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N.
Die Deputationen an den Gouverneur der Bastille am 14. Juli 1789.

An dem verhängnisvollen 14. Juli wurden im Ganzen fünf Deputationen an den Gouverneur de Launay abgesandt, um ihn zur Übergabe aufzufordern. Wir geben zur Ergänzung der vorn mitgeteilten Schilderung der Einnahme der Bastille nachstehend die Einzelheiten dieser schwachen Versuche zu einer gütlichen Beilegung der Angelegenheit.

Die erste Deputation ging gegen zehn Uhr morgens vom Stadthause aus. Dusaulx ( L'oeuvre des sept jours, p. 294) berichtet über Anlaß und Ergebnis derselben: »Einige in unserm Komitee begannen sich zu sagen, daß die Geschichte ernster wäre, als man anfangs gemeint hatte: aber es war nicht mehr Zeit zur Umkehr. Um Blut zu sparen, wurde beschlossen, eine feierliche Deputation an den Gouverneur zu senden. Herr Bélon nebst einigen andern Wählern wurde mit der ersten beauftragt, die keinen Erfolg hatte.«

Bélon befand sich noch beim Gouverneur, als eine zweite Deputation vom Distrikt Saint-Louis-de-la-Culture anlangte. Es war dies der Parlementsadvokat Thuriot de la Rosière, nach dessen Angaben folgender Bericht über seine Sendung veröffentlicht ward:

»Am Dienstag, 14. Juli 1789, gegen Mittag, gelangt beim Distrikt Saint-Louis-de-la-Culture die Meldung an, daß die Richtung der Kanonen auf den Türmen der Bastille die ganze Hauptstadt in Aufregung versetze.

»Gleichzeitig wird versichert, daß die Belagerung der Bastille eine beschlossene Sache sei und ohne Verzug beginnen werde.

»Herr Thuriot de la Rosière, eins der Mitglieder des Distrikt-Ausschusses, erster Wähler und später Deputierter bei der Versammlung der Gemeinde-Vertreter, erhebt sich bei dieser Nachricht und bemerkt, daß eine große Anzahl Bürger bei einem solchen Unternehmen zum Opfer fallen können. Er beantragt, daß auf der Stelle eine Deputation an den Gouverneur abgesandt werde, um ihn aufzufordern, den Kanonen eine andere Richtung zu geben und sich unverzüglich zu ergeben.

»Sein Antrag scheint verständig und einsichtsvoll.

»Man fordert ihn auf, selbst die Botschaft auf sich zu nehmen. Er nimmt an und bricht in Begleitung zweier Bürger-Soldaten auf.

»Das Volk begann sich um die Bastille anzusammeln, aber der Durchgang war noch frei. Mit seinen beiden Füsilieren an der Zugbrücke angekommen, giebt er diesen beiden auf, diesen Posten nicht zu verlassen, klopft und tritt ein.

»Von einem Invaliden zum Gouverneur geführt, fand er dort Herrn Bélon vor, der sich nach Erledigung seines Auftrags zurückzog.

»Nun forderte er Herrn de Launay auf, die Richtung der Kanonen zu ändern und sich zu ergeben.

»Die Antwort war zweideutig, schreckte ihn aber nicht zurück. Er verlangte den zweiten Hof betreten zu dürfen, wozu er mit vieler Mühe die Erlaubnis erhielt.

»Die große Brücke, die zu diesem Hofe führte, war aufgezogen, die kleine dagegen noch nicht. Er überschritt sie an der Seite des Gouverneurs, und das eiserne Gitter öffnete sich vor ihnen.

»Drei Kanonen, mit der Mündung gegen die Belagerer gekehrt, standen bereit, um den Hof rein zu fegen. Ungefähr sechsunddreißig Schweizer befanden sich unter Gewehr und erwarteten den Angriff; außerdem erblickte man auf dem Hofe zwölf oder dreizehn Invaliden unter dem Befehle von vier Offizieren, zwei Kanoniere und die Offiziere vom Stabe.

»Obgleich allein in dieser letzten, furchtbaren Verschanzung, fordert Herr de la Rosière sie sämtlich auf, die Richtung der Kanonen zu ändern und sich zu ergeben. Er erläßt diese Aufforderung im Namen der Ehre und des souveränen Volkes.

