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R.
Besuche und Unterredungen in der Bastille.

Man könnte leicht geneigt sein, den Verfasser in Bezug auf seine Behauptungen über die Abgeschlossenheit der Gefangenen der Übertreibung zu zeihen: die folgenden Bemerkungen werden zu seiner Rechtfertigung dienen.

Zunächst weiß man, daß es den Schließern auf das Strengste untersagt war, sich mit dem Gefangenen zu unterhalten. Durch diese kam also dem Eingeschlossenen keine Nachricht zu, namentlich wenn er nicht in der Lage war, die Gewissenhaftigkeit seines Wärters durch die Aussicht auf irgend einen Vorteil zu besiegen.

Nun wurde allerdings den Gefangenen hin und wieder der Empfang von Besuchen zugestanden, aber für diese Zusammenkünfte bestanden wiederum ganz bestimmte Vorschriften, die namentlich die Unterhaltung über die öffentlichen Angelegenheiten verboten. »Wer die Erlaubnis hatte,« sagt Charpentier (II, 50), »einen Gefangenen zu besuchen, meldete sich mit einem Schreiben des Polizei-Direktors an den Gouverneur, den Kommandanten oder den Major, in welchem die Zahl und die Dauer der Zusammenkünfte festgesetzt war. Dieselben fanden immer nur in Gegenwart eines oder zweier Zeugen statt, die sich dabei zwischen den Gefangenen und den Besucher stellten. Dieser durfte während des Gesprächs keinen auf die Haft des Besuchten bezüglichen Gegenstand berühren, außer im Falle eines bereits eingeleiteten Verfahrens, in welchem Falle man dem Gefangenen bisweilen einen Rechtsbeistand bewilligte, der mit ihm konferieren durfte. Zu einem Besuche ohne Zeugen bedurfte es einer besondern Erlaubnis von Seiten des Ministeriums, die dem Bittsteller durch Vermittlung des Polizei-Direktors zukam, und eine solche Erlaubnis wurde äußerst selten gewährt.«

Von den zahllosen Belegen für die Richtigkeit dieser Angaben Charpentiers hier nur einen. Saint-Mars schreibt unterm 3. August 1700 an d'Argenson:

»Wenn die Frau Superiorin der Nouvelles Converties in Gemäßheit Ihrer Befehle hier mit der Frau Scheult reden soll, so werden sie sich immer in Gegenwart eines meiner Offiziere nur zweimal sehen können.

»Heute erschien Lorrain in der Absicht, mit der Frau Scheult von ihrem Gatten zu reden, von dem er einen Brief empfangen hat. Ich bemerkte ihm, daß sie nur von Ihnen Nachrichten über denselben empfängt, worauf er sich fügte.« ( Ravaisson X, 257).

Aus diesem Bruchstück geht zugleich hervor, daß dem Polizei-Direktor über alle Besuche Bericht erstattet wurde. Noch unzweideutiger erhellt dies aus folgendem Schreiben des Majors Chevalier an den Polizei-Direktor ( Charpentier II, 51):

» In der Bastille, 30. Juli 1770.

»Ich habe die Ehre, mein Herr, Ihnen mitzuteilen, daß gestern der Sieur Billard mit dem Sieur Perrin von 6 Uhr nachmittags bis nach 9 Uhr abends gearbeitet hat.

»Heute morgen hat Herr de la Monnoye den Sieur Abbé Grisel eine gute halbe Stunde lang gesehen und gesprochen.

»Der Herr Abbé Taaf de Gaydon hat heute morgen den Sieur Padeloup Es ist dies ohne Zweifel jener Pasdeloup, dessen wir bereits auf S. 68 gedacht haben. Der Unglückliche war auf Anstiften seiner frömmelnden Mutter eingesperrt worden, um dadurch bekehrt zu werden. besucht und ist eine gute Stunde bei ihm geblieben.

»Heute Nachmittag hat Ihrem Befehle gemäß der Sieur Maucarré seine Frau gesehen und gesprochen.

»Den Sieurs Grisel und Ponce de Léon habe ich gemäß Ihrem Befehle v. 28. d. M. jedem einen Brief zugestellt.

»Der Sieur Billard hat heute Nachmittag Ihren Befehlen gemäß seine Frau gesehen und gesprochen.

»Ich bin u. s. w.

Gezeichnet: Chevalier

Was endlich das Verbot betrifft, mit den Gefangenen über die öffentlichen Angelegenheiten zu reden, so ergiebt sich dasselbe unter anderm aus folgendem Schreiben, das der Polizei-Direktor Berryer zur Zeit des Damiensschen Attentates an den Gouverneur der Bastille richtete ( Berville-Barrière, p. 54):

»Um Ihnen, mein Herr, nicht in jedem Erlaubnisscheine zum Besuche der Gefangenen das fürchterliche Attentat auf den König ins Gedächtnis rufen zu müssen, schreibe ich Ihnen hier ein für allemal, um Sie zu bitten, doch den Herren Offizieren der Bastille anzuempfehlen, daß sie allen denen, welche die Erlaubnis zu einem Besuche erhalten, einschärfen, daß sie den Gefangenen gegenüber in keiner Weise des fürchterlichen Ereignisses Erwähnung thun, bei Strafe, sofortiger Einschließung im Schlosse.

