewichtigen Grund, sich den Einschränkungen zu widersetzen, welche die Knauserei des Gouverneurs über den Tisch der Gefangenen verhängt, oder doch wenigstens zu wünschen, daß dem Einhalt gethan werde: der Abhub vom Tische gehört nämlich ihnen, und man kann sich nicht vorstellen, wie neidisch der ehrenwerte Herr de Launay auf dies Vorrecht seiner Unterbeamten ist. Sofern er und sein Minister nur noch einige Zeit in ihren Stellen bleiben, so bezweifle ich nicht, daß nächstens ein Erlaß, gezeichnet Amelot, erscheinen wird, der diesem entsetzlichen Frevel ein Ende macht.

Wenn übrigens diese Groß-Verweser der Staatsgeheimnisse nicht auch ihre kleinen Privatgeheimnisse hätten, wenn das Schweigen, das ihre Grausamkeit gegen die Gefangenen verhüllt, nicht ganz ebenso nötig wäre zur Verhüllung der Schmählichkeit und Unbilligkeit ihrer Privatverträge, so würde es dem gegenwärtigen Gouverneur allerdings ein Leichtes sein, die Knauserei, die bei der Verproviantierung seiner Küche den leitenden Grundsatz bildet, durch Gründe zu rechtfertigen.

Herr de Launay betrachtet das jährliche Einkommen von sechzigtausend Livres, das mit seiner Stelle verknüpft ist, als sein wirkliches Eigentum und wahres väterliches Erbe, und er hat einigen Grund dazu, denn er hat die Stelle gekauft und sogar zu einem ziemlich hohen Preise gekauft.

Er erhielt die Anwartschaft darauf zur Zeit des Grafen de Jumilhac. S. die Liste der Gouverneure im Anhang unter B.
D. Übers.
Dieser aber verlangte, um sich zur Annahme eines Amtsgehilfen entschließen zu können, hunderttausend Thaler baar, die ihm auch gezahlt wurden, und außerdem die Verheiratung seines Sohnes mit der Tochter des Herrn de Launay, die für eine reiche Erbin gilt: auch diese Bedingung ward erfüllt.

Da jedoch Herr de Launay weder einen Namen, noch Verdienste, noch geistige und körperliche Vorzüge, noch Protektionen hatte, so lief er Gefahr, trotz dieses Vertrages zurückgewiesen zu werden. Zum Glück hatte er einen Bruder, der bei dem Prinzen Conti in Diensten stand. Dieser Bruder erlangte die Fürsprache des Prinzen und der Prinz die Einwilligung der Minister, deren Sekretäre dann die Patente, gezeichnet Amelot, ausfertigten. Um aber den jüngern für diese Empfehlung zu belohnen, hat ihm der glückliche ältere Bruder von den Einkünften seiner Stelle eine jährliche Pension von zehntausend Franken ausgesetzt.

Dieser Handel ist niemand in der Bastille unbekannt: jeder Küchenjunge weiß darum – aber warum sollte man Anstoß daran nehmen? Geben doch alle Stellen in der Bastille zu ähnlichen Geschäften Anlaß. Die Stelle des Kommandanten z. B. trägt etwa achttausend Livres jährlich ein: der gegenwärtige Inhaber derselben hat seinem Vorgänger eine Baarzahlung dafür gemacht, deren Betrag mir nicht bekannt ist, und zahlt ihm außerdem eine jährliche Pension von tausend Thalern, wie ich ganz gewiß weiß.

Die Schließerstellen werfen ungefähr neunhundert Livres jährlich ab. Sie werden gewöhnlich mit ehemaligen Lakaien des Gouverneurs besetzt: um sie zu belohnen, macht man sie zu Henkern. Aber auch diesen schmählichen Lohn für ihre frühern Mühen erhalten sie noch nicht unentgeltlich: es findet sich kein einziger unter ihnen, der nicht bei Antritt seiner Stelle gezwungen wäre, irgend einem männlichen oder weiblichen Günstling ein Geschenk zu machen oder eine Rente auszusetzen.

Die Wäsche sogar ist Gegenstand eines derartigen Schachers. Die angestellte Wäscherin erhält vom König im Durchschnitt drei Sous für jedes Hemd, sie verpachtet aber ihr Recht an einen Unternehmer, der ihr den dritten Teil des ausgesetzten Lohnes überläßt und die Wäsche der Gefangenen für zwei Sous das Stück reinigt.

