Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Erstes Kapitel

»Sieh, Ghitta, wie schön der Mond über Rom gleißt! Es silbert über den Dächern.«

Die schwarzhäuptige Camerista strählt das blonde Haar ihrer Herrin beim Fenster und verzieht keine Miene. Die Schönheit der Nacht rührt sie nicht. Männerschönheit macht mehr Eindruck auf sie, und ihre Gedanken fliegen in den vergangenen Tag zurück, in die Abendstunde, da sie Giorgio Caprone, den Bereiter des Kardinals de Sauli, mit einem herzhaften Kuß entlassen.

Lucia Impaggi schwärmt nun ganz still in die silberne Nacht hinaus. Zu ihren Füßen streckt sich das Häusermeer Roms hin, die Kuppeln der vielen Kirchen wölben sich aus dem Dachgeschiebe auf, unzählige Türme heben ihre steinernen Leiber aus dem tiefen Dunkel ins blasse Licht, da und dort glänzen Palastfassaden, und der Kirchturm von San Onofrio ragt gleich in der Nähe aus dem Gewipfel der Oliven und Zypressen in den blauschwarzen Himmel.

Das Landhaus der Lucia Impaggi, aus grauen 6 Travertinquadern in langgestrecktem Viereck erbaut, gleicht einem castello in miniatura und blickt, ein Luginsland, vom Monte Gianicolo herab auf Rom, das wie ein schönes Geschenk Gottes zu Füßen der jungen Herrin liegt.

Lucia, die die Landleute und Gärtner ringsum nur die »bionda rosa« nennen, weil ihr Haar so goldhell schimmert und ihre Schönheit an die Blumenkönigin erinnert, bewohnt diese einsame eremitageartige Heimstätte nur mit ihrer Camerista Ghitta und einem eisgrauen Diener Gianpietro, der schon unter dem Papst Sixtus IV. gegen die Türken gekämpft hatte und auf sein durchschrammtes Gesicht nicht wenig stolz war. Die zwei dienenden Geister vergöttern das blühjunge Geschöpf, das sie Herrin nennen und das doch erst am jungfräulichen Leben zu nippen beginnt. Lucia ist verwaist, sie hat ihren Vater nie gekannt und ihre Mutter, deren Leben von Schmach überschattet war, früh verloren. Was von ihr zurückgeblieben war, Reichtum und Gut, war durch das liebenswerte Laster der römischen Kurtisane erworben und war mit dem Fluch der edlen Römerinnen belastet. Wohl hatte man äußerlich die schöne Imperia Impaggi geehrt und umflattert, geistliche Hofleute, Prälaten und Gelehrte lagen zu ihren Füßen, Dichter umwolkten sie mit dem Weihrauch ihrer Verse und Maler legten den Liebreiz ihres Gesichtes in ihre 7 Madonnen, man prunkte mit ihrer Freundschaft und genoß wohlig die Freuden ihrer Häuslichkeit. Aber die tugendhaften Frauen wichen ihr aus, und die innerlich vornehmen Männer beschränkten sich darauf, ihr Kurtisanentum in den Mauern Roms als ein notwendiges Zeitübel zu beklagen. Ihr Geist gefiel sich in der Hingabe an die Dichtkunst, deren Regeln sie unter der Leitung eines gewissen Nikolaus Campanus mit dem Beinamen Strascino gut erarbeitet hatte. Ihr Wohnraum war so überfüllt mit kostbaren Antiken, Bildern und Teppichen, daß einmal der spanische Gesandte bei einem Besuch seinem eigenen Diener ins Gesicht spuckte, weil er in ihrer Wohnung für diesen Zweck keinen Platz gefunden hatte. Kardinäle und Prälaten, der Adel Roms, Literaten und Müßiggänger waren ihre Trabanten, und ihre Sonne überstrahlte das Geschmeiß um sie mit der ganzen Kraft ihrer natürlichen Schönheit.

