Ludwig Huna
Die Kardinäle
Ludwig Huna

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Sechstes Kapitel

Um den schweratmenden, erschütterten Papst scharten sich die Getreuen. Sein Vetter Giulio de' Medici, Kardinal und Erzbischof von Florenz, der böse Einflüsterer und Hetzer in Staats- und Familiendingen, Bernardo Dovizi, genannt Bibbiena, Kardinal von Santa Maria in Portico, der Lustigmacher des Papstes und Freund und Mäzen Raffaels, dem er sogar seine Nichte zur Frau geben wollte, der Kardinal Innozenz Cibò, Neffe des Papstes, der erst vierundzwanzig Jahre zählte, der Kardinal Farnese, Beschützer der Gelehrten Roms und der heidnischen Literaten, der Kardinal Rossi, ein Verwandter des Papstes, zwei Barone aus dem Geschlecht der Orsini, Pietro Bembo, der stilgewandte Sekretär Leos, Förderer der Künstler und Gelehrten, die glänzendste Erscheinung am Papsthof, intimer Freund der Herzogin von Ferrara Lukrezia Borgia, der 76 er sein platonisierendes Liebesgespräch »Die Asolani« gewidmet hatte, und der Leibarzt Jacopo da Brescia, ein alter Vertrauter der Medici, den schon Leos Vater, der große Lorenzo magnifico, Freund genannt hatte.

Eben war die Nachricht eingetroffen, daß Giuliano de' Medici, der die staatlichen Geschicke Florenz' gelenkt hatte, seinem Siechtum erlegen sei. Damit hatte der Papst seinen letzten Bruder verloren. Wohl hatte er gewußt, daß dieser Tod stündlich zu erwarten war, aber da er nun mit mildlösender Hand die Stirn des Schwerkranken wirklich berührt hatte, zuckte doch sein Herz schmerzhaft auf. Giuliano, der Freund der Wissenschaften und Künste, der an der Herrschaft der Medici innerlich am wenigsten beteiligt war, und der das stille Familienleben den aufregenden Staatssorgen vorgezogen hatte, war nun eingegangen in die blauen Friedensbezirke des Himmels, ehrlich betrauert von den Florentinern, soweit sie Anhänger der Medici waren, deren Wiedereinsetzung in die alten Herrschaftsrechte Giuliano lebhaft gefördert hatte. Er wurde nach der Papstwahl sofort von Leo zum Generalkapitän der Kirche ernannt, denn der Papst schätzte seine kriegerischen Talente und war gewillt, ihm entweder Ferrara oder Urbino, vielleicht sogar das Königreich Neapel friedlich oder gewaltsam in die Hände zu spielen. Nun hatte 77 der Tod diese vermessenen Gedanken zerbrochen, vermessen deshalb, weil er damit die rechtmäßigen Gebieter dieser Staaten zu Boden werfen mußte. Der Traum war zerronnen.

Schwer lag das mächtige Haupt des Papstes auf der gepolsterten Stuhllehne. Er hatte die großen, hervorquellenden Augen, die seinem fetten, geröteten Gesicht etwas Froschähnliches gaben, starr nach der Tür gerichtet, der dicke, schwere Leib schien noch aufgedunsener zu sein, die weißen, weichlichen, weiblichen Hände, mit kostbaren Ringen besteckt, spielten unruhig mit den Falten seines Gewandes, und der schmerzende Fuß – er litt an einer chronischen Fistel – zuckte und fieberte.

Kardinal Giulio de' Medici versuchte durch gegenständliche Berichte die Traurigkeit des Papstes zu verscheuchen. »Der teure Tote hat nur ein Jahr das Glück seiner Ehe genossen. Philiberta von Savoyen, seine edle Witwe, wird nun nach Frankreich, ihrer Heimat, zurückkehren und in Blois Zeit finden, das kurze Glück ihrer Ehe wehmütig zu durchsinnen. Diese Ehe war die Brücke zwischen Frankreich und den Mediceern.« Der Kardinal verschwieg freilich, daß des Papstes Absicht, die Franzosen aus Italien zu vertreiben, wie es einst Julius der Zweite ehrlich gewollt hatte, nur eine Maske war.

