Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Zweiunddreißigstes Kapitel

Die Verhöre der beschuldigten Kirchenfürsten haben sie mürbe gemacht. Sie gestehen alles, was die Richter, die ihnen feindlich gesinnt sind, aus ihnen herauspressen. Diese Richter – unter ihnen der Kardinal von Sorrent, der auf die frei werdende fette Pfründe des Kardinals de Sauli wartete – waren von Giulio de'Medici derart bearbeitet worden, daß sie an einen Freispruch überhaupt nicht zu denken wagten.

Petrucci war von aller Welt abgeschlossen. Er erfuhr auch nichts von dem tragischen Freitod Lucias. In seinen einsamen Kerkerstunden segnete er ihr Andenken und sah sie mit dankerfüllten Augen vor sich stehen, da sie sich von seiner stürmischen Drangsal befreit sah. In der Düsterheit seiner Gefängnisnacht erschien sie seinem wie im Traum mit ihr spielenden Geist als Schutzengel, dessen er sehr bedurfte. Mit gereinigter Seele und ehrlichem Herzen stand er vor ihr und warf ihr seine Reue zu Füßen, und sie machte das Kreuzzeichen der Vergebung über seinen geläuterten Menschen. Sobald er die Freiheit wiedererlangte, wollte er Lucia von der Lauterkeit seiner Wandlung selbst überzeugen.

Wenn die Stunde des Verhörs kam, spannte der Zorn jede Fiber seines Leibes. Unentwegt 354 verdammte er den Papst und dessen Treubruch, oft hallten seine Flüche auf den Hof der Engelsburg hinaus.

Die ruhigere Gemütsart de Saulis ließ ihn die Fragen der Richter leidenschaftslos und wahrheitsgetreu beantworten. Nicht ein einziges aufrührerisches Wort sprang über seine Lippen, ja er segnete sogar seinen Verderber. Franz I. von Frankreich setzte sich warm für ihn ein, ja sogar Leos Schwager Cibò bat bei ihm um seine Begnadigung.

Aber besonders die jüngeren Kardinäle mißtrauten dem wankelmütigen Papst. Mit Hochspannung erwarteten sie die Einberufung des neuen Konsistoriums.

Das letzte Verhör war zu Ende. Das abschließende Ergebnis wurde nur dem Papst selbst mitgeteilt. Am 22. Juni versammelten sich die bis zum Überdruß in Atem gehaltenen Kardinäle. Es waren nur zwölf zugegen, die andern hatten sich aus Rom entfernt, teils aus Furcht, irgendwie belangt zu werden, teils aus dem Willen, hier nicht mehr mitzutun.

Der Papst aber erschien nicht. Pietro Bembo trat statt seiner vor die Kardinäle und verkündigte ihnen, daß die drei beschuldigten Kardinäle ihrer Ämter, Besitzungen, Pfründen und Würden für verlustig erklärt worden seien und daß die geistlichen Richter sie dem weltlichen 355 Gericht ausgeliefert hätten. Dieses habe alle drei zum Tode verurteilt.

Dieses Urteil löste Wut und Schrecken unter den versammelten Kardinälen aus. Man zeterte und schrie, und Bembo konnte sich kaum Gehör verschaffen. Das Geschrei hallte bis auf den Platz hinaus. Die Kirchenfürsten spalteten sich in Gruppen, die für oder wider die Gefangenen Partei nahmen. Man klagte Leo der Habgier an, denn er wolle sich mit den Reichtümern der Verurteilten die Taschen füllen, man drohte, das Volk zur Stellungnahme aufzurufen, an die Mächte zu appellieren und Leo selbst vor ein Gericht zu stellen. Die Stimmung war gefährlich.

Eine Stunde später ging Bewegung durch die Kardinäle, als sie hörten, das weltliche Gericht habe soeben Riario und de Sauli begnadigt, doch seien sie ihrer Würden entsetzt worden. Sofort wußte man sich zuzuraunen, daß sich der Papst die Zurückgabe der kirchlichen Würden teuer bezahlen lassen würde. Nun suchte man sich in neuen Anklagen gegenseitig zu übertönen, kam aber aus dem Gewirr der Meinungen nicht heraus. Nach dreizehn Stunden gingen die erschöpften Kardinäle auseinander, ohne sich zu einer Einigung gefunden zu haben. Man rief immer wieder nach dem Papst – er ließ sich nicht sehen.

