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KK.
Der Mann mit der eisernen Maske.

Wie selbstverständlich, ist hier nicht der Ort zu einer ausführlichen Erörterung jenes historischen Rätsels, das unter dem Namen des Manns mit der eisernen Maske weit über den Kreis der Geschichtsforscher hinaus bekannt ist. Wir verweisen daher bezüglich der Einzelheiten auf ein besonderes Werk über diesen Gegenstand, das demnächst in der Universal-Bibliothek erscheinen wird, und beschränken uns an dieser Stelle auf einen kurzen Überblick.

Der Thatbestand ist folgender.

Am 8. April 1698 war dem ehemaligen Hüter Fouquets in Pignerol und derzeitigen Gouverneur der Inseln Sainte-Marguerite und Saint-Honorat, Bénigne d'Auvergne de Saint-Mars, die Stelle eines Gouverneurs der Bastille übertragen worden. Saint-Mars traf am 18. September 1698 in der Bastille ein, und Du Junca, der Platzkommandant des Schlosses, verzeichnet dies Ereignis in seinem Tagebuche mit folgenden Worten: Der Original-Text dieser Notizen Du Juncas ist bereits auf S. 401 mitgeteilt worden.

»Am Donnerstag, 18. September 1698, nachmittags 3 Uhr, ist Herr von Saint-Mars, Gouverneur der Bastille, von den Inseln Sainte-Marguerite und Honorat hier im Schlosse angelangt. Er führte in einer Sänfte einen alten Gefangenen mit sich, den er in Pignerol hatte, immer maskiert hält, und dessen Name nicht genannt wird. Nachdem er ihn beim Verlassen der Sänfte bis zur Nacht in das erste Zimmer des Turmes La Basinière hatte bringen lassen, habe ich selbst ihn um 9 Uhr abends mit Herrn von Rosarges, einem der Offiziere, die der Herr Gouverneur mitgebracht hat, für sich allein in das dritte Zimmer des Turmes La Bretaudière geführt, das ich einige Tage zuvor mit allem Gerät hatte ausstatten lassen, indem ich von Herrn von Saint-Mars Befehl dazu erhalten hatte. Dieser Gefangene wird von Herrn von Rosarges bedient und gehütet werden, und wird der Herr Gouverneur ihn beköstigen.«

Fünf Jahre später trug Du Junca folgenden Vermerk in sein Tagebuch ein:

»Am selben Tage, 19. November 1703, ist jener unbekannte, immer mit einer schwarzen Samtmaske versehene Gefangene, den der Gouverneur Herr von Saint-Mars bei seiner Ankunft von der Insel Sainte-Marguerite mitgebracht und schon seit langem in Verwahrung hatte, gegen 10 Uhr abends, nachdem er gestern nach Beendigung der Messe etwas unwohl geworden, verstorben, ohne daß er ernstlich krank gewesen wäre; es konnte nicht anders kommen. Herr Giraut, unser Hausprediger, hörte ihn gestern Beichte. Vom Tode überrascht, hat er die Sakramente nicht empfangen, aber unser Hausprediger hat ihn noch einen Augenblick vor seinem Ableben ermahnt, und ist der so lange Zeit festgehaltene unbekannte Gefangene am Dienstag, 20. November, nachmittags 4 Uhr auf dem Friedhofe unseres Kirchspiels Saint-Paul beerdigt worden. Im Totenregister symbol hat man ihm einen Namen beigelegt, der dem Herrn von Rosarges, Major, und Herrn Reil, Chirurgen, ebenfalls unbekannt war.

» symbol Ich habe seitdem erfahren, daß man ihn im Totenregister Herr von Marchiel genannt hatte und 40 Livres Beerdigungskosten bezahlt hat.«

Die Tagebücher Du Juncas blieben in den Archiven der Bastille begraben, und daher gingen auch die Angaben, welche Constantin de Renneville 1715 im ersten Bande seiner Geschichte der Bastille über einen geheimnisvollen Gefangenen machte, unbeachtet vorüber.

»Im Jahre 1705,« Falls Rennevilles Erzählung wirklich die eiserne Maske betrifft, so beruht die obige Jahreszahl entweder auf einem Irrtum des Autors oder auch auf einem bloßen Druckfehler (1705 für 1703). erzählt Renneville, »sah ich einen andern Gefangenen ... dessen Namen ich nie habe erfahren können. Ru der Schließer aber sagte mir ... daß er bereits 31 Jahre gefangen säße, und daß Herr von Saint-Mars ihn von der Insel Sainte-Marguerite mitgebracht hätte, wo er zu ewigem Gefängnis verurteilt war, weil er als elf- oder zwölfjähriger Schüler zwei Verse gegen die Jesuiten gemacht hatte ... Er verließ die Bastille 2 oder 3 Monate nachdem ich ihn in dem Saale gesehen hatte, in den ich aus Versehen zu gleicher Zeit mit ihm geführt worden war. Als die Offiziere mich eintreten sahen, ließen sie ihn schleunigst mir den Rücken zudrehen, was mich verhinderte, sein Gesicht zu sehen. Er war ein Mann von mittlerer Größe, aber ziemlich breitschultrig, und hatte sehr dichtes, krauses, schwarzes Haar, das noch keine Spuren des Alters zeigte.«

Schon in der Erzählung Rennevilles oder vielmehr des Schließers Ru, der natürlich nicht die volle Wahrheit sagen konnte, spielt das romantische Element eine Rolle, vollständig auf das romantische Gebiet aber wurde der maskierte Gefangene durch eine bezügliche Darstellung hinübergezerrt, die Voltaire Wenigstens sprechen alle Umstände dafür, daß Voltaire und kein anderer der Verfasser des anonym erschienenen Werkes ist. 1745 in den Denkwürdigkeiten zur persischen Geschichte, einer verkappten Schilderung der Zeit der Regentschaft, zum Besten gab.

»Cha-Abas« [Ludwig XIV.], heißt es in jenen Denkwürdigkeiten, »hatte einen legitimen Sohn, Sephi-Mirza« [der damalige Dauphin Ludwig], »und einen natürlichen Sohn Giafer« [der Graf von Vermandois, ein Sprößling der Lavallière]. »Beide waren von ziemlich gleichem Alter, aber von entgegengesetztem Charakter. Giafer ließ keine Gelegenheit vorübergehen, ohne die Bemerkung hinzuwerfen, er beklage die Perser« [Franzosen], »daß sie bestimmt seien, eines Tages einem Fürsten zu gehorchen, der so geistlos und so wenig würdig sei, sie zu beherrschen. Cha-Abas, dem dies Betragen hinterbracht wurde, empfand die Unangemessenheit desselben im vollen Umfange, aber die Liebe des Vaters siegte über die Autorität des Gebieters und der sonst so herrische Monarch war nicht imstande, einem Sohne zu imponieren, der seine Zärtlichkeit mißbrauchte. Schließlich vergaß Giafer sich eines Tages so weit, daß er Sephi-Mirza eine Ohrfeige gab. Cha-Abas wird sogleich davon in Kenntnis gesetzt. Er zittert für den Schuldigen, aber so gern er sich auch gestellt hätte, als wisse er nichts von diesem Attentate, erlauben doch die Pflichten gegen seine Krone und das Aufsehn, welches der Vorfall bei Hofe erregt hatte, ihm nicht, seiner väterlichen Liebe Gehör zu schenken. Er versammelt also, nicht ohne Selbstüberwindung, seine innigsten Vertrauten, offenbart ihnen seinen Schmerz und verlangt ihren Rat. In Anbetracht der Größe des Verbrechens und den Staatsgesetzen gemäß stimmen alle für die Todesstrafe. Welcher Schlag für einen liebenden Vater! Da bemerkt jedoch einer der Minister, dem der Kummer des Gebieters mehr zu Herzen geht als den übrigen, daß es ein Mittel gebe, Giafer zu bestrafen, ohne ihm gerade das Leben zu rauben: man müsse ihn zum Heere schicken, das damals an den Grenzen von Feldran« [Flandern] »stand; dort müsse gleich nach seiner Ankunft das Gerücht ausgesprengt werden, er sei von der Pest befallen, um alle die abzuschrecken und fernzuhalten, die ihn etwa besuchen möchten; nach einigen Tagen aber solle er für tot ausgegeben und dann, während vor den Augen des Heeres die seiner Geburt entsprechenden Leichenfeierlichkeiten abgehalten würden, in größter Stille und bei Nacht nach dem festen Schlosse der Insel Ormus« [Sainte-Marguerite] »geschafft werden. Dieser Rat fand die Billigung aller, namentlich aber des bekümmerten Vaters. Man wählt treue und verschwiegene Leute zur Leitung des Anschlags aus. Giafer geht mit einem prächtigen Gefolge zum Heere ab. Dort wird alles ausgeführt, wie es geplant war, und während man im Lager den Tod des unglücklichen Prinzen beklagt, wird derselbe auf Schleichwegen nach der Insel Ormus geführt und dem Kommandanten derselben übergeben, der schon im voraus von Cha-Abas den Befehl erhalten hatte, seinen Gefangenen niemandem zu Gesicht kommen zu lassen. Ein einziger Diener, der in das Geheimnis eingeweiht war, wurde mit dem Prinzen fortgeführt. Als er aber unterwegs starb, zerfetzten die Anführer der Escorte sein Gesicht mit Dolchstichen, um ihn unkenntlich zu machen, ließen den Leichnam, nachdem sie ihn zur größern Vorsicht hatten entkleiden lassen, auf der Straße liegen und setzten ihren Weg fort. Als Cha-Abas dem Gouverneur der Insel Ormus zum Lohne für seine Treue das Gouvernement der Citadelle von Ispahan« [die Bastille von Paris] » verlieh, wurde Giafer dorthin geschafft. Sowohl auf der Insel Ormus wie in der Citadelle von Ispahan gebrauchte man die Vorsicht, Giafer eine Maske anlegen zu lassen, wenn man einer Krankheit wegen oder aus sonst einer andern Ursache genötigt war, ihn den Blicken irgend jemands auszusetzen

Dieser Darstellung zufolge wäre also Louis von Bourbon, Graf von Vermandois und Admiral von Frankreich, der Gefangene des Turmes La Bertaudière gewesen. Der Graf von Vermandois war am 2. Oktober 1667 geboren, hatte 1669, nach dem Verschwinden des Herzogs von Beaufort, die Admiralswürde erhalten, erkrankte aber im Lager von Courtray und starb dort, erst sechzehn Jahre alt, in der Nacht vom 18. zum 19. November 1683 am Nervenfieber. Seine Leiche wurde am 25. desselben Monats in der Kathedrale von Arras beigesetzt. Diese Thatsachen waren bekannt und wurden auch schon in einem Artikel der Ordentlichen Bibliothek der europäischen Gelehrten vom Juni 1745 gegen den Verfasser der Geheimen Denkwürdigkeiten zur persischen Geschichte geltend gemacht, trotzdem aber traten der ältere Fréron und der Pater Griffet (s. weiter unten) der Hypothese des Anonymus bei, und noch 1789 wurde dieselbe in zwei kleinen Flugschriften, der Geschichte eines Königsohnes, welcher Gefangener in der Bastille war (Paris, Berry) und der Getreuen Zusammenstellung mehrerer in der Bastille gefundener Manuskripte, deren eines insbesondere die eiserne Maske betrifft (Paris, Girardin), von neuem vorgetragen, um dann allerdings für immer von der Bildfläche zu verschwinden.