»Meine Pläne grausam vernichtet!« seufzte 78 Leo. »Was soll nun mit Urbino werden?« Er fand sich bald in die staatlichen Realitäten hinein und sein Geist spielte schon mit neuen Umtrieben, die zu lassen er sich nie Mühe gegeben. Selbst in dieser traurigen Stunde rannten sie wie hungrige Wölfe durch sein Hirn.

»Urbino?« fängt der heitere Kardinal Bibbiena den Gedanken auf. »Eure Heiligkeit haben einen Neffen Lorenzo, der sich glücklich fühlen würde –«

»Lorenzo.« Der Papst atmet freier, und sein unförmiger Kopf rollt nach der linken Seite.

»Ja, ja, der Name ist mir teuer, der Kleine wird nicht nein sagen, wenn ich ihn größer machen will. Giuliano, mein Bruder mußte sterben, damit Lorenzo Herr von Florenz werden könne. Aber Florenz wird mählich zu klein für einen Mediceergedanken. Lorenzo ist ehrgeizig und kühn; ein unabhängiges Fürstentum ist sicherlich der geringste seiner Träume.«

Kardinal Giulio lächelt nur so viel, als es der Ernst der Stunde zuläßt. »Lorenzo – das vertraute er mir selbst an – träumt von einem Königreich Toskana, das die Ost- und Westküste Italiens begrenzen soll. Siena, Lucca, Urbino, Florenz – alles ein Reich! Hier, Paolo Orsini kann es bezeugen.«

»Dieser Traum ist eines Mediceerhirns wert,« sinnt Leo vor sich hin. »Florenz allein – hm – 79 dort führen die Mediceer ja doch nur ein Scheinregiment.«

Giulio verzieht etwas hämisch die Lippen. »In Florenz sagt man's umgekehrt. Der Rat führe ein Scheinregiment über den scheinbaren Freistaat, der in Wahrheit von den Medici beherrscht wird. Der Rat der Siebzig hat nur ein Larvendasein. Lorenzo ist im Rat –« er neigt sich zum Ohr des Papstes hin – »wir sind in der Tat.«

Leo sieht ihn verständnisvoll an. »Wir? Sag lieber du! Lorenzo ist deine Hand, die dein Gedanke lenkt. Was rätst du mir, Giulio?«

Der Kardinal neigt sich wieder zu ihm hin, während die Kardinäle seitwärts beim säulengezierten Fenster stehen. »Hebt Lorenzo vorderhand auf eine Vorstufe. Macht ihn zum Gonfaloniere der Kirche.«

Des Papstes Froschaugen leuchten auf. »Das will ich tun. Ein prächtiger Gedanke.« Er sagt es so rasch, als wäre es sein eigener. »Er hat sich als Soldat vor einem Jahr trefflich bewährt gegen Frankreich. Der Lohn steht noch aus. Gonfaloniere der Kirche! Das Amt des Verstorbenen, er nehme es in seine Hände.«

»Die Leichenfeierlichkeiten sollen aufs beste geordnet werden. Der Große Rat wird Sorge tragen, daß man dem Toten die Ehre gibt, die dem Lebendigen nimmer gegeben ward.«

Die Orsinischen Herren küssen ehrfurchtsvoll 80 dem Papst die Hand, sie wissen sich ihm besonders verbunden, da Lorenzos Mutter Alfonsina eine Orsini ist.

Der Papst läßt sich nun in die Sixtinische Kapelle führen. Zwei Diener bewachen jeden seiner Schritte. Ihm folgen die verwandten Kardinäle Giulio und Cibò. Sein Weg führt an Gemälden Raffaels, an griechischen Statuen und Torsos, an granitnen ägyptischen Götterköpfen vorbei, die er teils erworben, teils von Kardinälen und Prälaten zum Geschenk erhalten. Die Ziegelbruchstücke mit assyrischen, geheimnisvoll umwobenen Keilschriften und die Papyrusblätter aus Memphis, die in Glaskästen an den Galeriewänden aufbewahrt sind, erregen seine besondere Anteilnahme.

