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DD.
Montazeau und Paradès.

(S. Charpentier V, 24-29; VII, 14-99.)

Dessau de Montazeau war ein talentvoller und entschlossener Offizier der Handelsmarine. Er hatte mit Auszeichnung auf den Schiffen der Königin von Portugal gedient und von Ihrer Allergetreuesten Majestät die ehrenvollsten Zeichen ihrer Zufriedenheit erhalten.

I. J. 1777 kam de Montazeau nach Rochefort, ohne andere Empfehlungsbriefe als seine geleisteten Dienste und seinen Ruf. Man rüstete damals in diesem Hafen auf Rechnung mehrerer Privatleute, zu denen auch Beaumarchais gehörte, den St. Michael aus, ein Schiff von 64 Kanonen, das ungesäumt, mit Kriegsbedürfnissen beladen, nach Nord-Amerika unter Segel gehen sollte. Montazeau hält um das Kommando dieses Fahrzeugs an, und es wird ihm zugesagt. Kurz vor Beendigung der Ausrüstung indessen eröffnet man ihm, daß man das ihm gemachte Versprechen nicht halten könne. In der Zwischenzeit war nämlich das Kommando über den St. Michael zum Nachteil des Kapitäns, dem es ursprünglich bestimmt war, an eine Kreatur des Sieur Beaumarchais und anderer Mit-Interessenten verliehen worden. Beleidigt und erbittert ergeht Montazeau sich in Schmähungen und harten Ausdrücken gegen alle, die er für die Urheber der ihm widerfahrenen Kränkung ansieht. Man legte ihm sogar eine Äußerung zur Last, die er stets abgeleugnet hat: er sollte nämlich gedroht haben, er würde sich für das ihm zugefügte Unrecht dadurch rächen, daß er es durch die Engländer wegnehmen ließe, sobald es die Charente verlassen hätte. Diese Äußerung gelangte durch den Mund der verleumderischen Spekulanten ungesäumt zu den Ohren des Ministers. Der auf diese Weise Angeschuldigte wird also nach Paris gefordert und gleich nach seiner Ankunft am 6. Oktober 1777 in die Bastille gesteckt.

Der biedere Kapitän brachte in das Schloß eine von jenen Krankheiten mit, denen die Menschheit leider Gottes nur zu sehr unterworfen ist. Seine junge, hübsche Frau hatte ihren Gatten nach Paris begleitet; sie litt an demselben Übel wie er. Bei wem das Übel zuerst ausgebrochen war, ob der Gatte es von der Gattin oder die Gattin es vom Gatten hatte, oder ob beide es aus verschiedener Quelle schöpften, ist in den Akten nicht angegeben.

Der Sieur de Montazeau verwandte die Zeit seiner Gefangenschaft dazu, sich ärztlich behandeln zu lassen, während Frau de Montazeau ihren Aufenthalt in Paris, ihre Reize und ihr hübsches Gesicht benutzte, um bei dem Minister die Freilassung ihres Gatten zu betreiben. Sie wird Herrn de Sartines, dem damaligen Marineminister, vorgestellt. Dreiundzwanzig Jahre, große, schwarze, lebhafte Augen, die Gestalt einer Nymphe, das waren ihre Empfehlungsbriefe. Sie besaß Witz, wußte ihre Sache zu vertreten, und schon beim ersten Tête-à-Tête erlangte sie die Erlaubnis, ihren Gatten zu besuchen.

Mit ihrem Paß bewaffnet, wagt sie sich in den höllischen Schlund. Man führt sie in das Ratszimmer, und begleitet von dem Sieur de Launay, seligen Angedenkens, tritt ihr Gatte ein. Aber der hundertäugige und hundertohrige Argus läßt sie nicht einen Augenblick aus den Augen: er beobachtet sie gewissenhafter als eine Nonne, die eine fünfzehnjährige Pensionärin an das Sprechgitter begleitet. Auf welche Weise sich eines so lästigen Zeugen entledigen? fragte die trostlose junge Frau sich bei sich selbst. Wollte sie sich ihrem Gatten nähern, so trat de Launay ohne Verzug zwischen sie. Nach langem Sinnen griff Frau de Montazeau, die in dergleichen Listen kein Neuling war, zu folgendem Auskunftsmittel. Sie hatte mit ihrem Gatten einige Zeit in Portugal gewohnt, und beide waren mit der Sprache dieses Landes vertraut. Nun war sie in der Bastille in Begleitung eines kleinen Hundes erschienen, den man ihr in Lissabon geschenkt hatte. Sie stellte sich also, als rufe, tadle, liebkose sie das kleine Tier auf Portugiesisch und unterrichtete auf diese Weise ihren Gatten von ihren Bemühungen bei Herrn de Sartines, von den Hoffnungen, die ihr dieser Minister bereits gemacht habe, und belehrte ihn zugleich über die Antworten, die er in dem Verhöre, das man mit ihm anstellen wollte, zu geben habe.