Leo aber sann bereits über die Krönung seiner 356 Rache und über die Festigung seiner ins Wanken geratenen Macht.

Am andern Morgen nach dem Konsistorium hielt Bembo eine Liste über einunddreißig vom Papst vorgeschlagene Namen in der Hand. Der Geheimschreiber sah verwundert auf das Papier und fragte mit den Augen bei seinem Herrn an, was er mit dieser Liste anfangen sollte. Neben Leo stand sein Vetter Giulio, beide lächelten einander zu.

»Diese Namen – in so sauberer Aufmachung?«

Da sagte Leo seelenruhig: »Es sind die Namen von einunddreißig Kardinälen, die von mir neuernannt werden.«

»Einunddrei –?« stammelte Bembo. Das war noch nie dagewesen. Jeder dieser Herren mußte seine Würde dem Papst teuer bezahlen. Das ergab zusammen ein Krösusgold. Es waren lauter Anhänger der Medici. Auch ein siebenjähriges Kind, Alfonso von Portugal, war darunter. Bembo lief ein leises Frösteln über den Rücken. Das war Simonie, wie sie nur unter Sixtus IV. schrecklich geblüht hatte.

Papst Leo hatte erreicht, daß diese Kardinalsernennungen seinen Kassen fünfhunderttausend Dukaten eintrugen. Bembo dachte unwillkürlich an die andern Einnahmen, von denen er wußte: Flußzölle sechzigtausend, Landzölle zweiunddreißigtausend, die Einkünfte der Marken, der 357 Romagna, von Spoleto zu je sechzigtausend Dukaten, die von Ravenna zu einhunderttausend, dazu Annaten, Benefizien, Präbenden, Palliengelder und – der Ablaß! Unabsehbar wuchsen die Zahlen zu kaum zu errechnenden Summen an.

Unter den Namen, die Bembo las, befanden sich wieder drei Verwandte des Papstes, sie waren ernannt worden, um einmal Giulio de'Medici die Besteigung des päpstlichen Stuhls zu erleichtern.

Ins Zimmer drang plötzlich das Gewirr von Stimmen auf dem Platz. Auf die fragenden Blicke des Papstes erklärte Bembo: »Das Volk will dem aus dem Gefängnis zurückkehrenden Kardinal Riario Ovationen bereiten.«

Dem Papst stach es bis in den Magen. »Geh, Giulio, und führe den Kardinal selbst nach dem Vatikan. So geben wir der Sache einen freundlicheren Anstrich. Er wird diese Ehrungen noch teuer genug bezahlen. Ich habe ihm fünfzigtausend Dukaten Reuegeld vorgeschrieben. Hat de Sauli seine Begnadigung schon erfahren?« Leo hatte Bembo verabschiedet.

»Ja, er dankt Euch auf den Knien, allerheiligster Vater. Die Befreiung aus dem Kerker wird ihn hoffentlich auch ein nettes Sümmchen kosten. Er kann's und wird's bezahlen. Ist Euer Heiligkeit bekannt, daß man durch die Prozeßakten 358 daraufgekommen ist, der Herzog Francesco Maria habe Petrucci zum entsetzlichen Mordplan angeeifert.«

»Es ist himmelschreiend,« jammerte der Papst. »Was habe ich denn so Schlimmes getan?«

»Was immer auch – ich weiß nicht, ob es klug ist, de Sauli mit lebenslänglichem Kerker zu bestrafen.«

»Sei getrost, lieber Vetter, er wird mit der Menge Gift, die ich ihm während der Gefangenschaft verabreichen ließ, nicht allzu lange sich dieser schönen Erde freuen.«

»Ich spende Euch Beifall, allerheiligster Vater. Ihr habt auch Riario gezwungen, mich zu seinem Erben einzusetzen? Mir dessen Vizekanzleramt zu übertragen? Ich danke Euch innig dafür.«

Leo umarmt den Vetter und gibt ihm seinen Segen. »Da fällt mir ein – der Franziskanergeneral von Forli Cristofo Numalio hat einen Bruder seines Ordens versetzen lassen müssen, weil er heimlich eine Nonne geheiratet und bei der Hochzeitstafel eine Art Messe gelesen hat. Es ist erstaunlich, worauf die Mönche kommen. Kein Wunder, wenn das Volk zu murren beginnt.«

