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XXIV.

Ganz unerwartet erschien eines Tages Katharina Dirckens in Begleitung von Thomas »auf der Bildfläche des ›Festsaals‹«.

Thomas gab keine Erklärung ab. Aber alle fühlten sofort, daß zwischen beiden eine innere Beziehung vorhanden war.

Katharina benahm sich scheu und mißtrauisch. Sie sprach an dem Abend des ersten Beisammenseins so gut wie nichts. Sie gab auf die Fragen, die man an sie stellte, nur einsilbige Antworten. Es schien, als ob sie jeden in diesem Kreise als ihren Feind ansah.

Thomas bemerkte peinvoll, daß eine fremde, kalte Stimmung sich zwischen ihr und allen anderen auftat. Er fand, daß man nicht gütig genug gegen sie war und sah darin eine Geringschätzung gegen seine eigene Person. Was wollen sie denn von ihr, dachte er zornig, sie betrachten sie ja wie einen Eindringling.

Die Brose starrte stumm auf das fremde Mädchen, als wollte sie es durchbohren.

Katharina fühlte sich unbehaglich. Sie beugte sich zu Thomas. »Was will die eigentlich von mir?«

Er blickte zur Brose hinüber.

Die sah traurig und gedrückt aus. Sie mied ihn, erhob sich dann rasch und ging fort.

Thomas und die Dirckens folgten ihr bald.

Unterwegs stieß sie bebend hervor: »Diese Menschen hassen mich alle, ich fühle es ganz deutlich.«

»Nein, nein«, beruhigte er sie.

Aber sie blieb dabei und ließ es sich nicht ausreden. Und nun gab sie sich einem verbissenen Schweigen hin und hörte kaum auf das, was er zu ihr sprach. Ihre Miene erhielt etwas Verschlagenes. Hart über ihrer Nasenwurzel bildete sich eine scharfe Falte. Allerhand unruhige Gedanken bewegten sie. Davon war sie überzeugt, daß man sie hier nicht mochte; sie fürchtete sich besonders vor der Brose. Und wieder sagte ihr ein untrügbares Gefühl, daß diese Frauensperson dem Thomas Truck im stillen zugetan war. In einem bösen, häßlichen und triumphierenden Lächeln verzog sie ihren breiten Mund. Sie ging alle der Reihe nach durch. Der einzige, den sie nicht als Widersacher empfand, war Fründel. Ob die Menschen auf ihn großen Einfluß haben? grübelte sie, und sie sann darüber nach, wie sie allen Anschlägen vorbeugen könnte; denn davon war sie fest überzeugt, daß von hier aus etwas gegen sie unternommen werden würde.

»Mir tut von dem ewigen Nähen die Brust so weh«, sagte sie endlich. »Zehn Stunden nähe ich so den Tag über, das halte einer aus!«

»Zehn Stunden?« ...

Wieder gingen sie stumm durch die Straßen.

»Gib mir deinen Arm«, bat er.

Sie tat es und schmiegte sich eng an ihn. Sie fühlte, wie er jedesmal unter ihrer Berührung gleichsam zusammenschrak. Und diese Erkenntnis schuf ihr Freude. Wie Wachs ist er ... So weich ... so unverdorben ... Sie, die durch das Leben gegangen und tief in seinen Strom untergetaucht war, kam sich ihm so überlegen vor, als die Stärkere, als die Kräftigere, die nur zuzugreifen brauchte, um von ihm Besitz zu nehmen. Über alles das war sie sich völlig klar. Dennoch hatte sie sich die ganze Zeit bezwungen. Seine Reinheit flößte ihr unwillkürlich Scheu und Zurückhaltung ein. Es war ihr auch, als ob sie ihren Weg langsam gehen müßte, um an das Ziel zu gelangen. Nur ganz unbestimmt und fern sah sie es. Sie wagte es nicht, sich an ihr Wünschen zu gewöhnen. Es kam ihr oft geradezu lächerlich und verwegen vor. Dann wieder hatte sie eine wilde Freude, wenn sie dabei an die zu Hause dachte ... die Augen würden sie aufreißen ... aber sie wollte ihnen die Zähne zeigen und vor ihnen ausspeien. Ja, das wollte sie. Der ganze Körper wurde ihr siedend heiß. Es brannte ihr unter den Füßen. Ich bin ja verrückt! ... wenn er das merkte? ...

Da nahm er auf einmal ihre Hand: »Du ... du!«

Ihre Pupillen bewegten sich unruhig. Er sah es. Sie schienen ihm einmal verschleiert, dann wieder lag leuchtender Glanz über ihnen wie Tau auf den Gräsern.

»Du«, begann er von neuem, »morgen mache ich die letzte Station.« Er hielt inne –

Sie aber gab keinen Laut von sich.

In ihm war alles ernteschwer, wie ein im Winde wogendes, volles Ährenfeld ... in ihm war ein so unendliches Verlangen nach Glück ... Er hatte es ihr erst morgen sagen wollen. Aber es schmerzte ihn, daß man gegen sie lieblos und hart gewesen war ... Niemand, niemand, sollte sie mehr verletzen ... er, er wollte wieder gut machen, was an ihr gesündigt war.

Und nun richtete sie bange und erwartungsvoll die dunklen Augen auf ihn.

Da kam es aus ihm heraus in kurzen, abgehackten Sätzen, stoßweise: ob sie mit ihm zusammengehen ... alles, alles mit ihm teilen wollte ...