Ihre Tochter Lucia, das Kind einer frühjungen Liebe, war zuerst im Kloster erzogen worden, und als sie mannbar geworden, durfte sie die sinnlich verpestete Luft in den Gemächern ihrer Mutter atmen, so daß sie bald den Tiefstand der männlichen Sittlichkeit ihrer Zeit kennenlernen konnte. Imperia hoffte, daß die natürliche Reinheit des Mädchens der Panzer sein würde, der es vor der Gefahr der Entsittlichung schützen 8 werde. Und das Wunder geschah. Lucia, abgeschreckt von dem lasterhaften Treiben ringsum, bewahrte sich mitten im Sumpf eine liliengleiche Reinheit und ein frommes Gemüt, und als ihre Mutter, durch das wollüstige Leben frühzeitig erschöpft, starb, ließ sie eine Tochter zurück, die das Andenken ihrer Mutter weder segnen noch ihm fluchen konnte, weil sie einerseits zu ehrlich und fromm, andererseits zu sehr von Kindesliebe und Dankbarkeit erfüllt war.

Imperia hatte ihrer Tochter das Landhaus auf dem Monte Gianicolo hinterlassen, angefüllt mit zierlichem, fraulichem Hausrat, den Geschenken ihrer Verehrer, mit Grund und Boden, Zier- und Gemüsegarten und dem kleinen in griechischem Stil erbauten Lusthäuschen, um das sich im Sommer blutrote Rosen rankten. Ghitta hatte versprochen, der Tochter ebenso treu zu dienen wie der Mutter und ihre Parzenhand spinnend und schneidernd für sie zu rühren. Und Gianpietro war in die kindliche Lucia verliebt wie ein zärtlicher Vater, ja, er maß sich beinahe dessen Rechte an. Er hatte schon der Großmutter Lucias gedient und war im Hause wie ein altes, teures Möbelstück von Dankbarkeit umsponnen.

Die Nacht über dem Gianicolo erfüllt sich immer mehr mit silbernem Leuchten. Die Frühlingsblumen aus dem nahen Garten senden wellenartig ihre Düfte zum Fenster herein, zwei 9 Fledermäuse schwirren vom Kloster San Onofrio herüber und schrecken Lucia aus dem Träumen auf.

»Horch – da ist es wieder – wie gestern –« Lucia rückt den schweren Polsterstuhl, in dem ihre Mutter gestorben, nach rückwärts.

Ghitta neigt sich aus dem Fenster. »Ja – Lautenspiel – und eine Zampogna – und da drüben seh ich schon drei Burschen – ei, der Himmel soll mich mit Flöhen strafen, wenn das nicht – ja, ja, das wird eine richtige Serenata.«

Eben holt die Turmuhr von San Onofrio zu ein paar Schlägen aus.

Lucia verbirgt sich schnell hinter dem Pilaster, der ans Fenster stößt. »Er ist ja doch nicht darunter.« Ihre Lippen zucken etwas schmerzvoll.

»Er! Er!« Ghitta lächelt listig. »Glücklich, wer auch ohne Namen gleich erkannt wird. Nein, Ascanio Aleandi ist nicht darunter, er würde sie alle mit seinem Leib überragen, der wie eine Malve blüht. Soweit ich unterscheiden kann, sind es drei Studenten, die die Nacht mit Musik tränken wollen, wiewohl sie hier auf dem Gianicolo wenig durstig darnach ist. Und die Zampogna spielt der eine falsch. Pfui, ihr Herren! Ich denke, wir verscheuchen die Lärmmacher durch Händeklatschen wie lästige Hühner.« Ghittas pechschwarze Augen leuchten lustig.

»Und ich denke, wir wollen zuerst abwarten, 10 was sie mit ihrem Gezirpe wollen. Bleiben sie bescheiden wie gestern in der Ferne, so wollen wir ihnen keinen Streich spielen.«

»Hm – sie scheinen mit Euch, Herrin, nicht ganz einer Meinung zu sein, denn sie huschen auf den Zehenspitzen näher ans Haus heran. Und das, weil wir's gestern duldeten.«

»Hörst du –« Lucias Herz pocht schneller. »Ascanios Lieblingslied – die Brunetta des Poliziano, das Liebeslied des Zigeuners.«

»Das Trifolium wird anzüglich!« lacht Ghitta in die Nacht. »Jetzt stehen sie hinter den Zypressen. Wenn man wüßte, ob alle drei in eine Person verliebt sind –«

»Du denkst sehr unwahrscheinlich, Ghitta. Sie wären doch nicht zu gleicher Stunde hier.«

»Dann gibt's also drei verliebte Mädchen in der Nähe. O, hört nur den wundervollen Diskant! Hoffentlich harmonieren Stimme und Gesicht. Die schönste Stimme, hinter der ein Warzengesicht steckt, ist von Übel. Aber auch das schönste Gesicht schicke ich zum Teufel, wenn der Mann wie eine Ziege meckert. Man muß seine Liebe mit oratorischem Wohllaut vor die Liebste bringen können.«

»Sei still, Schwätzerin! Sie strengen sich an und du schnatterst.«

Mit schmelzendem Appassionato klang die Zigeunerliebe durch die mondhelle Nacht. Es 11 war, als erhöhe die schweigende Pracht den Wohllaut der Stimmen.

