Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Zwanzigstes Kapitel

Die Hexe Bellincona steht vor dem Kardinal Petrucci. Sie hat ein nonnenartiges Gewand an, ihr scheinheiliges Gesicht leuchtet wie ein sonnbeschienener Apfel, sie lächelt hold, als wäre das gute Gewissen bei ihr zu Gast. Nino, der sie hereingeführt hat, wirft einen vernichtenden Blick auf sie.

»Setz dich, Leonarda. Wir haben uns lange nicht gesehen, seit den Caracalla-Thermen –«

»Exzellenz hatten damals die Gnade, sich an meiner Vorführung zu ergötzen.«

»Weib, du schlägst mir Wunden ins Gemüt. Ich ergötzte mich nicht, ich betete vor einem jungen Mädchenleib. Es war eine verlorene Sache.«

»Ihr wolltet mit dieser Schaustellung den Schlußstein auf das Gebäude Eurer Liebe setzen. 257 Ist das meine Schuld oder die Eure, Exzellenz?«

»Ich glaubte enden zu können und sah mich an einen Anfang gestellt. Seit dem Tage brennt die Qual in mir und alle Fibern sehnen sich aufs neue nach Lucia Impaggi. Ein frommer Anachoret suchte mich zur Besinnung zu bringen – umsonst, die Lohen versengen mich. Ich muß Lucia wiedersehen.«

Die Gevatterin horcht auf. »So wie – damals?«

»Nein, sie muß in meinen Besitz kommen.«

»Wollt Ihr nur wieder liebesäuseln, die Cortesia auf Euern Schild erheben, wollt Ihr Cicisbeodienste –? Das Pflänzchen will zart behandelt werden.«

»Ich versuchte es mit der Zartheit eines Briefchens, es blieb unbeantwortet. Sie liebt Aleandi –«

»Im Sommer soll in Florenz die Hochzeit sein.«

Petrucci fährt in die Höhe. »Er ist in Florenz? Davon wußte ich nichts. Sie ist also allein?«

»Unbetreut, unbewacht. Ich hätt's Euch wissen lassen, Exzellenz, hättet Ihr Euch meiner erinnert. Ich trage mich nie zu heiklen Dingen an, ich will umworben sein.« Sie machte ein Schmollmaul.

»Würde auch bei Menschen deiner Art? Ich hätte mir's denken können. Sag einmal, wie brachtest du damals das schöne Kind in diesen 258 Zustand? Ich meine, so evanackt und hold? Du gabst ihr einen Schlaftrunk?«

»Ja – so wird's wohl gewesen sein.« Sie rückte verlegen auf dem Sessel hin und her.

»Deine Augen weichen mir aus – du sagst nur halbe Wahrheit.«

»Weil mir die ganze Unheil bringen könnte.« Sie schnupperte in allen Ecken herum, ob nicht jemand lausche.

»Ich bin ebenso in deiner Gewalt wie du in der meinen.«

»Es fragt sich nur, welche größer ist. Beantwortet's Euch selbst.«

»Gewiß, ich kann dich foltern, brennen, rösten lassen, aber damit ist mir nicht gedient.«

»Mir auch nicht, Exzellenz. Ihr scherzt grimmig. Was wollt Ihr aus mir herausbringen?«

»Wie du Lucia fühllos machtest, auf chaldäische Art, ägyptisch? Sie lag doch wie leblos da, nur ihr Atem ging gehetzt.«

Leonarda sah sich wieder vorsichtig um. »Wer bürgt mir für meine Sicherheit? Wollt Ihr mir schwören –?«

»Da! Meine Hand! Und nun endlich ein ehrlich Wort.«

»Habt Ihr nicht damals einen leisen Geruch verspürt? Wehte es nicht um Euch wie von flatternden Gewändern? Fühltet Ihr nicht, in welcher Sphäre sich der Geist des lieben Kindes bewegte? 259 Sie war nicht mehr auf der Erde selbst, sie flog über sie hin – urre urre upupa! Strega vola più in là!«

Der Kardinal schnellt in die Höhe. »Satana! Wer spie dir den Gedanken ein?«

»Man hat so seine Zuträger. In der Subura lebt kein Häuschen für sich. Eins ist dem andern irgendwie verbunden.«

»Hast du dir bei den Hexen von Norcia Belehrung geholt?« Er faßte sie beim Handgelenk.

