Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Zwölftes Kapitel

Kardinal Bandinello de Sauli führte seine eben angekommenen Freunde Adriano da Corneto und Francesco Soderini in ein abgeschiedenes Zimmer seines Landhauses auf dem Monte Pincio. Der Genuese, ein Freund der Wissenschaften und Künste, war gar prunkvoll eingerichtet. Mächtige Türvorhänge schlossen das Gemach nach außen ab. Die Wände schmückten Bilder von Raimondi, Giovanni da Udine, Sanseverino und Fra Gioconda, die Stuckdecke war reich vergoldet und mit mythologischen Szenen geziert, es gab korinthische Säulen und Pilaster, zwischen denen Statuen der Persephone und des Hades den Besucher blendeten. Auch eine 168 Sammlung von Edelsteinen und Gemmen befand sich in einer Ecke, und auf dem Tisch prangte mailändisches und florentinisches Ziergerät, Vasen, Glasschalen, Kästchen mit Intarsien und sonstiger Kleinschmuck. Die Bibliothek nahm eine ganze Wand ein. Von den Fenstern hatte man einen weiten Blick über Rom, im Hintergrund schimmerten die Albanerberge im Sonnendunst, der Monte Cavo hob sein stolzes Haupt bis in eine goldne Wolke hinein.

»Setzt Euch, meine würdigen Freunde, Petrucci muß jeden Augenblick hier sein. Riario wird wahrscheinlich wieder der sprechlustige Goritz aufgehalten haben, der sich schon zum Fest der heiligen Anna rüstet und die Verse der römischen Reimschmiede lächelnd entgegennimmt.«

Der gelehrte Deutsche hatte auf dem Kapitol seine reizende Villa, wohin er am Sankt-Annen-Fest eine große Zahl von Literaten und Künstlern lud, um mit ihnen bei reich besetzter Tafel das Fest der von ihm besonders verehrten Heiligen zu begehen. Vor kurzem hatte er in San Agostino eine Kapelle bauen lassen, in der die Marmorgruppe der Madonna und der heiligen Anna, ein Werk des Sansovino, viel Aufsehen erregte. Er hatte schon unter sechs Päpsten gelebt und war sozusagen der geistige Rektor der römischen Akademie.

»Von da seht Ihr das Dach seines Hauses,« 169 sagte Soderini, der sich schon an dem kühlen Sorbet erquickte, den ihm ein Diener gereicht hatte. »Goritz ist ein wunderlicher Kauz, doch eigentlich kein Italiener. Seine Kunstliebe aber stellt ihn in unsere Reihen.«

»Sadoleto liebt ihn besonders, der weise, liebenswürdige Büchernarr,« sagte Adriano, der selbst viele Kunstschätze besaß. »Er steckt jede freie Minute bei ihm.«

»Ihn und Bembo, die Unzertrennlichen, werdet Ihr immer, wenn nicht beim Papst, so bei Goritz treffen. In ihren Zimmern sind sie jedenfalls nicht so zu Hause wie bei dem Luxemburger. Ah, da kommt Riario.«

Der Neffe des früheren Papstes Julius II. und jetzige Vizekanzler des Heiligen Stuhls schritt, noch immer elastisch, heran, wenngleich er etwas hinkte. Sein weltmännisches Gehaben war beinahe fürstlich zu nennen, seine Erscheinung hoheitsvoll, sein immer ernstes, fast müdes Gesicht stets bleich, und seine Bewegungen gingen über ein gewisses Maß fast nie hinaus. Er war ein Feinschmecker. Drum ging ihm auch de Sauli gleich mit dem Obstteller und dem Sorbetbecher entgegen. Der Kardinal dankte, schnitt einen Pfirsich entzwei, schlürfte den Fruchtsaft und machte einen tüchtigen Schluck. Dann lüftete er das Kollare. »Was ist das für ein Einfall des Petrucci?« fragte er mit etwas 170 schnarrender Stimme. »Und warum ist er noch nicht da?«

»Sicherlich wollte er Euch den Vortritt des Erscheinens lassen,« lächelte Soderini leichthin.

