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VIII.

In einer der nächsten Nächte stellte Thomas die letzte Nummer des »Festsaals« zusammen.

Es gab keine Möglichkeit mehr, das Blatt weiterzuführen. Er mußte schon für seine Person verzweifelt kämpfen, um sich nur über Wasser zu halten.

Alle Hilfsquellen waren erschöpft. Niemand trat opferfreudig ihm zur Seite. Die letzten Groschen hatte er zusammengerafft und mit dem Drucker einen Vergleich geschlossen, laut dessen er sich verpflichtete, die Restschuld in den nächsten Jahren ratenweise zu tilgen.

Nun war auch noch der Abfall der Freunde hinzugekommen, so daß es zum Schlusse keinen frohen Abschied, sondern eine heftige Auseinandersetzung gab.

Fründel, Heinsius und Lissauer hatten geharnischte Erklärungen gegen seinen letzten Aufsatz eingesandt, auf die er in entschlossener Sprache erwiderte. Aber bei aller Unzweideutigkeit war seine Antwort doch von einer tiefen Ruhe und zuversichtlichen Heiterkeit getragen. Den Lesern dankte er für ihre Treue und ihr Vertrauen. Er erklärte, daß er sich verpflichtet gefühlt hätte, von seiner inneren Wandlung Zeugnis abzulegen. In dem, was er als Wahrheit erkannt, könnte er nicht dem Bruder, nicht dem nächsten Freunde weichen.

Er schloß mit den Worten: Ich ging in meinem Kampfe von der Ansicht aus, daß alles Elend nicht so sehr aus unseren wirtschaftlichen Verhältnissen, wie aus dem Wesen des modernen Staates fließt, der das Individuum drückt, das Volk in seiner Unwissenheit erhält und eigentlich nur die wirtschaftlich Starken schützt. Des Staates, der seine schweren Hände auf jeden einzelnen legt, ihn von Kindesbeinen an bei jedem Schritt hemmt und das Volk, das er zu seinem Leib- und Geisteigenen gemacht – mit der Knute bearbeitet, sobald es sich nur zu rühren wagt. Es wurde eine meiner Grundüberzeugungen, daß der Staat mit seinem Zwangssystem die Fortentwicklung aufhält, das Verkümmern von unsagbar viel Kraft und Talent verschuldet. Und zu dieser Erkenntnis kam eine noch viel schmerzhaftere: Ich merkte sehr bald, daß selbst die Besseren, die Führenden sich solchen Erwägungen nicht nur verschlossen, sondern sie sogar als gewaltsam hinstellten, sie lächerlich und verächtlich machten. Ich sah, daß diejenigen, die den Kampf für die Befreiung des Volkes zu ihrer Lebensaufgabe gemacht hatten, einem unerhörten Vigilanten- und Denunziantentum ausgesetzt waren, daß man sie wie Wegelagerer behandelte.

Wie sollten sich da meine Anschauungen geändert haben? ... Worin besteht also meine Wandlung? Ich glaube von der materiellen Auffassung der Freiheit zu ihrer geistigen Idee durchgedrungen zu sein. Will man es mir verargen, wenn ich diese höher werte? ...

Ich führe den Kampf für die Freiheit weiter, wenn auch auf eine andere Art.

Unverstandener denn je wandelt der Christ unter uns. Sein Wort: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt« enthält eine inhaltschwere Anklage, unter deren Wucht am Tage des Gerichts diejenigen zusammenbrechen werden, die den Gram des Volkes geschürt haben.

Als er das niedergeschrieben hatte, griff er nach seinem Hut.

Er hatte das Bedürfnis nach frischer Luft. Er konnte jetzt nicht schlafen.

An der Entreetür fuhr er erschreckt zurück.

Katharina stand barfüßig, unbekleidet, mit wirren Haaren da und sah ihn mit großen Augen traurig an.

»Was ist denn? Willst du dich auf den Tod erkälten?«

Ihr Blick tat ihm weh.

Er nahm ihre Hand und streichelte sie.

»Thomas«, sagte sie zitternd und frierend, »ich ... ich kann nichts dafür!«

»Ja, ja«, antwortete er hastig. Und indem er sich über die Stirn fuhr: »Es ist Nacht und Schlafenszeit.«

»Kommst du wieder?« fragte sie fröstelnd und in sonderbarem Ton.

»Ich komme wieder ... selbstverständlich!«

Sie nickte, gab die Tür frei und schlich davon.

Langsam ging er hinunter.


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