»Es wird bald zu murren aufhören und zu rebellieren anfangen. Was ist in Faenza geschehen? Bei der Predigt eines Bettelmönches schreit ein Mann aus dem Volke zur Kanzel 359 hinauf: Lügner! Die Menge gerät in Bewegung. Der Mönch streckt beschwörend die Hände über den Schreienden aus. Da fällt der Mann in Taumel und Raserei, wälzt sich am Boden und brüllt: ›Der Teufel ist in mir!‹ Worauf der Mönch von der Kanzel steigt und abermals beschwörend die Hände über den Eifernden hält. Augenblicklich beruhigt sich der Besessene, steht auf, lächelt und der Bruder erklärt ihn als geheilt. Die Menge gebärdet sich wie toll über das Wunder. Der Geheilte aber bekennt zu Hause seinem Weib, daß er die ganze Komödie im Einvernehmen mit dem Mönch gespielt habe, der ihm dafür zehn Zechinen gegeben. Das Weib schwatzt die Sache weiter, bald läuft es von Mund zu Mund, Empörung erfaßt die Faenzer, sie rotten sich um das Kloster zusammen und schreien nach dem Mönch. Der Prior läßt den Dummkopf heimlich entkommen und die Menge zieht wutschnaubend ab. Seitdem wird das Kloster von der Stadtwache bewacht.«

Leo tut entrüstet. »Er hat's zu arg getrieben. Mit solchen Mätzchen, so gut sie gemeint sind, richten die Mönche nur Unheil an. Das Volk ist dumm, aber am Ende sind die Mönche nicht viel klüger, sonst hätten sie andere Mittelchen ersonnen, sich Respekt zu verschaffen. Es ist wahr, die Kirche sinkt immer tiefer und eine Reform täte ihr not. Wir halten die lieben Christen mit 360 einer einzigen segnenden oder verdammenden Gebärde in Zaum. Und wenn ein volkstümlicher Prediger die Kanzel besteigt, schweigen alle rebellischen Gedanken. Die lieben Frauen sind unsere sicherste Garde, sie halten die Männer in Schach. Von einer wirklichen Verbitterung sind wir noch weit entfernt.«

»Meint Ihr?« fragte Giulio mit besorgtem Gesicht. »Es laufen schlimme Nachrichten aus Deutschland ein. Die Ablaßprediger treiben es zu arg. Der Kurfürst von Mainz, Erzbischof Albrecht, faßt den ganzen Handel unsauber an, seine Instruktionen an die Ablaßmönche erzeugen böses Blut, die sogenannten guten Werke, durch die man sich kraft des Überschusses Christi und der Heiligen an Verdienst von den zeitlichen Strafen loskaufen kann, werden von allen Seiten scheel angesehen. Die Leute werden durch die Kompliziertheit der Ablaßtheorie verwirrt gemacht. Die schulwitzigen Spekulationen und das rabulistische Geschwätz eines Eck, Tetzel und Prierias ziehen nicht mehr. Dazu kommt der Prunk, mit dem die Ablaßmönche in die Dome einziehen. Dieser Dominikanerprior Tetzel, auf den der Erzbischof besonders schwört, treibt durch seine plumpe Dreistigkeit die Sache geradezu ins Verderben. Er läßt Ablaßverslein los vom klingenden, erlösenden Geld, daß sich dem vernünftigen Menschen die Haare sträuben.«

361 »Dann weg mit dem Mann!« unterbricht Leo die Klage-Epistel. »Er ist ein marktschreierischer Frechling.«

»Dennoch sitzt er zu tief im Futterkasten des Erzbischofs. Es stinkt an allen Ecken und Enden. Albrecht hat von einem dreisten deutschen Augustinermönch – der Name ist mir entfallen – dringliche Warnungen bezüglich der schändlichen Krämerei des Ablasses erhalten. Man weiß es bereits, daß die Hälfte des Ablaßgeldes mit Bewilligung Eurer Heiligkeit in die Tasche des geistlichen Kurfürsten von Mainz fallen soll.«

»Man weiß es?« fragt der Papst erschreckt. »Das alles ist neidisches Mönchsgezänke.«

