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Linguets Leben und Schriften.

Acer et indomitus libertatisque magister,
Cretice, perluces.

Juvenal

»Ich bin ohne Vermögen geboren und schäme mich dessen nicht. Als Sohn eines geachteten und verfolgten Mannes, den ich zum Unglück schon in meinem zartesten Alter verlor, habe ich von meinem Vater nichts geerbt, als seinen Namen und sein Schicksal. Wie Aeneas hätte er in seiner Sterbestunde zu mir sagen können:

Disce puer virtutem ex me verumque laborem,
Fortunam ex aliis.

Auf irgend eine Weise in die Thorheiten des Jansenismus verwickelt und Augenzeuge, ich weiß nicht wie, eines Wunders des seligen Diakons, wurde er ein Märtyrer des exilierenden Despotismus ( despotisme exileur), wie sein Sohn ein Märtyrer des kassierenden Despotismus ( despotisme rayeur) geworden ist. Er verlor infolge dessen seine Stelle an der Universität zu Paris, ließ sich in Rheims nieder, heiratete dort, und so bin ich gewissermaßen unter den Auspizien einer Lettre-de-cachet geboren worden.«

Mit diesen Worten leitete Linguet eine Darstellung des vom Pariser Parlemente gegen ihn angewandten Verfahrens ein, und man muß gestehen, daß selten jemand mehr berechtigt war, sein Dasein für eine fast ununterbrochene Kette von Widerwärtigkeiten zu erklären, als er. Und damit nicht genug: auch noch nach seinem Tode verfolgte ihn das Mißgeschick. Nachdem er unter dem Königtum eingekerkert und unter der Republik guillotiniert worden war, wurde er von der Nachwelt fast ein Jahrhundert lang vergessen, bis endlich das Fest, das die dritte Republik alljährlich zur Erinnerung an den 14. Juli 1789 begeht, das Gedächtnis des ersten Sapeurs der Bastille wieder zu Ehren brachte.

Simon Nicolas Henri Linguet wurde am 14. Juli 1736 zu Rheims geboren. Man hat auf den eigentümlichen Zufall hingewiesen, der den spätern Minierer der Bastille gerade am 14. Juli geboren werden ließ, man hat in seinem Namen, in den beiden Silben lin und guet, eine wenn auch nicht buchstäblich zutreffende Anspielung auf sein Endschicksal gefunden und sich dabei der bissigen, von seinen Gegnern in Umlauf gesetzten Charade erinnert:

Non premier sert à pendre,
Mon second mène à pendre,
Non tout est à pendre –

man hätte hinzufügen können, daß er gleichsam von Geburt, durch seine Familie, dem Berufe angehörte, in welchem er später seine ersten und unbestrittensten Lorbeeren ernten sollte, denn sein Vater, der ehemalige Universitätsprofessor, bekleidete in Rheims die Stelle eines Gerichtssekretärs ( greffier) und seine Mutter war die Tochter eines Rechtsanwalts.

Nachdem Linguet im Collège de Navarre zu Paris seine Studien vollendet und 1751 die drei ersten Universitätspreise davongetragen hatte, trat er in die Dienste des Herzogs von Zweibrücken und begleitete denselben als Sekretär auf seiner Reise nach Polen. Unversehens aber gab er diese Stelle wieder auf, kehrte nach Frankreich zurück und gründete in Lyon eine Seifenfabrik, die jedoch aus Mangel an Betriebskapital bald den Weg alles Fleisches ging und ihren Schöpfer in ziemlicher Verlegenheit zurückließ. Der Ausbruch des Krieges mit Portugal entriß ihn seiner mißlichen Lage. Linguet machte den Feldzug als Adjutant des Prinzen de Beauvau mit und erlernte bei dieser Gelegenheit das Spanische. Nach der Rückkehr aus Portugal machte er eine Studienreise durch Holland und Belgien, hielt sich im Herbst 1763 längere Zeit in Abbeville auf, wo ihm der erste Gedanke zu seiner Arbeit über die schiffbaren Kanäle kam, und kehrte dann nach Paris zurück. Damit waren die Lehrjahre des »modernen Aretino« abgeschlossen.

Linguet stand im achtundzwanzigsten Lebensjahre. Er hatte im Verein mit Dorat die Tragödie Zulica auf die Bühne gebracht, hatte 1759 in der Comédie-italienne eine Parodie auf Lemierres Hypermnestre, den Einakter Les Femmes-filles ou les Maris battus , aufführen lassen, hatte 1762 in der Lettre du mandarin Hocitching eine Lanze für die Jesuiten eingelegt und seine durch die Kritik der Geschichtschreibung Bossuets und Rollins ausgezeichnete Histoire du siècle d'Alexandre veröffentlicht, hatte endlich 1764 im Fanatisme des philosophes dem Rousseauschen Paradoxon von der Gefährlichkeit der Wissenschaften eine neue Wendung gegeben und in der Abhandlung: Nécessité de refondre les loix civiles de France das juristische Gebiet betreten – alle diese Versuche aber hatten seinen Namen nicht aus dem Dunkel hervorzuheben vermocht. Entmutigt wandte er sich daher von der Litteratur ab, ging nach Rheims zurück, promovierte dort und ließ sich beim Parlemente von Paris als Advokat eintragen.

Auch in seinem neuen Berufe war ihm das Glück zu Anfang wenig hold: der unglückliche Chevalier de La Barre, der des Atheismus angeklagt war, weil er, ohne den Hut abzunehmen, eine Kapuziner-Prozession an sich hatte vorüberziehen lassen, wurde trotz aller Anstrengungen Linguets zur Enthauptung und nachherigen Verbrennung verurteilt (1766). Die Unbilligkeit wurde in diesem Falle so weit getrieben, daß man dem Verteidiger des Angeklagten nicht bloß das Wort entzog, sondern ihm sogar die Veröffentlichung jeder Schrift zu Gunsten seines Klienten verbot.

Enttäuscht und verbittert wandte Linguet sich wieder seinen historischen Studien zu und veröffentlichte 1766 den ersten Band seiner Histoire des révolutions de l'empire romain . Er hatte erkannt, daß Klarheit des Stils, Neuheit der Ideen und Richtigkeit des Urteils nicht hinreichten, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen und festzuhalten, und in dieser Erkenntnis versah er die neuen Erzeugnisse seiner Feder mit einer pikanten Würze: er warf sich auf das Paradoxon.

Das Paradoxon lag sozusagen in der Natur Linguets. Der Hang zum Widerspruch war der hervorstechendste Zug in seinem Charakter, er brauchte sich also nur gehen zu lassen, um an tausend Stellen mit der landläufigen Meinung in Widerstreit zu geraten. Daraus erklärt sich auch der große Unterschied, der sich in dieser Hinsicht zwischen ihm und – um anderer nicht zu gedenken – dem Autor der Néologie bemerkbar macht. Bei Mercier wog der Unabhängigkeitssinn vor, und ihm war das Paradoxon nur Mittel, um seine Freiheit zu dokumentieren: die These an sich war ihm ziemlich gleichgültig, wenn sie nur der herrschenden Ansicht stark genug ins Gesicht schlug, und daher sind seine Begründungen zumeist so oberflächlich, daß selbst der beschränkteste Leser nicht dadurch verführt werden kann. Linguet dagegen, der Mann des Widerspruchs, der nicht bloß andern, sondern oft genug sich selbst widersprach, der dem Parlement gegenüber den Atheismus und den Encyklopädisten gegenüber die Religion vertrat, der unter dem Königtum die Republikaner und unter der Republik den König verteidigte – Linguet liebte das Paradoxon um seiner selbst willen. Sein Gedankengang führte ihn völlig frei und ungezwungen demselben zu, und infolge dessen frappieren seine Aufstellungen, ohne, wie bei Mercier, geradezu den gesunden Menschenverstand zu beleidigen. Sie erscheinen fast immer bei rechter Gelegenheit und in Begleitung von Gründen, die, wenn auch nicht überzeugen, so doch zu denken geben, während die Paradoxa Merciers fast durchgängig an einer gewissen Unnatürlichkeit und Gezwungenheit leiden, die das Kopfschütteln des Lesers erregt. Mercier zufolge sind Raphael, Tizian, Correggio sittengefährlich, die antiken Statuen nur »Marmorpuppen« ( poupées de marbre), Locke und Condillac »Ideologen«, Kopernikus ein Phantast und die Erde rund und platt wie ein Eierkuchen. Noch mehr: er sucht sogar den guten Ruf der Nachtigall zu untergraben. »Woher kommt es,« ruft er aus, »daß man mit solcher Hartnäckigkeit den Gesang der Nachtigall rühmt und sie den ersten Sänger des Waldes nennt? Ein unparteiisches Ohr höre ihr achtsam zu, es lausche ihren gellenden, ohne Mannigfaltigkeit, ohne Modulation, ohne Schattierung hervorgestoßenen Tönen, und es wird sich eines unangenehmen Gefühls nicht erwehren können. Womit ist das unharmonische, ohrzerreißende Schnalzen zu vergleichen, das der vielgerühmte Vogel inmitten oder zu Ende seines übel accentuirten Gesanges ( chant imphrasé) vernehmen läßt? Mir wird ganz weh zu Mute, wenn ich an die gewaltsamen Verrenkungen seiner Kehle denke.« Dagegen der Frosch – welch milder Zauber, welche poetische Einfachheit, welche sanfte Melancholie in seinem Liede! Nach Mercier gebührt dem Frosch die Palme! ... Das ist das Paradoxon um jeden Preis.