Sie begriff ihn nicht. Jetzt, wo es Wahrheit wurde, begriff sie ihn nicht. Sie glaubte, das Herz stünde ihr still. Ein tiefes Mißtrauen zog in ihr ein. Das ist alles nicht wahr, sagte sie zu sich selbst, das kann nicht wahr sein. Das ist ein böser, schlechter Traum. Ihr graute vor dem Wachwerden. Sie konnte es nicht zu Ende denken. Sie hatte ihn falsch verstanden, seine Worte anders ausgelegt in ihrem Übermut. So, so war es. Sie schielte verängstet zu ihm hinüber. Aber es lag in ihrem Blicke noch ein anderes: etwas Lauerndes, Katzenhaftes, etwas zum Sprung Bereites.

In tiefer Furcht fragte sie kaum hörbar: »Warum quälen Sie mich?«

Da wiederholte er es noch einmal.

Und nun begann es vor ihr zu flimmern ... alles ging durcheinander, so daß sie nichts mehr zu scheiden vermochte. Endlich brachte sie mühsam und mit äußerster Anstrengung hervor: »Mich willst du? ... Du willst mich wirklich? ... Und nicht bloß so? ... vor aller Welt willst du mich? ... mich? ... mich ...?«

Der Kopf drohte ihr zu springen.

»Dich will ich vor aller Welt!«

Da legte sie ihre beiden Hände an die Schläfen und fing plötzlich leise zu weinen an. Ihr war es, als müßten in der nächsten Sekunde ihre Augen zu Boden fallen ... ihre Augen, die all das Glück nicht mehr zu sehen vermochten. Sie duckte sich auf einmal zu ihm herab und küßte seine Hände ... ihr Rausch machte sie demütig.

»Nicht doch, nicht doch!«

Als sie wieder in aufrechter Haltung war, sagte sie: »Du ... du ... laß mich jetzt allein!«

In ihrem Ton lag ein flehentliches Bitten.

Er nickte stumm. Sein Gesicht war ganz blaß. Seine Fingerspitzen klopften. Es hämmerte an seinen Schläfen. Lange blickte er ihr nach, bis sie in dem Dunkel verschwunden war.

Sie jagte nach Hause. Sie war im Taumel. Atemlos stürzte sie die Treppen hinauf ... Sie weckte die Wirtin aus dem Schlafe. Die Frau brummte wütend, bis ihre Neugier rege wurde. Sie mußte aufstehen, sich einen Rock überwerfen, die Lampe wurde angezündet, und nun mußten Karten gelegt werden. Ihr ganzes Portemonnaie hatte sie ihr vorher in die Hände geschüttet. Sie saß vornübergebeugt auf der Tischkante und horchte andächtig auf jedes Wort. Es stimmte alles bis aufs I-Tippelchen! Über sie war das namenlose Glück gekommen. Und noch einmal mußte die Wirtin die schmutzigen Karten vor ihr ausbreiten, und bei dem trüben, flackernden Licht der übelduftenden Lampe versenkte sie sich in ihre Zukunft.

Plötzlich richtete sie sich auf und strich mit einer energischen Bewegung das widerspenstige, schwere Haar zurück. Ihr Gesicht bekam etwas Stählernes.

»Wirtin, nun hat das Elend ein Ende!«

Die Frau sah sie erstaunt an. Das Mädchen kam ihr so verändert vor. Aber Respekt flößte es ihr ein, unbedingten Respekt.

»Wirtin«, begann Katharina von neuem, »ziehen Sie sich an! Ich muß ins Freie!«

Die Zimmervermieterin fand nichts mehr merkwürdig. Sie machte liederlich Toilette, zog einen Umhang über die Schultern und setzte einen geschmacklosen Hut mit roten, knalligen Mohnblumen auf. –

Ein Wachsstreichholz wurde angezündet, und die Frauen eilten die Stiegen herab. In großen Schritten setzte man sich in Bewegung.

Katharina wollte durchaus in das Café am Belle-Allianceplatz, wo sie am ersten Abend mit Thomas Truck gewesen war.

Erhitzt langte man an. Sie ließen sich erschöpft auf ein schmales, rotes Plüschsofa nieder.

Katharina bestellte Glühwein. Ihre Stimme klang selbstbewußt und herausfordernd. Sie stießen an und tranken in heißer Gier.

Sie bestellte immer mehr; sie konnte gar nicht genug bekommen. Sie wurde aufgeregt und lustig, und nun erst kam eine tolle, maßlose Freude über sie. Am liebsten hätte sie zu tanzen begonnen. Der Wein rumorte in ihren Gliedern. Sobald die Gläser leer waren, winkte sie dem Kellner.

»So eine Nacht kommt nie mehr«, lallte sie weinselig.

Endlich nötigte die Wirtin zum Gehen. Sie konnte sich vor Müdigkeit und Schwere nicht mehr halten.

»Wir nehmen eine Droschke«, tröstete das Mädchen.

Der Kellner lachte hinter ihnen her, als sie das Café verließen. »Die kann trinken«, meinte er zur Buffetmamsell. »Donnerwetter, noch 'n mal!«

Als sie schon im Wagen saßen und der Gaul langsam und träge vorwärts humpelte, flüsterte Katharina der Wirtin ins Ohr: »Er ist auch ein Doktor!«

Und bei diesen Worten leuchtete es trübe und geheimnisvoll in ihren Augen auf.

Trotz des übermäßig genossenen Weines lag sie die ganze Nacht wach da und hörte das Schlagen ihres Herzens.


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