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Kurze Geschichte und Beschreibung der Bastille.

Nach Charpentier.

Die Bastille wurde unter Karl V. im Jahre 1370 In der That setzen die meisten Autoren, wie z. B. Christine de Pisan, eine zeitgenössische Schriftstellerin (Vie de Charles V), die Annales de France , D. Félibien, der Präsident Hénault u. s. w., die Erbauung der Bastille in dieses Jahr, und es scheint unmöglich, dies Datum zu verwerfen. Piganiol de la Force ( Description de Paris) verlegt die Erbauung in das Jahr 1371 – eine sehr unwesentliche Abweichung, die überdies durch keinen Beweis begründet erscheint. Einige Autoren, meldet dieser Schriftsteller, haben angenommen, daß die Bastille schon unter König Johann vorhanden gewesen sei, denn sie berichten, daß Etienne Marcel in der Hoffnung, dort in Sicherheit zu sein, sich hineingeflüchtet habe und darin getötet worden sei. Uns genügt jedoch, ohne daß wir uns hier mit einer eingehenden Widerlegung dieser Meinung befassen, daß alle gewissenhaften und unterrichteten Geschichtschreiber, die aus den Quellen geschöpft haben, nichts berichten, was dieser Erzählung von dem Tode Marcels günstig wäre, sondern im Gegenteil einstimmig melden, dieser Vorsteher der Kaufmannschaft habe sich in der Absicht, Paris dem König von Navarra zu überliefern, heimlicher Weise der Porte Saint-Antoine genähert, um sie jenem Fürsten zu öffnen, und sei von einem treuen und pflichtergebenen Bürger, namens Maillard, der von seiner tückischen Absicht Kenntnis hatte und dem Verräter zuvorkam, durch einen Beilhieb getötet worden. erbaut, und zwar legte Hugues Aubriot, der Vorsteher der Kaufmannschaft, am 22. April genannten Jahres den Grundstein dazu. Aubriot hatte für die Ringbefestigung von Paris zu sorgen, und daher wurde ihm auch dieser Bau übertragen, dessen Kosten aus dem der Stadt zu diesem Behufe überlassenen Zehnten bestritten wurden. Nach Piganiol de la Force ( Description de Paris) war der erwähnte Beamte ein Burgunder von ziemlich niederer Herkunft und den Juden in solchem Grade gewogen, daß er sogar ihren Glauben annahm. Die eben im Aufblühen begriffene Universität Die Gründung der Pariser Universität ist von dem Tage an zu datieren, an welchem Wilhelm von Champeaux (1070-1121) das Kloster Notre-Dame verließ und seine Schüler aus der Stadt heraus auf das linke Seineufer in die Gegend des heutigen Quartier latin führte (1113). Die erste Urkunde über ihre Gerechtsame erhielt die Universität bereits von Philipp August i. J. 1199. Der Ausdruck: im Aufblühen begriffene Universität (université naissante) ist daher nicht zutreffend, denn im Jahre 1381 hatten bereits Männer wie Abälard (1079-1142), Albertus Magnus (1193-1280), Bonaventura (1221-1274), Thomas von Aquino (1225-1274), Duns Scotus (1266-1308), Buridan (gest. 1358) u. s. w. an dieser Universität gelernt und gelehrt.
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aber, deren Anmaßungen er Einhalt thun wollte, nötigte 1381 den Bischof von Paris, ihm als einem Apostaten den Prozeß zu machen, und Aubriot ward verurteilt, auf dem Kirchplatz von Notre-Dame öffentlich Abbitte zu thun und den Rest seiner Tage bei Wasser und Brot in einem Verließe zu verbringen.

Dies war nach Piganiol das Ende des ersten Bauherrn der Bastille. Der Verfasser der Remarques historiques et anecdotes sur la Bastille dagegen betrachtet Aubriot mit Recht als einen Mann, der aufrichtig für das gemeine Wohl bemüht war, den aber die Mitglieder der Universität und der Clerus des Unglaubens anklagten, um ihn aus dem Wege zu räumen, und den die Parteigänger des Hauses Orléans verfolgten aus Haß gegen das Haus Burgund, dem er anhing. Jener Autor fügt noch hinzu, daß Aubriot i. J. 1381 in die von ihm selbst erbaute Bastille eingeschlossen worden wäre, und daß man ihn später in das Gefängnis im bischöflichen Palaste gebracht habe, aus dem ihn dann die unter dem Namen der Maillotins bekannten Aufrührer befreiten, um ihn an ihre Spitze zu stellen, daß er aber seine Freiheit benutzt habe, um sich unbemerkt nach Burgund zurückzuziehen, wo er ruhig und unbekannt den Rest seiner Tage verlebte.

Die ersten Anfänge der Bastille, d. h. die unter Karl V. aufgeführten Baulichkeiten, bestanden zunächst nur aus zwei isoliert liegenden Türmen, zwischen denen der Weg in die Stadt hineinführte. Diese beiden Türme waren der Schatzturm ( tour du Trésor) und der Kapellenturm ( tour de la Chapelle). Einige Jahre später führte man innerhalb der Stadt und den beiden ersten gegenüber zwei weitere Türme auf, zwischen denen noch immer der Weg hindurchlief. Doch ist diese Thatsache nicht so sicher beglaubigt wie die erste. Wir sind vielmehr versucht, sie für unrichtig zu halten, da man beim Abbruch der Bastille gefunden hat, daß der Freiheitsturm ( tour de la Liberté) und der Turm La Bertaudière ( tour La Bertaudière) miteinander verbunden und zur selben Zeit erbaut worden waren wie das starke Gemäuer, welches den Gürtel der Bastille bildete. Bezüglich der beiden ersten Türme aber, die dem Faubourg Saint-Antoine gegenüber lagen, und von denen wir sagten, sie seien erbaut worden, um isoliert zu bleiben, und besonders zur Verteidigung des Stadteingangs bestimmt gewesen, ist unsere Angabe keine bloße Vermutung, sondern eine durch die Bauart dieser Türme unumstößlich bewiesene Thatsache. Wir haben uns nämlich gelegentlich des Abbruchs durch den Augenschein überzeugt, daß die Verbindungsmauern zwischen beiden erst hinterdrein errichtet worden sind, denn wir sahen diese Türme rings herum mit Fenstern oder Schießscharten versehen und zwar an der Seite, welche durch die Verbindungsmauern verdeckt wurde, ebensogut wie an den übrigen. Übrigens ist es sehr möglich, daß der Innenraum der Bastille noch eine Zeitlang ganz wie früher als Durchgang benutzt worden ist: wenigstens hat man zwischen dem Freiheitsturm und dem Turm La Bertaudière ein vermauertes Thor aufgefunden, das genau dem zwischen dem Schatz- und dem Kapellenturm befindlichen Thore entsprach, und dieser Umstand allein mag genügen, um unsere Ansicht glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Man darf also Karl V., diesem Fürsten, der den ehrenvollen Beinamen des Weisen erhalten hat, nicht die Absicht unterschieben, als habe er dem Despotismus eine Waffe schmieden wollen. Im Gegenteil liegt klar am Tage, daß er einzig und allein daran dachte, seine Hauptstadt gegen feindliche Einfälle sicher zu stellen, und wenn die Türme der Porte Saint-Antoine von jener Zeit an zugleich als Gefängnis wie als Festung dienten, so geschah dies nach derselben Weise, in der wir in den Provinzen häufig die Stadtthorbefestigung zu diesem Zwecke verwandt sehen.

Um 1383 endlich ließ Karl VI. die übrigen Türme erbauen, verband sie unter sich durch eine Mauer, umgab das Ganze mit einem fünfundzwanzig Fuß tiefen Graben und ließ den Weg links, abbiegen, wie wir ihn noch heute sehen. Von da ab wurde die Bastille, die bis dahin wirklich nur eine einfache bastille (Zwinger) war, zum festen Schlosse, so wie wir sie kennen gelernt haben: eine altertümliche Festung mit acht großen, runden Türmen, deren Wände etwa sechs Fuß Dicke hatten. Diese Türme waren durch Mauern von neun Fuß Stärke, in denen zum Teil Höhlungen für die Aborte angebracht waren, miteinander verbunden. Was an Befestigungen neuerer Art hinzugefügt worden ist, wurde Piganiol zufolge am 11. August 1553 begonnen und i. J. 1559 vollendet und bestand, wie dieser Autor berichtet, aus einer von Bastionen flankierten Courtine, wovon jedoch nur eine Voll-Bastion mit Seitenbrustwehren wirklich zur Bastille gehörte. Die Courtine und die Halb-Bastion, in welche dieselbe ausläuft, bildeten einen Teil der Ringbefestigung von Paris. Die Kosten dieser Arbeiten wurden durch eine Steuer gedeckt, zu der die Bürger je von vier bis zu fünfundzwanzig Tourische Livres Die Tourische Livre ( Iivre tournois) war um ein Fünftel geringwertiger als die Pariser.
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beitragen mußten. Erst 1634 aber führte man die Wälle auf, die man dann vor einigen Jahren abgetragen hat, und zog zugleich die Gräben, die ebenfalls erst um diese Zeit zugeschüttet worden sind.

Der Eingang zur Bastille befand sich also rechts am äußersten Ende der Rue Saint-Antoine. Über dem ersten Thore lag ein Magazin mit einer beträchtlichen Menge verschiedenartiger Waffen Eine Zeitlang befanden sich in diesem Magazin bis zu vierzigtausend Flinten. Mindestens zwanzigtausend ließ man während des Unabhängigkeitskrieges nach Amerika hinübergehen, und der Rest war vor kurzem nach dem Hôtel der Invaliden geschafft worden. Nur sechshundert Stück hatte der Gouverneur zurückbehalten, und diese ließ er einige Zeit zuvor in das Innere der Bastille selbst bringen. Die alten Rüstungen, die sowohl durch ihre Form wie durch die eingelegten Metalle und Steine äußerst wertvoll waren, sind am Tage der Einnahme der Bastille fortgeschleppt worden. und alter Rüstungen. Neben diesem Thore befand sich ein Wachthaus, in das jede Nacht zwei Schildwachen postiert wurden, um den sich meldenden Personen zu antworten und zu öffnen. Dies Thor führte in einen ersten äußern Hof, in welchem die Kasernen der Invaliden und die Ställe und Remisen des Gouverneurs lagen. In diesen Hof konnte man auch durch das Arsenal gelangen. Und zwar durch ein Thor, das man auf dem beigegebenen Plane mit der Ziffer 3 bezeichnet findet. Dieser hintere Teil des Durchgangshofes führte den Namen Ulmenhof ( Cour de I'Orme).
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Von einem zweiten Hofe war derselbe durch ein Thor, neben welchem sich wiederum ein Wachthaus befand, durch einen Graben und eine Zugbrücke geschieden. In diesem zweiten Hofe, und zwar auf der rechten Seite desselben, stand das Haus des Gouverneurs. Demselben gegenüber lag ein fünfzehn Toisen langer Baumgang, an dessen rechter Seite ein Gebäude hinlief, das als Küche diente. In dem nämlichen Gebäude befand sich auch ein Badezimmer, das erst vor wenigen Jahren dort für die Frau des Gouverneurs eingerichtet worden war. Alle diese Baulichkeiten standen aus einer festliegenden Brücke, die über den Wallgraben führte, und an die sich eine Zugbrücke schloß, jenseits welcher ein drittes Wachthaus stand. Auf diesem Wege gelangte man dann in den großen Innenhof. Um aber dahin zu gelangen, berichtet John Howard, Der Zustand der Gefängnisse, Hospitäler und Zuchthäuser von John Howard, aus dem Englischen übersetzt, ein Werk eines Bewohners eines freien Landes, der auf einer Reise durch Europa alle diese Institute besuchte und überall für seine Wißbegierde offene Thüren fand, nur nicht im Gefängnis der Inquisition zu Madrid und in der Bastille zu Paris. Nach seiner Rückkehr von diesem philanthropischen Zuge wollten die Engländer ihm ein Standbild errichten, er setzte dem jedoch einen Widerstand entgegen, der ganz dem Eifer gleichkam, durch welchen er sich ein Anrecht auf dies Zeichen der Verehrung erworben hatte. Es ist dies einer von den schönen Zügen aus dem Leben dieses berühmten Kosmopoliten. Dem Mémorial de Paris zufolge konnte früher am letzten Tage des Frohnleichnamsfestes jeder die Bastille besuchen. Diese Sitte war aber abgekommen: in den Werken aus unserm Jahrhundert, die wir darüber zu Rate zogen, haben wir keine Spur davon gefunden, und die von uns befragten Personen, die darum wissen konnten, haben uns sogar das Gegenteil versichert. Wenn man jedoch Linguet glauben darf, so gestattete man noch in letzter Zeit Neugierigen den Zutritt, und der Gouverneur, der Platzkommandant, jeder bis herunter zum letzten Küchenjungen, empfing Besuche. Howard hätte sich also wie jeder andere einführen lassen können. Er konnte nicht über die erste Zugbrücke hinaus gelangen, da er keine Schritte gethan hatte, um sich den Zutritt zu verschaffen, man wies ihn höflich zurück, und so hat er nur nach Hörensagen berichten können. Diese Bemerkung genügte, um uns zu sparsamer Benutzung seines Werkes zu bestimmen, das dessenungeachtet äußerst bemerkenswert und interessant ist. mußte man noch ein starkes eisernes Gitter passieren, das der Schildwache, die strengen Befehl hatte, die Gefangenen nur bis auf drei Schritt an sich herankommen zu lassen, als Schutzwehr diente. Der große Innen-Hof war zweihundert Fuß lang und zweiundsiebzig Fuß breit und wurde von sechs Türmen, nämlich dem Freiheitsturm, dem Turm La Bertaudière, Ohne Zweifel nach irgend einem Gefangenen so benannt. Diesen Turm bewohnte der Mann mit der eisernen Maske während der fünf Jahre (1698-1703), die er in der Bastille zubrachte. Das Volk leitete, wie häufig in dergleichen Fällen, den Namen des Bauwerks von einem der Erbauer her und erzählte, der Turm heiße nach einem Maurer Bertaud, der bei der Aufführung desselben verunglückt sei.
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dem Turm La Bazinière ( tour de La Bazinière), Dieser Turm empfing seinen Namen wahrscheinlich von Herrn de la Bazinière, der 1663 dort gefangen gehalten wurde. In einer Zelle desselben wurde der Mann mit der eisernen Maske bei seiner Ankunft von der Insel Saint-Marguerite untergebracht. Er blieb indessen dort nur wenige Stunden, während welcher sein Quartier im Turm La Bertaudière in Ordnung gebracht wurde, wie das von Saint-Foix citierte Journal des Platzkommandanten der Bastille Du Junca berichtet. [Vgl. den Abschnitt KK des Anhangs. dem Turm La Comté ( tour de la Comté), Den Ursprung dieses Namens haben wir nicht in Erfahrung bringen können. dem Schatzturm Weiter unten im Texte wird man erklärt finden, aus welchem Grunde der Turm diesen Namen führte. und dem Kapellenturm An diesem Turme, und zwar unter der Wölbung des ehemaligen Stadtthors, befand sich nämlich früher die Kapelle. Beim Abbruch hat man auch wirklich dort die Überreste eines Altars gefunden. Eine zweite neue Kapelle hatte man, wir wissen nicht genau zu welcher Zeit, der alten gegenüber am Freiheitsturm errichtet. Sie war lange Zeit nur aus Holz erbaut, und erst de Launay hatte sie vor einigen Jahren aus Stein aufführen lassen. Über derselben befand sich bis zum Jahre 1784 der Taubenschlag des Gouverneurs (vgl. S. 48). sowie von den Mauern eingeschlossen, welche diese Türme miteinander verbanden. Zwischen dem Schatz- und dem Kapellenturm, d. h. den beiden zuerst von Aubriot errichteten Befestigungen der Bastille, bemerkt man noch jetzt einen Bogengang, der seiner Zeit das alte Stadtthor von Paris bildete. Später hatte man die Wölbung vermauert und den Gang in Räume umgeschaffen, von denen einer lange Zeit hindurch als Kapelle diente. Unter diesem Bogengange findet sich noch jetzt die Stelle für das Fallgatter und die ehemalige Zugbrücke. Im Hintergrunde wurde dieser Hof durch ein modernes Gebäude abgeschlossen, das zufolge einer goldenen Inschrift auf einer über der Thür angebrachten schwarzen Marmorplatte i. J. 1761 unter der Regierung Ludwigs XV. und unter der Verwaltung Phelypeauxs de Saint-Florentin, des Ministers für Paris, von dem damaligen Ober-Polizei-Direktor de Sartines als Wohnung für die Stabsoffiziere errichtet worden war. Es war nach einem sehr von den übrigen Baulichkeiten abweichenden Muster erbaut und glich eher dem Hause eines reichen Privatmannes als einem Zubehör grauenvoller Gefängnisse. Im Erdgeschoß dieses Gebäudes befand sich der Ratssaal ( salle du conseil), ferner Vorratskammern, Küchen, In der letzten Zeit existierten diese Küchen nicht mehr. Der Gouverneur hatte rechts von der festliegenden Brücke, die vor dem Haupteingange der Bastille lag, andere Küchenräume erbauen lassen und die frühern in Bibliothek-Zimmer verwandelt. Waschhäuser u. s. w., welche Räume einen Ausgang nach dem Hinterhofe hatten, und endlich Zimmer für subalterne Offiziere und Schließer. Im ersten Stock zur Rechten, über dem Ratssaal, lag die Wohnung des Platzkommandanten, im zweiten die des Platz-Majors, im dritten die des Chirurgen. »Im zweiten Stockwerk wohnte der Major, im dritten der Chirurgus, welcher mehrenteils sein Amt durch ein gutwilliges Mädchen erhielt, welches sich in Diensten des Gouverneurs befand, einen Mann brauchte, suchte und fand. Nach seinen Kenntnissen wurde nicht viel gefragt: er war der Mann, welcher dem gutwilligen Geschöpfe, welche der Herr Gouverneur oder Major wegen ihrer treuen, ihm geleisteten Dienste und Gefälligkeiten ausstattete, die Hand reichen wollte – Talente genug für einen Chirurgus der Bastille, welcher wöchentlich den Gefangenen den Bart abnehmen mußte.« (Echte und deutliche Beschreibung der Bastille, S. 22.)
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Der übrige Teil der drei Stockwerke wurde von einer Anzahl von Zimmern eingenommen, die zur Aufnahme besonders hervorragender Gefangener und der Kranken bestimmt waren, die man schonen wollte. Dort wohnten unter andern nacheinander der Kardinal Rohan und Herr de Saint-James. War die Bastille überfüllt, so wurden alle Räume des in Rede stehenden Gebäudes, die Vorzimmer, die Schlafkammern, ja sogar die Zimmer der Stabsoffiziere, mit Gefangenen belegt. Der zweite Hof wurde von diesem Gebäude, dem Brunnen- und dem Winkelturm und den entsprechenden Mauern eingeschlossen. Seine Länge war gleich der Breite des ersten Hofes, und seine Tiefe betrug zweiundvierzig Fuß. Zwischen dem Brunnenturm ( tour du Puits) Nach einem großen Brunnen so benannt, der von den Küchen benutzt wurde. und dem Winkelturm ( tour du Coin) Im ersten Gefängnisse dieses Turmes waren nacheinander die Marschälle Biron und Bassompierre gefangen gehalten worden. Der letztere verfaßte dort während der dreizehn Jahre (1631-1643), die er in der Bastille zubrachte, seine Memoiren. In dem nämlichen Zimmer brachte auch Le Maistre de Sacy zwei Jahre zu (1666-1668) und vollendete darin den größten Teil seiner Bibelübersetzung. Später bewohnte es Constantin de Renneville, s. den Abschnitt II im Anhange. lagen mehrere Räume für das Küchengesinde und einige Gefängnisse, die man nur nach Bedarf benutzte. Dieser Hof war der Hühnerhof der Burg: er diente als Abort für den Küchenunrat, und man zog darin das Geflügel groß.

Aus den oben angegebenen Maßen ersieht man, daß selbst der erste Hof nicht geräumig war. Wenn man also die Höhe der düstern, vom Alter geschwärzten Gebäude, die ihn, dreiundsiebzig Fuß drei Zoll hoch, umgaben, in Betracht zieht, so wird man begreifen, daß die Luft-Zirkulation hier äußerst gering und die Hitze im Sommer unerträglich war. Und dennoch waren fast alle Gefangenen, seitdem man ihnen die Promenade auf der Bastion entzogen hatte und nur sehr wenigen von ihnen, und auch diesen nur äußerst selten, den Rundgang auf den Türmen gestattete, wie man weiter unten sehen wird – dennoch also waren fast sämtliche Gefangene auf den Spaziergang im Hofe angewiesen. Aber auch diese Gunst wurde nicht allen zu Teil, und diejenigen, welche sie genossen, durften auch nur höchstens eine Stunde jeder auf dem Hofe zubringen und mußten dann einem andern den Platz räumen, denn in der letzten Zeit befanden sich nie zwei Gefangene in der Bastille beisammen. Auf dem Hofe erblickten sie das Zifferblatt der Schloßuhr, durch welches ihnen eine gewisse erfinderische Grausamkeit die Sinnbilder ihrer traurigen Lage vor Augen rückte. Diesem Zifferblatte dienten nämlich zwei am Halse, um den Leib, an den Händen und an den Füßen mit Ketten belastete Figuren als Ornament, und diese Ketten fielen, nachdem sie, wie Linguet sich ausdrückt, guirlandenförmig rings um das Gehäuse herumgelaufen waren, am untern Teile desselben herab und bildeten dort einen ungeheuren Knoten. Seit der Freilassung Linguets und der Veröffentlichung seiner Denkschrift waren jedoch die beiden Figuren in Freiheit gesetzt worden. Herr de Breteuil fragte nämlich eines Tages, wo die Ketten wären, die Linguet so sehr verstimmt hätten. Man zeigte sie ihm. »Ich befehle,« sagte der Minister, »daß sie binnen zwei Stunden fortgeschafft sind« – und binnen zwei Stunden verschwanden die Ketten. Die Figuren dagegen sind geblieben und sogar noch vor dem Abbruch der Bastille von einem Bildhauer abgeformt worden. Das Triebwerk der Uhr befindet sich gegenwärtig im Distrikt Saint-Louis-de-la-Culture: wir haben es dort selbst gesehen.

Das ist nicht die einzige nützliche Reform, die Linguets Denkschrift veranlaßt hat. Zunächst mußte der Herr Gouverneur seine Tauben verabschieden und seine Frau Gemahlin sich ein neues Badezimmer bauen lassen. Früher hatte sie sich nämlich zu diesem Zwecke eins der Zimmer des Stabes, und zwar die Wohnung des Kardinals Rohan, zugeeignet. Dann hatten seit dem Erscheinen der Linguetschen Denkwürdigkeiten auch die Küchen und die Räume für die darin beschäftigten Leute den Platz gewechselt und der Gouverneur dadurch den unschätzbaren Vorteil gewonnen, daß er fortan seine eigene und die Küche der Gefangenen an ein und demselben Orte bereiten lassen konnte.

