Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Elftes Kapitel

Ascanio Aleandi sitzt im Garten zu Füßen Lucias. Während das Mädchen selig verschwärmt und verliebt auf seinen schwarzen Scheitel blickt, liest er schillernde Verse des Ferraresen Ariosto, der beim Kardinal Ippolito d'Este als Hofsänger lebt und auch von Leo sehr geschätzt wird. Nun blickt Aleandi in die leuchtenden Augen seines Liebchens. »Du schweigst? Umso beredter sprechen deine Augen. Orlandos blutendes Herz macht auch das deine bluten. Man sagt, die Ferraresen wollen ihrem Dichter keinen Schritt außerhalb der Stadt gönnen, weil sie fürchten, daß er ihnen entführt werden könnte. Sein Kardinal bewacht ihn argwöhnisch und bezahlt ihn gleichwohl jämmerlich.«

Lucia streichelt über Ascanios Hand. »Sieh, wie schön die Sonne scheidet.« Über ihrem Blondhaar leuchtet eine purpurne Aureole, und der Garten, vollgesogen mit sommerlichem Blütenduft, liegt in rosigem Licht.

»Du warst wieder bei Calvo?«

»Man kommt immer gestärkt von ihm. Nun geht er wieder zu Raffael nach Rom zurück.«

»Raffael lernt viel von ihm. Die Erhabenheit seiner Ideen verdankt er ihm. Calvo hat aus Griechenland Antiken und Schriften der byzantinischen Archontiker mitgebracht.«

150 »Gestern,« schwärmt Lucia, »habe ich Raffael mit einer ganzen Schar seiner Schüler nach dem Kapitol ziehen sehen. Die Frauen sahen sich die Augen nach ihm aus, als er durch die Gassen ging.«

»Sie sind verliebt in ihn, ein einzig Lächeln von ihm beglückt sie. Aber, siehst du, Lucia, ich werde wahrscheinlich nicht mehr lang bei ihm lernen.«

»Du willst fort von ihm?« erschrickt sie.

»Ich verblute mich bei ihm. Er läßt uns nicht zur Sammlung kommen. Er selbst arbeitet spielend, tändelnd, mit der natürlichen Kraft des Genius. Aber wir andern kommen nicht nach. Ich brauche einen Meister, der sich mit mir beschäftigt, einen, der selbst mit seiner Kunst ringt, dem man den Schweiß der Arbeit ansieht. Raffael braucht nichts zu verarbeiten, es ist ihm alles gegeben. Ich ertrage es nicht länger, nur von seiner Sonne Strahlen zu leben. Die Marienbilder fluten nur so aus seinen Händen, aber sie lasten schon auf uns. Siehst du, mich drängt es, die irdische Liebe zu gestalten, ihr möchte ich meine Farben, meinen Silberstift widmen. Ich will zu Michelangelo.«

»Nach Florenz?« erschrickt sie noch einmal. »Zu dem Quälgeist, der sich selbst im Wege steht? Dem finstern Grübler?«

»Verdamm ihn nicht! Er ist ein irdischer Hephästus und schmiedet an sich selbst. Seine 151 Gestalten sind Titanen wie er selbst, er meidet die Anmut, die Raffaels Idol ist, aber aus seinen Leibern singt die Erde und ihre Urkraft. In der Sixtina verschlägt es einem den Atem, wenn man vor den gemalten Plastiken steht, vor seinen Propheten und Sibyllen. Wenn Raffael ein Engel ist, dann ist Michelangelo ein Gott.«

»Er soll wenig Schüler haben.«

»Aber die wenigen werden Meister werden. Bei Raffael bleibt man stets Trabant. Du – da fällt mir ein, wer ist der Mensch, den du da im Hause untergebracht hast?«

»Er gibt sich für einen paduanischen Astrologen aus, der Rom kennenlernen will. Er hat, sagt er, mit Leonardo da Vinci viel zusammengearbeitet.«