Riario lehnte sich tief in den weichen Sessel zurück. »Euer Sorbet schmeckt vortrefflich. Ich erinnere mich eines mamertinischen Weins, den Ihr mir einmal kredenztet –« Er schmeckte genießerisch mit der Zungenspitze an der Lippe.

»Gewürzt mit Anis und Melonensaft, ja, ja, Ihr kamt damals nur schwer aus dem Sessel.«

Riario wurde wehmütig. »Tempi passati! Austern, Pilzfrittata, Hasenragout, Pfeffersoße, – ach, die Ärzte sind unnachgiebige, lausige Patrone.« Und er schwärmte von der glücklichen Zeit, da sein verschwenderischer Oheim Pietro Riario im Laufe von zwei Jahren die stattliche Summe von zweihunderttausend Golddukaten verpraßt hatte, und von seiner eigenen Lernzeit bei ihm, aus der für sein Leben die leidige Liebe für alle materiellen Genüsse entsprungen war. In seinem Palast auf dem Campo di fiore roch es stets nach knusprigem Braten und Backwerk, und in den Gängen drängten sich die genießerischen Prälaten, Protonotare, Auditoren der Rota, Kämmerer und Sekretäre, hohe und niedrige Kleriker, die bei ihm die Vesper nahmen und von seinem Reichtum schmarotzten.

Da hielt unten die Kavalkade des Kardinals 171 Petrucci, fünfzehn Begleitpersonen saßen zu Pferde, die Tiere waren mit vergoldetem Leder gezäumt, die scharlachroten Schabracken, am Rande mit Silberfransen geziert, hingen tief an den Seiten herab, und als der Kardinal jetzt allein abstieg, salutierten die Reiter stramm, machten flink kehrt und trabten davon.

Leuchtenden Auges begrüßte de Sauli den Ankömmling. »Ihr wärt sicherlich früher gekommen, hätte ich Euch einen Damenflor in Aussicht gestellt.«

»Stünden die Schönen hier,« lachte Petrucci gezwungen, »ich hätte Euch bewiesen, daß die Tage, da Petrucci sich an dem Weibe erholt, vorüber sind.«

»Oh, dann gibt es nur eine Erklärung für dieses Phänomen, Petrucci ist heillos verliebt,« sagte Adriano. »Er hat sich von den Weibern zum Weib geflüchtet.«

Der Sienese furchte die Stirn. »Nichts davon,« sagte er abwehrend. »Doch bin ich noch immer mit Baccadelli der Ansicht, daß Freudenmädchen der Welt nützlicher sind als Nonnen.« Er neigte sich über den Zederntisch. »Sorbet? Unser Geschäft würde Nemiwein besser sekundieren.«

»Ich lasse mich nicht spotten.« De Sauli schellte. »Einen Humpen Nemi für den Kardinal Petrucci!« Der Diener lief ab.

172 »Wie schnell Eure Exzellenz begreifen! Ich danke Euch, noch bevor ich den Wein gekostet. Dann aber entfernt alles Lakaiengelichter. Meine Sprache soll unerhört und ungehört klingen.«

»Es ist Auftrag gegeben.«

Der Diener stellte den venezianischen Kelch vor den jüngsten Gast hin und schloß knarrend die Flügeltüren.

Da stieß de Sauli mitten in die Dinge hinein. »Das alles sieht nach einem Komplott aus.«

»Ich bin nahe daran, den Verstand zu verlieren,« antwortete Petrucci.