John Howard und der Verfasser der Remarques historiques et anecdotes sur la Bastille reden davon, daß die Gefängnisse in fünf Klassen eingeteilt werden könnten. Nach den Verließen ( cachots), die sie als die schrecklichsten Gefängnisräume als erste Klasse bezeichnen, setzen sie in die zweite Klasse drei Räume, in denen sich nach ihrer Angabe Käfige aus eisenbeschlagenen Balken befinden, die acht Fuß lang und sechs Fuß breit sind. Da wir niemand, nicht einmal die Handlanger des Despotismus, verleumden wollen, so erklären wir hier, daß einer von den beiden Autoren an der fraglichen Stelle den andern Wort für Wort kopiert hat, daß also beide in diesem Falle nur für eine einzige Autorität gelten können; ferner, daß wir keine Kenntnis von diesen Käfigen haben, daß wir keine Spur von ihren Überbleibseln zu Gesicht bekamen, und endlich, daß auch keiner von den Schließern, den Neugierigen und den Arbeitern, die doch alle Ecken und Winkel der Bastille durchstöbert haben, etwas dem Ähnliches gefunden hat. Das nämliche müssen wir von den Oublietten sagen, von denen einige Schriftsteller Meldung gethan haben, und die ehemals, zur Zeit Ludwigs XI. und seines Profoßen, Freundes und Gevatters Tristan, hier wohl haben existieren können Wir sagen, sie haben existieren können, weil dieser Ludwig XI., der den Cardinal La Ballue auf dem Schlosse Duplessis-lez-Tours elf Jahre lang in einem jener Käfige gefangen hielt, die der Graf Boulainvilliers noch selbst gesehen haben will – weil also dieser Ludwig XI., der nach dem genannten Autor auch die Prinzen von Armagnac in den Verließen der Bastille zurückhielt, die noch dadurch unerträglicher gemacht worden waren, daß man in der Mitte einen umgestürzten Kegel oder Zuckerhut hatte aushöhlen und ausmauern lassen, in dessen Tiefe das bedauernswerte Opfer, das durch seine eigene Schwere hinabgezogen wurde und nirgends einen Stützpunkt fand, keinen Augenblick Ruhe genießen konnte, während es zum Überfluß noch wöchentlich zweimal heraufgeholt wurde, um in Gegenwart des Gouverneurs ausgepeitscht zu werden, wobei man ihm noch jeden Monat ein oder zwei Zähne ausriß – weil also dieser Ludwig XI. sehr wohl Oublietten in der Bastille eingerichtet haben kann, wie Commines und Mézerai ihm nachsagen. von denen aber weder bei der Einnahme, noch bei der Durchsuchung, noch beim Abbruch der Bastille auch nur die geringste Spur aufgefunden worden ist.

Nächst den Verließen waren die Mützen ( calottes) oder Zimmer im obersten d. h. fünften Stockwerk die unangenehmsten. Im Sommer herrschte hier eine unerträgliche Hitze und im Winter eine übermäßige Kälte. Eine ehemalige Schießscharte in der sechs Fuß dicken Mauer, die als Fenster diente und nach innen zu ziemlich weit war, sich aber nach außen zu immer mehr verengte, so daß sie nur eine lange, zwei bis drei Zoll breite Spalte über den Gräben bildete, wo sie durch starke Eisengitter verschlossen war, ließ kaum einen schwachen Lichtschimmer in diese Räume dringen. Die Gefängnisse in den übrigen Stockwerken der verschiedenen Türme waren fast sämtlich unregelmäßige Polygone von fünfzehn bis sechzehn Fuß Durchmesser und fünfzehn bis zwanzig Fuß Höhe und daher erträglicher als die Mützen. Einige hatten sogar mehrere Fenster, Früher hatten sämtliche Gefängnisse zwei oder drei Fenster, so daß wenigstens die Luft ein wenig cirkulieren konnte – der Kommandant Du Junca hatte jedoch die meisten zumauern lassen. Der Abbruch hat unzweideutige Beweise für diese Behauptung geliefert: man fand dabei fast alle die vermauerten Fensteröffnungen auf. Die Kanonenkugeln, die von den Arbeitern an der Bastille mit feierlichem Gepränge durch die Straßen von Paris getragen wurden, hatten zur Ausfüllung eines der Fenster am Brunnenturme gedient. Die geringe Anzahl derer, welche man hatte bestehen lassen, waren teils vorn an ihrer Einmündung in das Zimmer, teils an verschiedenen andern Punkten ihrer Tiefe mit zwei, bisweilen auch mit drei starken Eisengittern verschlossen. dieser Vorteil wurde aber durch die größere Dicke der Mauern wieder zu nichte gemacht. Diese Dicke nahm nämlich zu, je mehr man sich dem Boden näherte, die Mauerlücken, welche als Fenster dienten, wurden daher länger, und der Gefangene, der infolge dessen weiter von der äußern Öffnung entfernt war, empfing weniger Licht. Einen Teil dieses Lichtes fing man noch dazu auf, wenn man wollte, indem man vor der äußern Öffnung der Fenster Brettermäntel anbrachte, die dem Gefangnen das bißchen Aussicht auf Paris oder auf das freie Feld raubten und das Tageslicht nur auf schrägem Wege zu ihm gelangen ließen.

Jede Zelle war mit zwei starken, zwei bis drei Zoll dicken Thüren verschlossen. In einigen derselben befanden sich Schiebfensterchen, andere waren an der Innenseite mit Eisenblech beschlagen, und die schweren Riegel und ungeheuren Schlösser verursachten beim Öffnen und Schließen ein furchtbares Geräusch, von dem der ganze Turm widerhallte. Jede Zelle hatte ihre Nummer, und die Gefangenen wurden nach dem Namen des Turms, in dem sie saßen, unter Hinzufügung der betreffenden Nummer ihres Zimmers benannt. Die Eingänge zu den Türmen waren ganz in derselben Weise verwahrt wie die zu den Zellen, und auch auf den Treppen befanden sich Thüren. Diese Treppenthüren rechnet der Verfasser der Echten und deutlichen Beschreibung etc. mit, wenn er sagt: »Jeder Kerker war mit drei Thüren, eine auf die andere, versehen; vor jeder Thür war ein Schloß und zwei Riegel mit Vorlegeschlössern, also neun Schlösser, zu denen ebensoviele besondere Schlüssel gehörten; rechnet man nun auf jeden Turm fünf Zimmer für Gefangene, so macht das 45 Stück Schlüssel. Dazu kommen noch sechs Schlüssel zu den Eingangsthüren des Turms, also hatte ein Schließer zu den Thüren von zwei Türmen ( ohne die Schlüssel zu den unterirdischen Gefängnissen zu rechnen) 102 Schlüssel beständig mit sich zu führen, wenn er zu den Gefangenen ging.« – Die Berichtigung dieser Angabe findet man auf S. 60:
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Die Verließe lagen neunzehn Fuß unter dem Niveau des Hofes und etwa fünf Fuß unter dem Wasserspiegel des Wallgrabens. Sie hatten keine andere Öffnung nach außen als eine schmale Schießscharte, die auf diesen Graben hinausging. Der Luft und des Lichtes beraubt, von einer übelriechenden, feuchten Atmosphäre eingehüllt und in einen Schlamm gebettet, der die Vermehrung der Kröten, Ratten und Spinnen aufs höchste begünstigte, konnte der unglückliche Bewohner eines dieser entsetzlichen Räume unmöglich lange am Leben bleiben. Der Verfasser der Remarques historiques et anecdotes läßt allerdings nur solche Gefangene darin untergebracht werden, die man schrecken wollte, aber abgesehen davon, daß der nur vorübergehende Gebrauch dieser Gefängnisse an sich unwahrscheinlich ist, beweisen auch mehrere Thatsachen das Gegenteil. Von einem Schließer haben wir folgendes Faktum in Erfahrung gebracht: Zur Zeit der Streitigkeiten mit dem Parlemente wird ein Mann verhaftet, der im Verdachte steht, Mitschuldige zu haben, die er nicht nennen will. Man wirft ihn also in ein Verließ, und die schreckliche Beschaffenheit dieses Raumes, in welchem er keine andere Gesellschaft hatte als Ratten »groß wie Katzen« – das ist der eigene Ausdruck des Schließers! – veranlaßt ihn, alles zu sagen, alles zu gestehen. Am andern Tage werden auf diese einfache Aussage hin vierzehn Personen in die Bastille geführt. Das Mobiliar dieser entsetzlichen Verließe – wenn man anders das, was nicht zu bewegen ist, ein Mobiliar nennen darf – bestand aus einer großen Steinplatte, die mit Stroh bedeckt wurde und dem Gefangenen als Bett diente.

Die Verließe ausgenommen, befanden sich in allen Zellen Öfen oder Kamine. Diese letztern waren sehr schmal und unten, oben und zuweilen auch noch in bestimmten Zwischenräumen durch Eisenstangen gesperrt. Die gewöhnliche Zimmerausstattung bestand aus einem Bett aus grüner Sarsche mit Vorhang, Strohsack und Matratze, einem oder zwei Tischen, zwei Krügen, einem Leuchter, Gabel, Löffel und Becher aus Zinn, zwei oder drei Stühlen, dem Zubehör zu einem Feuerstahl, zwei großen Steinen, die als Feuerböcke dienten, und, was jedoch nur selten und nur infolge einer besondern Begünstigung vorkam, aus mehreren kleinen Feuerzangen und einer äußerst schwachen Feuerschaufel. Die Wände waren nackt und nur hier und da mit Namen, Kohlen- oder Ocherzeichnungen, Versen, Sentenzen und andern Ausgeburten der Langeweile der Bewohner dieser traurigen Räume bedeckt.

Zwischen dem Turme La Comté und dem Schatzturme befand sich früher ein Durchgang nach der Bastion. Man überschritt dabei den Graben auf einer festliegenden Brücke, die in der Mitte knieförmig gebogen war und gerade in die Kehle der Bastion mündete. Von dort aus stieg man dann auf zwei Treppen zu dem Garten hinauf, der sich auf der Bastion befand. Die erste Hälfte der Brücke war mit vier Sägewerken versehen, zweien zur Rechten und zweien zur Linken. Als später diese Brücke nicht mehr existierte, hatte man das zu ihr führende Thor vermauern lassen und begab sich auf dem Rundenwege zu dem Garten.

Obgleich die Bastille lange Zeit hindurch vorzugsweise als Staatsgefängnis benutzt wurde, hat sie doch auch als Aufbewahrungsort für den königlichen Schatz gedient, und daher rührt der Name des einen der Türme. Von Sully erfahren wir, daß Heinrich IV. i. J. 1602, als er einen sichern und bequemen Ort zur Verwahrung der Summen suchte, die er für die Ausführung seiner Pläne zurücklegte, in der Bastille Truhen herstellen ließ und in Bezug darauf ein Reglement aufstellte, dem zufolge nur das, was nach vorläufigem Abzug seiner Ausgaben von seinen vierteljährigen Einkünften übrig bleiben würde, in der Bastille niedergelegt werden, das Geld selbst dem Schatzmeister in Gegenwart des Oberintendanten und des General-Kontroleurs übergeben werden und jeder von diesen dreien einen Schlüssel dazu haben sollte. I. J. 1604 hatte er sieben Millionen Livres Gold in der Festung liegen, und i. J. 1610, berichtet Sully weiter, »befanden sich fünfzehn Millionen und achthundertsiebzigtausend Livres baar Geld in den Gewölben, Truhen und Tonnen der Bastille, die zehn Millionen ungerechnet, die man daraus entnommen hatte, um sie in die königliche Schatzkammer zu thun« Sully, Mémoires des sages et royales economies d'Etat, part. II, ch. 39, et part. IV, ch. 51.
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Miraumont liefert ebenfalls Beweise für diese Thatsachen. Miraumont, Mémoires sur les cours et justices étant dans l'enclos du Palais, chap. des Trèsors de France, p. 508. Der Verfasser berichtet dort, daß der königliche Schatz zuerst im Temple, dann im Louvre und endlich in einem Turm im Hofe des Justizpalastes verwahrt worden sei, und schließt dann mit den Worten: »und jetzt« (d. h. i. J. 1611) »wird er in der Bastille Saint-Antoine aufbewahrt.«
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Auch ein Dichter jener Zeit, der Satiriker Regnier, spielt darauf an, indem er Macette bei den bösen Ratschlägen, die diese seiner Geliebten giebt, unter anderm sagen läßt:

Prenez-moy ces abbez, ces fils de financiers,
Dont, depuis cinquante ans, les pères usuriers,
Volans à toutes mains, ont mis en leur famille,
Plus d'argent que le roy n'en da dans la Bastille.
Nimm einen Abbé, Kind, halt' klug dich an den Sprossen
Des Steuerpächters, der, seit Jahren unverdrossen
Mit beiden Händen Dieb, mehr Schätze aufgespart,
Als unser Fürst in der Bastille aufbewahrt.
Régnier, 13. Sat., V. 259 ff.
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Wir haben noch vergessen anzuführen, daß beinahe alle obern Zimmer einen doppelten Fußboden, einen aus Eichen- und einen zweiten aus Tannenholz hatten.

Die Bastille konnte ungefähr fünfzig Gefangene aufnehmen, wenn dieselben getrennt untergebracht werden sollten, und bis zu hundert, wenn man mehreren das nämliche Zimmer anwies. Diese Gunst wurde aber keinem in den ersten Tagen seiner Haft und immer erst dann zu Teil, wenn er ein, zwei und zuweilen noch mehr Verhöre bestanden hatte, mochte die Anzahl der Gefangenen auch noch so groß sein. Waren keine leeren Zellen vorhanden, so gab man dem neuen Ankömmling ein einfaches Gurtbett, das man in eine der kleinen Nischen stellte, die neben den Aborten angebracht waren, bis der Kommissar der Bastille anders über ihn verfügte.

Der Graben um die Bastille war gewöhnlich trocken, wenn nicht gerade der Wasserstand des Flusses ein hoher war. Außen umgab ihn eine, vom Boden an gerechnet sechsunddreißig Fuß hohe Mauer, an der ein bedeckter Gang angebracht war, der teils aus Stein bestand, teils von hölzernen Balken getragen wurde und rings an dieser Art von Contre-Escarpe herumlief. Zu diesem Gange gelangte man auf steilen Leitern oder Treppen, die rechts und links von der Brücke angebracht waren. Man nannte diese Galerie den Rundenweg ( chemin des rondes), weil die Offiziere und Sergeanten häufig auf demselben die Runde machten, besonders nachts Wir haben mehrere in der Bastille vorgefundene gedruckte Formulare in Händen, auf denen die Stunde und die Zahl der Runden, die in jeder Nacht gemacht wurden, nebst der Unterschrift der diesen Dienst versehenden Offiziere oder Unteroffiziere enthalten sind. um sich von der Wachsamkeit der vier Schildwachen zu überzeugen, die dort postiert waren und alle zwei Stunden abgelöst wurden. Der Echten und deutlichen Beschreibung zufolge wurden auch noch diese Runden beaufsichtigt, und zwar vermittelst einer Art von Control-Uhr. Es heißt dort nämlich (S. 44): »Des Nachts standen vier Mann auf diesem Rundenwege. Beständig ging die Patrouille herum und visitierte. Die Wachen hatten alle numerierte, durchlöcherte Stücken Kupfer, die auf eine Nadel gesteckt wurden, welche an einer kupfernen, verschlossenen Büchse befestiget war. Diese Büchse wurde alle Morgen an den Oberstab abgeliefert, geöffnet, untersucht und daraus ersehen, ob die Runden richtig gegangen waren«.
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Einer gedruckten Vorschrift zufolge, die in der Bastille vorgefunden wurde und Consigne (Instruktion) betitelt ist, Man findet diese Instruktion im Abschnitt A des Anhangs mitgeteilt.
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schlugen die Wachen auf dem Hofe nachts jede Viertelstunde auf einer zu diesem Gebrauche bestimmten Glocke an, während tagsüber nur die ganzen Stunden durch drei einfache Schläge bezeichnet wurden. Auf diese Weise wurde jeder Gefangene so lange, bis er sich an dies widrige Geräusch gewöhnt hatte, dreißigmal in jeder Nacht durch die traurige Sorgfalt, mit der man sein Entweichen zu verhindern strebte, aus dem Schlafe aufgeschreckt; Frau von Staal beklagt sich in ihren Memoiren bitter darüber. »Ich aß zu Abend,« erzählt Frau von Staal ( Mémoires, t. II, p. 104), »und legte mich zu Bett. Infolge der Abspannung würde ich auch eingeschlafen sein, wenn die kleine Glocke, die alle Viertelstunde von der Schildwache, die dadurch ihre Wachsamkeit bekunden muß, in Bewegung gesetzt wird, nicht jedesmal meinen Schlummer unterbrochen hätte. Ich fand es grausam, arme gefangene Menschen alle Augenblicke aus dem Schlafe aufzuwecken, um ihnen zu zeigen, daß man wache – nicht über ihre Sicherheit, sondern über ihre Gefangenschaft, und an dies Geräusch mich zu gewöhnen, kostete mich die meiste Mühe.«
D. Übers.
Während des Aufenthaltes des Kardinals Rohan in der Bastille war man ehrerbietig genug, dies Geläute, das ihn störte, einzustellen. – Oben auf den Türmen befand sich eine Plattform mit einem Balkon, der eine Fortsetzung der Mauern bildete, durch welche die Türme miteinander verbunden waren, und am äußern Rande eine Brustwehr trug. Auf diesen Balkons stand ein Artillerie-Park von dreizehn Geschützen, eine Zahl, welche erkennen läßt, daß diese Kanonen eher zu Freudenschüssen als zur Verteidigung der Feste bestimmt waren. Später hatte man noch zwei weitere Geschütze hinzugefügt, und ungefähr einen Monat bevor man sich der Bastille zu bemächtigen suchte, waren noch vier andere aus dem Arsenal geholt und auf dem großen Hofe aufgestellt worden.

Fassen wir die innere Einrichtung des Schlosses ins Auge, so drängen sich uns eine Menge mehr oder minder interessanter Beobachtungen auf, die sämtlich beweisen, daß, gleichwie die Unglücklichen, deren Kerker es ward, Opfer des Despotismus waren, so auch jeder Augenblick ihres Aufenthalts in der Bastille, jeder Umstand ihrer Lebensweise, jede neue Marter, die ihr Los erschwerte, und sogar jede Vergünstigung, die dasselbe erleichterte, die Freilassung mit eingeschlossen, unter der alleinigen Herrschaft der obrigkeitlichen Willkür stand.

Der Haupt-Geschäftsträger und sozusagen Unterbevollmächtige des Ministers, der das Departement Paris und damit auch die Bastille unter sich hatte, war der Polizeidirektor. Die Stelle eines Polizeidirektors ( lieutenant général de police) für Paris wurde erst 1667 von Ludwig XIV. geschaffen. Bis dahin war die Ausführung der von den Ministern ausgefertigten Lettres-de-cachet Sache des Oberrichters der Stadt ( prévôt de Paris) gewesen, der zugleich Civil- und Kriminal – Richter und Hauptmann der Scharwache war. Der erste Polizeidirektor war der als Präsident der chambre ardente berüchtigte Messire Gabriel Nicolas de La Reynie.
D. Übers.
Als ob aber dessen gewöhnliche Amtsverrichtungen bei der Verwaltung der Polizei doch noch allzusehr mit einer gewissen gesetzlichen Form verwachsen wären, stand demselben eine Beaufsichtigung und eine Obergewalt in der Bastille nur nach Maßgabe der Befehle zu, die er von den Ministern empfing: er war nur deren Geschäftsträger. Indessen konnten auch die Gefangenen, bezüglich derer er keine ausdrücklichen Befehle hatte, ihn zu sprechen verlangen, wenn er in das Schloß kam. Die Neuangekommenen empfingen seinen Besuch in der Regel einige Tage nach ihrer Ankunft, indem er sie in den Ratssaal herunterrufen ließ; bisweilen stieg er aber auch zu ihnen in die Gefängnisse hinauf. Wie man sich denken kann, handelte es sich zwischen ihm und ihnen immer um die Ursache ihrer Gefangensetzung, und wenn sie klug waren, verhielten sie sich bei dieser Unterhaltung ebenso vorsichtig wie bei einem Verhör, denn selbstverständlich neigt man nicht dazu, den wenn auch noch so wenig überlegten Reden eines Menschen, in Bezug auf den man durch Beiseiteschiebung des ordentlichen Richters und aller gesetzlichen Formen gegen die Gesetze verstößt, eine günstige Auslegung zu geben. Hatte man dem Polizeidirektor etwas mitzuteilen, so mußte dies durch Vermittlung des Majors geschehen, und es wird behauptet, daß man sicher sein durfte, das Verlangte niemals zu erhalten, wenn man diesem Offizier ein Geheimnis aus dem Gegenstande gemacht hatte, über den man mit dem Polizeidirektor verhandeln wollte.