»Solche Leute verwirren die Köpfe der Gläubigen.«

»Verwirrt er nicht auch dein Herz?« lächelt Lucia. »Schon wieder eifersüchtig? In den Wind damit! Er ist ein drolliger Kauz, dabei häßlich wie Pasquino, aber seine spaßhaften Reden erheitern. Ei, da kommt er, und gravitätisch wie ein Flamingo.«

Nino Oltranto stiefelt in wiegendem Stutzergang durch den Garten und pfeift ein Lied. Wie er die beiden erblickt, bleibt er lächelnd stehen. »Wenn ich Maler wäre, ich machte Amor und Psyche daraus.«

152 Ascanio ist aufgestanden. »Der Maler wäre zur Stelle, doch dann fehlte Amor.«

»Ihr seid Maler? Ihr habt ein lieblich Herzensmodell gefunden. Eure Augen verschlingen, was Euer Herz liebt und so geht beim Maler die Liebe nicht durch den Magen, sondern durch die Augen. Glückliche Sehsterne, die so viel Schönheit fressen können.« Nino verbeugt sich galant vor Lucia.

»Ihr schwadroniert wie ein Schweizer Landsknecht,« lacht das Mädchen. »Wo habt Ihr Eure Instrumente? Es kommt die Nacht.«

»Ich habe aus Padua nur ein Fernrohr mitgebracht, es liegt zerbrochen beim Händler.«

»Wie lange wollt Ihr bleiben?« tastet die Eifersucht Ascanios an ihn heran.

»Nur einige Tage. Ich stecke hinter jedem Ereignis und sage es voraus. So ahnt mir zum Beispiel, daß dieses ehrenwerte Jungfrauenhaus bald hohen Besuch bekommen wird.«

Ascanio runzelt die Brauen. »Komischer Unsinn!« sagt er verächtlich. »Aus Mars und Tierkreis Konstellationen bilden – pfui Teufel, da wüßte ich mir was Besseres.«

Nino lächelt verschmitzt. »Das Horoskop ist ein freundlicher Warner.«

»Es macht verzagt, wenn's übel lautet,« sagt Lucia etwas ängstlich.

»Die Sterne stellen das Schicksal nicht in feste 153 Positur, sie zwingen nicht, sie warnen nur. Wer die Warnung in den Wind schlägt, klage nicht die Sterne an, sondern sich selbst.«

»Ihr zwitschert wie eine Elster,« lächelt Lucia. »Weissagt Ihr auch aus der Hand?«

»Das will ich meinen.« Und ohne viel zu fragen, greift er nach ihrem Händchen. »Herrliche Aspekte! Das schief gelagerte M, ein Glückszeichen sondergleichen. Der Venusballen rundlich und erhaben. Die Lebenslinie – ein wenig unausgeprägt. Aber da streicht schon ein hohes Zeichen mitten durch sie. Ja, da dieser feine Strich, wie ein Kreuzbalken legt er sich dazwischen. Da müßt Ihr vorsichtig sein. Ihr werdet durch ein kluges Benehmen Unheil in Heil wandeln können. Ihr müßt rückhaltlos einem Menschen vertrauen, der Euch gut gesinnt ist.«

»Bin ich's?« mengte sich der belustigte Ascanio drein.

»Ihr nicht,« wies ihn der listige Wahrsager aus der Bahn des Geschehens.

»Ihr seid wieder hier verzeichnet, diese Linie, etwas derb und zerrissen, sie weist auf Eifersucht und Ungestüm.«

Lucia lachte laut auf. »Du bist in meiner Hand zu sehen, Ascanio. Ich trage dich auf meinen Händen, und dann mußt du auch mich in den deinen tragen. Gib ihm die Hand.«