Begreiflicherweise hatte der betreffende Abschnitt der Geheimen Denkwürdigkeiten ungemeines Aufsehen erregt, noch aber war niemand auf den Gedanken geraten, dem geheimnisvollen Gefangenen eine eiserne Maske anzudichten und ihn danach zu bezeichnen. Das zweifelhafte Verdienst, diese Bezeichnung erfunden zu haben, gebührt dem Chevalier von Mouhy, einem Freunde und Berufsgenossen des berüchtigten Chevalier von La Morlière. Mouhy (geb. 1701, gest. 1784) veröffentlichte 1746 unter dem Titel: Die eiserne Maske oder die seltsamen Abenteuer des Vaters und des Sohnes einen elenden Roman, in dessen Einleitung er zur Rechtfertigung des sonderbaren Titels verschiedene, angeblich der Geschichte entlehnte Fälle anführte, in denen einzelne Machthaber gefährliche Nebenbuhler durch Anlegung eiserner Masken unkenntlich und ungefährlich gemacht hätten. Der Gedanke an die Anwendung eines derartigen Mittels auch bei dem maskierten Gefangenen der Geheimen Denkwürdigkeiten lag so nahe, daß das Publikum ihn sofort aufgriff und den Unglücklichen als den Mann mit der eisernen Maske zu bezeichnen begann.

Mouhy erzählt in jener tollen Ausgeburt seiner Phantasie, wie ein Don Pedro de Christoval, Vice-König von Catalonien, sich heimlich mit der Schwester seines Königs vermählt, der König aber, durch Verrat in das Geheimnis eingeweiht, bei Nacht in das Schlafzimmer der Gatten dringt, um beide maskieren und auf eine wüste Insel schaffen zu lassen. »Bei seiner Abreise vom Hofe,« sagt Mouhy wörtlich, »hatte er sich mit zwei Masken versehen, deren Verschluß so kunstvoll hergestellt war, daß er weder geöffnet noch je das Gesicht des Maskierten von jemand erblickt werden konnte, ohne daß man denen, für welche sie bestimmt waren, das Leben hätte nehmen müssen.« Voltaire machte sich diese Darstellung zu nutze und dichtete dem Gefangenen eine Gesichtshülle an, »deren Kinnstück mit stählernen Springfedern versehen war, die ihm gestatteten, mit der Maske auf dem Gesicht zu essen.« Leynadier erweiterte dann diese Beschreibung in seiner um 1850 erschienenen Schauergeschichte Die eiserne Maske noch um einiges. »Das Gesicht des Gefangenen,« sagt er, »war mit einer eisernen und mit Springfedern ausgestatteten Maske bedeckt, die hinten mit einem versiegelten und so kunstvoll hergestellten Vorlegeschloß versehen war, daß der Gefangene es nicht öffnen konnte, ohne sich das Leben zu nehmen.« Die detaillierteste Beschreibung der vermeintlichen eisernen Gesichtshülle aber verdankt man einem deutschen Anonymus J. O. H., der in einer der Illustrierten Chronik der Zeit vom Jahre 1873 einverleibten »Erzählung« Die eiserne Maske folgende Schilderung zum Besten giebt: »Das Antlitz des Gefangenen war nicht zu sehen, da derselbe eine schwarze Maske trug, eine Maske von Eisenblech, die inwendig mit Seide gefüttert, außen mit schwarzem Samt belegt und übrigens so eingerichtet war, daß der Träger sie nicht nach Belieben ablegen konnte, denn schmale eiserne Charniere hielten sie fest am Kopfe, wo sich hinten am Halse im Mechanismus ein kleines künstliches Schloß befand, zu dem der Gouverneur des Kastells Sainte-Marguerite den Schlüssel beständig in der Tasche trug. Der obere Teil der Maske saß unbeweglich fest, die untere Partie derselben aber war so konstruiert, daß sie der Kinnladenbewegung freien Spielraum gestattete und sich mit bewegte, so daß die Larve dem geheimnisvollen Maskenmann beim Essen, Trinken und Sprechen eben nicht sehr beschwerlich fiel.« Schade, daß dieser Aufwand an Scharfsinn und Phantasie, um die Konstruktion der eisernen Vermummung zu erklären, so ganz zwecklos ist, da La Borde schon 1783 auf Grund der Angaben Linguets die Welt belehrt hat, daß die Maske nicht aus Eisen, sondern aus Samt gefertigt war, und das Tagebuch Du Juncas keinen Zweifel über diese Thatsache zuläßt.

Die Geheimen Denkwürdigkeiten hatten die Frage bezüglich des verlarvten Gefangenen angeregt, Voltaires Zeitalter Ludwigs XIV. machte dieselbe gewissermaßen zu einer brennenden, umsomehr, da der Autor mit seiner Lösung des Rätsels zurückhielt. Voltaire verlegte diesmal den Zeitpunkt der Einkerkerung des Manns mit der Maske auf »einige Monate nach dem Tode des Kardinals Mazarin,« also in das Jahr 1661, und gab auch das Todesjahr des Gefangenen richtig an; im übrigen aber beschränkte er sich auf eine Wiederholung der Angaben der Geheimen Denkwürdigkeiten mit dem Unterschiede, daß er den Grafen von Vermandois aus dem Spiele ließ.

Wie Voltaire sprachen auch Clément in seinen Litterarischen Neuigkeiten und La Beaumelle in den Bemerkungen über das Zeitalter Ludwigs XIV. sich nicht näher über die Person des Gefangenen aus. Der Abbé Lenglet-Dufresnoy dagegen trat 1754 in seinem Entwurf einer allgemeinen und besondern Geschichte der französischen Monarchie mit einer neuen Hypothese auf, der zufolge der Maskierte der Herzog von Beaufort gewesen sei, der heimlich auf Candia in Haft genommen und von dort nach der Insel Sainte-Marguerite geschafft worden wäre.

Der Herzog von Beaufort, wegen seiner Beliebtheit beim niedern Volke von Paris der König der Hallen genannt, war in hervorragender Weise an den Unruhen der Fronde beteiligt gewesen, hatte sich aber 1659 dem König unterworfen und von 1664 ab alle Expeditionen der französischen Flotte als Admiral geleitet. Als solcher führte er 1669 auch den Zug nach Candia, fiel aber dort angeblich am 25. Juni 1669 im Gefecht – angeblich, denn sein Leichnam ist nie gefunden worden und daher die Sage von seiner Gefangennahme durch die Türken nicht zur Genüge widerlegt. Wie dem aber auch sei, auf jeden Fall ist die Annahme Lenglet-Dufresnoys im höchsten Grade unwahrscheinlich, nicht bloß weil die heimliche Festnahme eines beliebten Führers inmitten seiner Truppen als unmöglich betrachtet werden muß, sondern auch weil der Herzog von Beaufort, geboren 1611, zweiundneunzig Jahre hätte alt werden müssen, um 1703 in der Bastille sterben zu können. Daher haben auch nur Lagrange-Chancel in Frérons Litterarischem Jahrbuch vom Jahre 1759 und der Geschichtschreiber Anquetil in seinem 1789 erschienenen Werke Ludwig XIV., sein Hof und der Regent diese Hypothese aufrecht zu erhalten versucht. Lagrange-Chancel berief sich dabei auf das Zeugnis des Herrn von La Motte-Guérin, der nach Saint-Mars das Kommando über das Staatsgefängnis auf der Insel Sainte-Marguerite erhalten und dem Satiriker versichert hatte, der Gefangene sei der Herzog von Beaufort gewesen, während man von anderer Seite noch den weitern Umstand hervorhob, daß der Name Marchiali, der dem Gefangenen vom Major Chevalier auf Blatt 120 des Gefangenenregisters der Bastille beigelegt wird, durch Umstellung die Worte Hic Amiral (Das ist der Admiral) ergiebt. Natürlich sind diese schwachen Stützen nicht imstande gewesen, der in Rede stehenden Hypothese Halt zu geben.

Inzwischen war aber bereits eine neue und noch weit gewagtere aufgetaucht. Der Streithahn Poullain von Saint-Foix veröffentlichte nämlich 1768 in Frérons Litterarischem Jahrbuch und im Encyklopädischen Journal zwei Artikel, in denen er einerseits den Ausführungen seiner Vorgänger eine gründliche Kritik und Widerlegung angedeihen ließ, andererseits aber selbst mit der wunderlichen Behauptung auftrat, unter der Maske sei der Herzog von Monmouth verborgen gewesen.

Der Herzog von Monmouth war 1649 in Rotterdam geboren und ein natürlicher Sohn Karls II. von England und seiner Geliebten Lucy Walters. Nach dem Tode seines Vaters und der Thronbesteigung Jakobs II. landete er mit geringer Mannschaft in England, um die Krone für sich in Anspruch zu nehmen. Nach wenigen kleinen Erfolgen aber wurde er bei Bridgewater geschlagen, auf der Flucht gefangen genommen und am 15. Juli 1685, morgens 10 Uhr, auf offenem Platze in London enthauptet. Obgleich die vollgültigsten Beweise für die thatsächliche Enthauptung des unglücklichen Prätendenten vorliegen, behauptete Saint-Foix der Geschichte wie der Wahrscheinlichkeit zum Trotz, Monmouth sei bei der Hinrichtung durch einen Doppelgänger ersetzt und sodann in aller Heimlichkeit nach Sainte-Marguerite geschafft worden, um dort als Staatsgefangener verwahrt zu werden. Er stützte sich dabei hauptsächlich auf eine Mitteilung des englischen Chirurgen Nelaton, der zufolge der Gefangene das Französisch mit fremdem Accente sprach, und bei der Hartnäckigkeit, mit der er seine Hypothese verfocht, gelang es ihm wirklich, obschon dieselbe keinen zweiten ernstlichen Verteidiger fand, seine Ansicht eine Zeitlang über Wasser zu halten, bis die spätern Veröffentlichungen ihre völlige Unzulässigkeit darthaten.

Bis dahin hatten alle in die Öffentlichkeit gedrungenen Angaben über die Maske auf bloßem Hörensagen beruht. Im Jahre 1769 aber teilte der Pater Henri Griffet, der neunzehn Jahre lang (1745-1764) Beichtvater in der Bastille gewesen war, endlich im dreizehnten Kapitel seiner Abhandlung über die verschiedenen Beweisführungen zur Feststellung der historischen Wahrheit Auszüge oder vielmehr Umschreibungen der oben angeführten Stellen des Du Juncaschen Tagebuches mit und fügte denselben noch den Totenschein des Gefangenen hinzu. Dieser Totenschein lautet nach Charpentier, der 1790 nochmals die Begräbnisliste der St. Paulskirche durchsehen ließ, in wortgetreuer Übersetzung:

»Auszug aus den Totenregistern der kgl. Pfarrkirche St. Pauli zu Paris.