»Welcher Braus! Was brauche ich Norcia! Hm – Damigella Lucia war das duftigste Vöglein, das ich je fliegen sah. Mit Salbe und Dunst und Spezereien behandelte ich ihren feinen Leib, goß einen Wogenschwall von anfeuernden Beschwörungsformeln in ihr erregtes Gemüt, schob ihr den Besen zwischen die Beine und sie flog in ekstatischer Wollust nach dem Satansberg.«

»Bestia! Wenn ich deinen ganzen Menschen vors heilige Offizium zerre, bist du verloren.«

»Dann schwätz' ich was von einem Herrn Kardinal, der mich gedungen.«

»Dazu hätte ich nie und nimmer meine Einwilligung gegeben. Am liebsten wollte ich dich auf die Folter spannen lassen. Vergiß nicht, mein Amt hat eine weite Flügelspannung, ich hebe mich von dir weg, wenn ich Lust habe, unversehrt, unbeklagt, und überlasse dich den Schergen der Inquisition.« Dann gedämpft, erregt: »Ich will 260 dich nicht verderben, du kannst mir noch nützlich sein. Bist du verschwiegen, bin ich's auch. Vielleicht wandelt sich das Unheil in Heil. Du wirst mir allmählich unheimlich, Gevatterin des Teufels. Man soll den Teufel nicht einmal an der kleinen Zehe halten, er rückt einem gleich mit der ganzen Sippe ins Haus.« Er sinnt vor sich hin. »Sag, hast du gewisse Kenntnisse – wie soll ich sagen? – spürt deine Nase in gewissen Küchen herum? In Offizinen, wo man das Leben mit dem Tod verwechselt?«

»Ihr drückt Euch unheimlich aus, Exzellenz. Meint Ihr gewisse Rezeptchen, deren Verschreibung recht ungewisse Folgen haben kann?«

»Du bist haarnahe an meinen Gedanken. Ich meine, es gibt doch Dinge, die man mehr fühlt als ausspricht.«

»Dazu gehört wohl das kleine Wort Gift?« Sie äugt den Kardinal mit lauernden Blicken an.

»Ich brauche vielleicht einmal ein Mittelchen, das schmerzlos wirkt. Tinktur, Korn, Pille, in die Speise gegeben oder in eine Wunde –«

Die Bellincona fährt auf. »Ihr wollt doch nicht – das süße Kind –« Sie schnappt nach Luft.

»Der Saft wäre für andere Adern bestimmt. Kannst du ihn mir verschaffen?«

Sie runzelt die Stirn. »Er ist nicht über Nacht zu bekommen. Ihr müßt mir Zeit lassen, Exzellenz, drei, vier Wochen.«

261 »Dein Karren fährt langsam. Hast du keinen bessern Vorspann?«

»Gut Ding eilt nicht.«

»Der Preis?«

»Wir werden einig.« Sie .erhob sich. »Und das mit Damigella Lucia?«

»Ich will's überschlafen. Der Morgen gibt klarere Gedanken. Geh, wie du gekommen, durch die Hinterpforte.«

Der Abend legte seinen Dämmer über Bilder, Vorhänge und Teppiche, die Pilaster vor den Apsiden schimmerten noch hell und rahmten die darin stehenden Marmorfiguren bildhaft ein.

Petrucci wollte seine unheimlichen Gedanken im Dunkeln gären und brauen lassen. Sie stießen sich in seinem Hirn aneinander und warfen ihn von Ecke zu Ecke. Lucia erstand vor ihm, schön wie Lilith oder mit ihrem aufgelösten Goldhaar, das sie wie ein Netz über ihre Schultern fallen ließ, einer Sirene gleichend, die ihren lockenden Sang über Wasser sendet. Aber Petrucci hatte nicht Lust, sich die Ohren zu verstopfen, er lauschte diesem inneren Klingen und meinte, das schöne Kind singe ein Hexenlied, um ihn zu betören.

