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C.
Der Rechtsgang in den Prozessen der Bastillegefangenen.

Die Gefangenen der Bastille zerfielen in zwei Klassen: in Strafgefangene und in Untersuchungsgefangene. Zur Klasse der erstern gehörten die wegen Majestäts-, Beamten- oder Günstlings-Beleidigung, wegen Insubordination, wegen Ausschweifungen, wegen der Religion oder wegen Familienzwistigkeiten eingesperrten Personen, sowie diejenigen, die man gefangen setzte, um sie einem ihnen von Seiten eines ordentlichen Gerichts drohenden Urteil zu entziehen. Diese Gefangenen wurden weder einem Verhör, noch sonst einer Rechtsformalität unterworfen. Die Dauer ihrer Haft hing ganz vom Belieben des Königs respektive der Minister ab: sie wurden freigelassen, wie sie gefangen gesetzt wurden – auf Grund einer Lettre-de-cachet.

Die zweite Klasse bildeten diejenigen, welche man wegen eines staats- oder gemeingefährlichen Vergehens in die Bastille sperrte, um ihnen den Prozeß zu machen. In diesem Falle fand zunächst eine Art Voruntersuchung statt, nach deren Beendigung der Angeschuldigte je nach Lage der Sache auf Befehl des Königs entweder in Freiheit gesetzt oder vor ein Tribunal gestellt oder endlich aus der Klasse der Untersuchungsgefangenen in die der Strafgefangenen versetzt ward. Das letztere geschah in der Regel mit den Spionen und solchen Gefangenen, deren Verbrechen man aus Rücksicht auf das Gemeinwohl oder auf einzelne Personen nicht laut werden lassen wollte. Wurde der Angeklagte dagegen vor einen Gerichtshof verwiesen, so fand ein regelrechtes Verfahren statt, nach dessen Abschluß der Inculpat dem Urteile des Tribunals gemäß entweder in Freiheit gesetzt oder bestraft ward; im letztern Falle stand es natürlich dem König immer noch frei, von seinem Strafumwandlungs- oder Begnadigungsrecht Gebrauch zu machen.

Der Prozeßgang selbst war nach Herrn Ravaisson unter Ludwig XIV. folgender:

»Auf einen vom König unterzeichneten Befehl nahm ein Polizeiagent den Gefangenen in Haft und führte ihn in die Bastille. Alsdann begann ein Verfahren, das mit dem unserer Untersuchungsrichter Ähnlichkeit hatte. Zunächst verhörte der Polizei-Direktor unter Beistand eines Aktuars den Angeklagten. Er ließ ihn schwören, die Wahrheit zu sagen. Diese Formalität wiederholte sich bei jedem Verhör vor und nach der Aussage des Gefangenen und sogar noch am Fuße des Schaffots, wenn der Verurteilte eine Erklärung abgeben wollte. Nichts schien damals einfacher, als einen Angeschuldigten in die Notwendigkeit zu bringen, entweder einen Meineid zu schwören oder seine Freiheit und sein Leben zu gefährden.

»Nach Ablegung dieses Eides hatte der Gefangene seinen Namen, sein Alter, seinen Stand, seine Wohnung u. s. w. anzugeben. Der Polizei-Direktor stellte die Fragen und diktierte sie nebst den Antworten dem Aktuar. Dieser schrieb so schnell als möglich, um das Verhör nicht aufzuhalten, und daher sind diese in fliegender Eile gefertigten Schriftstücke nur zu oft unleserlich. Nach beendetem Verhör las der Aktuar dem Angeklagten das Protokoll vor. Dann wurde am Fuße desselben angemerkt, ob der Verhörte die Richtigkeit desselben anerkannt habe oder bestreite. Der Angeklagte und der Polizei-Direktor unterzeichneten das Original, und die Schreiber des Aktuars fertigten eine Abschrift aus, die dem Hofe zugesandt wurde. Oft verwandelte sich auch das Verhör in ein offiziöses Gespräch, über das der Aktuar kein Protokoll aufnahm, besonders wenn eine Kommission zur Entscheidung des Rechtshandels ernannt war und die vom Angeklagten abgegebenen Erklärungen Personen kompromittieren konnten, deren Verfolgung die Regierung nicht für angebracht hielt. In solchen Fällen schrieb der Aktuar auf zwei getrennte Bogen: auf den einen die Umstände, welche den Richtern unterbreitet werden sollten, auf den andern die, welche man geheimhalten wollte – alles mit Redlichkeit. Man fälschte keine Antwort, und verbarg nichts, was dem Angeklagten günstig sein konnte. Nur die Umstände wurden geheim gehalten, über die der König allein unterrichtet sein wollte. Dann übersandte der Instruktionsrichter dem Minister, der die Lettre-de-cachet verabfolgt hatte, das Protokoll und fügte eine motivierte Auseinandersetzung seiner Ansicht über die Angelegenheit bei; die Befehle des Königs entschieden. Waren sie dem Angeklagten günstig, so wurde er ohne Verzug in Freiheit gesetzt; im entgegengesetzten Falle, wenn die Sache infolge ihrer Natur oder auf Befehl des Königs geheim bleiben sollte, wurde der Inkulpat für ›auf Befehl des Königs gefangen zu halten‹ betrachtet. Dies war das gewöhnliche Ende der Prozesse, die man nicht bekannt werden lassen wollte, und des Verfahrens gegen die Spione, die nie vor Beendigung des Kriegs entlassen wurden.