Seit den Zeiten des Herrn d'Argenson bestand das Beamtenpersonal der Bastille aus einem Gouverneur, Als einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Geschichte der Bastille teilen wir im Anhang unter B eine, allerdings lückenhafte, Liste der Gouverneure mit.
D. Übers.
einem Platz-Kommandanten, einem Major, einem Adjutanten, einem Chirurgen und einer Hebeamme? Um 1751 befand sich dies Amt in den Händen einer gewissen Pilon: in ihrem Hause hielt, von der Bastille aus dorthin geführt, die Kammerfrau des Herzogs von Burgund, die Dame Sauve, ihre Niederkunft ab. Die Nachfolgerin der Pilon war die Hebeamme Chopin in der Rue du Dauphin, unter deren Beistand Marie Nicole de Guay, genannt d'Oliva, die Hauptperson in der aus dem Halsbandprozesse berühmten Gartenscene, in der Bastille selbst von einem Knaben entbunden wurde. ( Mém. hist. authent. III, 288).
D. Übers.
Der Arzt wohnte nicht in der Bastille, sondern in den Tuilerien. Die Besatzung sollte aus einer Compagnie von hundert Invaliden bestehen, war aber nie auch nur annähernd vollzählig. Gewöhnlich bestand sie aus höchstens sechzig Mann, die von zwei Hauptleuten, einem Lieutenant und mehreren Sergeanten befehligt wurden. Der Gouverneur zog von seiner Stelle, wenigstens in den letzten Zeiten Denn es ist nicht wohl anzunehmen, daß Männer wie Sully, u. a., die diesen Posten zu einer Zeit bekleideten, wo fast nur angesehene Personen in die Bastille geschickt wurden, ihre Einkünfte auf Unkosten der Nahrung und Bequemlichkeit der Gefangenen erhöht haben sollten. außer seinem festen Gehalt mehr als 60 000 Livres Gewinnst, die er an der Kost und der Zimmerausstattung der Gefangenen ersparte. Dem Verfasser der Remarques historiques und Linguet zufolge hatte er täglich 150 Livres für 15 Gefangenenstellen zu je 10 Livres, ungerechnet den täglichen Zuschuß für jeden wirklichen Gefangenen, wodurch jene Summe auf nahezu 100 000 Livres jährlich steigen mußte, und abgesehen von den bedeutenden Einkünften, die er aus der Verpachtung der Gräben der Bastille und der anstoßenden Verkaufsstände zog. Einen ausführlichen Bericht darüber bietet das Rechnungsbuch des letzten Gouverneurs, das uns vorliegt. Wie nun aber bei so beträchtlichen Einkünften die zahllosen Scherereien rechtfertigen, die sich dieser Offizier seit 1776 zu schulden kommen ließ? Muß man den Vorwürfen, die ihm nicht bloß von Seiten der Gefangenen, sondern auch von den Schließern, den Soldaten und den Offizieren der Besatzung gemacht werden, nicht vollen Glauben beimessen? Nie, sagen diese, hat die Bastille dem König soviel Geld gekostet, und nie sind die Gefangenen schlechter beköstigt und behandelt worden. Für Bauten dagegen hat Herr de Launay keine Ausgabe gescheut, weil diese auf Rechnung des Königs gingen: so hat er unter anderm während seiner Amtszeit die Archive, die sich links vom Eingänge befanden, ein Badezimmer für die Gefangenen und die Küchen erbauen lassen. Herr de Launay hatte seine Stelle sehr teuer gekauft und wollte nun an den Gefangenen die Pension verdienen, die er Herrn de Jumilhac zahlen mußte. (Man vergleiche hierzu Linguets Anmerkung XXVI.
D. Übers.
Die Stelle des Kommandanten kostete 60 000 Livres und trug 5000 Livres jährlich ein; die des Majors warf 4000, die des Adjutanten 1500, die des Chirurgen 1200 Livres ab, ohne den Verdienst an den Arzneien, die auf Kosten des Königs verabreicht wurden. Die gemeinen Soldaten wurden in Kleidung, Licht, Holz und Salz erhalten und empfingen 10 Sous täglich nebst 1 Sou Zuschuß. Bei der strengen Disciplin und der großen Anzahl von Wachposten auf eine so kleine Garnison war ihr Dienst sehr anstrengend. Kein Offizier durfte ohne Erlaubnis des Gouverneurs in der Stadt essen, noch ohne einen vom Minister unterzeichneten Urlaubspaß über Nacht ausbleiben.

Vier Wärter oder Domestiken, die zur Bedienung der Gefangenen bestimmt waren, eine Bedienung, die sich auf das Zutragen des Essens beschränkte, versahen das Amt der Schließer. Und in der That belasteten die Schlüssel sie mehr als die Schüsseln. Sie erhielten 50 Sous täglich und durften jeden zweiten Tag ausgehen. Die dienstlichen Verrichtungen jedes einzelnen erstreckten sich auf zwei Türme, und zwar bedienten die ältern immer die Gefängnisse, welche den Küchen am nächsten lagen: die Türme La Comté und La Bazinière bildeten den Bezirk des ältesten, und dann folgten die übrigen der Anciennität nach. Bedenkt man, daß jeder Turm fünf Stockwerke, jedes Gefängnis zwei Thüren und jede Thür drei ungeheure Schlösser hatte, und daß der Eingang zu jedem Turme auf die nämliche Weise verwahrt war, so wird man sich ein Bild von dem Schlüsselbunde machen können, das diese Schließer mit sich herumzuschleppen hatten. Bezüglich der Anzahl der Schlüssel gehen die Berichte mannigfach auseinander. Durchaus unzutreffend ist die Angabe der Echten und deutlichen Beschreibung (s. S. 51), deren Autor drei Thüren mit je drei Schlössern auf jedes Gefängnis und sechs Schlösser auf die Turmthüren rechnet und danach die Gesamtzahl der Schlüssel für zwei Türme, von den Schlüsseln zu den Verließen abgesehen, auf 102 feststellt. Der Verfasser der Remarques historiques nimmt dagegen nur fünf Schlösser für jedes Gefängnis und sechs für jeden Turmeingang an (S. 31), so daß sich ihm zufolge die Anzahl der Schlüssel, die Schlüssel zu den Verließen, welche nach seiner Angabe (S. 19) mit zwei Thüren zu je zwei Schlössern verwahrt wurden, mitgerechnet, auf 70 belaufen haben würde. Nach der obigen und zuverlässigsten Angabe stellt sich dagegen die Rechnung so: sechs Schlüssel zu jedem Gefängnis und jedem Turmeingang, vier zu jedem Verließ – macht für zwei Türme zu je fünf Gefängnissen, einem Eingang und einem Verließ 80 Schlüssel.
D. Übers.

Die Geschichte Fouquets, die Denkwürdigkeiten La Portes, der Frau von Staal u. s. w. beweisen, daß es lange Zeit üblich war, die Musketiere Diese Truppe war beritten und bildete die Leibwache des Königs.
D. Übers.
zur Verhaftung und Fortführung der Gefangenen zu verwenden, wie niedrigen Standes diese auch immer sein mochten.

Aus einem in der Bastille vorgefundenen Schriftstück, dem wir Glauben schenken müssen, geht hervor, daß man den Gefangenen bei der Ankunft im Schlosse selbst seine Taschen umkehren und ausleeren ließ, daß nur die Taugenichtse, denen man mißtraute, visitiert wurden, und daß diese Visitation von einem Schließer vorgenommen ward. Man darf daher Zweifel in die Angabe gewisser Denkwürdigkeiten Der Linguetschen nämlich. Wir sind im Abschnitt T des Anhangs näher auf diesen Punkt eingegangen.
D. Übers.
setzen, denen zufolge vier Offiziere mit dem Ludwigskreuze auf der Brust diese Betastung und Durchsuchung vornahmen. Dagegen liegt kein Grund zum Zweifel vor, wenn der Verfasser jener Denkwürdigkeiten weiter versichert, daß man dem Gefangenen sein Geld und seine Wertsachen abnahm, aus Besorgnis, er möchte jemand damit bestechen, daß man ihm bei der Wegnahme seiner Schere und seines Messers kaltblütig erklärte, man befürchte, er möchte sich damit die Kehle abschneiden oder seine Wärter ermorden, und daß diese viel Zeit in Anspruch nehmende Ceremonie häufig durch Scherze und Glossen über jedes in das Inventarium aufgenommene Stück unterbrochen ward. War dies Geschäft beendet, so führte man ihn zu dem für ihn bestimmten Käfig. Bisweilen wurde ihm nach Verlauf einer gewissen Zeit die Rückgabe eines Teils der beschlagnahmten Gegenstände gewährt. Man stellte einigen ihre Uhr, ihre Bücher, ihr Schreibzeug und sogar ihr Messer und ihr Rasierbesteck wieder zu, den meisten aber wurden namentlich die letztgenannten Gegenstände durchaus verweigert. Herr Linguet erzählt, daß er nur mit großer Mühe ein Reißzeug erhielt, daß man ihm dieses zunächst ohne Zirkel gab und endlich auf sein unablässiges Ansuchen zwar dies Instrument nachlieferte, aber mit Knochenspitzen statt mit Stahlspitzen versehen!

Man geruhte allerdings ziemlich häufig, den Neuangekommenen Gefangenen einem Verhöre zu unterwerfen, beeilte sich jedoch in der Regel nicht damit: oft fand dies Verhör erst nach mehreren Wochen und sogar Monaten statt. Zuweilen setzte man den Gefangenen im voraus davon in Kenntnis, oft ward er aber auch erst in dem Augenblicke, wo man ihn in den Ratssaal hinabführte, davon unterrichtet. Unten fand er Kommissare vor, wie z. B. den Polizeidirektor, einen Staatsrat, einen Requetenmeister u. s. w. Der erstere traf indessen häufig erst gegen Ende des Verhörs ein, und höchst zuverlässige Thatsachen bezeugen sogar, daß er sich nicht selten gänzlich davon fernhielt – und doch Unterzeichnete er stets das Protokoll!

Alle die, welche über die Bastille geschrieben haben – und die meisten davon hatten selbst das Unglück, sie zu bewohnen – machen es den Untersuchungsrichtern zum Vorwurf, daß sie den Gefangenen Fallen stellten, sie einzuschüchtern suchten und alle erdenklichen Mittel anwandten, um ein Geständnis von ihnen zu erpressen. Und wir haben keinen Grund, das Zeugnis dieser Leute zu verwerfen, wenn sie berichten, daß jene unwürdigen Beamten Beweisstücke unterschoben, daß sie Papiere vorzeigten, die sie nicht zu lesen gestatteten, die sie aber frech für überführende Dokumente ausgaben, daß sie unbestimmte oder zweideutige Fragen stellten, um sowohl die Gedanken und Gesinnungen wie die Worte und die Handlungen des Gefangenen zu erkunden, daß sie dem Unglücklichen einredeten, sein Leben hinge von seiner Offenheit ab, wenn er gutwillig alles gestehen wolle, würde er in Kürze freigelassen werden, andernfalls aber würde man ihn bald zu überführen wissen und dann könne sein Geständnis ihn nicht mehr retten, daß sie ihm versicherten, man habe, um hinter die Wahrheit zu kommen, Mittel in Händen, an die er gar nicht denke, und sei bereits mit mehr Beweisstücken versehen, als nötig wären – kurzum, daß diese verächtlichen Werkzeuge der ehemaligen ministeriellen Tyrannei Drohungen, Überrumpelungen, Versprechungen und Schmeicheleien anwandten, je nachdem die Umstände und die Personen es erheischten. Ein Bild von diesem Verfahren giebt der im Anhang unter C mitgeteilte Abschnitt aus den Denkwürdigkeiten der Frau von Staal. Plumper und unverschämter verfuhr der Aktuar Foucaux im Prozesse gegen Fouquet (vgl. den Abschnitt K des Anhangs). Ein weiteres Beispiel bietet das Verfahren des Untersuchungsrichters de Bezons gegen den Chevalier de Rohan, worüber der Abschnitt L des Anhangs zu vergleichen ist.
D. Übers.
Schlugen diese Mittel an, so war der Gefangene verloren, denn sie wurden durchaus nicht zu dem Zwecke angewandt, ihn rein zu waschen. Seine Geständnisse gaben entweder zu endlosen Verhören Anlaß, oder sie verlängerten die Dauer seiner Haft, oder sie bewirkten eine größere Strenge in der Behandlung, die ihm zu Teil ward, oder sie kompromittierten diejenigen, mit denen er in Verbindung gestanden hatte.

Die Denkwürdigkeiten La Portes bieten ein Beispiel von der Erkenntlichkeit eines Gefangenen gegen den Untersuchungsrichter, wenn dieser durch rechtliche Formen und menschliches Verfahren das Ungerechte und Unbillige eines solchen Verhörs so viel als möglich mildert. Er weiß den Requetenmeister La Potterie nicht genug zu rühmen, der, sagt er, ihn nie durch Überrumpelung zu fangen suchte, sondern ihn im Gegenteil ermahnte, sich nicht zu übereilen und wohl zu überlegen, was er sagen wolle, und ihn aufmerksam jede Seite des Protokolls durchlesen ließ, bevor er es unterzeichnete. Diese Handlungsweise entsprach indessen nicht den Absichten des Kardinals Richelieu und seiner Satelliten: so offen und bieder La Potterie war, so schurkisch und grausam zeigten sich diese. Da man durchaus aus La Porte herausbringen wollte, was er, wie man annahm, von den Angelegenheiten der Königin Anna von Österreich wußte, so gab man ihm ein Billet zu lesen, das man unverschämter Weise dieser Fürstin abgenötigt hatte, und in welchem diese ihm bemerkte, daß sie die Wahrheit gesagt habe und er also dasselbe thun könne. Dann ließ man ihn von einem neuen Untersuchungsrichter verhören, denn man war mit La Potterie viel zu wenig zufrieden, als daß er in dieser Stellung hätte bleiben dürfen. Nachdem La Potteries Nachfolger vergebens Schmeicheleien, Versprechungen, die Miene und den Ton der Teilnahme u. s. w. gegen den Angeklagten in Anwendung gebracht hatte, fuhr er plötzlich mit Drohungen heraus. Er zog ein Papier aus seinem Aktenbeutel und zeigte es La Porte mit den Worten: » Hier ist ein gerichtlicher Bescheid, der Euch zur ordentlichen und zur außerordentlichen Folter verurteilt – seht, das ist die Frucht Eures Starrsinns.« Dann ließ man ihn in die Folterkammer führen. Dort zeigte man ihm der Reihe nach alle Instrumente, erklärte ihm umständlich den Gebrauch der Keile, Schienen, Stricke u. s. w. und schilderte ihm eingehend die furchtbaren Schmerzen, das Zerreißen der Sehnen, das Knacken der Knochen. In der letzten Zeit existierte dieser Folterapparat nicht mehr, wir wissen aber nicht, wann er abgeschafft worden ist. Bei der Besichtigung der Bastille haben sich mehrere Personen dadurch irre leiten lassen, daß man ihnen im Schatzturm ein Zimmer mit doppeltem Fußboden zeigte, welches man als die Folterkammer bezeichnete. Das ist völlig falsch. Dies Zimmer, das mit zwei weiten, aus den Graben gehenden Öffnungen versehen war, diente vielmehr als Aufbewahrungsort für interessante Papiere. Ein anderes derartiges Depot befand sich im Kapellenturm: es wurde die Stampfe genannt, und man verwahrte darin die beschlagnahmten Bücher, bis sie verbrannt wurden, oder, nachdem sie zerrissen waren, als Makulatur zum Verkauf kamen. Dieser Verkauf fand alle fünf bis sechs Jahre statt. Die sogenannte Folterkammer wurde auch als Verhörzimmer benutzt: der Kommissar Chenon verhörte darin mehrere Gefangene. Noch ein anderer Irrtum bedarf hier der Berichtigung. Zwischen dem Turme La Comté und dem Schatzturme ist eine Druckpresse aufgefunden worden. Mehrere Personen meinten und haben diese Meinung öffentlich ausgesprochen, dieselbe sei für den innern Dienst der Bastille bestimmt gewesen. Das ist durchaus falsch: die Presse war beschlagnahmt und in das Schloß gebracht worden, man hat aber nie Gebrauch davon gemacht. Sie gehörte der im Haag verhafteten Gotteville, über die man im Anhang unter EE Näheres findet.
D. Übers.

Die Höhe der Ausgabe für Essen, Licht und Wäsche jedes Gefangenen wurde durch einen Tarif je nach dem Range desselben bestimmt. Ein Prinz von Geblüt war mit 50 Livres täglich, ein Marschall mit 36, ein General-Lieutenant mit 24, ein Parlementsrat mit 15 Livres angesetzt. Ein ordentlicher Richter, ein Priester, ein Finanzbeamter hatten 10 Livres, ein Vollbürger oder ein Advokat 5 Livres, ein Kleinbürger 3 Livres und Angehörige der untern Stände 2 Livres 10 Sous täglich zu verzehren: dies letztere war die Taxe für die Wärter und Bedienten. Man vergleiche hierzu den Artikel über den Kolporteur Plavy bei Carra II, 190. Es erhellt aus demselben, daß der oben mitgeteilte Tarif i. J. 1692 noch nicht bestand.
D. Übers.

Wir wollen hier nicht auf das Einzelne der Mahlzeiten für die verschiedenen Klassen der Gefangenen entgehen. Im allgemeinen haben sich fast alle, die in der Bastille waren, über die Beköstigung beklagt und behauptet, die Küche müsse eine Goldgrube für den Gouverneur sein, der die alleinige Aufsicht darüber hatte, wie er der alleinige Unternehmer war. Jeder Gefangene erhielt täglich ein Pfund Brot, eine Flasche schlechten Weins, eine unschmackhafte Suppe und schlecht zubereitetes Fleisch von der geringsten Sorte; an Fasttagen gab es Speisen, die mit ranziger Butter oder Brennöl angerichtet waren; alles auf zinnernem Geschirr, dessen Unsauberkeit zum Erbrechen reizte. Einzelne Gefangene hatten indessen soviel Einfluß, daß sie Thongeschirr und silberne Löffel und Gabeln erhielten. Andern wurde gestattet, sich das Essen von einem Speisehause kommen zu lassen, nur mußten sie dafür das Doppelte von dem bezahlen, was es ihnen in der Stadt gekostet haben würde. Sie vermieden aber wenigstens den Ekel, den die königliche Garküche des Schlosses einflößte, und brauchten wenigstens nicht zu hungern. Linguet versichert, indem er anerkennt, daß sein eigener Tisch hinlänglich versehen war, daß es Gefangene in der Bastille gab, die zu jeder Mahlzeit nicht mehr als vier Unzen Fleisch erhielten, und daß selbst die Unterbeamten bisweilen darüber klagten. Der Verfasser der Remarques historiques und Renneville sagen ungefähr dasselbe. Der erstere behandelt die Beköstigung sehr eingehend. Wir teilen danach im Anhang unter D den Durchschnitts-Speisezettel der Bastille mit.
D. Übers.
Der letztere behauptet sogar, der damalige Gouverneur Bernaville, der eine große Anzahl von Gefangenen bis zu einer Taxe von 25 Livres pro Tag hatte Renneville sagt: zweitausend Gefangene, das ist aber entweder ein Druckfehler oder eine ungeheure Übertreibung. Wie schon oben bemerkt, fehlte noch viel, daß die Bastille auch nur den zehnten Teil dieser Anzahl hätte fassen können, wenn man auch zwei oder drei in jedes Gefängnis gesetzt hätte, (über Renneville vgl. Linguets Anmerkung III und den Artikel JJ im Anhange.
D. Übers.
habe alles in allem gerechnet nicht mehr als 20 Sous täglich für die Beköstigung jedes einzelnen verausgabt. Dies war indessen nicht immer der Fall gewesen, denn Renneville selbst erzählt, daß es zur Zeit des Herrn de Besmaus Gefangene gab, die das Schloß nur mit Bedauern verließen, und daß sogar einige Personen sich nur deshalb hatten einsperren lassen, um gut zu leben, ohne daß es ihnen etwas koste. Mag auch vieles daran übertrieben sein, so erkennt man doch an diesen Unregelmäßigkeiten das natürliche Wesen des Despotismus. Renneville scheint, obschon er über die Zeit des Gouverneurs Besmaus nur nach Hörensagen berichten konnte, in diesem Falle sich keiner Übertreibung schuldig gemacht zu haben: im Journal des Kommandanten du Junca finden sich Bemerkungen, aus denen sich mit Bestimmtheit ergiebt, daß Besmaus ein liebenswürdiger und freigebiger Wirt war. Wir führen nur folgende Stellen an:
»Am Donnerstag, 30. September [1694], um neun Uhr morgens, empfing Herr de Besmaus durch die gewöhnliche Brief - und Paketpost des Hofes ein Paket u. s. w., um Herrn und Frau de Lafontaine zu entlassen und in Freiheit zu setzen, und ist Herr de Besmaus selbst hinaufgegangen, um ihnen die frohe Nachricht zu überbringen; sie haben sich aber erst nach dem Essen entfernen wollen und sind dann nach ihrer Wohnung in der Rue des Marais, Faubourg Saint-Germain, gegangen.« ( Ravawson X, p. 3.)
»Am Sonnabend, 6. Mai [1694], um neun Uhr morgens, hat [der Lieutenant der Scharwache] Herr Desgrez den Befehl gebracht, Herrn de Pardiac in Freiheit zu setzen« u. s. w. »Bevor Herr de Pardiac, Priester, die Bastille verließ, hat Herr de Besmaus ihn noch zur Tafel geladen.« ( Ravaisson X, p. 6.)
»Am Freitag, 15. Januar [1694], gegen sechs Uhr abends, empfing Herr de Besmaus durch die gewöhnliche Post ein Paket von Hofe, in welchem sich der Befehl befand u. s. w., den Chevalier de Montrevel, Kavallerie-Oberst, in Freiheit zu setzen, der sich aber erst am nächsten Tage, Sonnabend, 16. Januar, gegen zehn Uhr morgens hat entfernen wollen( Ravaisson X, p. 12.)
D. Übers.

Die Essensstunden waren 7 Uhr für das Frühstück, 11 Uhr für das Mittagessen und 6 Uhr für das Abendbrot. Diese drei Zeitpunkte waren in der Regel die einzigen Augenblicke, in denen die lange Einsamkeit der Gefangenen eine Unterbrechung erfuhr. Ich sage Augenblicke, denn die Schließer nahmen sich kaum die Zeit, ihre Bürde abzusetzen und eiligst mit einem an der Spitze abgerundeten Messer, das sogleich wieder eingeklappt wurde, die Bissen vorzuschneiden, falls dies nötig war. Sie wagten kaum ein Wort zu dem unglücklichen Einsiedler zu reden, denn sie fürchteten die Aufpasser, und überdies wartete am Fuße des Turmes eine Schildwache auf ihr Herauskommen. Vgl. den §. 10 der Wach-Instruktion im Anhang unter A
D. Übers.

Früher, sagt Linguet, rechtete man mit Leuten, die sonst alles entbehrten und zur grausamsten Unbeweglichkeit verdammt waren, nicht krämerhaft über die Menge Feuer, die sie für notwendig erachteten, um ihr durch die Unthätigkeit verdicktes Blut flüssig zu erhalten, und um die sich in ihrem Gefängnis zusammenballenden Dämpfe zu verflüchtigen: man ließ sie diese Erleichterung- und Zerstreuung genießen, ohne die Ausgabe dafür zu beschränken. Seit einer Reihe von Jahren aber waren diejenigen nicht wenig zu beklagen, die, weil es ihnen an Empfehlungen oder an Geld fehlte, den Winter über mit dem Holze auskommen mußten, das im Namen des Königs verteilt ward. Hatten sie die sechs kleinen Scheite verbrannt, die ihnen täglich geliefert wurden, so erstarrten sie vor Frost in diesen eisigen Türmen. Bisweilen scheint die Feuerung sogar ganz und gar versagt worden zu sein. In dem Artikel über den Kolporteur Jean Baptiste Pasdeloup, eingesperrt am 28. Juni 1767, entlassen am 3. Juli 1772, findet sich folgender Vermerk ( Mémoires hist. et auth. t. III, p. 102): »Seine Haft hat sehr lange gedauert, und er hat dem König recht unnützerweise Geld gekostet. Es war Zeit, ihn freizulassen, denn er war in Verzweiflung und würde sich sicherlich am Ende getötet haben. Er hat vier Winter ohne Feuer und ohne Kleidung zugebracht
D. Übers.