Ganz anders Linguet. Mag er Cicero einen charakterlosen Schönredner heißen, mag er die Grausamkeiten der Cäsaren beschönigen, mag er das Los des antiken Sklaven über das des modernen Tagelöhners stellen – immer umgiebt er seine paradoxen Thesen mit einem Wall von Gründen, die in der Sphäre des gesunden Verstandes bleiben und eine ernsthafte Diskussion ermöglichen. Man hat sein Wagnis, Tiberius mit Trajan und Heinrich IV. in Vergleich zu stellen, als den Gipfel der Ungereimtheit bezeichnet, aber ist es denn, abgesehen davon, daß die wahre Charakteristik jenes rätselhaften Tyrannen erst noch geschrieben werden soll – ist es wirklich so ungereimt, wenn Linguet nach Anführung verschiedener anerkennenswerter Maßnahmen und Maximen Tibers in die Worte ausbricht ( Révolution de l'empire romain, lib II, ch. 5): »Was hat jene kleine Anzahl von Fürsten, deren Gedächtnis die Nachwelt mit Recht in Ehren hält, mehr für das Glück der Völker gethan? Wieviel Regierungen, die heute mit den pomphaftesten Titeln geschmückt werden, bieten denn den Schmeichlern, von denen sie gefeiert werden, dergleichen Züge zur Rechtfertigung ihrer Speichelleckerei? Wieviel Fürsten würden nicht von ihren Schmeichlern mit Trajan und Heinrich IV. auf eine Stufe gestellt werden, wenn sie nur den zehnten Teil der Wohlthätigkeit bekundet hätten, die dem Tiberius selbst von seinen bittersten Feinden nicht abgesprochen werden kann?« Nur die Böswilligkeit kann in diesen Worten eine Absurdität finden. In ähnlicher Weise weiß aber Linguet fast überall einen eigentümlichen, dabei jedoch haltbaren Standpunkt zu gewinnen, von dem aus betrachtet der gerade in Rede stehende Gegenstand in einem ganz besondern Lichte erscheint, ohne darum eine völlig verzerrte Gestalt anzunehmen. Bisweilen liegt auch das Paradoxe mehr im Ausdruck als im Gedanken, wie z. B. in folgendem Satze: »Die Gesetze drängen die Menschen auf einen kleinen Raum zusammen und schichten sie in den Städten und Häusern aufeinander, was eine schnellere Verbreitung der Seuchen zur Folge hat.« Schon bedenklicher lautet ein anderer Ausspruch: »Die Verfassung eines Staates ist in der Regel nur ein Werk des Zufalls, dem die Zeit durch allmähliches Fortrollen auf dem Abhang der Mißbräuche Form und Gestalt gegeben hat.« » La constitution d'un État n'est ordinairement qu'un ouvrage du hasard, que le temps a façonné en le roulant insensiblement sur la pente des abus.« Dieser Satz stand auf einem Streifen Papier, der nach der Einnahme der Bastille in der ehemaligen Zelle Linguets vorgefunden wurde, und trägt so völlig das Gepräge der Linguetschen Schreib- und Denkweise, daß man ihn ohne Bedenken dem Verfasser der Annalen beilegen darf. Wir fügen, um die Charakteristik Linguets in dieser Richtung zu vervollständigen, hier noch zwei weitere Dikta hinzu: »Die Gesellschaft im allgemeinen ist der Volksvermehrung hinderlich; die Gesetze befördern die Vermehrung, wie die starken Liqueure die Verdauung befördern, indem sie die Organe derselben schwächen« und »Die Gesetze haben den Hunger ( famine) im Gefolge, d. h. die Gewohnheit des Überflusses, durch welche die Teurung unerträglich wird, und die Sitte ( usage) des Ackerbaus, der für uns tödlicher ist als die Unfruchtbarkeit.«

Dieser letzte Ausspruch streift die berüchtigte ultraparadoxe Ansicht über den Ackerbau, das Brot und das Getreide, die Linguet in dem Pamphlet Du pain et du blé entwickelte, und die ihm später zum Verbrechen gemacht ward. »Das Brot,« heißt es in dieser merkwürdigen Flugschrift, die 1774 in London erschien – »das Brot ist, als Nahrungsmittel betrachtet, eine gefährliche und äußerst schädliche Erfindung. Wir leben von diesem Arzneimittel ( drogue), dessen erste Grundlage die Fäulnis ( corruption) ist, und das wir durch ein Gift schwächen müssen, um es weniger gesundheitsgefährlich zu machen. Infolge der Monopole und der Mißbräuche, die es notwendig macht, ist das Brot hundert Mal mörderischer, als es durch seine Eigenschaft als Nahrungsmittel ersprießlich ist. Der größere Teil der Menschheit kennt den Gebrauch desselben gar nicht, und wo er eingeführt ist, bringt er nur verderbliche Wirkungen hervor. Die Üppigkeit allein macht das Brot notwendig, und sie macht es notwendig, weil kein anderes Nahrungsmittel den Menschen in größerer Abhängigkeit erhält. Sklaventum, geistige Schlaffheit, Kriecherei und Gemeinheit bei den Kleinen, Despotismus und zügelloser Hang zu verderblichen Genüssen bei den Großen bilden die unzertrennliche Begleitung der Gewohnheit des Brotessens und keimen aus derselben Furche empor, in der das Getreide wächst!« Dies Paradoxon, dessen Ausgangspunkt die hohe Vorstellung des Autors von der persönlichen Freiheit und Unabhängigkeit des Einzelnen bei den Hirten- und Jägervölkern bildete, war Linguets ärgste Sünde gegen den gemeinen Verstand, und diese Sünde ist ihm teuer zu stehen gekommen: sie hat ihm den Kopf gekostet.

Die Révolutions de l'empire romain und ein zweites Werk, die Théorie des loix civiles (1767) hatten bereits die Aufmerksamkeit des Publikums erregt, die Histoire impartiale des jésuites , die fast gleichzeitig mit dem zweiten Bande der Révolutions 1768 in Paris erschien, errang einen vollständigen Erfolg. Das Buch wurde vom Henker verbrannt, die beste Empfehlung, die damals einem Werke zu Teil werden konnte, und erlebte noch im selben Jahre eine zweite Auflage. Von allen Schriften Linguets ist diese »Unparteiische Geschichte der Jesuiten« die einzige, die sich ununterbrochen auf dem litterarischen Markte behauptet hat.

Dem berühmten Schriftsteller glaubte das Publikum nun auch Prozesse übertragen zu dürfen, und so wurde Linguets Ruf als Autor die Basis seines Rufs als Rechtsanwalt. Unter den Pariser Sachwaltern zeichneten sich damals namentlich Target, Legouvé und Gerbier aus, Linguet zögerte indessen nicht, gegen sie in die Schranken zu treten, und seiner beispiellosen Keckheit und Schlagfertigkeit gelang es wirklich, die salbungsvolle Beredsamkeit der Gegner in den Schatten zu stellen, so daß er sich i. J. 1774 rühmen durfte, von hundert Prozessen, die er geführt habe, nur zehn verloren zu haben. Seine Beredsamkeit war freilich von einer Art, wie sie bis dahin vor Gericht unerhört war: er ersetzte die herkömmliche Salbung durch Feuer und Verwegenheit und flocht Sarkasmen und satirische Seitenhiebe auf seine Berufsgenossen und die Richter in seine Reden ein – alles zum nicht geringen Ärger und Entsetzen der ehrwürdigen Zunft, die dadurch auf das Tiefste gegen ihn verstimmt wurde. Um so eifriger aber drängte sich das Publikum in die Gerichtssitzungen, um den kühnen Verteidiger zu hören, der es nicht bloß durch seine Vermessenheit, seine Schlagfertigkeit und seinen Sarkasmus, sondern auch durch seine Redeweise entzückte. Denn obgleich Linguets Vortrag nicht durchaus natürlich war, so fesselte er doch durch eine gewisse Grazie und durch die Kunst der Betonung, die die Schlagwörter in überraschender Weise hervortreten ließ und es dem Redner möglich machte, alles zu sagen, ohne einen andern als eben den Gegner zu verletzen.

Die erste Etappe auf dem Wege zum Ruhmestempel der Advokatur legte Linguet in dem Prozesse La Chalotais gegen den Herzog von Aiguillon zurück. Der Herzog hatte sich als Gouverneur der Bretagne mannigfache Übergriffe zu Schulden kommen lassen und war im Verlaufe des darüber mit dem Parlemente von Rennes entstandenen Streites von dem Präsidenten La Chalotais des Machtmißbrauchs, der Bestechung, des Giftmordversuchs und der Abhaltung unerlaubter Versammlungen beschuldigt worden. Die öffentliche Meinung stand in diesem Prozesse ungeteilt auf Seiten des Klägers, und die Übernahme der Verteidigung des Angeklagten wurde daher für eine der kühnsten Paradoxien Linguets angesehen. Dieser aber ließ sich nicht schrecken. Mündlich und schriftlich – in seinem Mémoire pour le duc d'Aiguillon (Paris 1770) und in den Observations sur l'imprimé intitulé: Réponse des Etats de Bretagne ou mémoire pour le duc d'Aiguillon (Paris 1771) – trat er mit allem Nachdruck für seinen Klienten ein, und der schließliche Gewinn des Prozesses tröstete ihn ohne Zweifel vollständig über das nicht allzu geistreiche Epigramm:

Linguet loua jadis et Tibère et Néron,
Calomnia Trajan, Titus et Marc-Aurèle,
Cet infâme aujourd'hui, dans un affreux libelle,
Noircit La Chalotais et blanchit d'Aiguillon,

durch welches sich das Publikum an ihm zu rächen suchte. War auch die Freude des Triumphes nicht ganz ungetrübt, da er sich gezwungen sah, wegen des Honorars gegen seinen Klienten klagbar zu werden, so boten ihm doch andererseits die Anzahl und die Wichtigkeit der Rechtshändel, die ihm nun übertragen wurden, eine mehr als hinlängliche Bürgschaft für seinen Ruhm und seine Zukunft. Er trat jetzt nacheinander für die Vicomtesse de Bombelles, für die Herzogin d'Olonne, für den Prinzen de Ligne, für den Grafen de Morangiès u. s. w. u. s. w. in die Schranken, und in all diesen Prozessen, von denen namentlich der des Grafen de Morangiès ungemeines Aufsehen erregte und seinen Ruf weit über die Grenzen Frankreichs hinaus verbreitete, sah er seine Anstrengungen mit Erfolg gekrönt. Wenn er sprach, drängte sich das Publikum in solcher Menge zu den Verhandlungen, daß der Sitzungssaal zu eng wurde und Wachen erforderlich waren, um die Menge zurückzuhalten. Zu Hause wurde er von Neugierigen und Ratsuchenden förmlich belagert. Sein Vermögen hielt natürlich mit seinem Rufe gleichen Schritt: er besaß ein Landhaus, er hielt sich eine Equipage, er hatte Bedienten. Schließlich wurde er sogar bei Hofe vorgestellt und sein Bildnis in Kupfer gestochen – er stand auf dem Gipfel des Glücks.