»Forderte aber das Interesse der Gesellschaft eine öffentliche Bestrafung des Schuldigen, so verfuhr man in der Bastille nahezu in der sonst gebräuchlichen Weise. Auf den Bericht des Polizei-Direktors legte der Minister die Angelegenheit dem Staatsrate vor, der sie bisweilen vor das Parlement, bisweilen aber auch vor eine Kommission verwies, die aus Staatsräten und Requêtenmeistern gebildet wurde: auf solche Weise wurde z. B. das Arsenal-Gericht für die Giftmischer eingesetzt. Ein derartiger, jedesmal nur für den besondern Fall eingesetzter Gerichtshof hatte einen, bisweilen auch, wenn der Fall von Wichtigkeit war, zwei Präsidenten, die Zahl der Richter aber wurde durch Verfügung bestimmt. Zu diesen gehörte stets der Polizei-Direktor, und beinahe immer wurde derselbe zum Referenten gewählt. Außerdem wurde dem Tribunal ein Generalstaatsanwalt beigegeben.

»Der Kanzler gab den verschiedenen Mitgliedern Nachricht, daß sie sich im Arsenale einzufinden hätten. Waren sie dort beisammen, so nahm die Kammer ihre Installation vor, indem sie das Einsetzungs-Dekret in ihr Protokollbuch eintragen ließ. Von nun an wurde der Prozeß nicht mehr als Polizeisache im geheimen, sondern in aller Öffentlichkeit fortgeführt: es handelte sich fortan um die Verurteilung und Bestrafung von Verbrechern. Der Referent stellte neue Verhöre mit dem Angeklagten an, wenn auch die ersten, die er auf Befehl des Königs vorgenommen hatte, richtig und rechtsgültig waren. Die Protokolle darüber gingen dem Generalstaatsanwalt zu, der danach die üblichen Anträge stellte. Erschienen die Belastungsbeweise stark genug, so wurde den Angeklagten der Beschluß des Staatsrats eröffnet. Von diesem Augenblicke an wurden sie nicht mehr auf einfachen Befehl des Königs, sondern im Namen der Kammer gefangen gehalten: sie gehörten jetzt den Richtern, die nach ihrem Ermessen über sie entschieden. Bisweilen ließ man die, deren Unschuld festgestellt war, ohne weiteres frei, ohne sie erst vor die Kammer zu berufen. Der Generalstaatsanwalt stellte seine Anträge, und die Kammer faßte darüber ihre Beschlüsse; es ging völlig wie im Parlamente zu. Waren die Verhöre abgeschlossen und die Zeugen vernommen, so recolierte man auf Antrag des öffentlichen Anklägers und nach Beschluß der Kammer den Angeklagten, d. h. man ließ ihn seine gesamte Aussage durchlesen und fragte ihn dabei abermals, ob er sie für wahr und unverfälscht anerkenne, und ob er noch etwas daran zu ändern habe. Ebenso recolierte man die Zeugen. Diese wurden bisweilen von den Behörden zur Abgabe ihres Zeugnisses berufen; oft schlug auch der Generalstaatsanwalt seine Zeugen vor, und alsdann ordnete die Kammer deren Vorladung an. Ein Gerichtsdiener des Staatsrats forderte sie auf, entweder im Arsenale selbst oder vor den Instruktionsrichtern zu erscheinen. Diesen letztern stand es frei, ihre Sitzungen zu halten, wo es ihnen beliebte. War dies alles geschehen, so wurden die Protokolle über die Verhöre der Beklagten und die Aussagen der Zeugen als rechtsgültige Beweisstücke anerkannt. Auf einen neuen Antrag ordnete dann die Kammer die Konfrontation der Zeugen mit den Angeklagten an.

