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V.
Der Verkehr zwischen den Gefangenen.

Das Werk Rennevilles, sowie die naiven Klagen und Bemerkungen Du Juncas (s. S. 398) gestatten keinen Zweifel darüber, daß es trotz aller Vorsichtsmaßregeln der Hüter den Gefangenen in früherer Zeit fortwährend gelang, einander sowohl schriftlich wie mündlich Nachrichten zukommen zu lassen. Man rief einander aus den Fenstern zu, sprach mit den Nachbarn durch Öffnungen, die man an der Decke und im Fußboden anzubringen wußte, und kritzelte kurze Notizen auf das irdene Tischgeschirr, das im Gefängnis die Runde machte und dabei gewiß hin und wieder die eine oder die andere Nachricht an die richtige Adresse gelangen ließ. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß in jener frühern Zeit sogar die bestbewachten Gefangenen, wie z. B. La Porte einer war, Mittel und Wege fanden oder erhielten, um mit ihren Schicksalsgenossen und selbst mit der Außenwelt in Verkehr zu treten.

»Der Kommandeur de Jars,« erzählt La Porte, »gewann den Diener eines Gefangenen Namens Abbé de Trois. Dieser Bursche, der sich Bois d'Arcy nannte, war nicht ohne Witz. Er dachte nach, was zu thun wäre, und fand kein Mittel kürzer, als die Gefangenen zu gewinnen, die über mir und in dem obersten Zimmer meines Turmes saßen. Der Zufall wollte, daß Bois d'Arcy gerade oben auf dem Turme, in welchem ich mich befand und hart an einer Kanonenlafette eine der großen Steinfliesen, mit denen die Terrasse gepflastert ist, an einer Ecke zerbrochen fand.

»Er benutzte den Augenblick, wo der Posten, der beständig auf dieser Terrasse auf und ab geht, sich am andern Ende derselben befand, hob das abgebrochene Stück der Fliese auf und hörte nun einige Bauern aus der Gegend von Bordeaux, die wegen des Bauernaufstandes im Gefängnis waren, miteinander reden. Den Blick unausgesetzt auf den Posten heftend, setzte er ihnen sein Verlangen auseinander, und sie versprachen ihm, ihm behilflich zu sein, denn alle Gefangenen hegen eine Nächstenliebe gegen einander, die man sich nicht vorstellen kann, und an die ich nie geglaubt haben würde, wenn ich sie nicht an mir selbst erfahren und nicht selbst geübt hätte. Diese Bauern machten oben an der Wölbung, die Bois d'Arcy wieder mit dem Steine bedeckt hatte, ein Loch, bohrten ein zweites durch ihren Fußboden und sprachen mit den Gefangenen, die unter ihnen saßen. Der eine von diesen war der Baron de Tusence, der andere ein gewisser Réveillon, der bei dem Marschall Marillac in Diensten gestanden hatte. Auch diese beiden erboten sich von Herzen gern zu dem, was man von ihnen verlangte: sie brachen ebenfalls ein Loch durch den Fußboden ihres Zimmers, unter welchem sich mein Verließ befand, bedeckten dasselbe mit dem Fuße ihres Tisches, und wenn sie hörten, wie mein Soldat die Thüren öffnete, um das Nachtgeschirr auf der Treppe auszuleeren, und daß ich also allein war, ließen sie mir an einem Faden die Briefe herab, welche die Bauern von Bois d'Arcy empfingen, dem der Kommandeur de Jars sie zustellte.

»Der erste Brief, den ich auf diesem Wege von dem Kommandeur erhielt, that mir zu wissen, daß einer von meinen Freunden mit ihm gesprochen habe. Derselbe wünsche zu wissen, wonach man mich in meinen Verhören gefragt habe. Auch habe er mir etwas zu sagen, was er mir mitteilen würde, sobald er wüßte, daß seine Briefe mir zukämen. Ich solle Vertrauen zu ihm haben, da er selbst ein Gefangener wäre, zu meinen eifrigsten Freunden gehöre und in Diensten meiner Herrin stehe. Zum Schluß warnte er mich, niemand zu trauen und alle Angestellten des Hauses für verdächtig anzusehen.

»In dieser letzten Beziehung gehorchte ich ihm nur zu sehr, denn er selbst war mir verdächtig: ich kannte seine Handschrift nicht und wußte also nicht, wer mir schrieb, da er aus Besorgnis, daß sein Brief mir nicht getreulich zu gestellt werden möchte, denselben nicht unterzeichnet hatte. Ich sollte antworten: aber ich hatte weder Tinte noch Papier; überdies befürchtete ich, es wäre das nur eine Finte, um mich zu fangen. Deshalb unterließ ich es.

