Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Neunundzwanzigstes Kapitel

Im Vorzimmer des Papstes flüstern in einer dunklen Nische zwei Gestalten miteinander. »Ich hab's mit eigenen Augen gesehen – heute nacht – Ihr könnt mir's glauben,« sagt Adriano da Corneto zum päpstlichen Sekretär Pietro Bembo. »Man führt die Steine, die um schweres Ablaßgeld für den Bau von Sankt Peter gekauft wurden, von der Ripetta nach der Baustätte des Palastes, den Lorenzo de' Medici erhalten soll. Man munkelt nicht mehr, man spricht offen davon, daß das Volk betrogen wird. Denkt doch nur, man schwindelt den Leuten vor, das Ablaßgeld fließe in den Peterskasten, und unterdessen baut sich der Neffe des Papstes seinen Palast mit den Bausteinen. Es ist ungeheuerlich.«

Bembo lächelt. »Die Kurie hat ein so weites Gewissen, daß auch diese Tat noch darin Platz hat. Wir haben Ärgeres überstanden und werden noch Ärgeres überstehen. Unsere Stoffanbetung versteckt sich klug hinter dem Mantel der Geistigkeit und des Ideals. Wir werden nicht zugrunde gehen, denn die vermeintliche Heiligkeit der Idee hat noch immer die Skrupel des gemeinen Mannes zerstreut.«

»Ich fürchte nur, man überspannt den Bogen.«

»So nimmt man einen neuen, wenn der alte zerbricht. Der Ruf nach Reformation des 327 Papsttums und der Kirche erschallt schon eine geraume Zeit, aber habt Ihr erlebt, daß man bei uns deshalb die Ohren weiter öffnet? Die Leute mögen sich heiser schreien, man wird sie beschwichtigen, wird das und jenes versprechen und nichts halten. Im Glauben, daß etwas geschehen wird, erhält man das Volk lange Zeit. Und Leo ist ein Meister des Versprechens. Vielleicht kommt nach ihm einer, der auch Meister im Halten ist. Ihr wißt doch, Petrucci ist wieder in Rom. Eben erwartet ihn Seine Heiligkeit. Dem Sermon beizuwohnen, wäre ganz lustig.«

Da wird die Flügeltür auf dem Korridor von zwei päpstlichen Schweizern geöffnet. Kardinal Petrucci tritt ein, stattlich schreitend wie ein Apoll, den Kardinalshut in der Rechten, auf der Brust leuchtet das Pectorale.

Die Herren begrüßen ihn herzlich, beglückwünschen ihn zur Rückkehr nach Rom. »Es war viel Geschwätz in Umlauf,« lächelt ihm Adriano beziehungsvoll zu.

»Geschwätz scheint eine Notwendigkeit zu sein, sonst hätte es Gott außer Kurs gesetzt. Ist Seine Heiligkeit heiter gestimmt?«

»Der allerheiligste Vater kam noch nicht aus seinem Zimmer, wiewohl die Zeit vorgerückt ist,« sagt Bembo. »Ah, da kommt de Sauli.«

Der Genuese eilt bewegten Herzens auf Petrucci zu. »Daß Ihr nur da seid!« umarmt er den 328 Freund. Ich erwarte Euch morgen bei mir. Eure geliebten Kirschen sollen Euch auf Weinblättern serviert werden.«

»Ich komme. Es gibt keinen gastfreundlicheren Lukull in Rom als Euch. Es fehlen Gott sei Dank die traurigen Spaßmacher an Eurer Tafel. Ein platonischer Exkurs hebt uns in edlere Regionen empor, wo plumper Witz keinen Nährboden findet.«

»Wo solche Köpfe im Licht der Gelehrsamkeit schwelgen, soll Bembo abseits trauern? Ihr müßt auch mich willkommen heißen in Eurem Tuskulum.«

»Ihr seid geladen, Messere Bembo.« De Sauli hält ihm die Hand hin.

»Seid auch Ihr von Seiner Heiligkeit gerufen?« fragt Petrucci den Freund.