»Es will keiner mehr an den Peterspfennig glauben, die Bauern sind entrüstet, weil ihnen die Mönche bei der Messe die letzten Münzen aus der Tasche ziehen, die Bürger haben helle Köpfe bekommen und trauen ihren Pfaffen nicht mehr, weil diese im Beichtstuhl ihre Weiber beschwatzen und gefügig machen.«

»Es sind zuviel Schwätzer und zu wenig Gelehrte unter den Mönchen. Aber ich will versuchen, Mißbräuche abzustellen und Schädlinge zu entfernen. Auf den Peterspfennig aber kann ich nicht verzichten. Ohne das Geld der Deutschen wackelt nicht nur der Dom, sondern auch der Heilige Stuhl. Meine Waffe gegen den deutschen Unwillen heißt Geduld.«

362 »Wenn nur die Deutschen nicht eine schnellere Waffe haben, die Empörung.«

»Gott strafe sie, wenn sie nach ihr greifen. Ich will mit dem Kaiser darüber reden.«

»Zum Überfluß hat dieser verdammte Hutten die Schrift des Valla über die erlogene Schenkung des Kaisers Konstantin auf den deutschen Markt geworfen. Das ist ein Fressen für die Literaten, die sich nun die Mäuler über Rom zerreißen.«

Des Papstes Gesicht wird immer saurer. »Dazu hat dieser deutsche Ritter die Dreistigkeit so weit getrieben, eben diese Schrift mir zu widmen. Er schlägt meiner Würde ins Gesicht. Und dennoch – auch Dante und Petrarca haben die Kirche angegriffen, Boccaccio hat Priester und Nonnen gegeißelt, Pulci und Poggio haben unsere Laster gebrandmarkt und trotzdem lebt diese stolze, verunglimpfte Kirche und wird weiterleben. Sie treffen die Eiche nicht an der Wurzel, sondern nur an den Zweigen.«

Hauptmann Rangone der vatikanischen Wache tritt ein. »Der römische Räuber Mancini ist soeben enthauptet worden.«

»So ist die Stadt von einem Alp befreit,« atmet der Papst auf.

»Er starb unter Flüchen auf das Papsttum. Ganz wie der gehenkte Tyrann von Recanati.«

»Es war nicht anders zu erwarten,« tröstet Giulio den Papst.

363 Rangone macht eine kleine Pause, dann ernst:

»Wegen – Petrucci – soll ich endgültig handeln?«

»Morgen nacht,« nickt der Papst, nachdem er mit Giulio einen beziehungsvollen Blick gewechselt. »Wer besorgt es?«

»Jener Mohr, den wir vom türkischen Gesandten zum Geschenk erhalten, ein baumlanger, löwenstarker Mensch.«

Der Papst verhüllt sein Gesicht, dann entläßt er den Hauptmann mit einem Wink.

»Wenn ich von diesem Feind befreit sein werde, lasse ich meinen Schimmel zäumen und reite wie Trajan durch Rom.«

»Und verschenkt wie bei Eurem Ritt nach dem Lateran bei der Papstwahl hunderttausend Dukaten –« lächelt Giulio.

»Wenn mir die Kardinalsernennungen die Anlegung eines Reservefonds ermöglichen,« nickt Leo und läßt sich den Sorbet kühlen. »Wie ich höre, sind die beiden Mitschuldigen des Kardinals . . . wie heißen sie doch?«

»Battista da Vercelli und Nino Oltranto. Sie sind der Folter unterzogen worden und haben Geständnisse der Mitschuld abgelegt. Sie wurden vor einer Stunde dem weltlichen Gericht übergeben. Auch ein Diener des Kardinals, ein gewisser Baldassare, mußte daran glauben.«

»Gut, gut. Das kanonische Gesetz verbietet 364 Priestern, ihre Hände in Blut zu tauchen, aber ich handle diesen Verbrechern gegenüber nicht als Priester, sondern als verantwortlicher Fürst der Christenheit. Man muß da den Menschen vom Priester trennen. Ja – man möge morgen abend die neuernannten Kardinäle zu einer Tafel laden. Sorge dafür, lieber Vetter, daß das Mahl reichlich sei.« Dann springen seine Gedanken wieder zu Petrucci hinüber. »Daß ich nicht vergesse – die Prozeßakten des Kardinals und seiner Mitverschworenen dürfen unter keinen Umständen veröffentlicht werden.«

»Wir werden uns hüten,« lächelt Kardinal Giulio beziehungsvoll.

 


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