Eben huscht sein Lieblingsnarr, der Frater Mariano, an ihm vorbei. »Erzschelm, warum senkst du den Blick?« hält er ihn an.

»Weil ich meinen erhabenen Herrn nicht traurig sehen kann. Ach, könnte man über den Tod lächeln! So bleibt uns nichts übrig, als über das Leben zu weinen.« Dabei macht der Dickwanst mit den Schalksaugen das lustigste Gesicht.

Leo läßt ihn laufen. In der Sixtina bleibt er an der Schwelle stehen. Er läßt die gewaltigen Bilder Michelangelos auf sich wirken. Immer wieder bewundert er die Kraftgestalten Gottvaters und der Propheten, deren Leiber wie 81 Statuen auf ihn wirken. »Ein Gigant fürwahr,« sagt er zu Cibò. »Aber die Malerei wird ihm zum Gefängnis. Man spürt, wie er an den Stäben rüttelt. Das alles in Stein gehauen, würde noch erhabener wirken. Dieser Gott Zebaoth, der Licht und Finsternis scheidet, ist mehr drohender Titan als schaffender Gott, aber man wird klein vor ihm und das ist das Entscheidende. Mich dünkt, hier hätte ein ewig Unzufriedener geschaffen, als wäre er in fortwährender stürmischer Gärung begriffen, nie klar und besinnlich; gedrängt von einem innern Vulkan, der nie zur Ruhe kommen will. Warum zeigt er sich nicht?«

»Er will aus Carrara nicht heraus,« berichtet Cibò. »Er hängt allzusehr an seinem früheren Herrn Julius II.«

»Ich weiß,« sagt der Papst mit schlecht verhaltenem Unwillen. »Und ich habe doch zum mindesten ebensoviel Sinn für seine Kunst wie mein Vorgänger. Er braucht mir kein Grabmal zu meißeln, ich würde mich mit einer heidnischen Götterszene begnügen.«

»Dazu würde sich wieder Michelangelo nicht hergeben,« erklärte Cibò. »Er verschwendet seine Kraft nur an große Aufgaben.«

»Wie freue ich mich, daß mein Raffael zugänglicher ist. Er hat Leckerbissen für das Auge, wie sie mein Leibkoch Tertullio für den Magen hat. 82 Er wächst an der Heiterkeit des Stoffes über sich hinaus, und was er anpackt, über dem liegt Anmut, und selbst die ernstesten Madonnen haben noch immer einen frohkindlichen Zug. Echt Weibliches suchst du bei Michelangelo vergebens. Und man sollte doch für die adamitischen Gemüter ebenfalls Nahrung bereithalten. Meine Kardinäle suchen Anmut in allen Winkeln, und wenn sie sie nicht bei den Bildern der heiligen Jungfrau finden, greifen sie skrupellos nach den neuen Musen oder den berauschten Mänaden.«

Er tritt in die Kapelle und läßt sich in seinem Betstuhl nieder. Dann steigt er gekräftigt in die Stanza della Segnatura hinauf. Sein Blick weilt ausruhend, sich von der Überkraft der Buonarottischen Gestaltung gleichsam erholend auf den Deckengemälden Raffaels, erfreut sich an der Duftgestalt der Poesie und an den lebendigen, beschwingten Leibern von Adam und Eva. »Wie anders, Giulio, dieser anmutige Mensch, der nach dem Apfel verlangt, als der Sünder bei Michelangelo. Und selbst die Schlange verklärt dieser Urbinate und gibt ihr fast menschlichen Ausdruck. Was will die Unruhe draußen?«

Der Kardinal Rossi läßt einen dickhalsigen, untersetzten Mann eintreten, dessen Raubvogelkopf zu dem gedrungenen Körper schlecht passen will.

