Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

In Ninos Händen zittert ein Brief seines Herrn. Baldassare, der alte Diener des Kardinals – im Palast nennen sie ihn allgemein Pocointesta, das heißt »wenig im Kopf« – hat ihn soeben aus Siena gebracht. Ein furchtbarer kurzer Inhalt verschwimmt vor den Augen des Sekretärs.

»Lieber Nino! Die Sache geht mir zu langsam. Hat sich Battista noch immer nicht gemeldet? Hat der Papst noch nicht nach ihm verlangt? Ich habe durch Soderini seine Heilkunst merklich anpreisen lassen. Nun merk auf. In der Truhe im Triklinium befindet sich unter den Hemden ein Päckchen in blauem Papier. Es enthält ein gewisses Pulverchen, das einen gefährlichen Auszug aus tödlichen Pflanzenkräften darstellt, der, aufgelöst, in das Blut des Menschen gebracht, ein Siechtum erzeugt, das binnen wenigen Wochen der Tod schmerzlos beendet. Battista ist instruiert, er wird wissen, an wen er die leidlösende Gabe weitergeben soll. Händige ihm das Pulver 298 ein. Hüte dich, das Pulver zu berühren, eine kleine Unvorsichtigkeit bei der Manipulation mit dem Pulver kann unabsehbare Folgen haben. Laß mir durch Baldassare sofort Mitteilung zukommen, wann du die Gabe an Battista da Vercelli weitergegeben hast. Ich erwarte dann von ihm ein rasches Handeln.«

Nino rückt das Schreiben immer wieder an die Kerze heran, um sich zu überzeugen, ob er auch richtig gelesen. Also war es so weit. Das alles riecht nach Verwesung, sann er vor sich hin. Mein Herr ein Giftmischer. Also wühlt der Haß eines Menschen Herz auf, das sonst nicht schlecht war. Soll ich, darf ich gehorchen? Sage ich nein, verletze ich meine Treue zum Herrn, sage ich ja, mache ich mich zum Mitschuldigen. Schreckliche Buchstaben, von der Hölle zu Worten geformt! Wie unschuldig steht jeder einzelne da, aber in ihrer Gesamtheit sind sie ein tödliches Gift. Ein Ding ist das, was man aus ihm macht. Ein Buchstabe kann ein Engel oder Teufel sein, hier ist er ein ganzes Satanswerk. Battista das Pulver übergeben – o Zeit, steh still, laß mich nimmer ans Ziel kommen. Ich weiß, wem es gilt. Die Farben gelb-rot-grün wandelt dieses Pulver in schwarz, die Röte eines gewissen Gesichtes in Leichenblässe. Aber ich kann mich dem Auftrag nicht entziehen, sonst ist mein Hiersein zu Ende. Am besten ich übergebe den Brief, wie er ist, dem 299 Wundarzt – nein, Pocointesta soll ihn übergeben. Und das morgen schon, denn aus dem Brief schreit die Dringlichkeit. Rom, du heißer, seelenmordender Boden! Man verbrennt sich mehr als die Füße, wandelt man auf dir. Da lebt es sich in Florenz doch ruhiger, wenn auch die Medici dort ihre Nase in alles stecken. Florenz, du Marmorstadt, du Stadt der schönen Gotteshäuser, der fröhlichen Menschen, der lachenden Frauen! Wäre ich dort, mir wäre vieles erspart geblieben.

Nino ruft Baldassare. Er übergibt ihm das neu verschlossene und versiegelte Schreiben. »Morgen machst du dich auf und reitest nach Marino, suchst im Kastell den Wundarzt Battista da Vercelli auf. Du ruhst nicht, bis du ihn gefunden und übergibst ihm diesen Brief unseres ehrwürdigen Herrn, verstehst du?«

Der Melonenkopf Baldassares nickt übereifrig.

»Dann machst du dich sofort wieder auf den Heimweg.«

Am nächsten Tag galoppierte Baldassare hinaus in die Campagna. Sein Brauner kam bald in Schweiß, der Reiter nicht minder. Bald bemerkte dieser, daß ihm zwei Männer zu Pferd folgten, die ein beschleunigtes Tempo anschlugen, so als ob sie ihm zuvorkommen wollten. Als sie auf gleicher Höhe mit ihm waren, zügelten sie ihre Pferde. Baldassare erkannte in dem einen 300 der beiden einen gewissen Neropietro, einen ehemaligen Söldner der Orsini, mit dem er unter Cesare Borgia vorübergehend gedient hatte. Seinen Namen hatte er von der schwarzen dreieckigen Mütze, die seinen hagern Schädel noch spitzer erscheinen ließ.