Aber Lucia wurde unmutig. »Ascanio ist nicht darunter. Wirf das Fenster zu.«

Doch die Camerista stellte sich abwehrend davor. »Wie, Herrin? So brave Jungen kopfscheu machen? Mein Hirn wird helle. Es sind sicherlich gedungene Tonmacher, die vor unserm Fenster singen sollen.«

»Sollte Ascanio – nein, nein, nein.«

»Darüber könnten nur die drei braven Jungen Auskunft geben. Aber solche klingende Schwätzer verstummen für gewöhnlich, wenn man sie ausholen will. Und hat es übrigens Messer Ascanio notwendig, die Nacht mit Geschepper zu erfüllen, wenn er Euch bei Tag ebenso gut zu sagen versteht, daß er gern bei Eurem liebenden Herzen anpochen möchte?«

»Du schwatzt wie eine Elster.«

»Auf jeden Fall versuchen wir, ob sie Farbe bekennen. Machen wir so, als hätten wir Gefallen an dem Singsang. Hört nur, wie sie ihres Herrn glühende Inbrunst in das Lied strömen lassen. Ah, sie werden dreister, kommen näher. Nun seid Ihr die glückliche Brunetta, der all der süße Jammer gilt, wiewohl Eure Haut nichts weniger als zigeunerbraun und Euer Haar alles andere als schwarz ist. Die ungeschickten Anbeter hätten la brunetta mit la bionda vertauschen sollen, auf 12 die Gefahr hin, die Melodie mit dieser Textänderung zu verstümmeln. Kluge Leute wissen sich zu helfen. Aiô! Aiô! Heran, ihr Schwalben!«

»Bist du wahnwitzig?« Lucia hämmert mit der Faust auf dem Rücken der Camerista, deren Oberleib schon zum Fenster hinaushängt.

Da stehen schon die drei Musikanten in ehrerbietiger Haltung vor dem Fenster und reißen die Mützen vom Kopf.

»Wer schaffte euch Ort und Lied an?« fragt Ghitta nach den blanken Köpfen hinunter.

»Die Liebe!« erfrecht sich der Kleinste zu antworten und stellt sich vor seine Kameraden hin, als mache er sich als Orator auf Rede und Gegenrede gefaßt.

»Liebe? Das ist eine höchst undurchsichtige Dame, mit der wir Damen nichts zu tun haben wollen, solange sie sich in so verdächtige Schleier hüllt.«

»Nun denn – ein Liebender.« Der Kleine wirft sich in die Brust.

Ghitta verschluckt ein angenehmes Würgen in ihrer Kehle. »Das ist schon durchsichtiger. Den Namen!«

Der dreiste Sprecher lacht. »Fragt andere aus, nicht uns.«

»Schickt andere her, ihr Frechdachse! So unhöflich zu sein mit anständigen Frauen. Habt ihr nicht im ›Cortigiano‹ des Herrn Castiglione 13 geblättert? Und nun macht Schluß. Sonst benetzen wir eure Häupter, damit euch das Singen vergehe.«

»Wir singen auch mit nassen Köpfen weiter, denn Lohn bleibt Lohn.«

»Uuu – dann ist's ein reicher Herr, der euch gedungen? Am Ende Ascanio Aleandi?« Sie lacht hinunter.

»Aleandi? Ist das der arme junge Maler, der bei Raffael lernt, wie man Madonnen vermenschlicht?«

Lucia hat die Camerista in die Hüfte gestoßen. »Schweig still!« Aber Ghitta schreit in die Nacht hinaus: »So sagt endlich den Namen. Oder sollen wir euch mit klingender Münze zum Reden bringen? Macht wenigstens einen Umweg um den Namen und nennt den Stand.«

»Das ist ein Untergrund zum Verhandeln. Also denn: der Mann hat keinen Stand, wohl aber einen Sitz.«

»Doch nicht in der Torre di Nona oder gar in der Engelsburg?«

»Dieser Sitz hätte zu wenig Beleuchtung, er ist helleres Licht gewöhnt.«

»So ist es der Papst Leo X.« Ghitta platzt es mit ungestümem Lachen heraus.

