Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Der Brutus im Kardinalspurpur glaubt in die Erde versinken zu müssen. Baldassare, der Tölpel, schluchzt vor ihm auf den Knien und ringt die Hände.

»Alberne Canaille! Die man totpeitschen sollte! Nino geflohen, sagst du? Der Mensch wittert Galgenluft. Aber er hat recht getan. Nun werden sie nach Battista fahnden. Herrgott, laß ihn entkommen.« Er schickt den Missetäter in die Küche, daß er gelabt werde.

Petrucci verbringt jeden Tag in Olimpo im Gefühl des Verfolgungswahnes. Er spielt mit dem Gedanken, ein anderes, sichereres Asyl ausfindig zu machen, wo er den Rest seines Lebens verbringen könnte. In der Sieneser Bank könnte er bei Bini sein Geld abheben und für die Zukunft vorsorgen lassen. Außerdem hatte de Sauli die Vollmacht, jederzeit Geld für ihn aus einer genuesischen Bank herauszunehmen. Wenn er in der Provence ein stilles Plätzchen finden könnte? Aber ohne Lucia Impaggi erscheint ihm das 315 Leben qualvoll und sinnlos. Der Tyrann in ihm verjagt alle rührseligen Gedanken an Entsagung und Opferbereitschaft. Wie ein starkherziger Condottiere will er ans Ziel gelangen, und sei es mit dem Aufgebot der letzten Mittel. Er beschließt die Entführung Lucias. Ich habe ein saturnisches Gemüt, sinnt er vor sich hin, und die Konstellation der Sterne soll bei meiner Geburt nicht günstig gewesen sein. Ich will sie korrigieren durch Tatkraft, Zähigkeit und Ausdauer.

Da hält vor dem Tor ein päpstlicher Reiter. Petrucci durchfährt es wie ein Blitz. Er ist entdeckt.

Der verstaubte Reitersmann hält ihm einen Brief mit dem leontinischen Siegel hin.

»Bruder in Christo! Geliebter Kardinal! Wir wissen, daß Ihr mit dem Kummer Eures Schicksals belastet seid. Ihr habt schwer gefehlt, Eure Pläne sind enthüllt, Euer feindlich Gemüt liegt aufgedeckt vor uns und Eure Vorsätze sind von bösem Willen durchtränkt. Dennoch halte ich Euch nicht für schlecht, nur für leidenschaftlich und unbesonnen. Ihr empfindet das traurige Los Eures Geschlechtes als das Eurige. Es würdig zu tragen, wäre Euch angemessener gewesen, als sich rachsüchtig dagegen zu stemmen. Ihr bäumt Euch gegen mich auf, und das in einem Grade, der ans Verbrechen grenzt. Eure Pläne tragen den 316 Gestank der Empörung und das Antlitz der Ruchlosigkeit. Und dennoch – der Christenmensch in mir verwirft den Gedanken der Rache, den zu hegen mir sonst ein Leichtes wäre. Werft Euch in die Arme der Reue, laßt Euch von mir herzlich umfangen, und Gnade soll die Vergeltung heißen, die ich dem verirrten Bruder in Christo reiche. Kommt und werft Euch mir zu Füßen. Ihr habt den Christen in Euch begraben, ich aber rufe Euch zu: Lazarus, komm heraus! Die Kirche bedarf Eurer und das gemarterte Herz Eures Herrn vergibt Euch. Empfangt die Gnade Eures Herrn als ein himmlisches Geschenk, unverdient, aber gerecht aus dem Herzen gespendet. Ich schleudere das Gewesene in den Abgrund der Hölle, aus dem es kam. Entäußert Euch jedes Argwohns und ordnet Euch wieder in das Kollegium Eurer Brüder ein, die Euch aufnehmen werden mit gottseligem Vertrauen. Ich verspreche Euch freies Geleite und unbedingte Sicherheit als Christ und Mensch.

Ich bin Euch gewogen und gar väterlich gesinnt.

