Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Neunzehntes Kapitel

Der Astrologe Priuli, der dem Papst gar oft das Horoskop stellte, hatte einen Unglückstag prophezeit. Freilich hatte Paris de Grassis dafür gesorgt, daß die Vorhersage nicht zu den Ohren Leos kam. Er hatte den zudringlichen Sternenleser hinausgeworfen. »Pigliate a tempo la fortuna!« war der mahnende Abschiedsgruß des Astrologen, bevor er die Treppe hinuntersauste.

Leo saß in warme Tücher gehüllt in der Stanza della Segnatura und las in den Novellen des Bandello. Neben dem Buch lag eine Dose mit köstlich duftender Salbe, ein Geschenk Pietro Bembos, der sie aus den schönen Händen der 242 mantuanischen Herzogin Isabella Gonzaga erhalten hatte, die solche Salben selbst bereitete. Leo tauchte von Zeit zu Zeit seinen Zeigefinger in die wohlriechende Salbe und rieb sich seine stets schweißfeuchte Stirn ein.

Kardinal Giulio saß in einer Ecke und bewunderte eine Sammlung von Gemmen, die gestern als eine Gabe frommer Paduaner angelangt war, die angeblich unter dem Segen der Papsthand von allerlei Krankheiten geheilt worden waren.

Leo hob das Haupt. »Vetter, es muß doch Kraft in uns sein, Gottes geheiligte Kraft, die solche Wunder wirkt.«

Giulio ließ eine Gemme in seiner Hand rollen. »Wenn nur diese Kraft ausreichen wollte, auch das Wunder der Füllung Eurer Kassen zu bewirken.«

Leo rückte unruhig hin und her. Aber er antwortete nichts.

»Die Beutel und Schränke Eurer Heiligkeit leiden bedenklich an Schwindsucht. Der Datar Pucci sinnt Tag und Nacht über die Möglichkeit, diese Krankheit zu beheben. Aber seine Gedanken stoßen sich an der schnöden Wirklichkeit wund.«

»Und die Ablaßgelder? Die deutschen Melkkühe?« fragte der Papst übelgelaunt.

»Sie wehren sich schon heftig in Wort und Schrift gegen die Abgabe der goldenen Milch.«

243 »Wehren sich? Der Kurfürst und Erzbischof Albrecht von Mainz wird schon Mittel finden, sie zu besänftigen. Dieses Deutschland beginnt mir Sorge zu machen. Weißt du noch, wie wir zusammen das Land bereisten, ich als junger Kardinal, kaum neunzehn Jahre alt, du als noch jüngerer Gesandter unseres Vaters. Wie uns der Kaiser empfangen und uns herzlich bewirtet hatte! Wir vergaßen darüber das Barbarentum der Deutschen. Nun schlagen sie wieder mit den Fäusten auf den Tisch. Man hat sich wohl auf unserer Seite in den Mitteln vergriffen. Man muß schlauer zu Werke gehen. Der Tetzel scheint eine plumpe Hand zu haben, er und Eck, die da draußen den Handel besorgen, scheinen Tröpfe zu sein, deren tölpische Zugriffe sich die Deutschen nicht gefallen lassen wollen. Man darf nicht den Leuten das Messer an die Kehle setzen, man zapfe sie feinfühlend ab, weise auf die Not der heiligen Kirche hin, die von allen Seiten bedrängt wird –«

»An diese Not glaubt niemand mehr,« unterbrach ihn der mediceische Vetter. »Man sieht nur, daß der Peterspfennig in den Kasten fliegt, aber nicht, wohin er wandert. Man sieht, wie Kirchen gebaut werden, aber das Volk spürt keine Linderung seines Elends. Die Deutschen haben das Vertrauen zur Kirche verloren, wenn sie es je besessen haben. Es ist da schon vor dreihundert 244 Jahren ein Sänger gewesen, der den Papst heftig angegriffen und mit seinen Kampfliedern die Deutschen aufhorchen gemacht hat, ein Herr Walther von der Vogelweide, dessen Schnabel allzukräftiglich gegen Rom piepste.«

Ja, ja, unter Innozenz pfiff der von der Vogelweide übers deutsche Land hin und verdammte den Opferstock. Schade, daß wir damals noch nicht die Inquisition kannten. Aber so oder so, die Schreier werden nicht alle. Man sträubt sich gegen den Ablaßverkauf, und dennoch ist er das einzige Mittel, unsere erschöpften Kassen wieder aufzufüllen. Meine Schatzkammer leert sich zusehends, und die Geistigkeit meiner Gelehrten, die Talente meiner Künstler wollen gehätschelt werden. Dazu ist der Karneval im Gang, der Vatikan will dazu beisteuern, das Volk bei fröhlicher Laune zu erhalten.«

