Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Lucia wandelt wie im Zwang von innern Ketten. Ghittas Mühe, ihr die Angst vom Leibe zu nehmen, ist vergeblich. Gestern noch hat Lucia einen eilenden Boten nach Florenz geschickt, Aleandi möge kommen, sie sei in höchster Gefahr.

Und heute überbringt ein Diener des Kardinals wieder ein biglietto. Lucia wagt es kaum zu öffnen. Endlich zittern die Buchstaben vor ihr: Der Kardinal verreist! Ein Riesengewicht fällt von ihrem Herzen. Nun ist Zeit gewonnen. In 283 überströmender Zärtlichkeit windet sie Blumen um die Madonnenstatue vor ihrem Hause, und vor dem Altar in San Onofrio kniet sie nieder und versenkt ihre Seele in ein leidlösendes Gebet.

Nun übersonnt ein Lächeln ihre ganze Erscheinung, es bezaubert jeden, der sich ihr nähert. Von Zeit zu Zeit flattert sogar ein Lied von ihren Lippen in den werdenden Frühling hinaus.

Aber freilich, wenn die Schatten fallen, dunkelt es auch wieder in ihrem Gemüt. Nur aufgeschoben ist die Gefahr, nicht beseitigt. Die Rückkehr des Kardinals wird die Wunde neu aufreißen. So wechselt Hoffnung mit Niedergeschlagenheit.

Eines Tages meldet Gianpietro, daß Ratten den Keller unterwühlten. Lucia ordnet an, daß Rattengift ausgestreut werde. Wie sie das weiße Pulver sieht, zuckt ein Schauer über ihren Rücken. Die unschuldige Farbe des Giftes erscheint ihr wie eine Falschmeldung der Natur. Und doch wäre sie fast versucht gewesen, daran zu nippen, um den Trug zu ergründen. Schon hatte sie ein Stäubchen davon auf der nassen Fingerspitze – da schlug ihr Ghitta auf die Hand und schalt sie eine Närrin. Sie versteckte das Pulver in der Küche hinter den Gewürzdosen, doch Lucia hatte bald das Versteck entdeckt und mehr spielend als absichtlich das Schächtelchen an sich gebracht. Als sie schlafen ging, entnahm sie ihm eine 284 ausgiebige Dosis, gab sie in eine Tüte, die sie im Wäschekasten versteckte. Jeden Abend zog sie das weiße Pulver hervor und liebäugelte fast neugierig mit seinem Glanz, gab ihm allerlei Erlösernamen wie Schlafbringer, Todestrost, Ruhgesellchen, Leiderbarmer, Prosperinenpulver und viele andere. Es wurde ihr immer mehr zum lebendigen Freund, der Todeskraft in sich aufgespeichert hatte. Des Nachts lag es unter ihrem Kissen.

Nach ein paar Tagen kam der erschreckte Aleandi in den Garten gerannt. In der Efeulaube hinter der Blumenrotonda beichtete sie ihm alles, was geschehen war. Ascanio raste wie ein Tiger durch den Garten, köpfte die schönsten Tulpen mit dem Holzschwert, das er sich aus einem leeren Faß herausgerissen, spie Gift und Galle, um gleich darauf Lucias weiße Hände inbrünstig zu küssen.

»Dich konnte er antasten! Kein Mitleid mit dem flehenden Blick deiner Augen, kein Erbarmen mit deiner fiebernden Angst! Dreifach falle der Fluch des Höchsten auf ihn! Im Nacherleben des Fürchterlichen krümmt sich noch dein Herz zusammen. Aber nun sei getrost, ich halte eherne Wacht um dich, und naht der Würger, so soll dieser Stahl –«

»Nicht morden!« fleht Lucia mit aufgeschnellten Armen. »Du verwirkst dein Leben, geschützt von der Macht der Hierarchie ist das seine. 285 Hundert Rächer stehen auf und lauern auf dich und mich –«

»Einen Freibrief für seine Freveltat? Nimmermehr! Liebe nennt er seine Leidenschaft und in Wahrheit ist Sinnenlust seine Triebfeder. Welch ein Kardinal! Mit den bösen Gedanken der Wollust hebt er den Leib des Herrn empor und trinkt er den geweihten Wein. Und während er hinter dem Venerabile daherschreitet, durchtobt sein Hirn der lüsterne Gedanke an dich. Aber du selbst, Lucia – o wie konntest du mir verhehlen, was in den Thermen geschehen? Du eine Hexe? Nein, nein, nein! Eher wechseln Sonne und Mond ihre Zeiten, bevor deine Unschuld den Blumenkranz abwirft. Dein Geist ging irre, dein Herz blieb rein. Unter der Spiegelfechterei dieser Vettel verlorst du Haltung und Herz. Ans Kreuz mit ihr! Ich will ihr einen Laurentiusrost bereiten, auf dem ihre Sünden zur Hölle fahren sollen.«