»Der mit der Voruntersuchung beauftragte Gerichtsbeamte ließ daraufhin die Parteien zusammen vorführen, und fragte sie, ob sie einander erkennten und ob sie sich Vorhaltungen zu machen hätten. Dann verlas der Aktuar aus dem Aussageprotokoll des einen, was auf den andern Bezug hatte. Man fragte den Inkulpaten, was er dagegen einzuwenden habe. Erkannte er die Richtigkeit des Zeugnisses an, so war die Konfrontation binnen kurzem zu Ende; man ließ ihn unterzeichnen, und nichts hielt den Gang des Verfahrens auf. In der Regel aber leugnete der Inkulpat und brachte seinerseits Beschuldigungen gegen den Zeugen vor. Dann spielten sich die heftigsten und traurigsten Scenen vor dem Richter ab; in der Regel war dies der entscheidende Augenblick des Prozesses.

»War die Voruntersuchung beendet, so reichten die Instruktionsrichter dem Minister ihre Berichte ein, und dieser holte die Befehle des Königs ein.

»Sehr oft hatte das Einsetzungsdekret die Kammer nur zur Einleitung des Verfahrens ermächtigt: in diesem Falle ermächtigte dann eine neue Verfügung des Staatsrats die Richter, endgültig über das Schicksal der Angeklagten zu entscheiden. Diese Verfügung wurde dem Präsidenten zur Eintragung in das Protokollbuch zugestellt. Die Gerichtsdiener thaten sie gleicherweise dem Inkulpaten kund und ließen ihm eine Abschrift davon zurück. Von dem Verbrechen war in diesem Schriftstücke gewöhnlich nur in ziemlich unbestimmten Ausdrücken die Rede, um den Familien die Schmach und dem Publikum das Ärgernis zu ersparen.

»Die Verfügung des Staatsrats führte ausführlich die Namen, den Stand und die Zeitpunkte auf, die Strafanträge aber erschienen bisweilen allzu hart, weil immer nur das geringfügigste der Verbrechen namhaft gemacht wurde, um das Publikum über den Rest in Unwissenheit zu erhalten. Man suchte damals die von einzelnen Individuen verübten Greuel zu verhehlen, weil man dergleichen Enthüllungen als gefährlich für die Gesellschaft ansah. Dies System hat zu seltsamen Irrtümern Anlaß gegeben, da es Personen, deren Namen man schonen wollte oder deren Beispiel man fürchtete, mit dem Nimbus unrechtmäßig hingeschlachteter Opfer umgab.

»Der Generalstaatsanwalt setzte die Anklageschrift auf; es war das eine ziemlich trockene Aufzählung der verschiedenen Protokolle und der einzelnen Umstände des ganzen Verfahrens, die den Anklageakten der gegenwärtigen Staatsanwälte in keiner Hinsicht nahekommt.

»Nachdem er die Anklage unterzeichnet und auf dem Tische der Kammer niedergelegt hatte, zog der Generalanwalt sich zurück. Dieser Beamte wohnte nur selten den Sitzungen bei: seine Aufgabe bestand darin, Anträge zu stellen, und da vor den Kommissaren keine Advokaten-Plaidoyers stattfanden, so wäre es eine Barbarei gewesen, wenn man bei Prozessen, wo der Angeklagte allein vor den Richtern erschien und Verteidigungsmittel einzig in seiner eigenen Gewandtheit suchen mußte, der Anklage vollen Spielraum gegeben hätte,

»Die Kammer nahm von dem Antrage Kenntnis. Ein Mitglied las denselben vor, und der Referent gab einen Überblick über die ganze Untersuchung. Alsdann ordneten die Kommissare die Vorführung des Angeklagten an. Die Häscher des Staatsrats holten ihn daraufhin aus einem benachbarten Zimmer ab, wohin die Offiziere von Vincennes oder der Bastille ihn geführt hatten. Diese Offiziere betraten niemals den Sitzungssaal, sondern mußten draußen warten.

»Der Präsident befahl dem Gefangenen, auf dem Anklageschemel, bisweilen auch auf einem gewöhnlichen Sessel, Platz zu nehmen; oft verhörte man ihn auch stehend hinter der Barre. Der Grund für diese Unterschiede ist nicht immer zu erraten: wahrscheinlich hingen sie mit dem Stande oder dem Alter und der größern oder geringern Strafbarkeit des Inkulpaten zusammen. Die Richter trugen den Kopf bedeckt, der Angeklagte war stets barhäuptig.

