Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Siebentes Kapitel

An allen Gliedern zitternd stand Lucia Impaggi vor dem Häuschen bei San Sisto. Rechts 91 davon ragten abseits der Straße im Dämmer des regnerischen Abends die Ruinenmauern der Caracalla-Thermen auf, umgeben von Bäumen, die mit ihren breiten Wipfeln einen Großteil der Mauern verdeckten. Aber die zerrissenen Mauerkämme hoben sich gigantisch aus dem Grün und gespensterten vor den bangen Blicken des Mädchens. Zwiespältige Gefühle, gemischt aus Neugier und Angst, wogten in Lucias Brust. Sie klopfte an. Niemand öffnete. Den alten Gianpietro hatte sie mit den Maultieren in der Schenke »Zur Lazerte« an der Stadtmauer zurückgelassen und ihm befohlen, wielange sie auch ausbleiben möge, dort auf sie zu warten. Sollte jedoch Mitternacht anbrechen, möge er im Häuschen bei San Sisto anfragen.

»Aiè!« scholl es plötzlich vom Feldweg her, der zu den Thermen führte. Und schon lief die Kupplerin herbei, ganz außer Atem. »O vergebt mir! Corpo di bacco! Es hat lange gedauert. Ich mußte viel vorbereiten. Kommt nur, kommt!«

Sie führte das zitternde Mädchen zwischen den Bäumen querfeldein auf eine Mauer zu, die teilweise durchbrochen war, so daß man die zernagten Ziegelreste eines Mauerbogens dahinter durchschimmern sah. Sie gingen durch einen kleinen Hof, dessen Boden von satten Gräsern und Efeu überdeckt war, durch eine kleine 92 Maueröffnung, von allerhand Rankenwerk umsponnen, in einen zweiten, noch kleineren Hof, der völlig abgeschlossen war. Nur eine kleine Spalte, durch die sich ein Mensch mit Mühe durchdrücken konnte, ließ einen Blick auf ein paar Rundbogen frei, die dahinter einen Hof begrenzten. Doch durfte sich Lucia diesem Spalt nicht nähern. In einer Ecke des kleinern Hofes, in dem Lucia nun stand, war ein Bretterverschlag hergerichtet, der einer Art Kammer ähnlich sah. Der Raum lag etwas unter dem Boden der Thermen und glich einem Hypogäum, das einst von der Oberwelt fast abgeschlossen war. Nun vermittelte eine halbzerbrochene Tür die Verbindung mit dem Hof.

Die Bellincona entzündete eine Kerze. Lucia gewahrte um sich wieder allerlei sonderbares Gerät. Tiegel, Trichter, Siebe, gläserne Kolben, kleine Blechbüchsen, ein eiserner Kessel, allerlei Wurzelwerk, kleine und große farbige Eisenringe, drei lange Besen und zwei Bürsten, buntfarbige Kristalle und manch anderer Kleinkram, der zerstreut umherlag.

»Warum müssen wir hier sein?« fragte Lucia leise bebend.

»Es ist das Gelaß der zweiten Stufe Eurer Einweihung. Die Caracalla-Thermen sind der Sitz der dienenden Geister, die in den Pfuhl der Hölle hinabgestoßen wurden.«

93 »Leonarda – was – soll –das?« Lucia ließ sich erschauernd auf einen morschen, wackligen Stuhl nieder.

»Keine Angst, mein Herzensengel. Eure Frommheit kämpft jede böse Einwirkung nieder und Ihr gebt Euch nur zum Schein dem Willen der dunklen Schatten hin. In Wahrheit ist Gott auf Eurer Seite. Bleibt sitzen – Ihr werdet doch nicht –?«

»Ich – will – fort –« Sie konnte vor Herzklopfen kaum sprechen.

»Wo denkt Ihr hin – accidenti! Der magische Kreis ist schon um Euch geschlossen, und Ihr bringt, wenn Ihr ihn jetzt durchbrechen wollt, Euch und Eurem Liebsten nur Unheil.«

»O Gott – liebe, liebste Leonarda – laß mich frei!«

Leonarda streichelte beruhigend über ihr goldblondes Haar hin, dessen Spangen sich öffneten, so daß die ganze Fülle wie ein Wasserfall über Schultern und Nacken fiel.