Einzelnen war gestattet, einen Diener bei sich zu haben. Diejenigen, welche keinen solchen hatten oder denen diese Erlaubnis verweigert ward, waren genötigt, sich selbst zu bedienen, selbst ihr Bett zu machen, ihr Feuer anzuzünden, ihr Zimmer zu fegen, wofern nicht ein Schließer aus Eigennutz oder in der Hoffnung auf die Zukunft, wenn der Gefangene in die Welt zurückgekehrt sein würde, oder auch aus reiner Gutmütigkeit ihm insgeheim und in der Eile diese kleinen Dienste erwies. Einigen wurde ein Wärter zur Überwachung, andern ein solcher zur Bedienung und Pflege beigegeben. Im einen wie im andern Falle war dieser Wärter ein invalider Soldat, der dem König 30 Sous täglich kostete, aber nur 25 empfing, weil der Gouverneur 5 Sous für sich behielt. So unmanierlich und stupid er auch sein mochte, wenn er nur nicht brutal war, so verminderte seine Anwesenheit wenn nicht die Langeweile, so doch wenigstens die Trübseligkeit der dahinschleichenden Minuten. Dies Mittel, die Tage hinzubringen, die sich zu Jahrhunderten ausdehnten, war sicher ein recht trübseliges, und man kann die, denen kein anderes zu Gebote stand, nicht genug bedauern. Da es aber Gnadengaben giebt, die der Himmel nach Belieben verteilt, so haben sich Menschen gefunden, die sich sogar in dieser Hölle nützlich zu beschäftigen vermochten. Mehrere haben in der Bastille Werke verfaßt, So unter andern Bassompierre seine Memoiren, Le Maître de Sacy einen Teil seiner Bibelübersetzung, Renneville eine gereimte Bearbeitung der Psalmen, Voltaire die ersten Gesänge der Henriade u. s. w. Über die beiden Besuche, die der letztere der Bastille abstattete, findet sich Näheres im Abschnitt F des Anhangs.
D. Übers.
und unter denen, welchen das Lesen gestattet war, fanden sich nicht wenige, welche die ihnen geliehenen Bücher eifrig studierten. Es gab im Schlosse, im Stabsgebäude, vom Eingang aus links an der Stelle der ehemaligen Küchen, eine Bibliothek, die den Gefangenen von einem zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in der Bastille verstorbenen Ausländer vermacht worden war. Die Bücher wurden einigen auf das Zimmer gebracht und den Gutempfohlenen sogar erlaubt, sie selbst im Bibliothekzimmer auszusuchen; andern aber wurde diese geistige Wohlthat versagt: man befürchtete, sie wären noch nicht unglücklich genug. Wir haben einige Bände aus dieser Bibliothek in Händen: auf jeder Seite, zu jeder Zeile finden sich darin Bemerkungen, die bisweilen recht merkwürdig sind und von den Gefangenen herrühren, durch deren Hände diese Bücher nach und nach gingen.

Früher ging man beinahe nach Belieben auf den Türmen spazieren. In den Denkwürdigkeiten La Portes liest man, daß dieser Gefangene, als er die »Freiheiten der Bastille« zu genießen begann und erfahren hatte, die Königin Anna von Österreich werde die Porte Saint-Antoine passieren, um den König in Saint-Maur zu besuchen, auf die Türme stieg, um sie zu sehen, daß sie ihn bemerkte, sich an den Schlag setzte und ihm mit dem Kopfe und den Händen alle möglichen Zeichen machte, um ihm zu verstehen zu geben, daß sie mit seinem Verhalten zufrieden sei. La Porte erzählt diesen Vorfall in folgenden Worten: »Einen oder zwei Tage später kam die Königin nach Paris und durch die Porte Saint-Antoine, um den König in Saint-Maur zu besuchen. Davon benachrichtigt, stieg ich auf die Türme, um sie zu sehen. Sobald sie mich bemerkte, verließ sie den Rücksitz der Karrosse und setzte sich an den Schlag, um mir mit der Hand zuzuwinken und durch Zeichen mit dem Kopfe soviel als möglich zu verstehen zu geben, daß sie mit mir und meinem Verhalten zufrieden sei. Da war nun kein Gefangener, dem ich jetzt nicht ebensoviel Neid wie vorher Mitleid eingeflößt hätte, und der nicht noch mehr hätte leiden mögen, als ich gelitten hatte, um dies wenn auch geringfügige Zeichen der Erkenntlichkeit einer großen Königin zu verdienen: so leicht geben wir Franzosen uns mit ein wenig Dunst zufrieden.«
D. Übers.
Das war um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, schon zu Anfang des jetzigen aber, zu der Zeit, wo Frau von Staal in der Bastille saß, war diese Freiheit verkürzt. Sie spricht von der Promenade auf den Türmen als von einer Gunst, die nur einzelnen und zu bestimmten Stunden gewährt ward. Sie hatte, erzählt sie, vorzugsweise die letzte Stunde. Ein Offizier, der mehr und mehr Neigung zu ihr faßte, hatte es sich vorbehalten, sie zu führen. Eines Tages kündigte ihr derselbe an, daß dieser Spaziergang am 1. Mai aufhören würde, weil zu einer Jahreszeit, wo alle Welt spazieren geht, bei dem Gouverneur der Argwohn erwachte, ein Vorübergehender könne die Gefangenen durch ein Fernglas mustern und ihnen Zeichen geben oder solche von ihnen empfangen. Wir teilen im Anhang unter E diese interessante Stelle aus den Denkwürdigkeiten der Frau von Staal mit.
D. Übers.
Der Garten auf der Bastion bot einen andern Spaziergang in freier Luft, wo die Aussicht, ohne minder mannigfaltig zu sein, der unruhigen und argwöhnischen Politik der Gouverneure weniger zu Befürchtungen Anlaß gab – sie waren indessen erfinderisch in der Aufspürung solcher. Bei dieser Promenade wie bei der auf den Türmen mußte man sich von jemand begleiten lassen; S. den §. 16 der Wach-Instruktion im Anhang unter A
D. Übers.
dabei entspannen sich aber bisweilen Gespräche, und die Gespräche waren in der Bastille zu Verbrechen geworden. Überdies betrachteten die Offiziere und Unteroffiziere, die mit der Begleitung der Gefangenen bei diesen Spaziergängen beauftragt waren, diesen Dienst als äußerst lästig. Daher beschloß der letzte Gouverneur, Herr de Launay, teils aus Willfährigkeit gegen ihre Trägheit, teils zur Beseitigung seiner eigenen Besorgnisse, alle diese Promenaden gänzlich abzuschaffen, und dem gemäß, sagt Linguet, erschien eine Verfügung, gezeichnet Amelot, die sie untersagte. Der Spaziergang im Garten wurde dem nämlichen Autor zufolge noch vor der Promenade auf den Türmen unterdrückt, weil der Gouverneur, der den Zier- in einen Küchengarten verwandelt hatte, der Ansicht war, derselbe würde mehr einbringen, wenn er den Gefangenen nicht mehr als Promenade diente. Seit jener Zeit waren diese, mit Ausnahme der angesehenen und bevorrechteten Personen, auf den großen Innenhof beschränkt, und auch dazu wurden noch nicht alle zugelassen. Diejenigen, denen man diese kostbare Gunst zugestand, genossen dieselbe in der Regel einmal, sehr selten zweimal täglich, weit öfter in zwei oder drei Tagen einmal auf je eine Stunde, oft sogar nur auf eine halbe. In dieser kurzen Zeit sollte der Unglückliche, der nicht den Augenblick wählen konnte, sondern zur bestimmten Minute hinunter mußte, einer unerträglichen Hitze oder Kälte ausgesetzt, ohne irgend welche Luftzirkulation zu spüren, und durch die Langeweile und die Not zu dem Entschlüsse getrieben, der Sonnenglut oder dem Regen zu trotzen, sich der mephytischen Ausdünstungen entledigen, die er während vierundzwanzig Stunden eingeatmet hatte. Mit Schildwachen umstellt, von düstern, fensterlosen Mauern eingeschlossen Auf dem Hofe hatte nur das Gebäude im Hintergrunde, in welchem sich, wie erwähnt, verschiedene Räumlichkeiten befanden, Fenster. Sobald ein Gefangener, sei es nun zur Promenade oder auf dem Wege zum Ratssaal, zu einem Verhör vor dem Kommissar oder um zum Arzt, zur Messe oder anderswohin zu gehen, den Hof betrat, wurden alle diese Fenster unverzüglich mit Läden, Vorhängen oder Jalousies verschlossen. und von einer traurigen Stille umgeben, die allein von der Uhr oder der Stimme eines Satelliten unterbrochen ward, die sich nur vernehmen ließ, um Befehle zu erteilen oder Verbote zu erlassen, fand er dort weit mehr eine neue Art als eine Unterbrechung seiner Qualen. Überdies ward diese trügerische Zerstreuung noch alle Augenblick unterbrochen und oft sogar völlig unterdrückt. In einer der Verbindungsmauern zwischen den Türmen, in der Nähe der Kapelle, befand sich ein enger Gang, der das Kabinett genannt wurde. Da jeder Gefangene für Fremde unsichtbar sein mußte und ebensowenig diese sehen durfte, so mußte der Bedauernswerte, wenn jemand den Hof überschreiten wollte, unverzüglich verschwinden. Ins Kabinett! schrie ihm der Posten zu, und sogleich mußte er sich in das mit diesem Namen geschmückte Gefängnis verkriechen. Und Linguet zufolge war dieser Zwischenfall ungemein häufig. Vgl. hierzu Linguets Anmerkung XXVIII.
D. Übers.
Da der Hof zu jener Zeit der einzige Weg zur Küche und zu den Quartieren der Offiziere und der Schließer war, so kamen die Lieferanten, die mannigfachen Arbeiter, die Besuche, welche die Offiziere erhielten, alle Fremden über diesen Hof, den früher nach der Stunde, zu welcher der erste Spaziergänger auf demselben erschien, niemand mehr ohne die dringendste Notwendigkeit betreten durfte, eine Bestimmung, die für die Gefangenen von großem Vorteil war. Auch die Besuche wurden früher nur draußen empfangen und der Spaziergänger nicht unaufhörlich in dem traurigen Kabinett zurückgehalten. Um ihn nicht zwanzigmal in der Stunde hineinschicken zu müssen, wurde die Promenade an solchen Tagen, wo eine unternommene Arbeit die Werkleute zwang, häufig über den Hof zu gehen, oder wo der Gouverneur ein Essen gab und die Bedienten infolgedessen beständig zwischen seinem Hause und der Küche hin und herlaufen mußten, vollständig unterdrückt. Die Gefangenen waren also sogar die Opfer der Vergnügungen ihrer Hüter, die Willkür machte sich ihnen bei den geringfügigsten Umständen des Lebens fühlbar.

Bevor die Hausordnung der Bastille zu der übermäßigen Strenge entwickelt war, die sie schließlich erlangt hat, fanden die Gefangenen bei dem Verluste der Freiheit Erleichterungen, die den letzten Gouverneuren höchst ungereimt vorgekommen sein würden. Die Gefangenen, deren Charaktere miteinander harmonierten, zogen nicht selten zusammen, und man gestattete jedem von ihnen den Zeitvertreib, der ihm zusagte. In den Denkwürdigkeiten Gourvilles liest man, daß ihm kurze Zeit nach seiner Ankunft in der Bastille gestattet wurde, die übrigen Gefangenen zu besuchen, daß er, als er einen »recht ansehnlichen Hecht« hatte kommen lassen, den Gouverneur Zu Gourvilles Zeiten der Sieur de la Coste. Vgl. Gourville, Mémoires t. I.
D. Übers.
einlud, sein Teil mitzuessen, was ihm gewährt ward, daß dann beide einen Teil des Nachmittags beim Brettspiel zubrachten, daß ihn dieser Offizier überhaupt mit vieler Freundlichkeit behandelte und ihm die Freiheit ließ, soviel Briefe abzusenden und zu empfangen wie ihm beliebte, daß er sich aber dessenungeachtet langweilte, besonders von neun Uhr abends bis sieben Uhr morgens, wo seine Thür geschlossen blieb. La Porte berichtet, das er nach den anfänglichen strengen Maßregeln gegen ihn, die seinem Verhöre voraufgingen, aus dem Verließe gezogen und in ein Zimmer gebracht ward, in welchem der Graf d'Apchon und Herr de Chavaille wohnten, daß der erstere Mathematik studierte und zu seiner Erholung Hunde dressierte, während der andere ein Buch schrieb und La Porte selbst sich im Zeichnen übte. Zur selben Zeit machte den nämlichen Denkwürdigkeiten zufolge der Marschall de Bassompierre François de Bassompierre, geboren am 2. April 1579, wurde auf Befehl Richelieus am 25. Februar 1631 in die Bastille gesperrt und erhielt erst am 19. Januar 1643 seine Freiheit wieder. Er starb 1646.
D. Übers.
einer Gefangenen so hartnäckig den Hof, daß das Gerücht umlief, sie wäre schwanger geworden. Man erfährt daraus ferner, daß der Marschall de Vitry, der zur selben Zeit Gefangener war, da er kein Feuer sehen konnte, ohne sich unbehaglich zu fühlen, jeden Morgen sein Hemd im Zimmer des Autors wärmen ließ. Die Denkwürdigkeiten der Frau von Staal liefern Beispiele ähnlicher Art. Man liest darin, daß sie häufig von einem Chevalier de Menil besucht wurde, und daß dieser Verkehr nur deshalb eine Unterbrechung erlitt, weil man den Herzog von Richelieu aus dem Turme, in welchem er sich bis dahin befunden hatte, in ein Gelaß über dem Zimmer des Chevaliers brachte, da nun die Nachbarschaft eines so rastlosen Menschen ( homme si alerte), der zum Zwecke des Spazierengehens sein Zimmer verlassen durfte, den Kommandanten nötigte, den beiden Liebenden mehr Zwang aufzuerlegen. S. Staal, Mémoires II, p. 180. Richelieu befand sich damals zum drittenmale in der Bastille. Der Abschnitt G des Anhangs enthält die pikanten Einzelheiten über die Motive seiner Haftstrafen.
D. Übers.
Man weiß ja auch, daß die Verbrechen der berüchtigten Brinvilliers ihre Quelle in dem Unterrichte hatten, den Sainte-Croix, ihr Geliebter, von dem Italiener Exili, der ihm als Stubengenosse beigegeben war, in der Bastille erhalten hatte. In jedem Turme gab es Gesellschaften, die sich versammelten, und die Frau von Staal, wie sie erzählt, nicht empfangen mochte. Außerdem berichtet sie, daß sie in Gesellschaft bei dem Gouverneur dinierte. »Ich sah,« berichtet Frau von Staal, »den Kommandanten täglich beim Gouverneur, wo wir einen Teil des Tages zubrachten. Wir gingen zum Essen zu ihm und nach demselben spielte ich mit den Herrn de Pompadour und de Boisdavis eine Partie L'Hombre, wobei de Menil mir als Ratgeber zur Seite stand. Zuweilen ordnete sich die Partie auch anders. War sie beendet, so kehrten wir in unsere Zimmer zurück. Der Chevalier de Menil folgte mir auf dem Fuße. Die Gesellschaft versammelte sich dann wieder bei mir, bevor man zum Souper ging, das wiederum beim Gouverneur eingenommen wurde, worauf jeder schlafen ging. Am Morgen besuchte mich Menil wieder, und wir verließen uns kaum.«
D. Übers.
Die Gefangenen empfingen damals Besuche von außen fast mit derselben Leichtigkeit, mit der sie sich untereinander besuchten. Die Offiziere vom Stabe plauderten mit ihnen, aßen mit ihnen auf ihren Zimmern oder luden sie ein, auf das ihre zu kommen, sie waren beinahe ihre Freunde: sie bewachten sie, marterten sie aber nicht. Man schien den Gefangenen nur soviel von ihrer Freiheit zu nehmen, wie nötig war, um sich ihrer zu versichern.

Gegen Ende der letzten Regierung fanden die Verweser des Despotismus dies Verfahren allzu milde. Forscht man nach der ersten Ursache dieser Veränderung, so scheint die folgende die meiste Wahrscheinlichkeit für sich zu haben. Die meisten Gefangenen der Bastille waren in früherer Zeit Staatsgefangene, sie waren nur Feinde der Regierung, Leute von Bedeutung, die auf eigenen Befehl des Königs bestraft oder auch bloß in Verwahrsam genommen wurden. Unter der letzten Regierung dagegen waren die Gefangenen in der Regel nicht Feinde der Regierung, sondern von Privatleuten jedes Standes, die der König unmöglich hassen konnte, weil er sie gar nicht kannte, die aber von einem Minister oder dem Günstling eines Ministers gehaßt wurden. Dieser Unterschied in den Motiven der Gefangensetzung mußte einen sehr großen Unterschied in der Behandlung zur Folge haben. Der Haß ist grausam; ein Fürst aber, der einen Unruhstifter unschädlich machen will, begnügt sich, ihn einzusperren: er ist weit weniger zur Härte geneigt als ein Minister, der durch die Gefangensetzung einen persönlichen Groll befriedigen will. Indessen machte sich doch in der letzten Zeit ein Schatten von Milde bemerkbar, der wegen seiner Seltenheit um so beachtenswerter ist. Die letzten bretonischen Gefangenen wurden in der Bastille mit großer Schonung behandelt. Schon in den ersten Tagen ihrer Gefangenschaft brachte man sie zusammen, sie lebten beinahe wie im Familienkreise miteinander, und man trieb die Zuvorkommenheit gegen sie so weit, daß man im Zimmer des Majors, in welchem sie sich zu ergötzen pflegten, ein Billard für sie aufstellte. [Diese Gefangenen, zwölf an der Zahl, waren Deputierte des bretonischen Adels, die dem Könige wegen einiger neuer Edikte Vorstellungen machen sollten, aber gleich bei ihrer Ankunft in Paris 1788 von Brienne in die Bastille gesteckt wurden.]
D. Übers.
Das Mißtrauen, dieser unzertrennliche Begleiter des Mißbrauchs der obrigkeitlichen Gewalt, ließ das Ministerium in jedem seiner Helfershelfer einen Menschen erblicken, der bestechlich war. Die Offiziere hatten das Recht, die Gefangenen zu besuchen, da sie aber weniger geneigt waren, den schlimmen Absichten und der grausamen Strenge des Ministeriums durch tröstenden Zuspruch entgegenzuwirken, als vielmehr dieser Strenge noch durch allerlei hinterlistige Manöver in die Hände zu arbeiten, so war diese Art von Besuchen nicht sehr erwünscht. Beinahe alle, die in der letzten Zeit in der Bastille waren, haben sich bitter über dies Verfahren beklagt. Sie versichern einstimmig, daß dort alles Schlinge, Kunstgriff, Lüge, Spionage und Geheimnis war, daß die Vorgesetzten und die Untergebenen im Einverständnis zu sein schienen, um einen Gefangenen dahin zu bringen, daß er sich beklagte; daß sie anscheinend auf seine Beschwerden eingingen, um ihn zu beleidigenden Äußerungen über den Gouverneur zu veranlassen, dem sie dann alles hinterbrachten; daß sie in andern Fällen dem Gefangenen gegenüber den Teilnehmenden spielten und sich bemühten, ihm jede Hoffnung zu rauben, indem sie ihm versicherten, sein Unglück rühre nicht von den Ministern her, sondern der König selbst sei gegen ihn eingenommen infolge einiger ihm von heimlichen Feinden hinterbrachter Reden, denen er Glauben geschenkt habe, und daß man so zu dem Gefangenen sprach, weil man wußte, daß er niemals an den König schreiben konnte, da dies zu den Dingen gehörte, die nie gestattet wurden. Die Berichterstatter fügen hinzu, daß man sie marterte, indem man ihnen unbestimmte Versprechungen machte, die sich nie erfüllten, und sich ihnen gegenüber in Mutmaßungen über ihr künftiges Schicksal erging, als ob man dasselbe aus den Umständen zu erraten suchte, gerade wenn man am besten darüber unterrichtet war; daß man, da man sicher war, daß die Lüge nicht nachgewiesen werden konnte, sie verleumdete in der doppelten Absicht, die Strenge zu rechtfertigen, mit der man sie während ihrer Haft behandelte, und zugleich den Eifer ihrer Freunde und Verwandten abzukühlen, die ihre Freilassung nachsuchten.

Die Gefangenen konnten keine Gesuche einreichen. Es war schon schwierig für sie, überhaupt zu schreiben, noch schwieriger aber, sich zu vergewissern, ob die Briefe auch wirklich an ihre Adresse abgeliefert worden waren. Man kann unmöglich einsehen, warum man keine Antwort darauf gab, indem man die Bittsteller entweder auf schriftlichem Wege abschläglich beschied, oder ihnen das gewährte, was sie verlangt hatten. Die Briefe mußten einem Offizier zugestellt werden, dem es oblag, sie der Polizei zuzusenden, dem Wege, den sie unter allen Umständen passieren mußten. Diese Zusendungen geschahen täglich mittags und abends, und darüber hinaus erfuhr man nichts von dem Verbleib der Briefe. Die Antworten kamen dem Gefangenen ebenfalls erst zu, nachdem sie denselben Weg in umgekehrter Richtung zurückgelegt hatten, d. h. sie mußten der Polizei zugesandt werden, die sie dann dem Major zustellte. Dieser übergab sie entweder dem Gefangenen oder teilte ihm den Inhalt mit, und es steht leicht zu begreifen, daß das Briefgeheimnis auf dieser Post wenig respektiert und daß weit weniger Briefe abgeliefert als unterschlagen wurden. Wir haben sogar die unzweifelhafte Gewißheit, daß dergleichen vorkam, und behaupten es nur, weil wir in diesem Augenblicke eine nicht geringe Anzahl von Briefen vor uns haben, die nicht an ihre Adresse gelangt sind. Einer von diesen Briefen, deren Originale sich in unsern Händen befinden, ist an Herrn Le Sourd, Seidenwaarenhändler im gewappneten Manne, Rue Saint-Denis, gerichtet und Cormailleunterzeichnet. Es war durchaus kein Grund vorhanden, dies Schreiben zurückzuhalten: es enthält nichts, was hätte verletzen können, nichts was auf den Grund der Gefangenschaft des Schreibers Bezug hat. Cormaille fordert darin eine Sendung Kaffee, der ihm, wie er sagt, wegen seines Kopfwehs und seiner Beinschmerzen unentbehrlich sei; er beklagt sich, daß die neue, ihm zugeschickte Perrücke nicht weit genug über die Ohren reiche; er verlangt ein lateinisches Wörterbuch; er will ein gutes Kamisol haben, weil es in den Gelassen der Bastille nicht warm ist – das ist der wesentliche Inhalt des Briefes. Und dennoch ist er nicht abgeliefert, sondern zurückbehalten worden, da er, 1747 geschrieben, sich 1789 in der Bastille vorgefunden hat, und da am Kopfe sich von anderer Hand der Vermerk findet: » Ich habe am 11. Oktober 1747 dem Sieur Le Sourd den Auszug hiervon zugesandt.« Wenn man sich aber bei einem so unschuldigen Briefe auf die Übersendung eines Auszugs beschränkte, so ließ man also überhaupt keinen Brief abgehen. Sollte man den in Rede stehenden deshalb angehalten haben, weil darin gesagt ist, daß die Zimmer der Bastille kalt seien? Das wäre doch eine höchst grausame und abgeschmackte Thorheit gewesen. Ist es nicht weit wahrscheinlicher, daß man es sich zum Gesetz gemacht hatte, überhaupt nur Auszüge aus den Briefen der Gefangenen (immer die besonders begünstigten ausgenommen) zu übersenden, um den Mutmaßungen vorzubeugen, zu denen der Gebrauch, bald die Briefe selbst, bald nur einfache Auszüge davon zu übersenden, Anlaß gegeben haben würde, da man unzweifelhaft mißtrauisch geworden wäre, wenn man, an den Empfang der Originale gewöhnt, in andern Fällen nur einen Inhaltsauszug erhalten hätte? Denn die Handlanger des Despotismus, so mißtrauisch sie selbst stets und ständig waren, bemühten sich doch immer, ganz entgegengesetzte Gefühle zu erwecken: zum Glück verfuhren sie allzu plump, als daß ihnen dies häufig geglückt wäre. [Der Hauptgrund für die Unterschlagung der Briefe war der, daß man befürchtete, die anscheinend unverdächtigen Mitteilungen möchten eine geheime Bedeutung haben. Es erhellt dies aus der hartnäckigen Weigerung des Gouverneurs de Launay, eigenhändig ein Billet nach dem Diktate der Frau von Staal an deren Freundin, Frau von Grieu, auszufertigen. Die betreffende Stelle aus den Denkwürdigkeiten der Staal findet sich im Abschnitt LL des Anhangs mitgeteilt.]
D. Übers.

