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AA.
Lally.

(Vgl. Carra, II, 347-363.)

Der Graf Thomas Arthur de Lally, geboren zu Romans im Dauphiné, General-Lieutenant der königlichen Armeen, wurde auf Befehl des Königs am 1. November 1762 zu Fontainebleau verhaftet und in die Bastille geführt. Die betreffende Lettre-de-cachet war vom Herzog von Choiseul ausgefertigt worden.

Der Graf wurde der Regierung als die einzige Ursache des Verlustes sämtlicher französischer Niederlassungen in Ostindien bezeichnet und geschildert.

Das Parlement machte ihm den Prozeß und verurteilte ihn durch Beschluß vom 6. Mai 1766 zur Enthauptung.

Das Urteil wurde am 9. desselben Monats, um 5 Uhr nachmittags, auf dem Grève-Platz vollzogen.

Am Tage vorher, um 10 Uhr abends, wurde er aus der Bastille nach der Conciergerie gebracht, um dort sein Urteil zu vernehmen. An allen Straßenecken und am Thore des Justizpalastes standen Wachen, am Thore des Gefängnisses eine Abteilung Infanterie.

Nach seiner Ankunft in der Conciergerie zeigte er sich unruhig darüber, daß der Major der Bastille, der ihn begleitet hatte, zwischen den beiden Einlaßpforten von ihm gegangen war, ohne ihm ein Wort zu sagen oder Abschied von ihm zu nehmen. Er verriet das durch die Worte: »Ich bin futsch« ( je suis f...). Man sagte ihm alles Mögliche, um ihn zu beruhigen. Die Nacht brachte er zwischen Furcht und Hoffnung zu. Er erzählte, daß er neun Schlachten geschlagen und nur eine einzige verloren hätte, daß er sich im Kampfe bei Fontenoy, bei der Belagerung von Bergen op Zoom ausgezeichnet habe u. s. w.

Vom vielen Sprechen ermüdet, warf er sich völlig angekleidet auf ein Bett und schlief etwa eine Stunde. Beim Erwachen kehrten seine Unruhe und seine Besorgnisse wieder. Um acht Uhr schlug man ihm vor, etwas zu sich zu nehmen: er lehnte es ab, um sich nicht den Magen zu beschweren und kaltblütiger zu seinen Richtern reden zu können. Um 12 Uhr führte man ihn in die Kapelle. Als der Gerichtssekretär ihn bedeutete, daß er niederknieen müsse, um den Urteilsspruch verlesen zu hören, zuckte er zusammen, zögerte einen Augenblick, gehorchte aber schließlich. Während der Verlesung des Spruches bezeigte er zu wiederholten Malen seine Ungeduld, und als der Sekretär das Todesurteil aussprach, sprang er auf und trat entsetzt mehrere Schritte zurück. »Aber was habe ich denn verbrochen?« rief er aus. Nach der Verlesung trat der Pfarrer von Saint-Louis zu ihm, um ihm den Trost der Religion zu Teil werden zu lassen. »Lassen Sie mich einen Augenblick allein, mein Herr,« sagte der Verurteilte und setzte sich in einen Winkel der Kapelle, indem er sich mit beiden Händen das Gesicht bedeckte. Dann zog er die Spitze eines eisernen Zirkels hervor, die er in seinen Rockärmel versteckt hatte, und stieß sie sich, etwa einen Zoll unterhalb des Herzens, in die Seite. Die Anwesenden stürzten aber herbei und hielten ihm den Arm fest, den er bereits zu einem zweiten Stoße erhoben hatte.