»Ah, mein Vogt Raffaello Petrucci!« begrüßt 83 ihn Leo herzlich. »Eben setzte ich mich mit einem andern Raffaello auseinander. Du bringst Nachrichten aus Siena?«

»Nicht die besten. Lorenzo di Mariano, der Bildhauer, ist aus der Stadt geflüchtet. Das Volk schlägt sich in den Straßen mit den Anhängern des Borghese.«

»Schlägt sich? Das Volk? Dann werden wir es um so leichter für uns gewinnen. Borghese muß aus dem Feld, ich will ihn durch meine Läufer zu Tod hetzen lassen. Tritt näher, Raffaello. Du wichest selbst in meinem Exil nicht von meiner Seite, ich habe dich bisher für deine treuen Dienste nur schlecht belohnt. Willst du Herr von Siena werden?«

Der Raubvogelkopf erglüht, als hätte man ihm leckeres Aas vorgeworfen. »Eure Heiligkeit . . .« stottert er, und seine wirrumbarteten Lippen zucken.

»Die Engelburg mag ein anderer behüten. Du wirst deine bischöfliche Inful mit einem Kriegsheim vertauschen. Nimm dir den Feldhauptmann Vitello Vitelli, er soll mit ein paar hundert Reitern gegen Siena marschieren. Bring die Stadt zur Ruhe. Der Anblick der vitellischen Reiter wird die Petrucci zur Vernunft bringen.«

»Sie sind bereits geflohen,« meldet Raffaello mit Genugtuung. »Man sagt, sie seien auf dem Weg nach Neapel.«

84 »Dann hast du um so leichteres Spiel. Wir können nur gewinnen, und ich hoffe, die trotzigen Herren haben ihre Schätze zurückgelassen. Plündere ihren Palast und hole heraus, was du holen kannst. Wie verhält sich der Kardinal Petrucci?«

Raffaello lacht grimmig. »Er schäumt wie ein angeschossener Hirsch. Es sind seine Brüder, um die es geht.«

»Und um ihr Erbe,« setzt der Papst nachdenklich hinzu.

Kardinal Giulio tritt näher. »Allerheiligster Vater, behandelt ihn sanft und versprecht ihm viel.« Und leiser: »Ihr braucht es ihm ja nicht zu halten.«

Der Papst klopft ihm väterlich auf die Schulter. »Dein Rat ist schlimm, aber gut. Petrucci ist leicht zu behandeln wie schäumender Wein. Geh, Raffaello und bring mir die Schätze der sienesischen Brüder. Auf ein gut Gelingen!« Er trinkt ihm den dunklen Kastellwein zu, den ihm Rossi gereicht hat. Dann erkundigt er sich angelegentlich nach dem Mittagsspeisezettel und lädt außer seinen Verwandten noch Farnese, Aragon und Ferrara zu Tisch. Und nun zieht er die Freunde an den Beratungstisch.

Der Kardinal Medici gibt dem heiligen Vater ein kurzes Bild der kirchenstaatlichen Lage. »Wir dürfen die großen Mächte nicht kopfscheu machen. Man traut uns schon lange nicht mehr. Wir 85 müssen tun, als ob wir offenherzig wären. Frankreich ist mißgestimmt, trotz dem Vertrag, den wir mit König Franz I. geschlossen, und trotzdem Euch der Orator des jungen Königs in seiner Ansprache einen ›göttlichen Menschen‹ genannt hat.«

»Wir kennen die lobhudlerischen, schnellfertigen Herren,« wirft Leo hämisch ein. »Aber der König ist charmant gewesen.«

»So charmant, daß er von Euch die Statue des Laokoon begehrt hat,« lächelt Kardinal Rossi.

»Und Ihr verspracht sie ihm sogar,« fügt Medici hinzu.