»Nicht gleich beim irdischen Herrgott anfangen,« ruft der Sprecher zurück. »Seine Heiligkeit ist kein Jungfernjäger wie weiland der Papst 14 Alexander. Er liebt die toten Statuen mehr als die lebenden Weiber. Ratet anderswohin.«

»Einer, der helleres Licht – ah – so wohnt er auf einem Berge oder Turm –«

»Damigella, Ihr seid einfältig wie ein Fisch, der vom heiligen Antonius noch keine Lehre empfangen.«

»Ist's ein sittsamer oder liederlicher Herr?«

»Das verrät weder sein Gesicht noch sein Kleid.«

»Ha – Kleid! Welcher Schnitt, welche Farbe?«

»Geschnitten ist's, sonst könnte er's nicht tragen. Farbe? Nein, da bin ich Fisch.«

»So nicke wenigstens mit dem Kopf. Grün wie ein Laubfrosch?«

Der Musikant bleibt unbeweglich.

»Weiß wie ein Schwan? Schwarz wie ein Turmalin? Gelb wie ein Gallengesicht? Purpurn wie ein Sonnenuntergang am Meer?«

Da springt der Musikant in die Höhe und läuft, seine zwei Gesellen mit sich reißend, in die mondflimmernde Nacht. Sie verschwinden im dämmernden Licht auf dem Abhang des Berges.

Lucia und die Camerista sehen einander bestürzt an. »Nun hat sie wahrhaftig die Nacht verschlungen, und es ist aus mit dem Frage- und Antwortspiel. Wo bin ich nur stehen geblieben, Herrin? Bei welcher Farbe lief der Schelm davon?«

15 »Purpurn wie ein Sonnenuntergang am Meer –« flüstert Lucia leise erschauernd vor sich hin. Dann fährt sie zusammen – ein Laut erstickt in ihrer Kehle. Sie starrt vor sich hin. »Nun hat der Mond seinen Schein verloren.«

»Und Ihr Eure Sonne.« Ghitta blickt traurig.

»Wer trägt das purpurne Kleid?«

»Kardinäle – oh! Wie's durch Eure Schultern zuckt. Ihr glaubt doch nicht etwa –?«

»Bei der letzten Messe im Petersdom zielten zwei Augen aus einer Kardinalnische nach mir. In diesen Blicken lag keine in Gott gesammelte Seele. Schon lange verfolgen mich diese Augen, immer wenn ich über die Via Latina ging und der Jagdkavalkade des Papstes begegnete, da hielt einer sein Pferd an und sah mir nach.«

»Wer stielt sich denn nicht die Augen nach Euch aus? Aber freilich – nun erinnere ich mich – beim letzten Aufzug der Gesandten des Kaisers und Spaniens, als die Kardinäle zu Roß die fremden Herren flankierten, da hob sich einer aus den Steigbügeln und zielte mit ein paar Leuchten nach Euch, daß ich mir sagte: von welchem Brandaltar nimmt der heilige Herr so viel Feuer?«

»Du kennst ihn?« fragt Lucia bangherzig.

»Welchen Kardinal kennen die Römer nicht? Von außen und innen. Sie zeigen sich ja dem Volke mehr als notwendig ist, und es ist nicht 16 immer der Purpur, der die Römerinnen besticht, sondern der junge Leib, der drin steckt. Elâ – da reitet es herauf – Messere Aleandi!« Ghitta ist vom Fenster weggesprungen und läuft aus dem Zimmer, die Treppe hinab.

Lucia legt die Hand an ihr Herz. Ihre Brust geht hoch. Das späte Kommen des Geliebten bringt sie in Verwirrung.