Ein Hexenlied – der Gedanke riß sich nicht von ihm los. So hatte sie sich also ihres guten Wesens entäußert und ein böses angelegt. Wie konnte sie sich so weit vergessen? Eine Hexe 262 war sie, die gierig mit dem Teufel buhlt. Er konnte diesen Gedanken nicht los werden. Das Kind mit den Madonnenzügen – eine Hexe! Hat wirklich die närrische Beschwörung der Vettel eine solche Wahnkraft in ihr erzeugt, daß sie nun geistig durch die Luft zu fliegen wähnt, das Besenholz zwischen den weißen Schenkeln, die Augen wie irr in die glühende Nacht gerichtet, mit fliegenden Haaren und urra urra! Upupa! Mit Largo! und wiehernder Lust! Leibhaftig erschaute er ihren Hetzritt, hörte sie keuchen und brünstig stöhnen und die begehrlichen Augen irrlichtern nach den Incubi, die der Hexensabbat auf dem Berggipfel zusammengeschart hatte.

Ihm wurde schwül zumute. Wußte Lucia nicht, welch ein Verbrechen sie durch diesen Geistesflug begangen hatte? Daß, wenn die Sache aufkam, sie vor das Schreckenstribunal des heiligen Offiziums gezerrt wurde, angeklagt als Hexe, ausgeliefert dem weltlichen Gericht! Was trieb sie in das dunkle Wesen hinein? Wieso war sie der listigen Katze in die Krallen geraten? Der Kardinal hatte die Bellincona nur als Kupplerin gekannt, von sonstigen sündhaften Machenschaften wußte er nichts. Aber nun lag ihre schwarze Kunst offen am Tage und sie verfing sich in ihre eigene Schlinge. Er hatte ihr freilich versprochen zu schweigen. Aber wenn er einmal reden müßte?

263 Da überfiel es ihn wie Gewitterblitz. Hatte er jetzt, da er von dem Hexentreiben Lucias wußte, nicht einen Kaufpreis in den Händen? Lucia konnte er vor seinen eigenen Richterstuhl stellen, er konnte eine Art Vorgericht über sie verhängen, ihr mit dem Äußersten drohen, er konnte ihr die Schrecken des bevorstehenden Prozesses in düstern Farben malen, sie auf die Knie zwingen, eine inbrünstige, geängstigte Supplikantin aus ihr machen, die nur durch den Preis der geopferten Ehre zu retten war. Er spürte den siedenden Strom seines Blutes durch die Adern brausen, sah sich als Sieger vor ihr stehen, Wonnen rauschten durch seine Glieder, und er sah das tränenüberströmte Kind in seinen Armen liegen, überschauert von der Qual der Opferung. Der Teufel machte einen Henker aus ihm. Er, er ganz allein konnte sie vor dem Gericht um Leben und Tod bewahren, und er war so grausam in seinen Gedanken, daß er ihre Schande mit der Preisgabe ihrer Liebe zu Aleandi verbinden wollte. Es konnte, meinte er, nicht allzuschwer sein, dem braven Jungen den Laufpaß zu geben, wenn das eigene Leben auf dem Spiel stand. Der Brand der Leidenschaft waberte und knisterte in seinem Innern, und nun erst fand er den Mut, die Kerze anzuzünden und in ihrem hellen Schein sich im Spiegel zu betrachten. »Sonderbar,« sann er vor sich hin, »kein Schurkengesicht blickt mich 264 verzerrt an, nur bleiche Wangen, umschattete Augen und eine verdüsterte Stirn.« Lässig schaukelte er den Käfig des Arara, der auf einer goldseidenen Schnur von der Apsis hing, hin und her. Dann hielt ihm das Tier den Kopf zum Kraulen hin und seine Finger verspielten sich wohlig in dem weichen Gefieder.

 


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