Auf solche Weise also werden der König und die Gefangenen bedient, so werden diese Vertrauensämter verschachert! Das sind die Menschen, denen das Leben eines Unschuldigen in die Hände gegeben wird, eines Unschuldigen, der sich nur ein häufiger mit der Tugend als mit dem Verbrechen verknüpftes Unglück zum Vorwurf zu machen hat, das Unglück, zahlreiche und mächtige Feinde zu haben.

XXVII. (S. 199.) [ Der Ort, wo vor hundert Jahren der Italiener Exili in der Giftmischerei Unterricht erteilte.] Es ist bekannt, daß die Verbrechen der berüchtigten Brinvilliers im vorigen Jahrhundert ihre Quelle in dem Unterrichte hatten, den der Geliebte der Marquise in diesem Fache in der Bastille empfing. Sein Lehrer war dort ein Italiener namens Exili, den man ihm zum Stubengenossen gegeben hatte. Nebenbei bemerkt, geht aus diesem Umstande wie aus den Denkwürdigkeiten, die ich bereits angeführt habe, klar und deutlich hervor, daß man damals in der Bastille weder die Einsamkeit noch die zahllosen Entbehrungen kannte, die jetzt die charakteristische Beschaffenheit derselben ausmachen. Ohne Zweifel hat aber nicht die Gefahr jenes verbrecherischen Unterrichts die jetzige Umgestaltung herbeigeführt.

Übrigens handelt es sich hier nicht um die unselige Theorie Exilis: ich rede hier nur von der Leichtigkeit der praktischen Bethätigung derselben. Nun steht aber fest, daß diese Leichtigkeit in der Bastille im vollsten Maße vorhanden ist: es ist einem Gefangenen, falls die Regierung sein Leben auf diesem Wege gefährden wollte, absolut unmöglich, sich dem zu entziehen, wie es absolut unmöglich ist, ich sage nicht: den Beweis für das Verbrechen zu erhalten, falls es auf Eingeben anderer begangen würde, und daß man ihm nicht entgehen könnte, sondern auch nur des geringsten Anzeichens davon habhaft zu werden. Wenn daher auch das Verbrechen im letztern Falle der Verwaltung nicht unmittelbar zum Vorwurf gemacht werden kann, so ist sie im Hinblick auf die Leichtigkeit, mit der es infolge ihrer Anstalten begangen werden kann, doch immer mitschuldig daran. Wenn ein Reisender in einem Gehölze von zwei Räubern ermordet wird, würden wir da demjenigen von beiden, der sich begnügt hätte, ihm die Hände festzuhalten, während sein Gefährte ihn erwürgte, wohl die Behauptung hinten lassen, er habe nicht zum Morde mitgeholfen?

Du tugendreicher und wohlgesinnter Fürst, flößt dir nicht schon der bloße Gedanke Abscheu ein? Infolge der Einrichtung der Bastille kann dein Name jeden Tag gleichzeitig das Hilfsmittel für das feigste aller Verbrechen und ein undurchdringlicher Schleier zu dessen Verheimlichung werden. Du würdest den aufs Blutgerüst schicken, der dir den Antrag zu machen wagte, du sollest mit deiner geweihten Hand den Schlachtopfern der Tyrannei deiner Minister einen tödlichen Trank reichen – infolge jenes teuflischen Systems aber sichert ihnen die Lettre-de-cachet, die sie dir ablocken, die Möglichkeit, diesen Trank ungestraft selber zu kredenzen!

Die Büttel, die in ihren Diensten stehen, werden hoch und heilig beteuern, daß schon dieser bloße Verdacht ein ihrem Ehrgefühl angethaner Schimpf sei. Aber ich wiederhole: sind die Gesetze, welche die Privatgefängnisse untersagen und die Freiheit des Menschen zu ehren gebieten, etwa weniger zu Recht beständig, weniger heilig als die, die sein Leben schützen? Wen schmutzige Gewinnsucht veranlaßt, die erstern nicht bloß ohne Gewissensbisse, sondern sogar mit Freuden zu übertreten, wird der sich bedenken, die letztern zu verletzen, sobald ein größerer Gewinn, ein stärkerer Köder ihn lockt? Was ist das aber für eine Tugend, die von dem Preise abhängt, den man dafür zahlen will? Und wären auch die höhern Beamten einer solchen Bedenklichkeit fähig – werden es die untern sein? Sichert nicht das Geheimnis, das die Bastille umgiebt, ihnen Straflosigkeit und Erfolg, falls sie der Versuchung erliegen? Alle kaufen ihre Stellen, wie ich oben gezeigt habe. Werden nun aber Menschen, die imstande sind, das Recht zu diesem entehrenden Dienste mit Geld zu erkaufen, nur weil er einträglich ist – werden diese Menschen standhaft die Versuchung zurückweisen können, ihn durch Gefälligkeiten, die ihnen gut bezahlt werden, noch einträglicher zu machen?