»Da – wo sitzt Lucia?«

154 »Hm – ich sehe etwas, was verstimmt. Es tritt wer anderer in Euer Revier, ein Feuerkopf, eine Stechpalme, eine Distel – ja, Ihr habt es mit einer Zittella zu tun, einer Altjungfer – o daß Gott erbarm! Aber Ihr schüttelt sie rechtzeitig ab, schnurstracks führt diese Linie in Eures Liebchens Arm, Venus segnet die Glücklichen.« Noch einmal ergreift er Lucias Hand. »Ihr liebt es, des Nachts auf der Seite zu liegen, Ihr müßt lernen auf dem Rücken zu schlafen, denn das ist die Stellung, in der ein Liebender aus tausend Gründen sein Mädchen am meisten bewundert. Die Seitenstellung gibt nur halbe Schönheit preis.«

Lucia schlägt ihm auf die Hand. »Pfui! Könnt Ihr nicht besser lesen?«

»Eure Liebe bleibt fest, damit segnet Euch der Himmel.« So führt Nino ein chiromantisches Lügengebäude auf und macht der schnellgläubigen Lucia das Herz schwer. Sie wird bald puterrot, bald bleich, je nachdem sich ihr Glück oder Unheil in den Weg wirft.

Die Sonne war gesunken. Nino empfahl sich mit umständlichen Verbeugungen und gab vor, mit einer wichtigen Horoskoprechnung beschäftigt zu sein, die ihn bis tief in die Nacht in Atem halten werde.

»Ich traue dem Schelm nicht,« sagte Ascanio, als sie allein waren. »Was er da zusammenschwatzt, ist Windbeutelei. Ich las in seinen Augen mehr 155 als er in meiner Hand. Leb wohl, Lucia. Ich muß heute noch im Refektorium der Franziskaner vorsprechen, ich soll dort ein Bild des Heiligen malen, wie er den Vögeln predigt. Es wird ein buntes Bild werden. Ja – daß ich nicht vergesse – du sahst den Kardinal nicht mehr?«

Lucias Augen verdunkeln sich. »Weder Kardinal noch Teufel haben bei mir etwas zu suchen. Oh, daß du schon gehen mußt!«

Er küßt sie innig. »Ich muß verdienen, um dich zu verdienen. Bald wird ein kleiner Schatz beisammen sein und dann ziehst du mit mir nach Florenz. Ich habe Granacci gebeten, sich nach einem Häuschen bei San Miniato für mich umzuschauen.«

Lucia jubelt auf. »Dann verkaufe ich alles hier und wir richten uns neu ein. Oh, wie du drängst!«

»Die Franziskaner warten. Leb wohl!«

Noch einmal streichelt ihn ihr Blick, dann biegt Ascanio um die Ecke, sein summendes Lied dringt noch lange durch das Gestrüpp.

Die Schatten des Abends legen sich um alles Grün. Lucia umwandelt noch einmal die Rosenrondelle, den kleinen Springbrunnen, wo die Malven leuchten, und übersinnt dabei die letzten Wochen. In ihr ist alles wieder eingerenkt, die hohen Wogen ihrer Angstgefühle sind verebbt. Der böse Hexentraum ist ausgeträumt, die Bellincona hat sich nicht wieder sehen lassen, und 156 Fabio Calvos sanfte Beredung hat ihr die Sündenlast vom Herzen genommen. Es ist, als wäre auch der Alp, den die lästige Verfolgung Petruccis auf ihre Brust gelegt, für immer verschwunden.

Leicht beschwingt betritt sie das Haus. Ghitta kommt ihr entgegen und geleitet sie wie immer zum Abendtisch. Auch Gianpietro nimmt daran teil. Es ist immer ein stilles Mahl.

»Der Tag war schwül,« sagt Ghitta, die Suppe austeilend. »Der da oben singt heute unaufhörlich.«

»Und er sagte mir, er habe eine Horoskopberechnung durchzuführen. Und nun tut er, als wäre er ein Pirol.«

Aus der Mansarde über Lucias Zimmer rollen fortwährend holprige Kapriolen in den Garten hinaus.

Plötzlich horchen alle drei auf. »Was war das?« ruft Gianpietro.