Der junge Maler braust an ihr Herz – »Vergebt mir, Monna Lucia. Aber mich hielt es nicht länger im Haus.« Der schlanke Jünglingsleib, sehnig und gestrafft wie der Körper eines hellenischen Fechters, gekrönt von dem apollinischen Kopf, steht nun hochaufgerichtet im Glanz der Kerzen, die auf dem Elfenbeintischchen leuchten und in den venezianischen Spiegeln an den Wänden vielfältig widerleuchten. Aleandis Feuerkopf, von dunklem Kraushaar überschattet, mit dem feingeschnittenen Gemmengesicht, den südlichen Glutaugen mit den zartgeschwungenen Brauen darüber, hat sogar Raffael gereizt, und er wollte ihn für ein Bild des heiligen Sebastian verwenden, wenn nicht der Kardinal Bibbiena, der Mäzen Raffaels, im letzten Augenblick auf einen andern Kopf bestanden hätte. Wenn Aleandi im Gefolge Raffaels durch die Gassen ritt oder ging – und dieses Gefolge war immer reichlich groß – dann fanden Mädchenaugen an den Fenstern immer gleich den edlen Jünglingskopf aus den 17 übrigen heraus, denn er überragte die andern, und sein sanftes Lächeln, dem seines Meisters ähnlich, beglückte unschuldig diese oder jene Schöne, die sich die Augen nach ihm ausstarrte. Doch mehr als dies harmlose Lächeln wußte keine zu erlangen, denn alle wußten, daß das Herz des jungen Künstlers ohne Vorbehalt der schönen Lucia Impaggi gehörte. Dennoch hofften die römischen Madonnen, daß sich die Liebe des Jünglings doch einmal in ein anderes Herz verirren könnte. Sind denn Maler nicht wandelbare Gesellen und verlockt sie nicht die Schönheit, von Blume zu Blume zu flattern?

Lucia schlägt verwirrt die Augen nieder. Ihrer Liebe hohe Reifezeit war noch nicht gekommen, ihre Gefühle gärten noch, ihre Jugend wollte sich nicht völlig ausgeben, nicht verwerfen, ohne geprüft und geurteilt zu haben. Sie kannte Aleandi noch zu wenig, wußte nicht, ob er's ehrlich meinte, ob nicht sein sprühender, feuriger Sinn mit einem wandelbaren Herzen verbunden war. Die eifersüchtige Natur des hitzigen Jungen schien ihr wohl eine ernste Gewähr für die Echtheit seiner Liebe zu sein, dennoch war ihr dieses wilde Herztoben unangenehm. Wie jache Flammen schlug es aus seiner Brust und die friedfertigste Stimmung zerbrach an seinem grundlos eifernden Herzen. Auch heute kam er ihr etwas verdächtig vor.

18 »Die Nacht naht – und es ist nicht geraten –« empfängt sie ihn mit verdunkelter Miene.

»Ja, ja, man soll ein Mädchen nicht stören, wenn Hesperus die Leuchte schwingt. Eben deshalb bin ich da.«

»Zuerst weg mit den drohenden Blicken!« fordert sie sanft.

»Ein Mitschüler meiner Malerstube, der am Fuß des Gianicolo wohnt, will gestern nachts sonderbaren Gesang vor Eurem Hause gehört haben. Brühwarm hält er mir's heute unter die Nase. ›Sei auf der Hut!‹ setzt er fürsorglich hinzu. Die Wortstecherei gab mir keine Ruhe, bang erwartete ich den Abend, bereit, mir Bestätigung der Stichelei zu holen. Leider hielt mich Meister Raffael heute ungebührlich lang beim Farbentopf zurück und erklärte mir langatmig eine neue Gelbmischung mit Terra di Siena, sprach eine Stunde von der arabischen Kunst, aus Glasflüssen Onyx herzustellen. Mir lief vor Ungeduld der Boden unter den Beinen weg und jede Minute wurde zur Hölle. Endlich brach ich wie ein Füllen aus dem Stall und ließ Topf Topf sein, warf mich in meinen Rock, nahm Degen und Dolch und rannte über die Tiberbrücke.«

»Ascanio!« flehen die Augen der überrannten Armen, gewillt, den Schwall der Eifersucht über sich ergehen zu lassen.

Aleandi braust über sie hin: »Ich keuche den 19 Hang hinan, da höre ich schon aus der Richtung des Klosters lautes Geklimper und weiß, daß es mit Mönchslatein und Psalmodieren wenig Ähnlichkeit hat. Aber verdammt sei mein Unstern! Denn ich komme gerade zurecht, um die widerwärtigen Sänger über den Hang hinunterlaufen zu sehen. Sangen sie vor Eurem Fenster, Monna Lucia?« In seinen Augen lodert es drohend.

»Ja,« gesteht sie offenherzig und doch gekränkt.

»Wer sind die Leute?« jagt es aus seiner Brust.

»Ich weiß es nicht.«

»Ihr wißt es,« stammelt er, und sein Fuß stampft auf den Boden.