Erbaut von diesem ersten Erfolge, kehrt Frau de Montazeau einige Tage später zurück und versucht die nämliche List zum zweitenmale. Diesmal aber sagte de Launay, der inne geworden war, daß die kleine Frau ihn zum Besten gehabt habe, während er sie, als sie sich entfernte, bis an die Thür begleitete: »Madame, wenn Ihr Hund kein Französisch versteht und Sie absolut portugiesisch mit ihm sprechen müssen, so muß ich Sie bitten, ihn nicht mehr mit hierher zu bringen.«

Frau de Montazeau ließ keinen Tag hingehen, ohne bei den Würdenträgern des Landes zu Gunsten ihres Gatten Schritte zu thun. Schon hatte Herr de Sartines, der doch geschworen hatte, Montazeau solle während der ganzen Dauer des Krieges in der Bastille bleiben, beinahe sein Wort gegeben, ihn freizulassen, als er von dem Sieur de Launay einen Brief empfing, in welchem dieser ihn als Freund von dem Übel unterrichtete, an welchem Herr und Frau de Montazeau laborierten: in Bezug auf den Gatten hatte er durch die Rechnungen des Schließers und den Bericht des Chirurgen der Bastille den untrüglichsten Beweis für seine Angabe in der Hand, und in Bezug auf die Frau waren seine Beweise nicht weniger unzweideutig.

Einige Tage danach kommt Frau de Montazeau abermals zu dem Minister. Da bemerkt sie eine Veränderung, die ihr sogleich auffällt: Sartines war gar nicht mehr derselbe Mensch. Anstatt der milden, zärtlichen Empfindsamkeit, die sonst heilenden Balsam auf ihre Wunden goß, hört sie jetzt die für sie neuen Worte: das Wohl des Staates, die Interessen des Königs, die Pflichten meiner Stellung u. s. w.

Welchem Umstande sollte sie einen so unerwarteten Rückschlag zuschreiben? Sie sah, wie der Minister den Mund öffnete, um ihr eine Eröffnung zu machen, eine Frage an sie zu thun – schließlich aber sprach er von gleichgültigen Dingen. Da wirft sie sich ihm zu Füßen und sagt: »Mein Herr, ich will die Sache meines Gatten hier nicht mehr führen, Sie nicht mehr um seine Begnadigung bitten, ich will Sie nur daran erinnern, daß Sie sie mir versprochen haben.« Der Mensch war Minister geworden, jetzt wurde der Minister wieder Mensch. Wie den Thränen einer schönen Unglücklichen widerstehen! Herr de Sartines ließ sich noch eine Zeitlang bitten, weil ihm das Vergnügen machte, nach sechsmonatlicher Haft aber verließ Montazeau die Bastille am 20. April 1778.

Er begab sich nach Bordeaux. Dort wurde ihm gleich bei seiner Ankunft von den Rhedern das Kommando über einen Kaper angeboten, der zum Auslaufen bereit lag. Montazeau nahm den Vorschlag mit Dank an. Kurze Zeit danach kehrte er mit einer Prise in den Hafen zurück, die ihm für sein Teil achtundzwanzigtausend Livres eintrug. Auf dem zweiten Streifzuge wurde er getötet. –

Da dies pikante Geschichtchen ein treffendes Beispiel von der von Linguet gerügten Parteilichkeit und Willkür in der Behandlung der Gefangenen bietet, so glaubten wir es dem Leser nicht vorenthalten zu dürfen, obgleich wir, Berville-Barrière gegenüber, der Meinung sind, daß Linguet an der betreffenden Stelle (S. 222) nicht von Montazeau, sondern von einem andern Gefangenen redet. Seinen Andeutungen zufolge war dieser Gefangene ein Spion des Marineministers und zu seiner (Linguets) Zeit in der Bastille: Montazeau hat aber, wie wir gesehen haben, nie in näheren Beziehungen zu Sartines gestanden und überdies das Schloß bereits am 20. April 1678, also zwei und einhalb Jahr vor der Einsperrung Linguets, verlassen. Für uns leidet es nach den Angaben des Verfassers der Annalen keinen Zweifel, daß der in Rede stehende Gefangene der am 5. April 1780 eingetretene und am 15. März 1781 entlassene Graf de Paradès ist, obgleich auch dieser sich in seinen Geheimen Denkwürdigkeiten bitter über die ihm in der Bastille zu Teil gewordene Behandlung beklagt.