Ich lege einen besondern Nachdruck auf diesen Gedanken, weil er mich lange Zeit peinvoll beschäftigt oder vielmehr zerfleischt hat, und weil er unter den zahllosen Gründen, welche die Abschaffung der Bastille oder wenigstens ihres Verwaltungssystems zur Pflicht machen, der hervorstechendste ist. Man kann einen Regenten, selbst wenn er die besten Absichten hegt, wohl in dem Grade täuschen, daß man ihm einredet, die Staatsgefängnisse im allgemeinen und die willkürlichen Befehle, durch welche sie mit Bewohnern gefüllt werden, seien ein von der Regierung unzertrennliches und zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung wie der Krone unerläßliches Zubehör – keinem aber wird man einreden können, es liege in seinem Interesse, den verächtlichsten Satelliten über das Leben aller seiner Unterthanen ohne Unterschied ein Recht einzuräumen, das er sich selbst anzumaßen nicht wagen würde. Und doch ist erwiesen, daß dies eine notwendige Folge der Einrichtung der Bastille ist!

XXVIIl. (S. 203.) [ Eine Inschrift belehrt ihn, daß er dies dem Herrn Raymond Gualbert de Sartines zu verdanken hat.] Nicht bloß die Uhr allein hat Herr Raymond Gualbert de Sartines u. s. w. so sinnreich entworfen. Die Inschrift meldet, daß er auch der Bauherr des Gebäudes war, an welchem die Uhr angebracht ist. Dies Gebäude enthält die Küche, das Badezimmer der Frau Gouverneurin und den Stall für die Schließer sowie die übrige Horde, die sich Oberstab nennt, den Gouverneur ausgenommen, der, wie bemerkt, draußen wohnt, ob schon seine Küche drinnen liegt und die gnädige Frau drinnen badet. Diese Bäder aber haben Besonderheiten, die ebenso bemerkenswert sein dürften wie die Uhr.

Nichts scheint gleichgültiger zu sein, als ob die Frau eines Gouverneurs an diesem oder an jenem Orte badet, und nichts sollte in der That gleichgültiger sein. In der Bastille aber hat alles seine Folgen, und diese sind immer schmerzliche.

Da das Badezimmer der gnädigen Frau im Innern des Schlosses liegt, so muß man, um dahin zu gelangen, den Hof d. h. den einzigen Raum durchschreiten, der, wie oben dargelegt, den Gefangenen zum Spazierengehen geblieben ist. Nun müssen aber die Lakaien das Wasser zutragen, sie müssen hinein- und wieder hinausgehen: jeder Gang aber zieht, wie man gesehen hat, für den Spaziergänger einen Kabinettsbefehl nach sich. (Vgl. S. 204.)

Dann kommen die Kammerfrauen. Die Hemden, die Handtücher, die Pantoffeln der gnädigen Frau müssen in das Badezimmer geschafft werden, und das Land würde verloren sein, wenn ein Gefangener auch nur das Geringste von diesen Staatsgeheimnissen wahrnähme. Jede Einfuhr eines solchen Artikels hat daher ein Ins Kabinett! zur Folge.

Endlich erscheint Madame selbst. Sie ist gewichtig, ihr Gang etwas langsam, die Strecke, die sie zu durchschreiten hat, ziemlich lang. Der Posten schreit: Ins Kabinett!, sobald er ihrer ansichtig wird, sowohl um ihr seine Achtung zu beweisen als um seine Wachsamkeit zu zeigen, und der Gefangene muß fliehen, muß im Kabinett bleiben, bis sie in ihrem Badezimmer angelangt ist. Ihre Rückkehr aus demselben ist von denselben Formalitäten begleitet, nur in umgekehrter Ordnung: auch in diesem Falle hat der Gefangene das Vorübergehen der Herrin, der Kammerfrauen und der Lakaien im Kabinett abzuwarten.