Der Genuese nickt. »Vielleicht überträgt mir der Heilige Vater ein neues Amt, da er mir Marseille verweigert hat.«

Bembo klopft ihm beruhigend auf die Schulter. »Ein Genuese paßt nicht nach Frankreich.«

Da öffnet sich die Tür zum Papstzimmer. Der Zeremonienmeister Paris de Grassis ruft laut: »Die Herren Kardinäle Alfonso Petrucci und Bandinello de Sauli.«

Hinter den Eintretenden schließt sich die Tür.

Papst Leo sitzt dick und breit in seinem bequemen Polstersessel, den roten Kopf 329 unbeweglich nach der Tür gerichtet. Er hält den Kardinälen die mit kostbaren Ringen besteckte weiße Hand entgegen, auf daß sie sie küssen. Die übliche Umarmung erfolgt nicht. Er greift nach dem Augenglas, liest schnell einen Zettel durch, legt ihn dann ernst zur Seite.

»Ihr habt Euch besonnen, lieber Kardinal?« wendet er sich ohne Zeichen innerer Anteilnahme an Petrucci.

Der senkt das Haupt, ohne zu antworten. Der auffällige, ungewohnte Ernst des Papstes beunruhigt ihn ein wenig.

»Meine väterliche Liebe zu Euch hat einen Stoß bekommen. Ich habe Euch persönlich niemals wehgetan. Ihr habt mir's schlecht vergolten.«

»Allerheiligster Vater, es wurde viel Unrecht auf mein Herz gewälzt. Die Bande meines Blutes wurden verletzt –«

»Ihr meint die sienesische Frage?«

»Sie war keine Frage mehr, sondern eine ungeheure Tat. Raffaello Petrucci, den mein Geschlecht ausgestoßen, hatte die Dreistigkeit, sich Euer Herz im Fluge zu erobern, und mit diesem Gnadenschatz beladen machte er sich zum Herrn von Siena. Allerheiligster Vater, ich komme aus der Stadt. Das Volk sehnt sich nach der Rückkehr meiner Brüder, denn das Schreckensregiment Raffaellos tobt sich verhängnisvoll aus. Man verhöhnt die päpstlichen Dekretalien und die 330 Anhänger des Tyrannen sind ihres Lebens nicht mehr sicher.«

»Und gerade diesen Herd der Unruhen suchtet Ihr auf? Euer Ritt dahin glich einer Flucht.«

»Es war eine Flucht vor der Ungnade meines Herrn. Und hätte er nicht das Licht seiner Gnade wieder entzündet, ich hätte mich selbst in irgend eine ferne Certosa verbannt. O Allerheiligster Vater, mußte nicht das beleidigte Herz Wege suchen, die abseits des Gewöhnlichen lagen, mußte es nicht, aus sicherer Höhe gestürzt, den Ort meiden, wo die Gefahr der Verdammnis lauerte? Ich fühlte mich nicht mehr sicher –«

»Nach meiner Sicherheit aber fragtest du nicht?« Des Papstes Auge wurde übergroß. »Fragtest nicht, ob die Schar meiner Engel groß genug wäre, mich vor deinen Anschlägen zu schützen. Sieh, dieses hier geriet durch die Umsicht meiner Getreuen in meine Hand. Erkennst du das?« Er hielt ihm den Brief an Urbino hin.

Darauf war Petrucci vorbereitet. »Es war schmählich von mir,« gestand er ehrlich, »aber die meinem Geschlecht angetane Schmach schmerzte zuviel, und ich mußte mich zur Wehr setzen. Deshalb und nur deshalb die Konspiration mit Eurem Feind, der Euch durch die gleiche Behandlung zum Feinde geworden war. Wie meine Brüder, so vertriebt Ihr auch den Herzog aus seinem Land, was Wunder, wenn die gleich verletzten 331 Herzen zueinanderstrebten und sich verschworen, die Unbill nicht länger zu ertragen und das gemeinsame Leid einen Kitt sein zu lassen, der sie fest verbinden sollte. Wir suchten nach verbündeten Herzen, die unter ähnlichem Unrecht zusammenzubrechen drohten.«

