Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Fünftes Kapitel

Der Maler steht vor dem Kardinal. Er packt umständlich sein Werk aus der Leinwandhülle. Ein schönes Weib, stolz wie eine antike Römerin, den Speer in der Hand, windet sich durch das Gestrüpp einem Drachen entgegen. Ihr Blick ist furchtlos, jeder Nerv gespannt, ein herber, heidnischer Zug erhebt sie fast ins Männliche. Der Kardinal mustert wohlgefällig das Bild, aber seine Miene verkündet wenig Freude. »Schön, sicherlich schön – ein prächtiger Frauenkopf! Das herbe Gesicht, fast zu herb, – oh, Ihr blickt verletzt – die Lippen etwas wulstig, aber für die Angriffslust der Heiligen bezeichnend. Giulio Romano hätte vielleicht mehr die Lieblichkeit als die Heldenschaft betont. Aber immerhin –«

»Exzellenz sind unzufrieden,« bedauert Ascanio leicht verletzt. »Ich habe absichtlich ein wildschönes Gesicht für die Speerschwingerin gewählt, und es ging in diesem Augenblick nicht gut an, die Heilige zu sehr zu betonen.«

»Ja, ja, Ihr habt eine Amazone aus ihr gemacht. Woher habt Ihr das leidenschaftlich bewegte Gesicht?«

»In Trastevere bewundert man die Schöne.« Ascanio ist unbändig froh, die Aufmerksamkeit des Kardinals auf das Modell des Mädchens aus dem Volke lenken zu können.

64 »Aber die Heilige von Cortona sollte doch, meine ich, in eine höhere Sphäre gehoben werden, um so mehr als sie aus edlem Geschlecht war. Ihr wißt doch, sie wurde verführt – und ich meine, man sollte auch da eine kleine Andeutung – und doch, das Bild soll bleiben, wie es ist, aber es soll ein Gegenbild erhalten, eine sanfte Heilige mit reinen Zügen, die des Himmels Wonnen spiegeln. Wie stellt Ihr Euch zu dem Gedanken?«

»Welche Heilige soll ich wählen?«

»Eine ist es, die mir vor allem teuer ist. Die Schöne aus Syrakus, der sich der heidnische Jüngling vergebens nahte, Ihr wißt doch?«

»Ich bin in der Geschichte der heiligen Jungfrauen nicht so bewandert wie Eure Exzellenz.«

Petrucci lächelt. »Ja, ja, Ihr werdet bei den unheiligen Mädchen besser Bescheid wissen. Ich will Euch zu Hilfe kommen. Was sagt Ihr zu der heiligen Lucia?«

Dem Maler schoß das Blut in die Wangen. »Fürwahr, daran hätte ich nicht gedacht.«

»Der Zufall will es, daß ich eine Jungfrau in Rom kenne, deren Wesenheit an die heilige Syrakusanerin erinnert. Und zum Überfluß heißt sie sogar Lucia.«

Ascanios Nerven spannten sich, aber er schwieg.

»Sie ist die Tochter einer höchst unheiligen 65 Person, die schon der Grabstein überdeckt. Ihre Mutter hat den Freuden dieser Welt ausgiebig gehuldigt. Aber ihre Tochter ist ein Urbild der Unberührtheit, sagt man, ein irdischer Engel, an den noch keine Versuchung herangetreten ist. Ihr habt wirklich nichts von der schönen Lucia Impaggi gehört?«

Wieder flammten die Wangen Ascanios purpurn auf. »Eure Exzellenz kennen das Mädchen?«

»Nur vom Sehen. Es war für mich immer ein reizendes Bild, zu sehen, wie die schöne Lucia nach der Kapelle der heiligen Gregoria wandelte, um dort an der Gruft ihrer bewunderten Mutter zu beten. Die Züchtigkeit und Frommheit des Kindes haben mich gerührt. Die Liebhaber der verstorbenen Mutter Lucias haben ihre Verehrung in einem seltsamen Epitaph in der Gruft niedergelegt. ›Imperia, Cortisana Romana, quae digna tanto nomine, rare inter homines formare specimen dedit.‹ Man vergißt darüber die anrüchige Vergangenheit der schönen Imperia, staunt über die Vergebungskraft der Nachwelt, die ihr Leben, so lasterhaft es war, mit dem Schimmer der Pietät verklärt. Man hat wohl gefühlt, daß sie der Huldigung der edelsten Geister wert, daß sie den schönen Künsten ergeben war, vor allem der Dichtkunst. Wie ich höre, gleicht die Donzella wenigstens hierin ihrer Mutter. 66 Sie liebt die Kunst und vielleicht auch – die Künstler.«

