Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundzwanzigstes Kapitel

Auf dem Gianicolo war Geburtstagsfeier. Lucia stand in schimmernder Seide, einen Kranz roter Rosen auf dem goldnen Haar, von Ghitta geflochten, die vor ihr stand und ein paar gutgemeinte Verse heruntersprudelte. Der greise Gianpietro stammelte seine Wünsche von den welken Lippen und machte sich verlegen davon, um seine Tränen der Rührung ungesehen in der Küche zu verschlucken.

»Und er ist noch immer nicht da,« schmollte 320 Lucia und hob die Rosen vom Haupte, die sie auf den Scheitel der marmornen Flora legte, die blütenstreuend in einer Nische der Schmalseite des Gemachs stand. »Liebhaber scheinen mit den Gedanken schneller zu sein als mit dem Reittier.«

»Der Tag ist noch nicht zu Ende, Herrin, und Messer Aleandi wird unterwegs aufgehalten worden sein. Auch klingt ein Sprichwort: Wer allzu schnell zur Liebsten eilt, fällt leicht bevor er sie ereilt.«

»Ich meine, Raffael wird ihn zuerst in Beschlag genommen haben.«

»Nun eifert Ihr zur Abwechslung. In den Hirnen der Verliebten müssen ganze Schwaden von Liebesteufeln schweben.«

»Sieh, wie die Sonne Rom übergoldet,« lenkte Lucia ab. Nun dünkt mich, müßten alle Herzen unter diesen Dächern glücklich sein.«

»Und wer ist glücklicher als Ihr, Herrin? Schön, jung, geliebt und liebend – was wollt Ihr noch? Der wackre Accolti nannte Euch einmal die schönste Blüte im römischen Mädchenflor, durchsonnt und durchmondet zu gleicher Zeit.«

»Er ist ein loser Schwätzer und sagt's auch andern. Man lerne die Poeten kennen. Filippina Savona schwärmt von ihm, weil er einmal ihre Lippen das Aushängeschild ihrer Zärtlichkeit 321 nannte. Diese Rimatori sind mit Worten schnell zur Hand.«

»Fast schneller noch mit Küssen,« scherzte Ghitta und dachte an ihren Giorgio Caprone, der sich in der gelehrten Umgebung des Kardinals de Sauli das Dichten angewöhnt hatte, wenn er mit seinem Herrn die Versammlungen der schöngeistigen Römer besuchte.

»Du Schelmin, du scheinst bei Mondenschein deine Erfahrungen zu machen.«

»Besonders bei Neumondenschein. Da merkt's niemand, nicht einmal der Mond selbst.«

Lucia ist ans Fenster getreten. Zu ihren Füßen blüht der Garten in phantastischer Pracht. Kameliensträucher, Oleander, Myrte, Lorbeer, Aloen und Agaven gruppieren sich um einen kleinen Pinienhain, aus dem die Statue der Pomona leuchtet.

Ghitta wirft der Statue eine Kußhand zu. »Segne unser Grün, freundliche Göttin! Was ist das? Auf der Straße hält eine Sänfte vor unserm Hause. Sie ist leer –« Plötzlich aufgeschreckt: »Die Diener tragen die Farben des Kardinals.«

Lucia steht reglos wie vom Blitz getroffen, mit offenem Munde da. Das Blut ist aus ihren Wangen gewichen. »Petrucci – ist wieder – in Rom –« haucht sie mit halberstarrtem Herzen. Und sie sieht einen Mann über den Kiesweg des Parkes schreiten.

322 Es klopft. Gleich darauf überreicht Filippo Reni mit todernster Miene den Brief des Kardinals.

Lucia liest . . . Das Blatt entsinkt ihrer Hand. Hinter ihren Schläfen hämmert das Blut. Er ist da! Er verlangt nach mir! durchschauert es sie. »Was – habt Ihr – für einen Auftrag?« bröckelt es sich von ihren bleichen Lippen.

»Euch unbedingt in das Haus meines Herrn zu bringen.«

Da wimmert ihre Angst: »Hölle und Teufel wider mich! Ghitta – er will mich –« Sie taumelt in einen Stuhl.

Ghitta eilt hinaus, Wasser zu holen.

Lucias Hirn durchjagen hämmernde Gedanken. Entfliehen! durchzuckt es sie von oben bis unten. Mit Körper und Seele fliehen aus dem schrecklichen Labyrinth dieser Welt. Wohin? In die quälende Frage weht der Odem des Todes hinein, er kreist wie ein Wirbelsturm in ihrem Gehirn, zerstückelt ihren Sinn, sie hört kreischende, aufschreiende Laute ihres gemarterten Herzens durch die bange Stille dringen, ihre Hände greifen nach den Schläfen, etwas Ungeheuerliches, mit Worten nicht zu Fassendes durchrast sie – der Gedanke an die seelische Verheerung zerreißt ihre Nerven – sie springt auf – erstickende Finsternis vor ihren Augen, dann plötzliches grelles Aufleuchten, gleißendes, fast sieghaftes Licht . . .