»In den Straßen tummeln sich schon ferraresische Masken, und die Tierköpfe brüllen ihre Lieder in die Luft, die Ausrufer künden Wettrennen und Judenlaufen an, auf der Piazza Navona werden Mädchen auf Decken geworfen und die Mönche schauen zu.«

»Man soll die neugierigen Laffen selbst auf die Decke werfen.«

»Das gliche mehr einem Vergnügen als einer Strafe. Man sollte sie lieber zwischen die Fäuste der Ringkämpfer werfen oder auf dem Seil gehen 245 lassen, das die fahrenden Gesellen auf der Piazza del Popolo gespannt haben.«

»Ich verachte dieses Barfüßergelichter mit seiner prahlerischen Zurschaustellung der Armut. In ihrem Innern tragen sie ja doch unerhörten Stolz und Hochmut. Da fassen die Benediktiner das Leben viel genußfreudiger an, und der Herrgott rümpft darüber nicht die Nase. Alles in allem, lieber Vetter, ich vertrage keine Theologen um mich, die sinnenfrohen Poeten machen vergnügtere Gesichter, wenn sie auch allzu viel an meinem Hof schmarotzen. Aber sie bringen einen helleren Anstrich in das ernste Rom, besonders im Karneval. Wir wollen dem Pöbel den lauten Jubel gönnen, wollen in der Art mediceischer Verschwendung Geld unter die Masken werfen, müssen den Römern Glück vortäuschen, wenn wir's schon nicht besitzen. Aber dazu brauchen wir Geld, Geld, Geld! Und aus den Deutschen ist's noch immer am leichtesten herauszupressen.«

»Wie lange noch?« wandte der Kardinal ein. »Es kommen viele deutsche Mönche nach Rom, und wenn sie zurückkehren, singen sie böse Lieder über das böse Rom. Gestern sprach ich einen Augustinerpater, er erinnerte sich eines Ordensbruders aus Sachsen, der vor einigen Jahren nach Rom gepilgert war, um an den heiligen Stätten zu beten, anstatt dessen aber mit Schaudern dem Klerus in die Suppe geguckt hatte. Er soll empört 246 gewesen sein über die Sittenverderbnis der Augustiner und über die Schwelgerei an den Kardinalshöfen, ja er soll ohne Gebet von Rom geflohen sein. Was er über den Papst, über Dominikaner und Franziskaner gesagt hat, will ich lieber nicht gehört haben.«

Leo lächelte dumm-gütig. »Gott verzeihe ihm. Aber über ein harmloses Geschimpfe kommen die Deutschen ja doch nicht hinaus.«

»Ich wünsche nur, allerheiligster Vater, daß Ihr Eure Meinung nicht zu revidieren brauchtet. Dieser Deutsche nannte die Predigermönche Epikuräer und Mastschweine, die Barfüßer aber Lügner aus dem Teufelsgeist.«

»Diese deutsche Grobheit sind wir gewöhnt. Auch Ulrich von Hutten, der seine Pamphlete durch die Lande flattern läßt, hat uns argen Gestank unter die Nase gehalten, und doch schwelgen Papst und Kirche in ihrem gerechten Prunk.«

»Hutten – ja, ich erinnere mich – das ist der deutsche Ritter, der die Papstwirtschaft eine mediceische Krämerei geheißen hat –«

»Ist er noch in Bologna?« fragt der schwitzende Papst.

»Er soll nach Ferrara geflohen sein, als ihm Kardinal Pucci sagen ließ, daß der Bann seiner harre, wenn er fortfahre, den Herrn Francesco Maria noch immer als Herzog von Urbino anzusprechen.«

247 »Der Wink war gut. War Hutten nicht öfter Gast bei Gorycius?«

»Ganz richtig, er ist ein arger Romfeind, nennt uns feige Schreiber und sittenlose Pfaffen. Man hat eines seiner Epigramme in Bologna in die Hände bekommen. Darin heißt es: Bringt ihr Geld nach Rom, so seid ihr rechtliche Leute, Tugend und Seligkeit kauft und verkauft man in Rom.«

Leo sah nachdenklich vor sich hin. »Wenn der Ritter recht hätte?«

»So dürfen wir es ihm nicht zugestehen,« sagte der Kardinal skrupellos. »Das Geld verwandelt sich in unsern Händen zu einer Geistesmacht.«