»Bei Santa Lucia, ich weiß es nicht.« Ihr Blick wird noch schattenvoller. »Ascanio, was wühlt Ihr Euer Herz unnötig auf? Besinnt Euch doch. Hab ich Euch je Anlaß gegeben, an meiner warmen Empfindung zu zweifeln? Loderte nicht jeder meiner Blicke – o erlaßt mir die Unterstreichung des Selbstverständlichen. Euer Weg zu mir sollte doch von Verdächtigungen unbeirrt sein. Kann ich dafür, daß fremde Jünglinge –«

»Ihr saht sie, spracht sie?« flammt sein Eifer auf.

»Sie standen drüben bei der Hecke, die Gesichter im Schatten –«

»Woher wißt Ihr, daß es Jünglinge waren?«

»Die frischen Stimmen – das Brunettalied –«

20 »Von Poliziano? Das ist mehr als verdächtig. Sie hatten den Auftrag zu singen?«

»Sicherlich – aber von wem?«

»Das eben frage ich Euch.«

»Sie verweigerten mir den Namen, Unerbittlicher.«

»Wasser auf meine Mühle! Warum forschtet Ihr darnach? Es wäre Euch besser gestanden, Sang und Sänger zu verachten.«

»Ghitta sprach mit ihnen, nicht ich.«

»Die Katze freut sich an den Heimlichkeiten. Ihr solltet die brave Zittella mit würdigeren Aufträgen bedenken.«

Da setzt Lucia ein Schmollmäulchen auf. »Vielleicht mit dem Auftrag, Euch künftighin, wenn Ihr schlecht gelaunt seid, nicht mehr vorzulassen?«

»Lucia!« Gequält von Eifersucht, ergreift er ihre Hand. »Wißt Ihr nicht zu deuten, was in mir überläuft?«

»Denkt weniger an mich –« fordert sie ihn heraus.

»Das heißt mein Herz mit tausend Dolchen verwunden. Verlangt von der Sonne, daß sie nicht mehr glühe, vom Regen, daß er nicht mehr nässe. Nicht an Euch denken? Ihr seid grausam und wißt es nicht. Lucia, nehmt alles nur in allem: ich liebe Euch – dich! Und nun fordere noch einmal, daß ich nicht an dich denke. 21 Meine Lucia!« Er zieht die warmen Händchen an sich, hebt sie an seine Lippen, reißt mit überströmendem Gefühl das ganze bebende Menschenkind an sein Herz und versengt die glutgeschwellten Lippen mit seinen Küssen. Willig, dem Jubel des Augenblicks hingegeben, liegt Lucia an seiner Brust, von den seligen Schauern des jungen Glücks gepackt. Vergessen ist seine Heftigkeit, der Grimm seines Eiferns. Die Zeit scheint stillzustehen über dem jubelnden Erleben.

Da reißt ferner Lautenklang die Taumelnden auseinander. »Hörst du's wieder?« Ascanio überfällt die alte Qual.

»Sie singen doch weit weg, im Abzug begriffen. Wie kann man nur so eifern? Bin ich nicht dein? Ist nicht jeder Nerv nach dir gespannt, Liebster? Komm, da ruh dich aus, ich will deinen geruhigen Atem gehen hören, Frieden aus deiner Brust strömen sehen.«

In seligem Verschmiegen durchtaumeln sie Augenblicke wonniger Bedrängnis. Ascanio blickt ihr tief in die Augen. »Wann wirst du mein sein, Lucia?«

»Wenn du Aufträge bekommst, wenn du dein Malerheim haben wirst, dann will ich zu dir kommen. Dann bring ich dir meine Schätze mit, die mir Mutter hinterlassen. Mach keine dunklen Augen. Ich leide sehr an dem Schicksal meiner Mutter. Aber waren es die schlechtesten 22 Menschen, die sich rühmten, ihre Liebe besessen zu haben? Sadoleto, Beroaldus, Bandello eiferten um ihre Liebe –«

»Und Sadoleto schlug die andern aus dem Feld.«

»Sie hat ihn sicherlich am meisten geliebt, wiewohl er Untugenden genug hatte und noch hat. Ich wäre froh, sein Kind zu heißen, aber es breitet sich allzu viel Dunkel über meine Herkunft aus. Nie hat mir meine Mutter das Geheimnis meiner Geburt enthüllt. Und sie wird ihre Gründe gehabt haben.« Sie reißt sich aus den trüben Gedanken los. »Schmieden wir lieber an unserer Zukunft. Deine Aufträge?«

»Der erste ist da.« Ascanios Augen glänzen. »Ich soll eine heilige Margarete malen, im Felsental, wie sie dem Drachen das Haupt zerschmettert.«

»Für wen?« fragt Lucia glücklich.

