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Y.
Gewaltthätigkeiten der Gefangenen.

Bei der Art und dem Charakter der Gefangenen, die in der Bastille verwahrt wurden, lagen Gewaltthätigkeiten, derselben gegen sich selbst, gegen ihre Unglücksgefährten und gegen ihre Wächter so ziemlich in der Natur der Sache. Der Unglückliche, der kein Ende seiner Leiden absah, mußte sich nur zu oft versucht fühlen, entweder seinem Leben ein Ziel zu setzen oder, bei heftigerm Temperamente, seine Wächter seinen Zorn und seine Rache fühlen zu lassen. Zu den Zeiten, wo das Schloß überfüllt und daher jedes Gelaß mit mehreren Gefangenen besetzt war, konnte es auch zwischen diesen selbst, die doch zumeist zweideutigen Charakters waren und eine nicht sehr ehrenhafte und vertrauenerweckende Vergangenheit hinter sich hatten, nicht an Anlässen zu Streitigkeiten fehlen, die dann nur zu oft zum Totschlage oder wenigstens zu schweren Körperverletzungen führten. Unter diesen Umständen war die Vorsicht, den Gefangenen so viel als möglich jede Waffe zu entziehen, nur natürlich und durchaus unerläßlich. Ungeachtet dieser Maßregel bieten indessen die Annalen der Bastille eine nicht geringe Anzahl von Fällen, in denen die Gefangenen auf die eine oder die andere Weise ein Attentat auszuführen wußten. Wir geben nachstehend eine Liste der bemerkenswertesten Vorkommnisse dieser Art.

I. J. 1429 brach unter den Gefangenen eine Verschwörung aus, um die Porte Saint-Antoine – Paris war damals in der Gewalt der Engländer – den Franzosen zu überliefern. Die Thorwache war bereits überrumpelt und niedergemacht, als der Sire de l'Ile Adam, ein Anhänger Burgunds, anlangte, mit der Streitaxt auf die Meuterer eindrang und sie zurückjagte. Die Gefangenen wurden in der Folge sämtlich in der Seine ertränkt ( Barante, Histoire des ducs de Bourgogne.)

Der Pater de Ham, ein Jacobiner von ungemeiner Größe und Körperkraft, tötete i. J. 1688 seinen Schließer Saint-Jean durch einen Schlag mit der Bettleiste. Man stellte ihm seit diesem Vorfalle das Essen durch eine in der Thür angebrachte Klappe zu. Er war am 25. Februar 1686 in die Bastille gebracht worden und starb dort am 3. Dezember 1720. ( Carra I, 150.)

Braconneau, 1690 als schlechter Katholik eingesperrt, brachte sich am 18. Februar 1691 einen Messerstich bei, an welchem er am 2. März verstarb. ( Charpentier I, 48.)

Im Juni 1696 versuchten der Franciscaner Damas Guy, und der englische Spion Cox ihren Schließer zu töten, um sich dadurch einen Weg zur Flucht zu eröffnen. Ihr Plan mißlang. ( Carra I, 238.)

Am 16. Juni 1700 Selbstmordversuch des Sieur Charras. »Gestern Morgen gegen elf Uhr versetzte sich der Bastille-Gefangene Charras zwei Messerstiche unterhalb des Herzens in die Brust; es steht zu fürchten, daß einer derselben tödlich ist. Er bediente sich zu diesem Zwecke eines elenden Messers, dessen Klinge vier Finger breit vom Hefte abgebrochen war, und das zu diesem Gebrauche völlig untauglich schien, der Unglückliche hat es indessen sorgfältig dazu in Stand gesetzt, indem er es an einem irdenen Kruge, der sich in seinem Zimmer befand, spitz schliff. Nachdem er es an der Spitze geschärft hatte, versetzte er sich damit zwei Stiche und hatte bereits viel Blut verloren, als man ihm zu Hilfe kam. Schon am Morgen hatte er zur Vorsicht seine Thür von innen mit seinen Strumpfbändern und andern Dingen festgebunden, um das Eindringen zu erschweren, und mit einem Stück Kohle folgende Worte an die Wand geschrieben: »Ich nehme den allmächtigen Gott, vor dem ich bald erscheinen werde, zum Zeugen, daß ich unschuldig sterbe. Ich verzeihe allen und jedem; Gott segne den König von Frankreich und Wilhelm, den König von England. Herr Jesus, nimm meine Seele, ich sterbe als Protestant. Um der Liebe Gottes willen, bittet meine Eltern, daß sie meiner armen Frau meinen Tod zu wissen thun, und daß ich mit einem Gebet für sie sterbe. Guter Gott, verzeihe mir die Beleidigung, die ich dir anthue.«

»Als man ihn in Behandlung nahm und ihm den ersten Verband anlegte, bemerkte man, daß er sich mit einem Stück von einem Glase, das er zu diesem Zweck zerbrochen hatte, die Adern an beiden Armen zu öffnen versucht hatte.« Charras wurde wieder hergestellt, aber erst am 19. Mai 1706 aus der Bastille entlassen. ( Carra I, 281; Ravaisson X, 192.)