Im Jahre tausendsiebenhundertdrei, am neunzehnten November, ist Marchialy, etwa fünfundvierzig Jahre alt, in der Bastille verschieden, und ist sein Körper am zwanzigsten besagten Monats auf dem Friedhofe dieser Pfarre in Gegenwart des Herrn Rosarges, Majors der Bastille, und des Herrn Reilh, Chirurgen der Bastille, die unterzeichnet haben, beerdigt worden.

Mit der Urschrift verglichen und ausgehändigt durch uns unterzeichneten Baccalaureus der Theologie und Vicar von St. Pauli.

Paris, am Dienstag, neunten Februar 1790.

Poitevin.«

Aber auch diese aktenmäßigen Feststellungen waren zunächst nur von geringem Nutzen, da sie keinen Anhalt zur Bestimmung des Zeitpunktes der Einkerkerung Marchiels oder Marchialys boten und somit der Mutmaßung immer noch den weitesten Spielraum ließen. Unter diesen Umständen gelang es daher auch dem ehemaligen Hauptmann Baron von Heiß in Pfalzburg, eine neue Hypothese auf die Scene zu bringen, die sich unter allen am längsten behauptet und noch heute ihre Anhänger hat.

Heiß fand in einer von Jacques Bernard in den Jahren 1685-1687 in Leyden herausgegebenen Zeitschrift Außerordentliche Nachrichten von verschiedenen Orten unter der Rubrik Mantua eine Korrespondenz vom August 1687 des Inhalts, daß der Herzog von Mantua [Karl Ferdinand] seine Hauptstadt an Frankreich habe verkaufen wollen, sein Sekretär ihn jedoch von diesem Vorhaben abzubringen gewußt habe; infolge dessen sei jener Sekretär auf Anstiften des französischen Gesandten am Hofe von Savoyen, des Marquis von Arcy, gelegentlich einer Jagdpartie in der Nähe von Turin durch eine Schar Reiter aufgehoben und vermummt ( déguisé) nach der Festung Pignerol geschafft worden; da aber Pignerol zu nahe an der italienischen Grenze liege, so habe man ihn von dort entfernt und befinde er sich zur Zeit [also im Jahre 1687] auf der Insel Sainte-Marguerite unter der Obhut des derzeitigen Gouverneurs jener Insel des Herrn von Saint-Mars.

Diesen Artikel der Außerordentlichen Nachrichten ließ nun Heiß 1770 im Encyklopädischen Journal abdrucken und knüpfte daran die Bemerkung, der ungenannte Sekretär sei der so lange gesuchte Mann mit der eisernen Maske.

Trotzdem die Unwahrscheinlichkeit dieser Annahme auf den ersten Blick in die Augen springen mußte, da bei einem Gefangenen, von dessen Verhaftung und Existenz wiederholt in öffentlichen Blättern und Flugschriften seiner Zeit die Rede gewesen war, eine Vermummung des Gesichts unmöglich von irgend welchem Nutzen sein konnte, so wurde die Hypothese des Barons von Heiß doch begierig aufgegriffen, namentlich nachdem eine Notiz der Leydener Zeitung vom Jahre 1786 ihr das unentbehrliche romantische Gepräge aufgedrückt hatte. »Man verheißt uns,« besagt die erwähnte Notiz, »höchst merkwürdige Mitteilungen über den Mann mit der eisernen Maske, die in Turin in der Bibliothek eines vor kurzem verstorbenen Edelmanns Dieser Edelmann war der 1782 in Turin verstorbene Marquis Pancaliès von Prie, unter dessen Papieren sich in der That eine Darstellung des Falls Mattioli vorgefunden hatte, die damals von italienischen Blättern veröffentlicht wurde und auch den Ausführungen Senacs de Meilhan zur Grundlage diente. gefunden worden sind, der sie von seinen Vorfahren erhielt. Es geht daraus hervor, daß jenes berühmte Opfer persönlichen Grolls Gerolami Magni, Premier-Minister des Herzogs von Mantua war, der sich sein Unglück dadurch zuzog, daß er das Augsburger Bündnis gegen Ludwig XIV. anzettelte oder wenigstens viel zum Zustandekommen desselben beitrug. Es gelang dem Marquis von Louvois, seinem Gebieter zu Gefallen diesen Minister, der noch in der Blüte seiner Jahre stand, durch Vermittlung des Gesandten in Turin entführen zu lassen. Man hob Magni eines Tages auf, als er auf der Jagd war, und um ihn für immer unkenntlich zu machen, sowie auch um jeder Reklamation vorzubeugen, kam man auf den Einfall, ihm eine eiserne Maske anzulegen.«

Zunächst nahm Louis Dutens 1789 im sechsten Briefe seines Aufgefangenen Briefwechsels und später nochmals in den Denkwürdigkeiten eines rastenden Reisenden die Heißsche Hypothese auf. Da er aber die Gestalt des Mannes mit der Maske überhaupt für eine Ausgeburt der Phantasie Voltaires ansah, so gab er auf Grund der Mitteilungen seines Freundes, des Abbé Barthélemy, völlig der Wahrheit gemäß an, daß der in Rede stehende Sekretär des Herzogs von Mantua auf der Insel Sainte-Marguerite gestorben sei und also nicht in die Bastille hatte geführt werden können.

Der Emigrant Gabriel Senac de Meilhan dagegen gab 1795 im zweiten Bande seiner Werke philosophischen und literarischen Inhalts der Heißschen Hypothese eine neue oder richtiger die alte Wendung. Er gab den wirklichen Namen des entführten Sekretärs, Ercolo Antonio Mattioli, und ebenso die nähern Umstände seines Vergehens und seiner Verhaftung an, hielt aber an der Ansicht fest, daß Mattioli nicht auf Sainte-Marguerite, sondern erst 1703 in der Bastille gestorben und somit der »alte Gefangene« des Du Juncaschen Tagebuches und der Marchialy des Totenscheins sei. Nach ihm vertraten diese Ansicht noch der preußische Kammerherr Baron Chambrier in einer der kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin überreichten Denkschrift vom 26. November 1795, ferner Roux-Fazillac in seinen durch aktenmäßige Mitteilungen ausgezeichneten Historisch-kritischen Untersuchungen über den Mann mit der eisernen Maske (1800), der Lotterie-Kommissar Reith in Turin, der eine reichhaltige Sammlung einschläglicher Dokumente zusammenbrachte, in dem 1802 vom Baron von Serrières veröffentlichten Wahren Schlüssel zur Geschichte des Mannes mit der eisernen Maske, Delort in seiner 1825 erschienenen Geschichte der Gefangenschaft der Philosophen und des Manns mit der eisernen Maske, dann 1831 Schlosser und Bercht im zweiten Bande des Archivs für Geschichte, Depping in seinem Werke Die administrative Korrespondenz Ludwigs XIV., Camille Rousset in der Geschichte Louvois', Ranke im dritten Bande seiner Französischen Geschichte im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert u. s. w.

Alle diese Untersuchungen und Darstellungen ergaben im großen und ganzen Folgendes. Mattioli, ein geborener Bologneser, stand in Diensten des Herzogs Karl Ferdinand von Mantua, der sich infolge seines luxuriösen Lebens in fortwährender Geldverlegenheit befand. Durch französische Emissäre und Spione erhielt Mattioli Kenntnis von der Absicht Ludwigs XIV., die finanzielle Bedrängnis des Herzogs zu benutzen und demselben die Festung Casale abzukaufen, und machte sich gegen klingenden Lohn zum Agenten Frankreichs bei seinem Gebieter. Nachdem Karl Ferdinand in den Verkauf gewilligt hatte, wurde Mattioli als Bevollmächtigter nach Paris geschickt und durch den Abbé von Estrades dem Könige vorgestellt. Am 8. Dezember 1678 wurde der Kaufvertrag in Versailles unterzeichnet und nebst der Kaufsumme sowie einem »Geschenk« im Betrage von hunderttausend Livres dem Bevollmächtigten zum Zwecke der Übermittlung an den Herzog zugestellt. Alle diese Verhandlungen waren in größter Heimlichkeit geführt worden, schon am 1. Januar 1679 aber kannte die Herzogin von Savoyen alle Einzelheiten des Vertrags: Mattioli hatte ihr uneingedenk des Geschenks von hunderttausend Livres das Geheimnis verkauft und verkaufte es in kürzester Frist noch zweimal, in Mailand und in Venedig; in gleicher Absicht schrieb er auch an die Kaiserin Eleonore von Österreich. Durch diese beispiellose Verräterei geriet nun aber der neuernannte Gesandte am Hofe von Turin, der oben erwähnte Abbé von Estrades, in eine höchst peinliche Lage, und in leicht begreiflichem Grolle beschloß er, an dem Urheber der ihm bereits widerfahrenen und noch bevorstehenden Unannehmlichkeiten ein Exempel zu statuieren. Noch bevor die königliche Genehmigung zu diesem Gewaltstreiche eingetroffen war, wurde daher auf sein Veranstalten Mattioli am 2. Mai 1679 aufgehoben und nach Pignerol geführt, wo er noch am selben Abend anlangte, und wohin ihm zwei Tage später sein auf ähnliche Weise eingefangener Diener folgte. Über das weitere Schicksal des Bolognesers hatte man keine Nachrichten, und die oben aufgeführten Autoren nahmen daher an, er sei seinem Hüter Saint-Mars 1681 nach dem Fort Exiles, 1687 nach der Insel Sainte-Marguerite, 1698 nach der Bastille gefolgt und dort endlich am 19. November 1703 gestorben: nur unter dieser Voraussetzung erblickten sie in Mattioli den Mann mit der Maske.

Ein neuerer Forscher, Marius Topin, hat nun 1869 in einem gehaltvollen Werke Der Mann mit der eisernen Maske diese Voraussetzung durch den Nachweis widerlegt, daß Mattioli nicht mit Saint-Mars nach dem Fort Exiles gekommen, sondern vom 2. Mai 1679 bis zu Anfang April 1694 in Pignorol verblieben ist. Trotz dieses befremdenden Umstands hielt jedoch Topin an der Hypothese Mattioli fest, da er nichts über den schließlichen Verbleib des Italieners ermitteln konnte. Erst 1873 ist dem Stabsoffizier Jung (s. weiter unten) der Nachweis gelungen, daß Mattioli in aller Wirklichkeit auf Sainte-Marguerite verstorben ist, wohin er, da Pignerol wegen der Übergabe an Savoyen geräumt werden mußte, mit seinem Diener geführt worden war. Jung stützt sich dabei hauptsächlich auf die Depesche des Ministers Barbezieux an Saint-Mars vom 10. Mai 1694, worin es heißt: »Ich habe Ihren Brief vom 29. des vergangenen Monats erhalten. Sie können, wie Sie es vorschlagen, den Diener des verstorbenen Gefangenen in das gewölbte Gefängnis bringen lassen« ... Da nämlich Mattioli am 15. oder 16. April auf Sainte-Marguerite eingetroffen war, da ferner von allen damaligen Gefangenen des Kerkermeisters der eisernen Maske nur er einen Diener besaß, und da endlich von dieser Zeit an sein Name nicht mehr in den Berichten vorkommt, so darf mit der größten Sicherheit angenommen werden, daß er etwa am 27. oder 28. April 1694 im Gefängnis verschieden ist. Damit ist aber der Hypothese des Baron von Heiß der Boden entzogen.