Hatte man eine Bitte zu stellen, so schrieb man an den Major und übergab den Brief einem Schließer zur Besorgung. Es ist bereits bemerkt worden, daß man niemals an den König schreiben durfte: es wäre für die Handlanger des Despotismus allzu gefährlich gewesen, hätte der Fürst erfahren, welchen Mißbrauch sie mit seiner Macht trieben, und welche Befehle man ihm unterschob.

Wie es scheint, war die Hausordnung der Staatsgefängnisse allenthalben dieselbe und begegnete man bezüglich des Schreibens überall den nämlichen Schwierigkeiten. Man vergleiche hierzu Linguets Anmerkung XXV, sowie die Mitteilungen der Frau von Staal im Anhang unter LL.
D. Übers.
Wir haben hier einige Blätter vor uns liegen, die eigenhändig von Herrn Masers de Latude beschrieben und unterzeichnet sind. Man findet darin folgende Bemerkung: »Obgleich mein Schließer ein Unmensch ist, der mich umkommen lassen würde, wenn er mich auch durch das Geschenk einer Nadel retten könnte, so darf ich mich doch, da er ohne Zweifel auf Befehl handelt, nicht dadurch an ihm rächen, daß ich den Argwohn ausspreche, er thue mehr als seine Pflicht. Man kann leicht sehen, daß von diesen vier Stücken roten Papiers zwei die Umhüllung meines Tabakspäckchens bildeten, während die beiden andern Arzneimittel enthielten. Was das weiße Blatt anlangt, das ich durchgeschnitten habe, so weiß Herr de Rougemont, daß er es mir hatte geben lassen, bevor ich in das Verließ kam. Ich habe eine kupferne Feder und etwas eingetrocknete Tinte und trotz der Wachsamkeit meines Argus schreibe ich täglich zehn bis zwölf Zeilen beim Mittagsessen und ebensoviel beim Abendbrot.« Gezeichnet Masers, seit 26 Jahren Märtyrer im Donjon von Vincennes, am 22. Januar 1775.

Herr de Latude befand sich damals in den lichtlosen Verließen von Vincennes: um zu schreiben, benutzte er die wenigen Augenblicke, wo er Licht hatte, d. h. die Essenszeit. Er stand unter dem Gouvernement des Herrn de Rougemont. Wenn jemand die von diesem Spießgesellen des Despotismus verübten Abscheulichkeiten nicht kennen sollte, so lese er das Werk des Grafen de Mirabeau: Über die Lettres-de-cachet.

Gelang es einem Gefangenen, zu entfliehen, oder entdeckte man, daß einer auch nur den Versuch dazu gemacht hatte, so ging auf der Stelle eine förmliche Umwälzung in der Bastille vor. Das Joch aller Bewohner derselben wurde erschwert, die Beraubungen vermehrten sich in jeder Hinsicht, und das geduldigste Individuum empfand in der Tiefe seines Gelasses oder Verließes den Rückschlag der vergeblichen Versuche eines Unbesonnenen, oder ward bestraft, weil ein Beherzter Geschicklichkeit und Kraft besessen hatte. So ließ 1709 der Gouverneur Bernaville alle hohen Bäume im Garten niederhauen, die geringsten Vorsprünge oder Verzierungen, die einen Stützpunkt bieten konnten, herunterschlagen und zerstören, alle Winkel in den Korridoren beseitigen und den Gefangenen, denen man Messer gegeben hatte, dieselben wieder abnehmen: die geringfügigsten eisernen Gegenstände, sagt Renneville, bis herab auf die einfachen Nägel, die Spazierstöcke, die Besenstiele, alles wurde weggenommen, weil der Graf de Bucquois Mittel gefunden hatte, aus der Bastille zu entwischen. Um die nämliche Zeit brachte man in Erfahrung, daß ein Gefangener eine Taube, die zufällig in sein Zimmer geschlüpft war, eingefangen, ihr einen Zettel unter den Flügeln befestigt und sie dann wieder freigelassen hatte in der Hoffnung, das Billet werde vielleicht in Hände fallen, die es an seine Adresse gelangen lassen würden. Daraufhin ließ Bernaville unverzüglich alle Tauben und sonstigen Vögel töten, die um die Bastille nisteten. Da das Verfahren der Handlanger des Despotismus in allen Gefängnissen, die so unbegründeterweise Staatsgefängnisse genannt wurden, so ziemlich dasselbe war, so dürfen wir hier einen Vorfall anführen, der sich in der Citadelle von Pignerol zutrug. Dort war der Graf de Lauzun der Hut des Gouverneurs Saint-Mars anvertraut worden. In der Absicht zu entfliehen, ließ der Graf von seinem Kammerdiener Stricke, Feilen u. s. w. anschaffen. Sie wurden jedoch überrascht und der Graf in das fürchterlichste Gelaß gebracht, der unglückliche Diener aber gehangen und sein Leichnam, Renneville zufolge, vor der Fensteröffnung des Gefängnisses seines Herrn befestigt, so daß dieser nicht aufblicken konnte, ohne diesen schrecklichen Anblick vor Augen zu haben. Eben derselbe Autor hat auch zuerst die bekannte Anekdote von der kleinlichen Grausamkeit des genannten Gouverneurs mitgeteilt, der eine Spinne zertrat, die der Graf mit unendlicher Geduld so abgerichtet hatte, daß sie ihm aus der Hand fraß, indem er bemerkte, ein Verbrecher wie der Graf sei der geringsten Zerstreuung unwürdig. [Das unglückliche Mitglied der Familie der Arachniden ist später unter dem Titel der »Spinne Pellissons« durch die Verse berühmt geworden, die Delille ihm in seinem Gedichte über die Einbildungskraft gewidmet hat:
»Un geôlier, au coeur dur, au visage sinistre,
Indigné du plaisir que goûte un malheureux,
Foule aux pieds son amie et l'écrase à ses yeux.
L'insecte était sensible et l'homme fut barbare!
O tigre impitoyable et digne du Tartare,
Digne de présider au tourment des pervers,
Va, Mégère t'attend au cachaut des enfers!«

Die Anekdote wäre gewiß für den Charakter des Hüters der eisernen Maske sehr bezeichnend, wenn sie nur bessere Gewährsmänner hätte, als es Renneville und Delille sind.]
D. Übers.
So ersehen wir auch aus den uns vorliegenden Registern, daß wegen der Entweichung des Herrn de Latude mehrere Schließer und Schildwachen bestraft wurden. Trotz der höchst umfassenden Vorsichtsmaßregeln waren Fluchtversuche aus der Bastille nicht so selten, wie man meinen sollte. Man findet im Anhang unter H eine Anzahl derselben aufgeführt.
D. Übers.

Fast scheint es, als ob in der Bastille alle Gefühle, die zur Beglückung oder zur Tröstung der Menschen beitragen konnten, in gleichem Maße verletzt werden mußten. Das religiöse Gefühl wurde nicht mehr geschont als die übrigen, denn man beschränkte die Gefangenen in der Ausübung der religiösen Pflichten, die in einer Festung, wo man in dieser Hinsicht alles hätte gestatten dürfen, am leichtesten mit dem Verluste der Freiheit verträglich waren. Aus der kurzen Beschreibung, die wir oben davon gaben, hat man bereits ersehen, was die Kapelle war, wieviel Plätze für die Gefangenen sie enthielt, und mit welcher Unbequemlichkeit diese dort der Messe beiwohnten. Wir fügen hier nur noch hinzu, daß bei weitem nicht alle an der feierlichen Handlung teilnehmen konnten: dieser religiöse Trost war vielmehr nur zwölfen vergönnt, denn da nur sechs Plätze vorhanden waren, so konnten auch nur jedesmal sechs Gefangene die Messe hören. Es gab einen Ober-Kaplan mit 1200 Livres und zwei Unter-Kapläne mit je 400 Livres Besoldung. Die letztem lasen nur Sonntags und an den Festtagen Messe. Der Ober-Kaplan las sie täglich um 9 Uhr morgens. An Sonn- und Festtagen wurden drei Messen gelesen, die erste um neun und die zweite um zehn Uhr morgens, so daß zwölf Gefangene am Gottesdienste teilnehmen konnten; die dritte Messe, die zwischen 12 und 1 Uhr mittags stattfand, war die für den Gouverneur, und nur die bevorrechteten Gefangenen durften dieselbe hören. Von dem Augenblicke an, wo der Priester auf den Altar trat, bis zu dem Momente, wo er ihn wieder verließ, stand ein Posten vor der Thür der Kapelle. Vgl. die Wach-Instruktion, §. 6. 7, im Anhang unter A.
D. Übers.
Der Beichtvater, der ein Geistlicher aus der Stadt, ein freier, zuverlässiger und, wenn man will, angestellter, aber vom Schlosse unabhängiger Mann hätte sein müssen, um den Gefangenen jenes Vertrauen einzuflößen, ohne welches eine heilige Verrichtung, ein Amt des Friedens, das durchaus auf unbedingtem, hingebendem Vertrauen beruht, nur eine illusorische Spionage ist, die weder einen verbrecherischen noch einen frommen Zweck erfüllt – der Beichtvater also gehörte zum Stabe und bezog 900 Livres Gehalt. Es wäre überflüssig, an diese Thatsache noch irgend welche Betrachtungen anzuknüpfen: man fühlt zur Genüge, welche Mißbräuche diese Stellung des Beichtvaters zur Folge haben konnte. Das Sakrament wurde notwendigerweise entweder völlig bei Seite gesetzt oder war der Entweihung durch Lüge und Mißtrauen preisgegeben.

Wir haben noch von den Erkrankungen zu reden. Jeder wird begreifen, daß der Unglückliche, den ein ernstes und plötzliches Unwohlsein befiel, keine Hilfe herbeirufen konnte, namentlich nicht in der Nacht. Vergebens wäre es gewesen, hätte er auch in diesem Falle, wo man in der Regel nur eine sehr schwache Stimme hat, eine Stentorstimme besessen: er war zu abgeschlossen von aller Welt, als daß man ihn hätte hören können. Wurde sein Ruf aber doch zufälligerweise vernommen, so geschah dies nur von Seiten einer der Wachen auf dem Rundenwege und Dank einem günstigen Winde. Inzwischen aber diese Wache eine allgemeine und unbestimmte Meldung von Posten zu Posten laufen ließ, inzwischen ein Gefreiter ankam, um die Bedeutung dieser Meldung festzustellen, inzwischen der Gefreite einen Schließer aus dem Schlafe pochte und dieser endlich aus dem Bett gebracht, den Bedienten des Kommandanten weckte, der dasselbe mit seinem Herrn that, inzwischen dann dieser letztere die Schlüssel heraussuchte, Befehl gab, den Chirurgen zu wecken und der Chirurg endlich im Gefängnis anlangte, ging die Nacht unter Schmerzen hin. Der Arzt, der am äußersten Ende der Stadt wohnte In den Tuilerien.
D. Übers.
und ebenso häufig in Versailles wie in Paris war, dabei aber durch keinen andern vertreten werden durfte, kam entweder gar nicht, oder er kam um mehrere Stunden, oft sogar um mehrere Tage zu spät. War die Krankheit mehr innerlich als durch äußere Symptome markiert, so war man leicht bereit, den Gefangenen zu beschuldigen, er spiele nur den Kranken, um Erleichterungen zu erhalten, und behandelte ihn dementsprechend. Erkannte man, daß er wirklich krank war, so blieb er nichtsdestoweniger allein und wurde um kein Haar besser bedient. Man brachte ihm die Arzneien, wie man einem Gesunden die Speise bringt: man setzte sie auf den Tisch und entfernte sich wieder. Verschlimmerte sich die Krankheit, so gab man ihm einen oft genug barschen und schroffen, immer aber zur Krankenpflege untauglichen Soldaten zum Wärter, der es dann den Kranken entgelten ließ, daß er Gefangener geworden war, denn er blieb tatsächlich bis zur Versetzung oder zur Freilassung der Person, die er hütete, selbst gefangen, mochte er derselben nun aus Rücksicht auf deren Krankheit oder nur um ihr Gesellschaft zu leisten beigegeben sein. Der Invalide Daury wurde dem Grafen Cagliostro zum Gesellschafter [ compagnie] gegeben (so nennt man nämlich den Wärter, den ein Gefangener erhielt). Nach einem vierzigtägigen Aufenthalte in der Zelle dieses Gefangenen machten die Langeweile und die verdorbene Luft des Gelasses ihn krank. Er war genötigt abzudanken und wurde durch einen andern Soldaten ersetzt, der acht Monate, d. h. bis zur Freilassung Cagliostros, bei dem Grafen blieb. Daury hat uns gestanden, daß während der Zeit, wo er Gesellschafter war, die Offiziere vom Stabe ihn häufig hatten herunterkommen lassen, um ihn zu fragen, ob er nichts von dem Gefangenen habe herausbringen können. Der Graf Cagliostro ging täglich auf dem Turme spazieren, in welchem seine Frau gefangen saß. Er wußte ihre Verhaftung nicht, und seinem Soldaten, der davon unterrichtet war, war ganz ausdrücklich verboten worden, ihm davon Mitteilung zu machen. Dieser selbe Daury hat uns auch versichert, daß man ihm nur 25 Sous täglich zahlte, obschon ihm 30 versprochen waren.

Es ist nicht bekannt, wieviel Gefangene jährlich in der Bastille starben. Das Eingangsregister zählt ungefähr 2000 Gefangene in achtundvierzig Jahren auf Man findet diesen Register-Auszug im Anhang unter I. Im allgemeinen scheinen übrigens die Todesfälle nicht allzu zahlreich gewesen zu sein.
D. Übers.
– es käme also nur darauf an, die Zahl derjenigen von diesen zweitausend festzustellen, für die sich kein Entlassungsbefehl vorfindet. Es wird behauptet, man habe es nicht gern gesehen, daß eine bekannte Persönlichkeit in der Bastille starb, und daß man solche Leute entlassen habe, sobald Grund vorhanden war, für ihr Leben zu fürchten Dies verschaffte z. B. dem Herzog von Richelieu am 30. August 1719 die Freiheit. Frau von Staal ( II, p. 230) führt ein ähnliches Beispiel an. »Davisard,« erzählt sie, »ein lebhafter und ungestümer, geistig und körperlich rastloser Mensch, der eher imstande war, an mehreren Orten zugleich zu sein, als an einer einzigen Stelle zu bleiben, erkrankte ziemlich ernstlich. Man machte dem Regenten davon Mitteilung und übertrieb auch vielleicht ihm gegenüber die Sache. Der Regent verabscheute alle gewaltsamen Mittel und fand es nicht gut, daß seine Gefangenen ihm den Streich spielten, im Gefängnis zu sterben. Um diesen Unfall zu vermeiden, wurde also Davisard in Freiheit gesetzt. »Ist das auch keine Falle ( godan)?« fragte er in seinem gascognischen Dialekt, als er die Iettre-de-cachet sah. »Nein,« erwiderte der Gouverneur, »es ist ganz etwas Gutes.« – »Hosen und Strümpfe! Schnell! schnell!« rief Davisard, indem er sich aus dem Bett wälzte – sein Ankleiden, sein Abzug, seine Heilung, alles war das Werk eines Augenblicks.«
D. Übers.
; was aber die übrigen anlangt, so machte man mit ihnen keine Umstände: hier verfolgte der Despotismus die Menschen bis ins Grab.

Wir können hier eine Anekdote nicht übergehen, die den Sieur Bertin de Frateaux betrifft und uns von einem Schließer mitgeteilt worden ist. Da der Wärter, der mit seiner Bedienung betraut war, erkrankte, so wurde dem in Rede stehenden Schließer das Amt übertragen, ihm das Essen zu bringen, nie aber versah er diesen Dienst, ohne von einem der Offiziere begleitet zu werden. Dieser Bertin de Frateaux war auf Ansuchen seiner Familie zu lebenslänglicher Bastille verurteilt und – ein bemerkenswertes Vorkommnis! – in England verhaftet worden. Verhaftungen im Auslande kamen nicht allzu selten vor. Der Protestant Cardel war zwischen Frankfurt und Mannheim von einem Detaschement Soldaten aufgehoben worden und kam am 4. August 1690 in die Bastille, wo er 1710 starb ( Carra I, p. 195.) Die Marquise de Brinvilliers wurde durch List aus Lüttich entführt. Herr de Feriol ließ sogar den armenischen Patriarchen aus Konstantinopel entführen und nach Frankreich bringen ( Ravaisson X, p. XVII). Bertin de Frateaux kam am 25. März 1752 in der Bastille an und starb dort am 3. März 1779.
D. Übers.
Er hat nie sein Zimmer verlassen, und es war sein eigener Schwager, Herr de Jumilhac, der die harten Befehle, die man gegen ihn in Ausführung brachte, erteilte oder wenigstens vollziehen ließ.

Wir schließen unsern Bericht mit der Anführung einiger historischer Fakta und Anekdoten, die geeignet sind, das, was oben über einzelne Punkte mitgeteilt worden ist, zu bestätigen.

An die Spitze dieser Anekdoten stellen wir eine Bemerkung über Fouquet. In einem Briefe aus Paris vom 5. April 1680 bemerkt nämlich Frau von Sevigué: »Wenn ich zur Familie des Herrn Fouquet gehörte, so würde ich mich hüten, seinen armen Leichnam noch auf Reisen zu schicken, wie sie dem Gerüchte nach beabsichtigen. Ich ließe ihn da unten beerdigen: er würde in Pignerol bleiben und nicht noch nach neunzehn Jahren auf diese Weise aus dem Gefängnis gezogen werden.« Diese Stelle beweist klar und deutlich, daß Fouquet in Pignerol starb, aber nicht dort begraben ward. Es scheint damit sogar bewiesen, daß er als Gefangener starb. Gourville behauptet indessen, er wäre in Freiheit gesetzt worden. Würde nun die Schwierigkeit gelöst sein, wenn man annähme, Gourville verstehe darunter, er sei in weniger strenger Haft gehalten worden, da er Erlaubnis zum Schreiben hatte und Gourville von ihm ein Dankschreiben erhielt für die Unterstützung, die er der Familie Fouquet gewährt hatte? Ist es nicht vielmehr natürlicher, wenn man annimmt, Fouquet sei wirklich frei gewesen, aber nur so kurze Zeit, daß Frau von Sevigné nichts davon wußte oder aber in gewissem Sinne sagen konnte, er sei in der Gefangenschaft gestorben? In der That gedenkt Gourville der Freilassung des Ober-Intendanten erst nach dem Tode des Herrn de la Rochefoucauld, der am 17. März 1680 erfolgte, und läßt Fouquet am 26. desselben Monats sterben. Dieser Zweifel über das Ableben Fouquets hat Veranlassung gegeben, daß man in dem Manne mit der eisernen Maske den Ober-Intendanten vermutete. Der im Artikel über Fouquet (Anhang unter K) mitgeteilte Auszug aus dem Begräbnis-Register der Marienkirche zu Paris gestattet indessen keinen Zweifel darüber, daß Fouquet wirklich dort begraben wurde, also unmöglich mit der eisernen Maske identisch sein kann, deren Geschichte wir einen besondern Abschnitt widmen zu müssen glaubten.
D. Übers.

Dieser Gourville, dessen Denkwürdigkeiten wir wiederholentlich citiert haben, war der Kammerdiener und zugleich der Freund des Herzogs de la Rochefoucauld. Er wurde von Herrn de Bachelière, der von Mazarin dazu Befehl erhalten hatte, im April 1659 in die Bastille geführt und bekam acht Tage lang keinen Menschen zu sehen außer seinem Diener, der mit ihm eingesperrt wurde. In der letzten Zeit wäre dies nichts Besonderes gewesen, damals aber wurde eine solche Behandlung für streng angesehen.

La Porte, erster Kammerherr Ludwigs XIII., ein ergebener Anhänger Annas von Österreich, dessen Denkwürdigkeiten wir gleichfalls mehrfach citiert haben, wurde am 10. August 1637 in der Rue des Vieux-Augustins, Ecke der Rue Coquillière, vom Musketierlieutenant Goulard verhaftet und in die Bastille gebracht, wobei fünf Musketiere bei ihm im Wagen Platz nahmen und fünfzehn oder sechzehn andere demselben folgten. Er wurde anfangs mit einem Soldaten in ein Verließ gesetzt.