»Am Sonnabend, 15. September 1703, ging der Schließer La Boutonnière nach seiner Gewohnheit gegen 9 Uhr abends mit Brot und Wein in den Turm La Bertaudiere, um die Gefangenen zu bedienen. Beim Betreten der Mütze fand er die beiden dort eingeschlossenen Gefangenen, den Picarden Chevalier, der an der Affaire der Vierzehn Die Affaire der Vierzehn war ein Hexenprozeß. Perrot war als Spion eingesperrt. beteiligt war, und Perrot, aus Neufchâtel in der Schweiz, 32 Jahre alt, ruhig im Bett liegen und zog sich zurück, ohne etwas zu ihnen zu sagen. Gegen 10 Uhr klopften die Gefangenen unterhalb der Mütze jenes Turmes, da sie in dem Zimmer über sich starkes Geräusch hörten, wie von Leuten, die sich schlugen, mit aller Gewalt gegen ihre Thür. Der Schließer La Boutonnière, der daraufhin nach der Mütze eilte, fand und sah daselbst bei seinem Eintritt in das Zimmer Chevalier laut stöhnend mit blutbedecktem Gesicht und Kopf auf den Dielen liegen, da aber Perrot, den er völlig nackend antraf, sich auf ihn werfen wollte, um ihn zu mißhandeln, sprang er zurück und verschloß die Thür hinter sich. Er erblickte zuerst Herrn Lecuyer, den Thorhauptmann, rief ihm zu und forderte ihn auf, hinaufzusteigen, was beide auf der Stelle thaten. Beim Betreten der Mütze fanden sie Perrot auf dem Bett liegen: er sprang aber sogleich Herrn Lecuyer nach der Kehle, griff nach seinem Degen, riß denselben aus der Scheide und brachte ihm damit eine tiefe Wunde am Schenkel bei, so daß die beiden sich abermals zurückziehen und die Thür hinter sich verschließen mußten. Man glaubt, daß nach dem ersten oder zweiten Eindringen der Beamten in das Zimmer Perrot, da er sah, daß Chevalier noch nicht tot war, einen von den kleinen Stäben aus einem der Strohsessel gezogen, ihn in die Halsbinde des Unglücklichen gesteckt und dann zwei oder dreimal umgedreht habe, um ihn zu erwürgen – wenigstens fand man Chevalier bei der Leichenschau in diesem Zustande und außerdem den Schädel auf der rechten Seite durch mehrere tödliche Schläge zerschmettert, nach dem Berichte des Chirurgen, Herrn Reilh. Perrot fand sich völlig unverletzt und wurde in Ketten ins Verließ gesetzt.« Das Parlement verurteilte ihn für diesen Mord zum Tode, und er ward demgemäß im Oktober 1703 auf dem Grève-Platz gehangen. ( Ravaisson X, 390.)

Am 19. März 1704 schnitt sich der Adept Etienne Vinache mit einem Messer die Kehle ab und verstarb an der Wunde in der folgenden Nacht. Er wurde am 22. desselben Monats auf dem St. Pauls-Kirchhof unter dem Namen Etienne Durand begraben. ( Carra II, 56.)

Im Jahre 1705 zerprügelte Sorel, eine der Hauptpersonen des Renneville'schen Werkes, den Mönch Lustig, einen Deutschen, und verwundete ihn nicht ungefährlich. Lustig erholte sich indessen wieder, und Sorel kam auf achtzehn Monate ins Verließ. ( Renneville IV, 442; Ravaisson X, 237. 238.)

Am 17. April 1743 tötete Pierre Auza den François Pipet, der ihm das Feuer anzündete, durch einen Schlag mit einem Holzscheite. ( Charpentier I, 98.)

Im Dezember 1762 versuchte Richard Rohée sich mit einer großen Stecknadel und sodann mit einer Gabel die Adern zu öffnen, und als dies nicht anging, schlitzte er sich mit der Gabel den Hodensack auf, riß die rechte Hode heraus und schleuderte sie durch das Fenster in den Graben. Er wurde indessen von seinen Wunden geheilt und am 6. Februar 1763 aus der Bastille entlassen. ( Carra II, 964.)