»Vorausgesetzt, daß wir's besitzen,« lächelte der Papst mit leichter Wehmut. »Sagt, Vetter – was schulden wir den Banken?«

»Den Gaddi zweiunddreißigtausend, den Bini zweihunderttausend Dukaten, Strozzi aber ist nahe daran, in Brüche zu gehen, wenn wir ihn nicht bezahlen. Kardinal Armellini mahnte uns vor einer Woche um seine hundertfünfzigtausend Dukaten, die er vor einem halben Jahr in die päpstliche Schatzkammer fließen ließ.«

»Und das alles noch nicht zurückgezahlt?« entsetzte sich Leo. »Dann müssen wir ja die Ablaßsummen erhöhen. Die Predigten müssen mehr durchdacht und auf die Erlösung von Sünde und Not durch den Ablaß selbst ausgearbeitet 248 werden. Alle Landgeistlichen müssen geschult werden, das Heil im Ablaß zu verkünden, um Christi willen – doch kann man Christum ruhig auslassen. Wir müssen die Deutschen auf eine Art schröpfen, die ihrem Wesen angepaßt ist. Man muß sie in Massen auf den Kirchplätzen zusammentreiben und ihnen ihre Not und die Erlösung daraus durch den Ablaß recht eindringlich schildern. Sie dürfen nicht merken, wo's hinausgeht, man muß sie innerlich packen, um sie zum äußerlichen Notopfer zu zwingen.«

»Ihr galoppiert zu sehr in einer Richtung, allerheiligster Vater, und ich fürchte, Ihr vergaloppiert Euch da. Übersehen wir doch die bisherigen Eingriffe. Die Auflagen steigen derartig, daß das Volk schon zu murren beginnt. Die städtischen Privilegien werden durch die kirchlichen Erlässe verletzt, man zieht aus den Ratsstuben heraus, was nur an Geld da ist, wir verkaufen alle möglichen und unmöglichen Ämter, Bistümer, Pfarreien, wir haben den heiligen Rock Christi in Trier als einzig echten anerkannt und die Stadt zu einem Wallfahrtsort gemacht, aus dem wir einen großen Profit durch die Beteiligung an den Pilgerspenden ziehen, wir haben an alle möglichen Geldquellen gedacht, an Annaten, Ämtertausch und manches andere, aber –« Giulio lächelte spitz, »wir schröpfen noch viel zu wenig . . . die Kardinäle.«

249 »Aaah!« brach der Papst in Bewunderung aus. »Ja, ja – die Kardinäle! Diese Weltkinder im Purpur sind meine Stützen oder meine – Gegner. Die Kardinäle, sagst du, Vetter. Es sind merkwürdige Antipoden unter ihnen, die nur darauf warten, mich in der Gruft zu sehen. Sag, hast du einmal Petrucci fest ins Auge gesehen?«

Giulio lächelte verschmitzt. »Und darüber hinaus in die Seele. Er ist einer der gefährlichsten Menschen. Seit Ihr seine Sippschaft unter die Zange genommen habt, speit er Gift und Galle. Ich möchte raten, ihn einmal zu stellen, ihn klipp und klar als Gegner festzunageln. Er wird, soweit meine und Farneses Spione es beobachten können, allmählich der Mittelpunkt eines Klüngels der unzufriedenen Kardinäle. Man sieht bei ihm die Kardinäle de Sauli, Adriano da Corneto, Raffaello Riario und Soderini aus und ein gehen, es gibt immer wieder Bankette bei einem dieser Herren, und man kann annehmen, daß es sich dabei weniger um goldenen Wein als um noch unaufgedeckte dunkle Scongiuri handelt, Beschwörungsformeln, die irgend einen bestimmten Hintergrund haben. Es dringt kein Laut aus den Versammlungszimmern, die Türen sind gepolstert, die Fenster selbst in der warmen Jahreszeit geschlossen, und erst spät nachts verlassen die Kardinäle die verschwiegenen Nester.«

250 »Das klingt ja fast – das Wort will mir kaum aus der Kehle – nach Verschwörung.«

»Es ist nichts anderes. Und hier könnte die Sanierung Eurer kranken Kassen einsetzen.«

Tiefes Schweigen. Man hört das ferne Gemurmel vorüberziehender Pilger. Der Papst sitzt mit verwulsteten Lippen vornübergebeugt am Tisch, die Glotzaugen auf den zugeschlagenen Bandello gerichtet. »Wenn ich dich recht verstehe, Vetter, denkst du Ungeheuerliches aus.« Und nun verrät der Papst dem Kardinal alles, was er mit Farnese über Petrucci und Urbino gesprochen.