Ascanio hat Mühe, an sich zu halten. »Und dieser Tochter Bild soll ich malen? Das kann ich nie und nimmer.«

»Lernt sie kennen, und Ihr werdet mich bitten, sie malen zu dürfen.«

»Nie und nimmer.«

»Eure Abweisung ist scharf, aber unüberlegt. Weicht Ihr der Schönheit aus? Eure Margarete beweist das Gegenteil. Ich will nicht geizen und den Preis verdoppeln.«

»Und wolltet Ihr ihn verzehnfachen, ich müßte nein sagen.«

»Der Grund?«

»Ich liebe Lucia Impaggi, ich kann ihre Schönheit nicht für einen andern malen.«

Petrucci weicht betreten zurück. »Das freilich – das bricht meine Absichten entzwei. Ihr liebt Lucia –? So, so.« Der Kardinal sieht an dem Maler vorbei nach einer marmornen Faungruppe, die zwischen zwei Pilastern steht. Sollte er jetzt nach dieser Überrumpelung nach einem schicklichen Ausweg suchen? Er fühlte, daß er durchschaut war. Dieser Jüngling mußte aus der Art seiner dringlichen Forderung erkannt haben, daß Lucia ihm, dem Kardinal, teuer war. Nun galt es, geschickt auszuweichen, dem scheinbar Begünstigten keinen Grund zu neuem Argwohn zu 67 geben. »Ihr werdet – wiedergeliebt?« fragte er wie nebenbei.

»Mit ganzer Innigkeit.«

»So wünsche ich Euch Glück. Ihr scheint den Gegenschlag in dieser frommen Brust zu verdienen.«

»Ich habe eine Bitte, Exzellenz; Die Serenaten unter Lucias Fenster sind Euch wohl bekannt?«

Der Kardinal errötet leicht. »Mehr als das. Ich habe sie in Szene setzen lassen. Es war mir ein Herzensbedürfnis, dem schönen Kind zu huldigen.«

»Diese Freude mußte natürlich für das Mädchen etwas zwiespältig sein. Ich bitte Euch in ihrem Namen, Excellenz, von nun an darauf verzichten zu wollen.«

Der Kardinal wurde ernst. »Ich respektiere Euren Eifer. Das Lohen Eures Herzensfeuers soll nicht durch den üblen Qualm eines Nachbarfeuers gedämpft werden. Ich gestehe, es waren heilige Gefühle, die mich in Bann hielten. Ich wollte harmlos vor dem lebendigen Altar einer christlichen Heiligen Gebete stammeln. Ihr werdet mir freilich entgegnen, ich hätte als Kardinal die einzige Pflicht, vor den Bildern Marias zu knien. Aber auch wir haben menschliche Regungen, freischwingende Gefühle, irdische Anwandlungen. Es hat Päpste gegeben, die – schweigen wir davon. Das Thema ist zu unpäpstlich. Lucia 68 bedeutet für mich eine Art Idol. Das klingt heidnisch, aber es entbehrt nicht der Menschlichkeit. Gebt mir die Hand, Aleandi. Die Serenaten sollen zu Ende sein. Ich will nicht plump in das fremde Gehege einer Liebe eindringen. Ihr sollt mich achten können.«

Ascanio ist gerührt von der Warmherzigkeit der Worte. Er weiß, man sagte dem Kardinal in Rom nach, daß seine sinnliche Leidenschaft manches Hindernis überstürmt hatte und daß sich sein weites Gewissen mit Skrupeln nicht viel abgab. Sollte er diesen schnellen Rückzug für eine ehrliche Aufgabe der Wünsche des Kardinals halten oder gehorchte dieser nur dem Zwange des Augenblicks? »Ihr werdet das Bild auch von keinem andern malen lassen?« fragte Ascanio rasch.

»Nein.« Dann bewegt und leise: »So war alles nur ein kurzer Traum. Es ging von ihrer Gestalt ein unbeschreiblich süßes Fluidum aus, das selbst unreine Gedanken in reine verwandelt hätte. Ich empfand ihr Bild wie eine heiligende Kraft, und in ihrer Nähe zu sein, war Erquickung für meine durch Tageslasten in Unruhe geratene Seele. Ich habe viele Schatten in meinem Leben. Eben bevor Ihr kamt, wälzte sich ein schwerer Schicksalsstein gegen mich. Mein Geschlecht wird aus Siena vertrieben – mit Hilfe des heiligen Vaters. Aufruhr und Empörung wüten in der Stadt. Und ich muß 69 mein verwundetes Herz verstecken. Der Gedanke an Lucia Impaggi wäre ihm Balsam gewesen und hätte mich von der Not des Augenblicks abgelenkt. Es soll nicht sein. Lebt wohl, Aleandi. Laßt Euch unten die Summe auszahlen, die wir vereinbarten. Ihr arbeitet viel bei Raffael?«