»Versteh ich recht, so sollen wir Euch helfen, ihn wieder zu gewinnen,« scherzte Adriano. Dann aber ernst: »Wir wissen, Euer Geschlecht wird verfolgt, verjagt –«

»Und meine Not heißt Schweigen! Es geht um nichts mehr und nichts weniger als um meinen Kopf.«

»Ihr übertreibt, Petrucci.« Soderini legte ihm die Rechte auf die Schulter. »Wir hatten es in Florenz mit Ähnlichem zu tun. Als die Medici aus der Verbannung zurückkamen und mein Bruder Piero auf sein Gonfaloniereamt verzichten mußte, glaubten wir schon, die Soderini wären samt und sonders verloren, und siehe da, der vertriebene Bruder erfreut sich nun der Gunst des Papstes und lebt unbehelligt in Rom. Man hat unser Vermögen nicht angetastet, man hat mich 173 als Kardinal nicht unwürdiger behandelt als die andern.«

»Bei Euch lag's anders. Raffael Petrucci, mein Vetter und Feind, bisher Vogt der Engelsburg, und jetzt Tyrann von Siena, hat im Namen des Papstes das furchtbare Amt übernommen, die übrigen Petrucci auszurotten und ihre Reichtümer für die Datare der päpstlichen Kammer einzuziehen. Unser Hab und Gut soll herhalten, die durch die Verschwendungssucht Leos geleerten Kassen zu füllen, wir sollen mit unserm Gold helfen, den Petersdom zu bauen, die päpstlichen Truppen zu erhalten, die Urbino erobern sollen, unser Reichtum ist das Weckmittel, das Leo aus dem bösen Traum helfen soll. Bisher haben die Reste des Papstschatzes, den Julius II. hinterlassen, ausgereicht, um die freigebigen Hände Leos immer wieder zu füllen. Nun ist auch der zu Ende. Während sich die Kardinäle in ihren Palästen gütlich tun, die Schmeicheleien der Poeten anhören, ihre Tafeln mit den Kostbarkeiten der Gastronomie decken, bei Lironen- und Violenklang ihre Phrynen tanzen lassen, akademische Freudenfeste feiern, Atellanen und plautische Komödien aufführen und ihre Kavalkaden zu den päpstlichen Jagden entsenden, sinnt Leo darauf, wie er denselben Kardinälen der Reihe nach die Güter einziehen könne, um mit ihnen den Fundus der Medici zu vergrößern. Die 174 Reihe der Entäußerungen hat mit mir begonnen. Wer kann sagen, wo sie fortgesetzt wird? Morgen kann Corneto, Riario, Soderini, de Sauli drankommen, und wir schauen zu und lassen uns rupfen. Das nächste Opfer der Papstgier ist Urbino geworden. Die päpstlichen Truppen sind im Anmarsch auf das Ländchen –«

»Ja, man hört's aus der Kriegskanzlei Seiner Heiligkeit,« wirft Soderini dazwischen, »Giulio de' Medici, der Führer des Mediceerschiffes, wagt alles und ist der böse Dämon des Papstes. Lorenzo ist als Feldhauptmann der Kirche bestimmt, Urbino zu erobern und einen toskanischen Staat zu errichten, der die beiden Meeresküsten verbinden soll. Zwölftausend Mann Fußvolk, je eintausend schwere und leichte Reiter sind bereits unter Lorenzo gegen Urbino vorgerückt –«

»Es ist wahrhaftig eine Okkupation im Gang,« berichtet Adriano, »Vitello greift von La Molo aus an, Baglione von Perugia geht langsam, aber alles verheerend über die Straße von Gubbio vor. Francesco Maria wird schweren Herzens bald seine Städte ausliefern müssen.«

Petrucci schlägt mit der Faust auf den Tisch. »Und wir schmausen und pflegen den Bauch, zelebrieren Messen, hören aufgeblasene Dichterlinge an, sammeln Bücher und Gemmen und geben dem Papst Zeit, uns die Kehle 175 zuzuschnüren und sich mit unserm Erworbenen zu bereichern. Der erste, der nach mir daran glauben muß, wird Riario sein.«