Doch Linguets Streben ging weiter: ihn verlangte nach einem Sitze in der Akademie. Damals spielte d'Alembert den »heiligen Petrus dieses Paradieses«. Zu stolz, um sich persönlich bei dem Mathematiker um das Unsterblichkeitspatent zu bewerben, sandte Linguet seinen jüngern Bruder an den Akademiker ab. Kaum aber hatte dieser den Zweck des Besuches vernommen, als er rundweg erklärte, daraus könne nichts werden, »weil Herr Linguet sich eine Unzahl Feinde gemacht und sogar im Schoße der Akademie eine wütende Partei gegen sich habe.« Der Advokat schäumte vor Zorn, als man ihm diese allzu offenherzige Antwort hinterbrachte. Er verleugnete seinen Bruder und schrieb dem unvorsichtigen Mathematiker einen seiner fulminantesten Briefe, aus dem wir nur folgende Stellen als besonders treffend und charakteristisch hervorheben wollen:

»Wenn die Verschiedenheit der Systeme Haß erzeugt, wenn Menschen, die für ihre Apophthegmen mit tobendem Geschrei Duldung fordern, sogleich in helle Wut ausbrechen, sobald man nur Miene macht, dieselben zu diskutieren, wenn sie einen Mann, der abgeschlossen lebt, der das, was er für wahr hält, ohne jeden Eigensinn, jeden Eigennutz, jeden Kunstgriff ( politique) an den Tag legt, und dem kein anderes Verbrechen zum Vorwurf gemacht werden kann, als daß er keinen Einfluß auf ihre fanatischen Konventikel haben will – wenn sie einen solchen Mann für einen gefährlichen Feind ansehen und eine schimpfliche Exkommunikation über ihn zu verhängen suchen: meiner Treu, dann um so schlimmer für Sie, das sage ich Ihnen frei heraus, mein Herr. Und wenn ich selbst der Gegenstand: dieser Kabalen bin, so werde ich mir das zur Ehre schätzen, anstatt darüber betrübt zu sein, und werde, anstatt davon abzulassen, mehr als je an dem Verfahren ( conduite) und den Prinzipien festhalten, die mir diese Gefahr zugezogen haben.

»Ich frage Sie, mein Herr, und alle diejenigen, die sich stellen, als glaubten sie, daß ich unzählige Feinde hätte, und die durch diese List die Zahl derselben zu vermehren suchen: Was habe ich Ihnen gethan? Es giebt keine zehn Schriftsteller, die mich persönlich kennen. Mehrere sind mir Dank schuldig, und nicht einer, ich sage nicht einer, hat sich über mich zu beklagen. Ich bin keinem auf dem Pfade zum Ruhm oder zum Glück in den Weg getreten. Ich verlange weder Pensionen, noch Stellen, noch Aufnahme in die Zirkel. Ich habe nie Recensionen geschrieben. Da ich also nie einen der lebenden Autoren verletzt und mich um mehrere derselben verdient gemacht habe, aus welchem Grunde sollten sie mich da hassen?

»Sollten meine Ansichten die Ursache sein? Aber davon abgesehen, daß sie nicht so empörend sind, wie man bei jeder Gelegenheit behauptet, wäre es doch höchst sonderbar, wenn es nur mir nicht frei stehen sollte, nach meiner Weise extravagant zu sein ( extravaguer à ma mode), während das ganze Philosophastertum ( philosophaille) des Jahrhunderts sich ungefährdet dem absurdesten Wahnwitz hingiebt! Allerdings habe ich meine Neuerungen nicht mit dem encyklopädistischen Firniß versehen, diesem Geleitsbrief für alles auflackierte alt Eisen, mit dessen Gerassel so unzählige philosophische Trödler ( crieurs de vieux chapeaux philosophiques) uns betäuben. Aber das ist keine große Missethat, mein Herr.

... »Ich war erstaunt über die Vorurteile und Verkehrtheiten in den Prinzipien unserer europäischen Staatsverwaltungen. Ich war empört und erschrocken über die Folgen, welche die vermeintlichen Entdeckungen des Herrn de Montesquieu haben konnten, diese in der Wurzel giftigen Entdeckungen, die dieselbe Wirkung im Moralischen Hervorbringen werden, wie die Entdeckungen des Christoph Columbus im Physischen, die unsern Reichtum und unser Elend vermehren und deren verderblichen Einfluß unsere bedauernswerten Länder noch lange empfinden werden. Ich erkannte das und habe es ausgesprochen.

»Mochte ich damit recht haben oder nicht, so konnte, so mußte man mir antworten, mich kritisieren, mir das Gegenteil zu beweisen suchen. Aber mich hassen, aber öffentlich von mir behaupten, »daß ich viele Feinde hätte«, und nach Abgabe dieses Orakels dasselbe wahr zu machen suchen – das, mein Herr, beweist unstreitig eine großartige Inkonsequenz auf Seiten Ihrer Partei.

... »Was die Akademie anlangt, so ist mir nicht unbekannt, daß Sie und Herr Duclos nach Willkür über die Sitze in diesem litterarischen Senate verfügen. Ich weiß recht gut, daß Sie beide die heiligen Petrusse dieses kleinen Paradieses sind und die Pforte desselben nur denen öffnen, die mit dem »Zeichen des Tieres« ( signe de la bête!) gezeichnet sind. Ich bin weder ärgerlich darüber, noch neidisch darauf. Ich weiß nicht, ob es mich je gelüsten wird, mich in dies Paradies aufnehmen zu lassen, das aber weiß ich bestimmt, daß ich mit Freuden darauf verzichte, wenn man sich zu diesem Zwecke unbedingt mit einem besondern Genehmigungsstempel versehen lassen muß, wenn man dazu etwas anderes sein muß als überzeugungstreu ( ferme), aufrichtig und natürlich, wenn man dazu etwas anderes thun muß als das achten, was achtenswert ist, als das verachten, was verächtlich ist, als die Sekten und ihren Fanatismus von sich weisen und endlich beständig das zeigen, was man im Herzen trägt, aber auch nur das darin tragen, was man zeigt.

»Das sind meine Ansichten, mein Herr. Und eben dies werde ich immer sagen und sogar bei erster Gelegenheit drucken lassen, weil ich, da ich es mit verschlagenem Getier ( insectes rusés) zu thun habe, das das Publikum durch sein Gesumm über mich zu täuschen sucht, nicht umhin kann, mich in den Augen desselben zu rechtfertigen.«

Der Brief war gut, seine Folgen aber um so schlimmer. Von diesem Briefe ab datieren die ununterbrochenen Kämpfe, die Linguet in der Folge mit den Encyklopädisten, dem Parlemente und den Ministern zu bestehen hatte, jene Kämpfe, die den heißblütigen, unzähmbaren Verfasser der Annalen um seine Stellung brachten, aus Frankreich vertrieben und endlich in die Bastille führten. Zunächst freilich wagte nur La Harpe sich auf die Bresche, um sich von den sarkastischen Pfeilen des gewandtern Gegners durchbohren zu lassen, bald aber nahm der Streit eine ernstere Wendung, um erst mit der Ausstoßung Linguets aus seiner Zunft einen vorläufigen Abschluß zu finden.

Die glänzenden Erfolge des Verteidigers des Herzogs von Aiguillon hatten längst den Neid seiner Kollegen erregt und sein ätzender Witz wie seine herausfordernde Rücksichtslosigkeit die Richterbank gegen ihn eingenommen. Schon gelegentlich des Bombellesschen Prozesses hatte der General-Advokat Vaucresson die jüngern Mitglieder des Barreau ermahnt, doch unter keinen Umständen Linguet zum Muster zu nehmen, »weder« – führte der Redner aus – »in der geringen Gewissenhaftigkeit, mit der er unwahre Fakta als wahr darstellt, noch in der gefährlichen Geschicklichkeit, alles und jeden mit Spott und Hohn zu überschütten und Plaidoyers zur Verteidigung des Schuldlosen oder Entschuldigung des Strafbaren in Satiren zu verkehren, noch endlich in der zügellosen Keckheit, mit der er unbescheidene Apostrophen an das Publikum richtet, als wolle er dasselbe zu seinem Schutze aufrufen oder dem Urteile der Richter Zwang anthun.« Natürlich verfehlte Linguet nicht, sich in einer der nächsten Sitzungen durch eine volle Salve seiner bittersten Sarkasmen für diesen unverblümten Ausfall an Vaucresson und zugleich an dessen Kollegen Vergès zu rächen. Vergès stellte den Kaustiker darüber zur Rede. Linguet leugnete anfangs die böse Absicht, als aber Vergès ihm einwarf, daß niemand über den Sinn seiner Worte im Zweifel sei, erwiderte er: »Nun, um so besser: es ist das ein Beweis für die Wahrheit meiner Porträts.« – »Wissen Sie auch, mit wem Sie reden?« fuhr ihn der General-Advokat wütend an. – »Gewiß, mein Herr,« gab Linguet kaltblütig zurück, »mit Meister Jacques Vergès, General-Advokaten des Parlementes von Paris gegen meine Zustimmung« ( avocat-général du parlement de Paris à mon refus). Dergleichen vergißt sich nicht, und Vergès fand nur zu bald Gelegenheit, das Wort mit der That zu erwidern.

Der erste Schlag traf Linguet 1773 in der Affaire des Herrn de Bellegarde. Er hatte für diesen vor ein Kriegsgericht gestellten Offizier eine Consultation veröffentlicht, durch welche sich die Mitglieder des Kriegsgerichts beleidigt fühlten. Die Folge war eine Lettre-de-cachet, die den verwegenen Advokaten nach Chartres verbannte. Nach zwei Monaten aus diesem Exil zurückberufen, erfuhr Linguet, daß sein Hauptgegner, der süßlich-salbungsvolle Gerbier, den er sozusagen entthront hatte, sich allerlei ehrenrührige und hämische Äußerungen über ihn erlaubt habe. Er machte eine Klage gegen den Verleumder anhängig, und als diese vom Parlement zurückgewiesen wurde, griff er den verhaßten Gegner in seiner herben, schonungslosen und selbstbewußten Weise in einer Denkschrift an. Das war der Tropfen, der das Glas zum Überfließen brachte: auf Antrag Vergès' wurde Linguet am 11. Februar 1774 durch einen Parlementsbeschluß von der Liste der Advokaten gestrichen, weil er »gegen das römische Recht geeifert« und in seinen Plaidoyers »die Regeln der Mäßigung, der Schicklichkeit und des Anstandes verletzt habe!« Zwar wurde er nach einiger Zeit wieder rehabilitiert, aber nur, um wegen einer neuen Eingabe an das Parlement am 29. März 1775 zum zweitenmale und dies Mal unwiderruflich kassiert zu werden. Vergebens reichte er beim Parlemente Gesuche und Proteste ein, vergebens wandte er sich an mehrere General-Versammlungen seiner Körperschaft, vergebens rief er die Vermittlung der Minister an: der Beschluß, der ihn seiner Lebensstellung beraubte, wurde nicht zurückgenommen. Und um seine Niederlage vollständig zu machen, erschien fast gleichzeitig die Théorie du paradoxe des Abbé Morellet, in der die paradoxen Behauptungen des Verfemten mit großem Geschick der Lächerlichkeit preisgegeben wurden – das war der Gnadenstoß.

