Michail Kusmin
Der zärtliche Jossif
Michail Kusmin

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II

Viktor war mit dem glattgekämmten Schopf, in neuer Bluse, sauber gewaschen und pomadisiert kaum zu erkennen. Jekaterina Petrowna band ihm eigenhändig den Schlips zu einer flatternden Schleife; der Blumenstrauß lag schon auf einem Sessel bereit.

»Was ist das, eine Hochzeitsfahrt?« fragte Marja Matwejewna, eintretend.

»Ich fahre zu den Fonwisins«, erklärte Viktor.

»Schau nur, Katja, er macht sich! Wir hatten ihn nicht beachtet, er ist aber gar nicht übel!« fuhr Marja Matwejewna fort, das runde rosige Gesicht des Jungen mit der Stupsnase und den leicht schielenden grünen Augen betrachtend.

»Und wie groß er geworden ist!«

»Viktor, weißt du noch, was du zu tun hast? Du übergibst den Brief und richtest es so ein, daß man dich zum Frühstück behält. Sprich wenig und nach Möglichkeit nur mit Andrej Iwanowitsch, du kennst ihn?«

»Und ob!«

»Fährt er denn als Eilbote hin, oder was?«

Jekaterina Petrowna machte die Schleife fertig und antwortete ohne Übereilung:

»Auf der Fabrik ist niemand Zuverlässiges, den ich schicken könnte, soll er einen Ausflug machen.«

»Und er ist zuverlässig?«

»Zu Befehl, ja!« antwortete der Junge prompt wie ein Soldat, nahm den Blumenstrauß in die Hand, machte kehrt und verließ das Zimmer.

»Wo willst du denn hin, Vitja?« fragte ihn Jossif im Vorzimmer.

»Zu den Herrschaften Fonwisin!« antwortete Viktor, die Hand zum Mützenschirm hebend.

»Bist du denn mit ihnen bekannt?«

»Ich bin zu jung und dieser Ehre noch unwürdig. Ich fahre im Auftrag ihrer Exzellenz.«

»Ach so!«

Jekaterina Petrowna trat auf die Freitreppe, kniff die Augen vor der Morgensonne zusammen und schrie mit heller Stimme:

»Viktor, vergiß nichts!«

»Zu Befehl!« kam die Antwort hinter der nächsten Ecke hervor.

»Erkälten Sie sich nur nicht, Jossif Grigorjewitsch, wenn Sie so leicht gekleidet aus dem Haus gehen.«

»Sie sind zu gütig, Jekaterina Petrowna.«

»Worin besteht denn meine Güte? Ich bin Ihnen keine Fremde und glaube es Ihnen während Ihrer Krankheit gezeigt zu haben.«

Jossif errötete.

»Das meinte ich gar nicht, ich bin nicht undankbar!«

»Handelt es sich denn um Dankbarkeit?« sagte die Witwe mit gesenkten Lidern. Sie machte eine Anstandspause und fügte mit ganz anderer Stimme hinzu:

»Damit ich Ihnen mit meinen Sorgen um Ihre Gesundheit nicht unerträglich erscheine, schlage ich vor, morgen eine Bootsfahrt durch die Seen zu machen: jetzt ist Hochwasser, und es muß dort herrlich sein!«

»Sie sind so lieb, Katja . . . Ach, entschuldigen Sie!«

»Bitte sehr.«

»Wissen Sie, wenn ich mit Sonja oder Tante Mascha über Sie spreche, nennen wir Sie oft Katja.«

»Es macht nichts, obwohl ich meinen Kosenamen nicht liebe.«

Offenbar war sie aber mit Jossif, mit Viktors Ausfahrt, mit dem Wetter und vor allen Dingen mit sich selbst außerordentlich zufrieden. Mit schnellen, sicheren Schritten, etwas vor sich hin summend, trat sie ins Haus. Marja Matwejewna sagte:

»Du siehst wieder frischer aus, Jossif.«

»Jossif Grigorjewitsch wird jetzt lustiger sein und sich rasch erholen«, sagte fröhlich Katja, sich an den Schreibtisch setzend.

»Soll das eine Prophezeiung sein?«

»Nein, warum? Er hat seine Krankheit durchgemacht, hat getrauert, und nun ist es genug. Morgen machen wir eine Bootsfahrt.«

»Was, schon?«

»Ja.«

»Ist es nicht zu früh?«

»Nein, Tante, nein, jetzt ist ja in den Seen und Flüssen Hochwasser.«

»Es ist sicher schön, das will ich nicht leugnen.«

Jekaterina Petrowna sandte in diesen Tagen spürbare Strahlen von Munterkeit, Glück und sogar Gnade aus. Ob sie gütiger geworden war oder ob ihre Geschäfte nach Wunsch gingen – jedenfalls war sie gegen alle und selbst gegen Viktor auffallend gnädig. Dieser kehrte schon nach etwa drei Stunden zurück, offenbar hatte man ihn doch nicht zum Frühstück behalten. Jekaterina Petrowna beeilte sich, ihn auszufragen:

»Hast du ihn überbracht?«

»Ja«, antwortete Viktor, der schon wieder etwas zerzaust war. Seine Stimme klang auch nicht mehr so keck wie vor der Fahrt.

