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Schluß.

Ich bin es müde, noch länger die Farben an diesem düstern Gemälde aufzutragen, obgleich sie noch bei weitem nicht erschöpft sind. Ich habe hier nur erzählt, was ich selbst erlebt habe, oder was ich mitteilen konnte, ohne die Quellen bloßzustellen, denen ich diese Kenntnis verdankte. Was für ein Bild würde es also geben, wenn ich alles enthüllte, wovon ich durch vertrauliche Eröffnungen oder durch unbedachtsame Mitteilungen oder durch meinen Scharfblick Kenntnis erlangt habe, durch jenen Scharfblick, den das Unvermögen, sich anders zu zerstreuen als durch die Erforschung der ihn umgebenden Geheimnisse, die man ihm verhehlen will, dem Geiste eines Gefangenen verleiht?

Während des Drucks dieser Denkwürdigkeiten ist mir ein Buch zugegangen, das denselben Stoff behandelt und Über die Lettres-de-cachet u. s. w. betitelt ist. Es thut mir leid, daß sich der Verfasser des Werkes nicht genannt hat, weil dasselbe dadurch weniger glaubwürdig erscheint. Es deckt die Geheimnisse des Donjon von Vincennes auf, ganz wie das vorliegende die Mysterien der Türme der Bastille aufdeckt. Man mag beide Werke miteinander vergleichen, und vielleicht werden wir in dieser Weise mit der Zeit die Geschichten der zwanzig und einige Bastillen erhalten, die Frankreich einschließt, oder vielmehr die Frankreich einschließen.

Alle diese Werke werden die Betrachtung rechtfertigen, mit der unser trauriges Gemälde beginnt, eine Betrachtung, auf die man eine gerechte Regierung, in deren Interesse und Absicht es nicht liegt, grausam zu sein, nicht oft genug verweisen kann. Was ist denn der Zweck dieser Geheimniskrämerei, dieser Unergründlichkeit, dieser Barbarei, welche diese sogenannten königlichen Gefängnisse auszeichnet? Sollte nicht gerade deshalb, weil hier alles unmittelbar im Namen des Königs geschieht, alles ein ganz besonderes Gepräge der Milde oder wenigstens der Gerechtigkeit tragen? Die Härte ist hier an keine einleitende Formalität gebunden, auch der Milde sollten daher keine engern Schranken gezogen sein.

Selbst wenn diese Gefängnisse tatsächlich mit wirklichen Staatsverbrechern oder doch Menschen angefüllt wären, die mit Recht in dem Verdachte stehen, an gefährlichen Komplotten beteiligt gewesen zu sein, so müßte man doch wenigstens die der Menschlichkeit geziemenden Rücksichten gegen diese beobachten, wenigstens so lange, bis sie völlig überführt wären. Verlieren wir doch den köstlichen Grundsatz nicht aus den Augen, der sich in der Erklärung vom 30. August ausgesprochen findet, vergessen wir nie diese Huldigung, die der Wahrheit von der Güte dargebracht ward: Jede, wenn auch Schuldigen im Verborgenen auferlegte Strafe ist zum mindesten unnütz! Was aber ist, in der Sprache der Gerechtigkeit, eine unnütze Strafe? Und mit welchem Namen soll man diese unnützen Strafen belegen, wenn sich herausstellt, daß sie nur Unschuldige treffen?

Nichts ist aber, um es nochmals zu sagen, in diesen Staats-Gefängnissen, diesen Staats-Folterkammern, diesen Staats-Marterstätten seltener zu finden als Staats-Verbrecher. Wenn die zwanzig oder-dreißig Kerker, die in Frankreich diesen fürchterlichen Namen führen, wenn der Regen von Lettres-de-cachet, der sie mit Bewohnern füllt, wirklich immer nur zur Bestrafung von Rebellen, zur Vereitlung von Revolten dienten, so müßte Frankreich ausschließlich mit Catilinas bevölkert sein. Das Land in der Welt, wo das Joch mit der größten Willigkeit ertragen wird, müßte also vorzugsweise das Land der Verschwörungen und eine Rebellen-Höhle sein, eine Annahme, die ebenso absurd wie schändlich ist.

Wenn man nun aber die Bastillen nicht mit Verbrechern speist, mit was für Leuten werden sie dann gefüllt? Gegen wen sind diese Anstalten gerichtet, durch die sie so furchtbar werden? Für wen sind diese Kerker bestimmt, deren Stille nur durch Seufzer unterbrochen wird, und von denen der Schrecken wachsam alles fern hält, was die Verzweiflung davon fern halten könnte? O Gott! muß ich es sagen? Für friedliche Familienväter, für tadellose Bürger, für ehrenhafte Thaten, denen die Regierung vielleicht eine Belohnung schuldig wäre.

Will man von tausenden ein Beispiel dafür? Wir führen den Fall des Sieur de Bure an, den wir bereits in den Annalen, Band III, S. 239, mitgeteilt haben. Der Sieur de Bure war ein in seinem Berufe ausgezeichneter Buchhändler. Seine Familie hat seit hundert Jahren vom Vater auf den Sohn mit Ehren diesen nützlichen Handel betrieben, der, wenn dabei Gewissenhaftigkeit und Einsicht sich verbinden, jeder Aufmunterung würdig ist. Er selbst war Vorsteher seiner Genossenschaft.

Der Landesherr hält es für zweckmäßig, eine neue Einrichtung bei dieser Körperschaft einzuführen: ein Gesetz verordnet, daß gewisse Bücher gestempelt, d. h. mit einem gewissen Zeichen versehen werden müssen, das ihnen gewisse Rechte sichern sollte. Bis hierher ging alles vortrefflich, wenigstens für die, denen dieser Stempel viel Geld eintragen mußte.

Ein besonderer Befehl aber schärft nun dem Sieur de Bure ein, daß er selbst diese Stempelung vorzunehmen, daß er sich zum Handlanger, zum Vollstrecker dieser Operation herzugeben habe. Er erblickt darin den sichern Ruin mehrerer Familien und der ganzen Genossenschaft, deren Vorsteher er ist; er glaubt, sein Gewissen wie seine Ehre fordere, daß er dies Ansinnen ablehne; er bietet seine Entlassung an, damit das Amt, das ihm widerstrebt, ohne Aufsehen in willigere Hände übergehen könne.

Seine Entlassung wird nicht angenommen. Zwei-, dreimal wiederholt man den unglückverkündenden Befehl: Stemple oder – – Er beharrt bei seiner Weigerung, das Oder wird in Ausführung gebracht, man setzt ihn in die Bastille. Und das ist nun ein Staatsverbrecher!

*


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