Der erste Präsident, der auf der Stelle von diesem Vorfalle in Kenntnis gesetzt ward, befahl darauf, die Hinrichtung zu beschleunigen; statt der Mietkutsche aber, die dem Verurteilten auf Ansuchen seiner Familie zugestanden worden war, wurde jetzt bestimmt, daß nach der Regel verfahren werden solle. Demgemäß bemächtigte sich der Henker des Grafen, der in diesem Augenblicke in die heftigsten Verwünschungen ausbrach. Da der Sekretär deshalb um neue Befehle einkam, indem er vorstellte, daß der Verurteilte, abgesehen von dem zu befürchtenden Ärgernis bei der Fahrt durch die Straßen der Stadt, sich nach Art der Neger mit der Zunge erwürgen könne, da er sich ja schon einmal zu töten versucht hatte, so wurde beschlossen, ihm eine Art Gebiß anzulegen, um allen befürchteten Vorkommnissen vorzubeugen.

Um 4½ Uhr legte man dem Grafen mit vieler Mühe, da er sich wütend dagegen sträubte, diesen Knebel an und ließ ihn einen Schuttkarren besteigen, auf dem er nach dem Richtplatze geführt wurde. Vor ihm her bewegte sich der Karren des Henkers und eine Abteilung der Scharwache.

Am Fuße des Schaffots angekommen, fragte man ihn, ob er sich noch ins Stadthaus begeben wolle, um weitere Aussagen zu machen. Er bezeigte jedoch nur seine Ungeduld, warf einen verächtlichen Blick nach jener Seite hin und faßte dann die zahllose Menge ins Auge, die das Blutgerüst umringte. Schwankend stieg er die Leiter empor, aber auf dem Gerüst angekommen, zeigte er eine wahrhaft heroische Festigkeit. Er kniete nieder und bot den Hals dem Schwerte dar. Der jüngere Samson verfehlte ihn indessen und hieb ihm den Schädel weg, ohne den Kopf abzutrennen. Samson senior stieß seinen Sohn zurück, ergriff den Stahl und trennte mit einem einzigen Schlage das Haupt vom Rumpfe.

In einer Eingabe an das Parlement, die eine kurze Darstellung seiner militärischen Maßnahmen während der Zeit vom 1. Januar 1757 bis zum 16. Januar 1761 enthält, und in der er über verschiedene Punkte des bei den Unfällen in Indien beobachteten Verfahrens Auskunft giebt, setzt Lally auseinander:

Daß wir bereits ein Jahr vor seiner Ankunft in Indien Bengalen verloren hatten;

Daß die Schuld an Herrn Leyrit, dem Gouverneur von Pondichery, lag, wenn er die Belagerung von Madras aufgeben mußte;

Daß es gleichfalls die Schuld dieses Gouverneurs und des Magistrats von Pondichery war, wenn die Engländer sich dieses Platzes und in der Folge ganz Indiens bemächtigten;

Daß Daché sich aus eigener Schuld dreimal von den Engländern hat schlagen lassen, und daß daher dieser General die Ursache des Verlustes der indischen Kolonien ist;

Daß Daché ihm während der drei Jahre die Gelder vorenthalten hat, welche die Compagnie ihm zur Besoldung des Heeres geschickt hatte, und

Daß der Gouverneur von Pondichery und die Magistratsbeamten beständig seine Absichten durchkreuzt und die Feinde davon in Kenntnis gesetzt haben, um den Erfolg seiner Operationen zu vereiteln.

Er weist nach, daß man ihm drei Jahre lang von Frankreich aus keine Hilfe, weder an Geld, noch an Truppen, noch an Schiffen, noch an Lebensmitteln zugesandt hat, und daß die Summen, welche die indische Compagnie während dieser Zeit nach Indien schickte, in die Taschen des Gouverneurs von Pondichery, der Magistratsbeamten und anderer Leute geflossen sind, die alles an sich rafften und die Truppen ohne Sold und ohne Lebensmittel ließen – ganz im Gegensatze zu den Engländern, die Schiffe, Truppen und siebenundzwanzig Millionen Pfund nach Indien schickten, um ihre Heere zu besolden und ihr Unternehmen durchzusetzen.

Den Schluß der Eingabe bildet ein Bericht über die Belagerung und Übergabe Pondicherys.