Der Mann erkannte auch ihn sofort und drückte ihm vom Pferd herüber die Hand. »Daß ich dich einmal sehe, Baldassare! Was machst du auf der Via Appia?«

Der Petrucciknecht runzelte die Brauen und tat sehr wichtig. »Das werde ich dir gerade auf die Nase binden, Neropietro. Wo bist du in Diensten? Du hast da ein weichgehendes Pferd und eine feine Decke.«

»Ich handle für gewöhnlich mit Tonschüsseln, mein Weib ist krank, und so suche ich's auf. Sie liegt im Ospedale von Genzano. Und der da neben mir ist mein Freund Tonio Casa, ein prächtiger Mensch, spielt dir die Cornamusa wie die heilige Cäcilie. Mußt du weit hinaus?«

»Nach Marino.«

»Bist du nicht beim Kardinal Petrucci im Dienst?«

»Freilich, freilich,« antwortet stolz der Sienese.

»Ein lebenslustiger, echter Cortegiano, dem die Sturmhaube besser passen würde als der rote Hut. Er steht, sagt man, mit hübschen Mädchen auf besserm Fuß als mit Nonnen.«

301 Baldassares Mund wird kaulquappenbreit; er lacht unbändig. »Ja, ja, was die Barfüßer einmal abgelegt haben, rührt er nicht mehr an.«

»Das zeugt von Geschmack,« sagt der schweigsame Casa.

»Hast du die Cornamusa bei dir? fragte Baldassare.

Der Mann zeigt auf den Pferdesack. »Geh ohne sie nicht aus dem Hause. Man fängt damit Mädchen ein.«

»Von denen bekomme ich auch ohne Cornamusa mehr als genug,« meint der Alte prahlerisch und schnalzt mit dem Finger. »Sieh, da ist die Osteria zum Ellesponto. Ein kleines Absitzen und Gurgelreinigen wird uns nicht umbringen.«

Die beiden Reiter sind Feuer und Flamme dafür. »Messer Tebaldeo hat einen trinkbaren Frascati. Wir machen die Hälse weit, vielleicht ist auch eine Hammelkeule zu kriegen oder eine appetitliche Blutwurst.«

Sie binden die Pferde an den Halfterpflock und treten ein. Es ist noch kein Gast in der Schenke, denn die Stunde ist allzu früh. Auch Essen kriegen sie keins, aber der Frascati rinnt doch zu jeder Stunde, auch in die Gurgeln der erhitzten Reiter. Bald gibt ein Wort das andere.

Neropietro schenkt das Glas des Pocointesta immer wieder voll. »Was für ein prächtiges Wams du hast! Erinnerst du dich noch, wie dir 302 der Franzose damals eins auf die Brust schlug, daß du beinahe in eine Senkgrube gefallen wärst. Er wußte, daß dein Panzer aus Papier war.«

Baldassare dehnte das Maul bis zu den Ohren. »Ich habe immer papierne Panzer. Damals war's ein alter Bücherdeckel aus der urbinatischen Kassastube. Und wenn mich heute ein Franzose über die Brust hauen wollte, er träfe wieder auf Papier . . . immer auf Papier.« Seine Zunge wurde schon etwas schwer, sein Auge ein bißchen glänzend. »Ich bin papieren von oben bis unten, sag ich dir.«

»Ich seh nichts von Papier,« sagte Neropietro harmlos und beäugte das Wams des ihm Gegenübersitzenden.

»So? und was ist das?« fragte Baldassare und zog das verhängnisvolle Schreiben aus seinem Wams, hielt es wichtigtuend den beiden vor die Nase. »Ist das Eisen, Kupfer, Blech, Gold, Silber?«

»Ein braver Herzfleck, der gerade den Fleischklumpen zur Not bedeckt. Laß sehen – ei, an den ehrenwerten Messer Battista da Vercelli? Hm – hm – Prächtig!« Neropietro blinzelte seinen Freund Casa an. »Ein braver Messerschneider, ein braver Geschwulstzerhacker, ein trefflicher Abszeßverjager! Also du hast das an ihn abzugeben? Ist dein Herr Kardinal wund am Fuße, am Leibe, am Herzen?«

303 »Fii! Sein Körper ist gesund wie ein Adonisleib – man könnte die Tarantella darauf tanzen, er spürte es nicht. Evviva Petrucci!« Die Zinnbecher klapperten aneinander. »Und jetzt deine Cornamusa!«

Casa holte den Dudelsack hervor und schwang ihn kunstvoll über die Schulter. Dann quietschte und zog er Hirtenlieder daraus hervor, ölig breit gezogen, mit der hüpfenden schnellenden Kadenz. Pocointesta sang dazu mit kehligen Lauten, oft falsch und geziert, daß der sangeskundige Wirt Tränen vergießen mußte. Dann spielte Casa einen ausgesprochenen Saltarello, rhythmisch feurig und gejagt, Neropietro hob den schwer sitzigen Sienesen von der Trinkbank und pfeilte mit ihm von Ecke zu Ecke. Baldassare stolperte über seine eigenen Füße und fiel endlich zu Boden. Diesen Augenblick benutzte der lachende Casa, um schnell den Brief einzustecken, der noch immer auf dem Tisch lag. Dann hetzte er sein Instrument weiter. Mühsam richtete sich Baldassare in die Höhe und stampfte auf der Stelle den Rhythmus des Saltarellos mit den Füßen, drehte sich im Kreise und wand sich in den possierlichsten Stellungen, daß die andern lachen mußten. Und immer wieder gossen sie ihm Wein in die Kehle, bis er genug hatte. Er taumelte in eine Ecke, fiel wie ein Klotz auf einen Haufen alter Wäsche. Die beiden Reiter jagten 304 allerlei Geschwätz um die Schläfen des Trunkenen, der jetzt statt zu wenig zu viel im Kopfe hatte. Ein Hagel der Schadenfreude fiel auf ihn nieder.

