Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Sechzehntes Kapitel

Ein strahlender Spätherbsttag spannte sein blaues Himmelszelt über die Hügel Roms. Vor dem gelehrten Klausner saß der Kardinal Petrucci und schüttete sein Herz aus. Ohne Scheu, leidenschaftlich bewegt, schilderte er dem alten Freunde, dessen johannitische Bedürfnislosigkeit immer seine Bewunderung erregt hatte, sein Liebesleid, ohne vorerst auf die Last des Hasses einzugehen, die ihn ganz niedergedrückt hatte.

»Mit Tränen netze ich meine Polster, auf denen ich mich nächtens schlaflos wälze, und die alle erfreuende Sonne sieht am nächsten Morgen einen müden Menschen, der an den Geschäften des Tages kläglich zerbricht und sich mühsam 224 zum Dienst an Gott aufrafft. Ich gleiche der Frucht, die ein Wurm zernagt, und das süße Gift der Liebe zerstört meine Seele.«

»Das nennt Ihr Liebe, Kardinal?« Das prüfende Auge Fabios forschte in den zerrissenen Zügen des vor ihm sitzenden Gottesdieners. »Das ist Leidenschaft der Sinne, nicht Liebe. Und der Kardinalspurpur ist ein schlechtes Gefäß für einen solchen Inhalt. Euer sogenanntes Liebesleben ist des brennenden Verlangens voll, aber ihm fehlt der Flügelschlag der Seele. Euch fehlen zwei ernste Beistände der Liebe, Wille und Weisheit. Ohne sie verbrennt, erstickt, verzehrt sich die Liebe und kann sogar das andere Herz im Brand mit sich reißen. Gar leicht verwandelt sich eine solche verzweifelte Liebe in ihren Gegenpol, den Haß. Eure Liebe verdunkelt ihr Wesen vor Gottes prüfendem Auge. Habt Ihr je die Sehnsucht gehabt, das Wesen der Geliebten mit der reinen Gotteskraft zu durchdringen oder wolltet Ihr nicht vielmehr mit der Selbstsucht Eures Herzens das Herz der Geliebten verderben?«

Petrucci schlug sich auf die Brust. »Ja, tausendmal ja! Und ich verfluche mein Schicksal, das mir ein so selbstsüchtig Herz gab.«

»Flucht Euch selbst, dann befreit Ihr Euch von dem Druck des sogenannten Schicksals. Ihr wollt doch nicht lieben, sondern herrschen über dieses Jungfrauenherz, herrschen mit der ganzen 225 abscheulichen Gewalt Eurer bevorzugten Stellung. Eure Liebe ist ohne Edelmut und Demut. Ihr wollt das rätselhafte Geheimnis der Liebe mit Eurem unsauberen Triebleben schänden. Ihr spiegelt Euch nicht im Strahlenschein der Gottheit, indem Ihr liebt, sondern im düsteren Feuerschein der Hölle. Leben, Licht und Liebe verfinstern sich im qualmenden Rauch des Sinnenfeuers Eures schlechtberatenen Herzens. Zum Wachstum der Seele braucht Ihr der reinen Liebe ungeheure Tat. Ihr müßt leidenschaftslos Eure Liebe hinopfern auf dem Altar der Gottheit, müßt selbstlos lieben, dürft nicht die Quelle des keuschen Magdtums verschlammen und verwüsten mit Euren wilden Wünschen. Nur mit dem Maß der reinen Liebe werdet Ihr vor Gott gemessen werden. Und diese Liebe verträgt sich auch mit dem Priesterrock. Sie saust nicht als reißender Strom dahin, zerstörend und dämmebrechend, sondern zieht als sanfter Fluß belebend durch die Auen Eurer Seele. Ich bitte Euch um Euretwillen, geht in Euch. Ich schätze Euch als feurigen, das Schöne liebenden Menschen. Der Kardinal in Euch gilt mir nicht viel. Er ist eine Würde, die der Würde entbehrt.«

»Ich weiß, freundlicher Greis, du schätzest die Diener der Kirche nicht hoch.«

»Weil sie ihre Kirche nicht hochschätzen. Oder besser, sie schätzen die Kirche höher denn Gott. 226 Sie gehen recht irdische Wege und drücken sich vor jeder Versenkung in Gott. Was ist Euch Gott? Der Versorger Eures Lebens, der getreue Buchhalter Eurer Freuden, der gnädige Beschirmer Eurer Sünden, die manchmal schon mehr teuflisch als weltlich sind. Versucht Ihr je – seid ehrlich, Kardinal – Euer Bewußtsein zu heiligen? Füttert Ihr Euch mit der strengen Mahnung, nur den Weg des Guten zu gehen und Eure maßlose Selbstsucht zu verdammen? O sorgt doch für ein tieferes Verständnis des Lebens, aus dem Willen Gottes heraus, lebt für den Ärmsten Eures Volkes, und Ihr werdet befreit aufatmen können.«

Petrucci saß zerknirscht vor ihm. »Ich erkenne, in die Hallen der Weisheit führt nicht der grübelnde Verstand, sondern das reine, wahrhaft liebende Herz, das frei von Schuld und vom Wahn der Sinne ist.«

»Das klingt schon besser. Nur heißt es jetzt, daran festhalten. Ihr dürft vor allem Euer geliebtes Idol nicht mehr sehen. Mit der geistigen Entfernung von ihr beruhigt sich der Wellenschlag Eures Herzens.«