»Ich bin u. s. w.

Gezeichnet: Berryer

Nach alledem können die Worte Linguets: »Vielleicht findet sich noch heute in diesen Kerkern irgend ein Gefangener, der täglich Ludwig XV. und den Herzog de la Vrillière mit seinen Bitten bestürmt« (S. 172) nicht mehr befremden. Vielleicht wußte er sogar um die Existenz jenes Tavernier, dessen bereits auf S. 93 gedacht worden ist, und von dem Dusaulx ( p. 344) erzählt: »Das Geschrei von mehr als fünfzigtausend Kämpfern und Zuschauern war im Innern der Türme wiederhallt und in einen jener traurigen Winkel gedrungen, wo seit dreißig Jahren ein Greis hinsiechte, der bereits zehn Jahre in einer andern Bastille zugebracht hatte. Er wußte nicht mehr, wer in seinem Vaterlande regierte, noch wie es in diesem ebenso unerwarteten wie in der Geschichte einzigen Momente um uns stand, und begann sogar zu glauben, daß es auf der verödeten Erde keine weitern menschlichen Wesen mehr gebe als seine Wächter. Tavernier, das ist der Name dieses Gefangenen, hört die Pforte seines Kerkers ächzen, die durch kräftige Beil- und Kolbenschläge gesprengt wurde. »Kommt man endlich,« rief er, »um mich aus meiner Gefangenschaft oder vielmehr von der Last dieses traurigen und wahrhaft unerträglichen Daseins zu befreien?« Aber so elend dies schon allzu lange hingeschleppte Leben auch war, er schickte sich nichtsdestoweniger zu dessen Verteidigung an, als er sich plötzlich statt von den Griffen der Mörder, die er fürchtete, von den süßen Umarmungen seiner Befreier umfangen fühlte, die ihn mit ihren Thränen benetzten.«

Es ist nicht recht klar, ob etwa dieser Tavernier identisch ist mit jenem Gefangenen, von welchem Beffroy de Reigny in der Historie de France pendant trois mois ( Paris 1789, p. 83) erzählt: »Ein Gefangener fragte in dem Augenblicke, wo man ihn seiner Fesseln entledigte, ob Ludwig XV. noch am Leben wäre, und wie er sich befände. – »Nein,« erwiderte man ihm, »Ludwig XV. lebt nicht mehr, er ist seit fünfzehn Jahren tot; aber Heinrich IV. ist wieder auferstanden und regiert heute unter dem Namen Ludwig XVI.«

Dagegen scheint es uns ausgemacht, daß er Veranlassung zu der etwas phantastischen Geschichte gegeben hat, die Carra ( II, 265) unter dem Titel: Précis historique de la Détention du comte de Lorges mitteilt, und daß sich die folgende Stelle der Révolution de Paris (I, 14) auf ihn bezieht: »Ein ehrwürdiger Greis war seit vierzig Jahren eingekerkert; man glaubt, es sei der alte Graf de Lorges. Andere behaupten, es wäre ein Graf d'Estrades, ein natürlicher Sohn Ludwigs XV. Ich sah ihn, als er sich in der Lust des Genusses jener Fähigkeiten versuchte, deren er so lange beraubt gewesen war, wie er auf zwei Männer gestützt einherwankte, einen großen Hut mit herabgeschlagenen Krempen auf dem Kopfe, um die Einwirkung des Lichtes zu mildern, an das seine Augen nicht mehr gewöhnt waren, und mit einer einfachen Jacke und einer Linnenhose bekleidet, weil er keine andern Kleider mehr ertragen konnte.«

Endlich sei bei dieser Gelegenheit noch der Geschichte des Isaac Armet de la Motte d'Avezot gedacht, die zuerst mit romantischer Ausschmückung von Saint-Foix ( Oeuvres II, 471) in den Lettres de Nedim Coggia erzählt und dann von Mercier im Tableau de Paris reproduziert und in die Zeit Ludwigs XVI. verlegt worden ist. Dieser La Motte wurde am 27. Februar 1695 in die Bastille gebracht, weil er ein königliches Begnadigungsschreiben gefälscht hatte. Wie so viele andere, verlor er während der Gefangenschaft den Verstand und weigerte sich, die Bastille zu verlassen, als man ihn im September 1715 freigeben wollte. Aus Barmherzigkeit behielt man ihn im Schlosse, und erst am 11. September 1749, als seine Unreinlichkeit den Invaliden unerträglich geworden war, wurde er nach Charenton gebracht, wo er kurze Zeit darauf starb. Der Bedauernswerte hatte 54 Jahre 5 Monate und 14 Tage in der Bastille zugebracht. ( Ravaisson X, 73; Carra I, 250.)

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