Einmal während meiner Gefangenschaft hatte der Posten das Fluchtsignal zu brüllen vergessen, und die moderne Diana ward in ihrem Negligé erblickt: der Aktäon des Tages war ich. Ich erlitt nun zwar meinerseits keine Metamorphose, der unglückliche Soldat aber wurde auf acht Tage ins Loch gesteckt. Die Sache konnte mir nicht verborgen bleiben, weil ich selbst den Befehl dazu erteilen hörte.

Anderwärts verleihen die Bäder Gesundheit oder bilden die Einleitung zu einem Vergnügen. Eine Gouverneurin der Bastille aber hat keinen Anfall von Reinlichkeit, der nicht mehrere Anfälle von Verzweiflung nach sich zöge.

XXlX. (S. 208.) [ Hinsichtlich der Nahrung und der Kleidung.] Worin die Nahrung besteht, weiß man schon aus dem Texte. Was nun die Kleidung anlangt, so hat sich der Gouverneur mir gegenüber häufig seiner Freigebigkeit bezüglich dieses Artikels gerühmt: ich glaube, er hat mich nie mit einem Besuche beehrt, ohne der Hosen zu gedenken, die er höchst freigebiger Weise an seine Gefangenen verteilte – denn er bediente sich stets des Possessiv-Pronomens, wenn er von den unglücklichen Eingekerkerten sprach. Nun höre man, was mir selbst begegnet ist.

Ich wurde am 27. September in dem Augenblicke, wo ich mich zu einem Essen aufs Land begeben wollte, und folglich in der Kleidung verhaftet, die man um diese Jahreszeit auf einer solchen Reise zu tragen pflegt. Bis zu Ende November war es mir aber nicht möglich, mir irgend etwas weiteres, was es auch sein mochte, an Wäsche oder Kleidungsstücken anzuschaffen, und ich mußte mich daher in diesem Monate, der i. J. 1780 sehr streng war, entschließen, entweder mein Zimmer nicht mehr zu verlassen oder aber nackt, buchstäblich nackt, auf dem Spaziergange der Heftigkeit der Kälte Trotz zu bieten. Und doch hatte ich, wie erwähnt, bei den Offizieren Geld niedergelegt und verlangte nichts weiter als die Erlaubnis, Hosen kaufen zu dürfen, während sie den andern, wie man mir sagte, geschenkt wurden.

Weiter: in den letzten Tagen des November endlich schickte man mir aus dem Hause des Sieur Le Quesne eine Zufuhr für den Winter. Dieselbe bestand aus Strümpfen, die einem sechsjährigen Kinde zu eng gewesen sein würden, und einigen andern Kleidungsstücken, die im Verhältnis dazu zugeschnitten worden waren. Ohne Zweifel war man der Meinung gewesen, ich müßte entsetzlich eingeschrumpft sein. Dies Vorkommnis wird nur denen kindisch erscheinen, welche die Umstände außer Acht lassen: das folgende aber wird niemand lächerlich vorkommen.

Ich beklagte mich in schmerzlichen Worten über diese höhnische Zusendung und bat den Gouverneur, das Wickelzeug wieder zurückzuschicken und dafür zu sorgen, daß ich Ersatz dafür erhielte, oder aber mir den Ankauf von Kleidungsstücken zu gestatten. Darauf erwiderte er mir in Gegenwart eines seiner Kollegen und eines Schließers rundweg: Ich könnte mich zum – – scheeren; er – – in meine Hosen; man müsse sich nicht in die Lage bringen, daß man in die Bastille käme, oder auszuhalten wissen, wenn man drin wäre.

Ich muß anerkennen, daß seine Gefährten die Augen niederschlugen, und daß ich acht Tage später einen Schlafrock und Hosen erhielt.

Wenn diese unbegreiflichen Grausamkeiten nicht auf Befehl geschahen, so müssen sie veröffentlicht werden, damit sie meinen Nachfolgern erspart bleiben; waren sie aber zu Recht beständig, gehörten sie entweder zur Hausordnung oder zu der besondern Behandlung, die für mich vorgeschrieben war, so müssen sie ebenfalls veröffentlicht werden, damit dem gewissenhaften Gouverneur nicht die Belohnung entgehe, die sein Diensteifer verdient.

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