»Für den Kardinal Petrucci.«

Wie von der Tarantel gestochen, fährt Lucia in die Höhe. »Für ihn?«

Ascanio blickt bestürzt. »Was erschreckt dich? Was hat der Kardinal, sein Auftrag mit dir zu tun?« Sein Blick streift sie argwöhnisch.

»Es ist nichts,« sucht sich Lucia aus der Verlegenheit zu retten. »Du kennst den Kardinal näher?«

»Ein stattlicher, leutseliger Herr. Noch jung, 23 fast überjung für sein Amt. Sein Bruder beherrscht Siena, er wird von vielen Geschlechtern bekämpft.«

»Er selbst aber?« drängt Lucia.

»Ein leidenschaftlicher, wie man sagt, recht irdisch eingestellter Feuerkopf, schnell für das Schöne begeistert, aber auch sehr schnell gesättigt, wenn neue Freuden winken. Nicht sehr gut angeschrieben beim Papst Leo, wiewohl er für sein Tuskulum auf dem Quirinal manche Vase von ihm zum Geschenk erhalten hat. Sein Haus beherbergt gern Gelehrte und Künstler. Sadoleto, Flaminio, Bembo, Sannazaro, Fracastore, Navagero, der junge Jovius – ich nenne nur die besten Namen – gehen bei ihm ein und aus, in seinen Gemächern prangen Statuen, Teppiche, Münzen, Gemmen, alles in so reicher Fülle, daß selbst Gorycius, der deutsche Prälat, einer der größten Sammler, ihn um die Schätze beneidet. Bei Petrucci und seinem engsten Freund, dem Kardinal de Sauli, der gleich ihm ein eifriger Handschriften- und Antikensammler ist, findet man die erlesensten Genüsse. Petruccis Haus steht jedermann offen, der es mit der Kunst ernst meint. Auch Maler und Bildhauer wetteifern um seine Gunst, er ist freigebig, urteilt durchaus geschmackvoll, versteht griechisch, und das Volk liebt ihn ob seiner Leutseligkeit. Nur – eines befleckt seinen Charakter. Seine Liebe zum Weib 24 geht nicht immer reine Wege. Seine Unbesonnenheit, sein heftiges Temperament und sein halb heidnisches Denken machen ihm viele Feinde.«

Lucia blickt finster. »Seine Liebe zum Weib –? Er – ein Kardinal –«

»Er hat viele Gleichgesinnte. Bibbiena, Riario, Soderini, Farnese und viele andere Kirchenfürsten schielen während des Brevierlesens nach irgend einer heidnischen Handschrift, die ihnen die Weisheit des Aristoteles oder die Frivolität einer Plautus-Szene übermitteln soll. Auf dem Esquilin hat der Kardinal von Sion in seinem Palast geradezu eine Heimstätte für griechische Gelehrte geschaffen, und Laskaris hat dort eine Akademie gegründet, ähnlich jener platonischen in Florenz, deren Stifter der große Lorenzo de Medici war, der Vater unseres Papstes. Und dieser Papst selbst – kein Prälat kann sich entsinnen, von Papst Leo X. jemals mit einem heiligen Buch in der Hand empfangen worden zu sein. In seinen Zimmern stehen die griechischen Statuen und liegen die Handschriften des Plato mit einer Selbstverständlichkeit da, die schon manchem frommen Kleriker ein Kopfschütteln verursacht hat. Leo liest Plato lieber als den Paulus, und ein anakreontisches Lied geht ihm leichter aus der Kehle als das Miserere. Wenn es allein nach ihm ginge, würde er den Kardinälen alle ihre Altertümer abgekauft haben. 25 Aber die päpstliche Schatulle ist leer, und der Papst sinnt selbst bei Nacht, wenn ihn seine Fußfistel nicht schlafen läßt, wie er sich neue Geldquellen öffnen könnte.«

»Ja, Campanus, der Poetiklehrer meiner Mutter, sagte unlängst, die drei Jahre seiner Herrschaft haben aus Leo noch immer keinen Papst machen können.«