Durch das Parlement als Advokat und durch die Encyklopädisten als Schriftsteller unmöglich gemacht, suchte und fand Linguet einen dritten Beruf: er wurde Journalist. Gegen ein Gehalt von zehntausend Livres jährlich übernahm er die Redaktion des von dem Buchhändler Panckoucke herausgegebenen Journal de politique et de littérature . Achtzehn Monate lang ging alles gut, als aber im Juli 1776 La Harpe in die Akademie aufgenommen wurde, konnte der Verfasser des Fanatisme des philosophes nicht umhin, dies Begebnis in seinem Journale mit einem Artikel zu begrüßen, der weder für den Aufgenommenen noch für die Aufnehmenden besonders schmeichelhaft war. Die Akademie schnaubte Rache, wie das Parlement es gethan hatte, und am 1. August empfing der Sieur Panckoucke von dem Polizei-Kommissar Le Camus de Néville folgendes Billetdoux:

 

»Mein Herr,

In seinem Briefe von gestern, 31. Juli 1776, bemerkt mir der Herr Justiz-Minister anläßlich des Journal de politique et de littérature : ›Ich ersuche Sie, dem Sieur Panckoucke sagen zu wollen, daß er den litterarischen Teil dieses Journals fernerhin nicht mehr von dem Sieur Linguet redigieren läßt.‹

Sie werden die Güte haben, mir den Empfang dieser Ordre des Ministers zu bestätigen. – Ich bin, mein Herr« u. s. w.

 

Mehr empört als niedergedrückt und zornsprudelnder denn je wandte Linguet sich diesmal in einer Lettre au roi vom 20. August 1776 direkt an den König. Mit seinen wuchtigen Invectiven gegen La Harpe und die Akademie, mit seinem lebhaften Gedankengange und seinem farbigen, kräftigen Stile ist dies Schreiben an Ludwig XVI. ein würdiges Seitenstück zu der Epistel an d' Alembert. »Der Mann,« heißt es unter anderm darin, »der jemandem eine Ohrfeige gegeben hat, ist ohne Zweifel straffällig. Man legt ihm eine Buße auf, man schärft ihm ein, sich zu mäßigen, aber man verbietet ihm nicht, in Zukunft seinen Arm zu bewegen. Es wäre widersinnig, wollte man jemand zu lebenslänglicher Unthätigkeit verdammen, weil er sich einen Augenblick vergessen hat. Ich nehme an, Sire, daß ich mich in der That gegen die Akademie und ihren Günstling vergangen habe, ich will glauben, daß für beide eine Genugthuung von nöten war, aber mein Journal bestand nicht bloß aus Akademie-Beleidigungen, es befanden sich auch ersprießliche oder wenigstens vorwurfsfreie Artikel darin. Warum nun diese unterdrücken unter dem Vorwande, daß zwei Seiten darin einer Körperschaft mißfallen haben, der man Rücksichten schuldig zu sein glaubt? Warum meine Feder an die Kette legen ( mettre en écharpe), nur weil ich bei ihrer Handhabung einem Nachbar einen Klex auf den Rock gespritzt habe? – Unter welcher unglücklichen, unter welcher unbegreiflichen Konstellation bin ich denn geboren? Wie, Sire, den niedrigsten Klassen gegenüber, jenen Klassen, die am unmittelbarsten unter der Autorität der Polizei stehen, die am meisten gewohnt sind, sich der allgemeinen Ordnung aufgeopfert zu sehen – diesen Klassen gegenüber beobachtet man Rücksichten, wenn es sich darum handelt, jemand die Hände zu binden; man würde sich scheuen, die fliegende Werkstatt des geringsten Handwerkers zu schließen, ohne das Vergehen, daß eine solche Strafe rechtfertigt, festgestellt und abgewogen zu haben – und mir gegenüber ist es einem empörenden Despotismus und den schändlichsten Kabalen zweimal gelungen, mich ohne jede rechtliche Form meiner Lebensstellung zu berauben!« Zum Schluß forderte der Gemaßregelte Richter, aber dieser Appell hatte ebensowenig Erfolg wie die frühern. Linguet sah sich daher genötigt, Frankreich, wo seine Stellung unhaltbar geworden war, zu verlassen und in England ein Asyl und einen Tummelplatz für seine Kräfte zu suchen. Seine Gegner wähnten ihn gebrochen, vernichtet, aber, wie er selbst sagt, »er hatte nur den Ort, nicht den Sinn gewechselt.«

Zunächst übermittelte er von London aus in der Lettre au comte de Vergennes (1777) dem französischen Ministerium eine Auswahl von Komplimenten, die ihm von Seiten Voltaires den Beinamen des modernen Aretino eintrugen. Und in der That zeigte das Benehmen und Verfahren Linguets während dieser Periode eine hinlängliche Ähnlichkeit mit dem Gebahren der »Geißel der Fürsten«, um diese beißende Bezeichnung zu rechtfertigen. Eitel, streitsüchtig und beweglich wie der Italiener, offenbarte er als Journalist dieselbe Selbstüberhebung, denselben Hang zur Polemik, dieselbe Unbeständigkeit der Anschauungen wie dieser. Aber wie dieser wußte er auch seinem Namen und seinem Worte weit über die Grenzen seines Landes hinaus Ansehn und Geltung zu verschaffen und sich gefürchtet zu machen. Nie, weder vor ihm noch nach ihm, ist es einem politischen Journalisten gelungen, durch sein Organ einen derartigen Einfluß auf die Regierungen und die öffentliche Meinung Europas zu erlangen, wie ihn Linguet Jahre lang durch seine 1777 in London gegründeten Annalen ausübte. Der großartige Erfolg dieser Zeitschrift wurzelte aber keineswegs bloß in dem Sarkasmus ihrer Angriffe, in der Schärfe ihrer Polemik, in der Vermessenheit ihrer Urteile, kurzum in dem Skandale, den sie erregte, sondern er beruhte zum großen Teile mit auf der gediegenen Bildung, auf dem umfangreichen Wissen, das dem Verfasser zu Gebote stand. Es finden sich in diesen doch immer nur für den Tag geschriebenen Heften wahrhaft bemerkenswerte Paragraphen, Abschnitte voll tiefer und wahrer Betrachtungen, Artikel voll kühner und treffender Analogien, Seiten voll origineller und durchdachter Anschauungen, und das alles ist in einem schwungvollen, bilderreichen, zuweilen affektierten, immer aber packenden Stile geschrieben, der ebenso schwer nachzuahmen wie in anderer Sprache wiederzugeben ist. Dieser tiefere Gehalt allein macht es begreiflich, wie Linguet so häufig seinen Wohnsitz wechseln und Monate und Jahre lang seine Arbeit unterbrechen konnte, ohne daß die Annales politiques, civiles et littéraires du dix-huitième siècle – das ist der vollständige Titel der Zeitschrift – an Ansehn und Beliebtheit verloren. Einen hinreichenden Beweis für diese Beliebtheit aber bietet die Thatsache, daß das Journal in Frankreich von drei verschiedenen Buchhändlern nachgedruckt wurde, sowie daß Mallet du Pan und Durey de Morsan es während der Gefangenschaft des Begründers in Genf fortzusetzen versuchten.

Linguet konnte zufrieden sein: er hatte durch die Annalen alles und mehr zurückgewonnen, als das Pariser Parlement und das französische Ministerium ihm genommen hatten. Sein Name war fast in ganz Europa populär, seine Feinde zitterten, und seine Kasse füllte sich in unerwartetem Maße. Aber auch in England ließ ihn seine Heftigkeit und Bitterkeit keine Ruhe finden. Einige scharfe Bemerkungen über englische Gesetzgebung und englische Sitten zogen ihm eine strenge Zurechtweisung zu, und da er überhaupt keine, und am allerwenigsten dem Auslande, Zugeständnisse machen wollte, so ging er zu Anfang 1778 kurz entschlossen über den Kanal zurück, um auf dem Festlande für sich und die Annalen ein neues Asyl zu suchen.

Damit beginnen die endlosen Reisen Linguets durch halb Europa, jene rastlosen Kreuz- und Querzüge, die erst in der Bastille ein Ziel fanden. Am besten läßt sich dies Wanderleben des unermüdlichen Journalisten an Hand der Bachaumontschen Memoiren verfolgen, aus denen wir zu diesem Behufe folgende Stellen anführen.

 

»12. Juni 1778. Man beginnt über das Schweigen des Herrn Linguet ungeduldig zu werden. Seit der Nr. 24 des ersten Jahrgangs ist nichts mehr erschienen. Selbst seine Anhänger wissen nicht recht, wo er sich aufhält. Es wird versichert, daß in Genf Beratungen gepflogen worden seien, ob man den unruhigen Flüchtling aufnehmen solle, und daß man sich dagegen entschieden habe. Man glaubt ihn noch auf der Suche nach einem Standquartier für sich und sein Journal, das die Mächte mit Recht für ein periodisches Pasquill ansehen.«

»24. Juli. Herr Linguet, der in der Schweiz keine Stätte hat finden können, ist zur Ordnung seiner häuslichen Angelegenheiten nach Paris gekommen; er hat hier einige Tage verweilt, und die Erlaubnis erhalten, seine Möbel und Effekten mitzunehmen, und das sogar abgabenfrei. Man fügt hinzu, daß er bei den Ministern, die er so laut und bitter getadelt hat, zur Audienz zugelassen worden ist.«

»7. August. Durch einen aus Brüssel datierten Brief zeigt Herr Linguet den Pariser Journalisten an, daß seine Annalen am 15. von neuem erscheinen, und daß er über alles Bericht erstatten wird. Seine Anhänger sind außer sich vor Freude, und seine Feinde zittern.«

»29. August. Die erste Nummer der Fortsetzung der Annalen des Herrn Linguet ist zur großen Freude seiner Anhänger und zum Bedauern seiner Gegner endlich erschienen. Bei der Abenteuerlichkeit des Geschicks dieses berühmten Flüchtlings folgert man aus der Weise, in der er sich über den Ort ausspricht, wo er seine Arbeit beginnt, daß er seines Bleibens an demselben noch nicht sicher ist. Er hat weder in Lausanne, noch in Genf, noch in Neufchâtel Fuß fassen können, weil man ihm Überall einen Censor geben wollte, von dem er nichts wissen will. In Brüssel ist er vom Fürsten Karl sehr gut aufgenommen worden, hat aber für seine offenkundige Ansiedlung in dieser Stadt ebenfalls Hindernisse gefunden. Er hat sich daher genötigt gesehen, sich in einem kleinen Dorfe bei Ostende niederzulassen, wo er seine Druckerei aufgestellt hat.«

Von diesem Dorfe und später von Brüssel aus schmetterte nun Linguet die Gegner nieder, die ihn zu vernichten gesucht hatten. Die Akademie, das Parlement, das Barreau, die Encyklopädisten, alle empfanden seine Rache. Keine Dummheit oder Niederträchtigkeit entging den sarkastischen Pfeilen, dem brandmarkenden Griffel des bitterblütigen Journalisten, und nur zu oft fand dieser Gelegenheit, den großen Herren und Würdenträgern höchst unangenehme Wahrheiten zu sagen, Unter anderm hatte der Marschall Herzog von Duras eine ihm vom Grafen de Desgrée zugefügte Beleidigung vor das Parlement von Rennes gebracht, dieses aber, um keinen von den beiden Herren vor den Kopf zu stoßen, den Prozeß unentschieden gelassen. Linguet geißelte in zwei aufeinander folgenden Nummern seiner Annalen diese Erbärmlichkeit des Parlements und drückte bei dieser Gelegenheit auch auf den Herzog einige Pfeile ab, ohne jedoch in diesem Falle das Maß zu überschreiten. »Ich habe,« bemerkt Barrière in seiner Notice sur la vie de Linguet – »ich habe die beiden Nummern gelesen, über die der Herzog von Duras sich beschwerte: die Wahrheit verpflichtet mich zu der Erklärung, daß bis dahin das Vergehen Linguets kein schweres war.« Nichtsdestoweniger wurden die beiden betreffenden Nummern auf Antrag des Marschalls mit Beschlag belegt. Mit Recht empört über diese neue Maßregelung, machte der Journalist seinem Zorne in einem mehr als derben Briefe Luft, und das Publikum, dem die Sache nicht verschwiegen blieb, drückte dem Herzog den Pfeil noch tiefer in die Wunde durch das allerdings zweischneidige Epigramm:

Monsieur le maréchal, pourquoi cette réserve,
Lorsque Linguet hausse le ton?
N'avez pas votre bâton?
Au moins qu' une fois il vous serve.