»Der Präsident verhörte ihn von neuem, und man hörte schweigend seine Antworten an, die gewöhnlich zu einer Verteidigungsrede wurden, in der der Angeschuldigte sich zu rechtfertigen oder die Richter zu rühren suchte. Nur selten unterbrach man ihn. Ein Sekretär schrieb den Hauptinhalt seiner Aussagen nieder und nahm das Protokoll der Sitzung auf. In der Regel genügte eine einzige, in besonders schweren Fällen fanden indessen mehrere Sitzungen statt. Nach Beendigung derselben führte der Gerichtsdiener den Gefangenen wieder ab und übergab ihn dem Offizier, der ihn hergebracht hatte. Alsdann schritt man, falls die Zeit es noch erlaubte, ungesäumt zur Abstimmung. Der Referent sprach zuerst, dann nahm der jüngste Richter das Wort, und ihm folgten die übrigen der Anciennetät nach bis hinauf zum ältesten. Der Präsident stimmte zuletzt und sammelte die Stimmen seiner Kollegen. Im Fall der Stimmengleichheit gab die seine den Ausschlag. Das durch Stimmenmehrheit gefällte Urteil wurde vom Präsidenten, in einzelnen Fällen auch vom Referenten, aufgesetzt; gewöhnlich ließ man es dann vom Sekretär ins Reine schreiben. Es wurde von sämtlichen Richtern unterzeichnet, während die im Laufe der Untersuchung gefaßten Beschlüsse nur vom Präsidenten und vom Referenten unterschrieben wurden. Wenn möglich, verlas der Aktuar dem Angeklagten das Urteil der Kammer noch am selben, im andern Falle aber am folgenden Tage, falls dies kein Sonn- oder Feiertag war. War die durch das Urteil verhängte Strafe leichter Art, ein Verweis oder die sogenannte Ehrenbuße, Amende honorable. Der Verurteilte hatte in diesem Falle barfuß, mit dem Strick um den Hals und mit übergeworfenem Hemd unter Führung des Henkers öffentlich Abbitte zu thun. In der Regel trug er dabei eine Fackel in der Hand. Honorable bedeutet also in dieser Verbindung keineswegs ehrenvoll, sondern die Ehre betreffend, wie schon der entsprechende lateinische Ausdruck lehrt: multa honoraria. so wurde der Verurteilte abermals vorgeführt, und der Präsident erteilte ihm, nachdem er ihn hatte niederknieen lassen, eine strenge Zurechtweisung. Im Falle der Freisprechung befahl der König die Entlassung des Gefangenen. War auf Verbannung erkannt worden, so wurde der Verurteilte ebenfalls aus dem Gefängnis entlassen und bisweilen von einem Polizeibeamten an den ihm zum Aufenthalte angewiesenen Ort geleitet.

»War die verhängte Strafe schwererer Art, so ordnete die Kammer die gewöhnliche und die außergewöhnliche Folter an. Wohlgemerkt: nach der Verurteilung. Die Folter hatte also auf das Urteil keinen Einfluß, sondern war nur ein Strafzusatz, eine Verschärfung der Todesstrafe. Der Referent in Begleitung des Aktuars ließ den Verurteilten in die Folterkammer bringen, niederknien und das Haupt entblößen. Der Aktuar verlas das Urteil. Dann trat der Henker mit seinen Gehilfen ein, und nun spielten sich ebenso greuelvolle und empörende wie widersinnige Scenen ab, die indessen zu jener Zeit von den besten Köpfen als etwas ganz Einfaches und Natürliches betrachtet wurden.

»Nachdem der Verurteilte gebunden und auf die Folterbank gesetzt war, wurde ein vorgängiges Verhör mit ihm angestellt. Man ließ ihn abermals schwören, die Wahrheit zu sagen, und wiederholte dann die bereits früher an ihn gestellten Fragen. Er blieb nun entweder beim Leugnen oder entschloß sich, um der Folter zu entgehen, alles einzuräumen. Was er aber auch that, das Urteil mußte vollstreckt werden. Die Folter war nur das unerläßliche Vorspiel der Hinrichtung. Der Aktuar schrieb die Antworten auf. Erklärte der Angeklagte endlich, daß er nichts mehr zu sagen habe, so wurde das Protokoll verlesen, der Beamte und der arme Sünder unterzeichneten es, und der Henker begann sein Werk.

»Obgleich es mehrere Arten der peinlichen Frage gab, kamen in der Bastille doch nur zwei zur Anwendung: die Wasserfolter und die spanischen Stiefel. Die Männer wurden beiden unterworfen, bei den Frauen kamen nur die Stiefel in Anwendung.

»War durch das Urteil auf die Wasserfolter erkannt worden, so wurden die Hände des Verurteilten mit Stricken an zwei in die Mauer eingelassene eiserne Ringe festgebunden. Dasselbe geschah mit den Füßen, und dann wurden die Stricke in der Weise angezogen, daß der Körper vollständig auf der Reckbank ausgestreckt lag, die man unterschob. Der Henker zwängte dem armen Sünder einen mit Wasser gefüllten Horntrichter zwischen die Zähne, und dieser mußte wohl oder übel schlucken. Die sechsmalige Wiederholung dieses Vorgangs hieß die gewöhnliche Folter. Natürlich befragte der Richter den Verurteilten nach jeder Leerung des Trichters, dieser antwortete indessen die meiste Zeit über nur durch Schmerzenslaute. Alsdann schritt man zur außergewöhnlichen Folter, die in der Einflößung von acht Kannen Wasser bestand. Das auf dem Magen lastende Gewicht des Wassers verursachte unerträgliche Schmerzen.

