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VIII.

Es schlugen die Wogen über ihm zusammen. Sturmflut, gegen die es kein Sichwehren gab.

Frau Berg stand vor ihm in seinem dürftigen Zimmer und nestelte nervös an dem weißen Shawl, der über ihr Nerzjackett fiel.

»Warum sagen Sie kein Wort? Ich stehe vor Ihnen wie eine Bettlerin, und Sie sagen kein Wort. Habe ich Ihnen etwas getan? So reden Sie!« Und gereizt fuhr sie fort: »Bevor einer für schuldig erklärt wird, klagt man ihn an und läßt ihn sich verteidigen.« Und als er noch immer schwieg, sagte sie, und ihr Ton klang wild und höhnend: »Sie haben wohl Angst vor mir?«

»Ich hatte Furcht vor Ihnen«, antwortete Thomas und seine verstörten Züge belebten sich, und aus seinen eingesunkenen Augen sprühte etwas wie Rauflust.

»Sie wollten damit ausdrücken, daß Sie mit mir fertig sind?«

Sie verschränkte ein wenig die Arme, und ihre Lippen kräuselten sich hochmütig. »Ich finde es unerhört«, brachte sie dann mit feindseliger Stimme hervor. »Aber wenigstens antworten sollten Sie mir. Kann ich etwas dafür, daß ein taktloser Bursche Sie in meinem Hause überfiel? War es das?«

Und ohne seine Entgegnung abzuwarten, zog sie aus ihrem Muff einen weißen Bogen, den sie ihm reichte. »Lesen Sie«, sagte sie in befehlerischem Ton. Er überflog flüchtig die Zeilen:

»Gnädige Frau!
Ich habe heute Ihren Brief empfangen, in dem Sie mir Ihr Haus verbieten. Ich bin ebenso überrascht wie befremdet; vor allem bin ich der Überzeugung, daß Sie keineswegs im Sinne des Herrn Track gehandelt haben. Und im Gefühle des mir getanen Unrechts erwarte ich mit Ruhe meine Genugtuung. Sie werden mich zurückrufen. Wenn Sie es wünschen, werde ich Herrn Track aufsuchen und ihm die Frage vorlegen, ob ich ihn verletzt habe. Ich sehe Ihrer Antwort entgegen und zeichne mit dem Ausdruck der Hochachtung
Rechtsanwalt Kornfeldt.«

Thomas gab ihr das Blatt zurück. »Der Mann hat vollkommen recht«, entgegnete er kalt. »Der Mann kann mich nicht verletzen.«

Sie starrte ihn an. »So war ich es also?«

»Sie waren es. Ich war ein Gast in Ihrem Hause, aber Sie dachten nur an sich. Genau wie damals«, setzte er zornig hinzu, »wo Ihrem Kutscher das Blut aus seiner klaffenden Stirn strömte und Sie dies Blut nicht sahen. Sie sahen auch mein Blut nicht. Sie empfanden es nur peinlich, daß in Ihrem Festsaal – –« Er brach mit einem kurzen Lachen ab.

Sie war um einen Schatten bleicher geworden und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Dann ließ sie die Arme schlaff sinken. Ihm schien es, als ob auf ihr Gesicht Furchen traten, die auftauchten, um gleich wieder zu verschwinden. Sie stand eine Weile bewegungslos da. »Das sagen Sie mir?« flüsterte sie endlich. »Nun gut; übrigens Sie haben ganz recht, Herr Thomas Truck«, fügte sie, sich aufraffend, hinzu. »Es ist genau so, genau so ist es. Sie sind ein Seher, Sie haben in mich geschaut.« Und auf einmal wuchs sie vor ihm. Ihre Miene wurde hart und stolz, und mit einem kaum merklichen Nicken ihres Kopfes verließ sie die Mansarde.

Thomas trat ans Fenster.

Unten stand ihr Wagen, und auf dem Bock saß der nämliche Kutscher, der damals aus der Stirnwunde geblutet hatte. Thomas sah, daß er einen Zigarrenstummel in der Hand hielt und gemächlich zu rauchen schien. Und jetzt trat die gnädige Frau aus dem Tore seines Hauses – und jetzt stieg sie in den Wagen – und jetzt jagte sie davon. Sie sah sich nicht mehr um.

Thomas blickte ihr nach. Er horchte auf das Davonrollen der Räder. Er lachte in sich hinein, um etwas zu betäuben, das in ihm schmerzhaft war. Er fühlte aber, daß dies Lachen ihm wehe tat und seinen Schmerz noch mehr aufstörte. Er riß die Fenster auf, denn es war ihm auf einmal dumpf und eng zwischen seinen niedrigen vier Wänden. Eine beklemmende Unruhe kam über ihn. Er setzte sich an seinen Tisch und zog einen Briefbogen hervor. Er fühlte dunkel, daß sie Herrin über ihn war, und empfand das mit Schmerz und Freude. Er schrieb mit großen, fahrigen Buchstaben:

»Ich will Sie heute abend sehen, Sie werden zu mir kommen, ich bin von acht Uhr ab zu Hause.
Thomas Truck.«

Und ohne über seine Handlungsweise nachzugrübeln, ohne sich einen Begriff zu machen, was er tat, steckte er diesen Bogen in ein Kuvert, siegelte es zu, warf sich seinen Mantel um, und den Hut in der Hand haltend, eilte er die Treppen hinunter. Er jagte gleichsam zum nächsten Briefkasten, als könnte er verfolgt werden und jemand ihm Einhalt tun.

Erst als er den Brief in den blauen Kasten geworfen hatte, fiel ihm ein, daß er nicht frankiert war; dennoch atmete er tief auf, pfiff wie ein übermütiger Junge eine leise, lustige Melodie vor sich hin und schritt durch die Straßen wie im Rausche. – – –


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