»Der Gouverneur verpflichtet alle Offiziere und Soldaten zu dem Schwure, daß sie nicht zuerst schießen würden, und schwört es selbst.

»Das genügte Herrn de la Rosière nicht: er wünscht auf die Türme zu steigen und die Kanonen zu besichtigen, da er beim Herabkommen die Besatzung zur Erfüllung ihrer Bürgerpflicht bereit zu finden hofft.

»Der Gouverneur bedenkt sich, die Offiziere bestürmen ihn, er giebt nach und folgt Herrn de la Rosière.

»Auf der Plattform des Turmes, der das Arsenal beherrscht, Der Turm La Comté. angelangt, erblicken sie eine ungeheure Volksmenge, die von allen Seiten herbeiströmt: das Faubourg Saint-Antoine rückte in geschlossener Masse heran.

»Der Gouverneur erbleichte. Er ergriff Herrn de la Rosière beim Arm: »Was machen Sie, mein Herr? Sie mißbrauchen ein geheiligtes Amt, um mich zu verraten!« – »Und ich erkläre Ihnen, mein Herr, wenn Sie in diesem Tone fortfahren, wird einer von uns beiden in den Graben zu liegen kommen!« De Launay schwieg.

»In diesem Augenblicke meldete der Posten, der mit ihnen auf dem Turme stand, daß man sich anschicke, das Haus des Gouverneurs anzugreifen, und daß keine Zeit zu verlieren sei. Der Gouverneur beschwor Herrn de la Rosière, sich zu zeigen. Der Deputierte trat an den Rand der Plattform, und zahlreiche Beifallsrufe stiegen aus dem Garten des Arsenals empor. Der Bericht der Invaliden verlegt diese Scene mit größerer Wahrscheinlichkeit in das Hôtel des Gouverneurs, s. S. 101.
D. Übers.

»Dann wirft er einen Blick auf die Kanonen. Sie waren aus den Schießscharten zurückgezogen und standen etwa vier Fuß davon entfernt: dabei hatte man sie aber in der Richtung gelassen, und er bemerkte, daß sie maskiert waren.

»Nach der Rückkunft auf den Hof dringt er von neuem in den Gouverneur und seine Soldaten, der Notwendigkeit zu gehorchen. »Besser noch,« fügt er hinzu, »gehorcht den Befehlen des Vaterlandes, dessen Organ ich bin.« Dies ist ein offenbarer Irrtum de la Rosiéres, den er auch nach einer Andeutung Charpentiers eingestanden zu haben scheint. Die Invaliden hatten durchaus kein Interesse daran, diese zweite Aufforderung zu verschweigen, und würden, um sich zu rechtfertigen, gewiß nicht versäumt haben, derselben zu gedenken, falls sie sich daraufhin zur Übergabe willig gezeigt hätten.
D. Übers.

»Die Soldaten waren willig, ihr Führer aber, verwirrt durch das, was er gesehen und gehört hatte, hielt sie bald zurück, bald schwankte er. Um keine kostbare Zeit zu verschwenden, entschloß sich Herr de la Rosière zur Rückkehr, zuerst nach dem Distrikte und sodann nach dem Stadthause.«

Dort hatte man sich inzwischen zur Absendung einer zweiten Deputation entschlossen, die indessen noch weniger Erfolg hatte als die erste. Sie bestand nach Dusaulx aus dem Präsidenten de la Vigne und den Wählern Abbé Fauchet und Chignard, denen sich als Freiwilliger der Ersatz-Deputierte der bretonischen Gemeinden bei der National-Versammlung, Bottetidoux, anschloß. Diese vier waren beauftragt, dem Gouverneur folgenden Beschluß des Ausschusses zu überbringen:

»In Anbetracht, daß es in Paris keine militärische Macht geben darf, die sich nicht in den Händen der Stadt befindet, beauftragt der Ausschuß der Pariser Bürgerwehr die Deputierten, die er an den Schloßhauptmann der Bastille, Herrn Marquis de Launay, sendet, an diesen die Frage zu richten, ob er bereit ist, in den Platz die Soldaten der Pariser Bürgerwehr aufzunehmen, die unter den Befehlen der Stadt stehen und die Festung gemeinschaftlich mit den Truppen hüten sollen, die sich gegenwärtig in derselben befinden.