»Mit wem hast du dort hauptsächlich gesprochen?«

»Mit dem Lakaien Wanka – er ist ein reizender Mensch.«

Die Mutter beherrschte sich, und fragte:

»Hast du denn Andrej Iwanowitsch gar nicht gesehen?«

»Doch!«

»Und was hat er gesagt?«

»Nichts; er dankt für den Strauß.«

Als Jossif mit Marja Matwejewna allein geblieben war, fragte er sie:

»Wozu hat Jekaterina Petrowna Viktor zu den Nachbarn geschickt? Wissen Sie es nicht?«

Tantchen seufzte und antwortete:

»Ich weiß es nicht; was ich mir aber denke, das fürchte ich zu sagen.«

»Ist es denn so schrecklich?«

»Es ist immer schrecklich, einen Menschen leichtfertig zu verleumden. Ich denke es mir so: Katja ist jetzt wohl vor lauter Nichtstun außer Rand und Band. Weißt du, als ihr Mann noch lebte, kochte sie wie ein Kessel. Und wenn ihr jetzt auch noch einige Geschäfte geblieben sind, so sind es nur traurige Überreste, die wohl kaum für lange reichen werden. Sie kann nicht ohne Beschäftigung sein – da probiert sie eben alles mögliche: bald macht sie sich an die Wirtschaft, bald versucht sie es mit der Geselligkeit und bald knüpft sie Bekanntschaften.«

»Was ist denn Schlimmes dabei, was Sie nicht sagen wollten?«

»Manchmal ist es einfach lächerlich. Was für einen Sinn hat es, den Viktor in einer Fabrikangelegenheit zu fremden Menschen zu schicken, und dazu noch mit einem Strauß? Und sie gibt ihm auch noch den Rat, sich an Andrej Fonwisin, einen bekannten Taugenichts, zu halten.«

»Ich habe diesen Namen schon einmal gehört«, sagte Jossif aufhorchend.

»Vielleicht von Adventow: er ist sein Freund.«

»Adventow kann, was man über ihn auch sagen mag, keinen Taugenichts zum Freund haben; in Andrej wird wohl auch noch etwas anderes stecken.« Dieses sagte Sonja, die während des Gesprächs unhörbar ins Zimmer getreten war.

»Vielleicht seine Schönheit?«

»Auch die Schönheit ist eine Tugend«, sagte Sonja errötend.

»Gott weiß, was du sagst«, versetzte Tante Mascha und begab sich ins Vorzimmer, um die Tür, an der eben geläutet wurde, aufzumachen.

»Hast du von ihm keine Briefe?« fragte Jossif.

»Von wem?« sagte das Mädchen zerstreut und unzufrieden.

»Von Adventow«, erwiderte Jossif mit gedämpfter Stimme.

Sonja sagte auffallend laut:

»Ich habe ihm noch nicht geschrieben; die Zeit ist noch nicht gekommen!«

»Kennst du diesen Andrej Fonwisin?«

»Ich habe ihn gesehen.«

»Ist er schön?«

»Sehr schön.«

»Du bist heute mit etwas unzufrieden, Sonja: fühlst du dich wohl?«

»Gewiß. Mir fehlt nichts.«

»Morgen machen wir eine Bootsfahrt. Katja ist auf diesen Einfall gekommen.«

»Was für eine Katja?«

»Jekaterina Petrowna. Das ist doch nett von ihr, nicht wahr?«

»Offenbar braucht sie das zu irgendeinem Zweck, oder sie hat einfach selbst Lust.«

»Wie schlecht ihr doch alle von ihr denkt! Sie ist die Selbstaufopferung selbst!«

Sonja sah Jossif lange an und sagte zuletzt:

»Glaubst du? Soll ich Adventow von dir grüßen, wenn ich ihm schreibe?«

»Bitte sehr. Du hast aber, glaube ich, gar nicht die Absicht, ihm so bald zu schreiben?«

»Wer kann es wissen? Zu Jekaterina Petrowna« – (sie sagte ausdrücklich ›zu Jekaterina Petrowna‹, und nicht ›zu Katja‹) –, »sind eben Gäste gekommen, und man kann sie nicht gut boykottieren.«

»Ich habe nicht die Absicht, aber ich kenne niemand von ihnen.«

»Du wirst sie schon kennenlernen!« sagte Sonja mit spöttischem Lächeln.

»Du bist wirklich sonderbar, Sonja. Man könnte denken, daß du mich nicht liebst.«

»Du kannst denken, was dir paßt, und wer wen liebt und nicht liebt, das werden die Ereignisse zeigen, auf die wir wohl nicht mehr lange zu warten haben.«

Viktor stieß mit großem Lärm die Tür auf und meldete:

»Ihre Exzellenz läßt Jossif Grigorjewitsch zu den Gästen bitten!«

»Oho, wie alles inszeniert ist!« sagte Sonja zu Jossif, der rot geworden war. Er stammelte:

»Wie, schämen Sie sich nicht, solche Späße zu machen, Viktor?«

»Nun ist er doch gegangen«, bemerkte der Junge, als Jossif verschwunden war. Sonja umarmte ihn und sagte:

»Es ist so schrecklich, Vitja, bald kommt die Zeit.«

Der Junge schielte sie an und entgegnete:

»Es wird nichts kommen, was nicht kommen soll. Hast du noch nicht hingeschrieben?«

»Nein, noch nicht.«

»Dann warte noch eine Weile. Ich habe mit Andrej gesprochen.«

»Was hat er gesagt?«

»Alles bleibt beim alten. Er ist einverstanden.«

»Gott sei Dank!« sagte Sonja und schloß die Augen.


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