»Was tust du mir? Was soll das wieder?« wollte sich Lucia wehren, aber sie spürte wieder, wie unter der Einwirkung eines seltsamen, süßlich duftenden Rauches ihre Gedanken schwer wurden und ihr Kopf leicht zu schmerzen begann. Der Duft schien aus dem Mauerspalt zu dringen, und Lucia glaubte sogar unter dem Schein der Kerzenflamme einen weißlichen Dunst 94 zu erkennen, der sich die Bretterwand entlang hinzog und einen Ausweg suchte.

Die Bellincona ließ nicht ab, das Mädchen zu beruhigen, sie küßte ihr Hände, Füße und das Kleid und wurde nicht müde, ihr allerlei unverständliches Zeug vorzuplappern, so daß Lucia ganz verwirrt wurde. Aber unter der Einwirkung des duftenden Nebels kam eine angenehme Mattigkeit über sie und ihre Angst verlor sich allmählich, sie fragte nach der Bedeutung dieses oder jenes Gerätes, doch die Antworten der Gevatterin klangen dunkel und ausweichend.

Als sich um die Augenlider des Mädchens eine sichtbare Müdigkeit legte und ihr Atem langsamer ging, begann die Hexe die Einweihung in geheimnisvollen Worten vorzunehmen. »Holdes Täubchen, nun begibt sich in Euch ein großes Wunder. Euer Planetenschutz wird für einige Zeit durchbrochen, die Seele will sich aus dem Leib ringen und Dinge schauen, die sie in der Gebanntheit des Körpers nie zu schauen vermag. Sie sehnt sich nach unirdischen Regionen, nach dem Tanz mit Gleichbeglückten, nach der Gesellschaft der Geistesverwandten – Ihr versteht mich doch, fiore del paradiso

Die Wehen des Wahns überkamen Lucia wieder und sie spürte, wie sich ihre Glieder zu lösen begannen. Ein schmachtendes Verlangen spielte um den reinen Mund, und ihre Augen fingen zu 95 glühen an. »Wirst du mich etwas sehen lassen, Leonarda?« Drängend rang sich die Neugierde aus ihrer Brust.

»Ich werde dich fremde Götterlein sehen lassen, von denen du sicherlich noch nichts gehört hast. Dazu muß der Seele der Ausgang aus dem Leibe bereitet werden.«

»Wie machst du das, Leonarda?« fragte Lucia schläfrig, das Gemüt von dem süßen Duft der Dünste umsponnen.

»Durch Salben und Streicheln, liebste ragazzina.« Sie öffnete eine Büchse, in der ein feines Fett enthalten war, das nach Akazien duftete. »Das ist der Zauber, Kindchen. Die aus Blüten gewonnene, von den Incubi gesegnete Salbe, eingerieben auf dem Rücken der willigen Jungfrau, schafft das Wunder der vorübergehenden Entseelung. Alles übrige findet sich.« Sie wirft neue Kräuter in die Flamme und nun durchzieht balsamischer Duft den Holzverschlag. Dann setzt sie sich ganz nahe zu Lucia auf die Erde. »Kennt Ihr Incubi und Succubi

»Nein, gute Leonarda.« Lucia lag völlig im Bann der wirren Hexenworte.

»Es sind Zwitterwesen, die bald als Mann, bald als Weib erscheinen, um die Menschen zu unerhörter Lust zu zwingen. Sie tun allerhand unschuldigen Schabernack, lassen die Mandragola wachsen, schneiden Gehängte vom 96 Galgen herab und lassen sie mit jungen Hexen tanzen –«

»Mit Hexen?« staunt Lucia mit aufgerissenen Augen.

»Mit zarten Dingern wie du, die in Satansnächten durch die Lüfte sausen nach dem Soracte hin, dem Berg der Dämonen, wo die Hexen dem Teufel das Liebesmahl bereiten und mit seinen Gesellen die süßesten Lusttänzlein aufführen. Da geht es gar kraus zu im Mondenschein oder in der Regennacht. Es glimmen die Feuer, entzündet von den Incubi im Heidekraut, die Hexenmaiden sitzen daneben und erlaben sich an dem Anblick des Herrn der luziferischen Gewalten, und da gibt es Dinge zu sehen, die zu sagen uns vom dunklen Herrn verboten ist.«

»Nein, Leonarda!« Lucia biegt ihren schmalen Oberleib im Staunen zurück. Es ist, als hätte sich ein fremdes Wesen ihres Körpers bemächtigt. »Weißt du, ich möchte von fern, ganz von fern einen Blick in das Treiben tun.«

»Freilich kannst du das, du bionda rosa! Ich will dazu deinen Rücken salben und du wirst allerhand süße Musik hören und wie hinter einem silbernen Nebel wunderliche Dinge schauen.«

»Salbe mich, Mütterchen,« bittet Lucia mit gierigen Augen. Und zieht sich blitzschnell Kleid und Hemd vom Leibe.