Der bleiche Kardinal erschrak. »Wie kommt Ihr auf diese wahnwitzige Idee?«

»Der Papst kommt darauf, nicht ich. Habt Ihr nicht unter den Borgia gelebt? Und er auch? Er ist der gelehrige Schüler der Natternbrut, und ich sehe schon den Tag kommen, da die Karren vor Eurem Palast vorfahren werden, Eure Antiken, Bilder und Bücher aufzuladen und nach dem Vatikan zu führen. Ich weiß nicht, wo Ihr die Leibwache hernehmen werdet, die Euch selbst vor dem Zugriff des Papstes schützen soll.«

»Ihr versteht entsetzlich zu malen,« erschauerte Riario und suchte an einem neuen Schluck Sorbet Stärkung. »Ihr meint wahrhaftig, daß dieser gutmütige Papst –«

»Mehr mütig als gut,« fiel de Sauli ein. »Leo reizt die Mächte gegeneinander auf, Frankreich gegen den Kaiser, und umgekehrt, Frankreich gegen Spanien und wieder umgekehrt, die Schweizer besoldet er und gibt sie wieder auf, die Franzosen will er aus Mailand vertreiben, aber nicht, um die Stadt dem Sforza zu geben, nein, es spricht sich herum, der Kardinal Medici soll der Herrscher Mailands werden. Hat er es erst in Händen, ist es ihm ein Leichtes, von dort aus im Verein mit Toskana und dem Kirchenstaat Neapel 176 anzugreifen. Die kleinen Staaten aber bekämpfen einander, und Leo begünstigt bald diesen, bald jenen, hetzt sie skrupellos aufeinander und treibt Schacher mit dem Besiegten.«

»Welch ein Herr der Christenheit!« empört sich Petrucci. »Dabei hat Giulio die Stirn, die verruchte Regierung des Heiligen Vaters mit jener des Numa zu vergleichen, der auf Romulus folgte, welcher wieder dem Julius II. verzweifelt ähnlich sah. Der ganze Hof ist antichristlich, heidnisch, verderbt, verfault –«

»Ich bin so unbescheiden und nehme mich nicht aus,« setzte Riario etwas verlegen hinzu. »Wir sind nun einmal in dieser verpesteten Atmosphäre aufgewachsen, es geht uns gut dabei, wir können nicht über materielle Mängel klagen, und was die Seele anbelangt, nun, sie ist ein gar umstrittenes Ding, um das sich Theologie und Philosophie streiten und mit dem sich in einer Predigt viel, auf wissenschaftlichen Kathedern aber wenig anfangen läßt. Zugegeben, wir sind alle ein bißchen heidnisch veranlagt, betrachten das Heidentum als ein gelobtes Land –«

»Und verlieren dadurch unsern Glauben, während das Volk abergläubisch wird,« warf Adriano ein, der ein gescheites Buch über de vera philosophia geschrieben hatte, und es wissen mußte. Er hatte darin Plato und Aristoteles verdammt und der Seele Heil nur in Petrus und Paulus erschaut.

177 Soderini knetete sich behaglich die Finger. »Ja, das liebe Heidentum! Hat doch sogar Bibbiena dem Herrn Erasmus von Rotterdam beweisen wollen, daß zwischen der Seele des Menschen und der des Tieres kein Unterschied bestehe. Heidentum, wohin wir in unsern Kardinalskreisen blicken.«

»Ich beabsichtige durchaus nicht, das Elend der Kirche und ihrer Verweser zu beseitigen,« ereiferte sich Petrucci, der noch immer wie ein Löwe auf und ab ging. »Dazu gehören sittlich strenge Reformatoren, die schwerlich unter den geistlichen Hirten zu finden sein dürften.«

»Denkt an Savonarola!« unterbrach ihn Soderini.