»Das Verfahren mit den spanischen Stiefeln war einfacher. Der dazu Verurteilte saß dabei auf einem Stuhle, an dem er mit den Armen festgebunden war; die Beine hingen gerade und lotrecht herab. Zwischen beiden und an der Außenseite derselben wurden je zwei Brettchen angebracht und mit Stricken aneinander gepreßt. Um den Druck zu vergrößern, trieb man mit einem Schlägel hölzerne Keile zwischen die Bretter – bei der gewöhnlichen Folter vier, bei der außergewöhnlichen acht.

»Bei der Folterung war stets ein Arzt und ein Chirurg gegenwärtig, um bei eintretender Gefahr für das Leben des armen Sünders einzuschreiten. War die Folter überstanden, so band man den Verurteilten los, legte ihn vor einem starken Feuer auf eine Matratze nieder und ließ ihm die nötige Pflege angedeihen, um ihn wieder ein wenig zu Kräften zu bringen. Bisweilen verging eine geraume Zeit, bevor er reden konnte. Auch während der Klöppelschläge hatte das Verhör seinen Fortgang genommen. Über alles wurde ein Protokoll aufgesetzt, dem Unglücklichen vorgelesen und von ihm unterzeichnet. Der Anblick dieser fast unleserlichen, durch die Tortur erpreßten Unterschriften erregt einen unwillkürlichen Schauder. Nun blieb dem Verurteilten nur noch zu sterben übrig. Oft ging er noch am selben Tage von der Folter zum Richtplatz. Alsdann erschien ein Priester, um ihn zur Reue zu ermahnen und anzuhalten, daß er durch offene Bekenntnisse sich den ewigen Strafen entziehe. Die im Schlosse angestellten Geistlichen wohnten niemals der Hinrichtung bei. Der Beichtvater war selten ein Jesuit, da dieser Orden immer einen Widerwillen gegen dergleichen traurige Ämter hatte, nie ein Mönch, weil Ludwig XIV. eine ungemeine Abneigung gegen diese hegte. Auf Ansuchen der Minister berief der Erzbischof von Paris einen Weltpriester zu diesem Amte, und fast alle erfüllten ihre Pflicht in wackerer und milder Weise. Einige trieben ihren Eifer bis zur Leidenschaft für ihre Beichtkinder: der Beichtvater der Brinvilliers z. B. schilderte die Giftmischerin nahezu als eine Heilige. Der Genuß des Abendmahls wurde dem Verurteilten nie verstattet.

»Wenn nicht Zwischenfälle die Folter über die Maßen verlängert oder der Hof einen Aufschub angeordnet hatte, fand die Hinrichtung noch am selben Tage statt. Die gewöhnliche Richtstätte, die im Urteil im voraus bestimmt wurde, war die Place de Grève oder die Croix du Trahoir. Dort errichteten die Gehilfen des Henkers während der Nacht oder am frühen Morgen den Galgen oder den Holzstoß. Der Platz wurde von der Scharwache besetzt, um den erforderlichen Raum frei zu halten und den Henker gegen die Neugierigen zu schützen, die immer bereit waren, ihm übel mitzuspielen oder die Verurteilten zu beschimpfen. Es gab drei Arten der Todesstrafe: Galgen, Beil und Scheiterhaufen. Dieser letztere bestand aus zwei- bis dreihundert mit Teer getränkten Reisigbündeln, in deren Mitte der arme Sünder angekettet wurde. Bisweilen aber erfuhr diese Strafe eine Milderung: der Präsident schrieb unter das Urteil ein Retentum d. h. einen Befehl zur Erdrosselung des Verurteilten, und damit das Publikum die Sache nicht übel nehme, erdrosselte der Henker, während er die Holzwellen zu ordnen schien, den Unglücklichen ohne Wissen der Zuschauer, indem er den eisernen Halsring zusammenschraubte, mit dem er an den Pfahl gekettet war.« Ravaisson I, p. XXXII-XXXIX.

Der Adel genoß bekanntlich das Vorrecht, mit dem Beile gerichtet zu werden, und in einzelnen Fällen wurde dann der Leichnam der Familie zum Begräbnis ausgeliefert; alle übrigen Gerichteten wurden vom Henker verscharrt, respektive ihre Asche in die Seine geworfen.