Fräulein Delaunay, spätere Frau von Staal, hat Denkwürdigkeiten hinterlassen, die mehr einem fesselnden Roman als einer wahrheitsgetreuen Geschichte gleichen: wir haben denselben gleichfalls mehrere charakteristische Züge entnommen. Sie war in die Affaire der Herzogin von Maine verwickelt, deren Vertraute sie war, und wurde auf Befehl des Regenten verhaftet. Sie hielt ihren Einzug in die Bastille am 29. Dezember 1718 und verließ dieselbe am 6. Juni 1720. Man sperrte damals jeden ein, der in irgend welcher Beziehung zum Hause Maine gestanden hatte, von den Ehrenfräulein an bis herab zu den niedrigsten Bedienten. Ein Edelmann, namens Poitevin, wurde sogar nur deshalb in die Bastille gebracht, weil er an den Herzog einen Brief geschrieben hatte, in welchem er seiner Ergebenheit Ausdruck gab, deren man doch die Fürsten immer versichert, selbst wenn nichts Reelles dahinter steckt.

Renneville, von dem oben mehrere Male die Rede gewesen ist, hat über die Bastille ein Werk hinterlassen unter dem Titel: Über die französische Inquisition oder Geschichte der Bastille von Constantin de Renneville (5 Bde., Amsterdam, 1724). Dies Buch, das in fast alle europäischen Sprachen übersetzt wurde, ist in Frankreich ziemlich selten, obgleich ein Nachdruck der ersten französischen Ausgabe erschienen ist. Der Verfasser, der jüngste von zwölf Brüdern, die sämtlich in Kriegsdiensten standen, und von denen sieben in verschiedenen Schlachten getötet wurden, hatte selbst gedient, war dann mit Verhandlungen an verschiedenen Höfen betraut worden und ward endlich zum Bureau-Vorsteher des Herrn de Chamillart ernannt. Er wurde verdächtigt, am 16. Mai 1702 in die Bastille geführt und verließ dieselbe erst am 16. Juni 1713 wieder, ohne daß es ihm, nach seiner Behauptung, möglich gewesen wäre, die Ursache dieser langen Haft zu entdecken oder die Erlaubnis zu erhalten, an Herrn de Torcy, auf dessen Befehl er verhaftet worden war, schreiben zu dürfen. Bei seiner Entlassung aus der Bastille wurde er landesverwiesen. Wir gehen im Abschnitt JJ des Anhangs näher auf Renneville und sein Werk ein.
D. Übers.

Während der elf Jahre seiner Gefangenschaft sah Renneville in der Bastille Gefangene aus allen Ländern und von jedem Stande, wie z. B. den Prinzen de la Riccia, Der Prinz de la Riccia wurde nach einer verunglückten Revolte gegen Philipp V. von Spanien in Neapel verhaftet, auf einem französischen Schiffe nach Marseille geschafft, von dort nach Vincennes geführt und endlich am 26. September 1702 in die Bastille gebracht, aus der er erst am 18. Oktober 1713 wieder entlassen wurde, um nach Orleans verbannt zu werden. ( Carra I, 332; Ravaisson X, 478-496.)
D. Übers.
die Herzöge von Estrées und von Fronsac, Louis Armand d'Estrées, geboren am 3. September 1682, gestorben am 16. Juli 1723, wurde am 17. September, 1700 wegen liederlicher Streiche auf Befehl des Königs von seinem Vormunde, dem Herzog von Béthune, in die Bastille geführt. Seine Entlassung erfolgte am 25. März 1701. – Bezüglich Richelieus vergleiche man den Abschnitt G des Anhangs.
D. Übers.
den Grafen d'Harcourt, den General-Lieutenant de Surville und mehrere andere, die auf 25 Livres täglich gesetzt waren, sowie den General-Lieutenant Cherberg aus dem Kanton Zürich, für den 15 Livres pro Tag ausgeworfen waren, der aber vom Gouverneur Bernaville auf das schlechteste beköstigt ward, und dem man es, obschon er ein Greis von siebzig Jahren war, in dem berüchtigten Winter von 1709 sogar an Holz fehlen ließ. Er war im Dienste des Königs ergraut und hatte kein weiteres Verbrechen begangen, als daß er in der Schlacht bei Ramillies dem Marschall de Villeroi ein wenig offenherzig seine Meinung gesagt hatte. Renneville ( t. I. p. XIII) erzählt den Vorfall folgendermaßen: »Cherberg sah in der Schlacht bei Ramillies [23. Mai 1706], daß das Regiment des Königs in Gefahr stand, umzingelt und in die Pfanne gehauen zu werden, und bemerkte gegen den Marschall von Villeroi, wenn er ihm nur drei oder vier Schwadronen geben wolle, so nehme er es bei seinem Kopfe auf sich, dies Regiment herauszuhauen und ihm einen ehrenvollen Rückzug zu sichern. Der Marschall erwiderte darauf, er habe ebenso gute Augen wie er, und diese Entgegnung riß den General-Lieutenant in seinem allerdings zu wohlgemeinten Eifer zu der Äußerung hin: wenn das wirklich der Fall wäre, so würden die königlichen Truppen nicht dem Gemetzel des Feindes preisgegeben sein, wie es eben geschehe, die Truppen wären gut und würden aufs trefflichste ihre Pflicht thun, wenn sie nur gut geführt würden. Mehr war nicht nötig, um den braven Offizier in die Bastille zu bringen.«
D. Übers.
Er blieb fünf bis sechs Jahre in der Bastille.

Ebenso lernte Renneville dort den Ritter Welzer von Broch kennen, der erst achtzehn Monate nach ihm entlassen ward und unter dem Erzherzog Karl, spätern Kaiser Karl VI., gedient hatte. Dieser Offizier, erzählt Renneville, bezeugte nach seiner Freilassung schriftlich, daß er nicht selten auf Befehl des Gouverneurs geschlagen und dann über und über blutend in ein Verließ geworfen worden war. Der genannte Autor fügt noch hinzu, daß Broch, als er, im Begriff die Bastille zu verlassen, das Geld, die Kleinodien und die Papiere zurückforderte, die er dem Gouverneur beim Eintritt in das Gefängnis übergeben hatte, von de Launay, dem Kommandanten des Schlosses und Vetter des Gouverneurs, an der Kehle gepackt, auf dessen Befehl von den Untergebenen mißhandelt und abermals in ein Verließ geworfen wurde, bis der Polizei-Gefreite erschien, der ihn an die Grenze führen sollte.

Weiter erzählt Renneville, daß ein gewisser Augustin le Charbonnier, der lange in der Bastille gesessen hatte, darin wahnsinnig wurde, Das war durchaus nichts Seltenes. Wir führen neben jenem Augustin le Charbonnier, der nach einem vier- bis fünfjährigen Aufenthalte in Vincennes am 28. Juni 1699 in die Bastille gebracht und bis zu seinem Tode darin festgehalten wurde, noch folgende Fälle an: Desimbers, eingebracht am 23. Februar 1697, als wahnsinnig nach Charenton geschafft im April 1706; Charles de Rosset, eingebracht am 26. Februar 1703, nach Charenton versetzt im Mai 1714; Jean François Heron, eingebracht am 21. Dezember 1764, nach Bicêtre geschafft am 14. April 1765 und dort wegen Wahnsinns festgehalten bis zum 28. Dezember 1783; Julien Delaunay de Ronceray, eingebracht am 1. Juli 1768, später ebenfalls nach Charenton versetzt u. s. w. u. s. w.
D. Übers.
und daß man, da sein Wahnsinn hauptsächlich darin bestand, daß er diejenigen, welche ihm das Essen brachten, mit Schmähungen überhäufte, die Speisen einfach auf den Fußboden schüttete und die Schüsseln wieder mitnahm, so daß er genötigt war, seine Nahrung nach Art der Hunde zu sich zu nehmen. Ferner findet man in dem angeführten Werke, daß ein Herr de Bellevaux, der Sohn eines Postdirektors des Kurfürstentums Köln, der im Alter von einundzwanzig Jahren nach Paris kam, um dort zu studieren, 1704 in die Bastille gesteckt wurde und keinen andern Grund dafür entdecken konnte, als daß er auf der Liste Chamillarts stand. Weiter liest man darin, daß ein französischer Offizier, Bétot de Florancourt, der für tot auf dem Schlachtfelde von Ramillies zurückgelassen und bereits ausgeplündert worden war, ebenfalls eingesperrt wurde, weil er die Freilassung des jungen Bellevaux nachgesucht hatte, dessen Vater sein Wohlthäter war und ihm nach jener Schlacht alle mögliche Pflege und Unterstützung hatte zu teil werden lassen.

Die Remarques historiques et anecdotes sur la Bastille sind eine kleine und, obgleich erst 1774 erschienene, dennoch ziemlich seltene Broschüre, die wir gleichfalls wiederholentlich citiert haben. Der Verfasser ist uns nicht bekannt, scheint aber gut unterrichtet gewesen zu sein: wir haben selten Anlaß gehabt, seine Angaben verdächtig zu finden. Er belehrt uns, daß man am Schatzturme auf dem großen Hofe der Bastille noch die eisernen Haken sah, die dort eingelassen worden waren, um das Schaffot des Marschalls de Biron zu halten, daß mit seinem Gefängnis in gleicher Höhe lag, so daß er es geraden Wegs betreten konnte. Wir haben uns selbst von der Wahrheit dieser Angabe überzeugt: die Haken waren noch zur Zeit des Abbruchs der Bastille vorhanden. Zur Zeit des Mehlkrieges besuchte der letzte Marschall de Biron das Schloß und verlangte dort die Haken, den Turm und das Zimmer zu sehen, in das einer seiner Ahnen eingesperrt gewesen war.

Man findet in diesem Werke auch erzählt, daß, als der Chevalier de Rohan wegen des Verdachts, daß er Le Havre den Engländern überliefern wolle, i. J. 1674 in die Bastille gebracht worden war und sein Unterhändler, ein gewisser de la Tuanderie, den man in Rouen verhaften wollte, da er sich zur Wehr setzte, auf dem Platze getötet worden war – daß damals Leute, die dem Chevalier ergeben waren, zu wiederholten Malen abends die Bastille umkreisten und ihm durch Sprachrohre zuriefen: »La Tuanderie ist tot und hat nichts gesagt!« Aus dem im Anhang (unter L) gegebenen Auszuge aus den Akten des Prozesses gegen den Chevalier de Rohan wird man ersehen, daß die oben mitgeteilten Umstände nur der Sache nach richtig sind.
D. Übers.
Der Chevalier verstand sie indessen nicht. Da die Kommissare nichts aus ihm herausbringen konnten, redeten sie ihm ein, der König wisse alles, man habe Beweise, man verlange nur sein Geständnis und er würde im Falle eines solchen begnadigt werden: der Chevalier traute dieser Zusage, räumte sein Verbrechen ein und – ward enthauptet.

Ferner erfährt man aus der genannten Broschüre, daß sich in der Bastille mehrere Koffer mit den Papieren des berühmten Herzogs von Vendôme befanden, daß diese Papiere die Geschichte des Herzogs sowie die der Kriege in Spanien, Italien und Flandern enthalten, bei denen er den Oberbefehl führte, daß sie bei seinem natürlichen Sohne Dem Chevalier de Bellerive. Er war Dragoneroffizier und wurde 1749 in die Bastille gesteckt, weil er sich beißende Bemerkungen über den König, Frau von Pompadour und die Herren Minister erlaubt hatte. Es war dies im selben Jahre, in welchem de Latude, der im Register als Danry, Heilgehilfe ( garçon chirurgien), verzeichnet steht, eingesperrt wurde.
D. Übers.
beschlagnahmt wurden, der sein testamentarischer Erbe war und im Verdachte stand, eine Broschüre: Les trois Maries geschrieben zu haben, was, wie man vermutete, Les trois Maillis bedeuten sollte, daß dieser Erbe Vendômes in die Bastille und von dort nach Vincennes gebracht ward, wo er starb, und daß diese höchst interessanten Papiere in der Bastille. an einem feuchten Orte lagen, wo sie in Kürze vergehen oder doch unleserlich werden mußten, wenn man sie nicht in einen andern Raum brachte. Wir wissen mit Bestimmtheit, daß diese Papiere vor mehreren Jahren auf Befehl des Herrn de Breteuil in das Manuskript-Depot der Königlichen Bibliothek geschafft worden sind.

Wir kommen nun zu dem Teile unserer Schilderung, der die Eroberung der Bastille betrifft, und geben nachstehend eine genaue Darstellung aller bezüglichen Begebenheiten jenes denkwürdigen Tages, so weit dieselben zu unserer Kenntnis gekommen sind. Unsere Angaben beruhen zum Teil auf der Aussage der Schließer, zum Teil sind sie einer Denkschrift entnommen, welche die zweiundachtzig Invaliden der Besatzung uns mit der Erlaubnis und sogar mit der Bitte, sie zu veröffentlichen, übergeben haben.

Man hat am 14. Juli nur sieben Gefangene in der Bastille gefunden. Wir lassen hier deren Namen, sowie die Namen der Schließer und die Angabe der von ihnen bewohnten Gelasse folgen.

Gefangene. Gelaß. Schließer.

Tavernier. »Dieser Tavernier war, wie man behauptete, ein natürlicher Sohn von Pâris Duverney, einem Bruder des reichen Pâris de Montmartel. Er hatte schon vorher zehn Jahre auf den Iles Saint-Marguerite zugebracht. Während der Nacht nach der Einnahme der Bastille nahm ihn ein Unbekannter bei sich auf. Drei Tage später wurde er uns zugeführt. Herr du Veyrier, unser Schriftführer, fand, nachdem er ihn befragt hatte, daß sein Geist vollständig zerrüttet war. Wir schickten ihn nach Charenton. Ein braver Bürger meldet sich als sein Beschützer: wir vertrauten ihm den Unglücklichen an unter der Bedingung, daß er für ihn einstehe. Bald jedoch suchte er einen neuen Befehl nach, um ihn wieder dahin zurückbringen zu dürfen, woher er ihn abgeholt hatte.« Dusaulx, La prise de la Bastille, p. 345.
D. Übers.
La Comté 3. Trecour.
Pujade. La Bazinière 3. Trecour.
La Roche. La Bazinière 4. Trecour.
Graf de Solages. La Bertaudière 4. Guyon.
De Whyte. La Bertaudière 1. Guyon.
La Caurege. Brunnenturm 1. Fanfard.
Bechade. Winkelturm 1. Fanfard.

Um diese Unglücklichen zu befreien, war man genötigt, die Thüren der Gefängnisse einzuschlagen. Die Schließer konnten nur den Weg zeigen, denn sie waren nicht mehr im Besitze ihrer Schlüssel: in dem Augenblicke, wo dieselben in der Bastille am allernötigsten waren, trug man sie im Triumphe durch die Straßen von Paris. Man fand nur sieben Gefangene, und zwar völlig am Leben, keine Leichen, keine Skelette, Bezüglich der Skelette irrt Charpentier. Man sehe den Abschnitt M des Anhangs.
D. Übers.
keine Angeketteten: das alles sind nur Gerüchte, für die jeder Beweis und jede Grundlage fehlt. Im Schranke des Chirurgen fanden sich anatomische Präparate, die dazu beigetragen haben mögen, diesem Irrtum Glauben zu verschaffen. –

Seit dem Auflaufe vor dem Hause des Sieur Réveillon im Faubourg Saint-Antoine hatte Herr de Launay Anstalten getroffen, um die Bastille in Verteidigungszustand zu setzen, und diese Anstalten wurden in dem Maße umfassender, je mehr die Aufregung in Paris stieg.

Auf den Türmen der Bastille standen fünfzehn Geschütze, elf Acht- und vier Vierpfünder. Diese Geschütze lagen auf Lafetten oder Schiffsböcken und konnten nur bestimmt sein, bei Festlichkeiten abgefeuert zu werden, weil die Kanoniere nach Abgabe einer Salve nicht von neuem laden konnten, ohne sich dem feindlichen Feuer auszusetzen; um diesen Übelstand zu vermeiden, hätte man zu dem zeitraubenden und beschwerlichen Mittel des Hebels greifen und das Geschütz nach jedem Schusse zurückziehen müssen. Indessen wird auf den Schiffen häufig in dieser Weise verfahren, und man hätte sich daher auch wohl auf den Türmen der Kanonen in solcher Weise bedienen können. Auf dem großen Hofe, dem Eingangsthor gegenüber, hatte man drei Feldstücke und zwar Vierpfünder aufgepflanzt, die erst kurz zuvor aus dem Arsenal herbeigeschafft worden waren. Diese waren mit Kartätschen geladen.

Außerdem hatte der Gouverneur zwölf Wallbüchsen oder Böller des Grafen von Sachsen ( amusettes du Comte de Saxe), die anderthalbpfündige Kugeln schossen, aus dem Waffenmagazin nehmen und in das Schloß bringen lassen. Sechs von diesen Wallbüchsen waren zur Verteidigung in Stand gesetzt worden, man konnte aber nur eine einzige verwenden, und zwar war dies die, welche die Schweizer an einer Schießscharte aufpflanzten, die sie eigens zu diesem Zwecke auf Befehl ihres Offiziers, der selbst dabei Hand anlegte, am Thore der großen Brücke angebracht hatten. Dies Geschütz hat für sich allein mehr Unheil angerichtet, als alle übrigen Feuerwaffen, Kanonen wie Musketen, zusammengenommen.

Ferner besaß die Bastille zu ihrer Verteidigung vierhundert Biscayer, Geschosse von der Größe eines Billardballs. vierzehn Kisten sogenannter Schuhkugeln [ boulets sabotés], Kugeln, die ihre Hülse mit fortnehmen. fünfzehnhundert Kartätschen-Patronen, eine nicht genau bekannte, aber wenig beträchtliche Anzahl Vollkugeln und zweihundertfünfzig Faß Pulver zu hundertfünfundzwanzig Pfund jedes. Dies Pulver war in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli von den Schweizern vom Regimente Salis-Samade aus dem Arsenal der Bastille auf den Hof geschafft worden. Am folgenden Tage brachte man dann den größten Teil in das Verließ des Freiheitsturmes und den Rest in die Pulverkammer, die auf der Plattform lag.

Neben all diesem Geschütz und dieser Munition hatte der Gouverneur noch am 9. oder 10. Juli sechs Wagenladungen Steine und altes Eisen, d. h. Ofenplatten, Kaminrohre, Feuerböcke, Kugeln, die man in den Gräben gefunden hatte, und die nicht für die Geschütze paßten, u. dgl. m. auf die Türme bringen lassen, um damit die Zugänge zur Brücke zu verteidigen, im Fall die Munition ausgehen sollte, oder die Belagerer so nahe herankommen würden, daß das Geschütz gegen sie unwirksam würde, was unfehlbar eintreten mußte, da trotz der Vorsichtsmaßregeln, die Herr de Launay ergriffen hatte, indem er einige Tage zuvor nächtlicher Weile die Schießscharten um etwa anderthalb Fuß erweitern ließ, die beiden seinem Hause gegenüber an diesen Schießscharten aufgepflanzten Geschütze nicht tiefer als auf die Brücke des Außenwerks gerichtet werden konnten. Eins von diesen beiden Geschützen, die man die Schwedenstücke ( pièces suédoises) nannte, ist eben dasjenige, welches den einzigen, während des Kampfes gefallenen Kanonenschuß abgab.

Einige Tage vorher waren alle Zugbrücken ausgebessert und alle Geländer entfernt worden, damit sie nicht etwa nach Aufziehung der Brücken zum Überschreiten der Gräben benutzt würden. Alle diese Geländer waren nach dem Brunnenhof geschafft worden und haben sich nach der Einnahme des Schlosses dort vorfinden müssen.

Ferner hatte man mehrere Tage vorher den Gefangenen Tavernier aus La Baziniere 1, wo er sich seit langem befunden hatte, nach La Comté 3 gebracht, um in seinem Zimmer Schießscharten anzubringen, durch welche man auf die Brücke schießen konnte. Wir haben diese Anstalten mit eigenen Augen gesehen, und noch jetzt kann sie jeder in Augenschein nehmen. Die Schießscharte war in einer der ehemaligen, zu unbekannter Zeit vermauerten Fensteröffnungen des Turmes angebracht, und man hatte versucht, eine Wallbüchse hineinzuzwängen, was zum Glück nicht ausführbar gewesen war, weil die Öffnungen für ihr Kaliber zu klein waren.

Im Hause des Gouverneurs, gerade der Kaserne gegenüber, hat sich ein Fenster durch einen Bohlenverschlag verwahrt gefunden. In diesem Verschlage waren fünf oder sechs Löcher angebracht, gerade groß genug, um einen Flintenlauf hindurchzustecken. Von Nutzen ist jedoch diese Art Brustwehr nicht gewesen, da Herr de Launay sich noch vor dem Angriff in das Schloß selbst zurückgezogen hatte. Von außen konnte dieselbe nicht bemerkt werden, weil sie durch die Jalousie verdeckt ward, die vorsichtigerweise herabgelassen worden war.

Die Mundvorräte bestanden aus zwei Säcken Mehl und etwas wenigem Reis. Holz war allerdings vorhanden, dagegen hatte man keinen ordentlichen Backofen, sondern nur einen kleinen Ofen, in welchem Kuchen und Pasteten gebacken wurden. Wasser war nur durch die Kanäle zu haben, die dasselbe von einem außerhalb liegenden Bassin zuführten: es konnte also sehr leicht abgefangen oder vergiftet werden. Im Graben befand sich allerdings ein Brunnen, eine Art Quelle – aber wie vielen Gefahren war man ausgesetzt, bevor man dahin gelangte? Auch im sogenannten Brunnenhofe befand sich ein Brunnen, wir vermögen jedoch nicht anzugeben, ob das Wasser desselben trinkbar war.

Am Morgen des 14. Juli erhielten einige Soldaten, denen es im Innern des Schlosses an allem mangelte, die Erlaubnis, dasselbe auf einige Augenblicke zu verlassen, um die Mundvorräte in Empfang zu nehmen, die ihre Frauen ihnen brachten. Zwei von diesen, darunter ein Tambour, wurden draußen festgehalten und nach dem Stadthause geführt, wo man sie verhörte und dann in Freiheit setzte. Sie befinden sich gegenwärtig im Hôtel der Invaliden.

Die Besatzung bestand aus zweiunddreißig Schweizern vom Regiment Salis-Samade unter dem Kommando des Grenadierlieutenants Louis de Flüe und zweiundachtzig Invaliden, unter denen sich zwei Kanoniere befanden.

Am 12. Juli nahm die Revolution in Paris ihren Anfang. Man begann sich gegen sieben Uhr abends in den verschiedenen Vierteln zusammenzuscharen und griff zu den Waffen.

Am 13. Juli, um zwei Uhr morgens, ließ Herr de Launay die Invaliden-Kompagnie das Gewehr schultern und führte sie samt den zweiunddreißig Schweizern, die seit einigen Tagen zur Besatzung gestoßen waren, in das Innere des Schlosses. Die Thüren der Kaserne, in der die Kompagnie ihre sämtlichen Effekten zurückließ, wurden verschlossen und zwei unbewaffnete Invaliden draußen aufgestellt, um das Öffnen und Schließen der Thore nach dem Arsenal und nach der Rue Saint-Antoine zu besorgen. Diese beiden Soldaten wurden am Morgen des 14. festgenommen und nach der Stadt geführt. Nach vielfachen Gefahren, denen ihr Leben ausgesetzt war, und nach lebhaften Debatten mit der aufgeregten Menge erhielten sie ihre Freiheit: sie befinden sich gegenwärtig im Hôtel der Invaliden.