»Er wurde gehenkt und verbrannt, und die lasterhafte Kirche besteht weiter. Leo würde über einen zweiten Savonarola gerade so lachen wie Alexander über den ersten gelacht hat. Und er würde ihn genau so henken lassen. Vorderhand genießt er freilich lustig seine Jagd, vernachlässigt die kirchlichen Andachten, liebt den Falken mehr denn das Aspergill und lacht über das Volk, das an das ›Märchen‹ von Jesus Christus glaubt. Und niemand nimmt ihm diese Schamlosigkeit übel. In seiner Staatskunst ist Verrat sein ständiges Requisit. Drum frage ich Euch, meine Brüder in Christo – warum sollte man dieses Requisit nicht als Waffe gegen ihn selbst anwenden?«

178 Alle sahen einander an. Endlich raffte sich Soderini zu einer Entgegnung auf. »Ein furchtbares Wort. Wie stellt Ihr Euch das vor?«

Petrucci goß den schweren Nemi hinunter. »Wir müssen – erschreckt nicht, Kardinäle – das Wort muß an den Tag – wir müssen den Papst beseitigen!«

Die Herren sitzen mit bleichen Gesichtern da. Riario zittert. Man hört den Atem gehen, spürt die Dumpfheit der beängstigenden Stille.

Endlich erhebt sich de Sauli. »Eure Leidenschaftlichkeit, Euer Temperament, Eure Jugendlichkeit und Unerfahrenheit sind schlechte Reisegesellen auf Eurem priesterlichen Weg. Ich habe Euch lieb, Petrucci, habe Euch da und dort unterstützt, wenn es irgendwie schief ging, Ihr bekamt manchen gutgemeinten Rat von mir, und ich kann in diesem von der stickigen Atmosphäre des Hasses erfüllten Augenblick nichts anderes sagen als: Ich warne Euch!«

»Mit dieser Warnung ist weder dem Papst noch mir geholfen. Es gilt zu handeln oder sich ergeben in die Reihe der nächsten Opfer einzureihen.«

Nun erhob sich Soderini. »Ihr habt fast in allem recht, Petrucci. Leo ist ein Schlemmer, Prasser, ein Verächter der Armut. Er ist aber auch ein Freund der Gelehrsamkeit und der Kunst, sein Schöngeist beschützt Gelehrte, 179 Poeten, Maler, Bildhauer, Kupferstecher und Drucker –«

»Das Verdienst, sie entdeckt zu haben, gebührt nicht ihm,« sagte Adriano geringschätzig, »sondern Julius II. Vergeßt nicht, Leo lebt von den Künstlern.«

»Zugegeben, aber auch das Bekenntnis zu Kunst und Künstlern ist an und für sich schon eine Sache, deren Anwalt nicht jeder Papst war.«

De Sauli beruhigt die erregten Gemüter. »Wir irren von dem Gegenstand ab. Petrucci hat in vielem recht. Ich möchte noch hinzufügen, daß die sogenannte Güte des Papstes, mit der seine Lobredner schnell bei der Hand sind, im Grunde nur Schwäche ist. Und selbst seine angebliche Gelehrsamkeit trägt nicht den Stempel adeliger Herkunft. Aber um zur Sache zu sprechen: Was Petrucci uns da rät, grenzt an Verbrechen. Und nur der Gedanke ist noch straffrei. Den Papst beseitigen? Wie das? Mit welchem Recht? Haben wir ein Mandat?«

»Es müßte erworben werden,« setzte sich Petrucci für sein ungeheuerliches Ziel ein. »Sind wir denn die einzigen Unzufriedenen im Kollegium? Seht euch doch um. Ihr zieht nicht allein an dem schweren Wagen. Der Kardinal von Sion, der von York –«

»Ach, Ihr zielt auf die verweigerte Demütigungszeremonie, als die beiden von Frankreich 180 zurückkamen,« sagte Soderini. »Ich weiß, die beiden tragen seit dieser Zeit einen Stachel in ihren Herzen.«

»Nicht sie allein. Sanseverino und Cavajal, die sich auf Frankreichs Seite gestellt hatten und nach ihrer Rückkehr unter den schmachvollen Unterwerfungsszenen fast zusammenbrachen, weil sie nicht den Mut aufbrachten, sie abzulehnen. Sie werden die Schmach nie vergessen. Wir wollen sie an die Stunde der Demütigung mahnen, da sie die päpstliche Vergebung höher einschätzten als ihre Ehre. Mein schürfendes Wort wird Reue in ihre Brust werfen und sie werden die Unsern sein.«

»Und das Wie Eures Planes?« forschte etwas bedrückt Adriano.