»Grausamer Forderer! Sie nicht mehr sehen! Meinen Gedanken nach ihr die Flügel brechen, meine Sehnsucht zertreten und alles Verlangen in die Hölle verwünschen? Nimmermehr!«

»Habt Ihr nicht selbst die Kraft, Euer wildes Blut zu meistern, wie soll ich alter Mann Euch 227 dazu verhelfen? So kommt niemals der Geist des Heils zu Euch, Ihr schleudert Euch selbst aus dem Ring Gottes hinaus, in dem die Menschenleben schweben.«

Petrucci erhob sich mit zermartertem Herzen. »So bin ich verloren! Meine Liebe kann sich nicht in ach und oh erschöpfen. Ich lechze nach dem zarten Leib mit der zarten Seele, den Gott geschaffen zur Freude der Sinne.«

»Kardinal! Und mit solchen Gefühlen in der Brust zelebriert Ihr die Messe? Spürt Ihr nicht, wie Ihr alles entheiligt, was Eure Kirche als heilig eingesetzt hat? Es ist eine verruchte Zeit. Papst und Kardinäle, Prälaten und Priester sind Antichristen und Tyrannen geworden.«

»Ihr habt tausendmal recht, ernster Mahner, aber was mir Gott in die Brust gelegt, dafür ist er verantwortlich.«

»Furchtbarer Spieler, du drechselst die Gedanken, wie sie dir zu deiner Entschuldigung passen. Dein Wesen ist ein dir von Gott anvertrautes Gut, dessen Vervollkommung oder Zerstörung in deine Hand gegeben ist. Du bist täglich Schöpfer deines Selbst, sein Beglücker oder Verderber.«

Der Kardinal fühlte, wie sich sein Herz gegen die Weisheit des Kopfes sträubte. Er stand auf. Vor diesem Bewahrer erhabener Gedanken konnte er nicht von seinem Haß gegen den Papst 228 sprechen. Er durfte auf keine Absolution rechnen. Verstört, leergebrannt, ausgetrocknet von der Hitze innerer Selbstverzehrung ging er von Fabio Calvo weg, lief den Hang des Monte Mario hinab wie ein von den Furien gehetzter Verbrecher.

Unten bei einer Taverne wartete Nino mit den Pferden. Sie ritten nach dem Quirinal.

Nino war in den letzten Tagen ein anderer Mensch geworden. Seine Freude am Witz war gebrochen, der Schelm in ihm hatte einen Stoß bekommen, aber er arbeitete für seinen Herrn mit noch erhöhtem Eifer, vermied es jedoch, das Gespräch auf den düstern Plan Petruccis zu bringen. Als sie jetzt durch die engen römischen Gassen ritten, sagte Nino bedrückt: »Ihr seid nicht erheitert von oben zurückgekehrt.«

»Ja, Fabio Calvo hat mir meine Sorgen nicht nehmen können.«

»Sorgen! Im Schoß der Sorge ruht sich's schlecht. Aber sind wir nicht selbst die Sorgenbereiter? Wir bieten dieser grauen Frau in unserm Kopf ein warmes Lager an und wundern uns, daß sie so lange bleibt. Mit ihr legen sich üble Genossen ins Bett: Schlaflosigkeit, Übellaunigkeit, Bitterkeit und andere unheimliche Gesellen. Herr, der Winter steht vor der Tür. Ihr braucht einen befreiten Kopf auf Eurem Pfühl. Weg mit allen üblen Gedanken.«

229 Der Kardinal hatte kaum hingehört. Er zeigte nun auf einen Mann, der auf der Piazza Navona daherging, etwas humpelnd, auf einen Stock gestützt.

Nino erklärte auf die Frage seines Herrn, wer der Mann sei: »Es ist der Leibarzt der Colonna, ein wunderlicher Kauz, der sich in der Wundbehandlung sehr gut auskennt. Ein gewisser Battista da Vercelli. Er hat in Padua studiert und soll große chirurgische Erfolge aufzuweisen haben.«

»Das ist Vercelli? Den Mann wollte ich schon lange kennenlernen. Sein Name klingt in Rom laut und schön. Ruf ihn mir herüber.«

Vercelli war eben bei der Bude eines Scharlatans stehengeblieben. Nino holte ihn und der Kardinal bat ihn, in sein Landhaus zu kommen, er brauche einen guten Arzt, der seinen verletzten Fuß untersuchen solle. Der Arzt sagte zu, sich am nächsten Tag auf dem Quirinal einzufinden. Er war ein verhutzeltes, ergrautes Männchen, das einen etwas schelmischen Zug um den Mund hatte. Sein wirres Haar umstand den schmalen Schädel, eine etwas eingedrückte Plattnase machte ihn nicht schöner, aber die lustigen und fast listigen Grauaugen zeigten ein frohes Gemüt an.

Vercelli sah den Davonreitenden verwundert nach. Welche Ehre – ein Kardinal verlangt nach mir! dachte er. Ich diene zwar einem Geschlecht, 230 das die Päpste einst hart bekämpfte. Pompejus Colonna, der würdige Kardinal, lag in arger Fehde mit Papst Julius – na ja, es wurde seither manche Streitaxt begraben, und Leo X. ist ein friedliebender Herr und streichelt die Colonna. Ein schmucker Herr, dieser Sienese. Ein Fußübel, sagte er? Vielleicht so wie beim Papst? Wir wollen es unter die Lupe nehmen.

 


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