»Moltointesta!« spottete ihn Neropietro aus. »Du fauchst schon aus dem Darm, Liebling des Bacchus! Eee! Il frascato apre ogni porta! Che si fida rimane ingannato! Mit solchen anzüglichen Sentenzen schlugen sie in sein berauschtes Hirn.

Er lallte und fuchtelte mit den Händen herum wie ein jammernder Jeremias, versuchte auch aufzuspringen, fiel aber immer wieder auf die Schmutzwäsche. Endlich wickelten sie ihn in Hemden und Hosen ein und begossen ihn mit kaltem Wasser. Gleich darauf zahlten die beiden Schelme und verschwanden.

Der Wirt half nun dem armseligen Pocointesta auf die Füße. Als er ein wenig zu sich kam, zuckte es durch seine Glieder. Seine Züge versteinerten sich. Der Brief war nicht mehr da. Es tagte furchtbar in ihm. Mit weitaufgerissenen Augen, aus denen die Angst glasig starrte, torkelte er hinaus. Von den Reitern war nichts mehr zu sehen. Nur sein Pferd wieherte behaglich am Pflock. Verzweifelt warf er sich in den Sattel und ritt mit völlig verwolktem Schädel nach Rom zurück. Schweißnaß kam er auf dem Quirinal an.

Nino fällt aus einem Wutanfall in den andern. Der Brief in fremden Händen! Er dachte sofort 305 an den Urbinobrief. Den hatte man geraubt, den heutigen gestohlen. So wenig hatte er aus der ersten Untat gelernt! Er hatte sogar vergessen, den Brief auf doppelten Wegen zu befördern. Welcher Teufel hatte ihn so kurzsichtig gemacht? Diesem Untier von einem Menschen ein solch gefährliches Schreiben in die Hände zu geben! Er hatte sich doch sonst nie betrunken – und gerade diesmal fiel er in die Hände dieser Schurken, kam in den Weinnebel und trank sich unter den Tisch.

Wie ein Vesuvbrand glühte das Geschehene durch Ninos Hirn. Er schlug Baldassare windelweich, womit aber die Sache nicht gutgemacht wurde.

Allgemach begann ihn die Furcht zu überschleichen. Die fremden Knechte hatten jedenfalls Gründe gehabt, dem Diener den Brief zu entwenden. Hatten sie nicht längst das Schreiben erbrochen und den Inhalt vor Menschen gebracht, die darnach fahndeten? Waren sie nicht gedungene Lumpen, aus dem Gelichter der Subura geholt, aus dem Abschaum des Volkes, Galgenvögel, dazu bestellt, alles zu durchschnüffeln, was aus dem Hause des Kardinals auf die Straße läuft, es auszuspionieren, die Nase in alles und jedes zu stecken? Ja, jetzt erinnerte er sich, wie diese verdächtigen Schattengestalten in den letzten Tagen um den Quirinal 306 herumhuschten und blitzschnell verschwanden, wenn man ihnen auf die Finger sehen wollte. Und nun hatten sie mehr als gewittert, sie hatten gebissen. Und an dem Biß konnte Petrucci, konnte er, Nino, zugrunde gehen.

Die Angst vor allen erdenklichen Möglichkeiten überrannte ihn. Er lief wie ein im Garn gefangener Vogel hin und her, verstrickte sich in seinen eigenen Gedanken, bis ihn endlich ein einziger völlig in Bann nahm: Als einziger Ausweg bleibt mir die Flucht. Auf nach Florenz! Dort im Volksschwarm auf- und untergehen. Hier in Rom bin ich keinen Augenblick mehr sicher. Der Brief enthält meinen Namen!

Er tat der Dienerschaft gegenüber so, als ob er zum Kardinal nach Siena reisen wollte, übergab dem ältesten Hausverwalter, einem gewissen Filippo Reni seine Dokumente und Agenden und fertigte den zerknirschten Baldassare nach Siena ab, wo er seinem Herrn alles gestehen und ihn warnen sollte, ja nicht nach Rom zurückzukehren, denn die Gefahren lauerten an allen Ecken und Enden. Man müsse eine gewisse Zeit vergehen lassen, um zu erfahren, was geschehen würde.

Auch an Battista da Vercelli schickte er einen Boten, der bei Morgengrauen aufbrechen und dem Wundarzt mündlich melden sollte, es sei alles entdeckt, er möge sobald als möglich fliehen.

307 In der Nacht noch ritt Nino aus Rom, durch die Porta Nomentana, um etwaige Spione über die Richtung seiner Flucht irrezuführen. Beim trüben Morgenschein hetzte er sein Tier über die sanften Hügel, bog dann nach dem Ponte Salario ab und erreichte bald die Straße nach Florenz.

 


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