Den ganzen 13. über blieb die Besatzung im Innern des Schlosses. Man stellte überall Posten auf, wo der Gouverneur dies für notwendig erachtete, und zwölf Mann wurden auf die Türme kommandiert, um die Vorgänge draußen zu beobachten.

Dieser Tag war äußerst ruhig, wenn man von den Schmähreden absieht, die den Wachen zu wiederholten Malen von verschiedenen vorüberziehenden Haufen zugeschrieen wurden. Zwischen elf und zwölf Uhr nachts wurden auf die Posten auf den Türmen sieben scharfe Schüsse abgefeuert, was einen kleinen Allarm verursachte. Als Herr de Launay den Allarmruf hörte, eilte er in Begleitung mehrerer Unter-Offiziere auf die Plattform, um zu sehen, was es gäbe. Man stattete ihm über das Vorgefallene Bericht ab, er blieb eine halbe Stunde oben, da man aber nichts weiter hörte, ging er mit seinen Begleitern wieder hinab.

Am Dienstag, den 14. Juli, um zehn Uhr morgens, erschienen drei Unbekannte am Gitter der Bastille und sagten dem dort postierten Soldaten, sie wären Deputierte der Stadt und wollten den Gouverneur sprechen. Diese drei Unbekannten waren der Sieur Bélon, Schützenoffizier, nebst, wie man glaubt, einem Sergeanten von der Stadtgarde und einem Sergeanten von den Gardes françaises. Wir vermögen nicht anzugeben, ob diese Herrn sich wirklich als Deputierte der Stadt bei dem Gouverneur angemeldet haben, können aber mit Bestimmtheit versichern, daß wir in den Notizen, die bei der Redaktion des Protokolls über die Sitzung im Stadthause am 14. Juli benutzt wurden und uns von einem der Herren Wähler mitgeteilt worden sind, keine Spur von dieser Deputation gefunden haben. Ebensowenig sind wir über ihre Ursache wie über ihr Ergebnis unterrichtet. [Man vergleiche hierzu den Abschnitt N des Anhangs.]
D. Übers.
Der Soldat führte diese Herrn bis an die kleine Zugbrücke des Außenwerks und ließ dem Gouverneur melden, daß drei Deputierte der Stadt in Begleitung einer großen Volksmenge ihn zu sprechen verlangten. Der Gouverneur erschien darauf mit den übrigen Offizieren vom Stabe an der ersten Brücke, die auf seinen Befehl herabgelassen wurde. Beim Anblick der ungeheuren Volksmasse, die den Deputierten folgte, erklärte er jedoch, daß nur diese drei eintreten dürften, daß aber vier subalterne Offiziere als Geiseln hinaustreten und so lange beim Volke bleiben sollten, bis die Deputierten die Bastille wieder verlassen hätten. Die vier Offiziere traten hinaus, und die Deputierten wurden in den ersten Hof geführt. Sie befanden sich noch im Hause des Gouverneurs, als Herr de la Rosière Der Parlementsrat Herr Thuriot de la Rosière, erster Wähler des Distrikts Saint-Louis-de-la-Culture und Deputierter dieses Distrikts an den Gouverneur der Bastille, hat uns versichert, daß er in der Bastille allerdings den Sieur Bélon angetroffen habe, der dort sogar mit Herrn de Launay frühstückte oder sich wenigstens erfrischte. [Der ausführliche und im wesentlichen mit dem oben gegebenen übereinstimmende Bericht de la Rosières über den Verlauf seiner Sendung findet sich im Anhang unter N mitgeteilt. Wir bemerken bei dieser Gelegenheit noch, daß de Launay nach Dusaulx ( L'oeuvre des sept jours, p. 291) schon am frühen Morgen des 14., auf jeden Fall vor Beginn des Kampfes, einen Offizier nach dem Stadthause geschickt und durch diesen die Erklärung hatte abgeben lassen, daß er sich neutral verhalten werde, falls man ruhig bleibe. Aber, fügt Dusaulx offenherzig hinzu, »das lag weder in unserer Berechnung, noch in der der wahren Bürger.«
D. Übers.
erschien, gleichfalls von einer Menge Personen jedes Standes begleitet, die im Vorhofe, der Brücke des Außenwerks gegenüber, Halt machten. Sobald die drei ersten Deputierten sich verabschiedet hatten, redete Herr de la Rosière den Gouverneur in folgender Weise an:

»Mein Herr, ich komme im Namen der Nation und des Vaterlandes, um Ihnen vorzustellen, daß die Kanonen, die man auf den Türmen der Bastille aufgepflanzt sieht, viel Unruhe verursachen und in ganz Paris Besorgnis erregen. Ich bitte Sie, dieselben herabnehmen zu lassen, und hoffe, Sie werden dem Gesuche willfahren, das ich Ihnen zu übermitteln beauftragt bin.«

– »Das steht nicht in meiner Gewalt,« gab Herr de Launay zur Antwort. »Die Geschütze haben zu allen Zeiten auf den Türmen gestanden, und ich kann sie nur auf Befehl des Königs herabnehmen lassen. Da ich von der Besorgnis, die sie in Paris erregen, bereits Kunde erhalten habe, sie aber nicht von den Laffetten nehmen kann, so habe ich sie zurückziehen und aus den Schießscharten entfernen lassen.«

Herr de la Rosière ersuchte nun den Gouverneur um die Erlaubnis, den innern Hof betreten zu dürfen. Herr de Launay gewährte dieselbe, aber nur mit Widerstreben und erst nachdem Herr de Losme, der Major des Schlosses, ihn dazu aufgefordert hatte. Im ersten Innenhofe angelangt, forderte Herr de la Rosière die Soldaten, die er dort fand, im Namen der Nation und des Vaterlandes auf, die Richtung der Kanonen zu ändern und sich zu ergeben. Auf die persönliche Ermahnung des Gouverneurs schwuren die Offiziere und Soldaten, nicht zu schießen und nicht von ihren Waffen Gebrauch zu machen, falls sie nicht angegriffen würden.

Darauf erbat und erhielt Herr de la Rosière die Erlaubnis zur Besteigung der Türme, um dort alles mit eigenen Augen sehen und den Bürgern, die ihn geschickt hatten, einen um so wahrheitsgetreuern Bericht über seine Sendung geben zu können. Als er danach mit dem Gouverneur wieder auf den Hof zurückkam, erklärte er in Gegenwart der Offiziere und der Kompagnie mit lauter Stimme, daß er zufrieden sei, daß er dem Volke Bericht erstatten werde und die Hoffnung hege, dasselbe werde sich nicht weigern, eine Bürgerwache zu stellen, um im Verein mit den im Schlosse befindlichen Truppen die Bastille zu hüten. Damit verließ er das Schloß und kehrte mit Herrn de Launay in dessen Haus zurück. Das Volk wurde inzwischen ungeduldig, seinen Deputierten nicht zurückkommen zu sehen, und verlangte mit lautem Geschrei nach ihm; sogleich trat Herr de la Rosière an ein Fenster und beruhigte es durch die Versicherung, daß er in wenig Augenblicken draußen sein werde. In der That verließ er wenige Minuten später den Hof.

Wie groß aber war die Überraschung der Offiziere und die unsere, als wir eine kleine halbe Stunde später das Volk in großer Menge mit Flinten, Säbeln, Spießen, Äxten u. s. w. von neuem heranfluten sahen und den Ruf hörten:» Wir wollen die Bastille! Nieder mit den Truppen!« Dieser Ruf galt hauptsächlich den Wachen auf den Türmen. Vergebens baten wir diese Leute so höflich wie möglich, sich zurückzuziehen, indem wir ihnen die Gefahr klar zu machen suchten, der sie sich aussetzten.

Trotz dieser unserer Vorstellungen beharrte die Menge bei ihrer Absicht. Zwei Männer Einer von diesen beiden Tapfern ist der Sieur Louis Tournay, früher Soldat im Infanterie-Regiment Dauphin, jetzt Stellmachergesell bei dem Sieur Girard in der Rue de Braque im Marais. Er hat uns erzählt, und seinem Berichte ist von keiner Seite widersprochen worden, daß er zunächst auf das Haus des Parfümeurs Riquet stieg, von dort aus auf die Mauer, an die sich der Rundenweg anlehnte, und von der Mauer auf das Wachthaus kletterte, von wo er dann in den ersten Hof hinabstieg. Er suchte im Wachthause nach den Schlüsseln zur kleinern Brücke, fand sie aber nicht mehr dort. Nun verlangte er eine Axt, die ihm von draußen zugereicht wurde, und zerschmetterte dann mit deren Hilfe die Riegel und Schlösser, während man draußen gleichzeitig bemüht war, die Thore einzuschlagen. Die Brücken wurden also niedergelassen, nicht aber die Ketten zerhauen, wie die Invaliden, die sich in einer zu großen Entfernung befanden, um alles genau sehen zu können, irrtümlich angenommen hatten. kletterten auf das Dach des Wachthauses an der ersten Brücke und zerschmetterten mit Axtschlägen die Ketten der größern Brücke, während andere die kleinere zerstörten und zerhackten. Dies nötigte uns, ihnen in allem Ernste zu erklären, sie sollten sich zurückziehen, oder man würde Feuer auf sie geben. Indessen gelang es ihnen, die große und die kleine Brücke des Außenwerks niederzulassen, und durch diesen Erfolg kühn gemacht, stürzten sie nun dicht gedrängt auf die zweite Brücke, um sich derselben ebenfalls zu bemächtigen. Dabei gaben sie gleichzeitig eine Musketensalve auf die Besatzung ab.

Um die Wegnahme der zweiten Brücke zu verhindern, waren wir genötigt, Feuer auf sie zu geben. Sie ergriffen die Flucht und zogen sich in Unordnung zurück, ein Teil unter den Bogen des hölzernen Thores im Ulmenhofe, ein anderer unter die Wölbung des Gitters, von wo aus sie ein ununterbrochenes Feuer unterhielten, ohne indessen einen abermaligen Angriff auf die zweite Brücke zu wagen.

Etwa eine Stunde nach diesem ersten Angriff vernahm man in der Richtung des Arsenals das Wirbeln einer Trommel und ungeheures Geschrei und Rufen. Zugleich tauchte in unserm Gesichtskreise eine Fahne auf, die von einer zahllosen Menge bewaffneter Bürger begleitet ward. Diese Fahne blieb mit dem kleinsten Teile ihrer Begleitung im Ulmenhofe, während der größere Teil der Menge bis in den Durchgangshof vordrang, wobei man uns zuschrie, wir sollten nicht schießen, es wären Deputierte vom Stadthause da, die den Gouverneur sprechen wollten, und man bäte ihn, herabzukommen. Herr de Launay und die Subaltern-Offiziere, die sich auf den Türmen befanden, riefen ihnen zu, sie sollten die Fahne und die Deputierten näher kommen lassen und das Volk zum Zurücktreten auffordern. Im selben Augenblicke kehrte ein Unteroffizier, Guyot de Fléville, um ihnen zu zeigen, daß es nicht unsere Absicht sei, auf sie zu feuern, seine Flinte mit dem Kolben nach oben und dem Lauf nach unten und forderte uns auf, seinem Beispiele zu folgen, was wir auf der Stelle thaten. Dabei riefen wir alle wie aus einem Munde: »Fürchtet nichts! wir feuern nicht! Bleibt, wo ihr seid! Laßt die Fahne und die Deputierten näher kommen, der Gouverneur wird mit ihnen reden! Wir werden die Brücke niederlassen, damit sie eintreten können, und sechs von uns sollen euch als Geiseln dienen!«

Nach vielen Bitten von Seiten der Invaliden machte das Volk Halt, und die Deputierten traten durch das hölzerne Thor in den Durchgangshof. Von dort aus mußten sie sehen, wie sämtliche Soldaten auf den Türmen die Flinte mit dem Kolben nach oben hielten, und die Aufforderung hören, die man ihnen unter der Versicherung, daß man nicht schießen würde, von oben herab zuschrie: sie möchten mit der Fahne eintreten, um mit dem Gouverneur zu reden. Ebenso haben die Deputierten eine weiße Fahne als Friedenszeichen und Signal zum Parlamentieren auf der Plattform flattern sehen müssen. Die Außenstehenden haben uns allerdings versichert, daß sie alle diese Zeichen und Signale wahrgenommen hätten, die Aufforderungen aber, welche die Invaliden erlassen zu haben behaupten, waren unmöglich zu vernehmen.

Die Deputierten blieben ungefähr zehn Minuten im Durchgangshofe, ohne näher kommen zu wollen, ungeachtet der Versicherungen der subalternen Offiziere, die ihnen wiederholentlich zuriefen: »Kommt und verständigt euch mit dem Gouverneur! Ihr lauft keine Gefahr, wir stehen mit unserm Kopf für euer Leben ein!«

Schließlich zogen sie sich, ohne auf diese Zurufe zu hören, wieder in den Ulmenhof zurück, wo sie noch über eine Viertelstunde verweilten, entweder um sich zu beraten oder um zu vernehmen, was ihnen unaufhörlich von den Türmen aus zugerufen wurde: sie sollten sich nicht entfernen, man würde ihnen die Bastille übergeben, falls sie wirklich Deputierte der Stadt seien.

Der Gouverneur sagte zu uns: »Sie müssen einsehen, meine Herren, daß diese Deputierten und diese Fahne nicht von der Stadt geschickt sind. Sicherlich hat sich das Volk nur der Fahne bemächtigt und will sie benutzen, um uns zu überrumpeln. Diese Vermutung de Launays war keineswegs ein haltloser und unbegründeter Einfall: im Laufe des 13. war die Stadtfahne zweimal von bewaffneten Haufen aus dem Stadthause entführt worden. S. Dusaulx,L'oeuvre des sept jours, p. 276. 278.
D. Übers.
Wenn dies wirklich Deputierte der Kommune wären, so würden sie nach den von Ihnen abgegebenen Versicherungen nicht gezögert haben, mich von den Absichten des Stadthauses in Kenntnis zu setzen.«

Die Deputierten blieben also noch etwa eine Viertelstunde im Ulmenhofe und entfernten sich dann, wobei ihnen nur ein sehr geringer Teil der Menge folgte, die sie herbeigeführt hatte. Aus dem Abschnitt N des Anhangs, in welchem wir über alle am 14. an de Launay abgesandten Deputationen Bericht geben, wird man ersehen, aus welchem Grunde sich diese dritte, von Ethis de Corny geführte Deputation zurückzog.
D. Übers.
Der größte Teil von diesen Leuten blieb und füllte die drei vordern Höfe, den Ulmen-, den Durchgangs- und den ersten Hof an. Nachdem die Deputierten fort waren, flutete das Volk in dichter Masse zum Angriff auf die zweite Brücke heran. Die Unteroffiziere riefen den Belagerern von den Türmen herab zu, sie sollten nicht näher kommen, oder man würde schießen: sie wollten jedoch auf nichts hören. Ihr wütendes Gebahren brachte die Kompagnie zu der Überzeugung, daß die erwähnte Deputation wirklich nicht von der Kommune ausgegangen sei. Der Gouverneur befahl, Feuer zu geben: diese Salve zerstreute die Angreifer, mehrere von ihnen blieben auf dem Platze.

Sie zogen sich indessen nicht allzu weit zurück und fuhren fort, auf die Unteroffiziere auf den Türmen zu feuern. Um diese Zeit begannen sie auch die Thüren der Kaserne mit Äxten einzuschlagen, und als sie, durch das Feuer aus dem Schlosse behindert, nicht mit allen fertig werden konnten, begaben sie sich nach der Rückseite des Gebäudes, sprengten dort die Thüren auf und plünderten das Quartier aus.

Eine Stunde später schoben sie drei mit Stroh beladene Wagen in den Hof und steckten das äußere Wachthaus, das Haus des Gouverneurs und die Küchen in Brand. In diesem Augenblicke wurde ein Kartätschenschuß abgefeuert, der einzige, der während des fünfstündigen Kampfes von der Bastille abgegeben worden ist: man verteidigte sich nur mit Flinten. Durch die Aussage der Invaliden, der Schweizer, der Schließer und einiger Belagerer, die den Platz nicht verlassen haben, scheint es uns hinlänglich erwiesen, daß thatsächlich nur dieser eine Kanonenschuß von der Bastille abgegeben worden ist. Man mag das Geschütz mit der Wallbüchse verwechselt haben, die, wie erwähnt, an der im Flügel der großen Zugbrücke angebrachten Mauerlücke aufgepflanzt war und in der That zu wiederholten Malen abgefeuert worden ist. Ebenso hat man in einiger Entfernung den Geschützdonner mit dem Musketenfeuer verwechseln können, das von der Plattform und vielen Schießscharten aus unterhalten wurde. Selbst die Stabs-Offiziere und die Offiziere der Compagnie haben die Muskete gehandhabt. Besonders aber mag der Umstand, daß die Artillerie-Geschosse der Belagerer nicht immer die Bastille trafen, sondern bisweilen darüber hinaus und ins Weite flogen, dazu beigetragen haben, dem Irrtum, als sei von den Belagerten wiederholt von dem Geschütz Gebrauch gemacht worden, Glauben zu verschaffen. Im Hause des Parfümeurs Riquet, auf das Tournay erwähntermaßen gestiegen war, um zur ersten Brücke zu gelangen [s. die Anmerkung auf S. 101], wurden die Decken durch das Geschütz zerschmettert, das im Ulmenhofe am Thore nach dem Durchgangshofe aufgepflanzt war. Dieser Bürger hat an jenem Tage seine ganze Habe verloren: seinen Hausrat, seine Waaren, seine Effekten, alles ist geraubt oder vernichtet worden – er besitzt nichts, als was er auf dem Leibe trug. Es ist nicht recht begreiflich, welchen Vorteil man eigentlich durch das Feuer zu erzielen suchte: dasselbe war den Stürmenden mehr schädlich als nützlich und machte, anstatt die Einnahme des Schlosses zu erleichtern, vielmehr die zweite Brücke völlig unangreifbar. In der That war dies Feuer den Stürmenden so nachteilig, daß der Spezereihändler Réoles aus dem Kirchspiel St. Pauli, Elie, Offizier vom Regiment Königin, und drei oder vier andere Bürger diese Wagen zurückzuziehen beschlossen. Den einen entfernten sie bald, der zweite aber setzte ihnen größere Schwierigkeiten entgegen: er stand der festliegenden Brücke gegenüber und versperrte den Zugang zur Festung vollkommen. Herrn Réoles gelang es endlich, nachdem zwei seiner Kameraden hart an seiner Seite getötet worden waren, das in Flammen stehende Gefährt ganz allein zurückzuziehen. Einen Augenblick später wurden zwei Geschütze der großen Brücke gegenüber aufgepflanzt und abgefeuert, ohne ihn zu beschädigen. Der Sieur Réoles hat den Goldschmid Rossignol aus der Rue Charenton als seinen treuen Waffengefährten während dieses ganzen Tages bezeichnet und anerkannt.

In diesem Augenblicke sahen wir die Gardes françaises auf dem Kampfplatz erscheinen, die zwei Vierpfünder, eine mit Silber plattierte Kanone aus der Zeugkammer und einen Mörser auf dem Ulmenhofe aufpflanzten. Zwei weitere Geschütze faßten am Thore nach dem Garten des Arsenals Posto. Nach der Übergabe des Schlosses hat man uns versichert, daß diese Geschütze, bevor sie in unsern Gesichtskreis kamen, neben dem Brunnen an der Passage de Lesdiguières und der Sackgasse Guémenée aufgestellt gewesen waren. Diese furchtbaren Anstalten würden indessen nicht hingereicht haben, um die Bastille zur Übergabe zu bringen, wenn die Besatzung, obgleich an Zahl viel zu gering, um sie zu verteidigen, Feinde der Nation und des Staates zu bekämpfen gehabt hätte. Seit achtundvierzig Stunden hatten wir keine weitern Lebensmittel zur Verfügung als die, welche sich gerade in der Kaserne befunden hatten, als der Gouverneur uns dieselbe zu verlassen befahl.

Wir dürfen hier nicht vergessen, die Unteroffiziere Ferrand und Béquard namhaft zu machen, die Paris vor dem grausigsten Unheil bewahrten. Gegen vier Uhr, als der Gouverneur von den Offizieren bestürmt wurde, das Schloß zu übergeben, und selbst einsah, daß es bei dem Mangel an Lebensmitteln nicht länger zu halten sei, ergriff er plötzlich eine Lunte, die neben den auf dem Hofe aufgestellten Geschützen brannte, um das Pulver im Freiheitsturme anzuzünden, was unfehlbar die Zerstörung eines Teils des Faubourg Saint-Antoine und aller Häuser in der Umgebung der Bastille zur Folge gehabt haben würde, wenn nicht die beiden genannten Unteroffiziere ihn an der Verwirklichung seiner Absicht gehindert hätten: sie hielten ihm das Bajonett vor und zwangen ihn zum Weichen. Ferrand vertrieb ihn auf diese Weise von der Pulverkammer, und als er darauf zum Freiheitsturm hinabeilte, wurde er von Béquard gleichfalls mit dem Bajonett zurückgewiesen. Ferrand lebt noch, und die oben mitgeteilten Thatsachen sind uns in seiner Gegenwart von seinen Kameraden bestätigt worden. Was den unglücklichen Béquard anlangt, so empfing er unmittelbar nach der Öffnung des Thores zwei Degenstiche, während ein Säbelhieb ihn der rechten Hand beraubte. Diese Hand wurde im Triumphe durch die Straßen von Paris getragen: man hielt sie für die eines der Schließer. Béquard selbst wurde aus der Bastille fortgeschleppt, nach dem Grèveplatz geführt und dort gehangen. Der Schließer Trecour hat uns berichtet, er sei zwar nicht Augenzeuge der That Béquards gewesen, habe denselben aber in einem Augenblicke, wo bereits im Innern der Bastille das Gerücht laut wurde, Herr de Launay wolle das Schloß in die Luft sprengen, sagen hören, wenn der Gouverneur nur mit einer Miene diese Absicht verrate, würde er ihm das Bajonett durch den Leib rennen. In einem Augenblicke, wo der genannte Schließer damit beschäftigt war, den Soldaten Wein zu geben, ergriff nun der Gouverneur wirklich eine Lunte, und da warf Béquard sich ihm in den Weg und hielt ihn auf, wie uns von den Schweizern versichert worden ist. Herr de Launay hatte völlig den Kopf verloren: sein Plan war thöricht und nicht zu fürchten, denn er besaß den Schlüssel zu den Pulverniederlagen nicht; derselbe befand sich in den Händen eines Schließers, der durchaus nicht geneigt war, ihn herauszugeben. Béquard hatte gleich bei Beginn des Kampfes einen Schuß erhalten und war in den Hof hinabgestiegen, um sich verbinden zu lassen: er hat keinen einzigen Schuß abgegeben.