»Ein Hilfeschrei –« jagt Lucia empor. »Da – noch einer!«

Ghitta eilt ans Fenster. »Hinter den Sträuchern dunkelt die Nacht. Hört nur, Herrin – es ist, als fechte jemand.«

»Ja, ja . . . man hört die Eisen aneinanderschlagen.«

»Da wirft sich ein Schatten gegen unser Haus.« Gianpietro zeigt auf den Weg, der aus dem Buschwerk nach dem Tor führt.

157 »Ein Mann – er scheint zu wanken –« Lucias Herz klopft. »Es ist ein Unglück geschehen. Gianpietro, geh hinunter.«

Da hört Lucia auch die Stimme Ninos oben etwas rufen, doch kann sie die Worte nicht verstehen. Und nun sieht sie, wie Gianpietro dem fremden Mann auf dem Weg entgegengeht. Jetzt ist er bei ihm, spricht mit ihm. Er scheint verwundet zu sein. Da ist auch schon Nino an seiner Seite.

Bald darauf fliegt die Tür auf. Ein Schreck würgt Lucia die Kehle zu. Vor ihr steht der Kardinal, im Jagdgewand, mit blutender linker Hand. Er wirft seinen kurzen Degen auf den nächsten Stuhl. Er verneigt sich tief, preßt dabei die Rechte auf die Wunde. »Vergebt – Damigella – vergebt einem Menschen, der soeben das Opfer eines räuberischen Überfalls geworden. Meine Hand blutet – ein wenig Linnen – bitte ich Euch.«

»Exzellenz – o diese Ehre!« stammelt Ghitta.

Lucia steht reglos, vergißt, dem Verwundeten einen Sessel hinzuschieben.

Nino stürmt herein. »Ein accidente – Räuber in der Nähe!«

»Keine Angst,« beruhigt Petrucci die aufgeregten Gemüter. »Zwei Bravi haben mich überfallen, gedungene Lumpen. Vor meiner gerechten Klinge sind sie auf und davon. Nur einen Stich 158 hier auf der Linken konnte ich nicht verhindern.«

Ghitta bringt Linnen und Wein. Gianpietro und Nino mühen sich um den Verletzten, rollen ihm den Hemdärmel hinauf.

»Das ging knapp an der Ader vorbei,« sagt Nino, der sich den Anschein gibt, als kenne er den Kardinal nicht.

Ghitta und Gianpietro waschen die Wunde sorgsam aus. Der Wein macht sie brennen. Lucia steht hilflos beim Tisch daneben und vermag nicht einmal das Auge zu erheben. Angst schnürt ihre Brust zusammen, ihre Gedanken jagen in das Rätsel hinein, das sich aber schon in ihr langsam zu erhellen beginnt.

»Vergebt mir, Monna Lucia Impaggi,« entschuldigt sich der Kardinal, dessen Augen während der Verbandanlegung unausgesetzt die Schönheit der jungen Herrin abtasten. »Mein Ungemach bringt Verwirrung in dies ruhige Haus. Allein Ihr werdet begreifen, daß ich keine andere Zufluchtsstätte in der Nähe finden konnte. Sobald die Wunde verbunden ist, befreie ich Euch von meiner Gegenwart.«

Die Befangenheit Lucias begann sich zu lösen. Ihre Augen hoben sich vom Boden. »Ihr dürft bleiben, Exzellenz.«

»So kennt Ihr mich? Dies Gewand sollte meinen Stand decken.«

»Der Herr Kardinal Petrucci kann nicht 159 unerkannt durch Roms Gassen gehen,« sagt Ghitta mit gesenktem Blick.

»So – das Blut ist gestillt – der Verband sitzt. Der Eindringling bittet nur, noch einen Augenblick ruhen zu dürfen.«

»Ein Gast bleibe, solange es ihm beliebt,« sagt Lucia mit beengtem Atem. Sie weiß, was sich ziemt. »Wollt Ihr vom tonno? Wollt Ihr Wein, Exzellenz? Nehmt Platz.« Mit einem Augenwink schickte sie Gianpietro, Nino und Ghitta hinaus.