Mit Ausnahme des Grafen von Vermandois hatte keine der bis dahin unter der Maske gesuchten Personen der Familie Ludwigs XIV. angehört. Wir übergehen hier die Verdächtigungen, die gegen die Gemahlin Ludwigs XIV., gegen seine Schwägerin u. s. w. vorgebracht worden sind, und verweisen bezüglich dieser sowie einer nicht geringen Anzahl anderer Einzelheiten auf unsere besondere Abhandlung über die eiserne Maske. Im Jahre 1771 aber ließ endlich Voltaire im Philosophischen Wörterbuch seine bis dahin verhehlte Lösung des Rätsels durchblicken, und zwar deutete er an, der Mann mit der eisernen Maske sei ein im Ehebruch erzeugtes Kind Annas von Österreich gewesen. So ohne jeden Beweis hingeworfen diese Ansicht auch war, und so wenig die Daten aus dem Leben Annas und des Hüters der Maske sich mit derselben in Übereinstimmung bringen ließen, wagten doch der englische Kritiker Quentin Craufurd in seiner Geschichte der Bastille und der Geschichtsforscher Millin in einer 1790 der Nationalversammlung vorgelegten Denkschrift sich zu Aposteln derselben zu machen. Seitdem ist sie jedoch in der Form, in welcher der Philosoph von Ferney sie bot, nicht wieder aufgetaucht.

Dagegen suchten nun einige Schriftsteller, nachdem Voltaire einmal Anna von Österreich mit der Maske in Verbindung gebracht hatte, um jeden Preis nach einem Vater für den angeblichen Bastard. Die Verehrung Buckinghams für Anna war aus den Memoiren ihrer Zeit zur Genüge bekannt, man schrieb also ohne Bedenken dem englischen Herzog die Vaterschaft zu. Als Bahnbrecher in dieser Richtung trat der Marquis von Luchet in seinen Bemerkungen über die eiserne Maske auf, die 1783 im Journal für Laien erschienen. Luchet setzte die angebliche Geburt des Manns mit der eisernen Maske in das Jahr 1626 und berief sich bezüglich seiner Angaben auf ein Fräulein von Saint-Quentin in Chartres, eine ehemalige Geliebte des Ministers Barbezieux, von der sich jedoch keine Spur auffinden ließ, und über deren Aussagen selbst Charpentier sich kein beglaubigtes Aktenstück zu verschaffen wußte. Denn nach Luchet trat zunächst Charpentier, der umsichtige und sonst zuverlässige Verfasser der Enthüllten Bastille, in der neunten Lieferung seines Werkes für diese Hypothese ein, die dann Regnault-Warin 1804 zur Grundlage seines bekannten Romans machte, dem sogar ein Bildnis des Manns mit der eisernen Maske beigegeben war. Nachdem aber Dufey de l'Yonne 1834 in seinen Denkwürdigkeiten über die Bastille das Luchetsche Märchen in Form einer einfachen Erzählung nochmals aufgetischt hatte, versank dasselbe endlich ins Meer der Vergessenheit.

Nicht besser erging es einer andern Hypothese, die Saint-Mihiel 1791 in einem mit achtunggebietendem Scharfsinn durchgearbeiteten Werke Der wirkliche sogenannte Mann mit der eisernen Maske an die Öffentlichkeit brachte. Saint-Mihiel suchte auf Grund einiger Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans eine geheime Ehe zwischen Anna von Österreich und dem Kardinal Mazarin nachzuweisen, setzte die angebliche Geburt des maskierten Gefangenen in die letzten Monate des Jahres 1644 und ließ denselben kurze Zeit nach dem Ableben Mazarins, also im Jahre 1661, dem Saint-Mars zur Verwahrung übergeben werden. Da nun aber durchaus kein Grund einzusehen ist, der Ludwig XIV. zur Einkerkerung eines nachgeborenen Bruders hätte bestimmen können, so muß bei dem Mangel an jedem Beweise auch diese Mutmaßung verworfen werden.

Endlich versuchte auch noch Thümmel seine Phantasie nach dieser Richtung hin. Im fünften Teile seiner Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich machte er den Mann mit der eisernen Maske zu einem 1636 geborenen, also ältern Bruder Ludwigs XIV. und gab beiden Personen den Bruder Fiacre von Sainte-Marguerite, einen Barfüßermönch (geb. 1609, gest. 1684), zum Vater.

Die letzte Spielart der Annahme, daß der maskierte Gefangene ein Sohn Annas von Österreich gewesen sei, setzte der Abbé Soulavie in die Welt. Bevor wir jedoch auf dies Produkt der erhitzten Einbildungskraft eingehen, haben wir noch nachträglich einiger Veröffentlichungen zu gedenken, die von wirklichem Werte waren.

Linguet hatte in seinen Denkwürdigkeiten über die Bastille die eiserne Maske nicht erwähnt, aber er hatte die von ihm während seiner Haft gesammelten Nachrichten einem Freunde, dem Herrn von Laborde, mitgeteilt, der sie noch 1783 in Luchets Journal für Laien veröffentlichte. Es ergaben sich aus diesen Mitteilungen folgende Thatsachen:

»1. Der Gefangene trug keine eiserne, sondern eine Samtmaske, wenigstens während der Zeit, die er in der Bastille zubrachte.

»2. Der Gouverneur selbst bediente ihn und nahm seine schmutzige Wäsche in Empfang.

»3. Es war ihm nachdrücklichst verboten, auf dem Gange zur Messe zu reden und sein Gesicht zu zeigen. Die Invaliden hatten für diesen Fall Befehl, auf ihn zu schießen; ihre Flinten waren scharf geladen. Auch bemühte er sich sorglichst, sein Gesicht zu verbergen und zu schweigen.

»4. Als er tot war, durchsuchte man und verbrannte man alles.«

Weniger wertvoll waren wider Erwarten die Funde, welche die Erstürmung der Bastille zu Tage förderte. Das große Gefangenenregister wurde allerdings aufgefunden und nach dem Stadthause gebracht, doch war das Blatt 120, auf welchem der Mann mit der eisernen Maske eingetragen sein mußte, herausgeschnitten – wie sich später herausstellte, auf Befehl des Ministers Amelot, der 1775 alle auf die Maske bezüglichen Dokumente eingefordert hatte. Indessen gelangte eine Kopie dieses Blattes mit angehängten Bemerkungen des Majors Chevalier in die Hände Charpentiers, der diese Abschrift in seiner Enthüllten Bastille zum Abdruck brachte. Die Zusätze Chevaliers zu den bekannten Angaben über das Eintreffen und den Tod des unbekannten Gefangenen lauteten:

» Nota. – Dieser Gefangene ist in seiner Sänfte von Herrn von Saint-Mars, als derselbe, von den Inseln Sainte-Marguerite und Honorat kommend, vom Gouvernement der Bastille Besitz ergriff, in die Bastille gebracht worden, und hatte er ihn schon in Pignerol. Wir übersetzen wörtlich, so weit das ohne Nachteil für das Verständnis thunlich ist.

»Dieser Gefangene wurde vom Herrn Gouverneur mit großer Auszeichnung behandelt und nur von ihm und dem Herrn von Rosarges, Major genannten Schlosses, der ihn bediente, besucht. Er ist nur einige Stunden krank gewesen und wie unversehens gestorben; er wurde in einem Leichentuch von neuer Leinwand begraben, und ist überhaupt alles, was sich in seinem Zimmer befand, wie sein ganzes Bett mit Einschluß der Matratzen, Tisch, Stühle und anderes Zimmergerät verbrannt, zu Staub und Asche verwandelt und in die Latrinen geworfen worden; der Rest, wie Silberzeug, Kupfer und Zinn, ist eingeschmolzen worden.

»Dieser Gefangene war im dritten Zimmer des Turms Bertodierre untergebracht, welches Zimmer bis auf die nackten Steine abgekratzt und abgeschliffen und vom Boden bis zur Decke neu getüncht wurde; die Thüren, Bekleidungen und Fensterrahmen wurden wie das Übrige verbrannt. –

»Es ist dies der berühmte Mann mit der Maske, den niemand je gesehen ( sçu?) noch gekannt hat. Gestorben am 19. November 1703, im Alter von fünfundvierzig Jahren oder so ungefähr, begraben in St. Pauli am folgenden Tage um vier Uhr nachmittags unter dem Namen Marchiali, in Gegenwart des Herrn Rosarges, Major genannten Schlosses, und des Herrn Reilhe, Chirurgen der Bastille, die auf der Totenliste von St. Pauli unterzeichnet haben. Sein Begräbnis hat vierzig Livres gekostet. Dieser Gefangene ist fünf Jahre und zweiundsechzig Tage, den Tag seines Begräbnisses nicht mitgerechnet, in der Bastille geblieben.«

Dagegen gab Carra in seinen Historischen und authentischen Denkwürdigkeiten über die Bastille 1789 zum erstenmale die richtigen Daten über die Phasen der Gefangenschaft des Unbekannten an, indem er seiner Berechnung die wichtige Depesche des Ministers Barbezieux an Saint-Mars vom 13. August 1691 zu Grunde legte: »Ihr Brief vom 26. vergangenen Monats ist mir zugestellt worden. Wenn Sie mir etwas von dem Gefangenen zu melden haben, der seit zwanzig Jahren unter Ihrer Obhut ist, so bitte ich dieselben Vorsichtsmaßregeln zu gebrauchen, die Sie anwandten, wenn Sie solche Mitteilungen an Herrn von Louvois machten.« Auf Grund dieses Aktenstücks setzte Carra im Anschluß an die ihm ebenfalls bekannten Daten aus dem Leben des Saint-Mars die Einkerkerung des geheimnisvollen Gefangenen in das Jahr 1671, die Überführung desselben nach dem Fort Exiles in das Jahr 1681, die Versetzung nach der Insel Sainte-Marguerite in das Jahr 1687 und die Übersiedlung nach der Bastille in das Jahr 1698. Freilich ließ er sich dadurch nicht abhalten, sich zu Gunsten des zu derselben Zeit auftauchenden Märchens des Abbé Soulavie auszusprechen, das allerdings auch den sonst so nüchternen Chamfort zu dem Ausspruche hinriß: »So ist denn dies Geheimnis, das die allgemeine Neugier so lebhaft anregte, endlich enthüllt!«

Jean Louis Giraud Soulavie war Sekretär des Herzogs von Richelieu gewesen. Nach dem Tode des Herzogs fühlte er sich dem Geiste seiner Zeit gemäß verpflichtet, Memoiren desselben herauszugeben, und so erschienen denn 1789-1793 die Denkwürdigkeiten des Marschalls von Richelieu zur Geschichte der Höfe Ludwigs XIV., der Regentschaft und der Regierung Ludwigs XV. Im dritten Bande dieser Memoiren brachte Soulavie seine Hypothese über die eiserne Maske vor, und zwar unter der Form einer Denkschrift, die der Marschall angeblich durch Fräulein von Valois dem Regenten abgeschwindelt haben sollte. Dies würdige Seitenstück zu den abenteuerlichen Ausgeburten der Phantasie des Chevalier von Mouhy lautet wie folgt:

»Bericht
über die Geburt und die Erziehung des unglücklichen Prinzen, der von den Kardinälen Richelieu und Mazarin der Gesellschaft entzogen und auf Befehl Ludwigs XIV. eingekerkert wurde.