Die Hexe heißt Lucia sich auf die Erde setzen 97 und reibt ihr mit der duftenden Salbe den Rücken ein. Gleich bei den ersten Salbenstrichen spürt Lucia ein sanftes Prickeln auf der Haut und einen sinnlichen Kitzel in den Gliedern, der sich mit jedem Strich der Hand vergrößert. Ein Wonneschauer rieselt durch ihr Mark, und ihr Gemüt wird von feinen wallenden Nebeln umsponnen. Unwillkürlich legt sie sich auf das schwarze Tuch hin, das die Bellincona ausgebreitet hat, streckt den Leib straff aus und läßt die salbende Hand über ihren Rücken gleiten. Mit jedem stärkeren Druck übersprüht es sie wie Funken eines Brandes, der aus ihren schönen gelösten Gliedern kommt. Sie dreht sich um und starrt nun in die Bretterdecke, die durchsichtig zu werden beginnt und wie von silbernen Dünsten umschleiert wird. »Siehst und hörst du noch nichts?« fragt die Hexe. »Es ist heute wieder Satansnacht, die Nacht, in der sich Judas erhängt hat. Der Böse flattert von Berg zu Berg, die große Schlange wälzt sich ihm voran über die Heide, die Lichter der Nacht verlöschen, wabernde Feuer entzünden sich auf dem Soracte. Und nun auf, Hexlein! Zieh getrosten Mutes in das Regengewölk, laß den Besen zum Roß, die Haare zum Zügel, die Luft zum Steigbügel werden, flattere ins wirbelnde Grau. Oben und unten ist eins, was du gewesen, verwein's, lach dich in höllische Glieder hinein, des Bösen Stange ist dein und 98 sein, glühende Nacht, brausende Fahrt, weich ist das Lager, der Weg zu ihm hart, grimmig umarmend, das ist seine Art. Aia! Oa – oa – oa!!«

Die Hexenvettel steckt mit einem wildaufjauchzenden Schrei dem in Zuckungen sich windenden blühenden Leib den Besen zwischen die Schenkel, Lucia richtet sich auf, umkrampft mit den kleinen Fäusten das Holz des Stiels und schnellt nun mit dem Oberleib hin und her, als ritte sie auf feurigem Roß durch die Luft. Ihr Kopf wird von stinkenden Dünsten umwölkt, die ihr den Atem nehmen. Plötzlich ist ihr, als zischten und schäumten Riesenkröten aus dem Gebüsch zu beiden Seiten des Luftfluges, sie glaubt über der Campagna dahinzufliegen, sieht unter sich die Kastelle und Städte liegen, überzogen von glühendem Rauch, ihr schwindelt, sie preßt die Schenkel an den vermeintlichen Leib ihres Pferdes und treibt mit lüsternen Augen der Höhe zu, die in magischem Licht vor ihr aufzuragen scheint. Aus einem Abgrund steigen widerliche Gerüche, sie bleibt mit dem Besen in der Luft stecken und jauchzt hinab auf das entschwindende Land. Auf einer Höhe, von einigen hundert Feuern erleuchtet, wälzen sich halb schwebende, halb kriechende Menschenleiber, miteinander verschlungen, hin und her, lösen sich mit wilden Sprüngen voneinander, verknäueln sich wieder und tauchen dann in den Schein des blaumagischen Lichtes, 99 das aus dem Abgrund schießt. In unzüchtigen Umklammerungen schweben Hexen und Succubi von Stein zu Stein, lassen sich nieder und schreien das Rasen ihrer Lust in die erglühte Nacht.