»Und Ihr scheint sie auch gefunden zu haben,« schnitt der Papst seine Verteidigung ab und blickte de Sauli von der Seite an. »Kardinal – auch Ihr littet unter der vermeintlichen Schmach eines Unrechts?«

Der Genuese trat ins Sonnenlicht neben Petrucci hin. »Ich sah mich vernachlässigt, abseits stehend, während die Anverwandten Eurer Heiligkeit mit Würden und Ämtern bedacht wurden, Giulio de'Medici, Cibò, Rossi, Ridolfi – sie erfreuten sich der einträglichsten Präbenden, wurden Kardinäle oder Prälaten, verdienstlos, von niemand empfohlen als von Eurer Heiligkeit selbst. Marseille wurde mir vorenthalten zum Dank für die Stimme zu Eurer Wahl. Von diesem Unrecht bis ins Tiefste aufgewühlt, geriet ich so auf die Insel der Unzufriedenen, wo sich alle beleidigten Herzen zusammenfanden.«

Des Papstes Haupt fiel schwer nach vorn. »Fürwahr, es wogt viel Antipathie um mich, und sie trieb Euch, Petrucci, bis auf den Weg des Verbrechens. Nein, es war mehr, es war grimmiger, sich selbst zerstörender Haß, der Euch 332 nach Mitteln greifen ließ, die in den Händen der Teufel aufkeimen und den Schrecken der Gutgesinnten hervorrufen. Das Christenherz schaudert vor dem Namen zurück – seht – da ist die Flammenschrift der Hölle.« Er warf Petrucci den Brief an Nino Oltranto vor die Füße.

Der Kardinal hob ihn gelassen auf und legte ihn auf den Tisch. »Ich wob die Gedanken zu einer Tat, die verabscheuungswürdig ist. Aber die Reue, sie gedacht zu haben, läßt mich nun vor Euch stehen. Peitscht mein Herz mit Ruten, Allerheiligster Vater, aber öffnet es dann weit für den Gnadenstrahl der Vergebung.«

»Auch ich bitte um sie,« sagte de Sauli. »Ich legte dem allzu raschen Freund die Zügel an und hemmte den wilden Lauf seiner Gedanken. Ich wußte nicht, wieweit er gehen wollte, und nur sein Recht nahm ich unter meine schützenden Fittiche. Er ist jung, leidenschaftlich, aber im Grunde des Herzens unverdorben. Die Reue wird einen neuen Menschen aus ihm machen.«

Petrucci dankt dem Freund mit einem raschen, feuchten Blick. »Allerheiligster Vater, wir stehen als Diener der Kirche schwerbeklagt vor Euch. Und wir gestehen, daß wir die Christenheit durch unsern Plan geschändet und Gott beleidigt haben. Aber hier bekenne ich, Allerheiligster Vater, daß ohne den Nährboden dieses Hofes niemals das entsetzliche Gewächs aus mir geworden wäre, 333 das nun verkrümmt und verwachsen, mißgestaltet und seelisch verbeult vor Euch steht. Hochmut und Eigensucht, Machtsehnsucht und Raffgier, Verschwendung und Prunksucht, Schwelgerei und Genußsucht – aus dieser meiner Umwelt wuchs mein erbärmlicher Mensch auf und er sog aus ihr die Unkraft des verruchten Lebens, die mich haltlos machte und die zu brechen mir jede sittliche Kraft fehlte. Ich sah und las Fürchterliches in den Annalen der Kurie. Als ich ein Knabe war, trug man die Verderbtheiten eines Sixtus mit Schaudern an mein Ohr, mich umwehte der Schreckenshauch der Borgiajahre, und ich sah den kriegerischen, unchristlichen Julius auf dem heiligen Stuhl sitzen und statt der Hostie das Schwert erheben. Und unter Eurem Stab blühte das Nepotentum und wir sahen die unwürdigsten Köpfe in heiligen Ämtern walten, nach denen das ernste Streben der Verdienstvollen vergebens die Hände rang. Wir sahen eine Staatskunst blühen, deren Wesen Ränke, trügerische Versprechungen und Wortbruch waren. Wir sahen die Theologia geschändet und wurden angeregt, an der Schändung teilzunehmen. Meine Schwäche klage ich an. Auf dem gereinigten, umgepflügten Boden der Kirche wäre die Sumpfpflanze Petrucci nie erblüht. Und darum bitte ich Euch mit aufgehobenen Händen, Allerheiligster Vater, reformiert die Kirche und das Papsttum, 334 bevor die Zerstörer kommen und das morsche Schiff zerbrechen. Der Paganismus ist nicht der gefährlichste Feind des Christentums. Aber die Unwürdigkeit und Unsittlichkeit der Klerisei, der Krämergeist, die Herrschgier und der Hochmut schlagen der Lehre Christi ins Gesicht, sie bringen das Volk gegen uns auf und schaffen Existenzen, die mit dem Christentum nur mehr den Namen gemein haben. Im Namen der durch uns geschändeten Christenheit erhebe ich, nicht als erster, aber ich will hoffen als letzter, den Bittruf: Reformiert die Kirche, sonst wird sie ein anderer reformieren, aber mit den Waffen der heiligen Empörung, vor denen das Papsttum Entsetzen erfassen wird.«