Giulio setzt das ernsteste Gesicht auf. »Mit Urbino verbunden? Das heißt doch eindeutig, sich auf die Seite Eures größten Feindes stellen. Petrucci hat sich durch diesen Brief an Urbino jedes Recht auf Schonung verwirkt. Ich bestaune Eure Langmut, allerheiligster Vater. Sie kann eine Waffe in der Hand Eurer Gegner werden. Bedenkt aber eines: den größten Teil Eurer Schatzkammer würde die Vernichtung des Kardinals Petrucci füllen.«

Leo erhebt sich erbleichend. »Das alles habe ich schon längst erwogen. Das alles war beschlossene Sache an dem Tag, da der Vogt der Engelsburg Tyrann von Siena wurde. Der Reichtum des Kardinals sollte sein Verderben werden. Ich wartete nur auf Nachrichten aus Mantua und Pesaro.«

251 »Sie sind heute angelangt. Ercole Anibaldi, der Bote aus Parma brachte sie.«

»Und du verhehlst sie mir?«

»Ich wollte Euch in gefestigter Stimmung sehen. So hört: Urbino rüstet.«

»Der Wahnwitzige will –?«

»Sein Land zurückerobern. Er hat die Hilfe seines Schwiegervaters, des Herzogs von Mantua, in der Höhe von dreitausend Mann Fußtruppen und eintausendfünfhundert Reitern zu erwarten. Spanien stellt ihm fünftausend Mann, weitere Kontingente aus Frankreich und Deutschland sollen im Anmarsch sein.«

»Er wagt es, wagt es!« keuchte der Papst. »Lorenzo muß ihm Widerstand leisten. Wie konnte der Herzog den wahnsinnigen Plan fassen?«

»Er hatte es satt, sagte Anibaldi, sich auch in Mantua von den Schergen des Papstes, wie er sich ausdrückte, mit Bann und Interdikt, ja sogar mit Mord bedroht zu sehen. Zum Überfluß sollen auch die Kardinäle Petrucci und de Sauli ihn zum letzten Schritt aufgestachelt haben.«

»Sie sollen es büßen. Und was sagen die Großmächte zu dem allen?«

»Man spricht von einer beabsichtigten Teilung Italiens durch den Kaiser, Spanien und Frankreich.«

»Nicht auszudenken!« wütet der Papst.

252 »Aber vielleicht durchzuführen! Wenn Frankreich die Hand im Spiel hat, schlägt diese Hand schneller zu als die Gedanken der andern. Ehrlich gesagt, man traut uns Mediceern nicht mehr, man durchschaut das Doppelspiel Eurer Heiligkeit, man ahnt bereits, daß der Vater der Christenheit daran denkt, seinen Neffen Lorenzo zum Herzog der Romagna zu machen, um durch ihn Italien zu beherrschen und die Franzosen daraus zu vertreiben.«

»So ahnen sie, was ich weiß?« Leo stürzt einen Becher Sorbet hinunter und wischt sich den Schweiß von Stirn und Nacken. »O mir wird übel, wenn ich an die Abwehr meiner Feinde denke. Mein Leiden plagt mich, meine Fistel brennt – ach, ich möchte am liebsten Primiera spielen –«

»Und wieder Geld verlieren! Bedenket, daß Ihr im letzten Monat – es war der heilige Christmond – erst nahezu fünftausend Dukaten verspielt habt. Damit kommt Ihr nicht an die Kardinäle heran.«

»Die Kardinäle, richtig!« Er springt von einem Gedanken zum andern. »Der haßfreudige Petrucci! Der junge de Sauli! Der es nicht vergessen kann, daß ich ihm das Erzbistum Marseille verweigert habe. Adriano! der Giftmischer Alexanders! dem eine jüdische Sibylle ein Papsttum geweissagt hat! Soderini! der mich verflucht, 253 weil ich seinen Bruder aus Florenz vertrieben, ihn seiner Würden beraubt habe. Und Riario! ergrimmt über die Verjagung seines Neffen, des Herzogs von Urbino – sie alle mit Haßgedanken durchtränkt. Ja, soll ich vielleicht mit meinem Blute bezahlen?!« Er schluchzt auf, die Angst zerstückelt die Worte – »Ich – kann – diesem Petrucci – nicht – unter die Augen – treten – die Viper sticht – nach mir –«