Das alles erlebt das erhitzte, verwirrte Gemüt der Lucia Impaggi, während ihr die Bellincona ihre sinnenaufwühlenden Einflüsterungen ins Ohr zischt. »Siehst du nicht den gottlosen Nebukadnezar als Ochsen herumrasen mit den Hexen, mit Hörnern und Vogelklauen, auf seinem Haupte die Krone des Antichrist? Auf jeder Zacken ein gemarterter Jungfrauenleib aufgespießt!«

»Leonarda –« wehrt sich zusammenbrechend Lucias reine Seele. »Hilf mir – ich – kann – nicht – weiter –«

Aber unerbittlich rauschen ihr die sinnverwirrenden Worte der Vettel ins Gemüt. »Weg, ihr Erzväter und Hochpriester – hinweg, Weihrauch und Glockenruf! Hinweg, Hostie und segnende Hände! Opferkerzen und Rosenkranz, hinweg! Wildschwäne sausen durch Gewitterwolken, angstgehetzt, verfolgt von des Lustvetters Gesellen im schwarzen Rabenkleid. Schwarze Kater drücken sich an Jungfernfleisch, Incubi und Succubi. Siehst du den Spitzbart – ja, den mit dem Kavaliersgewand und dem Hinkefuß, in der Rechten hält er den hölzernen Priap, der die Zeugung segnet. Und dort in der Schar der taumelnden Mänaden den alten, ewig jungen Gott 100 Dionys – hörst du das wilde Rauschen des Thyiadengesangs dort aus der glühenden Kluft? Da – nimm das Weinblatt – drück es an die Lippen – soo! Bete zum Hinkefuß um ein selig Gliederlösen in des Liebsten Arm. Mit schneeweißen Flügeln fliegst du durch die Glutnacht mondwärts wie die riesigen Schwäne.«

Sie drückt Lucia, die sich in ekstatischen Zuckungen auf dem Tuche wälzt, ein in einen braunen Sirupsaft getränktes Tuch an die Lippen. »So – so – du heißumstrittenes Liebeskind, komm zur Ruh – strecke deine weißen Lilienglieder in Schöne aus. Deine wilderregten Sinne verebben – Ruhe, köstliche Ruhe überschatte Leib und Seele! So . . . so . . .! Du nächtige Besenreiterin, schlaf tief, tief, tief!«

Lucia verfällt in ein Stöhnen und Zucken der Glieder. Dann beruhigt sich der süßverquälte Leib, die Sinne schwinden ihr, eine tiefe Ohnmacht befreit sie von dem Sturm des fürchterlichen Erlebens. Gleichmäßig ruhig geht ihr noch eben erst angstdurchstürmtes Herz. Der Wahnwitz der Hexenmacht ist gebrochen.

Die Vettel deckt den schlafenden nackten Leib mit einem Tuche zu. Dann räumt sie rasch den ganzen Hexenplunder, Requisiten, Zaubertränke, Büchsen und Tiegel aus dem Gelaß, verbirgt alles hinter der Mauerspalte, die nach dem nächsten Hof führt. Sie tritt aus dem Verschlag, äugt 101 in die Nacht. Leise tropft der Regen nieder, es riecht nach verbranntem Haar. Man sieht kaum drei Schritte weit.

Es muß nahe an zehn Uhr sein. Nun muß er doch kommen, denkt die Gevatterin. Zaudert er, dann erwacht sie vor der Zeit und alles ist verloren.

Es vergeht noch eine Viertelstunde. Da hört man Hufgeklapper. Die Bellincona geht nach außen vor das Thermentor.

Eine verhaltene Stimme ruft durch die Nacht: »Bellincona – Teufelsweib!«

»Da – Herr – Euer Gnaden – immer längs dem Gebüsch. Da – seht Ihr mich nicht?«

Eine Gestalt schält sich aus der Dunkelheit. Hochgewachsen, im Jägermantel, das Haupt vermummt. »Daß dich die Hölle. Einen solchen Ort auszuwählen, vor dem Verbrecher schaudern! Sie ist da?«

»Sie schläft fest, ich hab für ein spätes Erwachen gesorgt.«

»Was hast du mit ihr getan?« fragt Petrucci hart.

»Das zu beschreiben, hab ich mir verbeten, Exzellenz. Ich wiegte sie in einen lüstigen Traum.«

»Womit?«

»Es war ausgemacht, Eurer Exzellenz ein Ergebnis vorzuführen, der Weg dazu mag dem hochheiligen Herrn gleichgültig sein.« Ei, daß ich 102 doch! denkt sie. Glaubst du, Menschlein, ich hätte Lust, mit dem heiligen Offizium in unangenehme Berührung zu kommen?