»Wir müssen alle mißvergnügten Kardinäle für uns gewinnen, wir nötigen sie zu einer Neuwahl, wir setzen den Papst ab.«

»Das geht nicht an,« entrüstet sich Soderini. »Die Welt würde den Atem anhalten.«

»Sie würde befreit aufatmen, wenn ein würdigerer Mann käme!«

»Und dieser Mann?« fragte Adriano da Corneto atemlos.

»Wäre Raffaello Riario,« wirft Petrucci seinen Trumpf hin.

Unheimliche Stille. Riario starrt bestürzt vor sich hin. Ein alter Traum fliegt wie ein Engel an 181 ihm vorbei. Vor drei Jahren war er nahe daran gewesen, vom Konklave der Kardinäle zum Papst gewählt zu werden. Man hatte damals unter den älteren Kardinälen eine Art Abrede getroffen, den pfründenreichsten Kardinal – und das war Riario – zu wählen, und dann dessen Pfründen gleichmäßig unter die Wähler zu verteilen. Der Papst wäre Riario schon willkommen, die Pfründenverteilung ihm aber zuwider gewesen, jedoch, er hätte als Papst sicherlich Mittel gefunden, sich für den Verlust reichlich schadlos zu halten. Damals verhinderten die jungen Kardinäle das schändliche Abkommen, und aus der von ihnen beeinflußten Wahl ging Giovanni de' Medici als Papst Leo hervor. Damals tobte sich das enttäuschte Herz des Kardinals Riario gegen den Medici in heimlichen Verwünschungen aus. Und nun scholl ein Hoffnungsklang an sein Ohr. Dieser junge, stolze Kardinal Petrucci dachte an ihn, den alternden Diener der Kirche, und es war immerhin möglich, daß sein Plan bei vielen andern ein Echo finden könnte. Gab es doch welche, die Leo durchschauten, denen seine Verschwendungssucht ein Loch in den eigenen Säckel gerissen hatte, die ihm aushalfen und dabei seine zweideutige Politik unterschreiben mußten. Andern wieder stach sein Nepotentum ins Herz, sein Grundsatz: Zuerst meine Familie, dann die Kardinäle. Sie hätten den Satz gern umgekehrt 182 gelesen. Kein Zweifel, daß Petrucci alles unternehmen wollte, um diese mißvergnügten Kardinäle auf seine Seite zu bringen.

»Ihr seht mich verwirrt,« gestand der bleichwangige Kirchenfürst. »Euer Plan – ein beleidigt Herz und ein Feuerkopf gebaren ihn – häuft viel Ehre auf mein graues Haupt. Er läßt sich mit dem ersten Feuerstrahl der Sonne vergleichen, die morgens über den Sabinerbergen aufgeht, er muß erst Kraft bekommen, sich im Gewölk der Hindernisse durchzusetzen. Was meinen meine Freunde?«

De Sauli sah die andern betreten an. Riario war für ihn eine unschädliche Puppe, eine stattliche Figur, die man zu gegebener Zeit lenken konnte. »Ein Pontifikat Riario würde der Christenheit willkommen sein.«

»Ich bin so ehrlich, das Interesse der Kardinäle über jenes der Christenheit zu setzen,« sagte Adriano schmunzelnd. »Die Christenheit glaubt uns sowieso kein Mensch.«