Auf diese Vorgänge im März und April 1780 folgte im Juli eine förmliche Anklage gegen den Verfasser der Annalen, obgleich derselbe im Auslande wohnhaft war und die Annalen selbst im Ausland erschienen. Duval d'Eprémesnil, »der höchst lächerliche Neffe des Herrn de Leyrit,« den Linguet anläßlich des von dem jüngern Lally-Tolendal angestrengten Prozesses in einer Nummer seiner Zeitschrift mit der ätzenden Lauge seines Witzes überschüttet hatte, machte sich das Vergnügen, die groteskeste Anklageschrift aufzusetzen, die vielleicht je einem Gerichtshof vorgelegt ward. Linguet ward darin beschuldigt und überwiesen:

1. »Die Gewalt für ein thatsächliches Recht erklärt,

2. »Alle Kronen auf Blut gegründet,

3. »Behauptet zu haben, daß zwischen den Königen und ihren Unterthanen der Himmel sich durch Siege erklärt,

4. »Den französischen Richterstand eine meuterische Körperschaft und seine Vorstellungen ( remontrances) monotone, pedantische und aufrührerische Deklamationen genannt,

5. »Alle französischen Gerichtshöfe durch unablässige Beschuldigungen der Inkonsequenz, der Bedrückung und des Totschlags beleidigt,

6. »Den Staatsbankerott für ein Recht der Krone, für eine Pflicht jedes neuen Königs erklärt und

7. »Die Körperschaft der Advokaten geschmäht zu haben;

»Und das alles nicht an einer Stelle, in einem Artikel, auf einer Seite, sondern in den Bänden seiner Annalen, die ein durchdachtes, folgerechtes, zusammenhängendes Lehrgebäude bilden, das in der Absicht entwickelt wird, den Königen den Despotismus, den Völkern die Revolution, der Menschheit die Knechtschaft zu predigen

Eine absurdere Anklage hätte kaum erdacht werden können, denn wie schon oben angedeutet, war vielleicht nie ein Politiker und Staatswirtschaftler weiter von einem »durchdachten, folgerechten, zusammenhängenden System« entfernt als gerade Linguet. Linguet wollte vor allem widersprechen, und er widersprach, gleichviel ob die Behauptung von heute die Behauptung von gestern umstieß, und unbekümmert darum, was er etwa morgen behaupten würde. In dieser Hinsicht beherrschte nicht er den Stoff, sondern der Stoff beherrschte beständig ihn und verführte ihn nicht ein, sondern zehnmal zu den schreiendsten Inkonsequenzen.

Wie selbstverständlich, hatte das Meisterstück d' Eprémesnils keinen andern Erfolg, als daß die Sprache der Annalen nur noch schneidender und bitterer wurde. Es blieb also jetzt, um mit dem Ex-Advokaten zu Ende zu kommen, kein anderer Weg mehr als der der Gewalt, und das Ministerium entschloß sich zu diesem äußersten Mittel. Am 27. September 1780 wurde Linguet, der, wie schon oft, besuchsweise von Brüssel nach Paris gekommen war, auf offener Straße verhaftet und in die Bastille geführt. Grimm, der getreue Parteigänger der Encyklopädisten, die über dies Begebnis eine besondere Genugthuung empfinden mußten, berichtete in seiner Correspondance über die Verhaftung und ihre Ursachen folgendes:

»Das Handwerk Aretinos hat zu allen Zeiten seine Gefahren und Unannehmlichkeiten gehabt. Der Sieur Linguet, der dank seiner Entschlossenheit und einem halben Dutzend Pistolen, die er sorgsam auf seinem Schreibtisch zur Schau legte oder in den Taschen mit sich herumschleppte, sein Lebelang davor sicher zu sein glaubte, ist soeben in die Bastille gesetzt worden. Wie man sagt, wurde er, um jedes Aufsehen zu vermeiden, von einem seiner Freunde, dem Kommissar Chesnon, Muß vielmehr heißen Le Quesne. mit List dahin geführt, und zwar unter dem Vorgeben eines Dîners, das dieser gute Freund ihm in einem Landhause im Bois de Vincennes angetragen hatte. Die Ursache seiner Verhaftung ist dem Publikum noch unbekannt, man mutmaßt indessen mehrere: die impertinenten Äußerungen der Annalen über den König von Preußen, über das Verhalten der Reichsstände, über unsere Verträge mit Amerika, über die Pläne für den gegenwärtigen Krieg, von denen er in einer seinen Nummern zu behaupten gewagt hat, selbst nach Kenntnis des Ausganges habe man für keinen derselben den Grund erraten können u.s.w. ... Außerdem führt man einen Brief an den Herrn Marschall de Duras anläßlich jener Nummer der Annalen an, die den Prozeß des Herrn Marschalls mit dem Herrn Desgrée betraf, und deren Beschlagnahme der Herr Marschall veranlaßt hatte, ein Brief, in welchem der vermessene Zeitungsschreiber sich erfrecht, einem mit der ersten Würde des Reiches bekleideten Manne ohne irgend eine von jenen metaphorischen Umschreibungen, mit denen sein Stil in der Regel gespickt ist, die Worte zu sagen: » Sie sind ein Hans Leck ...,« völlig ausgeschrieben, gezeichnet: Linguet. Das ist höchst wahrscheinlich eine Übertreibung, obgleich sich nichts darüber ausmachen läßt, da jener Brief nie in die Öffentlichkeit gekommen ist. Bachaumont berichtet darüber in seinen Denkwürdigkeiten folgendermaßen: »Man spricht viel von einem äußerst beleidigenden Briefe an den Marschall Herzog de Duras, der mit den Worten beginnt: › Wer sind Sie denn, daß Sie sich das Recht nehmen, mich zu examinieren?‹ u. s. w. Da aber niemand behauptet, daß er ihn gelesen habe, und er nicht ins Publikum gedrungen ist, so darf man die Thatsache immerhin in Zweifel ziehen.« Die Thatsache ist durch Linguets eigenes Zeugnis hinlänglich beglaubigt, aber der Inhalt des Briefes ist nie bekannt geworden. Was aber auch die Hauptursache dieses Mißgeschicks des berüchtigten Schriftstellers sein mag, die Sachwalterzunft, die Akademie, das Parlement und eine große Anzahl von Privatleuten, die er in seinen Schriften auf das Gröblichste beleidigt hat, werden sich ohne große Mühe darüber trösten. Es bleiben ihm jedoch noch eifrige Freunde und Gönner unter dem Clerus, am Hofe, unter dem Militär eines gewissen Ranges und besonders in den Pariser Cafés, wo das Ungestüm seiner Feder die Boshaften interessiert, die Müßigen unterhält und ihn für die Dummen zu einem der erhabensten Muster französischer Beredsamkeit macht. Welcher Verlust, welch unersetzlicher Verlust, wenn man dem freien Fluge dieses ungewöhnlichen Genies auf lange Zeit Einhalt thäte!«

Das war die Rache der Philosophen.

Der jähe, unvermittelte Übergang von quecksilberner Rastlosigkeit zu bleierner Ruhe mußte der Gesundheit Linguets verhängnisvoll werden, und in der That hatte er fast während der ganzen Dauer seines Aufenthaltes in der Bastille mit Körperbeschwerden zu kämpfen, die ihm den Gedanken an eine Vergiftung nahe legten. Sein schlagfertiger Witz dagegen scheint ihn auch hinter Schloß und Riegel nicht verlassen zu haben. Wie so oft, hat man aber allem Anschein nach auch in diesem Falle dem Reichen geliehen. Während nämlich die oben reproduzierte Anekdote stets, wo ihrer Erwähnung geschieht, auf Linguet bezogen wird, macht Charpentier ( Bastille dévoilée VIII, 63) den Abbé Charles Louis de Cardone zum Helden derselben mit dem ausdrücklichen Bemerken, daß seine abweichende Angabe auf den Aussagen verschiedener Beamter der Bastille fuße. Der Abbé de Cardone wurde wegen ungehöriger Reden über die Minister am 19. Juni 1781 in die Bastille gesteckt, von dort am 15. Juli ins Châtelet geschafft, aber schon am 1. August wieder entlassen und des Landes verwiesen.

Eines Tages trat eine Person in seine Zelle, die er bis dahin noch nicht gesehen hatte.

»Wer sind Sie?« fragte Linguet.

»Ich bin der Barbier der Bastille.«

»Wetter! da hätten Sie sie längst rasieren sollen.«

Nach zwanzig Monaten endlich, am 19. Mai 1782, erhielt der Unversöhnliche seine Freiheit wieder. Vergebens hatten sich während dieser Zeit seine Freunde und Gönner für ihn verwandt: man wollte ihn mürbe machen, und erst als man dies Ziel erreicht glaubte, ließ man ihn frei, um ihn nach Réthel-Mazarin zu verbannen. Aber Linguet hatte seine Gegner schon wiederholt über die Wirksamkeit ihrer Maßregeln enttäuscht, er enttäuschte sie auch diesmal. Allerdings ging er in die Verbannung, aber nicht nach Réthel, sondern nach London, und von dort aus schleuderte er jenen Wetterkeil, der das »königliche Schloß der Bastille« in Trümmer schlug.