Der Papst reinigt sein Augenglas. »Ich habe viel versprochen. Es soll auch der König den Laokoon bekommen, aber nur – eine Kopie, die Bandinelli anfertigen wird. Wir wollen uns Zeit lassen, vielleicht ersparen wir uns sogar diese Kopie. Wie war das weiter mit Frankreich?«

»Nun, Ihr habt in Bologna mit dem König ein Schutz- und Trutzbündnis abgeschlossen. Dafür seid Ihr vom Vertrag mit Kaiser Maximilian zurückgetreten. Ihr habt Frankreich Parma und Piacenza gegeben und habt versprochen, dem Herzog von Ferrara die Stadt Modena und auch Reggio zurückzugeben.«

»Hab ich das?« Zweifel bedrücken seine unehrliche Seele. »Gut, wir wollen die Städte zurückgeben, aber wir wollen uns auch da Zeit lassen. 86 Oder sagten wir wann? Medici und die Kirche wissen den Schutz Frankreichs zu würdigen, wenngleich es mir lieber wäre, wenn wir dieses Schutzes nicht bedürften. Aber die Welt liegt im Argen und man will uns nicht mehr respektieren. Ja – und – hm – wie war das weiter mit Urbino?«

Giulio de' Medici strich sich durchs Haar. »Ein besonders kitzlicher Punkt! La Gallia gibt Euch freie Hand für Urbino.«

»Und ich werde in diese freie Hand das Schwert legen müssen, wenn der Herzog von Urbino Francesco Maria della Rovere sich nicht gutwillig ergibt. Und wie war das weiter mit La Gallia?«

»Ihr habt doch ein Konkordat mit dem König geschlossen –«

»Tja – ein Konkordat – das die Freiheit, die Autonomie der gallischen Kirche übel behandelt, – so behaupten die Franzosen.«

»Übel? Nur übel? Sie bezeichnen es ärger. Es fiel das Wort schmachvoll. Der König hat der Geistlichkeit gegenüber alle Rechte von Euch bekommen, die Ihr bisher sorglich in Euren Händen hattet.«

»Ich muß gestehen, meine Freude über das Konkordat ist uneingeschränkt, es hat mir ein starkes Frankreich zum Bundesgenossen gegeben.«

Rossi runzelt die Stirn. »Italien hat freilich etwas anderes erwartet.«

87 »Was denn, lieber Freund?«

»Die Vertreibung der Franzosen, dieser Barbaren, dieser Dummköpfe. Und zwar endgültig, vollends. Statt dessen sitzen sie in Mailand und ihr König schreibt Dankesbriefe an den Papst, unterhält sich im herzoglichen Palast mit seinen Kurtisanen, hält Gelage mit Marschall Lautrec und seinen Feldhauptleuten, verhandelt mit Leonardo da Vinci über den Ankauf der Gioconda, kauft Italiens Kunstschätze zusammen und lacht sich über die Bedeutungslosigkeit und Untauglichkeit des heiligen Stuhls auf dem Schachbrett Europas ins Fäustchen. Und zum Überfluß über Spanien.«

»Und wer sagt dir, daß ich La Gallia dort ewig sitzen lassen werde? Vielleicht lasse ich sie durch Spanien vertreiben.«

»Spanien wütet gegen Euch, allerheiligster Vater. Man nennt Euch am hispanischen Hof nur den Falschspieler.«

Leo tut entsetzt. »Wirklich? Wahrhaftig? Die Leute sind sonst höflicher, wenn sie auch die grausamsten Soldaten sind. Seit ihre Schiffe sich in fremde Länder wagen und Entdeckungen aller Art machen, sind diese Spanier voll Stolz und Hochmut. Aber ich habe große Pläne mit all diesen Mächten. Seit König Ferdinand tot ist, schlägt man in Spanien einen andern Ton an. Der junge Karl, der Enkel Maximilians, der nun die 88 spanische Herrschaft angetreten, kann uns einmal gefährlich werden, wenn er nach des Großvaters Tod auch noch die deutsche Kaiserkrone bekommen sollte. Wir müssen ihn in unsere Obhut bekommen, sonst entgleitet er uns. Vorderhand will ich trachten, Venedig mit dem Kaiser auszusöhnen. Ich will mir beide zu Bundesgenossen machen.«