Nun befragte der Gouverneur die Soldaten wegen des Entschlusses, der zu fassen wäre: er sähe keinen andern Ausweg, als sich lieber in die Luft zu sprengen, denn sich vom Volke, dessen Wut man nicht entgehen könne, zerreißen zu lassen; man müsse auf die Türme zurück, den Kampf fortsetzen und sich lieber in die Luft sprengen, als sich ergeben. Die Schließer und sämtliche Soldaten, die auf dem Hofe aufgestellt waren, haben uns versichert, daß Herr de Launay wiederholentlich davon sprach, sich in die Luft zu sprengen, und daß er sogar als um eine Gnade um ein einziges Faß Pulver bat, das ihm indessen verweigert wurde.

Die Soldaten erwiderten ihm, es sei unmöglich, den Kampf noch länger fortzusetzen, sie wollten lieber alles über sich ergehen lassen, als einer solchen Menge von Bürgern den Untergang bereiten, und es wäre besser, den Tambour zum Rappellschlagen auf die Türme zu schicken, eine weiße Fahne aufzustecken und zu kapitulieren. Da keine weiße Fahne vorhanden war, gab der Gouverneur ein Taschentuch her. Die Invaliden Rouf und Roulard stiegen auf die Türme, pflanzten die Fahne auf, und machten mit dem Tambour, der den Rappell schlug, dreimal auf der Plattform die Runde. Dies nahm ungefähr eine Viertelstunde in Anspruch, während welcher das Volk unausgesetzt feuerte, ohne die Fahne und den Rappell zu beachten.

Nachdem die beiden Invaliden und der Tambour die Türme seit ungefähr einer Viertelstunde verlassen hatten, rückten die Belagerer, da sie sahen, daß nicht mehr aus der Bastille geschossen wurde Bezüglich dieses Punktes haben wir die Belagerer und die Belagerten nicht zur Einhelligkeit in ihren Aussagen bringen können. Wurde etwa noch aus dem Innern der Türme und vom Hofe aus gefeuert? Wir wissen es nicht. War es aber bei der Verwirrung, die in jenem Augenblicke herrschte, den bewaffneten Bürgern überhaupt möglich, ihr eigenes Feuer mit Sicherheit von dem des Platzes zu unterscheiden? [Besonders muß hier beachtet werden, daß auch von den Dächern der benachbarten Häuser aus geschossen wurde. Diese Häuser überragten zum Teil die Bastille, man schoß also nach unten, und viele von den auf diese Weise abgegebenen Kugeln mögen in die Haufen der Belagerer auf dem ersten und dem Durchgangshofe eingeschlagen sein.]
D. Übers.
unter ununterbrochenen Salven von ihrer Seite bis an die Brücke vor und schrieen: »Laßt die Brücke nieder!« Der Schweizer-Offizier redete sie durch die neben der Brücke befindliche Schießscharte an und verlangte freien Abzug mit allen kriegerischen Ehren: ein entschiedenes Nein war die Antwort. Darauf schrieb besagter Offizier die Kapitulation auf ein Blatt Papier und reichte sie durch die Schießscharte hinaus mit dem Bemerken, daß man sich ergeben und die Waffen strecken wolle, aber nur gegen das Versprechen, daß man die Truppe nicht niedermetzeln werde. Man antwortete ihm darauf mit dem Zuruf: »Laßt die Brücke nieder, und es soll euch nichts geschehen! Die Kapitulation hatte folgenden Wortlaut: »Wir haben noch zwanzig Zentner Pulver und werden die Besatzung und das ganze Viertel in die Luft sprengen, wenn ihr die Kapitulation nicht annehmt.« Man schaffte eine Bohle herbei, legte sie über den Graben, und der junge Réoles, den wir bereits erwähnt haben, nahm das Blatt in Empfang und überreichte es dem Sieur Elie, der es mit lauter Stimme vorlas. Dann rief der Sieur Elie den Belagerten zu: »Auf Offizierswort, wir nehmen sie an! Laßt die Brücken nieder!« Im selben Augenblicke wollte ein Unbekannter, dessen Name nicht hat festgestellt werden können, gleichfalls über die Bohle schreiten und mit einer eisenbeschlagenen Stange das Loch größer brechen, durch welches die Kapitulation herausgereicht worden war; er glitt indessen aus und stürzte schwer verwundet in den Graben. Dann wurde die kleine Brücke niedergelassen, durch Vorschiebung der Riegel festgelegt, und nun drängten die Belagerer, beinahe sämtlich Civilpersonen, in dichter Masse darüber hin, so daß sie im Nu mit Menschen bedeckt war. Erst einige Minuten später wurde das Thor geöffnet, und erst als sie bereits in die Bastille eingetreten waren, wurde auch die große Brücke niedergelassen. (Auszug aus einer Denkschrift des genannten Réoles.)

Auf dies Versprechen hin übergab der Gouverneur den Schlüssel zur kleinen Brücke, den er in der Tasche trug, dem Korporal Gaïard und dem Unteroffizier Pereau, welche dann das Thor öffneten und die Brücke niederließen. Hätte man vorhergesehen, was geschehen würde, so würde man die Brücke sicherlich erst nach Eintreffen einer regelrechten, schriftlichen und von den Vertretern der Stadt Unterzeichneten Kapitulation niedergelassen haben.

Kaum war das Thor geöffnet, so stürzte das Volk in den Hof und warf sich auf die Invaliden, die ihre Waffen längs der Mauer zur Rechten des Eingangs niedergelegt hatten. Die Schweizer standen auf der andern Seite, entgingen aber diesem ersten Anprall: man hielt sie wegen ihrer Leinwandkittel für Gefangene. Überdies hatte man sie während des Kampfes nicht zu Gesicht bekommen: sie waren nicht oben auf den Türmen gewesen, sondern hatten im Hofe gestanden, von wo aus sie durch die Schießscharten und durch die neben der Brücke angebrachten Löcher ein unausgesetztes Feuer unterhalten hatten. Von diesen zweiunddreißig Schweizern leben noch elf oder zwölf in den verschiedenen Distrikten von Paris zerstreut. Während des Kampfes ist keiner von ihnen getötet worden, und nach demselben nur einer. Zufälligerweise war dies gerade derjenige, der die Wallbüchse, die eine so große Verheerung anrichtete, aufgestellt, geladen und gerichtet hatte. Er hatte während des letzten Krieges mehrere Jahre zur See gedient und war auf den Kriegsschiffen mit der Bedienung des Geschützes vertraut geworden. Da er sich wahrscheinlich schuldiger fühlte als seine Kameraden, so suchte er nach der Öffnung des Thores zu entfliehen, wurde aber im Durchgangshofe durch einen Säbel- oder Bajonettstich getötet. Der Rest der Abteilung wurde nach dem Stadthause geführt, und die Gardes françaises erbaten und erhielten ihre Begnadigung.

Das Volk war dermaßen blind vor Wut, daß es in dichter Masse in die Quartiere der Offiziere stürzte und dort die Möbel, die Thüren und sogar die Fenster zertrümmerte. Währenddem feuerten die auf dem Hofe befindlichen Bürger auf diese ihre Waffengefährten, weil sie sie für zur Besatzung gehörige Leute hielten, und töteten mehrere derselben. »Ich war auf die Türme gestiegen,« erzählt der mehrfach erwähnte Réoles in seiner Denkschrift, »um unsern Kampfgefährten zu zeigen, daß wir Sieger seien, als plötzlich einer meiner Freunde, den ich vor Freuden umarmt hielt, eine Kugel in den Mund erhielt und mir tot vor die Füße fiel. Daraufhin ließ man einen von den Gardes françaises auf eine Kanone steigen, damit man uns erkenne und das Feuer einstelle.«

Die Invaliden wurden wie Sklaven an mehreren Stellen der Stadt herumgeführt. Zweiundzwanzig von ihnen gelangten nach dem Stadthause. Als sie nach allen nur denkbaren Demütigungen und Beschimpfungen dort ankamen, sahen sie zwei von ihren Kameraden gehangen. Dieser Anblick war schmerzlicher für sie als der Tod. Man führte sie einem städtischen Offizier vor, der sie mit den Worten anredete: »Ihr habt auf eure Mitbürger geschossen, ihr verdient gehangen zu werden, und das wird auf der Stelle geschehen.« Sogleich erhoben sich von allen Seiten laute Rufe: »Übergebt sie uns, damit wir sie hängen!« Einige von den Gardes françaises aber baten um unsere Begnadigung, und das Volk, das wieder zur Besinnung gekommen war, gewährte sie ihnen. Die Invaliden haben diese Wohlthat zum großen Teile dein Sieur Margué, ehemaligem Grenadier-Sergeanten bei den Gardes françaises, jetzt Sekonde-Lieutenant bei der besoldeten Grenadierkompagnie an der Porte Saint-Antoine, zu verdanken. Nachdem er im Verein mit seinen Kameraden ihre Begnadigung erbeten und erlangt hatte, ließ er sie, zweiundzwanzig Invaliden und elf Schweizer, von seiner Abteilung in die Mitte nehmen und führte sie, dem Volke zum Trotz, das sie nach dem Palais-Royal gebracht sehen wollte, über die Place des Victoires nach der Kaserne Nouvelle France. Wir ruhten etwa eine halbe Stunde aus, und dann führten uns die Gardes françaises nach der Nouvelle France in eine ihrer Kasernen, wo sie uns Essen und Obdach geben ließen. Wir verbrachten dort die Nacht sehr ruhig und brachen dann am nächsten Morgen nach dem Hôtel der Invaliden auf.

Es ist leicht einzusehen, daß die Bastille nicht mit Sturm genommen wurde. Man hat keine Bresche gebrochen. Man ist eingedrungen, nachdem wir die Brücke herabgelassen hatten, und Herr Elie ist der erste Uniformierte, den wir auf dem Hofe zu Gesicht bekommen haben. Herr Elie ist Offizier beim Infanterieregiment Königin; er hat, wie bemerkt, die Kapitulation in Empfang genommen und vorgelesen. Die Personen, welche gleichzeitig mit ihm eindrangen, sind: Herr Hulin, vom Waschhause ( buanderie) der Königin, die Herren Tournay, Réoles, François und der Bäckergesell Louis Morin aus der Rue Saint-Avoie Nr. 16, der während des ganzen Kampfes einen schranken- und beispiellosen Mut bewiesen hat. Außerdem, sind uns noch der Uhrmacher Imbert, einige von den Gardes françaises und noch eine ganze Anzahl anderer Bürger genannt worden, die ebenfalls die ersten mit auf dem Hofe gewesen sein würden, wenn das Thor größer gewesen wäre. Wir sind von den Invaliden mit der Erklärung beauftragt worden, daß die zuerst Eingedrungenen sie mit vieler Menschlichkeit behandelt und die Offiziere zum Zeichen des Friedens und der Versöhnung umarmt haben; sie haben dann alles gethan, was in ihren Kräften stand, um die Innehaltung der Kapitulationsbedingungen zu bewirken, das Volk aber hat keine Rücksicht darauf genommen.

Die Invaliden wissen sehr wohl, was man ihnen zur Last legt; vielleicht aber fällt man ein anderes Urteil über sie, sobald man die Umstände kennt, in denen sie sich befanden. Widersetzten sie sich noch länger den Befehlen des Gouverneurs, so sollten die Schweizer Feuer auf sie geben Die Schweizer, die wir über diesen Umstand befragten, haben uns in Gegenwart des Herrn de la Rosière versichert, daß in der That ihr Offizier in deutscher Sprache die Frage an sie gerichtet habe, ob sie auf die Invaliden schießen würden, falls diese dem Gouverneur den Gehorsam verweigern sollten, und daß sie darauf mit Ja geantwortet hätten. – sie hätten also die Schweizer niederschießen und ihre Hände in das Blut ihrer Offiziere tauchen müssen.

Die Invaliden haben alles verloren, was sie besaßen: ihr Quartier ist vollständig ausgeplündert worden.

Während des Kampfes hat die Besatzung nur einen Mann verloren, einen gewissen Fortuné, der auf den Türmen durch einen Schuß getötet wurde. Drei oder vier Invaliden wurden leicht verwundet.

Verzeichnis der nach der Einnahme der Bastille getöteten oder verwundeten Personen.

Herr de Launay, Gouverneur, auf dem Grèveplatz enthauptet. De Launay versuchte sich zu erstechen, das Messer wurde ihm jedoch entrissen und am folgenden Tage durch den Gendarmerie-Brigadier Mangin dem Ausschuß des Distrikts Saint-Louis-de-la-Culture zugestellt. Eine Schar von Bürgern, darunter namentlich Elie und Hulin, nahm ihn in die Mitte, um ihn nach dem Stadthause zu geleiten. Schon war man demselben ziemlich nahe gekommen, als eine neue Menschenwoge die Beschützer des unglücklichen Gouverneurs wegschwemmte oder zu Boden warf. De Launay wehrte sich wie ein Rasender, während die Menge ihn zuerst mit den Fäusten zu fassen suchte und dann mit Bajonettstichen und Flinten- und Pistolenschüssen über ihn herfiel. Wenige Schritte von der Treppe des Peristyls stürzte er zu Boden, und nun versuchte ein gewisser Denot, der während des Ringens einen Fußtritt auf den Unterleib erhalten hatte, ihm mit einem Säbel den Kopf abzuschlagen. Da aber der Säbel zu stumpf war, zog Denot ein Messer aus der Tasche und vollendete damit die Operation. Wenige Minuten später trat einer von den Henkern in den Sitzungssaal der Wähler und zeigte, sie zwischen zwei Fingern haltend, die Halskragenspange des Gouverneurs. Dusaulx trat näher, um zu sehen, was es wäre. »Nehmt, das gehört Euch,« sagte der Unbekannte, und als Dusaulx erschrocken zurücktrat, fügte er hinzu: »Aha, das Blut macht ihm Furcht!«
D. Übers.

Herr de Losme-Solbray, Major, auf dem Grèveplatze, der Arcade Saint-Jean gegenüber, getötet. Der Tod des Majors wurde von allen bedauert, die ihn kannten. Vergebens suchte der Marquis de Pelleport ihn zu retten: es erging ihm wie den Beschützern des Gouverneurs.
D. Übers.

Herr de Miray, Adjutant, getötet in der Rue des Tournelles.

Herr Person, Lieutenant der Invaliden, getötet auf dem Port-aux-Blés.

Caron, ebenfalls Lieutenant der Invaliden, vierfach verwundet und nach dem Hospital geschafft. Dieser Offizier hat das Hospital völlig geheilt verlassen und befindet sich gegenwärtig im Hôtel der Invaliden.

Dumont, Invalide, im Schlosse zusammengehauen, verstarb in der folgenden Nacht im Hospital an seinen Wunden.

Asselin und Béquard, Invaliden, auf dem Grèveplatz gehangen. Man hatte diese beiden in dem Glauben, die Kanoniere erwischt zu haben, nach dem Stadthause gebracht, um dort Gericht über sie zu halten. Vergebens bemühten sich dort Elie, der Kommandant de la Salle, die Wähler Moreau de Saint-Mery, de Lapoise u. a., die Unglücklichen zu retten. Das Volk schleppte sie aus dem Saale wieder auf den Platz und hing sie an dem eisernen Arme auf, der die Laterne vor dem Stadthause trug ( Desaulx, p. 303). Um einer sehr verbreiteten falschen Auffassung vorzubeugen, bemerken wir bei dieser Gelegenheit, daß während der Revolution in Paris niemand an einem Laternenpfahl vom Leben zum Tode kam, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es keine solchen Pfähle gab. Die Reverbèren hingen entweder an einem quer über die Straße gespannten Seile oder an eisernen Armen, die an einer Mauer angebracht waren und in die Straße hineinragten.
D. Übers.

Hier endet der Bericht der Invaliden.

Wir haben noch vergessen, in unserer Schilderung des Herrn Aubin Bonnemer, ehemaligen Soldaten im Infanterie-Regiment Royal-Comtois, wohnhaft in der Passage Lesdiguières, zu gedenken, der, nachdem Tournay die Zugbrücke niedergelassen hatte, in hervorragender Weise beim Erbrechen der Thore mitwirkte. Beide im Verein haben zwei Invaliden vertrieben, die die eben niedergelassene Brücke wieder aufzuziehen versuchten. Diese Brücke tötete beim Zurückfallen einen Mann und quetschte einen andern. Erst in diesem Augenblicke wurde eine der Ketten derselben durchhauen. Die Invaliden hatten gar nicht den Befehl erhalten, sie wieder aufzuziehen. Sie hatten das Schloß verlassen, um die ihnen von ihren Frauen gebrachten Lebensmittel in Empfang zu nehmen, und suchten bei ihrer Rückkehr die Brücke, welche Tournay eben niedergelassen hatte, wieder in die alte Stellung zu bringen. Sie wurden jedoch in die Flucht gejagt und gelangten nicht einmal wieder in das Schloß zurück. [Wie schon auf S. 97. 98 erwähnt, wurden sie nebst zwei andern unbewaffneten Invaliden nach dem Stadthause geführt. Dem Protokoll zufolge wurden aber nur drei dort vor den Ausschuß gebracht. »Einer von diesen drei Invaliden,« heißt es im erwähnten Protokoll, »dessen hohes Alter und weißes Haar zum mindesten Mitleid einflößten, bemerkte ruhig, während ihm von allen Seiten Drohungen in die Ohren schallten: »Wie kann ich schuldig sein und auf die Bürger geschossen haben, da ich ohne Waffen war und eben aus einer Schenke kam, wo ich eine Flasche Wein für mich und meine Kameraden geholt hatte?« Den Bemühungen des Protokollführers du Veyrier gelang es, die drei der Wut des Volkes zu entziehen. »Wir begnadigen die Gefangenen,« schrie die Menge, »wenn der Gouverneur die Bastille übergiebt, oder wenn wir sie nehmen.« ( Dusaulx, p. 295).]
D. Übers.

Ebenso haben wir Degain zu erwähnen vergessen, der bei der Kapitulation gegenwärtig war und Herrn de Launay gefangen genommen und bis zur Rue Saint-Paul begleitet haben will, wo der Gouverneur ihm aus den Händen gerissen wurde.

Dem gegenüber behauptet aber ein Herr Cholat, Weinhändler in der Rue des Noyers Saint-Jacques und aus Grenoble gebürtig, der eins der Geschütze im Garten des Arsenals befehligte und daraus selbst vier Schüsse abgegeben hat, daß er die Ehre gehabt hätte, der erste zu sein, der den unglücklichen Gouverneur festnahm, während Herr Hulin der zweite gewesen sei; dies letztere wagt er jedoch nicht mit Bestimmtheit zu vertreten, weil die Verwirrung auf dem Hofe allzu groß war. Er ist über die große Brücke in den Hof gekommen und hat von keiner Kapitulation reden hören, während Herr Elie und viele andere versichern, daß eine solche abgeschlossen worden sei, und Herr Elie insbesondere anführt, daß er selbst die Kapitulation in Empfang genommen und das Original noch in Händen habe. Man ist also gleichzeitig Darüber ließe sich denn doch streiten. Dem Berichte Réoles zufolge (s. die Anmerkung auf S. 109) wurde die große Brücke erst niedergelassen, als Elie und Genossen bereits auf dem Hofe waren, und dieser Bericht erscheint schon darum wahrheitsgemäß, weil sich vermittelst seiner die Aussagen Degains und Cholats sehr leicht in Einklang bringen lassen. Danach war der Vorgang folgender: Elie und Genossen kamen vor Cholat und Genossen in den Hof. Degain erkannte zuerst den Gouverneur und stürzte auf ihn los, stand aber von jeder Handgreiflichkeit ab, als er sah, daß Elie, Hulin u. s. w. die Offiziere umarmten. In diesem Augenblicke wurde die große Brücke niedergelassen, und Cholat drang mit seinem Haufen herein. Da er nichts von der Kapitulation wußte – der sicherste Beweis, daß er sich nicht an der Spitze der Angreifer befunden hat – so nahm er den Gouverneur fest, was zehn andere schon vor ihm hätten thun können. Hulin, Elie, Degain und andere von den Ersteingedrungenen scharten sich dann um de Launay, Nun ihn vor der Wut des Volkes zu schützen – leider, wie man weiß, ohne den gewünschten Erfolg.
D. Übers.
an zwei Stellen in die Bastille eingedrungen: Cholat und andere über die große Brücke, Elie und seine Genossen über die kleine. Herr Elie glaubt, daß die Kapitulation hauptsächlich seiner Uniform zu verdanken ist: dieselbe galt den Offizieren der Bastille gewissermaßen als Bürgschaft. Unser Werk war bereits abgeschlossen, als uns von Seiten des Herrn Elie das Original der Kapitulation zugestellt wurde. Dasselbe ist im Lycée niedergelegt, wo jeder es in Augenschein nehmen kann.

Es sind viel Verwundungen bei der Einnahme des Platzes vorgekommen, aber mehr durch eigene Schuld der Angreifer beim Gebrauch der Schußwaffen und beim Herablassen der Brücken, als durch das Feuer des Platzes. Man sehe hierzu die Verlustliste der Stürmenden im Anhang unter O.
D. Übers.

Die Bastille ist nicht mit Sturm genommen, sondern die Garnison hat um 4 Uhr 40 Minuten nachmittags freiwillig die Thore geöffnet.

Zwei Tage nach der Einnahme des Schlosses wurde vom Ausschuß der Wähler der Abbruch desselben angeordnet. »Das Komité,« heißt es im Protokoll vom 16. Juli 1789, »hat beschlossen, daß die Bastille von allen Distrikten gemeinschaftlich, aber unter Aufsicht des Distrikts Saint-Louis-de-la-Culture abgebrochen werden soll. Der Befehl zum Abbruch ist unverzüglich im Namen des Herrn de Lafayette von den Stadttrompetern im Hofe des Stadthauses und an allen Straßenecken von Paris ausgerufen worden.«

Sechshundert Arbeiter machten sich ans Werk. Nach Jahresfrist war die Arbeit vollendet, und die Pariser beschlossen, auf der Stätte der alten Zwingburg ein Freudenfest zu feiern. »Welche Inschrift würde bei dieser Gelegenheit für die ehemalige Stätte des Jammers und der Thränen die passendste sein?« fragte eine Deputation den Maire der Stadt. »Eine Inschrift?« erwiderte Bailly. »Die ist leicht zu finden. Schreibt:

Ici l'on danse!«
Hier wird getanzt
!

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