Verfaßt von dem Erzieher dieses Prinzen auf dem Sterbebette.

»Der unglückliche Prinz, den ich erzogen und bis zum Ende meiner Tage unter meiner Obhut gehabt habe, wurde während des Soupers des Königs am 5. September 1638 um 8½ Uhr abends geboren. Sein Bruder, der jetzt regierende König, war um 12 Uhr mittags während des Diners des Königs geboren worden. Aber so glänzend und prunkvoll die Geburt des Dauphins war, so traurig und sorglich versteckt war die seines Bruders, denn der König hatte auf die Mitteilung der Hebamme, daß die Königin noch ein zweites Kind gebären würde, den Kanzler von Frankreich, die Hebamme, den ersten Hofprediger, den Beichtvater und mich in ihrem Zimmer bleiben lassen, damit wir Zeugen der Vorgänge und seiner Bestimmungen wären, falls ein zweites Kind geboren würde.

»Schon seit langem war der König durch Prophezeiungen benachrichtigt worden, daß seine Frau zwei Söhne zur Welt bringen würde, denn mehrere Tage zuvor waren Hirten nach Paris gekommen und hatten die Behauptung aufgestellt, Gott habe ihnen diese Weissagung eingegeben, so daß in Paris das Gerede ging, es würde das größte Unglück für den Staat sein, wenn die Königin mit zwei Dauphins niederkäme, wie es vorhergesagt worden. Der Erzbischof von Paris, der die Wahrsager zu sich berief, ließ beide, weil das Volk sich darüber beunruhigte, in Saint-Lazare einsperren, was dem König viel zu denken gab wegen der Unruhen, die er in seinem Staate zu befürchten hatte.

»Sei es, daß die Gestirne den Hirten Kunde gegeben hatten, sei es, daß die Vorsehung Se. Majestät vor dem Unglück warnen wollte, das Frankreich treffen konnte – kurzum, die Prophezeiung der Hirten erfüllte sich.

»Der Kardinal, den der König durch einen Boten von der Prophezeiung in Kenntnis gesetzt hatte, hatte geantwortet, daß man daran denken müsse, daß die Geburt zweier Dauphins keine Unmöglichkeit wäre, und daß man in diesem Falle den zweiten sorgfältig verbergen müsse, weil er in Zukunft König werden, um einer zweiten Ligue Halt zu geben seinen Bruder bekämpfen und regieren wollen könnte.

»Der König litt in dieser Ungewißheit, und die Königin, die ein lautes Geschrei ausstieß, ließ uns eine zweite Niederkunft fürchten. Wir ließen den König rufen, der in dem Vorgefühle, daß er Vater zweier Dauphins werden würde, beinahe rücklings zu Boden gesunken wäre. Er wandte sich an Se. Hochwürden den Bischof von Meaux, den er gebeten hatte, der Königin beizustehen, mit den Worten: »Verlassen Sie meine Gemahlin nicht, bis sie entbunden ist. Ich bin in tödlicher Unruhe darüber.«

»Gleich darauf rief er uns, den Bischof von Meaux, den Kanzler, den Herrn Monerat, die Hebamme Frau Peronnette und mich, zusammen und sagte uns in Gegenwart der Königin, so daß diese es hören könnte: »Sie haften mit Ihrem Kopfe dafür, wenn Sie die Geburt eines zweiten Dauphins an die Öffentlichkeit bringen. Es ist mein Wille, daß seine Geburt zur Vermeidung des Unglücks, das daraus entspringen könnte, ein Staatsgeheimnis bleibe, da das salische Gesetz keine Bestimmung für den Fall einer Geburt zweier ältester Söhne des Königs enthält.«

»Die Weissagung erfüllte sich, und die Königin genaß während des Soupers des Königs von einem Dauphin, der noch artiger und zarter war als der erste, aber unaufhörlich weinte und schrie, als ob er es bereits bereue, daß er in ein Leben eingetreten sei, in welchem er später so viele Leiden zu erdulden haben sollte.

»Der Kanzler setzte das Protokoll über diese wunderbare, in unserer Geschichte einzig dastehende Geburt auf. Da aber Se. Majestät dies erste Protokoll nicht für gut erachtete, verbrannte sie es in unserer Gegenwart und ließ dann noch mehrere Male ein neues anfertigen, bis sie es nach ihrem Geschmacke fand. Der Herr Hofprediger versuchte Sr. Majestät vorzustellen, daß sie die Geburt eines Prinzen nicht verhehlen dürfe, der König aber erwiderte ihm, daß politische Gründe dafür vorhanden seien.

»Dann hieß uns der König unsern Eid unterzeichnen. Zuerst unterzeichnete der Kanzler, sodann der Herr Hofprediger, danach der Beichtvater der Königin und zuletzt ich. Auch von dem Chirurgen und der Hebamme, welche die Königin entband, wurde der Eid unterzeichnet, und dann legte der König das Dokument zu dem Protokoll, das er mit sich nahm, und von dem ich nie wieder habe reden hören.

»Ich erinnere mich noch, daß Se. Majestät sich mit dem Kanzler über die Eidesformel unterhielt und lange Zeit sehr leise mit ihm sprach.

»Danach wurde der Hebamme die Sorge für das letztgeborene Kind übertragen, und sie hat mir erzählt, daß man ihr, da man stets besorgte, sie möchte zuviel über dessen Geburt ausplaudern, häufig mit dem Tode gedroht habe, wenn sie sich einfallen ließe, zu schwatzen. Sogar uns Zeugen der Geburt dieses Kindes wurde ausdrücklich verboten, unter uns darüber zu reden, unter welchem Vorwande es auch sei.

»Noch hat keiner von uns seinen Eid verletzt, denn Se. Majestät fürchtete nichts so sehr als den Bürgerkrieg, den die beiden gleichzeitig geborenen Kinder nach ihrem Hingange erregen konnten. Später, als der Kardinal sich der Oberaufsicht über die Erziehung des Kindes bemächtigte, erhielt er den König stets in dieser Furcht.

»Der König befahl uns auch, den unglücklichen Prinzen, der eine Warze oberhalb des linken Ellbogens, einen gelben Flecken auf der rechten Seite des Halses und aus dem rechten Schenkel eine kleinere Warze hatte, genau zu betrachten. Er wurde dazu durch die Absicht bestimmt, im Falle des Ablebens des Erstgeborenen dies Königskind, das er in unsere Obhut gab, an dessen Stelle treten zu lassen. Zu diesem Zwecke verlangte er unsere Unterschrift zu dem Protokoll, ließ es in unserer Gegenwart mit einem kleinen königlichen Handsiegel versehen, und wir unterzeichneten es nach seinem Befehle.

»Von den Hirten, die diese Geburt verkündet hatten, habe ich nie mehr reden hören. Allerdings habe ich mich auch nicht nach ihnen erkundigt. Der Herr Kardinal, der die Sorge für das geheimnisvolle Kind übernahm, mag sie vielleicht in ein fremdes Land geschickt haben.

»Was die Kinderjahre des zweiten Prinzen anlangt, so behandelte zunächst die Frau Peronnette ihn wie ein eigenes Kind, das jedoch für den Bastard irgend eines großen Herrn jener Zeit galt, da es bei der Pflege, die sie ihm angedeihen ließ, und den Ausgaben, die sie machte, nicht schwer zu erraten war, daß er ein reiches und geliebtes, wenn auch verleugntes Kind sei.

»Als der Prinz ein wenig größer war, ließ der Herr Kardinal Mazarin, dem nach dem Herrn Kardinal von Richelieu die Erziehung übertragen wurde, ihn mir zum Unterricht übergeben und erzog ihn wie ein Königskind, aber im Verborgenen.

»Die Frau Peronnette setzte mit großer Anhänglichkeit an ihn, die er in noch höherm Grade erwiderte, ihre Funktionen bei ihm bis zu ihrem Tode fort. Der Prinz ist in meinem Hause in Burgund mit all der Sorgfalt unterrichtet worden, die dem Sohne und Bruder eines Königs gebührt.

»Während der Unruhen in Frankreich hatte ich häufig Unterredungen mit der Königin-Mutter, und Ihre Majestät schienen zu fürchten, daß, wenn je die Geburt dieses Kindes bei Lebzeiten seines Bruders, des jungen Königs, bekannt würde, einige Mißvergnügte dies als Vorwand zur Empörung nehmen würden, weil mehrere Ärzte meinen, daß der letztgeborene von zwei Zwillingen der zuerst empfangene und folglich von Rechtswegen König ist.

»Indessen konnte diese Befürchtung die Königin niemals dazu bewegen, die schriftlichen Beweise für seine Geburt zu vernichten, weil sie beabsichtigte, im Falle eines Unglücks oder des Todes des jungen Königs seinen Bruder als Herrscher anerkennen zu lassen, obgleich sie noch ein anderes Kind hatte. Sie hat mir wiederholt gesagt, daß sie jene Dokumente sorgfältig in ihrer Kassette aufbewahre.

»Ich habe dem unglücklichen Prinzen eine Erziehung angedeihen lassen, wie ich sie für mich selbst wünschte, und die anerkannten Söhne der Fürsten genießen keine bessere. Alles was ich mir vorzuwerfen habe, ist das, daß ich den Prinzen wider meinen Willen ins Unglück gestürzt habe.

»Man höre, wie.

»Mit neunzehn Jahren bezeigte er ein eigentümliches Verlangen, zu erfahren, wer er eigentlich sei, und da er sah, daß ich entschlossen war, es ihm zu verschweigen, indem ich mich unerschütterlich zeigte, wenn er mich mit Bitten bestürmte, beschloß er, fortan seine Neugier zu verhehlen und mich auf den Glauben zu bringen, als hielte er sich für meinen leiblichen, einer illegitimen Liebe entsprossenen Sohn. Oft, wenn er mich seinen Vater nannte und wir allein waren, erklärte ich ihm, daß er sich täusche. Aber ich bekämpfte dies Gefühl nicht ferner bei ihm, das er vielleicht nur erkünstelte, um mich zu täuschen. Denn er suchte nichtsdestoweniger nach Mitteln, um zu erfahren, wer er eigentlich sei.