323 Sie torkelt von Stütze zu Stütze . . . öffnet die Tür zum Schlafzimmer und wankt wie eine Trunkene hinein, schlägt die Tür hinter sich zu.

Reni steht in verzweifelter Hilflosigkeit mit herabhängenden Armen da, zuckt die Achseln, will nach der Tür –

Da tritt Ghitta mit dem Becher Wasser herein. »Sagt Eurem Kardinal, wir hätten in unserer Armseligkeit Rücksicht verdient. Wo befindet sich Seine Exzellenz?«

»Kardinal Petrucci ist soeben zu Seiner Heiligkeit in den Vatikan geritten.«

»Herrin – Herrin –« Ghitta klopft an der Schlafzimmertür. »Das Wasser, Monna Lucia –«

Ein dumpfer Fall ist die Antwort.

Ghitta öffnet entsetzt die Tür . . . schreit laut auf . . . läßt den Becher fallen, stürzt sich über die am Boden liegende Herrin – »Heilige Jungfrau – Ihr habt doch nicht – das Pulver –?«

Lucia liegt mit schmerzverzerrten Lippen kreideweiß neben dem Betpult. Sie nickt Ghitta zu . . . unartikulierte Laute ringen sich schwer von den bläulich werdenden Lippen. Das Gift verkrampft ihre Glieder.

Reni steht voll Entsetzen neben der Sterbenden, will helfen – ein Blick aus den schmerzglühenden Augen weist ihn fort.

Ghitta öffnet der Herrin das Kleid über der 324 Brust, fühlt das wildjagende Herz, ihre Jammerrufe hallen durchs Haus.

Da poltert es die Stiege herauf. Schweißbedeckt, verstaubt steht Ascanio Aleandi auf der Schwelle. Dann rast er aufschreiend auf Lucia hin, stürzt sich über ihren Leib, stammelt in das erlöschende Auge: »Lucia . . . Heilige . . . was ist geschehen?«

Lucia weist auf den am Boden liegenden Brief. Ascanio liest mit wachsendem Entsetzen, seine Augen treten aus den Höhlen, Wut treibt ihm das Blut in den Kopf. »Sie hat sich –?«

Ghitta nickt jammernd und streichelt über die zarten Brüste hin.

Mit furchtbarer Ruhe wendet sich Ascanio zu dem verzweifelt dastehenden Reni. »Meldet Eurem Herrn, was Ihr hier seht.«

»Es wird geschehen, sobald Seine Exzellenz aus dem Vatikan zurückgekehrt ist.«

»Er ist im Vatikan?« lauert ihn Ascanio mit angehaltenem Atem an.

»Er wurde von Seiner Heiligkeit zu besonderer Aussprache vorgeladen.« Mit einer tiefen Verbeugung entfernt sich der Bote Petruccis.

Ascanios Haupt sinkt auf die Brust. Dann wirft er sich verzweifelt neben der Sterbenden nieder, netzt die marmorweiße Stirn mit seinen Küssen. »Heilige du . . . reine, himmlische – wie konntest du –?«

Ein von inniger Liebe durchzuckter Blick 325 antwortet ihm. Die Lippen sind schon vom Tod berührt. Ascanio hetzt Ghitta nach dem Arzt hinunter, der in Santo Spirito wohnt. Der verzweifelte Gianpietro muß heiße Tücher bereiten und helfen, den erschöpften Leib auf das Bett zu legen.

Ascanio streichelt über das aufgelöste Haar hin und trocknet ihr die schweißnasse Stirn. Seine tröstenden Worte fallen in ein Herz, das schon halb dem Himmel gehört. Dann aber überfällt ihn der Gedanke an den furchtbaren Würger. »Hochpriester der Christenheit! Diese da wirft deine Seele vor das Gericht Gottes. Deiner Sünden Maß ist voll. Lucia, ich will fürchterlich vergelten, dieser Dolch soll seiner Schuld ein Ende setzen.« Sein Atem dampft über die zuckenden Lippen der Geliebten hin.

Ihr schon trüber Blick fleht ihn um Erbarmen an. Aber er merkt es nicht, und faßt nun nach ihrer Hand. Er spürt, wie sich die weißen Finger um sein Gelenk krampfen – nun geht ein Zucken durch ihren Leib – und dann starrt er in das brechende Auge. Mit einem Aufschrei umfängt er das Haupt der Geliebten. Sein Jammer verhallt ungehört im Reich des Todes. 326

 


 << zurück weiter >>