Die Denkwürdigkeiten über die Bastille waren eine That in Worten: durch sie hat Linguet die Hände geworben, die am 14. Juli 1789 das alte Staatsgefängnis brachen. Noch 1753 hatte Saint-Foix, als er in seinen Essais sur Paris auf die Bastille zu sprechen kam, sich mit der offenbar von der Ängstlichkeit diktierten Bemerkung begnügt: »Sie ist ein Schloß, das, ohne fest zu sein, zu den furchtbarsten in Europa gehört, und über das ich keine Anekdote mitteilen werde.« Zwanzig Jahre später waren dann allerdings die Remarques historiques et anecdotes sur la Bastille erschienen, aber diese kleine Broschüre, deren gut unterrichteter Verfasser unbekannt geblieben ist, war nicht in weitere Kreise gedrungen. Linguet war somit der erste, der im Angesichte Europas mit der Fackel seines Worts den Abgrund zu beleuchten wagte. Bis dahin war die Bastille in den Augen derer, die sie nicht aus Erfahrung kannten, eine Art Gespenst gewesen, an das man sich zu denken scheute. Linguet riß den Schleier von ihren Schrecknissen, er brach den Zauber, der sie schützte, er gab dem Gegenstande des Schreckens und der Scheu eine feste Gestalt. Nach dem Erscheinen seiner Denkwürdigkeiten war der Fall der Bastille nur noch eine Frage der Zeit, denn hatte bis dahin die Furcht den Haß überwogen, so überwog fortan der Haß die Furcht, weil ihm ein bestimmtes Ziel gegeben war. Aber der Ex-Advokat hatte die Bastille nicht bloß entschleiert, er hatte sie zugleich zu einem Sinnbild des Despotismus gestempelt, und als sie fiel, fiel in ihr nicht bloß das verhaßte Gefängnis, sondern zugleich das anerkannteste Symbol des Absolutismus: wo daher derer gedacht wird, die zuerst und hauptsächlich Bresche legten für die große Umwälzung zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts, da darf auch Linguets nicht vergessen werden.

Die Veröffentlichung der Mémoires sur la Bastille in den mit ihrem Verfasser wiedererstandenen Annalen gab dieser Zeitschrift mit einem Schlage ihr früheres Ansehn zurück und steigerte die Popularität Linguets auf den höchsten Grad, den sie überhaupt erreichen sollte. Doch wurde der Verbannte dieses Erfolges wenig froh. Die Erinnerung an die Bastille und die Scheu vor einem neuen Abenteuer ähnlicher Art verfolgte ihn bis über den Kanal. Er bewohnte in London ein Haus, das viermal zu groß für ihn war, ging so wenig wie möglich aus und ließ jeden Besucher durch seine Haushälterin und Geliebte, eine Frau Buttet, einem regelrechten Verhör über das Wer, Woher und Wozu unterwerfen, eine Maßregel, die er für den ganzen Rest seines Lebens beibehielt, und deren Ursache einzig in den schlimmen Erfahrungen zu suchen ist, die er mit sogenannten »Freunden« gemacht hatte.

Bei dieser Gelegenheit gleich noch einige weitere Einzelheiten über das Privatleben Linguets. Die eben erwähnte Frau Buttet oder Zélie, wie er sie vertraulich nannte, war die Frau eines Großhändlers in Nogent-le-Notrou und zur Zeit seiner Triumphe als Advokat nach Paris gekommen, um die Scheidung von ihrem Gatten nachzusuchen. Als dann dies Gesuch trotz der Anstrengungen Linguets zurückgewiesen worden war, hatte sie das Verbleiben bei ihrem Verteidiger der Rückkehr zu ihrem Gatten vorgezogen, und der Advokat hatte sich diese Anhänglichkeit gefallen lassen, obschon Frau Buttet vier Jahre älter war als er. Es scheint dies Linguets einziger Liebeshandel gewesen zu sein, denn man findet sonst nirgends in seiner abenteuerlichen Laufbahn eine Spur von einer engern Beziehung zu einem weiblichen Wesen. Übrigens beschuldigte man ihn, auch bei dieser Gelegenheit mehr der Stimme seines Geldbeutels als seines Herzens gefolgt zu sein: er sollte dem Gerücht zufolge im Einverständnis mit Zélie dem Schreibtisch ihres Gatten einen Besuch gemacht und die Summe von hunderttausend Livres (!) daraus entführt haben. Überhaupt gefiel sich das Gerücht darin, den Ex-Advokaten des Diebstahls zu zeihen: schon in seinen Jünglingsjahren sollte er dem Herzog von Zweibrücken, seinem Wohlthäter, ein Pferd veruntreut haben, und DoratDorat, der seinen Puder schuldig blieb und bei seinem Tode die Kleinigkeit von neunzigtausend Livres Schulden hinterließ! – Dorat behauptete, er sei von Linguet zur Zeit ihres Kollaboratoriums um hundert Louisd'or bestohlen worden. Dies alles ist aber ebenso mythisch wie die Ohrfeige, die der Ex-Advokat in London auf offener Straße von dem Pamphletisten Thévenot de Morande erhalten haben soll, und wie seine angebliche Mitarbeiterschaft an Marats Ami du peuple , von der Brissot in seinen Memoiren spricht. Der Vorwurf der Käuflichkeit dagegen dürfte nicht ganz unbegründet sein, man ziehe aber dabei auch in Rechnung, daß Linguet Advokat und also gewohnt war, seine Zunge und seine Feder zu verkaufen.

Linguets Lebensweise war zu allen Zeiten nüchtern, mäßig und arbeitsam. Er aß den Tag über nur einmal, legte sich frühzeitig zu Bett und stand regelmäßig schon um zwei Uhr morgens wieder auf. Diese Lebensordnung macht es begreiflich, wo der Verfasser der Annalen, obgleich er sich nie eines Sekretärs bediente, die Zeit zu seinen zahlreichen Arbeiten hernahm.

Von diesen Arbeiten sind aus der Epoche, von der eben die Rede ist, besonders vier bemerkenswert: die Réflexions sur la lumière (1784) die beiden Schriften über die freie Schifffahrt auf der Schelde (1784 und 1785) und das Examen des ouvrages de Voltaire , das noch 1817 eine neue Auflage erlebte. In den Betrachtungen über das Licht entwickelte Linguet einen Gedanken, der ihm in der Bastille gekommen war, und dessen die Technik sich später mit Erfolg bemächtigt hat: er gab darin nicht mehr und nicht weniger als den Grundgedanken, auf dem das moderne Telegraphenwesen beruht. Trotzdem aber der Verfasser schon während seiner Gefangenschaft dem französischen Marine-Ministerium eine bezügliche Denkschrift eingereicht und später die Anwendbarkeit seiner Prinzipien durch Versuche dargethan hatte, ging diese Schrift doch völlig unbeachtet vorüber, während dagegen die Schriften und Artikel, die er anläßlich des wegen der Schelde-Schifffahrt zwischen Holland und den österreichischen Niederlanden entstandenen Streites zu Gunsten der letztern veröffentlichte, und in denen er die Holländer beschuldigte, sie wollten »die Schelde in die Bastille stecken«, nicht bloß beim Publikum Aufsehn erregten, sondern ihm auch die Aufmerksamkeit Josephs II. zuwandten. Linguet wurde nach Wien berufen und vom Kaiser mit Gnadenbeweisen überhäuft. Das hielt ihn aber nicht ab, als sich 1789 die Niederlande unter van der Noot empörten, gegen Österreich in die Schranken zu treten und zum Überflusse jene berüchtigte Deklamation vom Stapel zu lassen, in der es von Joseph II. heißt: »Ich verabscheute ihn mit derselben Aufrichtigkeit, mit der ich ihn geliebt hatte. Ohne mich wie der Orgon der Komödie einer ausnahmslosen Abneigung gegen alle die Individuen hinzugeben, denen das Unglück der Völker eine Krone verleiht, ohne jenen Unglücklichen, die man Könige nennt, einen blinden und unterschiedslosen Haß zu weihen, faßte ich für das Königtum, d. h. für jene Macht, welche die schlechten Könige so leicht auf das Grausamste mißbrauchen können, einen Abscheu, der nur mit meinem Leben enden wird.«

Der Ausbruch der Revolution führte Linguet nach Frankreich zurück. Aber obschon er bereits von Brüssel aus in einer Lettre au comité patriotique (1789) seine Sympathien mit der ausbrechenden Bewegung zu erkennen gegeben hatte, befand er sich derselben gegenüber doch ungefähr in der nämlichen Lage wie Beaumarchais, sein Nebenbuhler bei seinen juristischen und publicistischen Triumphen der siebziger Jahre, d. h. er kannte wohl die nächsten Ziele, nicht aber die Mittel und namentlich nicht die Menschen der Revolution. Nichtsdestoweniger hoffte er noch eine Rolle spielen zu können. Unter dem Patronate Dantons und Camille Desmoulins ließ er sich in den Klub der Franziskaner aufnehmen, und dieser übertrug ihm die Würde eines Schriftführers der Société des amis de la liberté de la presse . Es war dies eine jener zahllosen revolutionären Vereinigungen ohne nennenswerte Bedeutung, die damals wie Pilze aus der Erde schossen, und die eigentlich nur in dem einen Punkte miteinander harmonierten, daß sie die Frauen von ihren Sitzungen ausschlossen, denn, sagt ein wenig galanter Poet jener Tage,

Dans ces cabinets d'importance,
Où l'on parle plus qu'on y pense,
On ne doit point les appeler.
La raison n'en est pas frivole:
Quand les hommes voudraient parler,
Vite elles prendraient parole.

Jene Stellung war also ohne jede Bedeutung, weiter aber hat der Ex-Advokat es nicht mehr zu bringen vermocht. Zwar erschien er 1791 noch einmal als Redner auf dem Plane, um an der Barre der konstituierenden Versammlung für die Rechte der Kolonien einzutreten, aber sogar die Mittel der Beredsamkeit waren andere geworden: seine Heftigkeit und seine persönlichen Ausfälle erregten das Murren der Versammlung, und der Präsident war genötigt, ihm das Wort zu entziehen. Linguets Zeit war vorüber.