Von einer Exekution in der Bastille selbst ist nur ein Beispiel bekannt: der Marschall Biron wurde am 3. Juli 1602 im großen Hofe des Schlosses enthauptet. Da aber alles, was in diesem Staatsgefängnis vorging, in das tiefste Geheimnis gehüllt war und nichts mehr geeignet ist, unbegründete Befürchtungen zu erwecken, als eine derartige Geheimniskrämerei, so erhielt sich die Furcht vor heimlichen Hinrichtungen in der Bastille nicht bloß beim Volke, sondern auch unter den Gefangenen. »Ich wollte mich eben niederlegen,« bemerkt La Porte in seinen Denkwürdigkeiten, »als ich ein starkes Geräusch vernahm und meine Thüren aufschließen hörte, was mich aufs höchste in Erstaunen und zugleich in Schrecken setzte. Ich hatte nämlich verschiedene Personen und sogar meinen Soldaten Wie schon erwähnt, wurde La Porte in seiner Zelle von einem Soldaten überwacht. sagen hören, daß einzelne Gefangene aus Besorgnis vor einem Aufstande des Volkes bei Nacht hingerichtet worden seien: ich glaubte, man wollte mit mir auf die nämliche Weise verfahren.« La Porte p. 145. In ähnlicher Weise ließ auch Frau von Staal sich erschrecken. Noch am Tage ihres Eintritts in das Gefängnis wurde sie mit ihrem Kammermädchen Rondel aus dem Gelaß, in das man sie zuerst geführt hatte, in ein anderes gebracht. »Wir wurden,« erzählt sie, »in diesem Zimmer ebenso sorgfältig verrammelt wie im ersten. Kaum hatte man uns eingeschlossen, als ich ein Geräusch vernahm, daß mir völlig unerhört schien. Ich horchte eine ziemliche Weile, um zu enträtseln, was es sein könnte. Da ich nichts davon begriff, das Geräusch aber ununterbrochen fortdauerte, so fragte ich Rondel, was sie davon dächte. Sie wußte nicht, was sie mir antworten sollte, da sie aber sah, daß ich unruhig darüber war, sagte sie, es käme vom Arsenal her, von dem wir nicht weit entfernt waren, und wäre vielleicht das Gestampf einer Maschine zur Pulverbereitung. Ich versicherte, daß sie sich täusche, daß dies Geräusch weit näher sei, als sie glaube, und höchst eigentümlich wäre. Und doch war die Geschichte ganz einfach: ich entdeckte in der Folge, daß die Maschine, die ich für offenbar bestimmt gehalten hatte, uns zu Staub zu zermalmen, nichts anderes war als der Bratenwender, dessen Geräusch wir um so deutlicher vernahmen, da das Zimmer, in das man uns gebracht hatte, gerade über der Küche lag.« Staal II, 101. Danach kann es nicht allzu sehr befremden, daß auch bei Linguet das Geräusch eines nächtlichen Begräbnisses allerlei schauerliche Befürchtungen erweckte.

