Michail Kusmin
Der zärtliche Jossif
Michail Kusmin

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VII

Jossif verbrachte diese Tage fast ausschließlich zu Hause, zurückgehalten vom Geschick und der Zärtlichkeit Jekaterina Petrownas und der Ankunft des Vaters Pjotr, den die Tochter zu der bevorstehenden Hochzeitsfeier eingeladen hatte. Der Geistliche kam früh am Morgen, als das halbe Haus noch schlief. Jossif empfing ihn im Vorzimmer, und sie küßten sich wie Freunde; Vater Pjotr schien wenig froh: entweder war er, obwohl er sonst das Reisen gewohnt war, müde vom Weg oder von einem geheimen Kummer bedrückt. Er küßte Jossif gleichsam mitleidsvoll und sagte:

»Ich gratuliere, ich gratuliere! Danke, daß Sie den alten Vater nicht vergessen haben. Eigentlich hätte ich zu der Hochzeit gar nicht kommen sollen, aber mein Herz ließ mich nicht ruhen. Nun werde ich wenigstens zu Hause mit euch feiern.«

»Werden Sie denn nicht auch in die Kirche kommen?«

»Nein, es ist nicht Sitte.«

Katja erschien, ohne sich vor dem Verlobten zu genieren, in Morgenkleid und Hausschuhen, mit nachlässig aufgestecktem Zopf. Sie küßte den Vater und den Bräutigam und sagte zu dem ersteren:

»Bist du also gekommen.«

»Ja, ich bin gekommen.«

»Willst du dich nicht waschen?«

»Ich lasse alles herrichten!« sagte Jossif, um Vater und Tochter beim ersten Wiedersehen allein zu lassen.

»Ich gratuliere, Tochter! Du trittst also zum zweitenmal vor den Traualtar.«

»Ja, wer hätte das erwartet.«

»Das kommt öfters vor; der Mensch weiß nie, wo er etwas verliert und wo er etwas findet.«

Beide schwiegen. Vater Pjotr sagte nach einer Pause:

»Jossif Grigorjewitsch ist für dich eigentlich etwas zu jung.«

»Ja, aber das kommt vor. Er liebt mich.«

»Das bezweifle ich gar nicht, wenn er dich nicht liebte, würde er dich nicht nehmen. Aber liebst du ihn, Katerina?«

»Würde ich ihn nicht lieben, so würde ich ihn doch nicht heiraten.«

»Bei dir ist es etwas anderes.«

Er kam dicht an Jekaterina Petrowna heran, ergriff ihre Hand und sagte leise:

»Er ist ein Kind, Katja, richte ihn nicht zugrunde; du mußt dich vor Gott verantworten.«

Jekaterina Petrowna sah den Vater scharf an und flüsterte:

»Kann denn, wer liebt, den Geliebten zugrunde richten?«

»Schon gut, schon gut. Nimm es mir nicht übel, ich habe es nur so gesagt.«

»So darf man weder sprechen noch denken.«

Vater Pjotr fragte beim Frühstück:

»Wo ist denn Sofja Karlowna, und wo ist mein Enkel?«

»Sonja ist in Petersburg, und auch Viktor ist dort: er muß lernen.«

»Warum hatte er es denn so eilig?«

»Wir wollen ja unsere Hochzeit ganz im stillen feiern, und der Unterricht wartet nicht, was soll er unnütz Zeit verlieren? Sonja haben wir aber benachrichtigt, und sie wird wohl kommen.«

»Ich habe nur so gefragt. Man pflegt ja sonst nicht eine so wichtige Sache ohne seine Nächsten zu machen.«

»Nach dem Frühstück fahre ich hinüber, Katja«, sagte Jossif schüchtern.

»Wohin?« fragte die Braut mit unzufriedener Miene.

»Zu Fonwisin.«

»Willst du ihn zur Hochzeit einladen?«

»Nein, außer den Brautführern werden ja keine Fremden dabei sein.«

»Gewiß. Aber selbst wenn Fremde dabei wären, wünschte ich nicht, Andrej bei meiner Hochzeit zu sehen.«

»Warum?«

»Ich habe meine Gründe.«

»Ich dachte auch gar nicht daran, ihn einzuladen, ich wollte ihn einfach besuchen.«

»Heute nicht; Vater ist ja da, außerdem möchte ich, daß du diese Tage zu Hause bleibst, Joseph. Schreib ihm einen Brief, wenn es so dringend ist.«

»Gut, ich will es gleich tun.«

»Sie werden eine strenge Gattin haben, Jossif Grigorjewitsch«, bemerkte Vater Pjotr lächelnd.

In Jossifs Abwesenheit wollte keine Unterhaltung zustande kommen, Tantchen schwieg und seufzte, Jekaterina Petrowna räumte geräuschvoll die Tassen weg, und auch der Gast schwieg.