»Ist sie ganz allein?«

»Ihr werdet gleich sehen – so, nur wenige Schritte noch – hier durch den Hof – die Kerze flimmert schon durch die Ritze. Sprecht nur ja kein Wort und tretet leise auf. Und wehe, wenn Ihr sie berührt! Es wäre gegen die Abmachung. Nur Eure Blicke dürfen sie streicheln.«

Düster brennt die Kerze im Verschlag. Unter ihrem Schein erblickt der Kardinal das schlafende Kind. Er hält beinahe ehrfürchtig den Atem an und betrachtet das von den süßen Schmerzen durchzuckte Gesicht. Er gibt der Kupplerin einen Wink, sie zieht vorsichtig das Tuch von dem schlanken Leib weg, der nun im Fahllicht der Kerze in nackter Schönheit vor ihm liegt.

Wie ein frommer Grieche vor dem Altar der Juno feiert sein Auge vor diesem lebendigen Leib ein Fest der Anbetung irdischer, gottgewollter Schönheit. Nicht tierisch verlangend, nicht zerstörend, sondern zart und andachtsvoll streichelt sein Blick die aufgelösten Glieder, und er sammelt alle Schönheiten des geliebten Körpers für sein Herz in die Truhe der Erinnerung. Er will nur den Schatz des Gedenkens an diesen Augenblick mit sich fortnehmen, will ihr Bild kostbar für immer in seiner Seele versargen. In trüben 103 Stunden wird er wohl dann den Deckel des Sarkophags heben und sich an dem Bild ihres Leibes berauschen, das darunter schimmert. Sie ist schön wie der Griechen Götteridole, die sie aus dem Marmor formten, denkt er, und sie ist rein wie die heilige Vergine selbst, die der lautre Sinn Raffaels und das fromme Herz des Fra Angelico da Fiesole unzählige Male auf die Leinwand geworfen, und ihrer Glieder Ebenmaß ist von Gott den ehrfürchtig Genießenden geschenkt zu heiliger Freude an so viel Schönheit. Vergib mir, zärtlich Gebild der Gottheit, daß ich mich vermaß, dich auf diese heimliche Art an mein Herz zu ziehen, dich darin zu betten. Als ein Schutzgeist sollst du darin schweben, als ein Talisman in leidbedrohten Stunden. Dein Bild wird die Schreckgeister der Gefahr verjagen. Leb wohl, Engel. So groß kann diese meine Sünde nicht sein, daß sie Gott nicht vergeben könnte. Leb wohl!

»Wie bringst du sie fort, Gevatterin?« wendet er sich an Leonarda.

»Bei San Sisto wartet ihr Diener mit den Maultieren.«

»Dort wartet auch mein Stefano. Wird sie nach dem Schlaftrunk reiten können?«

»Seid unbesorgt, sie erwacht munterer denn vorher.«

Petrucci drückt der Bellincona einen Beutel in 104 die Hand. »Wehe, wenn du dein Gewerbe – es ist schmachvoll genug – an diesem Kind mißbrauchst.«

Er stiefelt über nasse Steine und Trümmerwerk durch den Hof nach dem Ausgang. Sorgsam deckt die Hexe wieder das Tuch über die zarten Glieder, hockt sich daneben hin und wartet geduldig auf ihr Erwachen. Mit gierigen Augen streichelt sie die Münzen in dem Beutel. Der Regen klopft an die Bretterwand, manchmal klappert der Wind mit der schlecht schließenden Tür. Aus einem Käuzchenhorst im Thermengemäuer wehklagt es unheimlich durch die Nacht.

Um dem armen Hexenopfer völlige Unschädlichkeit zu sichern, beschließt die Bellincona, morgen nachts den Bronzefuß der kapitolinischen Wölfin dreimal zu streicheln und den vordersten Euter mit dem Blute eines Hahns einzureiben, der dreizehn Hennen um sich hat. Sie wußte ein solches Zaubertier auf dem Monte Aventin. Zum Überfluß konnte sie ja auch noch des Nachts zwischen den Säulen des Saturntempels auf dem Forum ein Zicklein opfern. Das alles zusammen verbürgte die nachträgliche Unversehrtheit der Seele ihrer Verführten. 105

 


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