»Bist du zu Ende?« Das Antlitz Leos ist schneeweiß geworden, seine Hände zittern.

Petrucci senkt das Haupt. Er weiß, dieser ehrliche Appell wird an diesem Forum nicht verhallen.

Da erhebt sich der Papst, schreitet nach einer kleinen Tür, die sich neben einer Statue des Hephästos befindet. Er öffnet sie – der Hauptmann der Vatikanwache tritt mit zwei Schweizern ins Zimmer. Und der Papst wendet sich zu den Kardinälen: »In der Engelsburg warten Gemächer auf Euch.«

Die Kirchenfürsten erschrecken bis ins Mark. Petrucci faßt sich schnell. »War das die Absicht, 335 allerheiligster Vater? Und das sichere Geleite, dem ich arglos vertraute?«

»Einem Verbrecher hält man kein Versprechen,« sagt Leo mit leeren Glotzaugen. Der Mediceergeist des Vetters bricht den letzten Rest von Anständigkeit entzwei. Dann wendet er sich an den Hauptmann. »Sofort einen gewissen Nino Oltranto und den Wundarzt Battista da Vercelli ausforschen und vor das weltliche Gericht stellen lassen.«

»Allerheiligster Vater –« schreit Petrucci wütend auf. »Gottes Zorn über Euch!«

Der Papst weist mit dem goldüberladenen Finger nach der kleinen Tür. Dann zum Offizier: »Kein Aufsehen!«

De Sauli folgt als erster dem Hauptmann. Dann nehmen die beiden Schweizer den Kardinal Petrucci in die Mitte. Er schnaubt wie ein angefallener Hirsch und wirft Glutblicke des Hasses auf den Oberhirten der Christenheit. Hinter den Kardinälen schließt sich die Tür.

Der Papst ruft nach dem Zeremonienmeister. Dieser wußte, was geschehen war; hatte er doch selbst die Vorbereitungen zu allem getroffen. »Sofort eine Untersuchungs-Kommission einsetzen! Die Kardinäle von Sorrent, Ancona und Farnese sollen ihr angehören. Mario Perusco, der Prokuratorfiskal, soll die Verhandlung leiten.«

Die Genannten waren willige Kreaturen der 336 Medici, Perusco zum Überfluß als ein Scheusal berüchtigt.

»Habt ein Auge auf den Kardinal von San Giorgio –« fährt der Papst fort.

»Raffaello Riario?« verwundert sich de Grassis.

»Er ist stark bloßgestellt. Sein weißes Haupt hat ihn nicht hindern können, die Gedanken Petruccis gutzuheißen. Nur sein Alter mag ihn retten. Ja, daß ich nicht vergesse – ich habe Agostino Chigi und dem spanischen Gesandten für ein freies Geleit Petruccis gebürgt. Sie werden nun Zeter und Mordio schreien. Beruhige sie und sage ihnen wörtlich, einem Verräter hält man keine Zusicherungen.«

Paris de Grassis blickt weg. Er schämt sich für seinen Herrn.

 


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