Der Kardinal setzte sich Lucia gegenüber an den Tisch. Während des Essens fielen nur wenige unverbindliche Worte. Um so mehr sprachen Petruccis Blicke, die Lucia in höchste Verwirrung brachten. Er ließ sich von ihr die Schüssel reichen und den Thunfisch servieren, wobei seine Augen die marmorblasse Haut ihrer Hände bewunderten. »Unter dem Hauch Eurer Nähe müßte selbst ein Schwerverwundeter genesen.«

»Ihr schmeichelt, Exzellenz,« Ihre verwirrten Augen wichen ihm aus.

»Nicht diesen engenden Titel, Monna Lucia –«

»Woher kennt Ihr mich?« fragt sie herzbedrückt.

»Die Tochter der schönsten Cortisana Romana, die einst ganz Italien in ihren Bann schlug, hat es schwer, unerkannt zu bleiben. Eure Schönheit verrät Euch, sie gleicht der Eurer Mutter auf ein Haar.«

160 »Wollt Ihr noch Wein?« wich Lucia angsterfüllt aus.

Petrucci ließ den Becher füllen. »Euch und Eurer Gastfreundschaft!« Er leerte den Becher rasch. »Herrliche Bilder, Statuen, Arazzi, blumengefüllte Vasen, Gemmen und Edelsteine – Ihr wißt bei aller Jugend schon zu hausen. Nun sei auch Glück der Begleiter Eures Lebens! Herbergt Ihr auch noch den Geist der Kunst in Eurem Hause, dann müßt ich Euch Vittoria Colonnas glücklichere Nebenbuhlerin nennen. Ah – ich sehe auf dem Tischchen Navagero, Fracastoro, Flaminio liegen – schöne Geister umschweben einen schönen Körper.«

Lucia entzieht sich dem kosenden Schwall solcher Bewunderung. »Wie kamt Ihr um diese Stunde in diese Gegend?«

Der Kardinal verliert seine Haltung nicht. »Um Petrarca zu lesen, suchte ich den Frieden der nächtlichen Landschaft, ich wollte diesen Frieden in vollen Zügen atmen. Statt des Friedens überrannte mich das Unheil. Und doch, es sei gesegnet, denn es brachte mich in dieses kleine Paradies, wo sich meinen Blicken die allerschönste Eva bot.«

»Soll ich den Becher wieder füllen?« wich Lucia abermals aus.

Er wehrte ab. »Ich muß mich hüten, den Wein zum täglichen Sorgenbrecher zu machen. Darf ich 161 Euch aber bitten, einmal mein Landhaus auf dem Quirinal zu besuchen? Mein Hof mit dem Marmorbecken und dem Nymphäum hat noch jeden Besucher entzückt. Ihr seid zu jeder Stunde willkommen.«

»Es ziemt sich nicht,« sagte sie leise. »Mein Verlobter würde mich schelten.«

»Ich hörte, Euer Herz ist gebunden. Aber ein Petrucci wird niemals die Blume Eurer Holdseligkeit zerpflücken. Ich möchte vielmehr wünschen, die Kunst Eures braven Jungen Aleandi an mich zu fesseln.«

»Er will nach Florenz zu Michelangelo Buonarroti,« warf Lucia wie rettungsuchend ein.

»Das wird Raffael beklagen. Und Ihr?«

»Ich bleibe noch hier, bis Aleandi in Florenz alles eingerichtet hat.«

»Ihr bleibt?« Es klang froh, beinahe überquellend.

Aber diese Freude stach Lucia ins Herz. Sie lenkte rasch ab. »Eure Wunde brennt noch?«

»Ich vergaß den Schmerz, da ich Euch vor mir hatte.«

»Die Stunde ist spät, ich muß Euch bitten – die Mäuler sind flink, wenn sie ein Kränzlein zerreißen sollen.«

Der Kardinal erhob sich. »Darf ich ein andermal –?«

»Vermeidet es, wenn Ihr könnt.«

162 »Es wird mir schwer,« gesteht er offenherzig.