»Wohin verirren wir uns? Der Name Petrucci riß dich vorhin aus dem Sessel –«

Lucia spielt verlegen mit der goldenen Busenspange, einem Geschenk des gelehrten Sadoleto. Sie möchte reden, und doch verschließt die Bangnis, ihn wieder in Harnisch zu werfen, ihr den Mund. Endlich faßt sie Mut. »Vergib – es ist nur eine Vermutung, Ascanio – jene Serenata, die eben verklungen ist –«

Da fährt er schon in die Höhe. »Serenata? Petrucci? Er sollte –?« Er geht mit Gewaltschritten auf und ab. »Wer gab dir den Gedanken ein?«

»Ich selbst. Seine Blicke verfolgen mich da und dort mehr als ziemlich.«

»Nur seine Blicke? Und sein Gesang?«

»Die Serenata war der erste Schritt, mit dem er mehr als bisher wagte.« Lucia atmet befreit auf. »Nun weißt du alles.«

»Es ist wenig genug. Der Kardinal –! Die Möglichkeit allein bringt mein Blut in Wallung, 26 und ich – nein, nein, nein – der leichtblütige, unfromme Wildling, als der er in den Herzen der Damigellen west, er und gerade er gefährlich in deine Nähe gerückt! O jetzt lichtet sich manches, was früher dunkel schien. Als mir der Kardinal den Auftrag gab, die Heilige zu malen, bat er mich, das schönste Modell auszusuchen, das Roms Mauern bergen. Dabei sah er mich mit einem beziehungsvollen Lächeln an, das ich damals nicht zu deuten wußte, das mir aber jetzt von einer grausamen Sonne bestrahlt wird. Er weiß, daß ich dich liebe und daß, wenn er mir die Wahl des Modells ließ, diese Wahl auf dich fallen müßte. Er will so zu einem Bild von dir kommen und ich selbst soll ihm deine Schönheit in effigie zuführen. Ganz Rom kennt den Kardinal und weiß, wessen er fähig ist. Eine Heilige will er gemalt sehen und eine Buhlerin macht sein lüsterner Geist aus ihr. Selbst die Schändung im Bilde macht mich wirbeln. Er soll nicht frohlocken. Ich male einen andern Kopf.«

»Das bitte ich dich vom Herzen, Ascanio. Aber nun geh. Gianpietro führt mahnend dein Maultier auf und ab, er will selbst den Schein eines Verstoßes gegen den Anstand meiden. Er ist wie ein Vater zu mir.«

Ascanio nimmt zärtlich von ihr Abschied. »In Trastevere kenn ich ein schmuckes Ding, das soll mir zu dem Bilde stehen, Arlesa Dolti heißt sie, 27 schön, aber käuflich. Der Speer in ihrer Hand wird sie heldenhafter machen als sie ist. Es ist nicht das erstemal, daß eine Verworfene als Heilige prangt. Giulia Farnese, die Buhlin des Papstes Alexander, schmückt eine Stanze des Vatikans als Madonna und lächelt süß auf alle Kardinäle herab. Die heilige Arlesa aus Trastevere braucht nur ihre Herbheit zu bewahren und sie wird sicherlich als Heilige am Kardinal Petrucci ihre Wunder wirken. Leb wohl!«

Noch immer erregt, stampft er aus dem Zimmer. Lucia winkt am Fenster dem Davonreitenden nach. Ein Alp ist von ihrer Brust gefallen. Sie geht zu Bett, kniet noch im schneeweißen Hemd vor dem Gekreuzigten nieder, und befiehlt ihre junge Seele dem Schutz der Mater dolorosa.

Tiefer Schlaf umfängt sie bald. Sie hört auch den leichten Hufschlag eines Pferdes nicht, das jetzt eine schlanke, jägerartige Gestalt auf der Straße vor ihrem Fenster vorbeiträgt. Der vornehme Herr im Sattel blickt zu den Fenstern des Landhauses hinauf, mustert die Fassade und scheint einen trüben Gedanken zu verscheuchen, denn seine Linke fährt unmutig über die Stirn.

Beinahe lautlos, wie mit verbundenen Hufen, setzt sich das Pferd, das einen Augenblick stehengeblieben, wieder in Bewegung. Einem Schatten aus dem Orkus gleich zieht der Reiter an dem Haus vorbei, dessen Mauern bleich durch den 28 Dämmer schimmern. Rechts von ihm in der Tiefe baden sich die Dächer und Kuppeln Roms noch immer im fließenden Silberlicht. Über der Stadt scheint in eherner Ruhe die Zeit stillzustehen. Von Santo Spirito schallt der Wächterruf herüber.

 


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