Lucia suchte ihn zu sänftigen. »Meine Seele ist unversehrt. Ich beichtete alles dem Freund meiner Mutter, dem edlen Fabio Calvo. Und er salbte mein sündiges Herz mit Worten der Erlösung. Rein liegt meine Seele vor dir, Ascanio. Ausgebrannt ist der Wahn, nun bin ich wieder wert, dir zu dienen, dir den Herd zu bestellen, dein Leben in Wonnen zu tauchen, die kein Ende haben sollen. O vergib mir, Ascanio!«

286 »Meine süße Taube!« Er umfängt sie voll Inbrunst. »Bald bist du mein Weib. Deine ganze Habe laden wir auf die Karren des Masaccio und lassen sie nach der Blumenstadt führen, dort richtest du dich neu ein und stellst dein Heim unter den Schutz der Penaten. Ich will nur noch das Bild für Santa Maria Novella vollenden, dann besorge ich das hochzeitliche Geschenk für dich, bringe in der Pfarrei alles in Ordnung, lade die Freunde ein und will dir dann in San Miniato einen kleinen Trionfo bereiten, der Accolti zu einer visione amorosa begeistern soll. Ich will dich in unser Heim führen wie Poliphilus seine Polia, von Cupido geleitet, in den Liebestempel zum Frühlingsfest. Nun bedroht dich nichts mehr, meine süße Lucia. Der Kardinal ist verreist, du bist vor seinen Nachstellungen sicher, ich kann nach Florenz zurück –«

»Bleib bei mir!« klammert sich ihre Angst an ihn. »Bevor ich die Geliebte des Kardinals werde, befreit mich ein Sprung von der Turmzinne von dieser Schmach.«

»Das sind närrische Gedanken, Kind.« Wie ein verliebter Pyramos küßt er ihr Goldhaar. »Hör mich an. Die zweihundert Golddukaten für das Florentiner Bild muß ich noch erwerben. Sie reichen für die Besorgung der Hochzeit. Du gehst von nun an keinen Schritt aus dem Haus, ich will einen kräftigen Sabiner Hirten namens 287 Felice zu deinem Schutz ins Haus kommen lassen, er ist ein gewesener Söldner der Colonna, ein hiebfester Patron, der einst meinem Vater diente. Ich will ihn gleich verständigen, er wohnt bei der Treppe von Araceli, wird des Nachts sein Lager hier aufschlagen und du kannst auf seinen Schutz bauen. Er legt sich wie der Löwe des Girolamo vor deine Schwelle und haut erbarmungslos nieder, was sich ihm in den Weg stellt. Bist du's zufrieden?«

Lucia streichelt überselig die Wangen des Liebsten und ein sanftes, scheues Lächeln schleicht sich zwischen den Tränen durch. Er schwenkt ihren zarten Leib im Kreis herum. »Nun bist du mein Hexlein, geschmiert mit der Unschuldssalbe und reitend auf den Wonnen des wiedergefundenen Glücks. Das Paradies harret deiner, aus dem dich weder Schwertengel noch Kardinal vertreiben kann. Ich lasse Korn, Weizen, Obst für dich auf dem Hügel anbauen, Futter für Kleintiere, die du dir halten wirst.«

»Mein Ascanio!« jubelt sie. »Ghitta und Gianpietro sollen mit.«

»Freilich, und Felice auch. Auf daß dein Festungsgürtel vollkommen sei. Und nun zu meinen Freunden, zu Raffael! Er schrieb mir, daß bei seinen Ausgrabungen ein Lekythos, ein griechisches Salbenfläschchen, in einem Grab auf dem Esquilin gefunden wurde. Er hat's für dich 288 bestimmt, Lucia, es soll dein erstes Geschenk sein.«

Lucia jubelte. »O sag Raffael innigen Dank!«

Mit den herzlichsten Küssen nimmt Ascanio Abschied. Aus dem Fenster schwenkt ihm der alabasterweiße Arm das Tüchlein nach.

 


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