Soderini war leicht zu gewinnen. »Riario ist ein Gewicht im Kollegium. Die fleckenlose Vergangenheit, die Ehrwürdigkeit seiner Person, das Ansehen, das er bei den Römern genießt, sind lobenswerte Stützen des Vorschlags. Nur sehe ich noch kein Wie. Leo ist noch verhältnismäßig jung, seine Fistel kein Übel, das Schrittmacher für einen baldigen Tod sein könnte, an eine 183 Abdankung denkt er selbst zu allerletzt, und Gewalt – hm – meine lieben Freunde – Gewalt sollte doch aus dem Hirn eines Kirchenfürsten gestrichen werden.«

Petrucci machte eine heftige Bewegung. »Mit eurer Zustimmung allein ist nichts getan. Mein Plan steht und fällt mit dem Worte Gewalt.«

Die Kardinäle schweigen. Petrucci geht, Sturm in der Brust, zum Fenster, blickt auf das von Dämmerlichtern überschimmerte Rom. »Die Barone der Kastelle, säßen sie hier, würden anders denken. Sie griffen nach dem Banner der Freiheit und Rom stünde schon morgen vor einer neuen Papstwahl. Orsini, Colonna, Savelli, Gaetani, sie würden, riefe ich sie zum Sturm gegen dieses Pontifikat, durch ihre Trompeter Riarios Stimme durch die Gassen rufen lassen. Aber ihr seid freilich keine Barone, sondern armselige Kirchendiener, die mit gekrümmtem Rücken vor Seiner Majestät dem Löwen stehen und sich freuen, wenn er mit der Pranke nach ihnen schlägt.« Wut rötete sein Gesicht und die Stirnadern schwollen an.

De Sauli setzt sich für die andern ein. »Vergebt, mein freundschaftlich geliebter Kardinal, Euer beleidigtes Herz sprengt die Dämme der Höflichkeit. Wir sind bereit, der Ungerechtigkeit, die an Euch verübt wurde, entgegenzutreten, aber die Mittel, die Euer leidenschaftlicher Sinn 184 erdacht, können unmöglich unsern Beifall finden. Wir dürfen und können keine baronalen Schwerter schwingen, noch dazu gegen das Haupt der Christenheit, wir sind Bewahrer der göttlichen Satzungen, die zum mindesten, wenn auch von Menschen ersonnen, durch Gott gesegnet sind.«

»Und wenn der Papst diese Satzungen mißachtet, wenn er unwert ist, sich ihr Schirmherr zu nennen, wenn er seiner Diener lacht und selbstherrlich ihrer Rechte spottet? Dem Schänder des Gottesgesetzes ist niemand die Treue zu halten verpflichtet.«

»Wer aber bürgt uns,« fiel ihm Adriano ins Wort, »daß eine Absetzung Leos die Zustimmung der Christenheit, der Fürsten, der Kanzleien finden würde? Auch greifen wir der göttlichen Vorsehung in den Arm. Der Papst möge an seiner Mißwirtschaft selbst zugrunde gehen. Das Gericht Gottes kann heute oder morgen über ihn hereinbrechen. Er hat, ein erbärmlicher Nachahmer Julius II., jetzt Urbino angegriffen. Wer weiß, ob sich der Papst nicht mit seinem letzten Dukaten dabei erschöpft, ob er nicht gezwungen sein wird, abzudanken, vielleicht über den Willen der verbundenen Fürsten, die einen Angriff auf einen der Ihren nicht ruhig mitansehen dürften. Ob die Truppen Urbinos nicht unerwartet Verstärkungen bekommen werden – ich denke an Venedig, Ferrara – so daß ein 185 Sturm auf Rom nicht unmöglich zu sein braucht?! Wir brauchen diesen Möglichkeiten nicht durch eine Schändlichkeit vorzugreifen, die unsere Gesichter für immer zeichnen müßte.« Adriano sah mit warmen Blicken Petrucci an. »Hütet Euch vor einer raschen, unüberlegten Tat. Ein Erfahrener spricht zu Euch. Für mich war einmal das Gift der Borgia bestimmt, ich mußte vor zehn Jahren vor dem Zorn des zweiten Julius aus Rom fliehen, da ich kein Blatt vor den Mund genommen hatte. Ich weiß mehr als andere über Beleidigungen zu klagen. Aber ich muß klug handeln. Dem Weisen gibt Gott die Gesetze, dem Toren die Leidenschaften, sagt der Grieche. Wir werden das, was Ihr, Petrucci, in unser Herz gelegt, fest darin verschließen. Aber wir bitten Euch, Eure Gedanken nicht durch eine Abwegigkeit zu beschmutzen, die Euch ins Verderben stürzen könnte.«

