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X.
Pellissery.

(Vgl. Charpentier III, 18-29, V, 1-17.)

Roch Antoine Pellissery, gebürtig aus Marseille, früher Kaufmann, wohnhaft zu Paris, wurde am 3. Juni 1777 in die Bastille geschafft, von dort unter dem Vorwande, er sei wahnsinnig, am 24. Juli 1788 nach Charenton gebracht und, um jeder Nachforschung vorzubeugen, dort unter dem Namen Marseille in das Register eingetragen. Er erlangte erst nach dem 14. Juli 1789 seine Freiheit wieder.

In einem Briefe an Charpentier berichtet Pellissery über die Ursachen und Einzelheiten seiner Haft folgendes:

»Die nächste Ursache meiner langen Gefangenschaft war diese. Herr Le Noir glaubte einen für Herrn de Maurepas höchst schmeichelhaften Zug zu thun, wenn er die Veröffentlichung der kleinen Broschüre: Irrtümer und Nachteile für den Staat bei den Anleihen vom 7. Januar und 7. Februar 1776 verhindere, die ich dem Sieur Bardin von Genf zum Druck übergeben hatte.

»Auf seine Veranlassung kommen daher am 31. Mai 1777 der Kommissar Chenon und der Inspektor Goupil zu mir, halten Haussuchung und nehmen alle Exemplare der Broschüre, die sie vorfinden, mit sich fort.

»Zwei Tage später empfing ich eine weitere Anzahl von Exemplaren, die ich nun zur Vorsicht unverzüglich dem Polizei-Direktor zuschickte, damit nicht bei ihm der Verdacht entstehe, die Exemplare, welche möglichenfalls in Paris verbreitet waren, seien von mir verteilt worden. Ich begleitete diese Sendung mit einem Briefe, in welchem ich ihm bemerkte, » daß mir der Umfang seiner Gewalt und meiner Pflichten wohlbekannt wäre, und daß ich erwartete, das Schicksal der Papiere, die er aus meiner Wohnung habe wegholen lassen, werde mich nicht in die Notwendigkeit versetzen, ihm ins Gedächtnis rufen zu müssen, daß er Vorgesetzte und Richter habe.« Und zum Schluß: » Mit größter Achtung einzig für die Würde, mit der S. Majestät Sie zu bekleiden geruht hat, nicht etwa für Ihre Person, zeichne ich« u. s. w.

»Am Tage nach diesem Briefe erschienen die beiden erwähnten Polizei-Beamten mit den Papieren, die sie am Sonnabend mit fortgenommen hatten, abermals in meiner Wohnung. Als ich sie eintreten sah, rief ich ihnen entgegen: »Herr Le Noir sendet mir meine Papiere zurück – hat er sich etwa besonnen?« – »Das nicht,« erwiderte mir der Inspektor, »aber er wünscht, daß Sie bei der Untersuchung zugegen seien, die er darüber anzustellen gedenkt: daher hat er mir befohlen, auch noch die nachzuholen, die wir beim ersten Besuche zurückgelassen haben. Da Herr Le Noir uns erwartet, müssen Sie uns begleiten,« fügte er hinzu. Ich glaubte ihm, kleidete mich an und ging mit ihnen hinunter. Vor der Thür hielt ein Fiakre. Man legt meine Papiere hinein, ich steige ein, der Inspektor nimmt mit seinen Schergen ebenfalls Platz, und wir fahren ab.

»Beim Einbiegen in die Rue Dauphine bemerkt Goupil: »Schließen wir die Vorhänge. Ich habe bisweilen unangenehme Aufträge auszurichten und möchte nicht, daß man mich bei Ihnen sähe.« Wir schließen also die Vorhänge, und die Unterhaltung beginnt: »Sie haben an den Direktor geschrieben – – ei, ei – – haben ihm mit dem Parlemente gedroht – indessen – – – das Parlement auf den Direktor hetzen, heißt den Teufel in Untersuchung nehmen wollen.« Und währenddem langen wir in der Bastille an.

»Von dem Augenblicke an bezweifelte ich nicht mehr, daß mein Brief und nicht meine Broschüre die Ursache meiner Einsperrung sei. Als man mich verhaftete, hatte man noch keinen Befehl des Königs, das erhellt aus einem Taschenspielerstück des Herrn Le Noir, das zugleich zeigt, welchen Mißbrauch die Minister und die Polizei-Direktoren mit ihrer Amtsgewalt trieben, wenn es sich um die Befriedigung ihres Privathasses handelte. Am 24. Juni 1777 ließ der Kommissar Chenon mich in der Bastille vor sich fordern, und nach einigen Fragen, die nichts mit meiner Angelegenheit zu thun hatten, bemerkte er: »Sie sind also noch immer auf Herrn Le Noir ungehalten?« – »Gewiß,« versetzte ich, »denn ich werde immer auf Männer im Amt und Würden ungehalten sein, die gleich ihm ihre Macht mißbrauchen, um die ehrenwertesten Bürger, Bürger, die am meisten geeignet sind, dem Vaterlande mit Nutzen zu dienen, zu verletzen.« – »Sie sind aber doch auf Befehl des Königs hier,« entgegnete er mir, indem er eine königliche Ordre aus der Tasche zog, die im übrigen völlig mit der mir wenige Tage nach meiner Einsperrung vorgelegten übereinstimmte, nur mit dem Unterschiede, daß die erste vom 3. Juni 1777, diese zweite aber vom 27. Mai datiert war!