»Zwei Jahre waren verflossen, als eine bedauerliche Unvorsichtigkeit von meiner Seite, die ich mir mein Lebelang zum Vorwurf machen werde, ihm verriet, wer er sei. Er wußte, daß der König mir seit einiger Zeit Boten sandte, und unglücklicherweise ließ ich die Kassette offen stehen, in der sich die Briefe der Königin und der Kardinäle befanden. Er las einen Teil und erriet den andern mit seinem gewöhnlichen Scharfsinn. Später hat er mir gestanden, daß er mir den bezeichnendsten Brief über seine Geburt entwendet habe.

»Ich erinnere mich, daß auf die Freundschaft und Achtung für mich, in der ich ihn erzogen hatte, ein verdrießliches und barsches Benehmen folgte. Ich konnte jedoch den Grund dieser Veränderung anfangs nicht erraten, da es mir niemals einfiel, daß er meine Kassette durchstöbert haben könnte, und er mir auch niemals die Mittel hat angeben wollen, die er dazu benutzte. Vielleicht haben einige Arbeiter ihm dabei geholfen, die er nicht hat nennen wollen, vielleicht hat er auch andere Mittel gehabt.

»Eines Tages jedoch beging er die Unvorsichtigkeit, mich um ein Porträt des Königs Ludwig XIII. und des regierenden Königs zu bitten. Ich erwiderte ihm, die vorhandenen Porträts seien so schlecht, daß ich warten wolle, bis ein Künstler bessere hergestellt hätte, um sie mir dann anzuschaffen.

»Auf diese Antwort, die ihn nicht befriedigte, folgte die Bitte, ihn nach Dijon reisen zu lassen. Nachher erfuhr ich, daß er dort ein Bild des Königs hatte besichtigen und sich dann an den Hof, der wegen der Hochzeit mit der Infantin in Saint-Jean-de-Luz weilte, hatte begeben wollen, um sich dort mit seinem Bruder zu vergleichen und zu sehen, ob er demselben ähnlich sei.

»Ich hatte Kenntnis von einem Reiseplan von seiner Seite und verließ ihn nicht mehr.

»Der junge Prinz war damals schön wie Amor, und Amor hatte ihm auch zur Erlangung eines Bildnisses seines Bruders die besten Dienste geleistet. Seit einigen Monaten hatte er an einer jungen Wirtschafterin im Hause Geschmack gefunden, und er schmeichelte ihr so sehr und gefiel ihr so gut, daß sie ihm trotz meines Verbotes an die Dienerschaft, ihm ohne meine Erlaubnis irgend etwas zu geben, ein Bild des Königs zustellte.

»Der unglückliche Prinz erkannte ihn, und er konnte das sehr wohl, da beide sich dergestalt ähnlich sahen, daß ein und dasselbe Porträt für beide genügt hätte. Dieser Anblick brachte ihn in eine solche Wut, daß er mit den Worten zu mir stürzte: »Das da ist mein Bruder! ... Und hier sehen Sie, wer ich bin!« setzte er hinzu, indem er mir einen Brief des Kardinals Mazarin zeigte, den er mir entwendet hatte.

»Das war die Erkennungsscene.

»Die Furcht, der Prinz möchte entfliehen und sich bei der Hochzeit des Königs einfinden, erregte bei diesem Ereignis großes Entsetzen in mir. Ich sandte einen Boten an ihn, um ihn von der Eröffnung meiner Kassette in Kenntnis zu setzen und um neue Verhaltungsbefehle zu bitten. Der König ließ mir seine Befehle durch den Kardinal zugehen, und diese Befehle bestanden darin, daß wir beide bis auf Weiteres eingeschlossen werden sollten, wobei ihm zu verstehen gegeben wurde, daß seine Anmaßung die Ursache unseres gemeinschaftlichen Unglücks wäre.

»Ich habe mit ihm zusammen in unserm Gefängnis gelitten bis zu dem Augenblicke, wo ich annehme, daß der überirdische Richter mir das Urteil zum Verlassen dieser Welt gesprochen hat.

»In diesem feierlichen Augenblicke kann ich meiner Ruhe und meinem Zögling eine Art Erklärung nicht versagen, die ihm die Mittel bieten würde, dem schmählichen Zustand, in welchem er sich befindet, zu entrinnen, falls der König ohne Kinder sterben sollte. Kann ein erzwungener Eid zum Schweigen über unglaubliche Begebenheiten verpflichten, die auf die Nachwelt kommen müssen? Mag Gott, vor dem ich zu erscheinen im Begriff stehe, mein Richter sein.«

Es ist fast unbegreiflich, wie dies verworrene Gemengsel handgreiflicher Unwahrscheinlichkeiten und offenbarer Unrichtigkeiten überhaupt ernstliche Beachtung finden konnte, noch unbegreiflicher aber ist, daß Männer wie Carra (s. oben), Chamfort in einem 1790 im Französischen Mercur abgedruckten Artikel, Später scheint Chamfort sich jedoch mehr der Ansicht Saint-Mihiels zugewandt zu haben. Man vergleiche darüber unser besonderes Werk über die eiserne Maske. Dulaure 1821 in seiner Geschichte von Paris, Sismondi in seiner Geschichte der Franzosen, Levasseur 1835 im dritten Bande der Denkschriften für Alle, Michelet in seiner Französischen Geschichte u. s. w. sich zu Aposteln dieser ebenso schlecht erfundenen wie schlecht durchgeführten Fabel machen konnten. Sehr begreiflich ist es dagegen, daß die Belletristen sich der ergiebigen Erfindung bemächtigten. Cubières von Palmezeaux benutzte dieselbe bereits in seiner 1789 erschienenen Reise zur Bastille, Arnould und Fournier und ebenso Heinrich Zschokke schrieben danach ihre Trauerspiele Der Mann mit der eisernen Maske, der ältere Dumas verwob sie in seinen Roman Der Vicomte von Bragelonne, Letourneur und nach ihm Leynadier spannen sie zu romantischen Schauergeschichten aus u. s. w. u. s. w. Wenn man in irgend einem Unterhaltungsblatte auf einen Artikel mit der Überschrift Die eiserne Maske stößt, darf man beinahe immer überzeugt sein, es mit einem Nachkömmling der Soulavie'schen Fabel zu thun zu haben.

Das Jahr 1789 brachte aber noch eine andere Hypothese in Sicht, die allerdings erst fünfzig Jahre später ihren wahren Vertreter fand. Schon Gourville in seinen Denkwürdigkeiten und Voltaire im Zeitalter Ludwigs XIV. hatten die Vermutung ausgesprochen, daß der Oberintendant der Finanzen Fouquet nicht 1680 im Gefängnis zu Pignerol gestorben sei. Nun brachte 1789 eine Flugschrift: Der enthüllte Mann mit der eisernen Maske, nach einer in den Papieren der Bastille gefundenen Notiz die Mitteilung, ein Besucher des zerstörten Schlosses habe dort außer andern Papieren auch eine Karte aufgerafft, die folgendes enthalte: »Die Nummer 64 389 000 und danach die Notiz: Fouquet, mit einer eisernen Maske von der Insel Sainte-Marguerite kommend. Dann drei XXX, und darunter Kersadion.« Diese Mitteilung blieb damals unbeachtet, im Jahre 1836 aber nahm der Bibliophile Jacob (Paul Lacroix) die darin ausgesprochene Hypothese wieder auf und verteidigte sie in einem gehaltvollen und geistreich geschriebenen Werke, Der Mann mit der eisernen Maske, das 1840 in Paris erschien. Die Hauptaufgabe Jacobs bestand in dem Nachweise, daß für das Ableben Fouquets in Pignerol keine hinlänglichen Beweise vorhanden seien, dieser Nachweis aber ist ihm mißglückt, denn die Depeschen des Saint-Mars an Louvois und die Antworten des Ministers lassen keinen Zweifel darüber, daß Fouquet am 23. März 1680 in Pignerol verschieden ist. Damit aber fallen all die scharfsinnigen und geistreichen Ausführungen des Bibliophilen in nichts zusammen.

Gleich unumstößliche und vernichtende Beweise liegen gegen eine andere Hypothese vor, die gleichfalls schon um 1790 besprochen wurde, von ihrem Urheber, dem Chevalier von Taulès, aber erst 1825 in dem Werke Über die eiserne Maske oder Widerlegung des Werkes des Herrn Roux-Fazillac der Öffentlichkeit übergeben ward. Taulès glaubte die Lösung des Rätsels in einem Abschnitte der handschriftlich vorhandenen Memoiren des Marquis von Bonnac gefunden zu haben, der mehrere Jahre Gesandter in Konstantinopel gewesen war.

»Eine der außerordentlichsten Begebenheiten,« erzählt Bonnac, »die sich während der Gesandtschaft des Herrn von Ferriol zutrugen, und die hier nicht übergangen werden darf, ist die Entführung Avediks, des Patriachen der schismatischen Armenier.

»Dieser Patriarch war ein Todfeind unseres Glaubens und der Anstifter der grausamen Verfolgung, welche die katholischen Armenier erduldet hatten. Mit Hilfe des Geldes fanden diese jedoch Mittel und Wege, ihn ins Exil zu bringen. Als dies auf den Rat des Jesuitenpaters Braconnier in Konstantinopel und durch Vermittlung des Paters Tarrillon, gleichfalls eines Jesuiten, der sich in Chios befand, geschehen war, kamen sie auf den Gedanken, um sich jenes Mannes für immer zu entledigen, müsse der Beamte, der beauftragt war, ihn ins Exil zu führen, bewogen werden, auf der Höhe von Chios eine französische Barke aufzusuchen, die den Patriarchen nach Frankreich bringen sollte, wo man ihn in ein Gefängnis stecken würde, aus dem es kein Entrinnen für ihn gäbe. So sonderbar dies Unternehmen erscheint, wurde es doch durch den Vicekonsul in Chios, den Sieur Bonnal, sehr gut durchgeführt. Avedik traf in Frankreich ein und wurde zuerst nach der Insel Sainte-Marguerite und von dort nach der Bastille geführt, wo er gestorben ist.