Der warmherzige Ton machte auf Petrucci sichtlichen Eindruck. Er fühlte sein Herz heftig bewegt, er wollte zürnen, konnte aber nicht, denn der Freundeston überklang das wilde Dröhnen in seinem Herzen.

Auch Riario näherte sich ihm. »Um den Preis, den Ihr vorschlagt, will ich das Pontifikat nimmer erwerben. Wer weiß, welches Los uns Gott beschieden hat.«

»Vielleicht,« vertröstete Soderini den 186 Wildling, »bestimmt Urbinos Schicksal auch das unsere. Das Volk liebt seinen Fürsten. Die Montefeltri haben ihr Land mit Baudenkmälern überhäuft, dem Volk große Flächen für den Getreidebau gegeben, und dieser Rovere ist nicht einer der schlechtesten Fürsten – es wäre gut, wenn Ihr Euch mit ihm in Verbindung setztet.«

Ein Hoffnungsstrahl erleuchtete das Dunkel in Petruccis Brust. »Den Herzog geschmeidig machen, ihm die helfenden Hände vieler Kardinäle reichen, ihn versichern, daß sich die ehrenwertesten Männer mit ihm verbinden würden – o es tagt in mir, und die Sonne wird siegen. Ich schreibe noch heute an den Herzog nach Mantua.«

»Er soll wieder in Urbino sein, warf Soderini ein.

»So werden die Briefe doppelt ausgefertigt. Darf ich eure Namen nennen, meine verehrten Freunde?«

Riario sah ängstlich auf die andern, doch da er ihre zustimmenden Blicke zu erkennen glaubte, sagte er unbedenklich: »Unsere geistige Hilfe einem Bedrückten gegenüber können wir mit unsern Namen decken.«

Die Kardinäle hatten sich erhoben. Adriano hielt sie noch auf. »Ein Wort noch. Vielleicht verlangt Leo demnächst vom Kardinalskollegium die Zustimmung für sein grausames Verfahren 187 gegen Urbino. Dann rate ich, diese Zustimmung zum Schein zu geben, um ihn sicher zu machen.«

»Das soll geschehen,« sagte de Sauli, der jetzt die Freunde ins Triklinium zum Nachtmahl lud. Zwischen goldverzierten Wänden, auf denen die mythologischen Bilder römischer Maler hingen, zwischen dorischen Säulen, deren Kapitale Blumenfestons verbanden, stand die Abendtafel, gedeckt mit dampfenden Gerichten und Weinkrügen. Dem Kardinal Riario dufteten besonders die Bratwürstchen aus Pfauenfleisch in die Nase. Aus einer Nebenhalle erklang beim Eintritt der Kardinäle das Triospiel florentinischer Musikanten.

Über den Monte Pincio senkte sich die Nacht. Aus den Gemächern de Saulis strahlte der Kerzenschein in das Grün der Tamarindenbüsche.

Weder der Hausherr noch die Gäste ahnten, daß um diese Zeit Häscher des Kardinals Giulio de' Medici das Landhaus umschlichen und sich bei den Reitknechten, die die Pferde ihrer Herren hielten, nach den Kardinälen erkundigten, die hier geladen waren. Es geschah unauffällig und unverdächtig.

Als Riario spät nachts mit seinen Knechten nach dem Campo di fiore ritt, äugten ihm aus dem Buschwerk der lukullischen Gärten ringsum die mediceischen Spione nach, bezahlte Kreaturen aus den Kanzleien der Datare. 188

 


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