»Petrarcas Sehnsucht nach der Natur läßt sich auch auf andern Hügeln stillen. Auf dem Monte Mario atmet Ihr Meereshauch, seht die Sonne untergehen –«

Da klingt es weich und eindringlich an ihr Ohr. »Ich möchte wiederkommen.«

Sie wendet sich schnell ab. »Ihr dürft nicht. Die Serenaten waren übergenug. Sie schufen mir Leid, und nun seid Ihr selbst hier –« Und mit plötzlicher Wendung zu ihm, voll Unmut: »Gesteht, Exzellenz, es war eine Komödie.«

Der Kardinal gab sich gefangen. »Ja – Monna Lucia – jede Fiber in mir drängt nach Euch – Bandello der Novellenschreiber half mir das Mittel zu ersinnen, ich wagte viel, alles . . . es ist an Euch, mir das Absolvo te zu erteilen oder mich zu verdammen.« Sein Atem streifte ihre Wange.

»Ich bitte Euch innig, Exzellenz, stört nicht mehr den Frieden meines Herzens.«

Der Kardinal, hingerissen von der Reinheit ihrer Empfindung, fühlte, wie etwas in ihm zerbrach. Ihr mit gleicher Herzenshoheit zu begegnen, hatte er keine Kraft, denn in ihm fieberte die Erinnerung an die Caracalla-Thermen und sie rückte ihr süßes Körperbild in den Bereich der qualvoll arbeitenden Phantasie. Die Reize ihrer weiblichen Wesenheit, noch von keinem 163 Menschen genossen, erblühten wieder vor seinen Augen und die Wogen irdischen Genusses drohten über seinen priesterlichen Menschen zusammenzuschlagen. Er griff zärtlich nach ihrer Hand, drückte sie an die Lippen, voll Ungestüm und feurigen Begehrens.

Da riß sie sich von ihm los. »Ihr vergeßt Eure Würde, Euer Amt.«

»Verdammt, daß es mich zum Toren machen muß!«

»Ihr schändet den Purpur – geht, geht, und kommt nie wieder. Ich beschwöre Euch bei allen Heiligen!«

»Mein Herz ist in Brand geworfen durch Euch, Lucia! Ihn zu ersticken habe ich keine Kraft mehr. Schwermut ist meine Begleiterin, und doch wünschte ich, Leichtsinn wäre mein Helfer. Ihr seid von einer Mutter betreut worden, Lucia, die Euch mit den Früchten der schönen Künste vertraut machte, eine warme Empfindung habt Ihr als Wiegengeschenk erhalten, zarte Neigungen wißt Ihr mit Anstand zu hegen, nie griff Euer Auge selbstgefällig von Mann zu Mann, und wiewohl Ihr im Reichtum aufgewachsen, habt Ihr darauf verzichtet, ihn zu mißbrauchen.«

»Wie hoch schätzt Ihr mich ein und bedrängt mich doch – ach, hochwürdigster Herr, habt Mitleid mit mir. Auf allzu leichten Schwingen eilt Ihr zu mir, auf Schwingen, die Euch bald 164 wieder zu einer andern tragen würden. Euer Leichtsinn, Euer Temperament – ach, erlaßt mir die Worte, ich will Euch nie und nimmer verletzen –« Hilflos warf sie die Hände vors Gesicht.

Der Kardinal schien erschüttert. »Ja, Ihr habt recht, auf meinem Weg liegen Liebesleichen, Opfer heimlicher Verführung. Ich habe gesündigt, und mein Grundsatz war: Die Götter lachen des Meineids der Verliebten. Ich habe Herzen geknickt, gemordet –«

»Kardinal!« ringt es sich aus ihrer angstdurchtränkten Brust.

»Aber laßt mich an diesem Altar bereuen, was ich getan, laßt ihn zum Forum der Gnade werden, Euer Richterspruch wird milde sein, es ist der Huldspruch eines Engels.«

»Nein, nein, nein . . .« wehrte sich Lucia gegen das Überströmen seines Herzens. »Dieses wildflackernde Auge, diese Leidenschaft! O Ihr wollt mir mehr Teufel sein als Engel. Geht in Euch!«

»Und wäre Eure Liebe sternenweit von mir, ich muß sie mir erringen,« brach seine Leidenschaft hervor und stürmisch wollten seine Hände sie an sich ziehen.