»Gegeben im Stadthause am 14. Juli 1789.

» Gezeichnet: de Flesselles, Vorsteher der Kaufmannschaft und Präsident des Ausschusses; de la Vigne, Präsident der Wähler u. s. w. u. s. w.«

Nach der Entfernung de la Rosières hatte jedoch der Kampf begonnen, und trotzdem die vier Mitglieder der Deputation unter offenbarer Lebensgefahr zu drei verschiedenen Malen bis an das Thor der Bastille an der Rue Saint-Antoine vordrangen, gelang es ihnen doch nicht, sich den Belagerten bemerklich zu machen. De la Vigne entschloß sich daher, der Form wegen den Beschluß unter der Thorwölbung zu verlesen, wobei drei von den Stürmenden in seiner Nähe fielen, und kehrte dann unverrichteter Sache mit seinen Gefährten zur Berichterstattung nach dem Stadthause zurück.

Noch resultatloser verlief die vierte Deputation, die vom Distrikt Saint-Paul ausging: es gelang ihr überhaupt nicht, die Masse auf dem Grève-Platze zu durchschneiden und sich der Bastille zu nähern.

Auf dem Stadthause jagte nach der Rückkehr de la Vignes eine Nachricht die andere. Bewaffnete Haufen verlangten unter Drohungen Munition, um die Belagerung fortsetzen zu können. Die Verwirrung und die Aufregung waren aufs Höchste gestiegen. Man entschloß sich zu einer dritten Deputation. »Die Herren Ethis de Corny und Francotay werden dazu ernannt und wünschen sich Glück zu dieser Bevorzugung, der ehrendsten, wie sie sagen, die jemand begehren kann. Sie brechen mit der Stadtfahne und einem Trommler auf. Mehrere Bürger bewerben sich um die Ehre, sie begleiten zu dürfen, und verdienen um so mehr genannt zu werden, als sie, unter dem Feuer des Platzes angelangt, dort eine ungemeine Tapferkeit bewiesen. Hier die Namen dieser würdigen Freiwilligen: Poupart de Beauboury, Piquot de Saint-Honorine, Boucheron, Coutans und Joannon ... Bei ihrer Rückkehr erfuhr das Komitee – einige dieser Thatsachen sind jedoch streitig – daß der Gouverneur die Bürger in den ersten Hof gelockt hatte, daß er auf sie hatte schießen lassen, daß die weiße Fahne auf den Türmen aufgepflanzt worden war und die Flinten mit dem Kolben nach oben gehalten wurden, und daß trotz dieser Friedenssignale die Deputation dem Feuer des Platzes ausgesetzt gewesen war. – Um aber berechtigt zu sein, den Gouverneur und die Besatzung des Verrats zu beschuldigen, müßte man erst bestimmt wissen, ob sie die Zeichen der Deputierten gesehen und als solche erkannt haben; und haben sie sie wirklich wahrgenommen, so muß zugegeben werden, daß es ihnen unmöglich war, den Kampf einzustellen, während sie von allen Seiten bedrängt wurden, während das Feuer der Belagerer fortdauerte und man nicht bloß vom Fuße der Festung, sondern auch von den umliegenden Häusern aus auf sie schoß.« ( Dusaulx, L'oeuvre de sept jours, p. 297-299.)

Es ist schon in der Anmerkung zu S. 108 darauf hingewiesen worden, daß viele von den umliegenden Dächern aus abgegebene Kugeln den auf den Höfen befindlichen Belagerern verderblich werden mußten. Natürlicherweise aber hielt man jede Verwundung für eine Folge des Feuers des Platzes, und so kehrte diese fünfte und letzte Deputation mit der Überzeugung um, daß von Seiten des Gouverneurs ein schnöder Verrat verübt werde, eine Überzeugung, die von der Mehrzahl der Stürmenden geteilt wurde und dem unglücklichen de Launay teuer zu stehen kam.

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