Leo X., Papst, Knecht der Knechte Gottes.«

Petruccis Augen begannen feucht zu werden. Gnade! Überströmende Gnade ward ihm zuteil! Das in ihm aufgerichtete Gebäude des Hasses wollte zusammenstürzen und er spürte beinahe körperlich das Krachen in allen Fugen. Der Papst vergab ihm! Dieser Papst, der ihn und sein 317 Geschlecht so geschlagen hatte. Petruccis Sinnen war so schrecklich gewesen, daß er den Begriff Gnade überhaupt nicht mit ihm verbinden konnte, ohne furchtbare Scham zu empfinden. Dieser Brief rief ihn wieder zu Amt und Würde zurück. Zerrüttet, gepackt, von Reue gefoltert lief er auf und ab. Sicheres Geleit! Damit besiegelte der Papst seine Guttat an ihm. Unumstößliches Vertrauen verlangte er von ihm, innere Wandlung gebot er ihm. Er mußte ein Tor oder ein Bösewicht sein, wenn er der Mahnung nicht folgen wollte. Er mußte die furchtbar belastete Vergangenheit aus der Welt schaffen. Wie von heiligen Eiden bekräftigt klang jedes Wort des Gnadenbriefes in sein Herz.

Mit befreiter Brust und unbeengtem Herzen traf er Anordnungen zur Rückkehr nach Rom. Er ließ das Landgut Olimpo unter dem Schutz des Dieners Daniele zurück. Baldassare, der ungeahnte Vergebung erhält, sollte ihn nach Rom begleiten.

Am andern Morgen ritt er in den taufrischen Tag hinein. Seine Gedanken waren von Freude und Zuversicht beschwingt. Ein leichter Morgenwind trieb sein Roß frischer durch die Fluren.

Auf dem Quirinal wirbelte die Dienerschaft durcheinander. Filippo Reni, der Hausverwalter, ließ sogleich in den Gemächern Ordnung machen. Er bedauerte die von allen Bediensteten 318 unverstandene Flucht Ninos. Aber der Kardinal schien gar nicht davon Notiz nehmen zu wollen. Für ihn stand es fest, daß seinem getreuen Famulus dieselbe Gnade zuteil werden müßte.

Und nun mußte Petrucci bei sich selbst jenen Gleichgewichtszustand herstellen, der ihm die sicherste Bürgschaft für die Reinlichkeit seines Gewissens zu sein schien. Die Sehnsucht nach Lucia Impaggi durfte nicht mehr wie ein flammendes Fanal sein Herz durchglühen, er mußte sie auslöschen aus seinen Gedanken und Gefühlen, und er mußte dem Mädchen die Ruhe wiedergeben, die er durch sein stürmisches, tyrannisches Werben zerbrochen hatte. Er mußte sich selbst entsündigen und mußte aus Liebe zu Lucia auf ihre Liebe und ihren Besitz verzichten. Seine drohende Werbung durfte nicht wie ein Damoklesschwert über ihrem Gemüt hängen. Mit friedsam durchleuchtetem Herzen warf er sich vor das Bild der Gottesmutter hin und empfahl Lucia und sich ihrem Schutz. Er erhob sich. Siehe, das Alte ist abgefallen, es ist alles neu geworden. Mit diesem Apostelwort grüßte er sich selbst, sein entschlacktes, neugeborenes Herz.

Aber diese innerliche Reue erschien ihm auch noch als zu gelinde Buße. Er wollte sein mea culpa angesichts des Altars stammeln, den er durch sein gieriges Sündenwerk entweiht hatte. Vor Lucia selbst wollte er das Kreuz über die 319 schuldige Brust schlagen. Ihre Vergebung sollte der Talisman seines Lebens werden

Dem Trieb seines gereinigten Innern folgend, warf er ein paar Zeilen aufs Papier. »Geliebte Lucia! Ich bin zurückgekehrt – ich erwarte Euch. Unsägliches Glück harrt Eurer. Ihr werdet einen Proteus finden, der Euch gefallen wird. Der Diener hat den unbedingten Auftrag, Euch in der Sänfte zu mir zu bringen. Petrucci.«

Er hatte die Riegel des Gefängnisses seiner Sündenschuld geöffnet. Die reumütige Brust fühlte sich auf dem Weg zu Gott schreiten, den sie bisher trotz dem kirchenfürstlichen Kleid nie gegangen war.

 


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