Victor Claude Antoine Robert, Graf de Paradès, hieß aller Wahrscheinlichkeit nach mit eigentlichem Namen Richard und wurde 1752 oder 1753 zu Pfalzburg in Elsaß als Sohn eines Pastetenbäckers geboren. Wir müssen hier leider auf eine Auslese aus den Erlebnissen dieses mit allen Talenten und mit einer bewunderungswürdigen Kaltblütigkeit und Thatkraft ausgerüsteten Abenteurers verzichten und deswegen auf seine Mémoires secrets (Paris, Deseune, 1789) und auf Charpentier VII, 14-99 verweisen, glauben uns aber bezüglich der Bezeichnung Abenteurer zu der Bemerkung verpflichtet, daß Paradès nicht zur Klasse der Casanova und Cagliostro gehörte, sondern daß sein Wissen und sein Können probehaltig und seine Abenteuer wahre Heldenthaten waren. Nachstehend nur die Einzelheiten, die sich auf seine Verhaftung beziehen.

Im Oktober 1779 legte Paradès dem französischen Ministerium einen Plan zur Überrumpelung von Plymouth vor, wurde aber, obgleich er bereits alle Maßregeln zur Sicherung des Erfolgs dieses Unternehmens getroffen hatte, abschläglich beschieden. Darauf erbot er sich, den Plan auf eigene Kosten und Gefahr ins Werk zu setzen, wenn der König ihm gegen eine Kaution von drei Millionen Livres ein Kriegsschiff von vierundsechzig Kanonen, eine Fregatte, zwei Transportschiffe und zweitausend Mann Truppen anvertrauen wolle. Als auch dieser Vorschlag verworfen ward, wandte er sich mit seinem Antrage an den spanischen Gesandten d'Aranda; da dieser aber ohne Wissen des französischen Hofes auf nichts eingehen wollte und der Marineminister Sartines unserm Helden auf eine bezügliche Anfrage hin auf das Strengste verbot, Spanien ins Spiel zu ziehen, so ließ er den Anschlag auf Plymouth völlig fallen und nahm den Auftrag an, mit seinem Schiffe vor Brest zu kreuzen, um ein englisches Geschwader zu beobachten, das die Abfahrt der Armee Rochambeaus nach Amerika verhindern sollte.

Vor Antritt dieser neuen Expedition wollte aber Paradès noch eine wichtige und sehr kitzliche Angelegenheit ins Reine gebracht sehen: das Marine-Ministerium schuldete ihm an Auslagen für die auf Befehl und mit Genehmigung Sartines getroffenen Anstalten noch 587,620 Livres, und er wollte bezahlt sein. In Geldsachen hört bekanntlich die Gemütlichkeit auf, das sollte Paradès bald empfinden. Nachdem Sartines ihn wochenlang von Tag zu Tag vertröstet und alle Mittel, ihn von seinem unverschämten Vorsatze abzubringen, erschöpft hatte, ließ er ihn am 4. April 1780 wegen Führung eines falschen Namens und Verrats von Staatsgeheimnissen verhaften und am folgenden Tage in die Bastille bringen. Es war dies ein unfehlbares Mittel, sich unbequeme Gläubiger vom Halse zu schaffen.

Paradès blieb elf Monate, bis zum 15. März 1781, in der Bastille, während welcher Zeit die strengsten Nachforschungen angestellt wurden, ohne daß etwas Wesentliches gegen ihn an den Tag kam. »Endlich, am 15. März 1781,« berichtet er selbst, »öffneten sich mir die Thore der Bastille wieder – aber nur, damit ich die mir widerfahrene Demütigung und mein Unglück zur Schau trüge, so lange der Schaden, den ich erlitten hatte, nicht wieder gut gemacht war. Zu Fuß, mit düsterm Gesicht und gepreßtem Herzen kam ich zu Hause an wie jemand, der in seinem Heim neue Schmerzen zu finden fürchtet. Gleich beim Eintreten erfuhr ich, daß mein zärtlich geliebtes Kind seit sechs Tagen tot war. Meine häuslichen Verhältnisse waren total in Verfall geraten ... So standen die Dinge, als ich meine Freiheit wiedererlangte. Man schuldete mir beträchtliche Summen, und ich hatte weder Geld noch Kredit.«

Das Los Paradès war also keineswegs so beneidenswert, wie man aus Linguets Andeutungen schließen könnte. Aus dem Umstande, daß er den Tod seines Kindes erst nach seiner Entlassung erfuhr, scheint sogar hervorzugehen, daß seine Verbindung mit der Außenwelt keineswegs so unbehindert war, wie unser Autor behauptet, wenn man auch dem Grafen Bücher, Besuche und Schreibmaterialien zugestanden haben mag, da man ihn nur unschädlich machen, nicht aber strafen wollte.

I. J. 1784 ging Paradès nach St. Domingo, um eine ihm gehörige Pflanzung zu verkaufen, und starb dort 1785.

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