Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Petrucci wirft sich auf dem Ruhebett hin und her. Wechselnde Gefühle bestürmen seinen Menschen. Er schilt sich einen Narren, um sich im nächsten Augenblick für den klügsten Mann zu halten. Seine Inquisitionsdrohung hat zweifellos ihre Wirkung getan. Sie ist zermürbt, seelisch gebrochen, in einem Zustand, der für ihn das Heil bedeuten kann. Wenn sie aber doch einen Ausweg aus dem Irrgang fände? Wenn sie auf den Gedanken käme, aus dem ihr zur Hölle gewordenen Rom zu entfliehen? Die Möglichkeit hatte er im Augenblick der Bedrängnis außer acht gelassen.

Er wirft den Nachtmantel um, rast hin und her. Tor, der ich war! Bedenkzeit einem sich wehrenden Weibe! Warum ließ ich mich von den kostbarsten aller Tränen rühren? Worte des 279 Erbarmens gehören doch sonst nicht zu meinem Wortschatz. Ihrer Augen Schrecknis hat mich verwirrt. Man sollte sich nie ganz ausgeben, sollte die Vernunft Herrin über das Herz sein lassen. Lucia ist einfältig, sie besitzt nicht den Geist ihrer Mutter, mit dem diese die Untugend zur Tugend machte. Es sieht fast so aus, als wollte Lucia durch ihre Keuschheit vor Gott gutmachen, was ihre Mutter gesündigt hat. Beharrt sie bei diesem Opfermut, dann bekommt dein Netz einen Riß, Alfonso, und sie entschlüpft dir aalglatt. Wenn sie nun wirklich nach Florenz ginge zu ihrem hyperbraven, eifersüchtigen Jungen? Wenn Gram Macht über ein Frauenherz gewinnt, ersinnt es die verzweifeltsten Pläne. Eine Woche gab ich ihr – hm – nun springt mich Reue an. Jede Stunde kann ihr einen neuen Plan ins Hirn werfen, und ich habe am Ende das Nachsehen. Blöder Narr, du hättest zuerst bei Ovid in die Lehre gehen sollen, bevor du daran denkst, ein frommes christliches Mädchenherz zu knicken. Auch Machiavelli hätte dir einen Wink geben können, wie man Herzensfesten erobert. Aleandi scheint bei ihm Stunden genommen zu haben.

Petrucci kommt in dieser Nacht nicht zur Ruhe. Erst gegen Morgen fällt er in einen tiefen Schlaf. Als er erwacht, erwartet ihn Nino, um ihn zur Frühmesse zu geleiten.

280 Da überbringt ein Diener Seiner Heiligkeit dem Kardinal ein Schreiben. Petrucci wird darin gebeten, Samstag vor dem Papst zu erscheinen.

Der Kardinal ist betreten. Er geht rasch in sein Zimmer zurück, läßt Messe Messe sein, überfliegt noch einmal die Vorladung, die von Lorenzo Pucci, Geheimschreiber des Papstes, ausgestellt ist. Es ist der Mann, der Seiner Heiligkeit das Ablaßgeschäft nahegelegt hat.

È un accidente! fährt es ihm durch den Sinn. Damit meint der Italiener einen böswilligen Menschen. Was will Pucci, was der Papst von mir? Seine Heiligkeit hat mich und meine Familie nur ins Unglück gestoßen, was nun –? Da durchzuckt es ihn. Der Briefraub fällt ihm ein. Wenn der Papst jetzt im Besitz des Briefes wäre? Unheil schlimmster Art blühte dann aus dem Handel.

Seine Unruhe steigert sich von Minute zu Minute. Endlich kristallisiert sich ein Gedanke aus dem Gewimmel in seinem Hirn. Er will unter keinen Umständen vor dem Papst erscheinen. Wer traut noch heute dem Papst? Kein Kaiser, kein Fürst – vielleicht traut er sich selbst nicht mehr.

Fort von Rom, sobald als möglich fort! Auf einige Zeit wenigstens, bis sich die Sache geklärt hat. Warum hatte er überhaupt bisher den Gedanken an eine Gefahr ausgeschaltet? War er nicht stündlich bedroht, stündlich der 281 Möglichkeit einer Vernichtung ausgesetzt? Alle Pläne mit Lucia traten plötzlich hinter der Vorladung zurück. Die Liebesnacht konnte verschoben werden, die Papstsache war dringender. Der Kardinal klingelte. Nino kam. Er ahnte sofort Unheil.

»Meine Koffer packen, ich verreise. Baldassare und Daniel sollen mich begleiten. Ich gehe in mein Landhaus Olimpo bei Siena. Ich werde einige Wochen dortbleiben.«

»Das sieht wie eine – Selbstverbannung aus.«

»Der Papst hat ein verdächtiges Verlangen, mich zu sehen. Ich habe nach der aufgedeckten Geschichte mit Urbino alle Ursache, vorsichtig zu sein.«

»Es ist traurig, Eure Exzellenz nun für einige Wochen aus den Augen, aus dem Herzen zu verlieren.«

»Wir bleiben in innigem Kontakt. Ich werde dich fleißig mit Aufträgen versehen. Auch die Sache mit Battista Vercelli soll von Siena aus ins Reine gebracht werden. Briefschaften beförderst du mit Eilreitern nach Olimpo. Was mein Mädchen anbelangt . . .« Er senkte die Stimme . . . »sie soll, wie ich ihr sagte, nächsten Dienstag hier erscheinen. Laß morgen durch Cesare bei ihr absagen, ich bedaure sehr, sie nicht empfangen zu können. Und sage nicht, wohin ich geritten. Gleich heute verständige Kardinal de Sauli von 282 meiner notwendig gewordenen Flucht. Er möge vorsichtig sein und unsere Freunde benachrichtigen.«

»Das alles wird Verdacht bei Seiner Heiligkeit erregen.«

»Sicherlich. Ein wichtiger Erbschaftsbrief habe mich gezwungen, sagst du, meine Pläne so rasch zu fassen. Und nun laß Florido satteln.«

Wenige Stunden darauf reitet Petrucci, von seinen zwei Dienern begleitet, durch die Porta Flaminia. Er sitzt geduckt und vermummt wie ein verfolgter Abruzzenräuber auf seinem Schimmel und spornt und hetzt ihn, als müßte er den Schrecken des Avernus entfliehen.

 


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