Da fuhr sie jach auf. »Ich rufe meine Leute.«

»So mögen Euch und mich alle guten Engel behüten!« Wie gejagt rannte er davon.

Draußen vor dem Tor trat ihm Nino in den 165 Weg. »Exzellenz, die Komödie setzte zu früh ein, Ihr hättet später kommen müssen, bis sie im Nachtkleid stak. Ihr hättet hier nächtigen sollen mit schwerer Wunde, Ihr machtet es Euch zu leicht. Sie hätte Euch sicherlich gepflegt.«

»Vorbei alles!« Er stürmte an ihm vorüber.

Nino folgte ihm im Dunkeln. »So hört doch nur –«

Petrucci rannte fast an einen Baumstamm an. »Entsetzlicher, du rietest mir dazu.«

»Ich riet Euch gut, Ihr folgtet schlecht. Wir wollen es anders einfädeln, und diesmal wird der Zwirn ins Loch müssen.«

»Mich verführst du nicht mehr.«

»Ihr kamt zu früh, sage ich Euch. Ich hatte noch nicht meine Kanzone von der ravennatischen Mispelsucherin gepfiffen, das war doch das Zeichen. Aber Ihr stürmtet wie ein Leukippos zu seiner Daphne, Gott sei's geklagt. Eine neue Inszenierung –«

»Nie mehr! Ihre Reinheit ist ein unzerschlagbarer Panzer. Kläglich pulst mein liebewütendes Blut durch meine Adern. Alles vernichtet von dem Hagel meiner Leidenschaft! Geh, geh, sonst verrätst du dich auch noch.«

Da kehrte Nino nach dem Haus zurück.

Der Kardinal verkrampfte seine Faust in das Dolchgehänge, er lief mehr als er ging. Die Nacht war überfinster. Er stolperte über das Gestein 166 den Hang nach Santo Spirito hinab zum Ponte Sisto. Dort wartete sein Diener Guidobaldo auf ihn mit den Pferden. Er hatte ihm Befehl gegeben, wenn er nicht vor Mitternacht zurückkäme, mit den Tieren nach Hause zu reiten. Nun warf er sich in den Sattel.

In den Gassen war eine Stickluft, die Hitze des Tages drang noch aus den Mauern der Häuser, aus den Seitengassen liefen Ratten über den Weg, von den Dächern miauten liebesbedrängte Kater. Der Kardinal, gemartert von dem Zusammenbruch geträumter Wonnen, ritt wie verfolgt von der unerbittlichen Atropos und gelangte endlich in ein Wirrsal von Gäßchen in der Subura, wo das Laster wohnte. Im fahlen Licht der Windfackel, die der Knecht entzündet hatte, sah er die geputzten feilen Dirnen schleichen. An sein Pferd huschten zwei Venuspriesterinnen heran, warfen sich mit geschminkten Wangen und schwarzunterstrichenen Augen an die Flanken. Der Kardinal ließ den Schimmel steigen. Erschreckt wichen die Dirnen zurück und ihr Gefluche hallte ihm nach.

Ihm graute plötzlich vor aller Sinnenlust, die zum Gewerbe herabgesunken war, und mit dem Schmerz der Verzweiflung wühlte er in der Vorstellung jenes reinen Gebildes, das für ihn verloren war und das in seiner Erinnerung wie ein heiliger Stern aufglühte.

167 Auf dem Quirinal wurde er von der ängstlichen Dienerschaft empfangen. Die Leute wußten, wenn er nächtens im Jagdkleid heimkam, dann hatte ihn die Liebe irgendwo gepackt. Zwei Diener, über die sein Ärger niedersauste, entkleideten ihn rasch. Die Kerzen beleuchteten die nackten Körper der Nereiden und Oreaden an der Wand.

Von den Qualen der Verzweiflung gefoltert, warf er sich in sein Prunkbett.

 


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