Lally erkrankte während der Belagerung an einem Übel, das in Indien tödlich ist, und wurde bettlägerig.

Während der letzten Tage vor der Übergabe fielen die Bewohner und die Besatzung vor Hunger um. Es kam also die Kapitulation mit den Engländern in Frage.

Lally wollte mit dem General der englischen Landtruppen unterhandeln, die den Platz belagerten, der Gouverneur Leyrit und der Magistrat aber mit dem Admiral der englischen Flotte, die die Stadt blockierte: infolge dessen Streitereien, einander widersprechende Befehle, nutzlose Deputationen. Schließlich kam gar keine Kapitulation zustande, und da der Hunger sich aufs Drückendste fühlbar machte, öffneten der Gouverneur und die Stadträte den Engländern am 16. Januar 1761 die Thore. Das Unglaublichste aber ist, daß dies vierzehn Tage nach dem fürchterlichen Unfalle geschah, der der englischen Flotte auf der Rhede von Pondichery zugestoßen war: von den elf Schiffen, aus denen sie bestand, waren acht bei dem fürchterlichen Orkane am 1. Januar mit Mann und Maus zu Grunde gegangen. –

Die Regierung hat zu erfahren gesucht, welcher Ansicht das Ausland über die Verurteilung und Hinrichtung des Grafen Lally war. Aus verschiedenen Berichten, die darüber eingeliefert worden sind, geht hervor, daß die Ausländer, und namentlich die Engländer, mit Abscheu und Widerwillen der schmählichen Weise gedachten, in der der Verurteilte zur Richtstätte geschafft wurde: der Karren und der Knebel hatten sie empört. –

Um eine Vorstellung von dem Urteil zu geben, das die Engländer über das Verhalten Lallys in Indien fällten, citieren wir hier den bezüglichen Abschnitt aus der Indischen Angelegenheit (Bd. I, S. 29).

»Allen,« heißt es dort, »die des glorreichen Abschlusses des denkwürdigen indischen Krieges gedenken, sind noch die abenteuerlichen Züge Lallys gegenwärtig. Er verlor Masulipatam und die nördlichen Provinzen, indem er Bussy vom Hofe zu Salabatjing abrief und einen andern, minder geschickten Offizier in dieser kritischen Lage zu seinem Nachfolger ernannte. Die Berennung von Madras kostete ihm viel Zeit, Geld und Blut, das er besser hätte verwenden können, wenn er mit den Alliirten der französischen Compagnie zusammengewirkt und ihren Einfluß erhöht hätte. Er schwächte sein Heer durch Absendung starker Abteilungen nach Seringapatam und ließ es geschehen, daß die Engländer durch die Einnahme von Vandevask und Korangoly ihre Grenzen bis südlich von Paliakate vorschoben.

»Das sind indessen nicht die Ursachen, welche die Franzosen in Indien zu Grunde richteten. In keinem Lande der Welt sind die Kriege so kostspielig wie gerade in Indien: die Verluste der Franzosen und die Vorteile, die uns aus der Einnahme von Chandernagor und anderer wichtiger Punkte in der reichen Provinz Bengalen erwuchsen, zwangen sie, das Land fahren zu lassen. Die Küsten von Koromandel und Malabar wurden in Wahrheit von Clive an den Ufern des Ganges erobert.

»Möglicherweise kannte Lally die Örtlichkeit nicht recht, vielleicht hatte er auch eine allzu geringe Meinung von den eingeborenen Fürsten, um sich ihren Beistand zu nutze zu machen – sicher ist, daß er genötigt war, sich an der Küste ohne ein Geschwader zu behelfen, und daß seine Alliirten, als er in das Innere des Landes vordringen wollte, ihm ihren Beistand versagten und seine Truppen sich wegen des rückständigen Soldes empörten. Trotz dieser Hindernisse und Widerwärtigkeiten aber hatte er von zehn Schlachten, die er lieferte, nur eine einzige verloren, und man konnte ihm wohl gestatten, nachdem er mit ein und demselben Heere neun Schlachten gewonnen und zehn Plätze erobert hatte, sich vor überlegenen Streitkräften zurückzuziehen.

