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Liebesreime.

I.

So fern und so entlegen
Wie Erd' und Himmel sich,
Bist du mir allerwegen,
Und dennoch lieb ich dich.

Die himmlischen Gewalten
Und ird'schen sagen nein,
Sie senden Schreckgestalten,
Und dennoch bist du mein.

Kein Stern, der unserm Bunde
Nicht Untergehen droht –
Wir hängen uns am Munde
Und warten auf den Tod.

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II.

Geh' ich Hand in Hand mit dir,
Ist das Stoppelfeld voll Zier,
Und des Hahnes Kikriki,
Voll von süßer Melodie.
Seh' ich fern dir Engel schweben,
Schau' ich nichts als trunkne Horden;
Fern dir ist mein ganzes Leben
Nur ein Lied aus Mollaccorden.

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III.

So weit wie die Welt geht,
Zu Meer und zu Land,
Keine Hütte, kein Zelt steht,
Für uns beide zu wohnen,
Denn wir sind aus den Zonen
Der Erde verbannt.

Ach mein Bruder, meine Wonne,
Mein Engel, mein Trost,
Laß uns scheiden von der Sonne
Und im Grabdunkel träumen,
Wie in lichteren Räumen
Wir oft uns gekost.

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IV.

»Höre auf nun, Liebsten mich zu küssen,
Mich zu küssen mit dem heißen Munde;
Was hilft mir der Kuß von dieser Stunde
In der nächsten, die dich mir entrissen?«
Liebes Herz, nicht darum küsse ich,
Daß es helfe, noch den Muth dir stähle:
Ach, im Kusse klammert sich an dich
Meine arme, trennungsbange Seele.

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V.

Nicht der Nachtigall und nicht der Lerche Lied
Kann mich freuen, wenn es klingt das Thal entlang;
Hört' ich jemals wieder einen süßen Klang,
Seit das Schicksal mich von meinem Freunde schied?
Wenn er sprach zu mir und meinen Namen rief,
O wie wurde mir dabei die Seele weit;
Wenn ich todt einst bin und lieg im Grabe tief,
Hör' ich's wohl um Mitternacht zur Sommerszeit.

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VI.

Ich hatte so viel dir zu berichten,
Neuigkeiten, allerhand Geschichten;
Aber nun bist du auf einmal so nah
Mit diesem Kinn und diesen Wangen,
Alle Gedanken sind mir vergangen –
Ach Gott und dein Hals, der weiche, runde,
Nur eine Spanne von meinem Munde,
Den ich so lange, die Lippen zerbeißend, von weitem sah!

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