Er selbst scheint sich dessen bewußt geworden zu sein, denn bald nach jenem Vorfalle zog er sich mit seiner getreuen Zélie völlig nach dem Dörfchen Marnes bei Ville d'Avray zurück, wo er ein kleines Besitztum erworben hatte. Das Alter schien endlich das Feuer und Ungestüm dieses unbändigen Charakters gemildert zu haben. Er befaßte sich mit der Landwirtschaft, setzte seine historischen Studien fort und versah die wenigen Gemeinde-Angelegenheiten seines Dorfes, zu dessen Maire er erwählt worden war. Alles schien darauf hinzudeuten, daß der berühmte Advokat und Journalist nach den stürmischen Wechselfällen seiner vielbewegten Laufbahn endlich im Hafen angekommen sei und sein Leben in friedlicher Ruhe als Dorfschulze beschließen werde. Aber er war nicht vergebens »unter den Auspicien einer Lettre-de-cachet geboren worden«: zum vierten und letztenmale griff ein Dekret der Willkür in sein Dasein ein, nur daß es sich diesmal nicht Lettre-de-cachet , sondern Arrêt du comité de salut public nannte. Linguet wurde in Marnes verhaftet und nach Paris geführt, um vor das Revolutions-Tribunal gestellt zu werden. Noch hätte ein glücklicher Zufall ihn retten können: er erkrankte unterwegs und wurde daher in ein Hospital geschafft. Aber der Unglückliche schrieb an das Tribunal und verlangte Richter: das hieß den Tod verlangen. Man brachte ihn nach der Conciergerie und händigte ihm die Anklage ein. »Ah!« rief er aus, »es soll ein Fest für mich sein, die Dummheit und Grausamkeit meiner Feinde zu entlarven! Sie sollen sehen, was dabei herauskommt, wenn man mich verfolgt!« Die Verhandlung sollte ihn auf das Bitterste enttäuschen. Er war angeklagt, sich in einem abschriftlich unter seinen Papieren vorgefundenen Briefe zum Verteidiger des Königs angeboten, den Tyrannen von Wien und London Weihrauch gestreut und das Brot verleumdet zu haben, und wurde verurteilt, ohne daß man ihn hätte zu Worte kommen lassen. »Ach Gott!« sagte er, als er in sein Gefängnis zurückkam, »das sind keine Richter, das sind Tiger!« Im Augenblick der Abfahrt zur Guillotine verlangte er einen Priester. Als ihm dies Gesuch abgeschlagen wurde, zog er einen Seneca aus der Tasche und las darin, bis der verhängnisvolle Augenblick gekommen war. Sein Kopf fiel am 9. Messidor des Jahres II (27. Juni 1794), genau einen Monat vor dem des Despoten Robespierre.

Linguet war von mittlerer Größe und äußerst hager. Sein scharfgeschnittenes, pockennarbiges Gesicht hatte etwas Starres, Verschlossenes, seine Stimme war scharf und schneidend, seine Gesten kurz und hastig. Da er ziemlich abgeschlossen lebte, so sind von ihm nur wenige jener etwas scharf gewürzten Bonmots bekannt, an denen die litterarischen Annalen jener Epoche so reich sind. Hier zum Schluß noch eins derselben, das des Verfassers des Fanatismus der Philosophen durchaus würdig ist. Man sprach in seiner Gegenwart von Rousseaus Bekenntnissen, deren zweiter Teil soeben erschienen war. Linguet hörte eine Zeitlang geduldig zu. Plötzlich sprang er auf. » Rousseau,« rief er, » Rousseau ist ein Narr, der, nachdem er uns zu seinen Lebzeiten tausend Überspanntheiten zum Besten gegeben hat, nun die Posse damit beendet, daß er uns seinen Nachttopf an den Kopf wirft!«

*

Wir haben oben nur des kleinern Teils der Linguetschen Schriften gedenken können und geben daher nachstehend ein chronologisch geordnetes Verzeichnis seiner sämtlichen Publikationen, das am besten imstande sein wird, ein Bild von der fast unglaublichen Arbeitsamkeit und Vielseitigkeit des Verfassers der Annalen zu geben.

Verzeichnis der Schriften Linguets.

1. Voyage au labyrinthe du jardin du roi. La Haye (Paris), 1755.

2. Les Femmes-filles, ou les Maris battus, parodie d' Hypermnestre, en un acte et en vers. Paris, 1759.

3. Recueil sur la question de savoir si un juif marié dans sa religion peut se marier après son baptême, lorsque sa femme juive refuse de le suivre et d'habiter avec lui. Paris, 1761, 2 Bde.

4. Histoire du siècle d'Alexandre. Amsterdam (Paris) 1762. Neue Aufl. Paris, 1769.

5. Prospectus d'un nouveau spectacle de musique. 1762.

6. Lettre du mandarin Hocit-ching à son ami Hocit-chang sur les affaires des jésuites. 1762.

7. Epître en vers d'un G. de D... à un de ses amis, supplément aux Mémoires d'une fameuse académie. Liège, 1764.

8. Le Fanatisme des philosophes. Londres et Abbeville, de Vérité, 1764.

9. Mémoire sur un objet intéressant la province de Picardie, ou projet d'un canal et d'un port sur ces côtes. La Haye et Abbeville, 1764. (Ist in zwei Briefen abgefaßt, vgl. weiter unten Nr. 12 und 22).

10. Nécessité d'une réforme dans l'administration de la justice et dans les loix civiles de France. Amsterdam (Paris), 1764. Ein Abdruck führt den Titel: Considérations sur l'utilité d'une réforme etc.

11. Socrate, tragédie en cinq actes. Amsterdam, 1764.

12. Lettre de l'auteur du Mémoire sur un objet intéressant pour la province de Picardie. 1765. (Vgl. Nr. 9 und 22.)

13. Mémoire sur un objet intéressant la province d'Artois. 1765.

14. Histoire des révolutions de l'Empire romain depuis Auguste jusqu' á Constantin, pour servir de suite à celle des Révolutions de la République. Paris, 1766-1768, 2 Bde. Neue Aufl. Londres, 1784.

15. Théorie des loix civiles, ou Principes fondamentaux de la société. Londres (Paris), 1767, 2 Bde. Neue Aufl. in 3 Bden. Paris, 1774.

16. La Cacomonade, histoire politique et morale, traduite de l'allemand du docteur Pangloss. Cologne (Paris), 1767. Neue Aufl. Paris, 1794. (Behandelt das trübseligste Abenteuer des unerschütterlichen Optimisten Pangloß.)

17. Histoire impartiale des jésuites depuis leur établissement jusqu' à leur première expulsion. Madrid (Paris), 1768. Wiederabgedruckt in 2 Bden., Paris, 1768. Neue Ausg. Paris, Delongchamps, 1824.

18. L'Aveu sincère, ou Lettre à une mère sur les dangers que court la jeunesse en se livrant à un goût trop vif pour la littérature. Paris, Cellot, 1768.

19. Lettre sur la nouvelle traduction de Tacite de L. A. D. L. B. Amsterdam (Paris), 1768. (Verfasser der in diesem Briefe rezensierten Übersetzung war der Abbé de La Bletterie, der früher ein Leben des Julius Apostata geschrieben, sich aber, obwohl Jansenist, der Bulle Unigenitus gefügt hatte, und gegen den der durch einige bittere Ausfälle gereizte Linguet das Epigramm schleuderte:

Apostat comme ton héros,
Janséniste signant la bulle,
Tu tiens de fort mauvais propos,
Que de bon coeur je dissimule;
Je t'excuse et ne me plains pas:
Mais que t'a fait Tacite, hélas!
Pour le traduire en ridicule?
)

20. La Pierre philosophale, discours économique prononcé dans l'Académie impériale de Fong-Yang par le lettré Kong. La Haye, 1768.

21. Histoire universelle du seizième siècle, servant de suite à l'Histoire universelle de M. Hardion. Paris, Cellot, 1769, 2 Bde. Neue Aufl. Bruxelles, 1787.

22. Canaux navigables pour la Picardie, l'Artois, Ia Bourgogne, la Champagne, la Bretagne et toute la France en général. Amsterdam (Paris), Cellot, 1769. (Vgl. Nr. 9. 12. 13.)

23. Théâtre espagnol, traduit par M. Linguet. Paris, de Hansy jeune, 4 Bde.

24. Lettre sur la théorie des loix civiles. Amsterdam, 1770. (In der zweiten Aufl. der Théorie des loix civiles, s. oben Nr. 15, mit abgedruckt.)

25 . Mémoire pour le duc d'Aiguillon. 1770.

26. Observations sur l'imprimé intitulé: Réponse des Etats de Bretagne au mémoire du duc d'Aiguillon. Paris, Lejay, 1771.

27. Mémoire à consulter pour la vicomtesse de Bombelles. 1771.

28. Mémoire pour Don Pedro, Espagnol, contre les fermiers généraux. 1771

29. Mémoire à consulter et consultation pour un mari dont la femme est mariée en pays protestant, et que demande s'il peut de même se marier en France. 1771.

30. Réponse aux docteurs modernes, ou Apologie de l'auteur de la Théorie des loix civiles, et des Lettres sur cette Théorie, avec la réfutation du système des philosophes économistes. Londres 1771.

31. Mémoire pour le comte de Morangiès. 1772.

32. Consultation pour le sieur de Bellgarde. 1773.

33. Mémoire sur Ies propriétés et priviléges exclusifs de la librairie. 1774.

34. Du plus heureux Gouvernement, ou Parallèle des constitutions de l'Asie avec celles de l'Europe. 1774, 2 Bde.

35. Du Pain et du Blé. Londres, 1774.

36. Réflexions sur la comtesse de Béthune. 1775.

37. Essai philosophique sur le monachisme. Paris, 1775. Neue Ausg. Paris, 1777.

38. Théorie du libelle, ou l'Art de calomnier avec fruit, dialogue philosophique pour servir de supplément à la Théorie du paradoxe. Amsterdam (Paris), 1775 (Es ist die die Antwort Linguets auf das Pamphlet des Abbé Morellet, s. S.16)

39. Très-humbles, très-respectueuses observations adressées à Sa Majesté par M. Linguet, avocat, sur la défense à lui faite d'imprimer sa requête en cassation contre les arrêts du 4 février et 29 mars 1775. Bruxelles, 1776.

40. Consultation en réponse à la consultation sur la discipline des avocats. Bruxelles, 1776.

41. Réflexions des corps de la ville de Paris sur la suppression des jurandes. Paris, février, 1776.

42. Lettre au roi. Bruxelles, août 1776.

43. Lettre au comte de Vergennes. Londres, 1777.

44. Aiguilloniana, ou Anecdotes utiles pour l'histoire de France au dix-huitième siècle, depuis l'année 1770. Londres, 1777. (Dies Werk ist sehr selten, da fast die ganze Auflage in Frankreich polizeilich aufgegriffen und in die Bücherniederlage der Bastille geschafft wurde.) S. Dufey de l'Yonne, Histoire de la Bastille.

45. Annales politiques, civiles et littéraires du dix-huitième siècle. Londres, Thomas Spilsbury, 1777-1792. 179 Nummern in 19 Bänden.

46. Réflexions sur l'arrêt du conseil du roi portant règlement sur la durée des privilèges en matière de librairie. Bouillon, 1778.

47. Political and philosophical Speculations on the distinguishing characteristics of the present Century. London, 1778.

48. Le Procès des trois rois Louis XVI. de France, Bourbon, Charles III. d'Espagne, Bourbon, et Georges III. de Hanovre, fabricant de boutons, plaidé aux tribunaux des puissances européennes. Traduit de l'anglais. Londres, 1781.