»In freien Stunden. Man lernt viel bei ihm. Er ist eben beschäftigt, in der Stanza Segnatura die letzten Umrahmungen zu machen. Jeder Tag bei ihm ist ein Gewinn, sein Zimmer faßt die Leute nicht mehr, die sich bei ihm künstlerischen Rat holen wollen.«

»Gott gebe Euch reiche Förderung Eures Talents.«

Ascanio verließ den Kardinal mit gemischten Gefühlen. Er hatte einen einträglichen Auftrag abgewiesen. Noch bohrender war das Gefühl der Unsicherheit über die Haltung des Kirchenfürsten. Er traute ihm nicht. Die rasche Art der Verzichtleistung kam ihm verdächtig vor. Aber eben diese Raschheit sprach dafür, daß das Bild Lucias noch nicht allzu stark im Herzen Petruccis befestigt war. Das gab ihm wieder ein Gefühl der Erleichterung.

Petrucci sah dem Davongehenden vom Fenster aus nach. Sein Blut brauste leise in den Gefäßen. War er jetzt nicht voreilig gewesen? Hatte er nicht allzuschnell eine vornehme Geste getan und sich in einem Anfall von allzu peinlicher 70 Ehrlichkeit geradezu ausgegeben? Er warf sich der Länge nach auf den Divan hin, der in der Ecke zwischen den Statuen des Vertumnus und der Flora stand. Wie, wenn nun ein neuer Reiz von der Gestalt des süßen Kindes, nämlich der Unnahbarkeit, seine ganzen guten Vorsätze umwarf? Wie töricht, sich durch einen unvorhergesehenen Augenblick eine besondere Haltung abzwingen zu lassen! Wie leicht mußte er jetzt seinen raschen Gesinnungswechsel bereuen.

Unruhig wälzte er sich auf dem weichen Pfühl hin und her. Selbst die Sieneser Unheilsnachricht verursachte ihm nicht so viel Qual wie sein törichtes Verhalten dem Maler gegenüber. Er stellte sie in den Hintergrund und gab sich ganz dem drohenden Verlust des geliebten Gegenstandes hin. Aber war dieser wirklich für ihn verloren? Konnte Lucia nicht fortleben in seinen sie umschmeichelnden Gedanken, durfte er sie nicht trotz seinem Versprechen, ihre Liebe zu Ascanio nicht anzutasten, mit seinen eigenen Wünschen, die er nur himmlisch zu idealisieren brauchte, herbeisehnen? Durfte er nicht wirklich einen Altar aus ihrem Dasein formen, vor dem er seine zärtlichen Gebete stammeln konnte? Störte er damit die Liebe des Ascanio? Gut, auf Serenaten und Huldigungen mußte er verzichten, aber deshalb auch auf die heimliche platonische Anbetung ihrer Schönheit? War diese beinahe 71 heidnische Verehrung eines Menschengebildes nicht auch dem Priester gestattet, da sie rein künstlerische Wesenheit in sich trug? Leo X., der oberste Hirte der Christenheit, umgab sich mit den Bildwerken der heidnischen Götterwelt, erfreute sich an dem Anblick griechischer Göttinnen, an den Leibern der Nereiden und Bacchantinnen, und Papst Alexander hatte in tierischer Wollust seine eigene Tochter auf das Liebesbett geworfen. Die laxe Auffassung christlicher Moral, ja ihre vollständige Beseitigung war geradezu an der Tagesordnung, und bei den Gelagen der Kardinäle saßen mitunter abgefeimte Kurtisanen am Tisch und sangen halbtrunken aretinische Verse zum Fenster hinaus, so daß selbst die Bedientenstube am Papsthof von Entsetzen gepackt wurde. Und doch war die Unsittlichkeit selbstverständlich geworden, und niemand dachte daran, sich in der angeblichen Gemütlichkeit stören zu lassen. Wie sollte also diesem Verfall der Sitten gegenüber die bloße Idolisierung eines schönen Weibes und ihre heimliche Anbetung sündhaft und verdammenswert sein? Wogen sie nicht federleicht gegenüber den Verderbtheiten der hohepriesterlichen Amtsbrüder, bei denen das Gewissen keine Rolle spielte?