»Da seine Anhänger aber keine Nachricht von ihm bekamen, drangen sie auf den Beamten ein, der mit seiner Fortführung betraut worden war, und nachdem der Groß-Vezier ihn hatte foltern lassen, gestand derselbe, daß Avedik in Chios auf einer französischen Barke eingeschifft worden wäre. Man schickte nun einen Oberbeamten nach Chios, um den Konsul zu verhören. Dieser aber verteidigte sich wacker, und obschon die Sache zu verschiedenen Malen wieder zur Sprache gebracht wurde, hatte sie doch keine weitern Folgen und scheint mit der Länge der Zeit völlig eingeschlafen zu sein.«

So weit Bonnac. Taulès nahm nun an, die Entführung Avediks habe 1698 stattgefunden, der Aufenthalt des Patriarchen auf der Insel Sainte-Marguerite sei auf wenige Tage beschränkt gewesen, er sei dann sogleich nach der Bastille geführt worden und dort 1703 gestorben. Dem gegenüber ist aber bereits von Charpentier und in ausführlichster Weise 1869 von Topin an Hand der Berichte des Gesandten Ferriol, des Ministers Pontchartrain und des Oberpolizei-Direktors d'Argenson dargethan worden, daß Avedik erst 1706 nach Frankreich gelangte, daß man ihn zunächst im Kloster Mont-Saint-Michel gefangen hielt, daß er von dort erst 1709 nach der Bastille gebracht wurde und erst am 21. Juli 1711 in Paris starb. Er kann also unmöglich der maskierte Gefangene sein, der am 20. November 1703 auf dem Friedhofe von St. Pauli beerdigt und als Marchiali in das Totenregister eingetragen wurde.

Abgesehen von der Ausbildung der Hypothesen Mattioli und Fouquet trat nach 1790 eine Art Erschöpfung ein. Überdies lehrte die Arbeit Roux-Fazillacs, daß etwas mehr als bloße Einbildungskraft von nöten sei, um das Rätsel zu lösen. Der Elsässer Weill im siebenundzwanzigsten Bande von Michauds allgemeiner Biographie (1820), der Pfortenser Professor Jacob in Theodor Mundts Litterarischem Zodiacus (1836) und Louvet in der Encyklopädie für Laien (1842) beschränkten sich daher auf eine Übersicht über den Stand der Frage, ohne sich bestimmt für die eine oder die andere Hypothese auszusprechen. Dasselbe that Bellecombe in einer, gut geschriebenen Studie, die im Mai 1868 in der Zeitschrift Der Forscher abgedruckt wurde.

Erst 1867 und dann nochmals 1869 trat Loiseleur in der Zeitgenössischen Revue mit einer neuen Mutmaßung auf, die allerdings auch schon 1785 von Bouche in seiner Abhandlung über die provençalische Geschichte, damals aber ohne jede Spur einer Begründung, ausgesprochen worden war. Loiseleur glaubte aus einer Depesche Louvois' an Saint-Mars vom 20. September 1681 schließen zu dürfen, daß dem letztern um jene Zeit ein neuer Gefangener zugegangen sei, von dem jede weitere Spur fehle. Jene Depesche hat aber inzwischen durch die Nachforschungen Topins und Jungs ihre Erklärung gefunden, die dahin geht, daß der angebliche neue Gefangene Nicolas de Catinat war, der sich im September 1681 insgeheim in Pignerol aufhielt, um den erneuerten Versuch der Besitznahme von Casale zu leiten.

Schon durch die Werke Roux-Facillacs und Delorts und mehr noch durch die Arbeit Topins hatte inzwischen das aktenmäßige Material zur Geschichte der eisernen Maske eine bedeutende Erweiterung erfahren. Bevor wir daher zu den letzten Lösungsversuchen übergehen, seien hier die wichtigsten unter jenen Aktenstücken in chronologischer Ordnung wiedergegeben.

Am 11. Mai 1681 schrieb Louvois an den Kriegskommissar Duchaunoy in Pignerol: »Da das Gouvernement von Exiles durch den Tod des Herrn Herzogs von Lesdiguières erledigt worden, so hat der König es Herrn von Saint-Mars verliehen, und da Se. Majestät zwei von den Gefangenen, die unter seiner Obhut stehen, dorthin versetzt zu sehen wünscht, damit sie dort in derselben Sicherheit seien wie in Pignerol, so ist es der Wille Sr. Majestät, daß Sie sich mit besagtem Herrn von Saint-Mars nach Exiles begeben, um den Zustand der Örtlichkeiten, wo sie untergebracht werden können, sowie die zur Herstellung einer vollständigen Sicherheit erforderlichen Reparaturen in Erwägung zu ziehen, über deren Kosten Sie mir einen Anschlag zugehen lassen wollen, wobei streng darauf zu achten, daß darin nur von den Quartieren jener beiden Gefangenen die Rede sein darf, und daß Sie dieselben in keiner Weise in der Eingabe über den gegenwärtigen Zustand der Wohnung des Gouverneurs von Exiles oder über die etwa daran erforderlichen Reparaturen erwähnen dürfen

Vom nächsten Tage (12. Mai 1681) datiert ein ebenfalls auf die Übersiedlung nach Exiles bezügliches Schreiben Louvois' an Saint-Mars: »Ich habe dem König Ihren Brief vom 3. dieses Monats vorgelegt, worauf Se. Majestät ... für gut befunden hat, Ihnen das durch den Tod des Herzogs von Lesdiguières erledigte Gouvernement von Exiles zu verleihen, wohin er diejenigen von den unter Ihrer Obhut stehenden Gefangenen versetzen zu lassen gedenkt, die er für wichtig genug hält, um sie keinen andern als Ihren Händen anzuvertrauen ...

»Ich beauftrage den Sieur Duchaunoy, mit Ihnen die beiden Gebäude in Exiles in Augenschein zu nehmen und einen Anschlag über die Reparaturen zu machen, die für die Unterbringung der beiden Gefangenen des Unterturms ( tour d'en bas), die, wie ich glaube, die einzigen sind, welche Se. Majestät nach Exiles bringen lassen wird, unbedingt notwendig sind. Senden Sie mir eine Aufstellung über alle Ihnen anvertraute Gefangene und bemerken Sie mir, so weit Sie Kenntnis davon haben, am Rande die Gründe, aus welchen sie in Haft genommen worden sind. Was die beiden Gefangenen des Unterturms anlangt, so brauchen Sie dieselben nur mit diesem Namen zu bezeichnen, ohne jeden weitern Zusatz

Louvois an Saint-Mars am 9. Juni 1681: »Es ist der Wille Sr. Majestät, daß Sie, sobald die Örtlichkeit, die Sie in Exiles zur sichern Verwahrung der beiden Gefangenen des Unterturms für geeignet befunden haben, zu deren Aufnahme in Stand gesetzt ist, dieselben unverzüglich in einer Sänfte aus der Citadelle von Pignerol wegbringen und unter dem Geleit Ihrer Compagnie, für deren Marsch die Ordres beiliegen, fortführen lassen.«

Saint-Mars an den Abbé von Estrades am 25. Juni 1681: » Ich werde« [in Exiles] » zwei Amseln zu bewachen haben, die hier in Pignerol sind und nur die Herren vom Unterturm heißen. Mattioli wird mit zwei andern Gefangenen hier bleiben« ...

Am 15. Oktober 1681 waren die beiden wichtigen Gefangenen in Exiles angelangt und untergebracht.

Am 23. Dezember 1685 berichtet Saint-Mars an Louvois: » Meine Gefangenen sind fortwährend krank und in der Kur. Im übrigen verhalten sie sich sehr ruhig.«

Am 9. Januar 1686 bemerkt Louvois seinem getreuen Schergen: »Ihren Brief vom 26. vergangenen Monats habe ich erhalten. Ich antworte darauf nur, um Ihnen zu sagen, daß Sie mir denjenigen von Ihren Gefangenen, der von der Wassersucht befallen ist, hätten namhaft machen sollen

Am 8. Januar 1687 teilt er Saint-Mars mit, daß der König ihn zum Gouverneur von Sainte-Marguerite ernannt habe und empfiehlt ihm abermals die größte Sorgfalt in der Bewachung der Gefangenen an, von denen der eine allerdings nichts mehr von dieser Empfehlung zu befürchten hatte, wie Louvois' Schreiben vom 13. Januar zeigt:

» Ich habe Ihren Brief vom 5. dieses Monats erhalten und daraus ersehen, daß einer von Ihren Gefangenen gestorben ist. Auf Ihren Wunsch, eine andere Gouverneurstelle zu erhalten, gehe ich nicht weiter ein, da Sie inzwischen benachrichtigt sind, daß der König Ihnen ein bedeutenderes Gouvernement mit gesunder Luft gewährt hat, worüber ich mich mit Ihnen freue des Anteils wegen, den ich an allem nehme, was Sie betrifft.«

Einer der beiden Gefangenen war also am 4. Januar 1687 gestorben, Saint-Mars war zum Gouverneur der Insel Sainte-Marguerite ernannt worden, und es handelte sich nun um die Übersiedelung des andern »Gefangenen des Unterturms« nach dem einsamen Eilande.

Saint-Mars an Louvois am 20. Januar 1687: »Ich werde so entsprechende Befehle zur Bewachung meines Gefangenen erteilen, gnädiger Herr, daß ich Ihnen für seine völlige Sicherheit bürgen und sogar bezüglich der Unterhaltung einstehen kann, denn ich habe ihn stets verhindert, eine solche mit meinem Lieutenant anzuknüpfen, dem ich auch untersagt habe, je mit ihm zu reden, was pünktlich befolgt wird. Wenn ich ihn nach der Insel führe, würde das sicherste Gefährte, wie ich glaube, eine mit Wachsleinwand verdeckte Chaise sein, so daß er Luft genug hätte, ohne daß jemand ihn unterwegs sehen oder mit ihm reden könnte, nicht einmal die Soldaten, die ich zur Begleitung der Chaise auswählen werde, welche weniger mißlich sein würde als eine Sänfte, die oftmals zerbricht

Louvois an Saint-Mars am 26. Januar 1687: »Bezüglich der Art der Überführung des Gefangenen, überläßt es der König Ihnen, sich der auf die vorgeschlagene Weise verschlossenen Chaise oder auch jeder andern zu bedienen, vorausgesetzt daß Sie die Verantwortung dafür übernehmen.«

Louvois an Saint-Mars am 6. April 1687: »Es steht dem nichts entgegen, daß Sie den Chevalier von Chézut das Gefängnis, welches er inne hat, räumen lassen, um Ihren Gefangenen daran unterzubringen, bis das Gelaß, welches Sie für ihn herstellen lassen, zu seiner Aufnahme fertig ist

Saint-Mars an Louvois am 3. Mai 1687 (von der Insel Sainte-Marguerite aus): »Ich bin am 30. vergangenen Monats hier angelangt. Ich bin nur zwölf Tage unterwegs geblieben, weil mein Gefangener krank war, da er, wie er sagte, nicht soviel Luft hatte, als er wohl gewünscht hätte. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, gnädiger Herr, daß niemand auf der Welt ihn gesehen hat, und daß infolge der Art und Weise, in der ich ihn während der ganzen Reise bewacht und transportiert habe, jeder zu erraten sucht, wer mein Gefangener sein könne

Saint-Mars an Louvois am 8. Januar 1688: » In der ganzen Provinz hier sagt man, mein Gefangener sei der Herzog von Beaufort; andere sagen, er sei der Sohn des verstorbenen Cromwell