»Nur Ruhe, allerheiligster Vater. Ein Gebet beim Haupte des Andreas, eine kleine Herzstärkung, und Ihr seht alles in helleren Farben. Gelassenheit steht dem Weisen schön. Ich muß Öl auf die empörten Wogen Eures Herzens gießen.«

»Wie – sag nur – wie war das – unter Innozenz? Das mit den Taxen für Mord und Totschlag –«

»Eine peinliche Sache. Man sollte sie nicht aufwühlen. Innozenz brauchte Geld, viel Geld.«

»Wie ich, Giulio, wie ich. Er hatte sechzehn Kinder.«

»Ich weiß nicht, ob man da alle gezählt hat,« warf der Kardinal spöttisch ein. »Papst Innozenz und sein Sohn hatten die sonderbarste Restaurationsidee. Sie gründeten eine Bank, wo Mörder und Totschläger sich gegen Erlag von ausgiebigen Bußtaxen von ihren Verbrechen 254 loskaufen konnten. Sie brachten ein anständiges Sümmchen zusammen.«

Leo schauderte es. »O nicht daran denken! Giulio, warum dachte ich dennoch daran? Ein böser Geist fuhr über mein Herz, ein schrecklicher Geist. Wir müssen unsere Gedanken besser hüten, wir beide, Freund. Sie überfallen den gutmeinendsten Menschen wie Wölfe.«

So dachte also der Papst daran, sich seines Feindes zu entledigen und sich dann selbst durch eine große Opferspende die Absolution zu erkaufen. Giulio spürte auch, wie sich Leo gegen diesen Gedanken wehrte. Sein verzweifeltes, aufgedunsenes Gesicht gab Zeugnis davon, die Augen quollen hervor, als wollten sie aus den Höhlen heraus.

»Ich rate Euch doch, Petrucci vorzuladen.«

Leo sah den Vetter gebrochen an. »Laßt mir Zeit – Zeit – und bringt mich auf andere Gedanken.«

Giulio dachte nach. »In Mailand hat das Volk die Mönche von San Simpliciano windelweich geprügelt, weil es ihnen Schuld gab, daß so viel Regen vom Himmel falle. Die Mönche bauten ihren Hochaltar um und fanden dabei sechs Leichen von Brüdern, die sie an die Luft legten. Das empfanden die Leute als ein Sakrileg und verbanden damit die Himmelsstrafe.«

»Es ist ein abergläubisches Volk; doch 255 erfreuen wir uns am Heidentum, müssen wir ihnen die Freude an ihrem Aberglauben lassen. Und ein abergläubisches Volk ist ein knetbarer Teig in den Händen der Kirche.«

»Weiters hat ein Lazarist in Ferrara eine große Hungersnot prophezeit.«

»Man soll ihn einsperren und hungern lassen, damit seine Prophezeiung wenigstens an einem Menschen wahr wird. Weißt du, Vetter, was ich vorhabe? Eine Ritterschaft Petri zu gründen, einen neuen Orden, in dem nur die reichsten und vornehmsten Männer gegen ein gutes Ordensgeld Aufnahme finden sollen.«

»Da tut Ihr recht und klug. Wenn auch die Ordensritter bald daraufkommen werden, daß es weniger eine Ritterschaft Petri als eine solche Leos ist. Hauptsache, wir bekommen Geld.«

Leo nickte, so schnell er konnte. »Ah, da unten geht Raffael mit seinen Trabanten.« Des Papstes Augen glänzten. »Ich will ihn bei seiner Arbeit am Borgobrand bewundern. Der segnende Papst Leo IV. soll meine Züge tragen. Raffael wird nicht müde, mich zu verherrlichen. Ich denke daran, ihm die Aufsicht über die Bauarbeiten in Sankt Peter zu übertragen, da seit Bramantes Tod alles stockt. Auch die Ausgrabungen und die Sammlung alter Denkmäler will ich auf seine kräftigen jungen Schultern legen. Er ist ein 256 Alleskönner, den man ausnützen muß. Fracastoro soll Oden auf ihn singen, alle Künste sollen sich um die seine gruppieren. Dann will ich den eingegangenen schönen Elefanten durch Raffael an die Mauer des Vatikans malen lassen, es soll ein schönes Bild werden. Die Kartause von Trisulti soll auch ein Madonnenbild von ihm erhalten. Komm, Vetter, wir gehen ihm entgegen.«

 


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