49. Mémoires sur la Bastille. Londres, Spilsbury, 1783. (S. S. 36 f.)

50. La Dîme royale, avec de courtes réflexions sur ce qu' on appelle la contrebande. 1784. Neue Ausgabe unter dem Titel: L'Impôt territorial, ou la Dîme royale, Londres et Paris, 1787.

51. Réflexions sur la lumière, ou Conjecture sur la part qu'elle a au mouvement des corps célestes. Londres, Spilsbury, 1784. Neue Ausg. Paris, 1787.

52. Considérations sur l'ouverture de l'Escaut. Londres, 1784.

53. Nouvelles dissertations et considérations sur l'ouverture de l'Escaut. Bruxelles, 1785.

54. Mémoire au roi contenant sa réclamation actuellement pendante au Parlement de Paris. 1786.

55. Discours sur l'utilité et la prééminence de la chirurgie sur la médecine. Bruxelles et Paris, 1787.

56. Onguent pour la brûlure, ou Observations sur un réquisitoire imprimé en tête de l'arrêt du Parlement de Paris du 27 septembre 1780, rendu contre les Annales de M. Linguet, avec des Réflexions sur l'usage de faire brûler des livres par la main du bourreau. Londres, 1788.

57. Réflexions sur la résistance opposée à l'exécution des ordonnances promulguées le 8 mai 1788. Bruxelles, 1788.

58. Examen des ouvrages de Voltaire considéré comme poëte, comme prosateur, comme philosophe. Bruxelles, Lemaire, 1788. Neue Ausgabe mit Anmerkungen Paris, Egron, 1817.

59. La France plus qu' anglaise. Bruxelles, 1788.

60. Observations sur le nouvel arrêté du Parlement de Paris en date du 5 décembre 1788. Bruxelles, 1789.

61. Lettre à l'Empereur Joseph II. sur la révolution du Brabant et du reste des Pays-Bas. 1789.

62. Légitimité du divorce, justifiée par les saintes Ecritures, par les Pères, par les conciles etc., aux états-généraux. Bruxelles, 1789.

63. Point de banqueroute, plus d'emprunt, et, si l'on veut, plus de dettes, en réduisant les impôts à un seul. 1789.

64. Lettre au comité patriotique. Bruxelles, 1789.

65. Code criminel de Joseph II, ou Instructions expéditives données aux tribunaux des Pays-Bas en octobre 1789, publiées et commentées par Linguet. Bruxelles et Paris, 1790.

66. La Prophétie vérifiée ou Lettres de M. Linguet au comte de Trautmannsdorff. Gand, 1790.

Außerdem erschienen noch von ihm:

67. Appel au pape, traduit de l'anglais (ohne Jahreszahl) und

68. Lettre sur les avantages et les inconvénients de la navigation des ports d'Abbeville, Amiens, Saint-Valery et le Crotoy. Amiens, Caron Vitet, 1819.

Ein Teil dieser Schriften findet sich in folgenden Sammel-Ausgaben wieder:

1. Mémoires et plaidoyers. Amsterdam, 1773, 7 Bde. Bedeutend vermehrte Ausgabe Liège, 1776, 12 Teile in 11 Bden.

2. Oeuvres. Londres, 1774, 6 Bände. Diese Ausgabe enthält nur die drei oben unter Nr. 15, 34 und 35 aufgeführten Werke.

3. Mélanges de politique et de littérature, extraits de ses Annales, pour servir à l'histoire du dix-huitième siècle. Bouillon, 1778.

4. Collection complète des ouvrages de littérature. Bruxelles, 1779-1780, 2 Bde.

5. Appel à la postérité, ou Recueil des mémoires et plaidoyers de Linguet pour lui-même contre la communauté des avocats de Paris. 1780.

6. Lettres de M. Linguet, ou Recueil sur la révolution belgique en 1789 et 1790. Bruxelles, 1790, 7 Bde.

7. Collection des ouvrages relatifs à la révolution de Brabant. 1791.

Von Cousin d'Avallon wird Linguet noch ein Éloge de l'art du Coiffeur de femmes beigelegt, es läßt sich aber nicht der geringste innere noch äußere Grund zu Gunsten dieser Angabe geltend machen. Cousin d'Avallon meint zweifelsohne das Mémoire pour les coiffeurs des femmes de Paris, contre la communauté des Maîtres barbiers, perruquiers, baigneurs-étuvistes, eine höchst witzige Abhandlung im juristischen Stile, die im Januar 1769 in Paris verbreitet wurde und nahezu ebensoviel Staub aufwirbelte wie später Grimod de la Reynières Mémoire à consulter et consultation ... contre le sieur Ange Fariau de Saint-Ange, coopérateur subalterne du Mercure de France. Linguets Witz ist jedoch von einer ganz andern, bissigern und schneidigern Art, als daß man in ihm den unbekannten Verfasser jener humoristischen Broschüre vermuten dürfte. Das nämliche gilt von einem andern, 1771 erschienenen Werke, das Grimm dem Verfasser der Annalen zuschreibt, und das den Titel führt: Origine des premières sociétés des peuples, des sciences et des arts, et des idiomes anciens et modernes.

Zur Biographie Linguets sind neben dem von Kolb verfaßten Artikel in der Biographie universelle (tome XXIV), neben der Correspondance littéraire des Baron Grimm, neben der Correspondance Voltaires, den Memoiren Bachaumonts, Palissots und Morellets, dem Cours de littérature von Laharpe und den Trois siècles littéraires von Sabatier de Castres, noch besonders folgende Schriften zu vergleichen: Alexandre Devérité, Notice pour servir à l'histoire de la vie et des écrits de S. N. H. Linguet (Liège, 1781); Gardaz, Essai historique sur la vie et les ouvrages de Linguet (Lyon, 1808; Paris, 1809) und Charles Monselet, Les originaux du siècle dernier (Paris, 1864).

Zum Schluß noch einige bibliographische Notizen über die Denkwürdigkeiten.

Wie erwähnt, erschienen die Mémoires sur la Bastille zuerst in den Annalen, und zwar in drei verschiedenen Nummern des zehnten Bandes dieser Zeitschrift, und sodann 1783 in einem Oktavbande bei Thomas Spilsbury in London. Diese erste Ausgabe enthält einen (übrigens herzlich schlechten) Kupferstich mit der Unterschrift: » Soyez libres: vivez! «, dem Linguet selbst auf den Seiten III und IV nachstehende Erklärung gewidmet hat:

 

Erklärung des Kupferstichs.

»Der Courier du Bas-Rhin , d. h. das von den ehrenhaften und aufgeklärten Leuten, den wahren Philosophen, am meisten geachtete Blatt, hat gelegentlich der Besprechung dieser Denkwürdigkeiten in seiner Nr. 1 vom Jahre 1783 einen Gedanken dargelegt, dessen man sich bemächtigt hat, um ihn zum Gegenstande dieses Stichs zu machen.

Man erblickt darauf inmitten der Trümmer eines halbzerstörten Schlosses, das die Bastille vorstellen soll, die Statue Ludwigs XVI. mit allen Attributen der königlichen Würde.

Der Fürst streckt den Gefangenen, die er eben befreit hat, und deren Haltung ihre Dankbarkeit zu erkennen giebt, voll Güte die Hände entgegen. Seine zugleich majestätische und huldvolle Geberde entspricht dem Halbverse aus [Voltaires] Alzire, der sich unter dem Stiche befindet. Auf dem Piedestal der Statue liest man die erhabene Inschrift ( inscription très-noble), die vom Courier du Bas-Rhin angegeben ward:

LUDWIG DEM SECHZEHNTEN
AUF DEM PLATZE DER BASTILLE.

Im Hintergrunde erblickt man die in diesen Denkwürdigkeiten beschriebene skandalöse Uhr. Das Zifferblatt ist vom Blitz getroffen und beschädigt, und dieser Wetterstrahl hat statt der frühern schmählichen Inschrift jene kostbaren Worte aus der Erklärung vom 30. August 1780 über die neuen Gefängnisse auf die Mauer gegraben, die Worte:

›Diese versteckten Leiden, diese verborgenen Strafen werden unnütz für unsere Rechtspflege in dem Augenblicke, wo sie nicht durch ihre Offenkundigkeit und das Beispiel zur Erhaltung der Ordnung beitragen.‹

Dieser einzige Satz schließt das Verdammungsurteil der Bastillen in sich, denn wie man sehen wird, ist es deren besondere Bestimmung, versteckte Leiden und verborgene Strafen aufzuerlegen, und zwar willkürlich und weit häufiger Unschuldigen als Schuldigen aufzuerlegen.« –

Die noch im selben Jahre (1783) bei Johann Friedrich Ungar in Berlin erschienene deutsche Übersetzung der Denkwürdigkeiten reproduzierte zwar den Stich, nicht aber die obige Erklärung desselben. In allen weiteren Ausgaben blieb dann auch der Stich weg.

Die nächste derselben erschien in der dritten Lieferung der von Berville und Barrière herausgegebenen Collection des Mémoires relatifs à la Révolution française (Paris, Baudouin Frères, 1821) und erlebte darin 1822 eine zweite Auflage. Diese Ausgabe ist schätzenswert wegen der zahlreichen Berichtigungen und Erläuterungen, welche die Herausgeber hinzugefügt haben, leidet aber an zwei großen Gebrechen: einmal macht sich in den Noten eine Parteilichkeit gegen Linguet geltend, die nicht mit der Pflicht eines Geschichtschreibers in Einklang zu bringen ist, und zweitens ist der Linguetsche Text darin um etwa den zehnten Teil verkürzt und verstümmelt, ohne daß die Herausgeber sich zu einer Erklärung über diesen Punkt herbeigelassen hätten. Namentlich fehlen darin fast sämtliche Abschnitte und die sämtlichen Noten, die sich auf das niederträchtige Verfahren der damaligen französischen Polizei beziehen.

Ein Abdruck dieser zweiten Ausgabe mit veränderten Noten findet sich im XXVIII. Bande der Bibliothèque des Mémoires relatifs à l'Histoire de France pendant le dix-huitième siècle (Paris, Firmin Didot, 1860).

Eine dritte Ausgabe endlich erschien 1881 mit einer Einleitung von N. David in der von Berthier herausgegebenen Bibliothèque nationale (Paris, Librairie de la Bibliothèque nationale).

Schließlich sei hier noch der beiden anonymen Gegenschriften gedacht, die das Verfahren der französischen Regierung Linguet gegenüber durch Vergleiche und Räsonnements zu rechtfertigen suchten. Die erste derselben erschien unter dem Titel: Observations sur l'histoire de la Bastille 1783 in London, die zweite als Apologie de la Bastille 1784 angeblich in Philadelphia. Beide sind Pamphlete ohne tiefern Gehalt.

R. Habs.


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