»Wenn man in Betracht zieht, daß meine Einsperrung das Werk des Herrn Le Noir war, so ist die Ursache dieser Daten-Differenz leicht zu begreifen. Herr Le Noir wird die Sache Herrn Amelot mitgeteilt und dieser ihm vorgestellt haben, daß er allzu voreilig gehandelt habe, und daß man, um ihn gegen die etwaigen Vorwürfe Sr. Majestät sicher zu stellen, das Datum der Lettre-de-cachet ändern und dieselbe vom 27. Mai anstatt vom 3. Juni datieren müsse, damit sie als eine Folge der Veröffentlichung meiner Broschüre und nicht als Folge des unverbindlichen Briefes erscheine, den ich ihm geschrieben hatte. – Das scheint mir der wahrscheinlichste Grund, den ich für diesen Daten-Unterschied habe auffinden können.

»Was die Kunstgriffe anlangt, die Herr Necker anwandte, um meine Gefangenschaft zu verlängern, so kann ich nichts darüber sagen; nur ist mir seit Monatsfrist, wo ich frei bin, zu Ohren gekommen, daß er alles aufgewendet hatte, um mich beim König, bei den Ministern und bei seinen Anhängern in ein schlechtes Licht zu stellen, indem er aussprengte und aussprengen ließ, ich wäre wahnsinnig: ohne Zweifel nur deshalb, weil die Polizei ihm hinterbracht hatte, daß seine Schrift über die Verwaltung der Finanzen nachdrücklich von mir getadelt worden war, und weil es ihm in der Besorgnis, ich könne noch mehr darüber sagen, darauf ankommen mußte, daß ich nie wieder freigelassen wurde – deshalb also gab man mich für wahnsinnig aus. Um dem Publikum zu beweisen, daß ich es nicht bin, möchte ich, daß die drei Denkschriften gedruckt würden, die ich über den Zustand der französischen Finanzen verfaßt habe, und die sich unter den Papieren der Bastille befinden müssen.«

Aus dem Protokoll über das mit Pellissery angestellte Verhör ergiebt sich in der That, daß ihm einzig und allein die in seiner Broschüre enthaltenen Ausfälle gegen Necker zur Last gelegt wurden. Nun darf man allerdings mit Grund annehmen, daß Le Noir in dem Verhör absichtlich nur auf diesen Punkt einging, um die ganze Gehässigkeit des Verfahrens auf den Minister fallen zu lassen, als ob dieser die einzige Ursache desselben sei – aber wenn Necker auch an der Gefangensetzung seines Rezensenten unschuldig ist, so läßt sich doch nach seiner eigenen Erklärung nicht mehr bezweifeln, daß er an der Gefangenhaltung desselben Anteil hatte. In einem offenen Briefe vom 31. Oktober 1789, in welchem er sich gegen die Beschuldigungen Pellisserys zu rechtfertigen sucht, erklärt er nämlich, daß er diesen gar nicht kenne, daß er ihn niemals gesehen habe, und daß er sich sogar um die Freilassung desselben bemüht haben würde, wenn Le Noir sich dem nicht widersetzt und ihm gesagt hätte, »daß Herr Pellissery die beunruhigendste Rede führe und es gefährlich sei, ihn in Freiheit zu setzen.« Necker wußte also sehr wohl den angeblichen Grund der Gefangenschaft Pellisserys, er wußte auch, was er auf die Aufrichtigkeit des Polizei-Direktors zu geben hatte – und dessenungeachtet that er nichts für seinen Rezensenten! Zehn Jahre Bastille und zwei Jahre Irrenanstalt erschienen ihm also als eine angemessene Strafe für »beunruhigende Reden« ( propos alarmats)! Pellisserys Angaben an sich würden, da sie nur auf dem Hörensagen beruhen, kein Gewicht haben, diese Erklärung des Angeschuldigten selbst aber reicht hin, um zu zeigen, daß auch er als Minister das beliebte Mittel seiner Kollegen nicht verschmähte, um sich lästige Kritiker vom Leibe zu halten.

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