»Aber wie verschiedene andere große Männer verdankte Lally seinen Untergang nur der Geradheit seiner Gesinnungen und der Erhabenheit und Strenge seiner Grundsätze. Schon gleich bei seiner Ankunft in Pondichery legte er offen den größten Abscheu vor der Käuflichkeit an den Tag, die in seiner Umgebung an der Tagesordnung war. Erhaben über die schmählichen Kunstgriffe, die sich immer im Gefolge der Habsucht zeigen, betrachtete er alle diejenigen, die kein ander Ziel kannten als den pekuniären Gewinn, mit ausgeprägter Geringschätzung und Verachtung. Er hatte Befehl, die Ursachen zu ergründen, die sein Vaterland arm gemacht hatten, und die Schuldigen zu bestrafen. Er sollte gegen den Kassendiebstahl, gegen die Betrügerei, die Erpressung, den Ungehorsam, die Feigheit und die Meuterei zu Felde ziehen.

»Ein solcher Auftrag konnte ihn nichts weniger als beliebt machen, und Lally täuschte sich, wenn er einen freundlichen Empfang von Seiten derer erwartete, die diese Untersuchung verabscheuten und meinten, daß sie dabei Gefahr liefen. Er erfuhr binnen kurzem, auf was ein Mann gefaßt sein muß, der einem Schurken den Ertrag seiner Gaunereien entreißen will: es bildete sich auf der Stelle ein Bündnis, um ihn an der Durchführung seines Auftrags zu hindern, und diejenigen, die ihm zum Besten des Dienstes hätten zur Hand gehen sollen, waren die ersten, die ihm Hindernisse in den Weg legten, weil sie ihren eigenen Untergang nur dadurch vermeiden konnten, daß sie ihm den Untergang bereiteten.«

Das Resultat der Maschinationen dieser edlen Herrn haben wir bereits kennen gelernt: Lally wurde » wegen Hochverrats und Unterschleifs« verurteilt und enthauptet. Aber nicht bloß im Auslande, auch in Frankreich erhoben sich bald genug gewichtige Stimmen für ihn. Voltaire in seinen Fragmenten über Indien und Raynal in seiner Philosophischen Geschichte traten nachdrücklich für das Gedächtnis des unglücklichen Gouverneurs von Indien ein, und der natürliche, aber durch Patent vom 13. Juni 1772 legitimierte Sohn desselben, Trophine Gerard de Lally-Tolendal, trug nun auf Kassation des gegen seinen Vater ergangenen Urteils an. Nach hartnäckigem Kampfe mit dem Parlemente von Paris, bei dem Duval d'Eprémenil, der Neffe des mehrerwähnten Leyrit, Gouverneurs von Pondichery, sein Hauptgegner war, setzte er dieselbe durch: das Urteil vom 6. Mai 1766 wurde durch Beschluß des Staatsrats vom 23. März 1778 kassiert, und der ganze Prozeß zur nochmaligen Verhandlung vor das Parlement von Rouen verwiesen. Dies wusch indessen seine Hände in Unschuld, und so kam die Affaire vor das Parlement von Dijon, das sich mit solcher Gründlichkeit an die Arbeit machte, daß vielleicht doch noch vor Ablauf des achtzehnten Jahrhunderts ein neuer Spruch erfolgt wäre, wenn nicht die Revolution dem Kläger wie den Richtern andere Dinge zu thun und zu denken gegeben hätte. Freilich waren diesmal keine sechzigtausend Livres Gratifikation zu verdienen, wie sie Pasquier, der Berichterstatter im Prozesse Lally, 1766 erhalten hatte.

Lally war in der Bastille auf zwanzig Franken täglich gesetzt.

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