»Hast du den Brief schon fortgeschickt? Gib ihn her, ich will ihn besorgen; unser Bursche fährt sowieso hin, um die Blumen zu holen«, sagte Jekaterina Petrowna, sich erhebend.

Sie ging zum Hinterausgang und sagte zum Burschen, der bereits mit dem Wagen wartete:

»Hier hast du das Verzeichnis der Blumen und einen Brief. Paß auf, daß du das Verzeichnis nicht verlierst; der Brief ist weniger wichtig, wenn Andrej Iwanowitsch nicht zu Hause ist, gibst du ihn irgend jemand.« Und sie schenkte ihm einen Rubel.

Der Bursche blickte sie erstaunt mit Spitzbubenaugen an. Jekaterina Petrowna fügte aber hinzu, wie wenn es ihr erst eben eingefallen wäre:

»Fahr lieber bei Iwan Pawlowitsch vorbei, er mag die Blumen auswählen und den Brief selbst abgeben; sag ihm, daß ich ihn sehr darum bitte.«

Jossif wartete vergebens auf eine Antwort.

Die Hochzeit wurde tatsächlich in aller Stille gefeiert, ganz ohne Fremde, selbst ohne Viktor und Sonja, die aus irgendeinem Grunde nicht gekommen war. Der Bräutigam war schweigsam und nachdenklich und schien nicht ausgeschlafen; auch die Braut war schweigsam, aber ruhig und selbstbewußt. Als sie von der Kirche heimfuhren, begegneten sie unterwegs einem Wagen, in dem Parfen und Marina saßen. Der Alte ließ den Wagen halten und zog die Mütze. Jossif rief ihm zu:

»Guten Tag! Wo fahrt ihr hin?«

»Zur Station. Ich muß Marina hinbringen.«

»Geht sie nach Piter?«

»Ja, nach Piter.«

»Glückliche Reise!«

Marina war in Schwarz, ganz eingemummt, und starrte unbeweglich, als nähme sie nichts wahr, vor sich hin.

Zu Hause wurden sie ebenso freundlich wie geräuschvoll von Vater Pjotr begrüßt. Bald wurde aber auch er stiller, als er die andern traurig und nachdenklich sah. Auch die Neuvermählte war schweigsam, obwohl sie ab und zu versuchte lustig und sorglos zu sprechen. Jossif trank viel und küßte alle. Als wieder einmal eine Pause eingetreten war, sagte er plötzlich: »Jemand kommt gefahren!« Alle spitzten die Ohren und hörten tatsächlich Schellengeläut, das immer näher kam. Die Schellen verstummten, eine Tür schlug zu, und nach wenigen Augenblicken erschien im Zimmer eine kleine, bucklige Gestalt mit altmodischem Hut und Pelerine, mit einem Ridikül in der Hand.

»Sonja!« rief Jossif aus, indem er aufsprang und den Stuhl umwarf.

»Ich komme wie Tschazki:Gestalt aus der Komödie ›Verstand schafft Leiden‹ von A. S. Gribojedow. ›vom Schiff auf den Ball‹. Ich gratuliere, Joseph, ich gratuliere, Katja!«

»Warum bist du denn nicht zur Hochzeit gekommen?«

»Ich habe das Telegramm erst heute erhalten«, antwortete Sonja, der Neuvermählten gerade in die Augen blickend.

»Es wurde vor sechs Tagen abgeschickt«, sagte Jekaterina Petrowna, ohne den Blick zu senken.

»Und ich habe es doch erst heute bekommen!« erwiderte Sonja ruhig. »Sie haben damit offenbar jemand beauftragt, der erst heute geruhte, das Telegramm aufzugeben«, fuhr die Bucklige lächelnd fort, sich neben Jossif setzend.

»Trinkst du mit?«

»Gern; es ist ein wenig kalt.«

»Bist du nicht erstaunt? Bist du mir nicht böse?« flüsterte der junge Ehemann seiner Tischdame zu.

»Nein, ich bin nicht erstaunt. Und warum sollte ich böse sein? Du konntest anscheinend nicht anders.«

»Wie gut du bist!«

»Genug davon. Ich verliere niemals Zeit damit, daß ich etwas Geschehenes bedaure, sondern bemühe mich, das zu tun, was im gegebenen Augenblick notwendig ist. Lassen wir darum dieses Tuscheln.« Nachdem sie an ihrem Glas genippt hatte, sagte sie: »Bitter!«, und die Neuvermählten küßten sich.

»Wie unwahrscheinlich ist doch das alles!« sagte Tantchen, als sie sich im selben Zimmer wie Sonja zu Bett begab.

»Wie sich gezeigt hat, war es sogar sehr wahrscheinlich«, erwiderte Sonja, sich vor den Schreibtisch setzend; lange schrieb sie einen Brief nach dem andern, wusch sich dann, blies die Kerze aus, bekreuzigte sich, kniete nieder und ließ den Kopf auf den Bettrand sinken.


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