Aber freilich, bei einiger Ehrlichkeit hätte er im Rückblick auf seine Vergangenheit feststellen 72 müssen, daß die Liebessünden seines Lebens bisher immer mit dem Anflug reinlicher Betrachtung begonnen hatten, um später in entarteter Genußfreudigkeit zu enden. Da war Valeria Pozzi, Agnese Sorellini, Uberta Segni und manche andere Abenteuerin, denen der Bischof und spätere Kardinal Petrucci mehr seinen Leib als sein Herz zu Füßen geworfen. Und die Sünden-Stationen wurden nicht dadurch entschuldbar, daß die dazu gehörigen Frauen zu der Gattung Cortisana Romana gehörten und neben ihren sinnlichen Trieben auch eine gewisse Verstandesbildung und ein annehmbares Gefühl für Kunst besaßen, Dinge also, die damals in den Kreisen des hohen Klerus sehr geschätzt und zum Deckmantel für ihre Sünden benützt wurden. Die Geistigkeit der Sünderinnen sollte ihre Unmoral angenehm verbrämen. Und in Rom verzieh man eine solche Kardinalssünde dem Sünder leichter als einen Verstoß gegen eine heilige Zeremonie oder einen politischen Fehlgriff.

Der Kardinal trat ans Fenster. Vor ihm lag das Peristyl und der Teich mit dem lauschigen Nympheum, umrahmt von einem Schilfkranz, belebt von einer plätschernden Fontäne, deren Strahlen über den parischen Marmor der Grotte sprühten. Hier hatte er gar oft im Weben blauer Mondnachte die Freuden der Liebe durchkostet. Selbst die steinernen Faune, deren zottige Körper in den 73 säulenumrahmten Nischen leuchteten, mußten sich ihre Gedanken über die merkwürdige Skrupellosigkeit des verliebten Heidenkardinals machen, der sogar einmal in einer Sommernacht in dieser Grotte eine Maurin aus Trastevere dem Gott Pan liebeopfernd zu Füßen gelegt hatte.

Ein Diener trat mit einem versiegelten Brief herein. »Die Frau mit dem Akanthus hat es überbracht.«

Petrucci atmete schneller. Was hatte die durchtriebene Bellincona zu melden?

»Wenn Eure Exzellenz die Gewogenheit haben sollten, Mittwoch, sobald die Dunkelheit eingesetzt hat, in dem Häuschen, das beim San-Sisto-Eingang in die Caracalla-Thermen steht, unauffällig anzuklopfen, so werden Eure Exzellenz ein Liebesschauspiel genießen, dessen Vorführung Euer Herz angenehm erregen wird. Euer Gnaden werden sehen und selbst nicht gesehen werden. Nur erbitte ich mir die Absolution für die etwas unchristliche Inszenierung. Ich neige mich in Demut vor Euer Gnaden.«

Petrucci verschloß den Zettel in ein Kästchen. Ein süßer Schmerz durchzuckte seine Brust. »So hat sie neuerlich ihr Garn geflochten, und das Vögelchen geht in die Falle. Nimm dich zusammen, Alfonso, geh nicht zu weit, liefere dich nicht ganz einer Lumpin aus, die aus der Liebe ein Gewerbe macht. Gebrauche ihre Hilfe nur, 74 wie sie das halbe Rom gebraucht, dann laß sie fahren und übergib sie ihrem eigenen bösen Geist. Sei zart, wo andere rasen möchten, bescheiden, wo andere durch Gewalt das letzte Wort sprechen würden. Verlange sie nur zu sehen, nicht zu berühren. Schone ihre Unschuld und meide die Schuld. Mach aus deinem Herzen keine Mördergrube.«

Und er hatte die Vermessenheit, das Gelingen seines Abenteuers in einem Gebet an die heilige Margarete zu erflehen, deren kaum trockenes Bild an dem Tischchen lehnte. Als er sich erhob, fiel sein Blick auf die Wand, die in voller Sonne lag. Dort leuchtete eine gemalte Scheinarchitektur herab, wie sie im Hause der Livia auf dem Palatin gefunden worden war, mit Motiven aus dem bukolischen Leben Thraziens. Die Neckereien Pans mit den Oreaden, das Lammopfer für die Fruchtbarkeit an der Quelle der Arethusa, der Tanz der Nymphen um den saitenschlagenden Apollo erfreuten sein nun wieder der Sinnenwelt zurückgewandtes Auge. Ihm war heiß geworden. Seine Lustgedanken bekamen plötzlich einen Riß. Das Schicksal seines Hauses in Siena lohte wie eine Feuergarbe in ihm auf. Sein verwundetes Herz litt das Leid mit und sein Hirn arbeitete an racheschweren Gedanken. Mit einem letzten Schluck Frascatiwein schwemmte er die restlichen Gewissensbisse, die 75 ihm sein Liebesabenteuer verursachte, aus seinem Gemüt.

Dann gab er seinem Diener Befehl, die Pferde zu satteln. Ein Ritt über die Via Appia durch die Schwermut der Campagna sollte sein Blut in angenehme Wallung bringen.

 


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