»Zwei Tage später, als eben das Frühstück aufgetragen und mein Soldat zu seiner gewöhnlichen Verrichtung hinausgegangen war, sah ich ein zweites Billet herabkommen, das mich dringend zum Schreiben aufforderte und mich durch einige Andeutungen überzeugte, daß diese Briefe von guter Seite kämen. Als daher die Nacht angebrochen und mein Soldat eingeschlafen war, stand ich auf, stellte mich zwischen das Licht der Kerze und sein Gesicht, zerrieb Kohle und ein wenig Asche von verbranntem Stroh, feuchtete dies Gemengsel mit etwas Salatöl an, das vom Abendessen übrig geblieben war, und bereitete mir auf diese Weise eine Art Tinte. Dann schrieb ich mit einem zugespitzten Strohhalm auf einen Briefumschlag, den man in meiner Tasche hatte stecken lassen, und that zu wissen, daß man mich in den Verhören nach so vielen Dingen gefragt habe, daß ich unter den Umständen, in denen ich mich befände, nichts Näheres darüber mitteilen könnte, daß ich aber nichts gesagt hätte, was jemand nachteilig sein könnte, da ich nichts wüßte.

»Als die Gefangenen über mir meinen Soldaten hinausgehen hörten, riefen sie mir zu und ließen einen Faden mit einem kleinen Steine herab, den ich losknüpfte, um meinen schönen Brief anzuknüpfen, den sie dann zu sich in die Höhe zogen. Dieser Brief gab dem Kommandeur Gewißheit: er ersah daraus, daß ich seine Billets erhielt, und dies bewog ihn, sich nun deutlicher auszudrücken und sich mir zu erkennen zu geben. Er ließ mir Papier, Tinte und Federn zustellen, und zwar durch einen andern Gefangenen, der gelegentlich eines Besuchs, den er den Bauern machte, die Zeit abpaßte, wo meine Thür offen stand und mein Soldat seinen Dienst als Nachtstuhlträger versah, um mir geschickt jene Gegenstände zuzustecken, die ich dann in meinem Bette verbarg. Ich schrieb nun ganz gemächlich, und unser Verkehr dauerte fort.«

So weit La Porte, dessen Mitteilungen nicht bloß durch die Berichte Rennevilles, sondern auch durch ein Erlebnis Dumouriez' ihre Bestätigung erhalten.

Dumouriez war seiner Zelle überdrüssig geworden, man weigerte sich jedoch, ihm eine andere einzuräumen. »Sogleich beschäftigte er sich mit einem höchst sonderbaren Plane: nämlich sein Zimmer einzureißen. Die Mauern waren zu dick, als daß er sie, namentlich bei dem Mangel an jedem eisernen Werkzeuge, hätte angreifen können. Die Thüren waren mit eisernen Bändern und Platten beschlagen, die zu zerbrechen seine Kräfte überstieg; überdies wollte er auch den Schein vermeiden, als habe er einen Fluchtversuch gemacht. Er hatte aber bemerkt, daß der Boden seines Kamins, auf dem das Feuer ruhte, ein wenig eingesunken war. Dieser Boden bestand aus zwei dicken Steinplatten, die sich in der Mitte des Kamins über einem Balken zusammenschlossen, der infolge der ungemeinen Hitze verkohlt war, was dann eine Einsenkung veranlaßt hatte. Dumouriez kam zu dem Schlusse, daß in dem eingesunkenen Teile eine Höhlung vorhanden sein müsse.

»Eines Morgens oder vielmehr eines Nachts, denn es war erst zwei Uhr, hob er die an den Kaminboden stoßenden Fliesen des Fußbodens aus, erblickte den Balken und erkannte mit Freuden, daß er sich in seiner Vermutung nicht getäuscht hatte. Er schob nun das Feuer bei Seite, benutzte ein Scheit als Hebel, entfernte die Mörtelschicht, auf der die beiden dicken Steinplatten ruhten, arbeitete dann mit den Händen ein Loch in den Boden, und durch wiederholte Stöße gelang es ihm schließlich, die Decke des unter ihm befindlichen Zimmers einzuschlagen.

Diese ganze Arbeit dauerte kaum vier Stunden, verschaffte ihm aber einen schauerlichen Anblick: ein völlig nackter Mann von etwa fünfzig Jahren, mit ungemein langem, grauem Barte und gesträubtem Haar schleuderte ihm die Mörtelstücke zurück, die er hinabgeworfen hatte. Er versuchte mit dem Unglücklichen zu reden: derselbe war wahnsinnig. Später erfuhr er, daß der Bedauernswerte Eustache Farey, ein Edelmann aus der Picardie und ehemaliger Hauptmann beim Regiment Piemont war, der damals bereits zweiundzwanzig Jahre in der Bastille saß« ( Vie du général Dumouriez t. I, p. 334).

Dumouriez erreichte seinen Zweck: man wies ihm nach dieser Heldenthat ein anderes Gelaß an. Das von ihm gewählte Mittel aber beweist, daß die Herstellung einer Verbindung zwischen den einzelnen Bewohnern eines Turmes keine großen Schwierigkeiten bot.

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