Ganz ähnlich verhielt es sich mit der Folter. Dieselbe kam im achtzehnten Jahrhundert in der Bastille nicht mehr zur Anwendung, die Furcht vor derselben aber dauerte nichtsdestoweniger fort. Auch bezüglich dieses Punktes können wir uns auf Frau von Staal berufen. »Wenige Tage vor meiner Verhaftung,« berichtet sie, »hatte der Abbé Chaulieu mir anläßlich der Personen, die man damals in die Bastille setzte, schauerliche Geschichten von dem erzählt, was in diesem Gefängnis vorgehen sollte, unter anderm auch die Geschichte einer vornehmen Frau, die dort in früherer Zeit, ohne daß man sie vor Gericht gestellt hätte, gefoltert worden war und zwar so hart, daß sie ihr Lebelang verstümmelt blieb. Er behauptete, die Folter werde hier häufig ohne jede Formalität angewandt und von den Hausbeamten vorgenommen. Diese Meinung, die er mir eingeflößt hatte, war höchst beunruhigend für mich. Ich galt für die Mitwisserin des Geheimnisses unserer Angelegenheit, man hielt mich ohne Zweifel für ganz so schwach, wie Frauen es zu sein pflegen, und überdies war ich eine unbedeutende Persönlichkeit: allem Anschein nach mußte also die Wahl auf mich fallen, falls man diesen Weg einschlug. Nicht wenig von dieser Vorstellung in Anspruch genommen, wünschte ich aufs sehnlichste zu erfahren, ob sie begründet sei oder nicht; aber ich wußte nicht, wie ich das anstellen sollte. Eines Tages endlich, als der Kommandant bei mir war, wagte ich das Gespräch auf verschiedene Dinge hinzulenken, die dem Gerede nach in der Bastille vorgehen sollten: er bezeichnet die meisten als kindische Märchen. Schließlich bemerkte ich ihm mit leiserer Stimme, wie man immer zu thun pflegt, wenn man verlegen ist, man behaupte, daß im Schlosse bisweilen ohne jede Rechtsform zur Anwendung der Folter geschritten würde. Darauf gab er keine Antwort. Wir gingen während dieses Gesprächs in meinem Zimmer auf und ab: er machte noch eine Tour mit mir und ging dann ziemlich rasch hinaus. Ich blieb ganz bestürzt zurück, mehr als je überzeugt, daß mir eine grausame Behandlung bestimmt sei. Ich glaubte, der Kommandant sei davon unterrichtet und diese Kenntnis habe ihm den Mund geschlossen, da er weder seine Amtspflicht verletzen, noch durch das Vorauswissen das mir bestimmte Übel näher rücken wollte. Ich fuhr fort, mit großen Schritten auf und ab zu gehen, und stellte dabei eingehende Betrachtungen über diesen Gegenstand an. Es lag mir nur daran, mich wacker zu halten: das Leiden und der Tod kümmerten mich nicht, aber ich fürchtete die Gewalt, die der übermäßige Schmerz auch über die festesten Entschlüsse hat, und wagte nicht für mich gut zu sagen, in einem Falle, wo ich nicht meine eigene Erfahrung zum Bürgen hatte. Ich rief nun fremde zu Hilfe. Warum sollte ich nicht thun können, was andere gethan haben? sagte ich zu mir selbst. Man erduldet ja doch fürchterliche Operationen, um sein Leben zu retten. Was bewirkt denn der Schmerz? Er erpreßt wohl Laute, kann aber niemand zwingen, Worte zu artikulieren. Nach dieser Überlegung beruhigte ich mich und erwartete von mir alles, was nicht über die Kräfte der Natur ginge, da ich mich durch gewaltige Beweggründe gestählt fühlte. In der Folge bemerkte ich dann, daß unser Kommandant auf dem einen Ohre taub war, und da ich mich erinnerte, daß ich meine Frage gerade an diese taube Seite gerichtet hatte, lachte ich über den leeren Schrecken, den seine anscheinende Behutsamkeit mir verursacht hatte.« Staal II, 116.