Wie wenig übrigens dazu gehörte, um mit den Schließern in ein Handgemenge zu kommen, beweist ein Erlebnis, das Dumouriez in seiner Autobiographie mitteilt.

»Sein Schließer,« erzählt er, »war ein sehr großer und kräftiger, höchst brutaler und unverschämter Mensch. Er hatte ihm nie das Bett machen wollen, worüber sich Dumouriez leicht tröstete, und verabsäumte keine Gelegenheit, um ihm Grobheiten zu sagen. Mit seinem Prozeß und seinen Studien beschäftigt, war er entschlossen, sich in Geduld zu fassen und sich nicht zu beschweren: er lachte sogar nicht selten über die Rohheiten dieses wahren Roman-Schergen. Da die Jahreszeit regnerisch und kalt und sein Zimmer ein wahrer Eiskeller war, ersuchte er den Major, einen Glaser kommen und die beiden obern Felder des hohen Fensters mit Papier verkleben zu lassen. Das Gesuch wird zugestanden und der Tag festgesetzt. Im Dasein eines Gefangenen macht alles Epoche, die kleinsten Ereignisse berühren ihn auf das Schärfste, namentlich wenn seine Seele ganz damit beschäftigt ist, sich gegen härtere Schläge zu wappnen.

»Der Glaser kommt nicht. Drei Tage nacheinander verspricht man ihn, und dreimal wird man wortbrüchig. Eines Morgens endlich fragt er den Schließer mit vieler Bescheidenheit, warum der Glaser ausbleibe. »Ei zum Henker, man ist hier noch viel zu milde gegen dich!« giebt dieser ihm im brutalsten Tone zur Antwort. Ganz überrascht, sieht Dumouriez ihn starr an, um zu sehen, ob er etwa betrunken ist: er war es nicht. Er sagt ihm daher, daß er sich beklagen werde. Dieser rohe Patron wirft ihm Grobheiten ins Gesicht und geht dabei auf ihn los. Zwischen diesem Koloß und Dumouriez, der von kleiner Gestalt, aber kräftig und gewandt ist, war die Partie keine gleiche. In diesem Momente übermannt ihn der Zorn, er stürzt nach dem Feuer, ergreift ein brennendes Scheit und versetzt damit dem Schließer einen Schlag auf die Brust. Beide schreien gleichzeitig auf, die Wache kommt, er erlangt seine Kaltblütigkeit wieder und verlangt mit dem Schließer zum Stab geführt zu werden.

»Der Major hört ihn mit eisiger Kälte an und erwidert ihm, daß er unrecht gethan habe, einen königlichen Beamten zu schlagen, daß er seine Beschwerden hätte vorbringen sollen. – »Wie! mein Herr, sollte ich warten, bis er mich geschlagen hätte?« – »Das würde er nicht gewagt haben.« – »Zum Glück sind Sie hier nur Unterbeamter, Herr Major. Ich gehe nicht aus diesem Zimmer, bevor ich nicht den Gouverneur gesprochen habe.« – »Mir scheint, mein Herr, Sie wollen hier Befehle erteilen.« – »Keineswegs, aber ich empfange nur vom Gouverneur Befehle und weiß mir überall Achtung zu verschaffen.« – Die Invaliden verabscheuten den Major, ein Sergeant eilt weg und benachrichtigt Herrn de Jumilhac. In der Zwischenzeit hatte der Major dem Gefangenen befohlen, sich in sein Zimmer zurückzubegeben, dieser aber umklammerte den Tisch und schrie, er würde sich eher in Stücke reißen lassen. Der gutherzige Adjutant und die Invaliden suchten beide Parteien zu beruhigen.

»Jumilhac tritt ein, Dumouriez wirst sich in seine Arme und erzählt sein Abenteuer. Gleichzeitig bittet er ihn, anzuhören, was der Schließer zu seiner Rechtfertigung vorzubringen habe. Dieser räumt in seiner Dummheit ein, daß er mich mit Du angeredet habe. Der Gouverneur befiehlt in seiner Entrüstung dem Major, ihn zu kassieren. Der Bedauernswerte wirft sich ihm zu Füßen: er war Familienvater. Dumouriez bittet, ihn zu begnadigen. Der Gouverneur will ihn wenigstens ins Verließ gesteckt sehen: Dumouriez dringt in ihn, besänftigt ihn und erlangt eine völlige Begnadigung. Jumilhac versöhnt ihn mit dem Major, die Invaliden fassen eine noch größere Zuneigung für ihn, und Belot – das war der Name des Schließers – wurde der aufmerksamste Diener, den er je gehabt hat. Der Glaser kam noch am selben Tage.« Dumourez I, 323.

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