Barbezieux (Louvois war am 16. Juli 1691 gestorben) an Saint-Mars am 17. November 1697: »Sie haben bezüglich aller derer, die Ihrer Obhut anvertraut sind, kein anderes Verfahren zu beobachten, als beständig über ihre Sicherheit zu wachen, ohne irgend jemand, sei es, wer es sei, mitzuteilen, was Ihr alter Gefangener macht

Barbezieux an Saint-Mars am 15. Juni 1698: »... Se. Majestät hat mit Vergnügen gesehen, daß Sie sich entschlossen haben, nach der Bastille zu kommen, um die Gouverneurstelle zu übernehmen. Sie mögen alle Vorbereitungen treffen, damit Sie, sobald ich Ihnen Nachricht gebe, bereit sind, abzureisen und Ihren alten Gefangenen in aller Sicherheit mitzunehmen

Barbezieux an Saint-Mars am 19. Juli 1698: »Der König befindet für gut, daß Sie unter Beobachtung aller Vorsichtsmaßregeln, damit er von niemand gesehen noch erkannt werde, mit Ihrem alten Gefangenen von der Insel Sainte-Marguerite zur Bastille aufbrechen. Sie können im voraus an Sr. Majestät Lieutenant im Schlosse der Bastille schreiben, daß er ein Zimmer bereit halte, um diesen Gefangenen unterbringen zu können

Pontchartrain an Saint-Mars am 3. November 1698: »Der König befindet für gut, daß Ihr provençalischer Gefangener jedesmal, wenn Sie es für angebracht halten, beichte und das Abendmahl empfange

Die mitgeteilten Depeschen stellen es völlig außer Zweifel, daß 1681 zwei Gefangene, die im sogenannten untern Turm oder Unterturm ( tour d'en bas) der Citadelle von Pignerol eingekerkert waren, von Saint-Mars unter ganz besondern Vorsichtsmaßregeln nach Exiles geführt wurden, und daß der eine von diesen beiden in Exiles am 4. Januar 1687 starb, während der andere, eben der, aus welchem die Phantasie der Menge den Mann mit der eisernen Maske gemacht hat, mit seinem Kerkermeister zunächst nach der Insel Sainte-Marguerite und sodann nach der Bastille übersiedelte, wo er nach den Aufzeichnungen Du Juncas am 19. November 1703 verschied und am folgenden Tage unter dem Namen Marchiel oder Marchialy beerdigt ward. Dabei lassen jedoch alle jene Befehle und Berichte den Namen, die persönlichen Verhältnisse und das Verbrechen dieses Unglücklichen völlig im Dunkeln und somit der Forschung noch viel zu thun übrig. Und bereits haben auch zwei Koryphäen auf dem Gebiete der archivalischen Forschung, der Stabsoffizier Th. Jung und der Bibliothekar François Ravaisson, eine neue Lösung des Rätsels versucht.

Jung ist bei seinen Untersuchungen, deren Resultate er 1873 in einem in jeder Hinsicht wertvollen Werke Die Wahrheit über die eiserne Maske niedergelegt hat, von dem richtigen Gedanken ausgegangen, daß Näheres über den geheimnisvollen Gefangenen des Unterturms in erster Linie durch das Studium aller auf das Staatsgefängnis in Pignerol bezüglichen Akten und durch die schärfste Kontrolle über das Woher und Wohin aller dem Saint-Mars überlieferten Personen zu ermitteln sein müsse. Auf diesem Wege ist er zu dem Resultate gelangt, daß Saint-Mars während seines Aufenthaltes in Pignerol vom Januar 1665 bis zum Oktober 1681 im Ganzen 43 Gefangene in die Citadelle aufnahm, unter denen sich einer befindet, bei dem alle von der Maske bekannten Einzelheiten zuzutreffen scheinen. Dieser bemerkenswerte Gefangene war den weitern Feststellungen Jungs zufolge der lothringer Reiteroberst Chevalier von Armoises oder Harmoises (Hermoises), der sich aber auch die Namen La Tour, Marchall, Marechall oder Marcheuille, Chevalier von Kiffenbach und Louis von Oldendorf beilegte und jedenfalls einem der gleichnamigen, in Lothringen ansässigen Adelsgeschlechter entstammte. Der Chevalier von Armoises gehörte zur großen Zahl jener Abenteurer, die im sechsten und siebenten Jahrzehnt des siebzehnten Jahrhunderts als Spione, Verschwörer, Giftmischer und Falschmünzer über Frankreich, England, Holland, Deutschland, Italien und Spanien verbreitet waren, und deren Verbindungen, wie die Prozesse Roux von Marsilly, Brinvilliers, Rohan u. s. w. ergaben, bis in die höchsten Kreise hinaufreichten. Er war vielgereist, sprach mehrere Sprachen und führte ein ziemlich üppiges Leben, dessen Kosten er aus Mitteln bestritt, über deren Herkunft nichts bekannt ist. Zu Ende des Jahres 1672 hielt er sich in Paris auf, und dort wurde augenscheinlich der Plan zu einem Attentate gegen Ludwig XIV. entworfen, in den auch hochgestellte Personen eingeweiht gewesen zu sein scheinen, denn nach der Verhaftung des Chevaliers, durch welche Le Tellier und Louvois die Fäden des Komplots in die Hände bekamen, trugen mehrere hohe Persönlichkeiten plötzlich eine sehr persönliche Stimmung gegen Vater und Sohn zur Schau. Dieser Umstand macht es auch erklärlich, weshalb Louvois den Hochverräter nicht vor Gericht stellte, sondern in sichern Verwahrsam gab: er behielt auf diese Weise immerfort eine furchtbare Waffe gegen seine Feinde in Händen. Im Dezember 1672 kehrte Harmoises von Paris nach seinem Hauptwohnsitze Brüssel zurück, um seine Genossen zu sammeln, und brach dann mit ihnen am 27. März 1673 auf, um auf Schleichwegen nach Frankreich hinüberzukommen. Louvois wurde jedoch von seinen Spionen und Agenten vortrefflich bedient, und als die Verschwörer in der Nacht vom 28. zum 29. März bei Péronne über die Somme zu setzen suchten, wurde ihr Anführer am jenseitigen Ufer von einem im Hinterhalte liegenden Trupp Soldaten vom Pferde gerissen, gefesselt und nach Péronne geführt. Von Péronne schaffte man ihn ungesäumt nach Paris und in die Bastille, wo er mit dem Namen Le Froid bezeichnet worden zu sein scheint, und ein Jahr später führte man ihn maskiert in einer verschlossenen Sänfte aus der Bastille nach Pignerol ab, wo er am 10. April 1674 anlangte und im sogenannten Unterturm untergebracht wurde. Seine weitern Schicksale bis zu seinem Tode in der Bastille am 19. November 1703 sind bekannt.

Diese Jungsche Lösung des Rätsels würde unantastbar sein und jeder weitern Hypothese von vornherein den Boden entziehen, wenn ausgemacht wäre, erstens daß der Sieur Le Froid der Bastille identisch ist mit dem in der Nacht des 28. März 1673 bei Péronne verhafteten Louis von Oldendorf oder Chevalier von Harmoises, und zweitens daß Saint-Mars während seines Aufenthaltes in Pignerol nur die von Jung aufgeführten 43 Personen zur Verwahrung überwiesen erhalten hat. Dies letztere aber scheint noch keineswegs über jeden Zweifel erhaben und hat Ravaisson Veranlassung gegeben, 1879 in der Einleitung zum neunten Bande seiner Urkunden der Bastille eine neue Möglichkeit anzudeuten.

Ravaisson entdeckte in einer Art Tageskalender des Marine-Ministeriums eine eigenhändige Notiz Colberts, der zufolge dieser Minister zu Ende des Jahres 1669 einen Befehl erteilte, einen Gefangenen unter sicherer Bedeckung von Toulon nach Pignerol zu schaffen. Da jene Notiz den Eindruck machte, als solle sie dem Schreiber einzig als mnemotechnisches Hilfsmittel dienen, ohne einem Dritten Aufschluß zu gewähren, so folgerte Ravaisson nicht mit Unrecht, daß jener Gefangene von besonderer Wichtigkeit gewesen und die Geheimhaltung der Angelegenheit durch besondere Umstände geboten worden sein müsse. Da die Ordre vom Marine-Minister ausgegangen war, so mußte der Gefangene zur Marine in Beziehung gestanden haben: Ravaisson setzte daher seine Nachforschungen nach dieser Richtung hin fort und gelangte dabei zu folgenden Ergebnissen. Der angeblich am 25. Juni 1669 im Gefecht erfolgte Tod des Herzogs von Beaufort ist keineswegs sicher beglaubigt, vielmehr lassen nicht wenige Umstände darauf schließen, daß der Herzog von den Türken an jenem Tage gefangen genommen wurde. Andere Umstände lassen nun aber erkennen, daß man von einer Rückkehr des Herzogs am Hofe nicht sehr erbaut gewesen sein würde, sondern daß den Leitern der Staatsgeschäfte sein Verschwinden sehr gelegen kam. Daher suchte und wußte auch das Ministerium jedem etwaigen Vorschlage der türkischen Regierung bezüglich einer Auslösung der Gefangenen aus dem Wege zu gehen. Es ist aber sehr annehmbar, daß ein solcher Vorschlag bereits von dem türkischen Befehlshaber auf Candia gemacht worden ist, und daß dieser sich dabei vielleicht eines mit dem Herzog in Gefangenschaft geratenen Flottenoffiziers als Vermittlers bediente. Dieser Offizier hat von den in die Pläne des Hofes eingeweihten Nachfolgern Beauforts im Oberbefehle sehr leicht auf einem Schiffe in Haft genommen und nach Toulon geschafft werden können, wo dann eine Militär-Eskorte ihn in Empfang nahm, um ihn nach Pignerol zu bringen. Auch auf die Frage nach dem Namen jenes Offiziers hat Ravaisson eine Antwort gefunden. Eine Liste über das Marinepersonal jener Zeit hat ihm Aufschluß gegeben, daß ein junger Offizier, der die Stelle, eines Flügeladjutanten bei dem Herzog von Beaufort bekleidete, im Laufe des Sommers 1669 angeblich an Bord verstorben ist. Dieser Offizier hieß Keroualze und war ein Bruder der berüchtigten Herzogin von Portsmouth, der Geliebten Karls II. von England.

Eine Kritik der beiden zuletzt skizzierten Hypothesen über den Mann mit der eisernen Maske würde die Grenzen unserer Darstellung weit überschreiten; wir verweisen in dieser Hinsicht auf unsere eingangs erwähnte besondere Schrift über diesen Gegenstand. Zum Schluß nur noch die Bemerkung, daß die Lösung des Rätsels vielleicht gar nicht dort zu finden ist, wo man sie sucht, nämlich in den französischen Archiven, sondern daß sie vielleicht mit den Papieren der Bastille, welche der Pole Dombrowski an Alexander II. verkaufte, in der Kaiserlichen Bibliothek zu Petersburg vergraben liegt.

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