»Ihr denkt, was Ihr sprecht? Die Aussichten für ein so gewagtes Spiel sind augenblicklich gering. Die Venezianer belagern Verona und Brescia, hier wehren sich die deutschen Landsknechte überaus tapfer, dort ficht Marcanton Colonna wie ein Verzweifelter. Doch die päpstliche Staatskunst laboriert hin und her und kommt zu keinem Ende.«

»Wir haben kein Endziel,« bricht der Papst lustig-verzweifelt aus. »Ich will Euch was sagen, Vettern.« Er zieht die Mediceer ganz nahe an sich heran. »Man muß, während man mit dem einen ein Bündnis schließt, gleichzeitig mit dem andern verhandeln. Verwirrung gegen Verwirrung. Die Welt gerät dabei aus den Fugen, das Papsttum aber bleibt. Genießen wir es, da es uns Gott in die Hände gegeben.«

Da brachte ein Kurier eine Nachricht, die alle aufs höchste bestürzte. Kaiser Maximilian, so meldete der Heerführer Marcantonio Colonna, sei in Eilmärschen aus Tirol gegen Venedig 89 gezogen. Er sei vor Verona eingetroffen, Venezianer und Franzosen seien zu schwach gewesen, um dem gewaltigen Anprall der kaiserlichen Landsknechte zu widerstehen, Lautrec sei im Rückzug auf Mailand begriffen.

Der Papst wird nachdenklich. »Bibbiena soll zum Kaiser. Er soll anpochen, ob Maximilian geneigt sei, mit meiner Hilfe die Franzosen aus Italien zu vertreiben.«

Die Kardinäle starren den christlichen Falschspieler an. Soeben hatte er mit Frankreich einen Vertrag geschlossen und scheut sich nicht, dasselbe Frankreich durch einen andern Vertrag mit seinem Gegner zu Boden zu werfen! Noch ehe sie das Doppelspiel durchsinnen können, breitet Leo schon einen Plan vor ihnen aus. »Marcantonio soll sich sofort mit dem Kaiser vereinigen –«

»Allerheiligster Vater – das grenzt an Treulosigkeit –« wagt Giulio einzuwenden, der selbst der Meister der Treulosigkeit ist.

Der Papst streicht seine gepflegten Hände. »Du schlägst unsanft mit Worten, Vetter.« Er macht eine verdrießliche Miene. »Ich will freie Hand haben, nach dieser und jener Seite.«

»Nach einer habt Ihr sie nun wirklich,« sagt Kardinal Giulio betreten. »Für den Schlag gegen Urbino.«

Der Papst erhebt sich wie verjüngt. »Urbino! 90 Armer Giuliano, deinen erträumten Staat muß ich in die Hände dessen legen, der dir nicht immer wohlgesinnt war. Wer anders als Lorenzo sollte das schöne Land erhalten? Er ist ein tüchtiger Geist, kriegerisch, gerecht und den Urbinaten wohl vertraut.«

Die Kardinäle wußten es ein bißchen anders. Lorenzo sehnte sich persönlich gar nicht nach dem Land. Und die Urbinaten waren ihm gleichgültig. Aber es galt, die mediceische Hausmacht zu erweitern. Wer fragte da nach dem Wohl der Urbinaten? Leo X. wollte sich kriegerisch versuchen, so wie es sein Vorgänger Julius II. aus seiner natürlichen soldatischen Kraft heraus versucht hatte. Julius war ein Kriegsmann und ein Papst. Das heißt, er versuchte die beiden gegensätzlichen Naturen in sich zu vereinen, aber der Kriegsmann verschlang den Papst. Leo war weder Kriegsmann noch Papst. Zu ersterem fehlten ihm Draufgängertum und Energie, zu letzterem die christliche Gesinnung. Er hatte nicht zu dem einen und nicht zu dem andern Talent.

 


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