Bei den Verhören, welche die Referenten, wie oben bemerkt, mit den Angeklagten anstellten, wurde nicht immer mit der geziemenden Loyalität verfahren. Man hat bereits gesehen (S. 63), durch welche Mittel man La Porte zu einem Geständnis zu bringen suchte, und wird weiter unten noch erfahren, auf welche Weise man Fouquet zu fangen suchte und den Chevalier de Rohan wirklich überrumpelte. Ein weiteres Beispiel liefern uns abermals die Denkwürdigkeiten der Frau von Staal. »Der Graf de Laval,« heißt es darin, »war zum Erstaunen der Welt, die ihn für eins der Häupter der Verschwörung ansah, auf freiem Fuß geblieben. Ich aber zweifelte nicht, daß er gleichzeitig mit uns verhaftet worden wäre, und fragte daher Rondel, die ihn nicht kannte, häufig genug, ob sie nicht einen großen, hagern Mann mit schwarzer Kinnbinde sähe, die er trug, seitdem ihm im Kriege die Kinnlade zerschmettert worden war. Zu der Zeit, von der ich eben rede, sah sie ihn endlich ankommen und rief: »Ah, da ist der Mann mit der Binde!« Ich hatte gerade mit ihm mehr verhandelt als mit jedem andern, und obgleich ich auf das Versprechen baute, das wir einander gegeben hatten, hätte ich ihn doch lieber wer weiß wie weit als so nahe gewußt. – Die Gefangensetzung des Grafen de Laval diente als Mittel, um den Marquis de Pompadour zu verstricken, den man durchaus zum Sprechen bringen wollte, und der bis dahin hartnäckig geschwiegen hatte. Jetzt nun brachte man als angebliche Geständnisse des Grafen Dinge aufs Tapet, die er nur diesem anvertraut hatte, und die zweifelsohne entweder rein erraten oder vielleicht auch von einem indiskreten Vertrauten enthüllt worden waren, dem der Graf vor seiner Verhaftung davon Mitteilung gemacht hatte, denn nach derselben vermochte man kein Wort aus ihm herauszubringen. Indessen wurde Herr de Pompadour, der nicht von Eisen war, und dem man mit einer Konfrontation mit dem Grafen drohte, in seinen Antworten schwankend. Als die Minister ihn erschüttert sahen, führten sie eine neue Batterie auf, um ihn vollends niederzudonnern. Maisonrouge, der Kommandant der Bastille, hatte eine große Zuneigung zu ihm gefaßt. Diesen nahm Herr Le Blanc Der Kriegsminister Le Blanc und der Justizminister d'Argenson waren die beiden vom Regenten zur Untersuchung der Sache ernannten Kommissare. eines Tages bei Seite und teilte ihm im tiefsten Vertrauen mit, daß er sich für Herrn de Pompadour interessiere und daher in Verzweiflung wäre über die schlimme Wendung, die dessen Sache zu nehmen drohe: man würde ihm sicher den Prozeß machen und ihm den Kopf herunterschlagen, wenn er diesem Unglück nicht durch ein aufrichtiges Geständnis aller vorgegangenen Dinge zuvorkäme; diese Erklärung müsse aber eigenhändig von Herrn de Pompadour niedergeschrieben werden, weil der Herzog von Orleans einer solchen Urkunde bedürfe, um sein Verfahren zu rechtfertigen, und dies sei das einzige Mittel, um zu verhindern, daß er nicht die in diese Sache verwickelten Personen die ganze Strenge des Gesetzes empfinden lasse. Dabei ließ Herr Le Blanc den Kommandanten merken, daß er ihm Dinge von solcher Heimlichkeit nur deshalb anvertraue, damit er den Marquis de Pompadour zu dem einzigen Entschlusse bestimme, der ihn noch retten könne. Nachdem er auf diese Weise das gute Herz des Kommandanten gerührt hatte, ohne befürchten zu müssen, daß die Regungen desselben durch den Scharfblick seines Geistes berichtigt würden, versprach er sich den besten Erfolg von einer Unterhandlung, bei der er den eigenen Gesandten so vollkommen hinters Licht geführt hatte. – Noch ganz erschrocken über das eben Vernommene, eilte der arme Kommandant sogleich zu Herrn de Pompadour, dem er nichts von dieser vertraulichen Mitteilung des Ministers verhehlte, da man sich sorglich gehütet hatte, ihm in diesem Falle Verschwiegenheit anzuempfehlen. Der Marquis wurde von Schrecken ergriffen und entschloß sich zu allem, was man von ihm verlangte. Er setzte eine Generalbeichte auf, ohne das Geringste zu verhehlen oder hinzuzuthun. Er that mehr: wenn man einmal ins Gleiten kommt, macht man erst am Fuße des Abhangs Halt. Er hatte geschrieben, daß die Herzogin von Maine, als er die in Rede stehende Angelegenheit mit ihr verhandelte, das Gespräch abbrach, sobald der Herzog erschien. Verletzt von dem, was den Herzog von Maine rechtfertigen mußte, bemerkte der Justizminister dem Marquis, daß man keine Apologie des Herzogs von ihm verlangt habe, und daß dieser Abschnitt gestrichen werden müsse. Und der Marquis strich ihn, ohne Herrn d'Argenson fühlen zu lassen, daß er seine Amtspflicht verletze, wenn er nicht ohne Unterschied sowohl die entlastenden wie die belastenden Momente entgegennähme ... Als Belohnung für seine Aufrichtigkeit, gewährte man Herrn de Pompadour, nicht die Freiheit, auf die man ihm Hoffnung gemacht hatte, aber die Promenade auf der Bastion, wohin er täglich geführt wurde.« Staal II, 134. Ohne Zweifel wird man auch in andern Fällen die Anwendung derartiger Kunstgriffe nicht verschmäht haben, sobald dieselben Aussicht auf Erfolg boten, wenn uns auch bei dem Mangel an bezüglichen Memoiren keine weitern Nachrichten darüber zu Gebote stehen. – Man mag indessen noch die bei Charpentier IV, 87 und 110 angeführten Fälle vergleichen.

In den Hauptpunkten blieb das oben beschriebene Verfahren auch im achtzehnten Jahrhundert unverändert. Nur wurde jetzt die Voruntersuchung statt vom Polizei-Direktor und seinem Sekretär von einer besondern Kommission geführt, die aus dem Polizei-Direktor, einem Staatsrat, einem Requêtenmeister und einem Aktuar bestand. Auch gewährte man jetzt in den meisten Fällen den Angeklagten einen Rechtsbeistand. Nicht selten fand auch während des Prozesses eine Überführung des Gefangenen in das Gefängnis des Châtelet oder nach der Conciergerie statt. Das Urteil in Kriminalsachen wurde fast stets in der Kapelle der Conciergerie verlesen und der Verurteilte zu diesem Zwecke gewöhnlich am Abend vorher aus der Bastille dorthin geführt. Von dort aus trat er dann auch den Gang oder vielmehr die Fahrt zum Richtplatz an.

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