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XXVIII.

Von dem Tag an war sein Leben zerstört.

Es geschah nun häufiger, daß sie einfach fortblieb und in solchem Zustande heimkehrte.

Allen seinen Vorstellungen setzte sie ein stumpfes Lächeln entgegen.

»Werde du anders, denke an dich und mich, so könnte ich's am Ende ebenfalls versuchen!«

Und auf seine Frage, wo sie eigentlich gesteckt, antwortete sie jedesmal: »Bei meiner Wirtin! Ich langweile mich bei dir! Ich muß auch meine Abwechselung haben, schließlich bin ich auch ein Mensch!«

Da gab er es in tiefer Verzweiflung auf, sie zu wandeln.

Jeden Groschen mußte er vor ihr verbergen. Sie durchsuchte seine Taschen und bestahl ihn.

Eines Tages ging er zu ihrer früheren Wirtin.

Er wollte klar sehen. Er wollte jetzt alles wissen.

Die Frau empfing ihn unterwürfig und geziert.

Stockend, schamrot begann er seine Untersuchung.

Die Zimmervermieterin hörte gleichmütig und ohne Erstaunen zu.

»Ach«, sagte sie und legte die Hände auf ihre Knie, »das is 'ne alte Jeschichte, die kann's Trinken nicht lassen! Die brauch man bloß den Alkohol zu riechen – und vorbei is es mit ihr. Nich 'n Jroschen hat das Mechen jespart.« Und gleichsam entschuldigend setzte sie hinzu: »Das hat sie noch von ihren Unjlück her. Damals hat sie sich wohl daran jewöhnt.«

»Wie konnte sie dann arbeiten?«

Er wagte nicht, die Person anzusehen.

»Wissen Sie, so doll wie jetzt hat sie's ja dazumal auch nicht treiben können. Auch hat sie 'n paarmal deswejen ihre Stelle verloren. Nu is se riesig jeschickt und kann wat schaffen, wenn se nüchtern is. So eine find't immer wieder Arbeit! Übrigens, Montag hat sie Ihnen jedesmal blau jemacht!«

Thomas wußte genug. Es gab nur noch ein Mittel: sie mußte wieder eine regelrechte Beschäftigung haben, die sie ableitete.

Er kam nach Hause und sagte ihr mit kurzen, trockenen Worten, daß sie sich wieder Arbeit suchen müßte, um zu dem Haushalt beizusteuern.

»Unter keinen Umständen! Hab' ich mir dazu verheiratet?«

Er hörte nur dieses »dazu«.

Ein Gefühl des Widerwillens stieg in ihm auf. Er mußte sich umkehren. Er vernahm noch, wie sie hinter ihm herkicherte ...

Arbeiten ... arbeiten – und vergessen!

Er suchte nach dem Zarathustra ... er konnte das Buch nicht finden ... gut, ein anderer Band ... aber auch die lagen nicht auf dem alten Platz.

Er durchstöberte jeden Winkel ...

Und auf einmal tauchte ein Verdacht in ihm auf.

Er drehte sich ruckartig nach ihr um.

»Wo sind die Bücher?« fragte er mit gedämpfter, heiserer Stimme.

Seine Miene aber hatte etwas so Furchtbares und Drohendes, wie sie es noch nie an ihm gesehen hatte.

Sie wich ängstlich ein paar Schritte zurück.

Er trat ganz dicht auf sie zu.

»Wo sind ... die ... Bücher?«

Und während er jeden Laut gleichsam auseinanderzog und dehnte, überlief es ihn selbst eisig. Sie duckte und krümmte sich wie eine Katze, und jetzt däuchte es ihm auch, als ob sie wirklich das Gesicht einer Katze hätte.

Sie konnte seinen Blick nicht ertragen.

»Ich habe sie ... ich habe sie ... verr-versetzt!«

Da erfüllte ihn ein siedender Zorn.

Er hob beide Fäuste empor und wollte auf sie losstürzen, die sich noch mehr buckelte und in sich zusammenzog, angstvoll ihn anstarrend.

Aber in dem Augenblick, wo er sie prügeln und schlagen wollte, ließ er die Arme schlaff sinken.

Er brach auf dem nächsten Stuhle zusammen, legte sein Gesicht in die Hände und schluchzte.

Sie atmete tief auf.

Dann kreuzte sie die Arme übereinander und blickte gleichmütig zu ihm hinüber.

In dieser Stunde hatte sie den Rest ihrer Achtung vor ihm verloren. Er weinte – anstatt sie zu prügeln.


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